Titel:
Erfolgloser Zwangslizenzeinwand bei fehlender marktbeherrschender Stellung
Normenketten:
EPÜ Art. 60 Abs. 3, Art. 64 Abs. 1, Abs. 3, Art. 87 Abs. 1
PatG § 7 Abs. 1, § 9 S. 2 Nr. 3, § 139 Abs. 1, Abs. 2, § 140b Abs. 1, Abs. 3
AEUV Art. 102
Leitsätze:
1. Unkörperliche Signalfolgen, die für die Übersendung über das Internet geeignete Daten repräsentieren, können trotz Fehlens eines körperlichen Substrats (Datenträgers) Sachschutz beanspruchen (Anschluss an BGH GRUR 2012, 1230 Rn. 22 – MPEG-2-Videosignalcodierung). (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist durch eine Industrienorm oder durch ein anderes, von den Nachfragern wie eine Norm beachtetes Regelwerk (De-facto Standard) eine standardisierte, durch Schutzrechte geschützte Gestaltung eines – aus der Sicht der Marktgegenseite nicht durch ein anderes Produkt substituierbaren – Produkts vorgegeben, bildet die Vergabe von Rechten, die potenzielle Anbieter dieses Produkts erst in die Lage versetzen, es auf den Markt zu bringen, regelmäßig einen eigenen, dem Produktmarkt vorgelagerten Markt (Anschluss an BGH GRUR 2004, 966 (967 f.) – Standard-Spundfass). Um annehmen zu können, dass ein eigenständiger Lizenzmarkt der für die Bestimmung der marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV maßgebliche relevante Markt ist, bedarf es daher in Patentverletzungsfällen mit FRAND-Einwand der Feststellung, dass es sich um ein standardessenzielles Patent handelt, die Benutzung der patentgeschützten Lehre also für die Umsetzung eines (von einer Standardisierungsorganisation normierten oder auf dem Markt durchgesetzten) Standards unerlässlich ist. (Rn. 86 – 87) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Patentverletzung, Binärbaum, Kodierung, Syntaxelemente, Prädiktionsmodus, Partitionsmodus, Coding Unit, Priorit�t, Neuheitssch�dliche Vorwegnahme, Codierung, Bin�rbaum, Unzul�ssige Erweiterung, Vollstreckungsschaden, Klagezulässigkeit, Patentinhaberschaft, Videokodierung, Prädiktionseinheiten, Entropiekodierung, Codeworttabellen, Schadensersatzfeststellung, Unterlassungsanspruch, Auskunftsanspruch, Rechnungslegung, Schadensersatz, kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand, relevanter Markt, Standardessentielles Patent, FRAND-Erklärung, Kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand, Prioritätsanspruch, Unzulässige Erweiterung, Aussetzung des Verfahrens, Anspruch 6, HEVC Codec, unmittelbare Herstellung, passivlegitimiert, Binärbäume
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 26656
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
im deutschen territorialen Geltungsbereich des europäischen Patents … … Daten mit codierten Videosignalen als Erzeugnis eines Verfahrens zum Betreiben eines Video-Encoders einer Kommunikationseinrichtung, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen, wobei das Verfahren umfasst:
Betreiben des Video Encoders zum Codieren eines Eingangsvideosignals, um einen Ausgangsbitstrom zu erzeugen, – Einsetzen eines einzelnen Binärbaums innerhalb des Video-Encoders, um zum Erzeugen des Ausgangsbitstroms wenigstens ein P-Slice und wenigstens ein B-Slice zu verarbeiten, – wobei das Verfahren gekennzeichnet ist durch: Einsetzen des eine Binarisierung repräsentierenden einzelnen Binärbaums zum Codieren des Codiereinheit- (CU/Coding Unit) Prädiktionsmodus in einem ersten Syntaxelement für den mindestens einen P-Slice als auch den mindestens einen B-Slice in Verbindung mit der Erzeugung des Ausgangsbitstroms, und Einsetzen des die Binarisierung repräsentierenden einzelnen Binärbaums zum Codieren des Prädiktionseinheit- (PU/Prediction Unit) Partitionsmodus in einem zweiten Syntaxelement für den mindestens einen P-Slice als auch den mindestens einen B-Slice in Verbindung mit der Erzeugung des Ausgangsbitstroms, wobei die eingesetzte Binarisierung davon abhängig ist, ob eine aktuelle CU des wenigstens einen P-Slice oder des wenigstens einen B-Slice die kleinste CU (SCU/smallest CU) ist.
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 11.10.2019 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer 1.1 bezeichneten Handlungen seit dem 11.10.2019 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen), sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und-preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnung) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
wobei die Rechnungslegungsdaten zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln sind.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte als Gesamtschuldnerin neben der …. verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die der Klägerin durch die unter Ziffer 1.1 bezeichneten und seit dem 11.10.2019 begangenen Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 2/5 und die Beklagte 3/5.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
- … € für Ziffern I.2. und I.3. sowie
- 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages für Ziffer IV.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patents … 1, Anlage K 1, (im Folgenden: Klagepatent) und nimmt die Beklagte wegen unmittelbarer Patentverletzung in Anspruch.
2
Das Klagepatent wurde am 31.07.2012 angemeldet und nimmt die Priorität der … vom 27.09.2011 und der … vom 14.06.2012 in Anspruch. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 11.09.2019 bekannt gemacht. Der geltend gemachten Verfahrensanspruche 6 des Klagepatents lauten im englischen Original wie folgt:
„6. A method for operating a video encoder of a communication device, the method comprising:
operating the video encoder to encode an input video signal to generate an output bitstream;
employing a single binary tree within the video encoder to process at least one P slice and at least one B slice for generating the output bitstream; the method characterised by:
employing the single binary tree representing a binarization to encode coding unit (CU) prediction mode in a first syntax element for both the at least one P slice and the at least one B slice in accordance with generating the output bitstream; and
employing the single binary tree representing said binarization to encode prediction unit (PU) partition mode in a second syntax element for both the at least one P slice and the at least one B slice in accordance with generating the output bitstream;
wherein the binarization employed is a function of whether or not a current CU of the at least one P slice or the at least one B slice is the smallest CU, SCU, or not.“
3
Wegen der weiteren Details wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
4
Die … B.V. hat am 14.02.2022 beim Bundespatentgericht eine Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent anhängig gemacht (Az. 2 Ni 4/22 (EP)).
5
Die Klägerin greift die von der Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland angebotenen Videodaten im HEVC-Codec an. Diese Videodaten werden von der Beklagten in den Vereinigten Staaten von Amerika kodiert und anschließend auf Server in der Bundesrepublik Deutschland, für die die … B.V verantwortlich ist, übertragen. Von dort aus werden die Daten mittels einer eigenen Software an die Endkunden übertragen. Die Übertragung der Daten an die Endkunden erfolgt in der Regel mittels Streaming. Teilweise erfolgt auch ein Download der Daten.
6
Die Klägerin stützt ihren Verletzungsvorwurf auf die Analyse der Videodaten der Beklagten und den Standard ITU-T H.265, der den Decoder und den kodierten Bitstrom beschreibt.
7
Die Klägerin bezieht sich insbesondere auf die nachfolgende Passage des Standards:
8
Die Parteien verhandelten bislang erfolglos über eine Lizenzierung des Patentportfolios der Klägerseite, zu dem unter anderem das Klagepatent zählt.
9
Die Klägerin behauptet, die Beklagte führe das Verfahren nach Anspruch 6 des Klagepatents auch in Deutschland aus.
10
Sie ist der Ansicht, im Standard werde das Syntaxelement „pred_mode_flag“, das den Codiereinheit-Prädiktionsmodus (nachfolgend CU-Prädiktionsmodus) kodiere, durch ein Binarisierungsverfahren mit fester Länge binarisiert. Das zweite Syntaxelement „part_mode“ beschreibe den Partitionsmodus. Die Binarisierung des zweiten Syntaxelements hänge dabei nicht nur vom Wert des PU-Partitionsmodus, sondern auch von der Auswahl des CU-Prädiktionsmodus ab. Zudem hänge die Binariserung auch davon ab, ob die aktuelle Coding Unit (CU), die kleinste CU ist oder nicht.
