Titel:
Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Arbeitnehmers durch Empfang von gendersensibler Kommunikation
Normenketten:
AGG § 21 Abs. 1 S. 2
GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
Leitsatz:
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Arbeitnehmers schützt nicht vor der "passiven" Nutzung eines Leitfadens für gendersensible Sprache in der Form, dass an den Arbeitnehmer gerichtete Kommunikation gendersensibel ist. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Hauptverhandlung, Berufung, Unterlassungsanspruch, Ermessen, Verletzung, Gegenstandswert, Berufungsverfahren, Anordnung, unterlassen, Verpflichtung, Verwendung, Inanspruchnahme
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 29.07.2022 – 83 O 1394/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 11.07.2023 – 21 U 5235/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 19551
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 29.07.2022, Az. 83 O 1394/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf 10.000 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger, der Angestellter der … AG ist, macht mit seiner Klage gegen die Beklagte Unterlassungsansprüche wegen deren Leitfadens „Vorsprung beginnt im Kopf – Leitfaden für gendersensible Sprache bei …“ geltend, um zu erreichen, dass die an ihn gerichtete Kommunikation, aber auch die von seiner Seite an die Beklagte und deren Mitarbeiter gerichtete Kommunikation nicht von den im Leitfaden enthaltenen Vorgaben erfasst wird. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 29.07.2022 (Bl. 137/140 d.A.) Bezug genommen.
2
Das Landgericht Ingolstadt hat die Klage mit Urteil vom 29.07.2022 als unbegründet abgewiesen. Zu den Entscheidungsgründen wird auf Bl. 141/153 d.A. verwiesen.
3
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Auf die Berufungsbegründung des Klägers vom 02.11.2022 (Bl. 10 ff. d.A. OLG) wird Bezug genommen.
- 1.
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die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt vom 29.07.2022 (Az.: 83 O 1394/21) zu verurteilen, dass die Beklagte es zu unterlassen hat, dem Kläger im geschäftlichen Verkehr sowohl in der an ihn gerichteten als auch in der seitens des Klägers an die Beklagte gerichteten Kommunikation, bestehend aus E-Mails, E-Mail-Anhängen, persönlichen Gesprächen und Anweisungen sowie Präsentationen in Anwesenheit die Anwendung des Gender-Gaps entsprechend dem Leitfaden der Beklagten für gendersensible Sprache bei …, gültig ab dem 01.03.2021, vorzugeben.
- 2.
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dass die Beklagte die Kosten, die durch die Inanspruchnahme der Rechtsanwaltskanzlei … entstanden sind, nach Maßgabe einer 1,3-Gebühr gemäß § 23 RVG zzgl. Auslagen aus einem Gegenstandswert von 10.000,00 € zu zahlen hat.
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Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren bislang noch nicht geäußert.
6
Der Senat beabsichtigt, sein eingeschränktes Ermessen (“soll“) dahingehend auszuüben, dass er die Berufung des Klägers durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist.
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Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch nicht geboten ist, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 bis 4 ZPO. Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO. Die Berufungsbegründung hat nicht aufzeigen können, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht oder dass die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
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Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich als zutreffend. Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass dem Kläger weder nach § 21 Abs. 1 AGG noch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zusteht.
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Im Hinblick auf die Berufungsbegründung des Klägers sind insbesondere folgende Ausführungen veranlasst:
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1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Unterlassung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 AGG zu.
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In Übereinstimmung mit dem Landgericht ist schon der Anwendungsbereich des AGG nicht als eröffnet anzusehen (§ 2 AGG). Insbesondere liegt hier kein Beschäftigungsverhältnis zwischen den Parteien vor.
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Der Kläger ist nicht Mitarbeiter der Beklagten, sondern Angestellter der … AG, d.h. direkt weisungsbefugter Arbeitgeber ist die … AG, nicht aber die Beklagte. Zwar ist der Begriff des Arbeitsverhältnisses im Sinne des AGG grundsätzlich weit zu verstehen, da er neben dem aktuellen Beschäftigungsverhältnis bereits die Anbahnungsphase bis hin zur Entlassung umfasst, um so den vollen Schutzzweck der RL 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zu gewährleisten (BeckOK ArbR/Roloff, 67. Ed. 1.3.2023, AGG § 2 Rn. 1). Allerdings umfasst der persönliche Anwendungsbereich des AGG nicht das Verhältnis zu jedem erdenklichen Arbeitgeber, sondern (bei einem bereits begründeten Beschäftigungsverhältnis) nur dasjenige, bei dem auch eine arbeitsrechtliche Beziehung im Sinne eines Beschäftigungsverhältnisses besteht (BeckOK ArbR/Roloff, 67. Ed. 1.3.2023, AGG § 6 Rn. 6) und somit die Parteien durch ein Vertragsverhältnis verbunden sind. Ein Beschäftigungs- bzw. Anstellungsverhältnis des Klägers mit der Beklagten besteht jedoch gerade nicht.
