Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 29.09.2023 – 19 O 1485/23
Titel:

Unzumutbare Belästigungen durch Telefonanrufe und E-Mails gegen den ausdrücklichen Wunsch des Gewerbetreibenden 

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
UWG § 7 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2, Abs. 3
Leitsätze:
1. Bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 7 Abs. 1, 2 Nr. 1, Nr. 2 UWG handelt es sich um einen unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. (Rn. 26) (Rn. 51 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erfolgt ein Anruf bei einem Gewerbetreibenden, um den Bedarf an bestimmten eigenen Angeboten abzufragen, handelt es sich auch dann um eine Werbung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1, 2 UWG, wenn die Parteien grundsätzlich in Geschäftsbeziehungen miteinander stehen. (Rn. 31 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein ausdrücklicher Widerspruch schließt die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 UWG auch dann aus, wenn einzelne Mitarbeiter Kontakt zu dem Werbenden aufgenommen haben. (Rn. 36 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zulässigkeit der Klage, Feststellungsklage, Unterlassungsanspruch, Schadensersatzanspruch, Verrichtungsgehilfe, Auskunftsanspruch, Abmahnkosten
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 36137

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Unterlassung von Kontaktaufnahmen zu werblichen Zwecken sowie sich hieraus ergebende Auskunfts- und Schadensersatzansprüche.
2
Bei der Klägerin handelt es sich um einen internationalen Hersteller von Medizintechnik mit weltweit 66.000 Mitarbeitern. Die Beklagte vermittelt IT- und Engineering-Experten im Rahmen einer Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen für gemeinsame Projekte. In der Vergangenheit hat die Beklagte mit der Klägerin in verschiedenen Projekten zusammengearbeitet und dieser entsprechende Experten zur Verfügung gestellt. Zwischen den Parteien besteht seit dem Jahre 2003 eine geschäftliche Beziehung, es bestand jedoch zu keinem Zeitpunkt ein Rahmenvertrag zwischen den Parteien, vielmehr wurde stets für konkrete Einzelprojekte jeweils ein separater Vertrag geschlossen.
3
Der Mitarbeiter der Klägerin, Herr Dr. M. M., bei welchem es sich um den Head of Strategy, Enterprise Services, handelt wurde am 16. und 17.05.2022 sowohl auf seinem dienstlichen Festnetz- als auch Mobiltelefon von einer Mitarbeiterin der Beklagten, V. F., bei welcher es sich zum damaligen Zeitpunkt um eine Key Account – Mitarbeiterin der Beklagten handelte, kontaktiert. Zusätzlich kontaktierte besagte Mitarbeiterin der Beklagten den vorgenannten Mitarbeiter der Klägerin am 17.05.2022 per E-Mail mit dem Betreff „Unser Gespräch/ Externe Spezialisten“. Hinsichtlich des Inhalts der E-Mail wird auf die von der Klägerin vorgelegte Anlage OK 4 Bezug genommen. Mit Schreiben der Rechtsabteilung der Klägerin vom 07.06.2022 stellte die Klägerin den vorgeschilderten Sachverhalt gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten, Herrn O. K., dar und forderte die Beklagte dazu auf, werbliche Kontaktaufnahmen zukünftig zu unterlassen. Dabei wies die Klägerin zudem darauf hin, dass bei einer Fortsetzung des beanstandeten Verhaltens rechtliche Maßnahmen durch die Klägerin eingeleitet werden würden. Das Schreiben ging der Beklagten am 15.06.2022 zu. Hinsichtlich des genauen Inhalts des Schreibens der Klägerin an die Beklagte wird auf die von der Klägerin vorgelegte Anlage OK 5 Bezug genommen. Auch nach dem Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 07.06.2022, erhielten verschiedene Mitarbeiter der Klägerin aus unterschiedlichen Geschäftsbereichen auch noch nach dem 15.06.2022 E-Mails von der Mitarbeiterin der Beklagten, V. F., mit dem Betreff „Projektplanung – Externe Spezialisten“. So kontaktierte die genannte Mitarbeiterin der Beklagten am 27.06.2022 per E-Mail mehrere Mitarbeiter der Klägerin per E-Mail über deren jeweilige berufliche E-Mail-Adresse mit demselben Inhalt. Hinsichtlich des Inhalts der jeweils gleichlautenden E-Mails der Beklagten an die Klägerin wird auf die von der Klägerin vorgelegten Anlagen OK 7, OK 8, OK 9, OK 10, OK 11, OK 24 Bezug genommen. Zudem kontaktierte die vorbezeichnete Mitarbeiterin der Beklagten am 27.06.2022 einen Mitarbeiter der Klägerin, namentlich Herrn A. J., per E-Mail mit dem Betreff „Aktuelle Zusammenarbeit – Anstehende Themen“. Der Mitarbeiter der Klägerin reagierte hierauf zunächst nicht. Die Mitarbeiterin der Beklagten kontaktierte besagten Mitarbeiter der Klägerin daher am 06.09.2022 erneut per E-Mail. Der Mitarbeiter der Klägerin leitete diese E-Mail an eine weitere Mitarbeiterin der Klägerin, namentlich an Frau N. T. weiter. Hinsichtlich des Inhalts der genannten E-Mails wird auf die von der Klägerin vorgelegte Anlage OK 12 Bezug genommen. Die vorbezeichnete Mitarbeiterin der Beklagten versuchte