Titel:
Unbegründeter Unterlassungsanspruch wegen des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004
KSG § 2 Nr. 1
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20a, Art. 100 Abs. 1
EMRK Art. 8 Nr. 1
AEUV Art. 267 Abs. 2
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Es ist nicht nur nach vollendeter Verletzung durch Schadensersatzansprüche geschützt, sondern durch einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 BGB analog bereits präventiv gegen eine drohende Verletzung. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der intertemporalen Schutzdimension der Grundrechte steht einem Grundrechtseingriff nicht entgegen, dass dieser erst infolge zukünftiger Regelung droht. Wenn diese im jetzigen Recht bereits unumkehrbar angelegt sind, ist von einer gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit auszugehen. Letztlich muss sich eine die Beeinträchtigung ermöglichende konkrete Gefahrenquelle gebildet haben, auf Grund derer ein Einschreiten geboten ist. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein möglicher Eingriff in den Schutzbereich indiziert wegen des Charakters des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts als „Rahmenrecht“ nicht zugleich die Rechtswidrigkeit des Eingriffs. Erforderlich ist vielmehr, dass eine positive Feststellung der Rechtswidrigkeit durch eine umfassende Abwägung der im konkreten Einzelfall betroffenen Güter und Interessen getroffen wird. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Umstellung von Wirtschaft und Gesellschaft auf Klimaneutralität ist eine hoch komplexe Aufgabe, die unterschiedliche Strategien zulässt und die überdies nach Umfang und Zeit ständiger Abwägung mit konfligierenden politischen Zielen bedarf. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist der Legislative und der Exekutive, also dem politischen Prozess anvertraut. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch, Schadensersatzansprüche, allgemeines Persönlichkeitsrecht, intertemporale Schutzdimension, Klimawandel, Klimaschutz, Verkehrssicherungspflicht, klimaneutrale Technik, COBudget, EU-Pkw-Emissionsverordnung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 12.10.2023 – 32 U 936/23
BGH Karlsruhe vom -- – VI ZR 334/23
Fundstellen:
ESG 2023, 117
BeckRS 2023, 2861
LSK 2023, 2861
ZUR 2023, 430
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreites haben die Klägerin und die Kläger jeweils 1/3 zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klageparteien machen gegen die Beklagte, einen Automobilhersteller, Unterlassungsansprüche wegen des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, welche keine Klimaneutralität aufweisen, unter Berufung auf ihr – intertemporales – Allgemeines Persönlichkeitsrecht geltend.
2
Die Klägerin zu 1) ist stellvertretende Bundesgeschäftsführerin des …, also eines Umwelt- und Verbraucherschutzverbandes. Die Kläger zu 2) und 3) sind dessen Bundesgeschäftsführer. Die Beklagte ist ein weltweit tätiges Automobilunternehmen.
3
Im Übereinkommen von Paris vom 12.12.2015 (im Folgenden: Pariser Übereinkommen) verpflichteten sich die Vertragsparteien, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius, möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Sowohl Deutschland als auch die Europäische Union sind dem Pariser Übereinkommen beigetreten.
4
Die EU-Kraftfahrzeug-Genehmigungs-Verordnung vom 30.5.2018 (Verordnung (EU) 2018/858) regelt umfassende Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Fahrzeugen. In Art. 6 Abs. 5 dieser Verordnung ist festgelegt, dass die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen, die Zulassung oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen (…), die dieser Verordnung entsprechen, nur in den in Kapitel XI genannten Fällen beschränken oder behindern dürfen.
5
In der EU-Pkw-Emissionsverordnung vom 17.4.2019 (Verordnung zur Festsetzung von CO2Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge; Verordnung (EU) 2019/631) wurden Anforderungen an die CO₂-Emissionsleistung neuer Personenkraftwagen und neuer leichter Nutzfahrzeuge aufgestellt, um dazu beizutragen, dass die von der Union angestrebte Verringerung der Treibhausgasemissionen, wie sie in der Verordnung (EU) 2018/842 festgelegt ist, erreicht wird und die im Übereinkommen von Paris verankerten Zielsetzungen verwirklicht werden, und um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen.
6
Durch das Bundesklimaschutzgesetz vom 12.12.2019 (im Folgenden: KSG) legte der deutsche Gesetzgeber zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels auf der Grundlage des Übereinkommens von Paris in § 3 nationale Klimaschutzziele fest.
7
Dieses sah in § 3 KSG in der damaligen Fassung folgende Regelung vor:
§ 3 Nationale Klimaschutzziele
(1) Die Treibhausgasemissionen werden im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise gemindert. Bis zum Zieljahr 2030 gilt eine Minderungsquote von mindestens 55 Prozent.
8
In § 4 KSG legte der Gesetzgeber die zulässigen Jahresemissionsmengen wie folgt fest:
§ 4 Zulässige Jahresemissionsmengen, Verordnungsermächtigung
(1) Zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele nach § 3 Absatz 1 werden jährliche Minderungsziele durch die Vorgabe von Jahresemissionsmengen für die folgenden Sektoren festgelegt: 1. Energiewirtschaft,
(6) Abfallwirtschaft und Sonstiges.
Die Emissionsquellen der einzelnen Sektoren und deren Abgrenzung ergeben sich aus Anlage 1. Die Jahresemissionsmengen für den Zeitraum bis zum Jahr 2030 richten sich nach Anlage 2. Im Sektor Energiewirtschaft sinken die Treibhausgasemissionen zwischen den angegebenen Jahresemissionsmengen möglichst stetig. Für Zeiträume ab dem Jahr 2031 werden die jährlichen Minderungsziele durch Rechtsverordnung gemäß Absatz 6 fortgeschrieben. Die Jahresemissionsmengen sind verbindlich, soweit dieses Gesetz auf sie Bezug nimmt. Subjektive Rechte und klagbare Rechtspositionen werden durch oder auf Grund dieses Gesetzes nicht begründet. (…)“
9
Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit Beschluss vom 24.3.2021 die Regelungen in § 3 Abs. 1 S. 2 und § 4 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Anlage 2 KSG für mit dem Grundgesetz unvereinbar und gab dem Gesetzgeber auf, die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume nach 2030 bis zum 31.12.2022 unter Beachtung der Maßgaben dieses Beschlusses näher zu regeln (vgl. hierzu Beschluss vom 24.3.2021, Az. 1 BvR 2656/18, Rz 182 ff). Das Bundesverfassungsgericht führte insoweit unter anderem Folgendes aus (Rz 122, 183, 192, 197 und 198):
„Jeder konkrete Verbrauch verbleibender CO₂-Mengen verringert das Restbudget und die Möglichkeiten weiteren CO₂-relevanten Freiheitsgebrauchs und verkürzt zugleich die Zeit für die Initiierung und Realisierung soziotechnischer Transformation.“ (Rz 122)
„Als intertemporale Freiheitssicherung schützen die Grundrechte die Bf. hier vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft.“ (Rz 183)
„Die Grundrechte verpflichten den Gesetzgeber, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich gebotenen notwendigen Reduktionen von CO₂-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend so zu gestalten, dass die damit verbundenen Freiheitseinbußen trotz steigender Klimaschutzanforderungen weiterhin zumutbar ausfallen und die Reduktionslasten über die Zeit und zwischen den Generationen nicht einseitig zulasten der Zukunft verteilt wird.“ (Az 192)
„…Art. 20a GG ist eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die besonders betroffenen künftigen Generationen binden soll.“ (Rz 197)
„Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz.“ (Rz 198)
10
Im Übrigen stellte das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der aus den Grundrechten folgenden Schutzpflichten nicht fest. Insbesondere führte es in Rz 165 des Beschlusses vom 24.3.2021 Folgendes aus:
„Wenn Regierung und Gesetzgeber danach davon ausgehen, dass bei einer Begrenzung des Anstiegs der Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C (§ 1 Satz 3 KSG) die Folgen des Klimawandels in Deutschland durch Anpassungsmaßnahmen so weit gelindert werden könnten, dass das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotene Schutzniveau gewahrt wird, überschreiten sie jedenfalls gegenwärtig nicht ihren durch die grundrechtliche Schutzpflicht belassenen Entscheidungsspielraum.“
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.3.2021 Bezug genommen.