11
Die Klägerin ist der Ansicht bei dem Klagepatent handele es sich nicht um ein standardessentielles Patent, denn der Standard ITU-T H.265 befasse sich nur mit dem Decodierer und dem zu kodierenden Bitstrom, nicht hingegen mit dem Verfahren zur Kodierung des Bitstroms. Insoweit sei es möglich ein standardgemäßen Ausgangsbitstrom nur unter Verarbeitung von P-Slices oder B-Slices zu erzeugen. Standardgemäß sei es – anders als es das Klagepatent vorsehe – nicht erforderlich sowohl P-Slices als auch B-Silices zu verarbeiten.
12
Mit Beschluss vom 16.02.2022 wurde das Verfahren gegen die … International B.V. abgetrennt.
13
Die Klägerin beantragt hinsichtlich der Beklagten …,
I. die Beklagte zu verurteilen
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
a) im deutschen territorialen Geltungsbereich des europäischen Patents … B1 Daten mit codierten Videosignalen als Erzeugnis eines Verfahrens zum Betreiben eines Video-Encoders einer Kommunikationseinrichtung, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen, wobei das Verfahren umfasst:
Betreiben des VideoEncoders zum Codieren eines Eingangsvideosignals, um einen Ausgangsbitstrom zu erzeugen, – Einsetzen eines einzelnen Binärbaums innerhalb des Video-Encoders, um zum Erzeugen des Ausgangsbitstroms wenigstens ein P-Slice und wenigstens ein B-Slice zu verarbeiten, – wobei das Verfahren gekennzeichnet ist durch: Einsetzen des eine Binarisierung repräsentierenden einzelnen Binärbaums zum Codieren des Codiereinheit- (CU/Coding Unit) Prädiktionsmodus in einem ersten Syntaxelement für den mindestens einen P-Slice als auch den mindestens einen B-Slice in Verbindung mit der Erzeugung des Ausgangsbitstroms, und Einsetzen des die Binarisierung repräsentierenden einzelnen Binärbaums zum Codieren des Prädiktionseinheit- (PU/Prediction Unit) Partitionsmodus in einem zweiten Syntaxelement für den mindestens einen P-Slice als auch den mindestens einen B-Slice in Verbindung mit der Erzeugung des Ausgangsbitstroms, wobei die eingesetzte Binarisierung davon abhängig ist, ob eine aktuelle CU des wenigstens einen P-Slice oder des wenigstens einen B-Slice die kleinste CU (SCU/smallest CU) ist.
das erste Syntaxelement eine Intra-Prädiktionsverarbeitung oder Inter-Prädiktionsverarbeitung angibt und das zweite Syntaxelement eine CU-Partitionsform angibt.
b) ein Verfahren zum Betreiben eines Video-Encoders einer Kommunikationseinrichtung im Geltungsbereich des Gesetzes anzuwenden, wobei das Verfahren umfasst:
Betreiben des Video Encoders zum Codieren eines Eingangsvideosignals, um einen Ausgangsbitstrom zu erzeugen, – Einsetzen eines einzelnen Binärbaums innerhalb des Video-Encoders, um zum Erzeugen des Ausgangsbitstroms wenigstens ein P-Slice und wenigstens ein B-Slice zu verarbeiten, – wobei das Verfahren gekennzeichnet ist durch: Einsetzen des eine Binarisierung repräsentierenden einzelnen Binärbaums zum Codieren des Codiereinheit- (CU/Coding Unit) Prädiktionsmodus in einem ersten Syntaxelement für den mindestens einen P-Slice als auch den mindestens einen B-Slice in Verbindung mit der Erzeugung des Ausgangsbitstroms, und Einsetzen des die Binarisierung repräsentierenden einzelnen Binärbaums zum Codieren des Prädiktionseinheit- (PU/Prediction Unit) Partitionsmodus in einem zweiten Syntaxelement für den mindestens einen P-Slice als auch den mindestens einen B-Slice in Verbindung mit der Erzeugung des Ausgangsbitstroms, wobei die eingesetzte Binarisierung davon abhängig ist, ob eine aktuelle CU des wenigstens einen P-Slice oder des wenigstens einen B-Slice die kleinste CU (SCU/smallest CU) ist.
das erste Syntaxelement eine Intra-Prädiktionsverarbeitung oder Inter-Prädiktionsverarbeitung angibt und das zweite Syntaxelement eine CU-Partitionsform angibt.
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 11.10.2019 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a)
-
der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- b)
-
der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c)
-
der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 11.10.2019 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a)
-
der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
- b)
-
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen), sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c)
-
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnung) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
- d)
-
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- e)
-
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
wobei die Rechnungslegungsdaten zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln sind;
II. festzustellen, dass die Beklagte als Gesamtschuldnerin verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die der Klägerin die unter Ziffer 1.1 bezeichneten und seit dem 11.10.2019 begangenen Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden;
14
Die Beklagte beantragt,
- 1.
-
die Klage abzuweisen;
- 2.
-
hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent anhängige Nichtigkeitsklage der … B.V. vom 14. Februar 2022 auszusetzten.
15
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens.
16
Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation, und stellt eine Patentbenutzung in Abrede, insbesondere erfolge die Kodierung nicht unter Verwendung eines einzelnen Binärbaums. Zur Erzeugung des Ausgangsbitstrom würden vielmehr zwei Binarisierungsvorgänge durchgeführt, mithin auch zwei Binärbäume eingesetzt. Zudem hänge die eingesetzte Binarisierung nicht davon ab, ob der Partitionstyp NxN zugelassen sei. Dies sei jedoch erforderlich, denn nach der Lehre des Klagepatents müsse die Binarisierung davon abhängen, ob die es sich bei der aktuellen Coding Unit (CU) um die kleinste CU handele, weil nur in diesem Fall ein Binärbaum vorgesehen sei, der den Partitionsmodus NxN vorsehe.
17
Die Beklagten machen den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand geltend. Bei dem Klagepatent handele es sich um ein standardessentielles Patent, das eine marktbeherrschende Stellung vermittele. Diese missbrauche die Klägerin. Im Übrigen habe ihre Muttergesellschaft, die das Klagepatent angemeldet habe, eine FRAND-Erklärung für standardessentielle Patente abgegeben.
18
Die Beklagte hält den geltend gemachten Unterlassungsanspruch für unverhältnismäßig.
19
Jedenfalls sei das Verfahren auszusetzen, weil das Klagepatent offensichtlich nicht rechtsbeständig sei.
20
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf sämtliche Schriftsätze nebst Anlagen sowie alle gerichtlichen Verfügungen, Beschlüsse und Protokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
21
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der von der Beklagten erhobene FRAND-Einwand greift nicht durch. Das Verfahren ist nicht auszusetzen.
22
Die Klage ist zulässig. Die Klageanträge sind hinreichend bestimmt. Auch das erforderliche Feststellungsinteresse für den Schadensersatzfeststellungsantrag ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
23
Die Klägerin ist als eingetragene Patentinhaberin aktivlegitimiert.
24
Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde von der … Corporation getätigt. Die Übertragung der Patentanmeldung auf die Klägerin erfolgte noch vor der Erteilung des Klagepatents. Damit ist die Klägerin formell und materiell berechtigte Patentinhaberin. Denn § 7 Abs. 1 PatG und Art. 60 Abs. 3 EPÜ bestimmen, dass der Anmelder als berechtigt gilt, die Erteilung des Patents zu verlangen. Die Fiktion kommt jedem Anmelder zu und verpflichtet die Patentbehörde zur Patenterteilung auf die Anmeldung völlig unabhängig vom sachlichen Recht auf das Patent. Ist derjenige, der im Zeitpunkt des Erteilungsbeschlusses die Anmelderstellung innehat, materiell-rechtlich nicht Inhaber der Anmeldung, erwirbt er kraft des Erteilungsbeschlusses dennoch nicht nur ein Scheinrecht, sondern wird formell und materiell berechtigter Patentinhaber. Der Erteilungsbeschluss legt als rechtsgestaltender Verwaltungsakt insofern nicht nur gegenständlich den Inhalt des Patents fest, sondern ordnet das erteilte Schutzrecht auch – konstitutiv – einem bestimmten Rechtsträger zu (OLG Düsseldorf Urt. v. 17.12.2015 – I-2 U 34/10 = BeckRS 2016, 14891 Rn. 162 m.w.N.).