am 07.09.2022 erfolglos, Frau N. T. telefonisch zu erreichen und übersandte ihr im Nachgang eine E-Mail mit dem Betreff „Bitte um Rückruf“. Hinsichtlich des Inhalts der genannten E-Mail wird Bezug auf die von der Klägerin vorgelegte Anlage OK 13 genommen. Die vorbezeichnete Mitarbeiterin der Klägerin wies die Mitarbeiterin der Beklagten per E-Mail am 08.09.2022 darauf hin, dass die Rechtsabteilung der Klägerin bereits mitgeteilt hätte, dass werbliche Kontaktaufnahmen gegenüber sämtlichen Mitarbeitern der Klägerin zu unterlassen seien, forderte die Mitarbeiterin der Beklagten dazu auf, die verschriftlichte Aufforderung einzuhalten und fügte zur Kenntnisnahme das Schreiben der Klägerin vom 07.06.2022 bei (Anlage OK 14). Die Mitarbeiterin der Beklagten antwortete kurz darauf per E-Mail, dass die Beklagte Lieferantin und Vertragspartnerin der Klägerin sei, es eine Zusammenarbeit gäbe und es sich nicht um werbliche Kontaktaufnahmen handele, sondern lediglich um einen Austausch einer bestehenden Geschäftsbeziehung (Anlage OK 15). Die Mitarbeiterin der Klägerin antwortete hierauf erneut per E-Mail, dass die Beklagte bereits als Lieferant gesperrt sei und keine neuen Aufträge mehr an diese vergeben werden würden (Anlage OK 16). Aufgrund der Kontaktaufnahmen der Beklagten zu Mitarbeitern der Klägerin nach dem 15.06.2022 mahnte die Klägerin die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 11.10.2022 ab. Überdies forderte die Klägerin die Beklagte im Rahmen dieses Schreibens zur Abgabe einer entsprechenden strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 18.10.2022 auf. Des Weiteren forderte sie die Erstattung der Kosten für die außergerichtliche Abmahnung auf Basis eines Gegenstandswerts von 10.000,00 € bis zum 25.10.2022. Hinsichtlich des Inhalts dieses Abmahnschreibens wird ergänzend auf die von der Klägerin vorgelegte Anlage OK 17 Bezug genommen. Im Zeitpunkt des Schreibens vom 07.06.2022 und im Zeitpunkt der Abmahnung vom 11.10.2022 standen die Parteien in laufender Vertragsbeziehung. Unstreitig kam es im streitgegenständlichen Zeitraum auch zu Kontaktaufnahmen der Mitarbeiter der Klägerin zu Mitarbeitern der Beklagten.
4
Die Klägerin behauptet, bei der telefonischen Kontaktaufnahme und bei der Kontaktaufnahme per E-Mail durch die Beklagte handele es sich um werbliche Kontaktaufnahmen, die spätestens seit dem 15.6.2022 ohne vorherige Einwilligung erfolgten. Weil die Beklagte an bisherigen Projekten nicht beteiligte Mitarbeiter der Klägerin wiederholt wegen einer möglichen Zusammenarbeit per E-Mail und per Telefon zu Werbezwecken kontaktiert habe, sei die Beklagte von der Klägerin als Partner für zukünftige Projekte gesperrt worden. Bei der regelmäßigen Kontaktaufnahme der Beklagten zur Klägerin habe es sich nicht um einen Vertragsbestandteil bzw. dessen Erfüllung gehandelt.
5
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei im Rahmen des Schreibens vom 07.06.2022 dazu aufgefordert worden, jegliche werblichen Kontaktaufnahmen gegenüber Herrn Dr. M. M. sowie sämtlicher weiterer ihrer Mitarbeiter zukünftig zu unterlassen. Der Klägerin stünde daher aufgrund des streitgegenständlichen Verhaltens gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zu, weil die Beklagte durch die entsprechenden werblichen Kontaktaufnahmen per E-Mail und per Telefon einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorgenommen habe und die Wiederholungsgefahr bisher mangels Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nicht ausgeräumt worden sei. Ferner stehe der Klägerin noch ein Anspruch auf Schadensersatz, Auskunft sowie Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten zu.
6
Die Klägerin hat ihren ursprünglichen Klageantrag Ziff. 2 lit. c vor Beginn der mündlichen Verhandlung vom 11.08.2023 dahingehend geändert, dass sie nicht Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, sondern Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangt.
7
Die Klägerin beantragt zuletzt,
1. Die Beklagte wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, jeweils zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, verurteilt, es zu unterlassen,
a) die Klägerin telefonisch zu werblichen Zwecken zu kontaktieren und/oder kontaktieren zu lassen, ohne dass die Klägerin hierfür vorher ausdrücklich ihre Einwilligung erteilt hat und b) die Klägerin per elektronischer Post werblich zu kontaktieren und/oder kontaktieren zu lassen, ohne dass die Klägerin hierfür vorher ausdrücklich ihre Einwilligung erteilt hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt,
a) der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die Handlungen gemäß Ziffer 1 seit dem 16.Juni 2022 entstanden ist,
b) der Klägerin Auskunft über die seit dem 16.Juni 2022 vorgenommenen Handlungen gemäß Ziffer 1 unter Angabe der Adressaten und Zeitpunkte zu erteilen,
c) an die Klägerin 973,66 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2022 zu zahlen.
