Inhalt

LG München I, Endurteil v. 28.07.2023 – 37 O 14809/22
Titel:

Unzulässige Verpackungsangaben zum Proteingehalt eines Lebensmittels

Normenketten:
UWG § 3, § 3a
VO (EU) Nr. 1169/2011 Art. 7 Abs. 1a Abs. 2, Art. 30 Abs. 3
Leitsatz:
Es verstößt gegen § 3a UWG in Verbindung mit Art. 30 Abs. 3 VO (EU) Nr. 1169/2011, wenn auf einer Lebensmittelverpackung - hier auf dem Deckel einer Milchreisverpackung - der Proteingehalt in Gramm getrennt von der Nährwerttabelle angegeben wird. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
nährwertbezogene Angaben
Rechtsmittelinstanz:
OLG München vom -- – 6 U 3363/23e
Fundstellen:
WRP 2023, 1276
LMuR 2023, 508
LSK 2023, 25743
GRUR-RS 2023, 25743

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, die Ordnungshaft jeweils zu vollstrecken an den Geschäftsführern der Komplementärs-GmbH, zu unterlassen,
den Proteingehalt eines Lebensmittels auf der Fertigpackung in Gramm getrennt anzugeben, und zwar wie nachstehend geschehen:
Deckelfolie:
Seitenetiketten:
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 374,50 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.02.2023 zu bezahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, in seiner Ziffer 1. jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 27.500,00 €, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

