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OLG München, Beschluss v. 16.08.2023 – 31 U 1786/23 e
Titel:

Dsgvo, Gebührenermäßigung, Anschlußberufung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Feststellungsantrag, Zu berücksichtigende Tatsachen, Rücknahme des Rechtsmittels, Gelegenheit zur Stellungnahme, Landgerichtliche Entscheidung, Landgerichte, Aussicht auf Erfolg, Klageerwiderung, Angefochtenes Urteil, Berufungsinstanz, Entscheidung des Berufungsgerichts, Streitwert, Rechtsfehler, DS-GVO, ursächlicher Zusammenhang, Kausalzusammenhang

Schlagworte:
Verstoß gegen Art. 34 DSGVO, Immaterieller Schaden, Feststellungsantrag, Identitätsdiebstahl, Kontrollverlust, Unbefugter Zugriff, Rücknahme des Rechtsmittels
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 23.03.2023 – 26 O 1859/22
Fundstellen:
GRUR-RS 2023, 35725
BeckRS 2023, 35725

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23.03.2023, Az. 26 O 1859/22, gemäß S 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf 5.100,00 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.
1
Das angefochtene Urteil des Landgerichts München I beruht weder auf einem Rechtsfehler (S. 546 ZPO) noch rechtfertigen nach S. 529 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung, S. 513 Abs. 1 ZPO. Das Landgericht hat die Beklagte mit einem ausführlichen und sorgfältig begründeten Urteil zu Recht nur auf den Feststellungsantrag hin verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
2
Die Berufung stützt sich auf zwei Punkte.
- das Landgericht habe verkannt, dass (auch) ein Verstoß gegen Art. 34 DSGVO vorliege, und zwar in zeitlicher, inhaltlicher und rechtlicher Hinsicht (BB 3 -19),
- das Landgericht habe zu Unrecht den Eintritt eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 DSGVO verneint (BB 20 – 43).
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Die Argumentation der Klagepartei vermag ihrer Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Dabei kann dahinstehen, ob neben dem vom Landgericht angenommenen Verstoß gegen Art. 32 Abs. 1 DSGVO auch ein Verstoß gegen Art. 34 DSGVO vorliegt, denn in jedem Fall liegen die Voraussetzungen des Art. 82 DSGVO nicht vor, da es am Nachweis des Eintritts eines immateriellen Schadens, der auf dem streitgegenständlichen Datenvorfall beruht, fehlt.
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Soweit der Berufungsführer auf die Entscheidung des EuGH vom 04.05.2023 verweist (EuGH -3. Kammer, Urteil vom 4.5.2023, Az. C-300/21 = NJW 2023, 1930, zitiert nach beck-online), ist zutreffend, dass das Gericht entschieden hat, dass Art. 82 Abs.l VO (EU) 2016/679 dahin auszulegen sei, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegenstehe, die den Ersatz eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat.
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Entscheidend ist allerdings, dass der EuGH richtigerweise zugleich klarstellt, es sei zwischen einem haftungsrelevanten Datenschutzverstoß einerseits und einem – materiellen oder immateriellen – Schaden andererseits zu differenzieren und dieses Ergebnis mit einer methodengerechten Auslegung des Art. 82 DS-GVO begründet, wobei vor allem das Gebot einer einheitlichen Auslegung der unionsrechtsautonomen Begriffe (wie insbesondere „materieller oder immaterieller Schaden“ und „Schadenersatz“) hervorgehoben wird (vgl. Paal / Aliprandi NJW 2023, 1914 Rn. 5, zitiert nach beck-online). Ein Schadensersatzanspruch setzt das Vorliegen eines „Schadens“ ebenso wie das Vorliegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO und eines Kausalzusammenhangs zwischen Verstoß und Schaden voraus, „wobei diese drei Voraussetzungen kumulativ sind“ (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 32). Das bedeutet, dass der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Verordnung nicht ausreicht, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 34).
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Diese Differenzierung liegt auch der angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung zugrunde. Das Landgericht hat den Anspruch nicht etwa daran scheitern lassen, dass zwar ein Schaden eingetreten sei, dieser aber eine gewisse Erheblichkeitsschwelfe nicht überschritten habe, sondern hat die Überzeugung gewonnen, dass überhaupt kein Schaden eingetreten ist. Diese Auffassung teilt auch der Senat.
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Weder ist es zu einem Identitätsdiebstahl gekommen noch kam es zu einem sonstigen konkreten Missbrauch der Daten des Klägers. Das – als solches grundsätzlich nachvollziehbare – diffuse Gefühl des Kontrollverlustes stellt aber keinen (immateriellen) Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO dar.
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Letztlich kann dies dahinstehen, denn ein Weiteres kommt hinzu: Soweit der Kläger vortrug, er habe nach dem Datenvorfall eine große Zahl von E-Mails, Nachrichten und auch Anrufe erhalten, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit sagen, ob dies in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Datenvorfall steht. Es ist nämlich unstreitig geblieben, dass der Kläger bei mindestens drei weiteren (früheren) Gelegenheiten Opfer eines „Datenvorfalls“ wurde, bei dem sein Vor- und Nachname, die E-Mail-Adresse sowie die Telefonnummer abgegriffen wurden (Vgl. LGU 11; Klageerwiderung 20, 4; Anlage B8).
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Dem Umstand, dass der Kläger befürchtet, er könne in der Zukunft Opfer eines konkreten Missbrauchs seiner Daten werden (vgl. zuletzt BB 29), trägt das angefochtene Urteil insoweit Rechnung, als es die Verpflichtung der Beklagten feststellt, dem Kläger etwaige künftige materielle Schäden zu ersetzen, die ihm durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten entstanden sind.
II.
10
Ausführungen zur Anschlussberufung der Beklagten sind im Hinblick auf die Regelung des S. 524 Abs. 4 ZPO derzeit nicht veranlasst.
III.
11
Da die Berufung des Klägers nach Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg hat, wird anheimgestellt, aus Kostengründen eine Rücknahme des Rechtsmittels zu erwägen. Auf die Gebührenermäßigung im Falle der Rücknahme (Nr. 1220, 1222 KV-GKG) wird hingewiesen.