Titel:
Keine Vollziehung einer einstweiligen Verfügung durch Zustellung an die Partei trotz Rechtsanwaltsbestellung
Normenkette:
ZPO § 927 Abs. 1, § 929 Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Erfolgt eine Zustellung zur Vollziehung einer einstweiligen Verfügung an die Partei selbst, obwohl sich für diese ein Rechtsanwalt ordnungsgemäß bestellt hat, ist die Zustellung unwirksam. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zustellung, Parteizustellung, Prozessbevollmächtigter, Unwirksamkeit der Zustellung, Verfügungsanspruch, Aufhebung der einstweiligen Verfügung, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 24.10.2023 – 3 U 965/23
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 30160
Tenor
1. Der Beschluss vom 18.01.2023 wird aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 17.01.2023 wird zurückgewiesen.
2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger kann die Vollstreckung der Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Verfügungskläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Die Parteien streiten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Werbeanrufen.
2
Der Verfügungskläger ist selbstständiger Versicherungsmakler mit einer entsprechenden Gewerbezulassung. Die Verfügungsbeklagte beschäftigt sich ebenfalls gewerblich mit der Vermittlung von Versicherungen. Zu dem für die Verfügungsbeklagte tätigen Mitarbeitern gehört Frau N… Seit dem Jahr 2022 gehört zu den vom Verfügungskläger betreuten Kunden Frau S…, die in der Vergangenheit im geschäftlichen Kontakt zur Verfügungsbeklagten stand. Sie hatte über einen Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten namens N… im Jahr 2021 eine private Riesterrente bei der V… Versicherung abgeschlossen. Im Oktober 2022 stellte S… die Riesterrente auf Anraten des Verfügungsklägers beitragsfrei.
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Mit E-Mail vom 18.10.2022 (Anlage ASt 6) widerrief Frau Bi… gegenüber der Verfügungsbeklagten eine etwaig von ihr erteilte Einwilligung zur Kontaktaufnahme. Den Eingang dieses Schreibens bestätigte die Verfügungsbeklagte am selben Tag per E-Mail (Anlage ASt 7). Die Mitarbeiterin bei der Verfügungsbeklagten Frau … rief Anfang November 2022 bei Frau S… an und wollte wegen des Themas der Beitragsfreistellung der Riesterrente einen Termin vereinbaren.
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Am 08.12.2022 erfolgte ein weiterers Telefonat zwischen Frau … und Frau ….
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Aufgrund dieses Sachverhaltes mahnte der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte mit Anwaltsschreiben vom 05.01.2023 (vgl. Anlage ASt 10) ab und forderte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.
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Der Verfügungsbeklagte ließ diese Ansprüche mit einem anwaltlichen Schreiben vom 09.01.2023 (Anlage ASt 11) zurückweisen.
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Der Verfügungskläger ist der Auffassung, dass ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG bestehe. Da Frau B… keine Einwilligung zur Kontaktaufnahme gegeben habe, seien die Telefonanrufe der Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten unlauter gem. § 7 UWG und begründeten eine entsprechende Wiederholungsgefahr, da gerade keine Unterlassungserklärung abgegeben worden sei.
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Mit Schriftsatz vom 17.01.2023 beantragte der Verfügungskläger beim Landgericht Regensburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung von derartigen Werbetelefonanrufen. Mit Beschluss vom 18.01.2023 hat das Gericht, diesem Antrag folgend, folgende einstweilige Verfügung erlassen (vgl. Bl. 11 ff. d.A.)
„Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann – wegen jeder Zuwiderhandlung
im geschäftlichen Verkehr Verbraucher ohne deren vorheriges Einverständnis zu Werbezwecken anzurufen oder anrufen zu lassen – wenn dies geschieht, wie im November 2022 und am 08. Dezember 2022 mit den Telefonanrufen bei Frau S….“
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Der Verfügungsbeklagten wurden auch die Kosten des Verfahrens auferlegt.
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Mit Schriftsatz vom 03.03.2023 hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch gegen diesen Beschluss erhoben und begründet.