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Auf europäischer Ebene wurde durch das Europäische Klimagesetz vom 21.4.2021 (in Kraft getreten am 29.7.2021) ein Rahmen für die unumkehrbare, schrittweise Senkung der anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen geregelt. Ziel des Gesetzes ist es unter anderem, dass die unionsweiten im Unionsrecht geregelten Treibhausgasemissionen und deren Abbau in der Union bis spätestens 2050 ausgeglichen sind.
13
Durch Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des KSG vom 18.8.2021 setzte der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. In der geänderten Fassung vom 18.8.2021 sieht das KSG nunmehr folgende Regelung vor:
„(1) Die Treibhausemissionen werden im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise wie folgt gemindert:
1. bis zum Jahr 2030 um mindestens 65%,
2. bis zum Jahr 2040 um mindestens 88%.
(2) Bis zum Jahr 2045 werden die Treibhausgasemissionen so weit gemindert, dass NettoTreibhausgasneutralität erreicht wird. Nach dem Jahr 2050 sollen negative Treibhausemissionen erreicht werden.“
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Mit Beschluss vom 18.1.2022 (Az. 1 BvR 1565/21) stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass eine den Ländern jeweils vorgegebene landesspezifische Gesamtreduktionsmaßgabe, die ein CO₂-Restbudget wenigstens grob erkennen ließe, derzeit weder dem Grundgesetz noch dem einfachen Bundesrecht zu entnehmen sei.
15
Der Europäische Rat legte im Juni 2022 im Rahmen des Fit für 55 – Pakets seine Verhandlungspositionen vor. Gegenstand ist unter anderem eine Änderung der EU-PkwEmissionsverordnung (EU) 2019/631 durch eine Verschärfung der CO₂-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge im Einklang mit den ehrgeizigeren Klimazielen der Union. Insoweit kam der Rat überein, die Ziele für die Verringerung der CO₂-Emissionen bei neuen Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen bis 2030 auf 55% für Pkw und auf 50% für leichte Nutzfahrzeuge anzuheben. Zudem will der Europäische Rat für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge für 2035 eine Verringerung der CO2Emissionen um 100% einführen.
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Die Kläger tragen vor:
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Ihnen stünde jeweils der in den Hauptanträgen, jedenfalls aber der in den Hilfsanträgen geltend gemachte sog. quasinegatorische Unterlassungsanspruch gemäß §§ 1004 Abs. 1 analog, 823 Abs. 1 BGB zu. Infolge der Geschäftstätigkeit der Beklagten, der hiermit verbundenen Aufzehrung erheblicher Teile des CO₂-Budgets, der hierdurch verursachten Beschränkung politischer Handlungsspielräume und der späteren Notwendigkeit zur Ergreifung radikaler Maßnahmen zur CO₂-Reduktion würden rechtswidrige Eingriffe in ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht drohen. Ihnen stünde gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch dahingehend zu, dass die Beklagte es zu unterlassen habe, nach dem 31.10.2030 Pkw mit Verbrennungsmotor in den Verkehr zu bringen, sofern nicht sichergestellt sei, dass es durch deren Produktion und Nutzung nicht zu einem Anstieg der im Klageantrag genannten Treibhausgase in der Atmosphäre komme. Jedes von der Beklagten nach diesem Datum in den Verkehr gebrachte Fahrzeug mit Verbrennungsmotor verhindere im Hinblick auf die Nutzungsdauer der Fahrzeuge eine rechtzeitige Klimaneutralität. Mit jedem von der Beklagten nach dem Jahr 2030 verkauften Pkw mit Verbrennungsmotor steige die Notwendigkeit, drastischere Klimaschutzmaßnahmen zu erlassen, um die durch das weitere Inverkehrbringen von Pkw mit Verbrennungsmotoren ausgelösten Emissionen in der Zeit bis zum Jahr 2045 zu kompensieren.
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Darüber hinaus stehe ihnen für den Zeitraum bis zum 31.10.2030 ein Anspruch gegen die Beklagte dahingehend zu, dass es die Beklagte zu unterlassen habe, bis zu diesem Datum Verbrennungsmotoren zu vertreiben, die bei ihrer Nutzung in der Summe mehr als 604 Mio. Tonnen CO₂ emittieren. Das verbleibende CO₂-Budget der Beklagten errechne sich wie folgt: Bezogen auf den Anteil des Pkw-Verkehrs von 7,42% an den globalen Emissionen könne der Pkw-Sektor ab dem 1.1.2022 nur noch 37.916 Gt CO₂ vom globalen CO₂-Budget aufzehren. Entsprechend dem Marktanteil der Beklagten von 2,88% würden auf die Beklagte höchstens noch 1.092 Mio. t CO₂ des globalen CO₂-Budgets entfallen. Von diesem Budget seien diejenigen Emissionen in Abzug zu bringen, die durch die von der Beklagten bereits in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge während der durchschnittlichen Nutzungszeit noch entstehen werden. Diese seien mit 488 Mio. t CO₂ zu beziffern. Damit verbleibe ab 1.1.2022 für die Beklagte ein Budget von 604 Mio. t CO₂. Bezüglich der detaillierten Beschreibung des Rechnungsweges der Kläger wird auf die Anlage K4 (eingereicht zur Replik vom 12.7.2022) Bezug genommen.
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Die Klage sei zulässig. Die Anträge seien jedenfalls nach der in der Replik vorgenommenen Konkretisierung hinreichend bestimmt. Die Kläger seien prozessführungsbefugt, da sie eigene Rechte in eigenem Namen geltend machen würden. Auch Personen, die beruflich leitende Positionen in einem Umweltverband innehaben, seien befugt, die Verletzung individueller Rechte zu rügen. Es liege auch keine unzulässige Popularklage vor, wenn die Kläger sich wie hier gegen eine rechtswidrige Beeinträchtigung ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wenden. Daran ändere auch nichts, dass eine Vielzahl weiterer Personen in gleicher Weise prozessführungsbefugt sei. Auch ein Rechtsschutzbedürfnis sei im Hinblick darauf gegeben, dass die beanstandeten Handlungen der Beklagten fortbestehen würden und die Beklagte keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben habe.