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Wie das Landgericht zur Recht ausgeführt hat, ist die Situation auch nicht etwa mit einem Leiharbeitsverhältnis im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG vergleichbar, für das das Gesetz vorsieht, dass der Ausleihende, mit dem der Ausgeliehene grundsätzlich kein direktes Arbeitsverhältnis hat, dennoch als Arbeitgeber im Sinne des AGG zu behandeln ist. Die ausnahmsweise Gleichstellung eines Leiharbeitsverhältnisses mit einem Direktanstellungsverhältnis macht für die Zielsetzung des AGG Sinn, da der Ausleihende gegenüber dem Ausgeliehenen eine Weisungsbefugnis hat und ihm Aufgaben und Regeln z.B. innerhalb seines Betriebes auferlegen kann, wie jedem anderen bei ihm direkt Angestellten auch. Das AGG will durch diese Gleichstellung in § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG gewährleisten, dass die Arbeitnehmer unabhängig davon, ob sie entliehen oder direkt beim Ausleihenden beschäftigt sind, in derselben Situation und Umgebung gegenüber demselben Weisungsgebenden auch denselben Bedingungen unterfallen, ohne benachteiligt zu werden.
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Ein Leiharbeitnehmerverhältnis liegt hier jedoch nicht vor und die Situation ist auch nicht vergleichbar: Die Beklagte ist nicht Arbeitgeber des Klägers und diesem gegenüber nicht weisungsbefugt; die Beklagte und die … AG gehören lediglich der gleichen Konzerngruppe an. Der Kläger ist allein seinem Arbeitgeber, der … AG, verpflichtet.
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2. Dem Kläger steht auch kein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Es fehlt bereits an einem Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Zudem kann der Kläger von der Beklagten nicht vorbeugend verlangen, in der Kommunikation zwischen den Parteien jegliche Anwendung des Gender-Gaps entsprechend dem Leitfaden generell zu unterlassen.
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Das Landgericht Ingolstadt hat hier richtigerweise zwischen der Verpflichtung des Klägers zur aktiven Nutzung der gendergerechten Sprache durch den Leitfaden und der Betroffenheit durch die passive Nutzung bzw. Anwendung ihm gegenüber als Adressaten unterschieden und in beiden Fällen einen Anspruch verneint.
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a) Ein Unterlassungsanspruch aufgrund eigener Verpflichtung des Klägers durch den Leitfaden scheidet schon deshalb aus, da eine Verpflichtung des Klägers, die Regeln des Leitfadens „Vorsprung beginnt im Kopf – Leitfaden für gendersensible Sprache bei …“ selbst aktiv anzuwenden, weder hinreichend dargelegt noch ersichtlich ist.
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aa) Der Leitfaden stellt schon im Titel klar, dass es sich hier um einen Leitfaden der Beklagten und nicht des gesamten …-Konzerns handelt. Weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus dem Leitfaden selbst ergibt sich ein Geltungsbereich des Leitfadens über den Bereich des Unternehmens der Beklagten hinaus. Auch die Unternehmensrichtlinie U-069 (Anlage B1), auf die im Leitfaden auf Seite 4 Bezug genommen wird, führt auf Seite 2 unter Ziffer 2 „Geltungsbereich“ aus: „Diese Regelung gilt für alle Beschäftigten der … AG.“ Direkt neben diesem Absatz in der linken Spalte befindet sich ein Pfeil, der von links oben nach rechts unten auf den folgenden Text zeigt: „Unter Beschäftigte fallen alle Personen, die in einem aktiven oder ruhenden Arbeitsverhältnis, Ausbildungsverhältnis oder ausbildungsähnlichen Verhältnis mit der … AG stehen sowie Mitglieder des Vorstandes“. Es finden sich keine Textpassagen in dem Leitfaden, die über diesen Personenbereich hinausgehen.