8
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
9
Die Beklagte behauptet, sie habe die Mitarbeiter der Klägerin im streitrelevanten Zeitraum nicht ohne vorherige Einwilligung und auch nicht werblich kontaktiert. Die zwischen den Parteien erfolgte Kommunikation habe entweder im Rahmen laufender Projekte und damit einer laufenden Geschäftsbeziehung oder auf ausdrücklichen Wunsch einzelner Mitarbeiter der Klägerin stattgefunden. Die Kontaktaufnahme zu den Ansprechpartnern der Klägerin sei nicht zu werblichen Zwecken und schon gar nicht im Rahmen von sog. „Cold Calls“ erfolgt, sondern um den bestehenden vertraglichen Verpflichtungen einer laufenden Geschäftsbeziehung nachzukommen. Die Kontaktaufnahmen seien nach vorheriger Einwilligung seitens der jeweiligen Mitarbeiter der Klägerin, zum Teil auf ausdrücklichen Wunsch dieser erfolgt. Die regelmäßige Kontaktaufnahme resultiere auch daraus, dass die Beklagte mit einigen Ansprechpartnern der Klägerin schon zu Beginn der Vertragsbeziehung vereinbart habe, sich in bestimmten Zeitabständen bei ihr zu melden, um entsprechenden Bedarf zu klären beziehungsweise abzufragen. Diese Vereinbarung sei auch noch nach dem Schreiben vom 07.06.2022 weitergelebt worden, was sich bereits daran zeige, dass sich Mitarbeiter der Klägerin nach wie vor an die Beklagten wandten. Von einer Abmahnung beziehungsweise einem Kontaktverbot hätten die Ansprechpartner der Klägerin überwiegend nichts gewusst oder dies nicht auf die Kommunikation mit der Mitarbeiterin der Beklagten, V. F. bezogen. Alle von der Klägerin als streitgegenständlich angeführten Telefonanrufe und E-Mails seien in diesem vertraglichen Zusammenhang erfolgt, in welchem die Beklagte davon habe ausgehen dürfen, dass eine Ansprache aller nicht namentlich genannten Personen im Rahmen der laufenden Geschäftsbeziehung weiterhin möglich sei. Die Einwilligungen und Kontaktaufnahmen der Mitarbeiter der Klägerin der Mitarbeiter hätten dazu im Widerspruch gestanden und hätten von der Beklagten nur in der Form verstanden werden können, dass derartige Kontaktaufnahmen und Kommunikation weiterhin möglich sei. Im Schreiben vom 07.06.2023 seien ausschließlich Anrufe und E-Mails gegenüber dem Mitarbeiter der Klägerin, Herrn Dr. M. M., thematisiert und sollten künftig unterlassen werden. Das Schreiben habe sich ausschließlich auf den genannten Mitarbeiter bezogen. Andere Personen oder Kontaktadressen seien nicht genannt worden, weshalb die Beklagte davon ausgegangen sei, dass sich das Schreiben auf Kontakte gegenüber diesem beschränke.
10
In der Abmahnung vom 11.10.2022 seien dann E-Mails an andere Mitarbeiter der Klägerin thematisiert worden, die ebenfalls nicht zu Werbezwecken, sondern zur Bedarfsermittlung erfolgt seien. Weitere Personen seien in der Abmahnung nicht genannt worden, insbesondere sei kein generelles Kontaktverbot ausgesprochen worden. Bei der Beklagten habe das Verhalten der Klägerin für große Verwirrung gesorgt. Man sei sich nicht mehr darüber im Klaren gewesen, wann und zu welchem Zweck man die Mitarbeiter ansprechen durfte und wann nicht. Unklar sei die Situation deshalb gewesen, weil nach wie vor die Abrede bestanden habe, sich in regelmäßigen Abständen bei der Klägerin zu melden. Die Beklagte habe den Hinweis, man sei als Lieferant gesperrt, nicht richtig einordnen können, was sich auch aus der Kommunikation zwischen der Mitarbeiterin V. F. der Beklagten und der Mitarbeiterin Frau N. T. der Klägerin ergebe. Die Situation sei insgesamt mehr als unklar gewesen, als generelles Verbot, an die Mitarbeiter der Klägerin im Rahmen der bestehenden Geschäftsbeziehung telefonisch oder per E-Mail heranzutreten, hätten die Schreiben in keinem Fall aufgefasst werden können. Zudem liege auch keine Beeinträchtigung des Betriebsablaufs des Unternehmens der Klägerin vor.
11
Auf das Sitzungsprotokoll vom 11.08.2023 (Bl. 87f. d.A.) sowie die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen wird Bezug genommen. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Entscheidungsgründe

12
Die seitens der Klägerin gestellten Klageanträge sind erfolgreich, weil sie zulässig und begründet sind.
A.
13
Den – im Gegensatz zum Klägerschriftsatz vom 01.09.2023 nicht gemäß § 283 ZPO nachgelassenen – Beklagtenschriftsatz vom 15.09.2023 hat das Gericht zur Kenntnis genommen. Gesichtspunkte, die zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO Anlass gegeben hätten (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 283 ZPO, Rn. 6), sind daraus nicht ersichtlich.
B.
14
Die Klage ist vollumfänglich zulässig.
15
I. Das angegangene Landgericht Nürnberg-Fürth ist gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 GVG sachlich sowie gem. § 32 ZPO örtlich zuständig.
16
II. Eine Auslegung des Klageantrags Ziff. 2 lit. a ergibt, dass das Bestehen des mit dieser Ziffer geltend gemachten Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte festgestellt werden soll, es sich mithin um eine Feststellungsklage, nicht hingegen um eine Leistungsklage handelt.
17
1. Zwar lässt die Formulierung des Klageantrags Ziff. 2 lit. a „die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen (…)“ zunächst auf das Vorliegen einer Leistungsklage schließen. Dazu im Widerspruch steht jedoch, dass die Klägerin im Rahmen ihrer rechtlichen Würdigung hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs ihr Feststellungsinteresse gem. § 256 I ZPO darlegt.
18
Aufgrund der bisher nicht erfolgten und mangels Auskunft bisher auch noch nicht möglichen Bezifferung des Schadens der Klägerin und der Darlegung des Feststellungsinteresses gem. § 256 I ZPO durch die Klägerin ist der Klageantrag Ziff. 2 lit. a jedoch dahingehend auszulegen (als Prozesshandlung analog §§ 133, 157 BGB), dass die Klägerin die Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach gegen die Beklagte begehrt, es sich demnach um eine Feststellungsklage handelt. Es handelt sich demnach gerade nicht um eine Stufenklage gem. § 254 ZPO, bei welcher in einem ersten Schritt Auskunft verlangt und in einem zweiten Schritt – nach erfolgter Auskunft – eine in Abweichung vom Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zunächst zulässigerweise unbestimmt erhobene Leistungsklage auf Zahlung von Schadensersatz stünde.
19
2. Das für den Feststellungsantrag in Ziff. 2 lit. a erforderliche Feststellungsinteresse gem. § 256 I ZPO liegt vor, weil eine Bezifferung der Anspruchshöhe derzeit nicht möglich ist und eine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Klägerin durch die werblichen Kontaktaufnahmen der Beklagten einen Schaden, etwa in Form von Störung der Betriebsabläufe, verbunden mit Zusatzsach- und -personalaufwand, erlitten hat.