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Im Wesentlichen begründet die Verfügungsbeklagte den Widerspruch damit, dass der Beschluss aufzuheben sei, weil er nicht innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen worden sei. Die Zustellung der einstweiligen Verfügung an die Verfügungsbeklagte sei unwirksam, da sich bereits vorgerichtlich in dem vom Verfügungskläger selbst vorgelegten Schreiben – siehe Anlage ASt 11 – der jetzige Verfügungsbeklagtenvertreter als bevollmächtigt angezeigt habe und auch seine Zustellungsbevollmächtigung aus diesem Schreiben eindeutig hervorgehe. Die Zustellung habe daher an ihn erfolgen müssen und nicht an die Verfügungsbeklagte selbst. Außerdem hält die Verfügungsbeklagte den Verfügungsanspruch nicht für hinreichend glaubhaft gemacht, da durch eidesstattliche Versicherung von Frau N… belegt sei, dass Frau B… den Anruf Anfang Novemeber 2022 nicht zurückgewiesen habe, sondern vereinbart habe, dass Frau N… sie zum Zwecke der Vereinbarung eines möglichen Besprechungstermines an einem nachfolgenden Tage kontaktieren solle, was dann am 08.12.2022 aufgrund dieser Vereinbarung mit Frau B… auch geschehen sei. Daher mangele es bereits an einem Verfügungsanspruch.
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Der Verfügungskläger beantragt:
die einstweilige Verfügung vom 18.01.2023 unter Zurückweisung des Widerspruchs aufrechtzuerhalten.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt:
die einstweilige Verfügung vom 18.10.2023 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, den Beschluss vom 18.01.2023 und auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 17.03.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten hin ist die einstweilige Verfügung aufzuheben und der Antrag zurückzuweisen, da der Verfügungsbeschluss vom 18.01.2023 nicht innerhalb der Vollziehungsfrist ordnungsgemäß zugestellt wurde, die Vollziehung des Beschlusses daher nach § 929 Abs. 2 S. 1 ZPO unstatthaft ist und dies wiederum gem. § 927 Abs. 1 ZPO einen veränderten Umstand darstellt, der die Aufhebung des Verfügungsbeschlusses zur Folge hat.
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Vollzogen wird eine Unterlassungsverfügung durch Zustellung des Verfügungsbeschlusses im Wege der Parteizustellung (vgl. Zöller, Kommentar zur ZPO, 34. Auflage, § 929 Rn 18 mit weiteren Nachweisen).
17
Dabei hat in einem anhängigen Verfahren die Zustellung an den für den ersten Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO. Bei Verstoß gegen § 172 ZPO, insbesondere bei Zustellung an die Partei selbst, ist die Zustellung unwirksam (vgl. Zöller, Kommentar zur ZPO, § 172 Rn 20 mit Rechtsprechungsnachweisen).
18
So liegt es im vorliegenden Fall.
19
Der Verfügungskläger hat im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens selber die Anlage ASt 11 vorgelegt. Dies ist ein anwaltliches Schreiben des Rechtsanwalts H… vom 09.01.2023, in der dieser wortwörtlich mitteilte: „In vorbezeichneter Angelegenheit zeigen wir an, dass wir die … anwaltlich vertreten.“ Am Ende des Schreibens heißt es wörtlich: „Im Übrigen sind wir zustellungsbevollmächtigt.“ Dieses Schreiben genügt als Bestellung eines Prozessbevollmächtigten, da dieses Schreiben in einer Weise geschieht, dass die vertretene Partei oder ihr Vertreter im Falle einer Parteizustellung dem Gegner Kenntnis von dem Vertretungsverhältnis gibt. Zweifel, dass Rechtsanwalt H… hier auch für die gerichtliche Geltendmachung im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens beauftragt und zustellungsbevollmächtigt sein sollte, ergibt sich aufgrund der uneingeschränkten Formulierung nicht.
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Auf die Frage, ob ein Verfügungsanspruch besteht oder nicht, kommt es daher nicht an.
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Ebenso wenig ist erheblich, ob tatsächlich auch dem Verfügungskläger bzw. dessen anwaltlichem Vertreter, Rechtsanwalt …; durch vorangegangene Verfahren ohnehin bekannt gewesen sein muss, dass Rechtsanwalt H… als anwaltlicher Vertreter und Zustellungsbevollmächtigter der Verfügungsbeklagten auftritt. Denn die Formulierung in dem Schreiben vom 09.01.2023 (Anlage ASt 11) sind derart eindeutig, dass hier zur Überzeugung des Gerichts eine Zustellung an den Prozessbevollmächtigten hätte erfolgen müssen.
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Damit war der Verfügungsbeschluss aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 6 ZPO.