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Es drohe ein Eingriff in ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht, nicht nur in ihre allgemeine Handlungsfreiheit: Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht habe die Aufrechterhaltung der Grundbedingungen sozialer Beziehungen zwischen dem Grundrechtsträger und seiner Umwelt zum Ziel. Es solle die Grundbedingungen dafür absichern, dass die einzelne Person ihre Individualität selbstbestimmt entwickeln und wahren kann. Die Aufrechterhaltung und Sicherung der Grundbedingungen für soziale Beziehungen würden notwendig elementare materielle Handlungsmöglichkeiten einschließen, wie die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation, die Möglichkeit, über Zeitung, Fernsehen, Radio und Internet, an Informationen zu gelangen und die Möglichkeit, mithilfe von Verkehrsmitteln Familie und Freunde zu besuchen und von ihnen besucht zu werden. Die genannten Möglichkeiten würden derart stark beschnitten, dass zwischenmenschliche Kommunikation oder Begegnungen unzumutbar erschwert oder unmöglich würden.
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Der Umstand, dass sie heute nicht im Detail jedwede Beschränkung konkreter Freiheitsrechte darlegen könnten, stehe dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch ebenso wenig entgegen, wie es dem Bundesverfassungsgericht ein Argument war, die gegenwärtige Betroffenheit der Beschwerdeführer zu verneinen. Auch unter dem aktuellen KSG bestehe die Gefahr von drastischen Einschränkungen. Denn auch nach der teilweisen Verringerung der Emissionsmengen gegenüber dem KSG a.F. würden erhebliche Teile des verbleibenden Budgets bereits bis 2030 aufgezehrt. Zukünftige Freiheitseinbußen seien bereits jetzt sicher prognostizierbar.
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Die drohenden Eingriffe in ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht seien rechtswidrig. Die erforderliche Abwägung zwischen ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Berufsausübungsfreiheit der Beklagten gemäß Art. 12 Abs. 1 GG in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes falle zu ihren Gunsten aus. Es sei insbesondere auch zu berücksichtigten, dass die Beklagte ein Interesse daran habe, nicht plötzlich von heute auf morgen den Vertrieb von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor einstellen zu müssen, ohne sich ausreichend auf die Herstellung von Pkw mit alternativen Antrieben einstellen zu können. Das geforderte Unterlassen erreiche nicht die Eingriffsintensität einer Berufswahlregelung, da es der Beklagten weiterhin möglich sei, ihre geschäftliche Tätigkeit in wirtschaftlich rentabler Weise fortzuführen. Die Eigentumsfreiheit der Beklagten sei nicht betroffen, da diese ihre Produktionsstätten weiter nutzen könne. Die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens stelle einen überragenden Gemeinwohlbelang dar. Der in einer antragsgemäßen Verurteilung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit der Beklagten sei daher schon aus vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Bei den klägerischen Anträgen handele es sich um das absolute Mindestmaß dessen, was unter großzügigster Betrachtung noch als Pariskonforme Unternehmensausrichtung aufgefasst werden könne.
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Der Beklagten seien die Beeinträchtigungen als mittelbare Handlungsstörerin zuzurechnen. Auch wenn ein großer Anteil der CO₂-Emissionen erst durch die Nutzung der von der Beklagten entwickelten, produzierten und vertriebenen Produkte verursacht werde, trage die Beklagte ursächlich zu den Freiheitsbeschränkungen der Kläger bei.
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Das Inverkehrbringen von Pkw mit Verbrennungsmotor trage auch adäquat kausal dazu bei, dass die Kläger aus heutiger Sicht unzumutbare Beeinträchtigungen hinnehmen müssten. Der Beklagten, welche die kommerziellen Vorteile aus dem Verkauf ziehe, seien insbesondere auch die Emissionen in der Nutzungsphase zurechenbar. Auch sei die adäquate Kausalität nicht dadurch ausgeschlossen, dass bezüglich derselben CO₂-Emission überlagernde Verantwortlichkeiten verschiedener Akteure bestünden. Die Beklagte schaffe mit dem Inverkehrbringen der Pkw mit Verbrennungsmotor eine Gefahrenquelle, zu deren Sicherung sie verpflichtet sei. Die privatrechtliche Verkehrssicherungspflicht sei eine vom öffentlichen Recht unabhängige Pflicht. Insbesondere werde ihr Inhalt nicht abschließend durch die Vorgaben der Pkw-Emissions-Verordnung bestimmt. Diese bezwecke nicht den Ausschluss zivilrechtlicher Verantwortung multinationaler Unternehmen für ihr klimaschädliches Verhalten. Auch habe die Pkw-Emissions-Verordnung namentlich nicht den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin und der Kläger in der spezifischen Gefährdungslage, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimabeschluss beschreibe, zum Gegenstand und könne daher allenfalls als Mindeststandard dienen.
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Die Kläger seien auch nicht verpflichtet, die rechtswidrigen Eingriffe der Beklagten in ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht zu dulden. Die Beklagte werde ihrer Verkehrssicherungspflicht nur gerecht, wenn sie das Inverkehrbringen von Pkw mit Verbrennungsmotoren nur noch insoweit und solange weiterverfolge, als die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht gefährdet werde. Die Regelung des § 906 BGB sei auf den streitgegenständlichen Anspruch nicht anwendbar, da es nicht um „Immissionen“, d.h. um schädliche Einwirkungen durch konkrete CO₂-Emissionen ginge. Wenn die Kläger, wie hier, geltend machen würden, dass die der Beklagten zurechenbaren Emissionen zu einem schnelleren Verbrauch des global und national verbleibenden CO₂-Budgets beitragen und dadurch die Gefahr künftiger aus heutiger Sicht unzumutbarer Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erhöhen würden, habe dies mit der von § 906 Abs. 1 S. 1 BGB erfassten konkreten Einwirkung von bestimmten Gasen eines bestimmten Emittenten auf ein Grundstück nichts gemein.
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Die Kläger regen an, hinsichtlich der Vereinbarkeit der EU-Pkw-Emissionsverordnung vom 17.4.2019 (Verordnung (EU) 2019/631) mit den Grundrechten der Grundrechte-Charta der Europäischen Union eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Sie schlagen zudem als weitere Vorlagefragen an den EUGH vor, ob es mit dem Recht der Europäischen Union, insbesondere der Grundrechtscharta der Europäischen Union vereinbar sei, dass Unternehmen wie die Beklagte des Ausgangsrechtsstreites sowohl nach dem Jahr 2045 als auch nach dem Jahr 2050 Produkte in den Markt bringen, die bei ihrer Nutzung weiterhin Treibhausgase ausstoßen und ob ein entsprechender Unterlassungsanspruch der Kläger zivilrechtlich nach Unionsrecht geboten sei. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Anregungen, insbesondere der konkret vorgeschlagenen Vorlagefragen, wird auf Klage vom 20.9.2021 (dort Seite 73 f.) und die Replik vom 12.7.2022 (dort Seite 42 f.) Bezug genommen.
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Darüber hinaus regen die Kläger die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Wege der konkreten Normenkontrolle an.
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Die Kläger beantragten zunächst:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an den jeweils verantwortlichen Vorstandsmitgliedern der Beklagten, zu unterlassen,
- 1.