C.
20
Die Klagen sind begründet.
21
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der telefonischen Kontaktaufnahme und der Kontaktaufnahme per elektronischer Post jeweils zu werblichen Zwecken ohne vorherige Einwilligung seitens der Klägerin gem. § 1004 I 2 BGB analog i.V.m. § 823 I BGB.
22
1. Die Vorschrift des § 1004 I 2 BGB ist im vorliegenden Fall analog anwendbar, sog. quasinegatorischer Unterlassungsanspruch. Grundsätzlich schützt § 1004 BGB in unmittelbarer Anwendung nur das Eigentum und bestimmte dingliche Rechte. Aufgrund der Schutzbedürftigkeit anderer absoluter Rechte werden entsprechend § 1004 BGB alle absoluten Rechte geschützt, demnach auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, um den repressiven Schadensersatzschutz des § 823 I BGB um einen von § 1004 I 2 BGB analog umfassten präventiv in die Zukunft wirkenden Unterlassungsschutz zu erweitern.
23
2. Durch die werblichen Kontaktaufnahmen der Mitarbeiterin der Beklagten V. F. zu Mitarbeitern der Klägerin per Telefon und per E-Mail ohne deren vorherige ausdrückliche Einwilligung wurde spätestens ab 16.06.2022 rechtswidrig in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen.
24
a) Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist als sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB anerkannt. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb setzt eine erlaubte, selbstständige, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf gewisse Dauer angelegte Tätigkeit voraus. Deshalb steht das Recht auch der Klägerin zu, bei welcher es sich um eine Herstellerin von Medizintechnik handelt.
25
b) Ein rechtswidriger Eingriff in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt vor, weil der Tatbestand des § 7 I, II Nr. 1 bezüglich Telefonanrufen und des § 7 I, II Nr. 2 UWG bezüglich E-Mails verwirklicht ist und auch der Erlaubnistatbestand des § 7 III UWG hinsichtlich E-Mails mangels Vorliegens einer der kumulativen Voraussetzungen des § 7 III UWG, genauer des § 7 III Nr. 3 UWG, ausscheidet.
26
aa) Bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 7 I, II Nr. 1, Nr. 2 UWG handelt es sich um einen unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriff, weil der Klägerin durch die werblichen Kontaktaufnahmen per Telefon und per E-Mail ein zusätzlicher Arbeits- und Zeitaufwand entstanden ist und die Klägerin hierdurch Ressourcen für andere Zwecke einbüßte.
27
(1) Der Tatbestand des § 7 I, II Nr. 1 und Nr. 2 UWG wurde durch das Verhalten der Beklagten verwirklicht.
28
(a) Im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gem. § 823 I BGB kommen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen bzw. dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung die Maßstäbe/Wertungen des § 7 UWG zur Anwendung.
29
(b) Gem. § 7 I UWG ist eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, unzulässig. Dies gilt insbesondere für Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht.
30
(c) Durch die telefonischen Kontaktaufnahmen zu werblichen Zwecken hat die Beklagte den Tatbestand des § 7 I, II Nr. 1 UWG verwirklicht. Gem. § 7 II Nr. 1 UWG ist eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen bei Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung oder gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung.
31
(i) Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern (vgl. Art. 2 lit. a der RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung). Wie die Beklagte selbst eingeräumt hat, lag den streitgegenständlichen E-Mails und Anrufen der Anlass zugrunde, dass die Beklagte damit den Bedarf an Projektmitarbeitern bei der Klägerin zu Planungszwecken in Erfahrung bringen wollte.
32
Der werbliche Zweck der telefonischen Kontaktaufnahmen gegenüber dem Mitarbeiter der Klägerin Dr. M. M. wird überdies ersichtlich, wenn man die Anrufversuche der Beklagten vom 16. und 17.05.2022 in Beziehung zu der am 17.05.2022 an den vorbezeichneten Mitarbeiter der Klägerin versandten E-Mail, welche unter anderem den Inhalt „Gerne würde ich auch mit Ihnen persönlich zusammenarbeiten, (…). Bei welchen Themen kann ich Sie aktuell unterstützen? Unabhängig davon freue ich mich über ein bedarfsunabhängiges Kennenlernen mit Ihnen (…)“, setzt. Anhand des Inhalts dieser E-Mail wird eindeutig ersichtlich, dass die Kommunikation gerade nicht nur im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung erfolgen sollte, sondern auf die Generierung von „Zusatzgeschäft“ bei der Beklagten in Form der Vermittlung neuer IT-Spezialisten an die Klägerin gerichtet war.
33
Gleiches gilt für den Anrufversuch der Beklagten bei der Mitarbeiterin der Klägerin Frau N. T. am 07.09.2022. Zunächst kontaktierte die Mitarbeiterin der Beklagten den Mitarbeiter der Klägern Herrn A. J. am 06.09.2022 und erbat sich hierbei Rückmeldung auf eine E-Mail vom 26.07.2022, welche unter anderem den Inhalt „Gibt es denn aktuell anstehende Themen, bei denen ich Sie von mir überzeugen und mit passenden Experten unterstützen könnte?“ aufwies. Demnach erbat sich die Mitarbeiterin am 06.09.2022 eine Rückmeldung auf eine E-Mail zu werblichen Zwecken. Nachdem die Mitarbeiterin der Beklagten vom genannten Mitarbeiter der Klägerin sodann die Antwort erhalten hatte, dass sich die Mitarbeiterin Frau N. T. bei Bedarf an externer Unterstützung an die Beklagte wenden würde, versuchte die Mitarbeiterin der Beklagten die Mitarbeiterin Frau N. T. zu erreichen.