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bb) Das pauschale Vorbringen des Klägers aus der Klageschrift vom 19.05.2021 (dort Seite 3 = Bl. 3 d.A. LG unten), wonach der Kläger korrespondierend mit der Anordnung der auch externen Verwendung seitens der Beklagten auf die neuen Regelungen hingewiesen worden sei, wurde vom Landgericht zu Recht als unsubstantiiert zurückgewiesen und wird vom Kläger in der Berufungsinstanz auch nicht mehr weiterverfolgt, geschweige denn konkretisiert. Gleiches gilt im Hinblick auf die Äußerungen des Klägers in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht sowie den ursprünglichen Vortrag des Klägers, er sei aufgrund des im …-Konzern geltenden sogenannten „Konsensprinzips“ zur Anwendung des streitgegenständlichen Leitfadens verpflichtet gewesen. Auch insoweit wäre es Sache des Klägers gewesen, dies substantiiert vorzutragen und unter Beweis zu stellen. Dies ist aber bis heute unterblieben.
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b) Dem Kläger steht auch kein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu, soweit er die passive Nutzung des Leitfadens, also dessen Anwendung in der an ihn gerichteten Kommunikation der Beklagten angreift und damit erreichen möchte, dass er von der Beklagten keine Kommunikation in welcher Form auch immer erhält, in dem die im Leitfaden dargelegte gendersensible Sprache Anwendung findet.
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aa) Die Beklagte als privatwirtschaftliches Unternehmen ohne jegliches hoheitliche Handeln ist zwar selbst nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden, die in erster Linie als Abwehrrechte gegen staatliches Handeln konzipiert sind. Allerdings ist – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – anerkannt, dass die Grundrechte im Verhältnis zwischen Privaten eine mittelbare Drittwirkung entfalten und als verfassungsrechtliche Wertentscheidung und „Richtlinie“ in das Zivilrecht einstrahlen (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2019 – 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152, Rn. 76 und 86, zitiert nach juris; BeckOGK/Vossler, 01.03.2023, BGB § 134 Rn. 35, 36).
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bb) Eine Beeinträchtigung des Klägers in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Hinblick auf die passive Nutzung des Leitfadens ist jedoch weder nachvollziehbar dargelegt noch ersichtlich. Auch geht der vorbeugend geltend gemachte (pauschale) Unterlassungsanspruch deutlich zu weit.
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(1) Richtigerweise stellt das Landgericht zunächst fest, dass die geschlechtliche Identität vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG mit umfasst ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16, BVerfGE 147, 1, Leitsatz 1 Satz 1, zitiert nach juris). Denn diese nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird (BVerfG a.a.O., Orientierungssatz 1b und Rn. 39). Damit verbunden und mithin ebenfalls vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgedeckt ist, dass die Person grundsätzlich entsprechend ihrer geschlechtlichen Identität bzw. ihrem Rollenverständnis anzusprechen und anzuschreiben ist (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 27.10.2011 – 1 BvR 2027/11, Rn. 12 f.; BGH, Urteil vom 13.03.2018 – VI ZR 143/17, BGHZ 218, 96, Rn. 45; jeweils zitiert nach juris).
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(2) Ausgehend von diesen Maßstäben fehlt es von vornherein bereits an einer Betroffenheit des Klägers in eigenen Rechten und damit an einem Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, soweit in der an ihn gerichteten Kommunikation auf Grundlage des Leitfadens der Gender-Gap (nur) bei Formulierungen in Texten verwendet wird, die den Kläger selbst als Person weder ansprechen noch adressieren. Dies dürfte insbesondere auch bei dem vom Kläger in der erstinstanzlichen Verhandlung zitierten und im Berufungsverfahren als Anlage GL 1 vorgelegten internen Dokument der Beklagten der Fall sein. Dieses lässt inhaltlich keinerlei Bezug zum Kläger erkennen und wurde ihm nach seinen eigenen Angaben in der erstinstanzlichen Verhandlung nur zur Prüfung übermittelt. So ist bereits nicht dargelegt, dass mit den darin enthaltenen Formulierungen (z.B. „Der_die Prozessverantwortliche“ oder „Der_die BsM-Expert_in“) auch der Kläger angesprochen werden sollte. Allein die Verwendung des Gender-Gaps in einem an den Kläger zur allgemeinen Prüfung übermittelten Dokument oder auch in einer nur cc an ihn versandten E-Mail oder einer (mündlichen) Präsentation der Beklagten reicht noch nicht aus, um eine Betroffenheit in eigenen Rechten annehmen zu können.