25
I. Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zur Signalisierung der Prädiktion und der Unterteilung von Kodiereinheiten für Videocodierung.
26
1. Im Stand der Technik sind Kommunikationssystem bekannt, bei denen Daten, bspw. Videodaten in einem Sender mittels eines Enkoders kodiert werden und dann an einen Empfänger übertragen werden, wo sie mittels eines Dekoders dekodiert werden (Absätze [0004] und [0026] bis [0028] des Klagepatents). Um dabei die Videodaten effizient vom Sender zum Empfänger übertragen zu können, müssen die Daten im Rahmen einer Videokodierung komprimiert werden. In Videokodierungssystemen, die mit den gängigen Videodekodierungsstandards (H.264 (AVC), H.265 (HEVC)) kompatibel sind, wird ein Modell zur Kompression der Videodaten angewendet, das unter anderem aus den Schritten der Prädiktion, Transformation und Quantisierung besteht (vgl. Figuren 5 und 6 des Klagepatents). Die aus diesen Schritten hervorgehenden Parameter (Syntaxelemente, Abs. [0080]) werden anschließend im Rahmen eines bestimmten Kodierverfahrens, der sogenannten Entropiekodierung kodiert, um einen komprimierten Ausgangsbitstrom für die Übertragung an den Empfänger zu erzeugen.
27
Die gängigen Videokodierungssystemen speichern ein Video als Sequenz von Einzelbildern (Frames), die aus einer zweidimensionalen Matrix von Pixeln gebildet werden. Die grundlegende Einheit für die Kodierung sind die Kodiereinheiten („coding units“; CU). Diese „coding units“ haben eine quadratische Form der Größe 2Nx2N (vgl. Fig. 11 des Klagepatents). Nach Absatz [0096] wird jedes Einzelbild im Enkoder in nicht überlappende LCUs („largest coding unit“) eingeteilt. Jede LCU kann einer rekursiven Baumstruktur folgend in vier gleich große quadratische Blöcke unterteilt werden, die wiederum „coding units“ darstellen und die jeweils auf die gleiche Weise unterteilt werden können bis schließlich die letzte Ebene dieser hierarchischen Unterteilung erreicht ist (Abs. [0096] und Figur 11 des Klagepatents). Eine „coding unit“, die nicht weiter unterteilt werden kann, stellt die „smallest coding unit“ (SCU) dar. Nach Absatz [0099] sind die „coding units“ im HEVC-Standard in drei unterschiedliche Arten von Slices, also einen definierten Bereich von „coding units“ innerhalb eines Einzelbildes, organisiert. Im I-Slice werden alle „coding units“ kodiert, ohne Informationen aus anderen Einzelbildern zu verwenden (Abs. [0099]). Bei P-Slice hingegen können auch Informationen aus einem anderen Einzelbilde (Frames) aus der Bildsequenz aus jeweils einer Richtung verwendet werden, wohingegen bei einem B-Slice Informationen aus zwei Richtungen der Bildsequenz gleichzeitig verwendet werden (vgl. Absätze [0100] und [0101]).
28
Bei der Prädiktion wird nach Absatz [0097] für jede „coding unit“ eine Vorhersage mit Blick auf die aktuell zu kodierenden Pixel auf Basis der zuvor kodierten Daten getroffen (sog. „Prediction Coding“). Dies geschieht nach Absatz [0097] entweder im Wege der „interprediction“ oder der „intra-prediction“. Bei beiden Methoden wird der zu kodierende Bildbereich nicht direkt übertragen, sondern es wird nur die Abweichung zwischen dem aktuell zu kodierenden Bildbereich und einem Referenzbildbereich bestimmt. Bei dem „Intra Frame Coding“ werden als Referenzbereich die Pixel aus demselben Einzelbild verwendet, um die aktuell zu kodierende „coding unit“ dieses „Frames“ zu kodieren (vgl. Abs. [0086] des Klagepatent und Figur 7). Beim „Inter Frame Coding“ hingegen werden als Referenzbereich Bildbereiche andere, d.h. vorhergehende und/oder nachfolgende „Frames“ der Bildsequenz zur Kodierung verwendet (vgl. Abs. [0088] ff. des Klagepatents und Figur 8). Für diese Prädiktion wird die „coding unit“ in eine oder mehrere sogenannte Prädiktionseinheiten („prediction unit“; PU) unterteilt (Abs. [0098]. Dies erlaubt abhängig vom Detailgrad des zu kodierenden Bildbereichs eine möglichst genaue Vorhersage, da für jede einzelne „prediction unit“ ein eigener Referenzbereich im „Frame“ herangezogen werden kann. Nach Figur 12 und Absatz [0098] des Klagepatents kommen für eine „coding unit“ der Größe 2Nx2N die „prediction units“ 2Nx2N, Nx2N, 2NxN und NxN in Betracht:
29
Nach weiteren Zwischenschritten, mit denen sich das Klagepatent nicht befasst, werden den aus den vorherigen Schritten hervorgegangenen noch nicht binarisierten Werten/Parametern (Syntaxelemente) bestimmte Bitfolgen zugewiesen (vgl. Fig. 15). Die in einer Codeworttabelle dargestellt werden können. Die Codeworttabellen entsprechen den zugehörigen Binärbäumen, wie beispielsweise anhand der nachfolgend eingeblendeten Figur 15 des Klagepatents ersichtlich:
30
2. Das Klagepatent kritisiert an diesem Stand der Technik, dass kein adäquates oder akzeptables Mittel zur Verfügung stehe, mit dem Videodaten von einem ersten Ort zu einem zweiten Ort in Übereinstimmung mit der Bereitstellung einer adäquaten oder akzeptablen Video- und/oder Bildqualität, der Sicherstellung einer relativ geringen Menge an lediglich der Verwaltung oder Steuerung dienenden Daten der Kommunikation und einer relativ geringen Komplexität der Kommunikationsgeräte an den jeweiligen Enden der Kommunikationsverbindungen übertragen werden können (Abs. [0004]).
31
3. Das Klagepatent stellt sich daher die Aufgabe, die im Stand der Technik befindlichen Nachteile zu beseitigen.
32
4. Zur Lösung der beschriebenen Nachteile schlägt das Klagepatent ein Verfahren zum Betreiben eines Video-Enkoders nach Anspruch 6 vor.
33
Anspruch 6 des Klagepatents lässt sich wie folgt merkmalsmäßig gliedern.
[1]
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Verfahren zum Betreiben eines Video-Encoders einer Kommunikationseinrichtung, wobei das Verfahren umfasst:
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[1.1]
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Betreiben des Video Encoders zum Codieren eines Eingangsvideosignals, um einen Ausgangsbitstrom zu erzeugen,
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[1.2]
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Einsetzen eines einzelnen Binärbaums innerhalb des Video- Encoders, um zum Erzeugen des Ausgangsbitstroms wenigstens ein P-Slice und wenigstens ein B-Slice zu verarbeiten wobei das Verfahren gekennzeichnet ist durch:
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[1.3]
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Einsetzen des eine Binarisierung repräsentierenden einzelnen Binärbaums zum Codieren eines Codiereinheit- (CU/Coding Unit) Prädiktionsmodus in einem ersten Syntaxelement sowohl für den mindestens einen P-Slice als auch den mindestens einen B-Slice im Rahmen der Erzeugung des Ausgangsbitstroms, und
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[1.4]
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Einsetzen des die Binarisierung repräsentierenden einzelnen Binärbaums zum Codieren eines Prädiktionseinheit- (PU/Prediction Unit) Partitionsmodus in einem zweiten Syntaxelement sowohl für den mindestens einen P-Slice als auch den mindestens einen B- Slice im Rahmen der Erzeugung des Ausgangsbitstroms
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[1.5]
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wobei die eingesetzte Binarisierung davon abhängig ist, ob eine aktuelle CU des wenigstens einen P-Slice oder des wenigstens einen B-Slice die kleinste CU (SCU/smallest CU) ist.