34
Demnach handelte es sich bei den telefonischen Kontaktaufnahmen der Beklagten um eine Äußerung bei der Ausübung eines Gewerbes mit dem Ziel, die Erbringung von Dienstleistungen – namentlich die Vermittlung von Experten an die Klägerin – zu fördern, sodass das Vorliegen von Werbung zu bejahen ist.
35
(ii) Die telefonischen Kontaktaufnahmen zu werblichen Zwecken erfolgten jedenfalls hinsichtlich der Anrufe der Beklagten bei den Mitarbeitern der Klägerin Herrn Dr. M. M. am 16. und 17.05.2022 sowie bei Frau N. T. am 07.09.2022 ohne zumindest mutmaßliche Einwilligung.
36
Eine mutmaßliche Einwilligung liegt vor, wenn es an einer ausdrücklichen oder konkludenten Einwilligungserklärung fehlt, wenn aber die geschäftliche Handlung dem objektiven Interesse oder dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Adressaten entspricht. Es muss auf Grund konkreter Umstände ein sachliches Interesse des Anzurufenden vom Anrufer vermutet werden können. Ein ausdrücklicher Widerspruch schließt die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung aus, vgl. § 7 I 2 UWG.
37
Die Mitarbeiter Dr. M. M. sowie Frau N. T. haben der Beklagten gegenüber zu keinem Zeitpunkt in eine werbliche Kontaktaufnahme eingewilligt. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dem erstgenannten Mitarbeiter nicht um einen Ansprechpartner der Beklagten als IT-Dienstleister handelte, ist überdies kein Interesse dessen an einer telefonischen Kontaktaufnahme zu werblichen Zwecken seitens der Beklagten ersichtlich.
38
Hinsichtlich des Anrufversuchs bei der letztgenannten Mitarbeiterin der Klägerin ist festzuhalten, dass zum Zeitpunkt des 07.09.2022 die Beklagte bereits das Schreiben der Klägerin vom 07.06.2022 (Anlage OK 5), welches der Beklagten am 15.06.2022 zugestellt wurde und in welchem sie dazu aufgefordert wurde, werbliche Kontaktaufnahmen sowohl per E-Mail als auch per Telefon gegenüber Herrn Dr. M. M. sowie anderen Mitarbeitern der Klägerin zu unterlassen, erreicht hatte. Hierbei handelt es sich um einen ausdrücklichen Widerspruch, vgl. § 7 I 2 UWG. Im Rahmen des Schreibens der Klägerin vom 07.06.2022 ist unmissverständlich zum Ausdruck gekommen, dass die Klägerin keine weiteren werblichen Kontaktaufnahmen sowohl per E-Mail als auch per Telefon durch die Beklagte zu ihren Mitarbeitern wünscht. Der im Rahmen des Schreibens der Klägerin vom 07.06.2023 verwendete Wortlaut ist eindeutig, weil sich eindeutig ergibt, dass die Klägerin die Beklagte auffordert, werbliche Kontaktaufnahmen sowohl per Telefon als auch per E-Mail gegenüber ihren Mitarbeitern in Zukunft zu unterlassen. Insbesondere ergibt sich aus dem Schreiben, dass der Mitarbeiter der Klägerin, namentlich Herr. Dr. M. M., nur exemplarisch benannt wurde und eine werbliche Kontaktaufnahme per Telefon und per E-Mail gegenüber allen Mitarbeitern der Klägerin unterlassen werden sollte.
39
Demnach lag jedenfalls ab dem Zugang des Schreibens der Klägerin am 15.06.2022 bei der Beklagten gerade keine Einwilligung seitens der Klägerin mehr vor. Hinsichtlich des Anrufs der Mitarbeiterin der Einkaufsabteilung der Klägerin, N. T., durch V. F. am 07.09.2023 kommt hinzu, dass bereits am 06.09.2023 der Mitarbeiterin der Klägerin A. J. letzterer mitgeteilt hatte, dass sich N. T. bei ihr im Falle des Bedarfs an IT-Spezialisten wieder melden würde, mithin war zusätzlich klargestellt, dass eine Kontaktaufnahme von V. F. an N. T. unerwünscht war.
40
Etwaige Kontaktaufnahmen seitens der Mitarbeiter der Klägerin zu Mitarbeitern der Beklagten stehen dem nicht entgegen, insbesondere sind diese nicht dazu geeignet, den im Rahmen des Schreibens der Klägerin vom 07.06.2022 geäußerten generell entgegenstehenden Willen der Klägerin, welche die Beklagte als Lieferantin „gesperrt“ hatte, aufzuheben. So ist zwar grundsätzlich eine mutmaßliche Einwilligung naheliegend, wenn bei einem – wie hier – großen Unternehmen dieses über eine eigene Einkaufabteilung verfügt und laufend Waren (oder Dienstleistungen) unterschiedlicher Herkunft bezieht (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 7 UWG, Rn. 230). Es muss dann aber andersherum auch respektiert werden, wenn bei einem großen (Konzern-)Unternehmen wie demjenigen der Klägerin ein berechtigtes Interesse daran besteht, die Anfragen von externen Dienstleistern bezüglich neuer Aufträge in der Einkaufs-/Procurementabteilung zu bündeln, um so klare Ansprechpartner und Entscheidungsträger hinsichtlich der Beauftragung von Externen zu definieren. Dieses Interesse ist gerade auch im Konzern, zu dem die Klägerin gehört, auf Grund allgemein bekannter erheblicher Compliance-Probleme, verbunden mit Strafprozessen gegen ehemalige Vorstände und Mitarbeiter nicht nur in Deutschland, in den 2000er bis Anfang der 2010er Jahre, ein besonders verständliches Anliegen. Die einzige Mitarbeiterin aus der Einkaufsabteilung der Klägerin war aber N. T. (bei deren Anruf V. F. aber gerade von A. J. mitgeteilt bekommen hatte, dass sie sich bei Bedarf selber bei der Beklagten melden würde), während Dr. M. M. gar nicht für die Beschaffung von IT-Spezialisten zuständig war.