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(3) Des Weiteren ist festzuhalten, dass der Bedeutungsgehalt einer bestimmten Personenbezeichnung oder Formulierung nur jeweils im Einzelfall festgestellt werden kann. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsrezipienten hat. Dabei ist vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BGH, Urteil vom 13.03.2018 – VI ZR 143/17, BGHZ 218, 96, Rn. 39; BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2016 – 1 BvR 1018/15, NJW 2017, 1537, Rn. 21; jeweils zitiert nach juris m.w.N.).
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Eine Betroffenheit und Rechtsbeeinträchtigung des Klägers lässt sich vor diesem Hintergrund grundsätzlich nicht abstrakt und losgelöst von einer konkreten (erst künftig zu erwartenden) Kommunikation und deren Inhalt im Einzelfall ermitteln. Soweit der Kläger daher mit seinem weit gefassten Antrag vorbeugend von der Beklagten verlangt, in der Kommunikation zwischen den Parteien jegliche Anwendung des Gender-Gaps entsprechend dem Leitfaden generell zu unterlassen, besteht ein derart weitgehender Anspruch nicht. Vielmehr sind – wie vorstehend unter (2) dargelegt – zahlreiche Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen eine Betroffenheit des Klägers zu verneinen wäre (vgl. zu einer ähnlichen Fallkonstellation, dort im Rahmen der Abwägung, BGH, Urteil vom 09.03.2021 – VI ZR 73/20, NJW 2021, 1756, Rn. 26 ff.). Anhaltspunkte für eine mögliche einschränkende Auslegung des Klageantrags bestehen vorliegend nicht.
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(4) Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung auf die neu vorgelegte Anlage GL 2 und die dort verwendete „gendergerechte Sprache“ verweist, in der er als Teil des „Autor_innen_Team(s)“ genannt wird, kann dahinstehen, ob dieses Vorbringen noch zu berücksichtigen ist. Es dürfte sich hierbei nicht um „an ihn gerichtete […] Kommunikation“ handeln, so dass dies bereits vom Klageantrag nicht umfasst wäre. Aber auch wenn man dies unterstellen würde oder ungeachtet der vorstehenden Ausführungen unter (3) zugrunde legen würde, dass der Kläger in einer künftigen Kommunikation selbst als Person – etwa als „Teilnehmer_in“ oder „Kolleg_in“ – angesprochen werden sollte, scheidet ein Eingriff in den Schutzbereich seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hierdurch aus. Denn das würde voraussetzen, dass der Kläger von der Anrede nicht mit umfasst ist. Genau dies sieht der Senat aber ebenso wie das Landgericht nicht erfüllt.
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Den Berufungsausführungen des Klägers ist dahingehend zuzustimmen, dass es ggf. irrelevant ist, ob eine Diskriminierung beabsichtigt ist, sofern eine solche faktisch erfolgt. Eine Diskriminierung scheidet hier aber aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Dritten schon objektiv aus, da der Kläger durch die Verwendung dieser Sprachregelung nicht ausgeschlossen und in seiner geschlechtlichen Identität betroffen ist.
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So mag zwar bei bestimmten Wortbildungen durch das Weglassen der männlichen Endung „-e“ oder „-en“ und die Verwendung des weiblichen Wortstamms (vgl. Leitfaden, Anlage B2, dort Seite 8) vor dem Gender-Gap der männliche Wortstamm nicht (mehr) vollständig erhalten bzw. erkennbar sein, jedoch sind männliche Personen durch diese Regelung eindeutig miterfasst. Die Entscheidung für die weibliche Stammform ist in erster Linie der besseren Lesbarkeit geschuldet (so auch die Begründung im Leitfaden, Anlage B2, dort Seite 8), unabhängig von der Frage, wie sich die Verwendung des Gender-Gaps generell auf die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Formulierungen auswirkt. Der Gender-Gap macht durch die kenntlich gemachte Lücke jedenfalls deutlich, dass Personen jeden Geschlechts – nicht nur des weiblichen – umfasst sein sollen. Hierzu legt der Leitfaden nur abstrakte Regeln für die Anrede bzw. Kommunikation mit Personen verschiedenen oder unbekannten Geschlechts fest. Zwar hat der Kläger recht, wenn er anführt, dass das bisher verwendete generische Maskulinum nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch die Personen mitumfasst, die nicht dem männlichen Geschlecht zuzuordnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2018 – Az. VI ZR 143/17, BGHZ 218, 96 -111, Rn. 35, zitiert nach juris). Ob die Verwendung des generischen Maskulinums gegenüber dem Gender-Gap grundsätzlich vorzugswürdig wäre und die Vorgaben aus dem Leitfaden dem Sprachverständnis zuträglich sind, ist für die vorliegende Entscheidung jedoch ohne Belang und kann daher offenbleiben. Maßgeblich ist, dass die unterschiedlichen Geschlechter durch die Verwendung des Gender-Gaps gerade sichtbar werden und auch das männliche Geschlecht hierdurch nicht ausgeschlossen wird. Denn der Gender-Gap soll ebenso wie das sog. Gendersternchen (Asterisk) eine Inklusion aller Geschlechter widerspiegeln und ist als solche auch für einen objektiven Leser erkennbar, eben durch den jeweiligen Unterstrich oder das Sternchen. Etwas anderes wäre nur dann denkbar, wenn die vorgenannten Zusätze ebenfalls entfallen würden, indem etwa entgegen dem bisherigen allgemeinen Sprachgebrauch nunmehr neu ein generisches „Femininum“ eingeführt würde. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