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34
II. Diese Lehre bedarf hinsichtlich des Merkmals 1.5 und des Begriffs „einzelner Binärbaum“ (Merkmale 1.2, 1.3 und 1.4) der näheren Erläuterung.
35
1. Die durch das Klagepatent unter Schutz gestellte technische Lehre ist aus der Sicht des angesprochenen Durchschnittsfachmanns, eines Diplomingenieurs der Elektrotechnik oder eines Diplominformatiker mit Hochschulausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung, der schwerpunktmäßig mit der Datenkodierung und im Speziellen der Kodierung von Videodaten befasst und mit den relevanten Standards im Bereich der Videokodierung vertraut ist, aus den Merkmalen des vorliegend geltend gemachten Klagepatentanspruchs 6 im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit unter Heranziehung der Beschreibung sowie der Zeichnungen zu ermitteln.
36
2. Anspruch 6 des Klagepatents verwendet den Begriff des „einzelnen Binärbaums“ (single binary tree) an verschiedenen Stellen des Anspruchs.
37
Merkmal 1.2 entnimmt der Fachmann zunächst, dass zum Kodieren ein einzelner Binärbaum eingesetzt wird, um einen Ausgangsbitstrom zu erzeugen. Wobei für die Erzeugung des Ausgangsbitstroms sowohl wenigstens ein P-Slice als auch ein B-Slice verarbeitet wird. Daher erkennt der Fachmann, dass es dem Klagepatent darauf ankommt, dass ein einzelner Binärbaum eingesetzt wird, um sowohl den wenigstens einen P-Slice als auch den wenigstens einen B-Slice zu verarbeiten (vgl. bspw. Figur 13 und Abs. [0103] und Abs. [0112]).
38
In Übereinstimmung mit seinem allgemeinen Fachwissen, entnimmt der Fachmann den Figuren 13 bis 15 des Klagepatents, dass es sich bei einem Binärbaum um eine Baumstruktur handelt, die sich ausgehend von einem Wurzelknoten schrittweise in eine Vielzahl von weiteren Knoten verzweigt, wobei jeder Wurzelknoten jeweils nur zwei Kindsknoten aufweist, wie bspw. in der nachfolgend eingeblendeten Figur 15 des Klagepatents dargestellt.
39
In den Merkmalen 1.3 und 1.4 des Anspruchs 6 des Klagepatents wird der Begriff des einzelne Binärbaums konkretisiert. Nach Merkmal 1.3 wird der Binärbaum eingesetzt, um in einem ersten Syntaxelement einen Codiereinheit- (CU/Coding Unit) Prädiktionsmodus zu kodieren. Der Fachmann erkennt mithin, dass ein erstes Syntaxelement, mithin der Parameter, der den Codiereinheit-Prädiktionsmodus repräsentiert, also die Entscheidung, ob eine „interprediction“ oder der „intra-prediction“ erfolgt, durch Einsetzen, bzw. Verwenden, des Binärbaums codiert wird. Merkmal 1.4 entnimmt der Fachmann weiter, dass der klagepatentgemäße Binärbaum auch eingesetzt wird, um in einem zweiten Syntaxelement einen Prädiktionseinheit- (PU/Prediction Unit) Partitionsmodus zu kodieren. Klagepatentgemäß wird daher auch das zweite Syntaxelement, mithin der Parameter, der den Prädiktionseinheit-Partitionsmodus, also die Entscheidung über die Einteilung der verwendeten Coding Unit, durch Einsetzen des einzelnen Binärbaums codiert.
40
Wie die Kodierung der beiden Syntaxelemente für den Codiereinheit-Prediktionsmodus und den Prädiktionseinheit-Partitionsmodus in einem einzigen Binärbaum erfolgt, zeigt das Klagepatent nicht. In Figur 13 ist lediglich die Binarisierung des Prädiktionseinheit-Partitionsmodus gezeigt. Ein Binärbaum, der die Binarisierung des Codiereinheit-Prädiktionsmodus repräsentiert findet sich hingegen in der Klagepatentschrift nicht.
41
Neben der in Figur 13 gezeigten Binarisierung des Prädiktionseinheit- Partitionsmodus in einem ersten Syntaxelement, entnimmt der Fachmann der Klagepatentschrift Absatz [0107] zudem, dass der in Figur 14 dargestellte Binärbaum nicht Anspruch 6 des Klagepatents entspricht, weil er lediglich ein einziges Syntaxelement kodiert, das sowohl die Entscheidungen zum Prädiktionsmodus als auch zum Partitionsmodus, also ob eine inter-prediction oder eine intra-prediktion erfolgt und wie die Coding Unit hierfür aufgeteilt wird, repräsentiert. Gegenteiliges ergibt sich, entgegen der Ansicht der Beklagten, auch nicht aus Absatz [0112] des Klagepatents. Denn diesem lässt sich gerade nicht entnehmen, dass der in Figur 14 gezeigte Binärbaum sowohl für die Binarisierung von einem und zwei Syntaxelementen eingesetzt werden kann, weil er zwei gleichwertige Alternativen im Hinblick auf den Prädiktionsmodus und den Partitionsmodus beschreibt. Vielmehr bezieht sich Absatz [0112] des Klagepatents zwar in den Zeilen 19-25 auf den in Figur 14 dargestellten Binärbaum. Ein Hinweis, dass der Binärbaum aus Figur 14 entgegen Absatz [0107] auch zur Binarisierung von zwei Syntaxelementen verwendet werden könne, findet sich dort hingegen nicht. Vielmehr betont das Klagepatent insoweit lediglich, dass derselbe Binärbaum für B-Slices und P-Slices benutzt wird. Hieran anknüpfend wird in den Zeilen 34 bis 43 des Absatzes [0112] weiter ausgeführt, dass es sowohl möglich ist den Prädiktionsmodus und den Partitionsmodus in zwei getrennte Syntaxelemente als auch beide in ein einziges Syntaxelement zu kodieren. Ein Bezug zu Figur 14 wird insoweit nicht hergestellt, so dass der Fachmann Absatz [0112], aufgrund der eindeutigen Beschreibung in Absatz [0107], nicht dahingehend versteht, dass der in Figur 14 gezeigte Binärbaum auch für die Binarisierung von zwei Syntaxelementen eingesetzt werden kann.
42
Im Hinblick auf diese beiden Figuren des Klagepatents und den Zeilen 7-10 des Absatzes [0112] entnimmt der Fachmann dem Klagepatent, dass es dem Klagpatent gerade darauf ankommt für die Codierung der B-Slices und P-Slices einen einzigen einheitlichen Binärbaum einzusetzen. Für die Binarisierung des Prediktionsmodus und des Partitionsmodus ist es klagepatentgemäß jedoch möglich einen Binärbäume zu verwenden, der sich in Unterbinärbäume aufteilt. Denn der Fachmann entnimmt der Figur 13 und der entsprechenden Beschreibung in Absatz [0112], dass für die Binarisierung des Partitionsmodus unterschiedliche Codewörter benutzt werden können („both B slices and P slices respectively used different respective codewords for the different PU modes“). Entsprechend zeigt Figur 13 für den Partitionsmodus, abhängig davon, ob der Partitionstyp NxN zugelassen ist oder nicht, zwei unterschiedliche Codebücher und (Unter-)Binärbäume, die abhängig von der Zulassung des Partitionstyps NxN in einem Binärbaum klagepatentgemäß zusammengefasst werden können. Der Fachmann erkennt mithin, dass der klagepatentgemäße einzelne Binärbaum Unterbinärbäume enthalten darf. Denn wie der Fachmann im Umkehrschluss aus Figur 14 entnimmt, ist eine Gliederung des klagepatentgemäßen Binärbaums in Unterbinärbäume bei der Kodierung von mehreren Syntaxelementen zwingend erforderlich, da anderenfalls lediglich ein Syntaxelement kodiert werden könnte (vgl. Binärbaum in Figur 14, der die Binarisierung eines Syntaxelements zeigt). Daher erkennt der Fachmann, auch wenn keine Figur des Klagepatents einen solchen Binärbaum zeigt, dass der klagepatentgemäße einzelne Binärbaum, der den Codiereinheit-Prediktionsmodus und den Prädiktionseinheit-Partitionsmodus in zwei Syntaxelementen kodiert, auch Unterbinärbäume enthalten darf bzw. muss, die bspw. abhängig von der Wahl der jeweiligen Modi sind.
