Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 21.07.2023 – 3 U 889/23
Titel:

Selbstwiderlegung des Eilbedürfnisses bei auf Verletzung von Geschäftsgeheimnissen gestützten Eilantrag

Normenketten:
GeschGehG § 6
ZPO § 935, § 940
Leitsatz:
Eine Dringlichkeitsvermutung besteht für Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG zwar nicht, die Vorschrift des § 12 Abs. 1 UWG ist nicht analog anwendbar. Bei Ansprüchen aufgrund der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen ergibt sich der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund jedoch regelmäßig aus der Sache selbst. (amtl. Ls. aus Hinweisbeschluss) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Einstweiliger Rechtsschutz
Vorinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 06.07.2023 – 3 U 889/23
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 21.03.2023 – 3 HK O 7178/22
Fundstellen:
LSK 2023, 24992
GRUR-RR 2024, 225
GRUR-RS 2023, 24992

Tenor

1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21.03.2023, Aktenzeichen 3 HK O 7178/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21.03.2023, Aktenzeichen 3 HK O 7178/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Auch unter Berücksichtigung der Einwände in der Gegenerklärung hält der Senat an seiner im vorausgegangenen Hinweis geäußerten Einschätzung fest, dass die Vermutung für das Bestehen der Dringlichkeit nach Würdigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls widerlegt ist.
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1. Der in der Gegenerklärung vorgebrachte Sachverhalt im Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth stehen dieser Einschätzung nicht entgegen. Die ungesicherte Verfügungsklagepartei muss auch dann in der Berufungsinstanz so agieren, dass sie möglichst bald die von ihr begehrte einstweilige Verfügung erreicht, wenn in der ersten Instanz u.a. durch Richterwechsel und -krankheit zwischen Verfügungsantrag und abweisendem Urteil zweieinhalb Monate liegen.
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2. Die in der Gegenerklärung geäußerten Umstände genügen nicht, um das Beantragen und vollständige Ausschöpfen der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat als nicht dringlichkeitsschädlich anzusehen.
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a) In rechtlicher Hinsicht führt die Verfügungsklägerin zutreffend aus, dass ausnahmsweise besondere Umstände wie außergewöhnliche Schwierigkeiten bei der Tatsachenermittlung, Erkrankung des Prozessbevollmächtigten oder besondere rechtliche Probleme trotz Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist den Fortbestand der Dringlichkeit rechtfertigen können (OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.11.2017 – 3 U 1206/17, BeckRS 2017, 153630, Rn. 14). Die Voraussetzungen dafür sind jedoch außergewöhnlich hoch. So kann ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Hinblick auf die Notwendigkeit, einem erst in der Berufungsinstanz eingeschalteten Patentanwalt eine Einarbeitung zu ermöglichen, dann unschädlich sein, wenn erst das erstinstanzliche Urteil der Verfügungsklägerin Anlass gab, einen ausgewiesenen Spezialisten einzuschalten (OLG Bremen, NJOZ 2012, 846 – Energiekontor). Im Falle einer Erkrankung oder auch Arbeitsüberlastung ist umgehend für Vertretung zu sorgen; es ist auch zu erwarten, dass notfalls weniger eilbedürftige Sachen zurückgestellt werden (KG Berlin, Urteil vom 07.05.1999 – 5 U 720/99, juris-Rn. 12). Selbst bei Vorliegen besonderer Umstände ist der Berufungsführer gehalten, die Begründung der Berufung wenige Tage nach Beginn der gewährten Fristverlängerung nachzuholen (vgl. OLG Frankfurt WRP 2013, 385 Rn. 12).
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b) Gemessen an diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall durch den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat im Schriftsatz vom 15.05.2023 und das Ausschöpfen dieser Frist der Verfügungsgrund zu verneinen.
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aa) In diesem Zusammenhang ist zum einen zu berücksichtigen, dass – wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt – die Verfügungsklägerin den einmonatigen Fristverlängerungsantrag mit Arbeitsüberlastung ihres Prozessbevollmächtigten begründete. Der Prozessbevollmächtigte hat jedoch die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich nicht auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung berufen.