41
(iii) Überdies ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bereits ein einziger Werbeanruf, der nicht nach § 7 UWG gerechtfertigt ist, einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des angerufenen Unternehmens darstellt, vgl. KG Berlin, Urteil vom 14.09.2021, Az. 5 U 35/20, Rn. 34 (abrufbar über juris).
42
(d) Überdies ist durch die werblichen Kontaktaufnahmen per E-Mail der Tatbestand des § 7 I, 7 II Nr. 2 UWG verwirklicht.
43
(i) Gem. § 7 II Nr. 2 UWG ist eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen bei Werbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine, eines Faxgerätes oder elektronischer Post, ohne dass eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt.
44
(ii) Elektronische Post ist jede über ein öffentliches Kommunikationsnetz verschickte Text-, Sprach-, Ton- oder Bildnachricht, die im Netz oder im Endgerät des Empfängers gespeichert werden kann, bis sie von diesem abgerufen wird. Bei E-Mails handelt es sich um elektronische Post.
45
(iii) Wie bereits dargelegt, ist Werbung jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern (vgl. Art. 2 lit. a der RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung).
46
Die Mitarbeiterin der Beklagten, Frau V. F., kontaktierte am 27.06.2022 mehrere Mitarbeiter der Klägerin über deren jeweilige berufliche E-Mail-Adresse mit dem Betreff „Projektplanung-Externe Spezialisten“ (vgl. Anlagen OK 7, OK 8, OK 9, OK 10, OK 11, OK 24). Unter anderem war die Textpassage „Wir können bei personellen Engpässen, egal aus welchem Grund, sehr kurzfristig weiterhelfen und mit geeigneten Experten unterstützen (…). Wir bieten unsere Leistungen hierbei auf Basis Dienst- oder Werkvertrag. Kommen Sie gerne unverbindlich auf uns zu“ Inhalt der genannten E-Mail.
47
Überdies kontaktierte die genannte Mitarbeiterin der Beklagten am 27.06.2022 einen weiteren Mitarbeiter der Klägerin per E-Mail mit dem Betreff „Aktuelle Zusammenarbeit – Anstehende Themen“ (vgl. Anlage OK 12). Inhalt dieser E-Mail war unter anderem die Textpassage „Gibt es denn aktuell anstehende Themen, bei denen ich Sie von mir überzeugen und mit passenden Experten unterstützen könnte?“. Bei den von der Mitarbeiterin der Beklagten an die Klägerin versandten E-Mails handelt es sich um Werbung, da es sich hierbei um eine Äußerung der Beklagten bei der Ausübung eines Gewerbes handelt, welche darauf abzielt, die zusätzliche, d.h. nicht auf Basis konkreter Einzelprojekte bereits fest vereinbarter, Erbringung von Dienstleistungen – namentlich die Vermittlung von Experten – zu fördern. Es handelt sich demnach nicht lediglich um nicht werbliche Kommunikation im Rahmen eines bestehenden Geschäftsverhältnisses.
48
(iv) Bei der vorherigen ausdrücklichen Einwilligung handelt es sich um jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist, vgl. die Legaldefinition in Art. 4 Nr. 11 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), welche seit dem Zeitpunkt der unmittelbaren Anwendbarkeit der DSGVO am 25.05.2018 die maßgebliche Definition auch für die Rechtmäßigkeitsanforderungen an eine Einwilligung im Rahmen des § 7 UWG bildet (vgl. BGH, WRP 2020, 1009, Rn. 34 – Cookie-Einwilligung II).
49
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte auch noch nach dem Schreiben der Klägerin (Anlage OK 5) vom 07.06.2022, welches der Beklagten am 15.06.2022 zugestellt wurde und in welchem sie dazu aufgefordert wurde, werbliche Kontaktaufnahmen sowohl per E-Mail als auch per Telefon gegenüber Herrn Dr. M. M. sowie anderen Mitarbeitern der Klägerin zu unterlassen, verschiedene Mitarbeiter der Klägerin werblich per E-Mail kontaktiert, sodass eine unzumutbare Belästigung im Sinne des §§ 7 I, II Nr. 2 UWG zu bejahen ist.
50
Wie bereits dargestellt, ist im Rahmen des Schreibens der Klägerin vom 07.06.2022 unmissverständlich zum Ausdruck gekommen, dass die Klägerin keine weiteren werblichen Kontaktaufnahmen sowohl per E-Mail als auch per Telefon durch die Beklagte zu ihren Mitarbeitern wünscht. Demnach lag jedenfalls ab dem Zugang des Schreibens der Klägerin am 15.06.2022 bei der Beklagten gerade keine vorherige ausdrückliche Einwilligung seitens der Klägerin mehr vor. Auch etwaige Kontaktaufnahmen seitens der Mitarbeiter der Klägerin zu Mitarbeitern der Beklagten sind nicht dazu geeignet, den im Rahmen des Schreibens der Klägerin vom 07.06.2022 geäußerten generell entgegenstehenden Willen der Klägerin aufzuheben.
51
(2) Die Verwirklichung des Tatbestandes des § 7 I, II Nr. 1, Nr. 2 UWG stellt einen unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriff in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.
52
Unter einen betriebsbezogenen Eingriff fällt jeder unmittelbare Eingriff in den betrieblichen Tätigkeitskreis, insbesondere wenn er zur Beeinträchtigung des Betriebs als solchen beziehungsweise zu einer Bedrohung seiner Grundlagen führt. Er muss sich nach einem objektiven Maßstab spezifisch gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten, nicht nur gegen vom Betrieb ablösbare Rechte oder Rechtsgüter und über eine bloße Belästigung oder sozial übliche Behinderung hinausgehen. Hierbei kann es genügen, wenn geschäftliche Aktivitäten unmittelbar beeinträchtigt oder verhindert werden oder verhindert werden sollen.
53
(a) Zunächst ist festzustellen, dass die werblichen Kontaktaufnahmen in den Betrieb als solchen gelangt sind und keine Rechtsposition betroffen haben, die vom Betrieb ablösbar sind.