43
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es klagepatentgemäß auch nicht erforderlich, dass für die Binarisierung des Prädiktions- und Partitionsmodus dasselbe Binarisierungsvorgang Anwendung findet. Eine entsprechende Einschränkung findet sich weder in Anspruch selbst noch in der Beschreibung. Vielmehr erkennt der Fachmann, dass die Binarisierung eines Syntaxelements mittels eines Binariserungsvorgangs erfolgt und die Binarisierung von zwei Syntaxelementen zwei Binariserungsvorgängen umfassen kann.
44
3. Nach Merkmal 1.5 hängt die eingesetzte Binarisierung davon ab, ob es sich bei der aktuellen Coding Unit um die kleinste Coding Unit handelt (SCU/smallest CU). Mithin muss sich die Binarisierung, abhängig davon, ob die Coding Unit die kleinste Coding Unit ist oder nicht, unterscheiden.
45
Entgegen der Ansicht der Beklagten verlangt das Klagepatent jedoch nicht, dass die unterschiedliche Binarisierung, mithin die Anwendung unterschiedlicher Binärbäume, davon abhängt, ob der Partitionstyp NxN zugelassen ist, weil nur in diesem Fall die Anwendung des Partitionstyps NxN notwendig ist. Zwar führt das Klagepatent im Hinblick auf verschiedene Ausführungsformen in Absatz [0111] aus, dass der Partitionstyp NxN nicht erforderlich sei, wenn es sich bei der aktuellen Coding Unit nicht um die kleinste Coding Unit handele, denn insofern bestünde die Möglichkeit diese Coding Unit in vier weiter Coding Units, entsprechend des Partitions-Typs NxN zu teilen. Zutreffend geht die Beklagte auch davon aus, dass das Klagepatent in der Beschreibung von Ausführungsbeispielen (bspw. in Absatz [0111] des Klagepatents) die Binarisierung gerade vom Vorliegen der kleinsten Coding Unit abhängt, weil nur in diesem Fall der Partitionstyp NxN zugelassen ist. Diese Ausführungsbeispiele haben jedoch keinen Niederschlag in Anspruch 6 des Klagepatent gefunden. Vielmehr hängt nach Anspruch 6 die Binarisierung lediglich vom Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der kleinsten Coding Unit ab. Entsprechend führt das Klagepatent bspw. in Absatz [0101] allgemein aus, dass die Binarisierung davon abhängt, ob die aktuelle CU die SCU ist oder nicht („The binarization employed as a function of whether or not the current CU is the smallest CU, SCU, or not.“). Soweit die Beklagte der Ansicht ist, der Bezug zur Zulassung des Partitionstyps NxN erfolge im nachfolgenden Satz, verkennt sie, dass lediglich beispielsweise auf den modifizierten Binärbaum in Figur 13 verwiesen wird. Bei diesem ist zwar der Partitionsmodus NxN wiederum nicht zugelassen. Jedoch lässt dies nicht den Umkehrschluss zu, dass die allgemeine Offenbarung im vorangegangenen Satz, dass die Binarisierung davon abhängt, ob eine SCU oder vorliegt oder nicht, insoweit einschränkend dahingehend zu verstehen ist, dass die Binarisierung vom Zulassen des Partitionstyps NxN abhängt.
46
III. Die angegriffenen Ausführungsformen machen vom Gegenstand des Anspruchs 6 unmittelbar Gebrauch.
47
1. Angegriffene Ausführungsform sind die von der Beklagten in Deutschland angebotenen und vertriebenen Videodaten im sog. HEVC-Codec, die durch ein Verfahren nach Anspruch 6 erzeugt wurden.
48
2. Die Beklagte ist passivlegitimiert.
49
a) Die Beklagte bietet die durch ein Verfahren, das Gegenstand des Anspruchs 6 (vgl. sogleich Ziffer 3.), unmittelbar hergestellten Daten an, bringt sie in Verkehr und führt sie zum Anbieten und in Verkehr bringen ein, § 9 S. 2 Nr. 3 PatG.
50
Die Beklagte kodiert in den Vereinigten Staaten von Amerika Videos unter Nutzung des HEVC-Codecs und überträgt die kodierten Videos auf Server in der Bundesrepublik Deutschland. Verantwortlich für die Server ist die … B.V.. Die Endkunden der Beklagten greifen mittels einer Software der Beklagten auf diese Server zu, so dass die HEVC Videodaten an die Endkunden übertragen werden um dort dekodiert und abgespielt zu werden. Dies erfolgt in der Regel mittels Datenstreaming, teilweise auch durch Download der Daten.
51
Soweit die Daten von den Endkunden der Beklagten heruntergeladen und gespeichert werden können, bietet die Beklagte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der … B.V. die nach dem Verfahren nach Anspruch 6 erzeugten Daten in der Bundesrepublik Deutschland an und bringt sie sie auch in Verkehr.
52
Soweit die Beklagte den Endkunden die Daten lediglich im Wege des Streamings zur Verfügung stellt, bietet sie die erzeugten Daten ebenfalls im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der … B.V. an und bringt sie in Verkehr. Denn durch die Möglichkeit des Streamens der Daten erhalten die Nutzer die tatsächliche Verfügungsmacht über die Wiedergabe, mithin über die Benutzung, der Daten. Die auf den Servern gespeicherten Daten können – bei Abschluss eines entsprechenden Vertrags – durch die Endkunden auch beliebig oft abgerufen und abgespielt werden. Insoweit besteht kein Unterschied, ob die Daten auf einer DVD gespeichert sind und mittels eines DVD-Players ausgelesen werden können oder auf einem Server gespeichert sind und mittels Streaming auf den Endgeräten der Nutzer beliebig oft wiedergegebenen werden können.
53
b) Soweit die Klägerin ihre Klageanträge darauf stützt, dass die Beklagte das Verfahren nach Anspruch 6 des Klagepatents in der Bundesrepublik Deutschland ausführt, war die Klage abzuweisen. Denn die Beklagte hat die Behauptung der Klägerin, dass die Beklagte das Verfahren nach Anspruch 6 auch in der Bundesrepublik Deutschland ausführe, bestritten und vorgetragen, sie kodiere die Videoeingangssignale ausschließlich in den Vereinigten Staaten von Amerika. Diesem Vortrag ist die Klägerin nicht mehr entgegengetreten und hat auch keinen Beweis für ihre Behauptung angeboten.
54
2. Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt sich um Videodaten im HEVC-Codec, die durch ein Verfahren nach Anspruch 6 des Klagepatents erzeugt wurden.
55
a) Die angegriffenen Videodaten unterliegen dem Schutz des § 9 S. 2 Nr. 3 PatG. Nach § 9 S. 2 Nr. 3 PatG sind Erzeugnisse, die unmittelbar durch ein patentiertes Verfahren hergestellt sind, so geschützt, als ob sie durch ein Erzeugnispatent unter Schutz gestellt wären. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können unkörperliche Signalfolgen, die – wie vorliegend – für die Übersendung über das Internet geeignete Daten repräsentieren, trotz Fehlens eines körperlichen Substrats (Datenträgers) Sachschutz beanspruchen (BGHZ 158, 142 = GRUR 2004, 495 – Signalfolge; BGH GRUR 2012, 1230 – MPEG-2-Videosignalcodierung).
56
b) Die Parteien streiten ausschließlich um die Verwirklichung der Merkmale 1.5 und die Frage, ob zur Erzeugung der angegriffenen Ausführungsform ein einzelner Binärbaum eingesetzt wird. Die Übrigen Merkmal stehen zu Recht nicht in Streit, denn das von der Beklagte angewandte Kodierverfahren macht hiervon Gebrauch.
57
c) Die von der Beklagten zum Streamen und Download angebotenen Videodaten können mit einem HEVC-Dekoder dekodiert werden und enthalten sowohl P-Slices als auch B-Slices, im Sinne von Merkmal 1.2 wie sich aus der nachfolgend wiedergegeben Auswertung der streitgegenständlichen Videodaten ergibt:
58
d) Die Codierung des Eingangsbitstroms erfolgt klagepatentgemäß durch Einsetzten eines Binärbaumes zum Kodieren eines Codiereinheit-Prädiktionsmodus in einem ersten Syntaxelement und einem Prädiktionseinheit-Partitionsmodus in einem zweiten Syntaxelement.