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bb) Zum anderen ist zu beachten, dass die Verfügungsklägerin selbst vorträgt, dass ihr Prozessbevollmächtigter in der Zeit vom 15.05.2023 bis zum 22.05.2023 urlaubsabwesend war. Es ist jedoch zu erwarten, dass während des Laufs einer Berufungs(begründungs) frist eines Verfügungsverfahrens für Vertretung zu sorgen ist (immerhin sind auf dem Briefkopf der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin insgesamt 14 Rechtsanwälte aufgeführt) oder notfalls weniger eilbedürftige Sachen zurückgestellt werden.
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Soweit die Verfügungsklägerin in diesem Zusammenhang vorträgt, dass es keinem Kollegen der Kanzlei möglich gewesen sei,
„sich kurzfristig in den vorgenannten Sachverhalt einzuarbeiten, um dann schließlich innerhalb von acht (8) Werktagen bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist einen Schriftsatz zu formulieren“, ist darauf hinzuweisen, dass das streitgegenständliche Urteil des Landgerichts bereits am 21.03.2023 verkündet und den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin am 22.03.2023 zugestellt wurde. Seit diesem Zeitpunkt war der Verfügungsklägerin somit bekannt, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen wurde. Darüber hinaus wies das Landgericht bereits vor diesem Zeitpunkt – nämlich in der mündlichen Verhandlung vom 08.03.2023 – darauf hin,
„dass nach vorläufiger Einschätzung der Antrag derzeit eher geringe Aussicht auf Erfolg haben dürfte, da der Vorsitzende aufgrund der vorgelegten Unterlagen nicht beurteilen kann, ob die kopierten Daten geheimhaltungsbedürftig sind. Insbesondere ist allein aufgrund der Anlagen nicht ersichtlich, was Inhalt dieser Dateien ist.“
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Das Ende der Berufungsbegründungsfrist am 22.05.2023 kam daher keinesfalls überraschend, sondern der Verfügungsklägerin war schon 11 Wochen vorher bekannt, dass und aus welchem Grund das Landgericht die einstweilige Verfügung nicht erlassen wird.
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cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Verfügungsklägerin, dass die Fristverlängerung wegen der Notwendigkeit einer ausführlichen Aufarbeitung des zugrunde liegenden streitgegenständlichen Sachverhalts zwingend erforderlich gewesen sei. Dieses Vorbringen genügt nicht den hohen Voraussetzungen, welche an die außergewöhnlichen Schwierigkeiten bei der Tatsachenermittlung gestellt werden, damit sie eine beantragte und ausgeschöpfte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat als nicht dringlichschädlich ansehen.
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(1) Das Landgericht hatte vorliegend den Verfügungsanspruch verneint, weil die Verfügungsklägerin nicht glaubhaft gemacht habe, dass es sich bei den streitgegenständlichen Dateien um Informationen handele, welche weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich seien. Darüber hinaus liege hinsichtlich lit. b) und c) des Antrags keine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr vor, da nicht behauptet worden sei, dass der Berufungsbeklagte die heruntergeladenen Dateien bereits genutzt hat, einem Dritten zur Nutzung überlassen, offengelegt hat oder offenlegen hat lassen.
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Bereits aus den zugrundeliegenden Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils ergibt sich, dass die Berufungsangriffe keine derart umfassenden Sachverhaltsermittllungen erforderlich machten, dass dies nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist – zumindest vor dem Hintergrund des Beweismaßes der § 936, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO und bei Hintenanstellen der Bearbeitung anderer Verfahren ohne Eilcharakter – möglich wäre. Es ergibt sich aus den maßgeblichen Erwägungen des Landgerichts keine Situation, die mit der Notwendigkeit der Einarbeitung eines Patentanwalts oder anderer außergewöhnlicher Umstände, aufgrund der ausnahmsweise die Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung als unproblematisch anzusehen ist, vergleichbar ist. Kein in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Umstand ist die Schwierigkeit der Rechtsmaterie des Geschäftsgeheimnisgesetzes an sich, da dies zum einen der Verfügungsklägerin bereits bei Einreichung des Verfügungsantrags bekannt war und zum anderen der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin u.a. Fachanwalt für Informationstechnologierecht ist und als Tätigkeitsschwerpunkt u.a. das Wettbewerbs- und IT-Recht angegeben hat.