-
nach dem 31. Oktober 2030 Personenkraftwagen mit einem Verbrennungsmotor erstmalig in den Markt zu bringen, sofern die Beklagte für die Nutzung der nach dem 31. Oktober 2030 in Verkehr gebrachten Pkw keine Treibhausgasneutralität nachweisen kann, und
- 2.
-
zwischen dem 1. Januar 2022 und dem 31. Oktober 2030 Personenkraftwagen mit einem Verbrennungsmotor erstmals in den Markt zu bringen, die durch ihre reale Nutzung (unter Zugrundelegung einer Laufleistung von durchschnittlich 200.000 km) in der Summe global mehr als 604 Millionen Tonnen CO₂ emittieren, sofern die Beklagte für die diese Summe überschreitenden CO₂-Emissionen keine Treibhausgasneutralität nachweisen kann,
hilfsweise zu 1) und 2) zu unterlassen, nach dem 31. Oktober 2030 in Deutschland Personenkraftwagen mit einem Verbrennungsmotor erstmalig in den Markt zu bringen, sofern die Beklagte für die Nutzung der nach dem 31. Oktober 2030 in Verkehr gebrachten Pkw keine Treibhausgasneutralität nachweisen kann.
29
Mit Schriftsatz vom 12.7.2022 konkretisierten die Kläger ihre in der Klage vom 20.9.2021 gestellten Anträge.
30
Die Kläger beantragten zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an den jeweils verantwortlichen Vorstandsmitgliedern der Beklagten, zu unterlassen,
1. nach dem 31. Oktober 2030 neue Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor zu vertreiben, sofern diese bei ihrer Nutzung die Treibhausgase CO₂, CH4, N2O, SF6,
NF3, HFKW oder PFKW emittieren, es sei denn, die Beklagte stellt sicher, dass sie ausschließlich mit Kraftstoffen betrieben werden, durch deren Produktion oder Nutzung es zu keinem Anstieg der vorstehend genannten Treibhausgase in der Atmosphäre kommt, und
2. zwischen dem 1. Januar 2022 und dem 31. Oktober 2030 neue Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor zu vertreiben, die bei ihrer Nutzung in der Summe mehr als 604 Millionen Tonnen CO₂ emittieren (Berechnung nach dem Prüfzyklus „Worldwide Harmonised Light Vehicle Test Procedure“ und einer Laufleistung von jeweils 200.000 km), es sei denn, die Beklagte stellt sicher, dass sie ausschließlich mit Kraftstoffen betrieben werden, durch deren Produktion oder Nutzung es zu keinem Anstieg der vorstehend genannten Treibhausgase in der Atmosphäre kommt,
hilfsweise zu 1) und 2), zu unterlassen, nach dem 31. Oktober 2030 in Deutschland neue Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor zu vertreiben, sofern diese bei ihrer Nutzung die Treibhausgase CO₂, CH4, N2O, SF6, NF3, HFKW oder PFKW emittieren, es sei denn, die Beklagte stellt sicher, dass sie ausschließlich mit Kraftstoffen betrieben werden, durch deren Produktion oder Nutzung es zu keinem Anstieg der vorstehend genannten Treibhausgase in der Atmosphäre kommt.
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Die Beklagte beantragt
32
Die Beklagte trägt vor:
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Die Klage sei bereits unzulässig. Die klägerischen Anträge seien auch nach den in der Replik vorgenommenen Konkretisierungen nicht hinreichend bestimmt. Es drohe eine unzulässige Verlagerung von Tatsachenfeststellungen in das Vollstreckungsverfahren. Insbesondere sei die Verweisung in den Anträgen auf HFKW (teilfluorierte Kohlenwasserstoffe) und PFKW (perfluorierte Kohlenwasserstoffe) nicht hinreichend bestimmt, da es sich hierbei nicht um einzelne festgelegte Treibhausgase handele. Die Unbestimmtheit lasse sich auch nicht dadurch heilen, dass man unterstellt, die Kläger wollten auf die Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 2 KSG abstellen und die dort in Bezug genommenen Europäische GovernanceVerordnung. Es handele sich hierbei nicht um eine abschließende statische Aufzählung. Auch seien die Anträge im Hinblick auf die dort vorgesehene Ausnahme nicht hinreichend bestimmt, da sie auf die Produktion und Nutzung von Kraftstoffen abziele und somit auf Vorgänge, die außerhalb der Machtsphäre der Beklagten liegen würden. Im Übrigen sei es objektiv unmöglich, die Konzentration jedes einzelnen von einem konventionellen Fahrzeug emittierten Treibhausgases in der globalen Atmosphäre nachzuverfolgen. Auch seien die Kläger nicht prozessführungsbefugt. Der von den Klägern behauptete Anspruch werde rechtswidrig dazu benutzt, eine unzulässige Popularklage zu verschleiern. Die Kläger würden sich missbräuchlich auf ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen, um ein von ihnen behauptetes regulatorisches Versagen des Gesetzgebers zu kompensieren. Hinzu komme, dass eine individuelle vom Allgemeininteresse unterscheidbare Selbstbetroffenheit der Kläger fehle. Es fehle auch an einem Rechtsschutzbedürfnis der Kläger, da sie prozessfremde Ziele verfolgen würden. Schließlich sei die Klage unzulässig, da der Streitgegenstand einer verbindlichen gesamtgesellschaftlichen Regelung bedürfe, die in den Kompetenzbereich der Legislative falle. Auch würden die Kläger ein globales Vertriebsverbot begehren, während die Rechtsprechungskompetenz des angerufenen Gerichts auf Deutschland beschränkt sei.
34
Jedenfalls sei die Klage unbegründet. Ein Anspruch der Kläger scheide schon aufgrund des Anwendungsvorrangs der Pkw-Emissionsverordnung und der EU-KraftfahrzeugsGenehmigungs-Verordnung aus. Die Begrenzung der Fahrzeugemissionen sei auf europäischer Ebene abschließend harmonisiert. Die Unterlassungsansprüche der Kläger seien infolge der Kollision mit diesen Verordnungen und dem Vorrang des Unionsrechts gesperrt.
35
Der Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei bereits nach dem klägerischen Vortrag nicht eröffnet. Die von den Klägern gerügten Beeinträchtigungen und die genannten abstrakten Fallbeispiele würden lediglich dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit, nicht jedoch dem des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterfallen. Die von den Klägern geltend gemachten Rechtsverletzungen infolge zukünftiger freiheitsbeschränkender Maßnahmen des Gesetzgebers seien schon völlig unsubstantiiert, jedenfalls nach ihrer Art und ihrem Umfang völlig unklar. Sie würden auch nicht unmittelbar bevorstehen.
36
Eine Rechtsgutverletzung der Kläger sei jedenfalls infolge der vorzunehmenden Abwägung mit den Interessen der Beklagten ausgeschlossen. Das von Klägern begehrte Vertriebsverbot greife in erheblichem Maße in die grundrechtlich verbürgte Berufsfreiheit in Form der Berufswahlfreiheit und die Eigentumsfreiheit der Beklagten ein.