1
Der klagende Verein nimmt die Beklagte auf Unterlassung von Geschäftspraktiken nach dem UWG in Anspruch.
2
Der Kläger ist ein eingetragener Verein zur Förderung gewerblicher Interessen, insbesondere zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Zu seinen über 2.000 Mitgliedern zählen u.a. die Industrie- und Handelskammern sowie die meisten Handwerkskammern. Er ist in die Liste gem. § 8 b) Abs. 2 UWG eingetragen.
3
Die Beklagte ist einer der deutschlandweit führenden milchverarbeitenden Lebensmittelhersteller und vertreibt einen Milchreis als Fertigprodukt mit folgender Produktaufmachung:
Deckelfolie:
Seitenetiketten:
4
Der Kläger meint, die werbliche Anpreisung der Nährstoffmenge von Protein alleine auf der Deckelfolie und dem Seitenetikett sei unzulässig. Der europäische Gesetzgeber habe eine solche Kennzeichnungspraxis als verwirrend eingestuft und ausdrücklich verboten. In Art. 30 Abs. 3 LMIV habe der Gesetzgeber die bereits aus Nr. 41 der Erwägungsgründe der VO lesbaren Entscheidung getroffen, dass andere als dort gelistete Einzelangaben aus der Nährwertdeklaration nicht getrennt angegeben und damit verwirrend pointiert werden dürfen. Ein Rosinenpicken lediglich der vorteilhaften Nährwerte sei gerade nicht zulässig. Die isolierte Angabe „14g Protein“ indes sei auch keine durch die HCVO freigezeichnete zulässige Angabe und damit unzulässig. Freigezeichnet und zulässig sei nur „hoher Proteingehalt“.
5
Der Kläger beantragt,
I. Der Beklagten wird verboten, den Proteingehalt eines Lebensmittels auf der Fertigpackung in Gramm getrennt anzugeben, und zwar wie nachstehend geschehen.
[Produktabbildungen wie vorstehend bereits dargestellt].
II. Der Beklagten wird für jeden Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung gem. oben I. ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren (Haft zu vollziehen am jeweiligen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH) angedroht.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 374,50 € zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
6
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
7
Sie ist der Auffassung, die Angabe „14G PROTEIN“ auf der Deckelfolie ergänze und erläutere die in unmittelbarer Nähe und gleicher branchentypischer Farbgebung zu findende Angabe „HIGH PROTEIN“. Der interessierte Verbraucher werde so darüber informiert, was „HIGH PROTEIN“ in diesem Zusammenhang konkret bedeute. Zudem verweist sie auf einen Beschluss des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (ALS) aus dem Jahr 2020 (Anlage B4), der nach ihrer Ansicht ein solches Verhalten für zulässig befunden hätte.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.07.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
10
Hinsichtlich Ziffer 1. des Urteils ergibt sich der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 1, 3a) UWG i.V.m. Art. 30 Abs. 3 VO (EU) 1169/2011 (LMIV) sowie Art. 7 Abs. 1 a), Abs. 2 VO (EU) 1169/2011 (LMIV).
11
Gemäß Art. 30 Abs. 3 VO (EU) 1169/2011 (LMIV) dürfen auf einem vorverpackten Lebensmittel die in der gemäß Absatz 1 in der Nährwertdeklaration verpflichtend zu tätigenden Angaben nur isoliert wiederholt werden, wenn es sich um den Brennwert oder den Brennwert zusammen mit den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz handelt. Die Wiederholung weiterer in der Nährwertdeklaration zu tätigenden Angaben ist folglich nicht zulässig (MAH GewRS, § 30 Lebensmittelrecht Rn. 109, beck-online). Dies ergibt sich auch aus dem Erwägungsgrund Nr. 41 zur VO (EU) 1169/2011 (LMIV):
12
Damit die Informationen zum Nährwert den Durchschnittsverbraucher ansprechen und den Informationszweck erfüllen, für den sie eingeführt werden, sollten sie – in Anbetracht der derzeitigen Kenntnisse über das Thema Ernährung – einfach und leicht verständlich sein. Es kann den Verbraucher verwirren, wenn ein Teil der Informationen zum Nährwert im allgemeinen als Packungsvorderseite bekannten Hauptsichtfeld und ein Teil auf einer anderen Packungsseite, wie z.B. der Packungsrückseite steht. Deshalb sollten alle Bestandteile der Nährwertdeklaration im selben Sichtfeld stehen. Ferner können auf freiwilliger Basis die wichtigsten Bestandteile der Nährwertdeklaration ein weiteres Mal im Hauptsichtfeld erscheinen, damit die Verbraucher die wesentlichen Informationen zum Nährwert beim Kauf von Lebensmitteln leicht sehen können. Es könnte den Verbraucher verwirren, wenn frei gewählt werden kann, welche Informationen ein weiteres Mal erscheinen. Deshalb ist es notwendig zu präzisieren, welche Informationen ein weiteres Mal erscheinen dürfen.
13
Da Eiweiß zu den in der Nährwertdeklaration zwingend zu tätigenden Angaben gemäß Art. 30 Abs. 1 S. 1 b) VO (EU) 1169/2011 (LMIV) gehört, darf dessen Angabe auf der Vorverpackung des Lebensmittels – auch auf dem Hauptsichtfeld – nach der LMIV nicht isoliert 1924/2006 (HCVO) erfasst Proteine dem allgemeinen Sprachgebrauch und medizinischer Fachsprache entsprechend rechtlich ausdrücklich als Nährwerte. Nährwerte sind jedoch keine nährwertbezogenen Angabe, sondern eine reine Beschaffenheitsangabe (Sosnitza/Meisterernst, LebensmittelR, VO (EG) 1924/2006 Art. 2 Rn. 36, beck-online, anhand des Beispiels von Kohlenhydraten).