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(5) Dem Landgericht ist ebenfalls zuzustimmen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers auch nicht unter dem Aspekt der „sprachlichen Integrität“ verletzt ist, die gerade im Hinblick auf die Rechtschreibreform diskutiert wurde. Denn wie auch vom BVerfG (BVerfG, Urteil vom 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97, NJW 1998, 2515 ff, dort insbesondere 2523 juris) festgestellt, bleibt es auch im hiesigen Fall dem Kläger unbenommen, weiter so zu schreiben, wie er möchte, da er selbst nicht durch den Leitfaden aktiv gebunden ist (siehe oben unter 2 a)).
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Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist mithin nicht ersichtlich. Auch vermag der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht keine herabwürdigende oder (auch nur latent) beleidigende Wirkung auf den Kläger durch die Verwendung des Gender-Gaps erkennen. cc) Die vom Kläger behauptete Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 2 und 3 GG) scheidet aus den vorgenannten Gründen ebenfalls aus.
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Im Übrigen sieht der Senat eine solche Verletzung selbst auf Grundlage des klägerischen Vorbringens nicht als gegeben an: Der Kläger führt aus, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordere, dass jedes Geschlecht benannt und sichtbar gemacht werde (u.a. Berufungsbegründung vom 02.11.2022, dort Seite 2 = Bl. 11 d.A. OLG). Er verweist diesbezüglich auf die Expertise von Frau Prof. Dr. U. L. der Humboldt Universität Berlin für „Geschlechtergerechte Amtssprache“ und dort auf Seite 4 der Zusammenfassung. Allerdings befasst sich dieses Gutachten mit der Frage der Rechtswirksamkeit und dem Verbindlichkeitsanspruch von Handlungsformen der Verwaltung. Die Autorin setzt sich gerade mit der Frage der Nutzung des „pseudo-generischen“ Maskulinums auseinander und inwieweit dies Frauen benachteilige. Sie kommt zu dem Schluss, dass das Grundrecht auf Gleichberechtigung aus Artikel 3 Absatz 2 GG es gebiete, dass Frauen benannt, sichtbar gemacht und korrekt adressiert würden (Lembke, Rechtliche Expertise der Humboldt Universität Berlin, „Geschlechtergerechte Amtssprache“ und dort auf Seite 4 der Zusammenfassung unter Punkt 4). Die Autorin sieht in der Verwendung eines Gendersternes oder (anderen) geschlechtsumfassenden Formulierungen gerade eine „überfällige De-Privilegierung“ der Männer und „keine (rechtliche relevante) Benachteiligung von Männern“ (ebenda, Seite 5 unter Punkt 5) und vertritt damit gerade die Gegenposition des Klägers. dd) Nur ergänzend sei angemerkt, dass der Senat auch die Würdigung des Landgerichts teilt, wonach selbst bei unterstellter Eröffnung des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bezogen auf die passive Nutzung des Leitfadens – bei hinreichender Beschränkung des Antrags – ein Unterlassungsanspruch des Klägers jedenfalls im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien ausscheiden würde.
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Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als ein Rahmenrecht ist seine Reichweite nicht absolut festgelegt, sondern muss erst durch Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45, Rn. 20 m.w.N.).
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Angesichts des relativ geringfügigen Gewichts eines etwaigen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers einerseits und dem berechtigten Interesse der Beklagten an der Verwendung einer gendersensiblen Sprache im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidung und ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wäre jedenfalls nicht von einem Überwiegen der Schutzinteressen des Klägers gegenüber denen der Beklagten auszugehen.
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Unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen wird dem Kläger die Rücknahme seiner offensichtlich unbegründeten Berufung empfohlen. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).