54
(b) Bei der werblichen Kontaktaufnahme – zum Beispiel durch einen Anruf oder durch Zusendung einer Werbe-E-Mail ohne vorherige Einwilligung des Adressaten – handelt es sich regelmäßig um einen unmittelbaren Eingriff in den Gewerbebetrieb, weil diese unverlangten Telefonanrufe und E-Mails regelmäßig den Betriebsablauf des Unternehmens beeinträchtigen. Die Entgegennahme der Anrufe, das Überprüfen entgangener Anrufe sowie das Sichten und Aussortieren unerbetener E-Mails stellt einen zusätzlichen Arbeits- und Zeitaufwand für die Klägerin dar, da Arbeitskraft hierdurch unternehmensfremd gebunden und Ressourcen eingebüßt werden. Zwar kann sich beispielsweise der Arbeitsaufwand für das Aussortieren einer E-Mail gering darstellen, wenn sich bereits aus dem Betreff der E-Mail entnehmen lässt, dass es sich um Werbung handelt. Aus dem jeweiligen Betreff der genannten E-Mails der Beklagten an die Klägerin „Aktuelle Zusammenarbeit – Anstehende Themen“ (vgl. Anlage OK 12) beziehungsweise „Projektplanung – Externe Spezialisten“ (vgl. Anlagen OK 7, OK 8, OK 9, OK 10, OK 11, OK 24) ergibt sich jedoch nicht ohne Weiteres, dass es sich hierbei um Werbung handelt. Überdies kann auch eine einmalig unverlangt zugesandte werbliche E-Mail bereits einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen.
55
(c) Der Ausschlusstatbestand des § 7 III UWG scheitert daran, dass die Voraussetzung des § 7 III Nr. 3 UWG nicht vorliegt.
56
Gem. § 7 III Nr. 3 UWG ist abweichend von § 7 II Nr. 2 UWG eine unzumutbare Belästigung bei einer Werbung unter Verwendung von elektronischer Post nicht anzunehmen, wenn der Kunde der Verwendung nicht widersprochen hat. Ein Widerspruch der Verwendung ist jedoch im genannten Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 07.06.2022 zu sehen.
57
Etwaige Kontaktaufnahmen seitens der Mitarbeiter der Klägerin zu Mitarbeitern der Beklagten stehen dem nicht entgegen, insbesondere sind diese nicht dazu geeignet, den im Rahmen des Schreibens der Klägerin vom 07.06.2022 geäußerten generell entgegenstehenden Willen der Klägerin aufzuheben.
58
cc) Der Eingriff in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb war rechtswidrig. Überdies treffen die Klägerin keine Duldungspflichten gem. § 1004 II BGB analog.
59
Bei dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt es sich um ein sogenanntes Rahmenrecht beziehungsweise um einen offenen Tatbestand im Rahmen des § 823 I BGB, sodass die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit in diesem Fall nicht indiziert. Vielmehr ist in einem solchen Fall für die Feststellung der Rechtswidrigkeit eine besondere Wertung im Sinne einer Güter- und Interessenabwägung erforderlich. Im Falle unerbetener Werbung mittels Telefonanruf oder E-Mail ist die Rechtswidrigkeit jedoch grundsätzlich zu bejahen. Auf eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen des Adressaten und des Werbenden kommt es daher, sofern keine besonderen Umstände des Einzelfalles vorliegen, nicht an. Aufgrund der Verwirklichung des Tatbestandes des § 7 I, II Nr. 1, Nr. 2 UWG und mangels Vorliegens besonderer Umstände im vorliegenden Fall, ist die Rechtswidrigkeit des Eingriffs zu bejahen.
60
Insbesondere ändern hieran gegebenenfalls auf Seite der Beklagten vorliegende Verständnisschwierigkeiten, welche sich aus der tatsächlich gelebten Geschäftsbeziehung ergeben haben, nichts, weil insbesondere der Inhalt des Schreibens der Klägerin vom 07.06.2022 eindeutig war und nicht davon ausgegangen werden konnte, dass etwaige Kontaktaufnahmen seitens der Mitarbeiter der Klägerin zu Mitarbeitern der Beklagten etwas am im Schreiben der Klägerin geäußerten Willen zu ändern vermögen.
61
dd) Auf Grund des Schreibens der Rechtsabteilung der Klägerin an die Beklagte vom 07.06.2022 ist der Unterlassungstenor, auch soweit er Telefonwerbung betrifft und dafür rein nach dem Gesetz gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alt. UWG an sich grundsätzlich auch die mutmaßliche Einwilligung zur Rechtfertigung ausreichen würde, entsprechend des Klageantrags 1a dergestalt auszusprechen, dass auch für Telefonwerbung der Beklagten bei Mitarbeitern der Klägerin nur die ausdrückliche Einwilligung zur Rechtfertigung ausreichend sein wird, da es der Klägerin unbenommen bleibt, auch schärfere Einwilligungserfordernisse insoweit speziell gegenüber der Beklagten aufzustellen, was sie in dem besagten Schreiben getan hat. Die Zulässigkeit einer solchen Verschärfung ergibt sich auch aus § 7 Abs. 1 S. 2 UWG.
62
4. Die Wiederholungsgefahr einer werblichen Kontaktaufnahme der Beklagten zur Klägerin ist zu bejahen, insbesondere hat die Beklagte keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben und die Beklagte ist nach wie vor rein faktisch dazu in der Lage, Mitarbeiter der Klägerin per Telefon oder E-Mail werblich zu kontaktieren.
63
5. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Handlungsstörerin, weil sie die Beeinträchtigung des Rechts der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch ihre werblichen Kontaktaufnahmen adäquat kausal verursacht hat.
64
II. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 831 I 1 BGB hinsichtlich des Schadens, der der Klägerin durch die werblichen Kontaktaufnahmen der Beklagten per Telefon und per E-Mail seit dem 16.06.2022 entstanden ist.