37
Die Beklagte sei auch keine mittelbare Handlungsstörerin im Sinne von § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Begründung eines äquivalent kausalen Zusammenhangs scheitere bereits daran, dass entgegen der Annahme der Kläger kein CO₂-Budget für die Beklagte existiere. Ein solches könne weder aus dem IPCC-Report noch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.3.2021 abgeleitet werden. Der Budgetansatz der Kläger beruhe zudem auf den Marktanteilen und Emissionsschätzungen vergangener Jahre und könne einen äquivalent kausalen Zusammenhang zwischen künftigen Handlungen und künftigen Rechtsgutverletzungen daher nicht begründen. Es sei – selbst wenn man von einer Existenz eines CO2Budgets für die Beklagte ausgehen würde – völlig ungewiss, ob und wann das angebliche CO₂-Budget der Beklagten überschritten werde. Die in der Nutzungsphase entstehenden CO₂-Emissionen (sog. Scope 3 – Phase) würden durch die Nutzer der Fahrzeuge, nicht von der Beklagten verursacht. Die Beklagte habe, nachdem die Fahrzeuge ihren Handlungsbereich verlassen, keinerlei Einfluss darauf, ob und in welchem Maße das Fahrzeug CO2Emissionen freisetze. Selbst wenn Art und Umfang dieser – insbesondere auch vom Fahrverhalten abhängigen Emissionen – bestimmbar wären, wäre unklar, welche Anteile der Beklagte zuzurechnen seien. Der Beitrag der Beklagten an den CO₂-Gesamtemissionen könne zudem hinweg gedacht werden, ohne dass die behaupteten hiermit verbundenen Beeinträchtigungen der Kläger entfielen. Zur Begründung einer individuellen Zurechnung von Treibhausgasemissionen könne man auch nicht isoliert auf den Emissionsbeitrag der Beklagten abstellen, da dieser sich ununterscheidbar mit anderen Emissionsbeiträgen vermengen würde. Jedenfalls fehle ein adäquat kausaler Zurechnungszusammenhang. Dieser werde jedenfalls dadurch unterbrochen, dass Gesetzgeber und Politik als eigenverantwortlich handelnde Dritte in den Geschehensablauf eingreifen würden.
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Es fehle auch an der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte. Die Verkehrssicherungspflichten, die mit der CO₂-Emittierung von konventionellen Fahrzeugen einhergehen, seien durch die Pkw-Emissionsverordnung abschließend geregelt. Da die Beklagte sämtliche Vorgaben dieser Verordnung einhalte, werde sie ihrer Verkehrssicherungspflicht gerecht. Bei dem Vertrieb von konventionellen Fahrzeugen handele es sich um ein erlaubtes, verkehrsgerechtes und sozialadäquates Verhalten. Andernfalls müsse jedes CO2emittierende Verhalten als Gefahr im zivilrechtlichen Sinne qualifiziert werden. Dürfte die Rechtsprechung nach eigenem Ermessen über das Gesetz hinausgehende Emissionsziele definieren, würde dies zur Aushöhlung der gesetzlichen Regelungen führen. Schließlich schaffe erst die Gesamtheit der CO₂-Emissionen eine Gefahrenquelle, von der die Menschheit als Gesamtheit der Nutzer betroffen sei.
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Die Kläger treffe eine Vielzahl von Duldungspflichten im Hinblick darauf, dass der Vertrieb von konventionellen Fahrzeugen eine gesetzlich zugelassene, gerechtfertigte Verhaltensweise darstelle und daher im rechtlichen Sinne als unwesentliche Beeinträchtigung i.S.d. § 906 Abs. 1 BGB hinzunehmen sei. Nach dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatz der Rechtssicherheit müsse der Bürger darauf vertrauen können, dass ein erlaubtes Verhalten nicht als rechtswidrig eingestuft werde.
40
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.11.2022 (Bl. 485/486 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig (hierzu I.), jedoch nicht begründet (hierzu II.).
42
I. Die Klage ist zulässig.
43
Das LG München I ist für die vorliegende Klage zuständig (hierzu 1.). Die Anträge sind hinreichend bestimmt (hierzu 2.). Auch sind die Kläger prozessführungsbefugt (hierzu 3.) und ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben (hierzu 4.).
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1. Das LG München I ist für die gestellten Anträge sachlich, örtlich und international zuständig (§§ 23 Nr. 1, 71 GVG, § 17 ZPO). Die Frage, ob ein Anspruch der Kläger besteht, dass die Beklagte den weltweiten Vertrieb einstellt (vgl. Hauptantrag) ist eine Frage der Begründetheit dieses Antrags, nicht der Zulässigkeit. Entsprechend ist die von der Beklagten auf Seite 24 der Duplik aufgeworfene Frage, ob ein deutsches Gericht ein weltweites Vertriebsverbot anordnen kann, eine Frage der Begründetheit, nicht der Zulässigkeit der Klage.
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2. Die zuletzt gestellten klägerischen Anträge sind hinreichend bestimmt (§ 252 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Unterlassungsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht mehr klar umrissen sind, die Beklagtenseite sich deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung darüber überlassen bleibt, was der Beklagten verboten ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17.7.2003, Az. I ZR 259/00, Rz 41 zitiert nach juris). Allerdings sind Verallgemeinerungen häufig unvermeidlich, weil andernfalls die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, durch prozessuale Anforderungen unzumutbar erschwert würde (vgl. für die Duldung einer Handlung durch den Mieter BGH, Urteil vom 28.9.2011, Az. VIII ZR 242/10 Rz 15 zitiert nach juris). Die Entscheidung, was der Beklagten verboten ist, wird hier nicht in unzulässiger Weise in das Vollstreckungsverfahren verlagert. Die Kläger haben bezüglich der Treibhausgase Bezeichnungen gewählt, welche auch in der Anlage in Anhang V Teil 2 der Europäischen Governance Verordnung aufgelistet sind, auf die auch § 2 Nr. 1 KSG im Rahmen der Begriffsbestimmung der Treibhausgase Bezug nimmt. Sie haben dadurch die in den Anträgen genannten Treibhausgase so genau wie möglich umschrieben. Darüber, dass die Bezeichnungen der Treibhausgase im Sinne dieser Verordnung zu verstehen sind, besteht zwischen den Parteien auch kein Streit (vgl. BGH, Urteil vom 1.12.1999, Az. I ZR 49/97 Rz 39 zitiert nach juris). Auch soweit die Anträge die Formulierung enthalten „es sei denn, die Beklagte stellt sicher, dass sie ausschließlich mit Kraftstoffen betrieben werden, durch deren Produktion oder Nutzung es zu keinem Anstieg der vorstehend genannten Treibhausgase in der Atmosphäre kommt“, sind sie hinreichend bestimmt. Denn die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe ist nicht generell unzulässig, weil sich in die Zukunft gerichtete Verbote häufig nur generalisierend formulieren lassen (vgl. hierzu BeckOK ZPO/Bacher, § 253 Rn 63 m.w.N.). Hier hatten die Kläger zudem den Umständen Rechnung zu tragen, dass es der Beklagten – sofern ein entsprechender Anspruch der Kläger bestehen sollte – im Rahmen der Ausnahmeregelung freistehen muss, auf welche Weise sie den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre verhindert und dass noch nicht im Einzelnen absehbar ist, welche Möglichkeiten hierfür in Zukunft zur Verfügung stehen (vgl. auch LG Stuttgart, Urteil vom 13.9.2022, Az. 17 O 789/21, Rz 28 zitiert nach juris).