59
aa) Nach dem ITU-T H.265 Standard, der die Beschaffenheit des Dekoders und des kodierten Bitstroms, den ein standardgemäßer Dekoder lesen können muss, standardisiert, geben die Syntaxelemente „pred_mode_flag“ und „part_mode“ für Kodiereinheiten, die mittels Intra- oder Inter-Prädiktion codiert werden, an, welche der beiden Prädiktionsarten verwendet wurden und wie die Kodiereinheiten in Prediction Units (PU) partioniert wurden.
60
Dabei gibt das Syntaxelement „pred_mode_flag“ mit dem Wert 0 an, dass eine Inter-Prediction verwendet wurde und mit dem Wert 1, dass eine Intra-Prediction verwendet wurde, wie sich aus dem nachfolgend eingeblendeten Abschnitt 7.4.9.5 des ITU-T H.265 Standard ergibt:
61
Das Syntaxelement „part_mode“ wiederum gibt den Partitonierungsmodi der Kodiereinheit an, z.B. 2Nx2N, „2NxN, Nx2N, NxN“. Wie sich aus dem nachfolgend wiedergegebenen Abschnitt 7.4.9.5 des ITU-T H.265 Standards i.V.m. Tabelle 7-10 ergibt:
62
bb) Die standardgemäße Binarisierung der beiden Syntaxelemente ergibt sich aus der nachfolgend wiedergegebenen Tabelle 9.45 des ITU-T H.265 Standards (farbliche Hervorhebungen durch die Parteien):
63
Bei der angegriffenen Ausführungsform kommen nur die beiden gelb markierten Binärbäume zur Anwendung. Denn die „amp_enabled_flag“ ist immer gesetzt, so dass auch die asymmetrischen Partitionsmodi 4 bis 7 zugelassen sind. Zudem ist die minimale Kodierblockgröße („MinCbLog2SizeY“) in der angegriffenen Ausführungsform 8 × 8 Pixel und damit die nach dem HEVC-Standard kleinstmögliche Kodierblockgröße. Bei der angegriffenen Ausführungsform weist die aktuelle CU („log2CbSize“) somit immer die Größe 3 auf.
64
Zwischen den Parteien ist streitig, ob standardgemäß ein einzelner Binärbaum zum Codieren eines Codiereinheit-Prädiktionsmodus in einem ersten Syntaxelement und einem Prädiktionseinheit-Partitionsmodus in einem zweiten Syntaxelement eingesetzt wird oder ob der Standard nicht jeweils einen Binärbaum zum Codieren eines Codiereinheit-Prädiktionsmodus in einem ersten Syntaxelement und einen zweiten Binärbaum zum Codieren eines Prädiktionseinheit-Partitionsmodus in einem zweiten Syntaxelement einsetzt, weil die Binarisierung der beiden Syntaxelemente in unterschiedlichen Binarisierungsverfahren erfolgt.
65
Da es klagepatentgemäß nicht darauf ankommt, dass der einzelne Binärbaum in einem Binarisierungsverfahren binarisiert wird, vielmehr der klagepatentgemäß einzelne Binärbaum Unterbinärbäume aufweisen darf, setzt die angegriffene Ausführungsform den nachfolgend eingeblendeten Binärbaum (mit den rot (Prädiktionsmodus), grün und blau (Partitionsmodus) dargestellten Unterbinärbäumen) zur Binarisierung der beiden Syntaxelemente ein, sofern es sich um die kleinste CU handelt:
66
Dieser Binärbaum entspricht der in Tabelle 9-45 dargestellten Binarisierung, die zum besseren Verständnis mit entsprechender farblicher Markierung (hinzugefügt von der Klägerin) erneut eingeblendet wird:
67
Damit erfolgt die Binarisierung standardgemäß in einem einzelnen Binärbaum im Sinne des Klagepatents, weil die Binarisierung des Partitionsmodus, wie sich aus der ersten Spalte der Tabelle 9-45 ergibt, von der Wahl des Prädiktionsmodus abhängt. Dass der oben dargestellte Binärbaum standardgemäß durch zwei Binarisierungsvorgänge erzeugt wird, ist unerheblich, weil dies durch Anspruch 6 des Klagepatents nicht ausgeschlossen ist.
68
e) Die angegriffene Ausführungsform macht auch von Merkmal 1.5 Gebrauch, weil die Binarisierung davon abhängt, ob die aktuelle CU die kleinste CU ist. Denn wie aus Tabelle 9-45 ersichtlich gibt es zwei Kategorien von „Bin String“. Welcher der beiden Bin Strings Anwendung findet hängt davon ab, ob die aktuelle CU größer als die minimale Codierblockgröße ist oder gleich der minimalen Codierblockgröße.
69
III. Da die übrigen Voraussetzungen einer Patentverletzung zwischen den Parteien zu Recht nicht umstritten sind, stehen der Klägerin die ausgeurteilten Ansprüche zu. Soweit sich die Klageanträge auf das Anwenden des Verfahrens nach Anspruchs 6 beziehen (Antrag Ziffer I.1.b) und rückbezogenen Ansprüche), war die Klage mangels inländischer Benutzungshandlung abzuweisen.
70
1. Die Beklagten sind im tenorierten Umfang zur Unterlassung der patentverletzenden und rechtswidrigen Benutzungshandlungen verpflichtet, Art. 64 Abs. 1, Abs. 3 EPÜ i.V. mit § 139 Abs. 1 Satz 1 PatG.
71
a) Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform besteht Wiederholungsgefahr mit Blick auf die unstreitig gegebenen Tathandlungen. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Beklagte nicht abgegeben.
72
b) Der Anspruch auf Unterlassung ist nicht unverhältnismäßig. Die Inanspruchnahme der Beklagten auf Unterlassung führt aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und des Gebots von Treu und Glauben nicht zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte, § 139 Abs. 1, S. 3 PatG.
73
aa) Die Beklagte meint, der Unterlassungsanspruch sei unverhältnismäßig, weil sie entweder gezwungen sei, den Videostreaming Dienst unter Verwendung des HEVC-Standards einzustellen oder das evident überhöhte Lizenzangebot der Klägerin anzunehmen.
74
bb) Hiernach liegt keine Unverhältnismäßigkeit vor. Die von der Beklagten vorgebrachten Unannehmlichkeiten stellen keine über die typischen Folgen einer Unterlassungsverurteilung hinaus gehende Härte dar, die die Unverhältnismäßigkeit der Unterlassungspflicht begründen könnten, insbesondere, weil die Klägerin unbestritten vorgetragen hat, dass eine nicht patentverletzende Kodierung eines Eingangsvideosignals zur Erzeugung eines HEVC-kompatiblen Ausgangsbitstroms möglich ist, denn der HEVC-Standard setze – anders als das Klagepatent – nicht voraus, dass sowohl ein P-Slice als auch ein B-Slices verarbeitet werden muss.
75
Der Beklagten war daher auch keine Umstellungsfrist einzuräumen, weil die Beklagte bereits vor über zwei Jahren auf die Verletzung des Klagepatents aufmerksam gemacht worden ist und somit hinreichend Zeit gehabt hat eine nicht patentverletzende Alternative zu entwickeln.
76
2. Der ausgesprochene Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
77
a) Der Auskunftsanspruch gemäß Ziffer I. 2. des Tenors ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
78
b) Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
79
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagte wird durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren.
80
3. Da die Beklagte die Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I. 1. zumindest fahrlässig begangen hat, ist sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, Art. 64 Abs. 1, Abs. 3 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
81
Bei Anwendung der im Geschäftsbetrieb erforderlichen Sorgfalt hätte von der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform verletzt wird.
82
Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
83
Der von der Beklagten erhobene kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand greift nicht durch.
84
I. Die Klägerin verfügt aufgrund des Klagepatents nicht über eine marktbeherrschende Stellung.
85
Mit der marktbeherrschenden Stellung iSv Art. 102 AEUV ist die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern und Kunden gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (EuGH NJW 1978, 2439 [2440] – United Brands/Kommission).