14
Im Übrigen haben die absoluten Angaben „14g Protein*“ beziehungsweise „14g Protein pro Becher“ für den Verbraucher auch nicht voraussichtlich dieselbe Bedeutung wie die Angabe „hoher Proteingehalt“. Wie aus dem Anhang zur VO (EU) 1924/2006 (HCVO) ersichtlich, bedeutet hoher Proteingehalt, dass mindestens 20 % des gesamten Brennwerts des Lebensmittels auf Proteine entfallen. Bei der streitgegenständlichen Angabe wird der Proteingehalt jedoch nicht in Relation zum Brennwert gesetzt. Die Information „14g Protein“ lässt nicht den zwingenden Schluss auf einen „hohen Proteingehalt“ im Sinne des Anhangs zur VO (EU) 1924/2006 (HCVO) zu, sodass der Verbraucher sie auch nicht als Synonym hierzu verstehen kann. Daher stellen die Angaben „14g Protein*“ beziehungsweise „14g Protein pro Becher“ trotz der räumlichen Nähe und gleichen farblichen Gestaltung keine Erläuterung des Begriffs hoher Proteingehalt, sondern eine darüber hinausgehende Angabe dar.
15
Die Rechtsansicht im Beschluss des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (ALS) aus dem Jahr 2020 (Anlage B4) wird, soweit in diesem ausgeführt wird, dass die Angabe eines einzelnen Nährstoffgehalts in Verbindung mit einer zugelassenen nährwertbezogenen Angabe nicht als Wiederholung eines Nährwertes angesehen werden kann, von der vorstehenden Kammer in dieser Absolutheit nicht geteilt und besitzt auch keine rechtliche Bindungswirkung.
16
Der vorliegende Verstoß gegen Art. 30 Abs. 3 VO (EU) 1169/2011 (LMIV) ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen. Der Annahme eines wettbewerbsrechtlich irrelevanten Bagatellverstoßes steht entgegen, dass durch die streitgegenständliche Gestaltung der Verpackung die nicht unerhebliche Gefahr der Irreführung der Verbraucher besteht, indem deren Blick ausschließlich auf die Angaben auf der Deckelfolie fällen könnte und hierdurch wesentliche Informationen unterbleiben oder es bei einer weiteren Auseinandersetzung mit den weiteren Nährwerten auf den Seitenetiketten zu einer Verwirrung von diesen führt, wovon die LMIV – wie aus deren Erwägungsgrund Nr. 41 ersichtlich – in solchen Fällen ausgeht.
17
Die Spürbarkeit bei Verstößen gegen Vorschriften, die, wie die LMIV, dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen, ist im Übrigen ohnehin zu vermuten (KG GRUR 2019, 119, beck-online; KG LMuR 2020, 74, beck-online).
18
Weiterhin ist die streitgegenständliche absolute und von der Nährwertdeklaration getrennte Angabe „14g Protein*“ auf der Deckelfolie auch irreführend im Sinne des Art. 7 Abs. 1 a), Abs. 2 VO (EU) 1169/2011 (LMIV), da der Sternchen-Hinweis weder direkt auf der Deckelfolie, noch auf den Seitenetiketten aufgelöst wird (so für einen vergleichbaren Fall auch LG Bamberg, GRUR-RS 2021, 56999, beck-online mit der ähnlichen nachstehenden Begründung).
19
Gemäß Art. 7 Abs. 1 a) VO (EU) 1169/2011 (LMIV) dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung. Vielmehr müssen sie gemäß Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 1169/2011 (LMIV) zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein. Der Sternchen-Hinweis wird auf dem Produkt nicht aufgeklärt. Es findet sich kein Hinweis darauf, ob die Angabe Protein 14 g sich auf eine Portion (mit welcher Größe?) oder auf einen Referenzwert (mit welchem Basiswert?) bezieht.
20
Es ist auch dem Verbraucher nicht zuzumuten, sich über die angegebene Nährwerttabelle diesen Wert zu erschließen. Bei vergleichender Betrachtung mit dem Lauterkeitsrecht findet dieses Ergebnis eine Stütze. Ein üblicher Weg für eine rechtlich gebotene Aufklärung in der Werbung sind deutliche Sternchen-Hinweise. Die Durchschnittsverbraucher sind diese gewohnt und werden sie bei neuartigen Angeboten auch zur Kenntnis nehmen. Ein Sternchen-Hinweis muss jedoch klar und unmissverständlich, gut lesbar und grundsätzlich vollständig sein. Er muss der klarzustellenden Aussage räumlich zugeordnet sein (Gloy/Loschelder/Danckwerts, Wettbewerbsrecht, § 59 Randziffer 96). Diesen Anforderungen wird ein nicht aufgelöster Sternchen-Hinweis nicht gerecht. Die Angabe auf den Seitenetiketten „14g pro Becher“ ist derweil als selbstständige erneute Angabe zu sehen. Einen vorangestellten Stern zur Auflösung trägt sie nicht. Bei flüchtiger Betrachtung wird der Verbraucher zudem wegen der identischen grafischen Darstellung dort die Auflösung des Sternchen-Hinweises nicht erwarten, da er lediglich von einer Wiederholung der gemachten Aussage ausgehen wird.
II.
21
Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die aus obigen Gründen berechtigte Abmahnung folgt aus § 13 Abs. 3 UWG. Die Geldforderung ist gemäß § 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen.
III.
22
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO. Der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.