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3. Die Kläger sind prozessführungsbefugt. Prozessführungsbefugt ist, wer ein behauptetes Recht als eigenes in Anspruch nimmt bzw. gegen wen eine Rechtspflicht als eigene geltend gemacht wird oder wem kraft Gesetzes, kraft Hoheitsakts oder kraft besonderen Verwaltungs- und Verfügungsrechts die Befugnis zur Verfolgung fremder Rechte zusteht (vgl. nur Musielak/Voit/Weth ZPO § 51 Rn 16). Zur Geltendmachung eigener Rechte reicht es aus, dass der Kläger behauptet, ihm stehe das geltend gemachte Recht zu. Ob ihm das Recht tatsächlich zusteht, ist eine Frage der Begründetheit der Klage (vgl. nur Musielak/Voit/Weth ZPO, aaO). Die Kläger machen einen Unterlassungsanspruch wegen drohender Verletzung ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend. Insoweit machen sie eigene Rechte geltend und sind daher auch prozessführungsbefugt (vgl. auch die Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, WD 7 – 3000-11/16, S. 11). Dem steht auch nicht entgegen, dass den Klägern, wie von der Beklagten vorgetragen, um eine vom Allgemeininteresse unterscheidbare Betroffenheit fehlt. Denn auch diese Frage ändert nichts daran, dass die Kläger eigene Rechte geltend machen, bzgl. derer sie prozessführungsbefugt sind.
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4. Für die Klage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, d.h. ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Geltendmachung des eingeklagten Rechts. Grundsätzlich hat jeder Rechtssuchende einen öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf, dass die staatlichen Gerichte sein Anliegen sachlich prüfen und darüber entscheiden. Diese Lesart folgt im Übrigen der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Für die hier gestellten Unterlassungsanträge ist ein Rechtsschutzbedürfnis schon insoweit gegeben, als die Beklagte nicht bereit ist, die von den Klägern vorgerichtlich geforderte Unterlassungserklärung abzugeben und die klägerischen Ansprüche bestreitet. Besondere Gründe, ausnahmsweise das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, liegen nicht vor. Insbesondere steht kein einfacherer Weg zur Verfügung, einen Vollstreckungstitel zu erlangen (vgl. zu dieser Ausnahme Musielak/Voit/Foerste, ZPO, Vor § 253 Rn 8; siehe auch MüKoZPO/Becker-Eberhard, Vor § 253 Rn 11).
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II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
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Den Klägern steht nach jetziger Abwägung der maßgeblichen Umstände der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. Insbesondere ist ein quasinegatorischer Unterlassungsanspruch gemäß §§ 1004 analog, 823 Abs. 1 BGB wegen drohender Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts derzeit nicht gegeben. Für die Entscheidung maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Ein Schaden muss noch nicht entstanden sein, es genügt, wenn er droht. Im Übrigen kann, z.B. bei Fehlen einer sog. Erstbegehungsgefahr, bei veränderter Sachlage eine erneute Klage zulässig sein (Grüneberg/Sprau, BGB, 2023, Vor § 823 Rn 28 ff.).
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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt (vgl. nur BGH, Urteil vom 25.5.1954, Az. I ZR 211/53). Es ist nicht nur nach vollendeter Verletzung durch Schadensersatzansprüche geschützt, sondern durch einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 BGB analog bereits präventiv gegen eine drohende Verletzung (vgl. nur MüKoBGB/Raff, § 1004 Rn 40 f.).
51
Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ist Voraussetzung für jeden Abwehr- und Unterlassungsanspruch. Es gilt beim Allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht, dass die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit indiziert. Die Rechtswidrigkeit und die Reichweite des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts müssen in jedem Einzelfall unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände festgestellt werden. Erforderlich ist also eine Güter- und Interessenabwägung unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Grundrechte und vergleichbarer Gewährleistungen. Stehen sich die Grundrechte des Handelnden und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gegenüber, gilt das Abwägungsgebot auf doppelter zivilrechtlicher und verfassungsrechtlicher Grundlage (Grüneberg/Sprau, BGB, 2023, § 823 Rn 95). Gegenüberstehen können sich vorliegend insbesondere die Grundrechte von Gewerbefreiheit, Berufsfreiheit und auch Eigentumsgarantie auf Beklagtenseite wie auch das (intertemporale) Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger. Bei der insoweit erforderlichen umfassenden Abwägung sind auch schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Hierzu zählt auch die verfassungsrechtliche Schutzfunktion für die natürlichen Lebensgrundlagen gemäß Art. 20a GG, welche ausdrücklich die Rechtsprechung bindet.
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Aufgrund der intertemporalen Schutzdimension der Grundrechte steht einem Grundrechtseingriff nicht entgegen, dass dieser erst infolge zukünftiger Regelung droht. Wenn diese im jetzigen Recht bereits unumkehrbar angelegt sind, ist von einer gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit auszugehen (sog. intertemporale Schutzdimension der Grundrechte; BVerfG, Urteil vom 24.3.2021, Az. 1 BvR 2656/18, Rz 130, 133, 183). Letztlich muss sich eine die Beeinträchtigung ermöglichende konkrete Gefahrenquelle gebildet haben, auf Grund derer ein Einschreiten geboten ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.9.2009, Az. V ZR 75/08 Rz 12 zitiert nach juris für den Fall einer auf §§ 1004, 906 BGB gestützten Nachbarklage).
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Ein Eingriff in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger ist, sofern man den klägerischen Vortrag zur Intensität der Beeinträchtigung und dessen Beweisbarkeit unterstellt, nicht von vorneherein ausgeschlossen (hierzu 1.).
54
Es droht jedoch jedenfalls derzeit kein rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger, der nach Abwägung der maßgeblichen Umstände zu einer Begründetheit der Klage führte (hierzu 2.).
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Eine Vorlage an den EuGH und das Bundesverfassungsgericht sind nicht veranlasst (hierzu 3.).
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1. Der Vortrag zum Eingriff in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, sofern man ihn und seine Beweisbarkeit und hinreichende Prognostizierbarkeit unterstellt, nicht von vorneherein unschlüssig.
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Die Kläger tragen insoweit vor, ihnen würden infolge der Geschäftstätigkeit der Beklagten, der hiermit verbundenen Aufzehrung erheblicher Teile des CO₂-Budgets, der hierdurch verursachten Beschränkung politischer Handlungsspielräume und der späteren Notwendigkeit zur Ergreifung radikaler Maßnahmen zur CO₂-Reduktion gravierende Freiheitseinbußen mit erheblichen Auswirkungen auf die Sozial- und Privatsphäre drohen. Die zukünftige Einschränkung der persönlichen Lebensgestaltung, die Beschränkung kulturellen Lebens, eine mangelnde Mobilität usw. würden nachteilige Auswirkungen auf ihre Persönlichkeit haben. Es drohe eine spezifische Gefährdung der selbstbestimmten Entwicklung und Wahrung ihrer Persönlichkeit.