86
Eine marktbeherrschende Stellung ergibt sich im Allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen (EuGH NJW 1978, 2439 [2440] – United Brands/Kommission). Dabei kommt der Bestimmung des betroffenen Marktes wesentliche Bedeutung zu (EuGH GRUR Int 1999, 262 = WRP 1999, 167 Rn. 32 – Oscar Bronner/Mediaprint; BGHZ 160, 67 [73] = GRUR 2004, 966 – Standard-Spundfass). Die Bestimmung eines relevanten Angebotsmarkts folgt grundsätzlich dem Bedarfsmarktkonzept. Danach umfasst der relevante Erzeugnis- oder Dienstleistungsmarkt alle Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die sich aufgrund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und mit anderen Erzeugnissen oder Dienstleistungen nur in geringem Maße austauschbar sind (vgl. EuGH GRUR Int 1999, 262 Rn. 33 = WRP 1999, 167 – Oscar Bronner/Mediaprint; BGHZ 160, 67 [73 f.] = GRUR 2004, 966 – Standard-Spundfass). Ist durch eine Industrienorm oder durch ein anderes, von den Nachfragern wie eine Norm beachtetes Regelwerk (De-facto Standard) eine standardisierte, durch Schutzrechte geschützte Gestaltung eines – aus der Sicht der Marktgegenseite nicht durch ein anderes Produkt substituierbaren – Produkts vorgegeben, bildet die Vergabe von Rechten, die potenzielle Anbieter dieses Produkts erst in die Lage versetzen, es auf den Markt zu bringen, regelmäßig einen eigenen, dem Produktmarkt vorgelagerten Markt (BGHZ 160, 67 [74] = GRUR 2004, 966 – Standard-Spundfass; vgl. EuGH GRUR 2004, 524 Rn. 44 = WRP 2004, 717 – IMS Health).
87
Die Annahme eines solchen eigenständigen Lizenzmarkts bedarf damit zunächst der Feststellung, dass es sich um ein standardessenzielles Patent handelt, also die Benutzung der patentgeschützten Lehre für die Umsetzung eines (von einer Standardisierungsorganisation normierten oder auf dem Markt durchgesetzten) Standards unerlässlich ist (BGHZ 160, 67 [74] = GRUR 2004, 966 – Standard-Spundfass), so dass es in der Regel technisch nicht möglich ist, diese zu umgehen, ohne für den Produktmarkt wichtige Funktionen einzubüßen (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 Rn. 49 = WRP 2015, 2783 – Huawei/ZTE).
88
Bei dem Klagepatent handelt es sich nicht um ein standardessenzielles Patent. Gegenstand des Klagepatents ist ein Verfahren zum Betreiben eines Enkoders, zum Erzeugen eines Ausgangsbitstroms. Das klagepatentgemäße Verfahren setzt dabei voraus, dass zum Erzeugen des Bitstroms wenigstens ein P-Slice und ein B-Slice verarbeitet werden. Die Klägerin stützt sich für die Darlegung der Patentverletzung auch auf den ITU-T H.265 Standard. Dieser befasst sich mit der Beschaffenheit des Dekoders und des kodierten Bitstroms, den ein standardgemäßer Dekoder lesen können muss. Zwar kennt der ITU-T H.265 Standard auch die Verwendung von P-Slices und B-Slices, jedoch setzt dieser nicht voraus, dass sowohl P-Slices als auch B-Slices kodiert werden. Vielmehr ist es – wie die Klägerin unbestritten vorgetragen hat – bei der Kodierung des Eingangsvideosignals möglich nur B-Slices oder P-Slices zu verarbeiten, um einen Ausgangsbitstrom zu erzeugen, der von einem Dekoder nach dem ITU-T H.265 Standard gelesen werden kann. Damit ist die Benutzung der patentgeschützten Lehre für die Erzeugung eines standardkompatiblen Bitstroms nicht unerlässlich. Entsprechend hat sich die Klägerin zum Nachweis, dass die Beklagte sowohl einen B-Slice als auch einen P-Slice verarbeitet nicht auf die Beschreibung des ITU-T H.265 Standards gestützt, sondern die angegriffenen Videodaten ausgewertet.
89
Dass die Kodierung von B-Slices und P-Slices für die Umsetzung eines (nicht standardisierten) auf dem Markt durchgesetzten Standards erforderlich ist, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
90
Mithin fehlt es an einer marktbeherrschenden Stellung.
91
II. Die Beklagte kann sich für den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand auch nicht auf die von der … Corp. abgegebene FRAND-Erklärung berufen. Denn diese bezieht sich nur auf standardessentielle Patente. Wie dargelegt, handelt es sich bei dem Klagepatent indes nicht um ein standardessentielles Patent und es wurde – unabhängig davon, welche Wirkung eine solche Erklärung entfaltet – auch weder von der Klägerin noch von der Broadcom Corp. gegenüber der Standardisierungsorganisation als solches deklariert.
92
Zu einer Aussetzung des vorliegenden Verletzungsrechtsstreits (§ 148 ZPO) bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die von der … … B.V. gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage besteht keine Veranlassung.
93
Für den Patentverletzungsprozess ist anerkannt, dass eine Aussetzung in erster Instanz nur dann gerechtfertigt ist, wenn mit erheblicher Wahrscheinlichkeit von einem Widerruf oder einer Nichtigerklärung des Klagepatents ausgegangen werden kann (BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; BGH GRUR 2014, 1237 Rn. 4 – Kurznachrichten). Eine solche hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht vorliegend nicht.
94
I. Das Klagepatent nimmt die Priorität der … formell wirksam in Anspruch. Die von der von der Anmelderin des Klagepatents personenverschiedenen Anmelder der ersten Prioritätsanmeldung haben die Rechte an den Prioritätsanmeldungen vor dem Anmeldetag des Klagepatents auf die Anmelderin übertragen (Anlage K 25).
95
II. Das Klagepatent ist gegenüber den Prioritätsanmeldungen und der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht unzulässig erweitert. Das Klagepatent nimmt die materielle Priorität der … vom 27.09.2011 wirksam in Anspruch.
96
1. Die Beklagten sind der Ansicht, das Klagepatent nehme die Priorität der NK 4 und NK 5 zu Unrecht in Anspruch und sei auch gegenüber der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung unzulässig erweitert, weil Merkmal 1.5 in Verbindung mit den weiteren Anspruchsmerkmalen nicht offenbart sei (3.a)). Darüber sei auch nicht offenbart, dass ein single binary tree aus zwei separaten Binärbäumen, denen zwei Binarisierungsprozesse zugrunde liegen, bestehen könne (3.b)). Hinsichtlich der Abhängigkeit der Binarisierung von der SCU, ohne dass es auf die Zulassung des Partitionsmodus NxN ankomme, liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor (3.c)).
97
2. Bei der Anmeldung eines europäischen Patents kann das Prioritätsrecht einer vorangegangen Anmeldung nach Art. 87 I EPÜ in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen. Dieselbe Erfindung liegt vor, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist. Dabei ist die Offenbarung des Gegenstandes der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt, vielmehr ist dieser aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.
98
Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung, d.h. es ist erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen „unmittelbar und eindeutig“ als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann. Hierbei hat die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter, die eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zu Grunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen, also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken.
99
Bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts können auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen werden. Danach ist ein „breit“ formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung – sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen – als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist. Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (BGH GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal m.w.N.).
100
Nach vergleichbaren Maßgaben ist die Prüfung vorzunehmen, ob der Gegenstand der Erfindung im Prioritätsdokument identisch offenbart ist. Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal).
101
3. Danach kann die Klägerin die Priorität der NK 4 und der NK 5 in Anspruch nehmen. Auch liegt keine unzulässige Erweiterung gegenüber der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (Anlage B 2 (Inc)).
102
Die relevanten Beschreibungsstellen in der NK 4 und der NK 5 sind identisch und finden sich auch in der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (Anlage B 3) wieder. Im nachfolgenden wird daher allein auf die früheste Prioritätsschrift (Anlage NK 5) Bezug genommen. Die Ausführungen gelten jedoch identisch auch für die Inanspruchnahme der Priorität der NK 4 und hinsichtlich der gerügten unzulässigen Erweiterung gegenüber der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.