65
1. Bei der Mitarbeitern Frau V. F. der Beklagten handelt es sich um eine Verrichtungsgehilfin der Beklagten. Zu einer Verrichtung bestellt ist, wem eine Tätigkeit von einem anderen übertragen worden ist, unter dessen Einfluss er allgemein oder im konkreten Fall handelt und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht. Zwischen der Beklagten und der Mitarbeiterin Frau V. F. bestand im streitgegenständlichen Zeitraum ein Arbeitsverhältnis, sodass es sich bei dieser als Arbeitnehmerin um die Verrichtungsgehilfin der Beklagten handelte.
66
2. Die genannte Mitarbeiterin der Beklagten hat als Verrichtungsgehilfin dieser der Klägerin gem. § 823 I BGB einen widerrechtlichen Schaden zugefügt, indem sie die Klägerin trotz entgegenstehenden Willens dieser werblich kontaktiert hat, wodurch dieser ein zusätzlicher Arbeits- und Zeitaufwand entstanden ist und die Klägerin hierdurch Ressourcen für andere Zwecke einbüßte, welche beklagtenseits rechtswidrig gebunden wurden.
67
3. Die Verrichtungsgehilfin der Beklagten fügte der Klägerin den Schaden hierbei in Ausführung der Verrichtung zu, weil die werblichen Kontaktaufnahmen im Zusammenhang mit der Ausübung Tätigkeit aus dem Arbeitsverhältnis zwischen der Verrichtungsgehilfin und der Beklagten standen. 4. Die Beklagte hat als Geschäftsherrin keinen Entlastungsbeweis hinsichtlich der Pflichtverletzung gem. § 831 I 2 BGB angetreten, die Vermutung des § 831 I 2 BGB wurde nicht widerlegt.
68
5. Der Klägerin ist ein zusätzlicher Arbeits- und Zeitaufwand entstanden und die Klägerin büßte hierdurch Ressourcen ein, welche ansonsten anderweitig eingesetzt hätten werden können, sodass ihr, wie bereits gesagt, ein Schaden entstanden ist.
69
III. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB, weil die Auskunft zur Vorbereitung und Durchsetzung des Hauptanspruchs geeignet und erforderlich ist und der Beklagten zumutbar ist.
70
1. Nach Treu und Glauben besteht eine Auskunftspflicht der Beklagten, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Auskunftsberechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete sie unschwer, das bedeutet ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag.
71
2. Aufgrund der durch das Verhalten der Beklagten bestehenden Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Unterlassung sowie auf Schadensersatz ist das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien zu bejahen.
72
3. Die Auskunft ist zur Vorbereitung und Durchsetzung des Hauptanspruchs – demnach des Anspruchs auf Schadensersatz – geeignet und erforderlich, weil der Auskunftsanspruch es der Klägerin ermöglicht, die für eine Schadensschätzung erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen.
73
4. Eine Abwägung der Interessen der Klägerin und der Beklagten unter Berücksichtigung sowohl der Art als auch der Schwere der Verletzung ergibt, dass der Beklagten die Auskunft zumutbar ist.
74
a) Insbesondere handelt es sich andersrum bei der Klägerin um ein Unternehmen mit 66.000 Mitarbeitern, sodass es ihr nicht ohne erheblichen Aufwand möglich ist, sämtliche Mitarbeiter ausfindig zu machen, die von der Beklagten werblich kontaktiert wurden. Es handelt sich bei der Unwissenheit der Klägerin darüber, welche ihrer Mitarbeiter von der Beklagten werblich kontaktiert wurden, mithin um eine unverschuldete Ungewissheit, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass sie frühere Informationsmöglichkeiten nicht genutzt hat oder vorhanden gewesene Informationen nicht gesichert hat.
75
b) Bei der Verpflichtung zur Auskunft handelt es sich auch nicht um eine unbillige Belastung der auskunftsverpflichteten Beklagten, weil die Auskunft ihr unter Berücksichtigung der Schwere der durch sie erfolgten Rechtsverletzung zumutbar ist. Dies gilt umso mehr, als die werblichen Kontaktaufnahmen nur durch eine einzige Mitarbeiterin, Frau V. F. erfolgten, sodass es durch die Auskunft dieser ohne Weiteres möglich erscheint, nachzuverfolgen, welche Mitarbeiter der Klägerin von der Mitarbeiterin der Beklagten werblich kontaktiert wurden.
76
IV. Die Klägerin hat gegen die Beklagte schließlich einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Abmahnkosten gem. §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB zuzüglich Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2022, weil es sich bei dem Schreiben der Klägerin vom 11.10.2022 um eine berechtigte vorgerichtliche Abmahnung handelte.
77
1. Weil die im Rahmen der Abmahnung geltend gemachten Ansprüche vollumfänglich bestehen, war die vorgerichtliche Abmahnung berechtigt.
78
2. Bei der berechtigten Abmahnung handelte es sich um ein Geschäft, welches auch im Interesse des Beklagten stand, weil die Beklagte durch Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung eine drohende gerichtliche Auseinandersetzung kostengünstig hätte vermeiden können.
79
3. Auch der Gegenstandswert von 10.000 € für die Abmahnung, bestehend aus Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzverlagen, erscheint durchaus angemessen.
80
4. Der Zinsanspruch i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2022 ergibt sich aus §§ 288 I, 286 I, II Nr. 1 BGB. Die Klägerin hat der Beklagten im Rahmen ihres Abmahnungsschreibens vom 11.10.2022 eine Zahlungsfrist bis zum 25.10.2022 gesetzt, sodass die Beklagte sich seit dem 26.10.2022 im Verzug befindet.
D.
81
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Teilklagerücknahme hinsichtlich der Zinssatzhöhe von 9 auf 5 Prozentpunkte fällt dabei – da reine Nebenforderung, vgl. § 4 I, 2. Hs. UWG – mangels Gebührenstreitwertrelevanz nicht ins Gewicht.
82
E. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709, S. 1 und S. 2 ZPO.