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(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Verfügungsklägerin in der Gegenerklärung. Sie trägt darin zur Notwendigkeit der umfassenden Aufarbeitung des zugrunde liegenden streitgegenständlichen Sachverhalts wie folgt (auszugsweise) vor:
Im Rahmen der Berufungsbegründung wurden nunmehr alle sich hinter den 2.947 Dateien befindlichen Geschäftsgeheimnisse mittels einer extra gebrannten CD an das OLG übersendet. […] Im Rahmen der Berufungsbegründung wurde, ebenso wie im Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zunächst die Gesamtheit der 2.947 Dateien dargestellt und die Art und Weise, wie diese überhaupt im Rahmen einer Excel Tabelle visualisiert werden können. Bereits dieser Umstand musste ausführlich ausgearbeitet werden, da hinter diesen 2.947 Dateien ein Datenvolumen von 2,2 GB steht. Diese Daten wurden dann im Rahmen nachvollziehbarer Ordnerstrukturen ausgewertet und für das OLG Nürnberg in Form gebracht. […] Diesbezüglich musste noch einmal ausführlich dazu vorgetragen werden, dass es sich bei diesen 3.947 Dateien bei jeder einzelnen Datei, ebenso wie bei der Gesamtheit der Dateien, um Geschäftsgeheimnisse handelt. Dieser Umstand wurde ausführlich dargelegt und bewiesen, nachdem das Landgericht diesen Umstand verneint und sogar eine allgemeine Bekanntheit der zugrunde liegenden geheimen Informationen behauptete. […] Hätte das Landgericht Nürnberg alle ausgetauschten Schriftsätze und Schreiben der gegnerischen Prozessbevollmächtigten, ebenso wie das Verhalten im Rahmen der mündlichen Verhandlung rekapituliert, so hätte das Landgericht Nürnberg nicht angenommen, dass es sich bei den nicht bestrittenen Dateien, um allgemein bekannte Tatsachen gehandelt hat die dann explizit seitens der Antragstellerin noch einmal ausführlich aufgearbeitet und ausgearbeitet werden mussten. […] Des Weiteren wurde seitens der Antragstellerin im Rahmen der Berufungsbegründung dargestellt und bewiesen, dass Wärmeschutz, Feuchteschutz und Hitzeschutz einer Fertigfassade durchaus als geheime Informationen anzusehen sind, auch wenn diese Information nicht von der Antragstellerin, sondern von der Generalunternehmerin, der Firma s. als Dokument begründet wurde. […] Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Unterfertigten bereits im Rahmen des Antrags auf Erlass der Einstweiligen Verfügung mitgeteilt haben, dass auch weitere Dokumente an das LG Nürnberg geschickt werden können, um die geheimen Informationen, resp. die Geschäftsgeheimnisse glaubhaft zu machen. Dies musste, wie bereits mitgeteilt, nunmehr im Rahmen der Berufungsbegründungsfrist nachgeholt werden.“
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Aus diesem Vorbringen ergibt sich, dass die Darstellung der 2.947 Dateien – wenn auch weniger ausführlich – bereits im Verfügungsantrag erfolgte. Außerdem wirft die Verfügungsklägerin dem Landgericht vor, nicht aufgrund der Schriftsätze und Schreiben der Verfügungsbeklagten zu dem Ergebnis gekommen zu sein, dass es sich bei den nicht bestrittenen Dateien nicht um allgemein bekannte Tatsachen handelte. Vor diesem Hintergrund ist der Schluss gerechtfertigt, dass die maßgebliche „Stoßrichtung“ in der Berufungsbegründung nicht vollkommen neu sondern – zumindest ansatzweise – bereits in der ersten Instanz gegenständlich war.
15
Nicht dargetan und glaubhaft gemacht wird dagegen, dass die Dateiaufbereitung, Auswertung und Darstellung in einer Excel-Tabelle durch einen Rechtsanwalt erfolgt sei (und hätte erfolgen müssen).
II.
16
Vor diesem Hintergrund besteht im Verfügungsverfahren keine Veranlassung, über die beantragten Anordnungen nach den § 16 Abs. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 20 GeschGehG zu befinden.
III.
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
18
Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sind aufgrund von § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht veranlasst.
19
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48, 51 Abs. 2 GKG bestimmt. Er entspricht der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die sich die Parteien nicht gewandt haben.