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Grundlage des zivilrechtlichen Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist der verfassungsrechtliche Schutzauftrag der Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG sowie der menschenrechtliche des Art. 8 Nr. 1 EMRK (vgl. statt aller: MüKoBGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn 2). In Abgrenzung zu einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, die nicht über § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist (vgl. nur Grüneberg/Sprau § 823 Rn 6), ist ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dann denkbar, wenn die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit spezifisch gefährdet sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.4.2016, Az. 1 BvR 3309/13). Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht verbürgt also – in Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit – nicht den Schutz gegen alles, was die selbstbestimmte Persönlichkeitsentwicklung auf irgendeine Weise beeinträchtigen könnte, sondern setzt eine spezifische Gefährdung der selbstbestimmten Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit voraus. Eine der Aufgaben des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist es, die Grundbedingungen dafür zu sichern, dass der einzelnen Person ein autonomer Bereich privater Lebensgestaltung zusteht, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973, Az. 1 BvR 536/72. Rz 44).
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Üblicherweise werden eine innerste, unantastbare Intimsphäre, von der meist dort gesprochen wird, wo für die Sexualität des Menschen Schutz begehrt wird, von der vor ihr lagernden und sie umgebenden Privatsphäre, einem persönlichen räumlichen oder thematischen Rückzugsbereich, zu dem Andere grundsätzlich nur dann Zutritt haben, wenn er ihnen gewährt wird und einer Sozialsphäre unterschieden, dem Raum der beruflichen oder gesellschaftlichen Entfaltung der Person im Kontakt zu anderen (vgl. hierzu nur: MüKoBGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn 27).
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Würde man unterstellen, die Möglichkeiten der Kommunikation und Mobilität würden derart stark beschnitten, dass zwischenmenschliche Kommunikation oder Begegnungen unzumutbar erschwert oder unmöglich würden, wäre ein Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger möglich. Die dargestellten Beeinträchtigungen, sollten sie tatsächlich hinreichend konkret belegbar sein, würden Beeinträchtigungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Sozialsphäre darstellen, in welcher allerdings das Gewicht des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts regelmäßig weniger schwer wiegt als bei Beeinträchtigungen der Intim- oder Privatsphäre.
61
2. Es kann jedoch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht festgestellt werden, dass ein rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger droht.
62
Ein möglicher Eingriff in den Schutzbereich indiziert wegen des Charakters des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts als „Rahmenrecht“ nicht zugleich die Rechtswidrigkeit des Eingriffs. Erforderlich ist vielmehr, dass eine positive Feststellung der Rechtswidrigkeit durch eine umfassende Abwägung der im konkreten Einzelfall betroffenen Güter und Interessen getroffen wird (vgl. nur MüKoBGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn 27). Insbesondere handelt es sich vorliegend nicht um einen für das Zivilrecht typischen bilateralen Konflikt (etwa von zwei Personen), sondern um komplexe Fragestellungen in Richtung Klimaneutralität, wobei unterschiedliche Strategien denkbar sind.
63
Da der Unterlassungsanspruch zukunftsgerichtet ist, betrifft er hypothetisches Verhalten, welches geschehend gedacht, rechtswidrig sein kann (vgl. nur MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn 16).
64
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte – unstrittig – alle gesetzgeberischen Vorgaben einhält und der Gesetzgeber seinen verfassungsgemäßen Schutzpflichten gerade auch im Hinblick auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger derzeit nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts in ausreichendem Maße nachkommt (hierzu a). Es liegen keine Besonderheiten vor, die zu einer abweichenden zivilrechtlichen Bewertung der Rechtswidrigkeit führen (hierzu b).
65
a) Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung war zu berücksichtigen, dass der deutsche und europäische Gesetzgeber bereits eine Vielzahl von Regelungen getroffen haben, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen.
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Diese gesetzgeberischen Vorgaben hält die Beklagte unstreitig ein.
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Hierbei handelt es sich um abstrakt-generelle Regelungen, welchen eine umfassende Abwägung der Interessen und Belange aller Beteiligten zugrunde liegen. Dies schließt somit gerade auch eine Abwägung der maßgeblichen Belange mit den Freiheitsrechten der Kläger, insbesondere ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, mit ein. Denn der Prozess der Willensbildung des parlamentarischen Gesetzgebers ist darauf ausgelegt, die Interessen der Öffentlichkeit in ihrer gesamten Reichweite zu erfassen und zu einem Ausgleich zu bringen (vgl. Fellenberg NVwZ 2002, 913).
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aa) Der Gesetzgeber kommt mit den getroffenen Regelungen, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem noch weiterhin aktuellen – vor nicht allzu langer Zeit – ergangenen Beschluss vom 24.3.2021 zu den Reduktionszielen des KSG ausdrücklich festgestellt hat, seinem Schutzauftrag derzeit in ausreichendem Maße nach. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 24.3.2021 ausdrücklich klargestellt, dass die Regierung und der Gesetzgeber, wenn sie davon ausgehen, dass das durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gebotene Schutzniveau gewahrt wird, jedenfalls gegenwärtig den ihnen durch die grundrechtliche Schutzpflicht belassenen Entscheidungsspielraum nicht überschreiten (BVerfG, Beschluss vom 24.3.2021, Az. 1 BvR 2656/18, Rz 165). Es hat ausdrücklich festgestellt, dass der deutsche Gesetzgeber Schutzvorkehrungen getroffen hat, die auch nicht offensichtlich ungeeignet sind. Der Gesetzgeber habe nicht zuletzt mit den beim Bundesverfassungsgericht angegriffenen Bestimmungen des Klimaschutzgesetzes Anstrengungen unternommen, zur Begrenzung des Klimawandels beizutragen (BVerfG, aaO, Rz 154). Es könne aktuell nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber seinen Spielraum mit der Zugrundelegung des Paris-Ziels überschritten hat (BVerfG, aaO Rz 163). Ferner hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass der durch den Gesetzgeber vorgesehene Schutz nicht völlig unzulänglich ist, das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotene Schutzziel zu erreichen (BVerfG, aaO, Rz 157). Diese Entscheidung hat über die Bindungswirkung (etwa für Gerichte) hinaus nach § 31 Abs. 1 BVerfGG gemäß § 31 Abs. 2 S. 1 BVerfGG Gesetzeskraft.
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bb) Zu der Umsetzung dieser isolierten abstrakten Zielfixierungen durch konkretisierende Regelungen der Realisierungswege und Vollzugsmaßnahmen sowie der in Betracht kommenden Technologien und entsprechender Anlagen-, Stoff- und Produktqualitäten (vgl. hierzu Breuer NVwZ 2022, 1233, 1235) ist zunächst der parlamentarische Gesetzgeber berufen, dem das Bundesverfassungsgericht aufgeben hat, Mindestregelungen über Reduktionserfordernisse nach 2030 zu schaffen, die geeignet sind, einer notwendigen Entwicklung klimaneutraler Techniken und Praktiken rechtzeitig grundlegende Orientierung und Anreiz zu bieten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.3.2021, Az. 1 BvR 2656/18, Rz 183).