103
a) Die NK 5 offenbart Merkmal 1.5 in Verbindung mit den weiteren Anspruchsmerkmalen.
104
Zunächst entnimmt der Fachmann dem Anspruch 1 der NK 5, dass Gegenstand der in der NK 5 offenbarten Erfindung, die Verwendung eines einzigen Binärbaums für die Verarbeitung von P-Slices und B-Slices zum Erzeugen eines Ausgangsbitstroms ist. Weiter entnimmt der Fachmann der Beschreibung der NK 5 (S. 16, Zeile 44 bis Seite 17, Zeile 1), dass der CU-Prädiktionsmodus und der PU-Partitionsmodus sowohl für P-Slices als auch für B-Slices in separaten Syntaxelementen kodiert werden können. Daher erkennt der Fachmann, dass das auf S. 16 der Beschreibung der NK 5 beschriebene Ausführungsbeispiel sich auch auf die Verwendung eines Binärbaumes bezieht. Insbesondere deshalb, weil in der NK 5 zuvor ausdrücklich beschrieben wurde, dass das Kodieren in ein einziges Syntaxelement für B-Slices und das Kodieren in zwei separate Syntaxelemente für P-Slices einen nachteiligen Verarbeitungsaufwand mit sich bringt und daher, mit Verweis auf Figur 11 (entspricht Figur 14 des Klagepatents), vorgeschlagen wird, denselben Binärbaum für P-Slices und B-Slices zu verwenden, um den CU-Prädiktionsmodus und den PU-Partitionsmodus in ein einziges Syntaxelement zu kodieren. Da – wie oben bereits zu Figur 14 ausgeführt und der NK 5 auf S. 15 in den Zeilen 37 bis 39 ebenfalls ausdrücklich zu entnehmen ist – der Fachmann erkennt, dass in Figur 11 der NK 5 bzw. Figur 14 des Klagepatents keine zwei Syntaxelemente kodiert werden, versteht der Fachmann, dass sich auch das nachfolgende Ausführungsbeispiel, dass eine Kodierung des CU-Prädiktionsmodus und der PU-Partitionsmodus sowohl für P-Slices als auch für B-Slices in separaten Syntaxelementen offenbart, sich auch auf das Einsetzten eines einzelnen Binärbaumes bezieht, um den zuvor beschriebenen nachteiligen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Damit offenbart die NK 5 das Einsetzten eines einzelner Binärbaums zum Kodieren des CU-Prädiktionsmodus und der PU-Partitionsmodus sowohl für P-Slices als auch für B-Slices in separaten Syntaxelementen eindeutig und unmittelbar.
105
Dass die Binarsierung dabei vom Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der SCU abhängt, offenbart die NK 5 auf S. 14, Z. 28 und 29. Dort wird allgemein im Hinblick auf die erfindungsgemäße Binarisierung – ohne Bezug auf B-Slices – ausgeführt, dass die Binarisation davon abhängt, ob die aktuelle CU die kleinste CU ist oder nicht („The binarization employed as a function of whether or not the current CU is the smallest CU, SCU, or not.“). Soweit die Beklagte der Ansicht ist, dass sich diese Offenbarungsstelle nur auf B-Slices bezieht, ist ihr zwar insoweit zuzugeben, dass sich die vorangegangenen Ausführungen der NK 5 lediglich auf B-Slices beziehen. Die in Bezug genommene Offenbarungsstelle hingegen ist hierauf nicht beschränkt.
106
b) Soweit die Beklagte der Ansicht ist, es sei nicht hinreichend offenbart, dass ein single binary tree aus zwei separaten Binärbäumen, denen zwei Binarisierungsprozesse zugrunde liegen, bestehen könne, ergibt sich dieses Verständnis für den Fachmann, wie oben erläutert, insbesondere aus Absatz [0112] des Klagepatents in Verbindung mit den Figuren 13 und 14. Diese Beschreibungsstelle und die Figuren finden sich identisch in der NK 5 wieder.
107
c) Entgegen der Ansicht der Beklagten offenbart die NK 5 die Abhängigkeit der Binarisierung nicht nur im Zusammenhang mit der Zulassung des Partitionierungstyps NxN. Denn insoweit offenbart die NK 5 auf S. 14, Z. 28 und 29 allgemein im Hinblick auf die erfindungsgemäße Binarisierung, dass die Binarisation davon abhängt, ob die aktuelle CU die kleinste CU ist oder nicht („The binarization employed as a function of whether or not the current CU is the smallest CU, SCU, or not.“). Soweit die Beklagte der Ansicht ist, dies geschehe wiederum nur mit der Zulassung des Partitionstyps NxN, weil insoweit auf die Figur 13 verwiesen werde, ist dies unzutreffend. Denn anders als die Beklagte meint, offenbart der nachfolgende Satz lediglich beispielsweise ein Ausführungsbeispiel, ohne die vorangegangen Ausführungen hierauf beschränken zu wollen („For example, if the smallest CU, or SCU, is not employed, then the binarization and may be employed using the modified binary tree described below with respect to FIG. 13.“).
108
III. Soweit die Belklagte ihren Neuheitsangriff auf die D 1 und D 2 stützt, handelt es sich – da die Priorität wirksam in Anspruch genommen wurde – nicht um relevanten Stand der Technik.
109
IV. Das Klagepatent ist auch im Hinblick auf die D4 bzw. die D4 i.V.m. der D3 rechtsbeständig, denn die D4 offenbart gerade nicht die Codierung von zwei Syntaxelementen mittels eines Binärbaumes, sondern lediglich – wie die Figur 14 des Klagepatents – die Kodierung eines Syntaxelements mittels eines Binärbaumes. Denn wird bspw. das Syntaxelement der D4 mit dem Wert „1“ kodiert, wird mit dieser Kodierung sowohl der Prediktionsmodus „inter“ als auch der Partitionsmodus 2Nx2N angegeben. Mithin erfolgt die Kodierung der beiden Modi mittels eines einzigen Syntaxelements und nicht mittels zwei unterschiedlichen Syntaxelementen.
110
V. Unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls übt die Kammer das ihr eingeräumte Ermessen dahingehend aus, das Verfahren weder wegen der behaupteten neuheitsschädlichen Vorwegnahme der klagepatentgemäßen technischen Lehre durch die aufgeführten Entgegenhaltungen noch wegen der geltend gemachten unzulässigen Erweiterung auszusetzen.
111
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
112
II. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
113
Mangels schlüssigen Sachvortrag der Beklagten zum drohenden Vollstreckungsschaden hat die Kammer die Höhe der Sicherheitsleistung gem. § 709 S. 1 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen entsprechend dem Antrag der Klägerin festgesetzt (OLG-Düsseldorf GRUR-RR 2012, 304).
114
Soweit die Beklagte den drohenden Vollstreckungsschaden anhand des Gewinns aus den von ihr angebotenen Premium-Mitgliedschaften berechnet, lässt sich die Berechnung des drohenden Vollstreckungsschadens hierauf nicht stützen. Hierbei kann unterstellt werden, dass nur den Abonnenten einer Premium-Mitgliedschaft Video-Inhalte in der höchsten Auflösung, die eine Kodierung der Video-Daten unter Verwendung des HEVC-Standards erfordert, zur Verfügung stehen. Eine Vollstreckung des Unterlassungstitel führt, entgegen der Ansicht der Beklagten, jedoch nicht dazu, dass die Beklagte zwingend keine Premium-Mitgliedschaft mehr anbieten kann. Denn – wie oben dargelegt – lassen sich HEVCkompatible Bitströme, mithin Video-Inhalte in höchster Auflösung, auch ohne Nutzung des Klagepatents erzeugen, so dass bereits die Annahme der Beklagten, sie könne bei Vollstreckung des Unterlassungstitels keine Video-Inhalte anbieten, die nach dem HEVC-Standard kodiert sind, unzutreffend ist. Entsprechend ist auch die Schlussfolgerung unzutreffend, dass sie daher ihre Premium-Mitgliedschaft nicht mehr anbieten und daher auch keinen entsprechenden Umsatz bzw. Gewinn machen könne.