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Unter den real existierenden, sich dynamisch entwickelnden Umständen obliegt der Klimaschutz mit seinen wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Implikationen und notwendigen Richtungs- und Abwägungsentscheidungen dem Parlament und der Regierung (vgl. auch Breuer NVwZ 2022, 1233, 1235, 1240). Die Umstellung von Wirtschaft und Gesellschaft auf Klimaneutralität ist eine hoch komplexe Aufgabe, die unterschiedliche Strategien zulässt und die überdies nach Umfang und Zeit ständiger Abwägung mit konfligierenden politischen Zielen bedarf. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist der Legislative und der Exekutive, also dem politischen Prozess anvertraut (vgl. Wagner NJW 2021, 2256, 2261; siehe hierzu auch LG Stuttgart, Urteil vom 13.9.2022, Az 17 O 789/21 Rz 38 zitiert nach juris,). Zur Umsetzung dieser isolierten abstrakten Zielfixierungen hat der Gesetzgeber bereits Vorhaben in Angriff genommen. So sind im Rahmen des Fit für 55 – Pakets vom Europäischen Rat zahlreiche Richtlinien und Verordnungsentwürfe vorgestellt worden, welche gerade auch eine Verringerung der CO₂-Emissionen bei neuen Personenkraftwagen unter Abänderung der Regelungen der EUPkw-Emissionsverordnung vom 17.4.2019 (Verordnung (EU) 2019/631) zum Gegenstand haben. Vor dem Hintergrund der aktuellen gesetzgeberischen Vorhaben kann jedenfalls derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber seinen Schutzpflichten nicht nachkommt.
71
b) Es liegen keine Besonderheiten vor, die gegenwärtig zu einer abweichenden zivilrechtlichen Bewertung der Rechtswidrigkeit führen. Über die öffentlichrechtlichen Pflichten hinausgehende zivilrechtliche Pflichten der Beklagten bestehen nach Auffassung der Kammer jedenfalls derzeit nicht.
72
Eine Situation, in der eine gesetzliche Regelung, die wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht fehlt, notwendig wäre (vgl. BGH, Urteil vom 26.11.2015, Az. I ZR 3/14 Rz 60 zitiert nach juris), ist derzeit unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht gegeben (vgl. hierzu auch Sangi, AnwBl online 2022, 506, 507).
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Die von den Klägern vorgetragene Gefährdungssituation der Beeinträchtigung ihres intertemporalen Allgemeinen Persönlichkeitsrechts weist keine Abweichungen von der Interessenlage auf, welche den abstrakt-generellen Regelungen des Gesetzgebers zugrunde liegt.
74
Insbesondere verfängt auch der von den Klägern in der Klage vorgenommene Vergleich mit einem Hersteller eines genehmigten Produktes, der von der Karzinogenität dieses Produktes Kenntnis erlangt, nicht. Anders als bei dem Hersteller dieses Produktes, der Kenntnis von der Karzinogenität des Produktes erlangt, welche bei der Genehmigung noch nicht bekannt war, liegt bei der Beklagten gerade kein Wissen über eine Gefährlichkeit vor, welche dem Gesetzgeber bei seinen abstrakt-generellen Abwägungsentscheidungen nicht bekannt war bzw. ist.
75
Auch die von den Klägern zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs führen hier nicht zu einer anderen zivilrechtlichen Beurteilung der Rechtswidrigkeit. Insbesondere liegt dem von den Klägern zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1.3.2016 (Az. VI ZR 34/15) keine vergleichbare Konstellation zugrunde. In dieser Entscheidung ging es um die Frage, ob die dortige Beklagte als Betreiberin eines Arztbewertungsportals vom Gesetzgeber spezialgesetzlich nicht vorgesehene Prüfpflichten hat, wenn sie in einem konkreten Einzelfall auf einen rechtswidrigen Beitrag eines Dritten hingewiesen wird. In Abweichung hierzu ist hier aber die von den Klägern vorgetragene (angebliche) Gefährdungslage gerade auch dem Gesetzgeber bekannt, der mit der Umsetzung der Zielfixierungen in konkretisierende Regelungen betraut ist.
76
Es sind zudem keine anderen privatrechtlichen Risiken abzuwägen als bei den Abwägungsentscheidungen, die der Gesetzgeber getroffen hat und in der Zukunft zu treffen haben wird. Hat der Gesetzgeber die notwendigen Schutzmaßnahmen verbindlich festgelegt und dienen diese gerade der Vermeidung der geltend gemachten drohenden Gefahren, so kann dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht der Vorwurf gemacht werden, dass er keine weitergehenden Schutzmaßnahmen ergriffen hat, als in der einschlägigen Vorschrift vorgesehen (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 15.7.2003, Az VI ZR 155/02 Rz 11 zitiert nach juris für eine Unfallverhütungsvorschrift, die gerade der Vermeidung der Gefahren diente, die sich später in einem Unfall verwirklicht haben). Insoweit werden Regierung wie Gesetzgeber stets die Effektivität ihrer Maßnahmen zur Sicherung der Klimaschutzziele zu überprüfen haben, wobei gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen sein werden.
77
Auch ist unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 15.12.2022 (Az. 1 BvR 2146/22) derzeit nicht von einem rechtswidrigen Verhalten der Beklagten auszugehen, da – wie das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss ausführt – nicht feststeht, dass zu den von den Klägern genannten Zeitpunkten Treibhausgasminderungen gerade im Verkehrssektor erbracht sein müssen.
78
Das Bundesverfassungsgericht stellte zudem in seinem Urteil vom 24.3.2021 ausdrücklich fest, dass dem Gesetzgeber Gestaltungsspielräume offenstehen und das Grundgesetz nicht im Einzelnen vorgibt, was zu regeln ist, um Voraussetzungen und Anreize für die Entwicklung klimaneutraler Alternativen zu schaffen. Insoweit führte das Bundesverfassungsgericht Folgendes näher aus: „Legte der Gesetzgeber beispielsweise frühzeitig konkret fest, dass dem Verkehrssektor ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch geringe jährliche Emissionsmengen zur Verfügung stehen, könnte dies Anreiz und Druck für die Entwicklung und Verbreitung alternativer Techniken und der dafür erforderlichen Infrastruktur entfalten. Die frühzeitige Erkennbarkeit einer Verteuerung und Verknappung COrelevanter Mobilität könnte etwa auch dazu führen, dass grundlegende Entscheidungen und Entwicklungen zu Berufs- und Arbeitsplatzwahl oder zur Gestaltung von Arbeits- und Geschäftsabläufen rechtzeitig so getroffen und eingeleitet würden, dass sie von vornherein weniger Mobilität einforderten. Würde dann der festgelegte Zeitpunkt erreicht, könnte das COBudget des Verkehrssektors verringert werden, ohne damit Freiheiten erheblich zu verkürzen.“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.3.2021, Az. 1 BvR 2656/18, Rz 249).
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3. Eine Vorlage an den EuGH und das Bundesverfassungsgericht sind nicht veranlasst.
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Eine Vorlage der von den Klägern angeregten Vorlagefragen an den EuGH hält die Kammer nicht für erforderlich. Hierzu ist das erstinstanzliche Gericht auch nicht verpflichtet (vgl. Art. 267 Abs. 2 AEUV).
81
Auch für die von den Klägern angeregte Aussetzung des Verfahrens zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Wege der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) besteht kein Anlass. Auf die Verfassungsgemäßheit der EU-Pkw-Emissionsverordnung vom 17.4.2019 (Verordnung (EU) 2019/631) kommt es für die Entscheidung des Gerichts zur Abwägung des intertemporalen Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht entscheidend an.
III. Nebenentscheidungen:
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, 101 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.