Inhalt

OLG München, Urteil v. 23.03.2023 – 29 U 3365/17
Titel:

Internationale Zuständigkeit für Urheberstreitsachen nach Brexit

Normenketten:
EuGVVO Art. 7 Nr. 2
BGB § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2
Rom II-VO Art. 10 Abs. 1
EUV Art. 50
Art. 198 ff
AEUV § 355 Abs. 2 Satz 1
AEUV Anhang II
ZPO § 32, § 39
Leitsätze:
1. Einer auf eine Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB gestützten Klage liegen eine „Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder (…) Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zugrunde, wenn nach dem Vortrag der Klägerin in ihre urheberrechtlichen Befugnisse zur öffentlichen Wiedergabe eingegriffen worden sein soll, da ein unmittelbarer Zusammenhang mit einer unerlaubten Handlung besteht und sowohl die Gleichbehandlung mit Ausgleichsklagen bei Privatkopien nach der InfoSocRichtlinie (RL 2001/29/EG) als auch die Kohärenz zwischen internationalem Zivilprozessrecht und Kollisionsrecht in Form von Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO für eine Anwendung von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sprechen.
2. Auf eine vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gemäß Art. 50 EUV (sog. Brexit) erhobene Klage gegen eine auf den Britischen Jungferninseln ansässige Beklagte findet Art. 7 Nr. 2 EuGVVO keine Anwendung, weil für dieses Überseegebiet nach Art. 355 Abs. 2 Satz 1 AEUV in Verbindung mit Anhang II zum AEUV, vorletzter Spiegelstrich, nur das in Art. 198 ff. AEUV festgelegte besondere Assoziierungssystem galt und weder die EuGVVO ihre Geltung für die Mitgliedstaaten auf die überseeischen Länder und Hoheitsgebiete erstreckt noch Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eine vom Wohnsitz bzw. Sitz der Beklagten unabhängige Geltung beansprucht.
3. Erklärt die Beklagte in der Berufungsinstanz, die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nicht mehr aufrechterhalten zu wollen, kann ein Fehlen der internationalen Zuständigkeit, das in erster Instanz gerügt wurde, nicht nachträglich in der Berufungsinstanz, für die § 39 ZPO keine Anwendung findet, durch rügeloses Verhandeln geheilt werden.
4. Der Begriff der unerlaubten Handlung in § 32 ZPO ist als eigenständiger Begriff des Prozessrechts aufzufassen und umfasst bei der Nutzung und Verletzung gewerblicher Schutzrechte und Urheberrechte auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung in der Variante der Eingriffskondiktion, da diese sich in dem weiten, von § 32 ZPO intendierten Sinne als eine Form von unerlaubter – weil der Rechtsordnung zuwiderlaufender – Handlung darstellt.
Schlagwort:
EuGVVO
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 31.08.2017 – 7 O 8215/16
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe vom -- – I ZR 116/23
Fundstellen:
IPRax 2024, 504
CR 2024, 270
ZUM-RD 2023, 641
MMR 2023, 969
LSK 2023, 18435
NJOZ 2023, 1303
GRUR-RS 2023, 18435

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 31.08.2017, Az. 7 O 8215/16 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

I.
1
Die Parteien streiten um bereicherungsrechtlichen Wertersatz für den Gebrauch von insgesamt 16 Filmen auf der Video-Hosting-Plattform … sowie um entsprechende Auskunftsansprüche.
2
Die Klägerin ist eine in München ansässige Filmverwerterin.
3
Die Beklagten bieten Leistungen im Zusammenhang mit … an. Die Beklagte zu 1) mit Sitz in Ka., USA, betrieb die Plattform … . Die in Du., Irland, ansässige Beklagte zu 2) lieferte hierfür Werbung und betreibt nunmehr die Plattform … . Die Beklagte zu 3), die ihren Sitz ebenfalls in Ka., USA, hat, ist Inhaberin der beiden Domains www. … .com und www. … .de. Die Beklagte zu 4) mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln steht außerhalb des Konzernverbunds der Beklagten zu 1) bis 3) und unterstützt …-Nutzer bei der finanziellen Auswertung ihrer Inhalte.
4
Die von Internetnutzern auf die Plattform … hochgeladenen Videos werden von den Beklagten zu 1) bis 3) inhaltlich nicht kontrolliert. Die Uploader selbst haben aber die Möglichkeit, im Rahmen des Uploads Merkmale zu setzen, die auf den Inhalt des hochgeladenen Materials hinweisen.
5
Für das bei einem Upload erforderliche Nutzerkonto bedarf es lediglich einer gültigen E-MailAdresse. Die Richtigkeit sonstiger Angaben der Nutzer wird nicht überprüft.
6
Um ihre Inhalte mit Werbung versehen zu lassen und am sogenannten …-Partnerprogramm (Anlage B 7) teilzunehmen, müssen registrierte Uploader zusätzlich einen …-Kanal erstellen. Danach können sie ihr Konto für die Monetarisierung aktivieren, wobei sie sich im Rahmen der zustimmungsbedürftigen Bedingungen verpflichten, keine Videos zur Monetarisierung freizugeben, für die sie nicht über die notwendigen Rechte verfügen.
7
Werden Videos monetarisiert, erhält der Uploader 55% der mit seinem Kanal erzielten Werbeeinnahmen, während der Rest bei den Beklagten zu 1) bis 3) verbleibt. Für die Auszahlung seines Anteils muss der Uploader eine sogenannte Ad-Sense-Vereinbarung abschließen (Anlage B 9), für die er seinen Namen, seine Adresse sowie seine Kontoverbindung angeben muss. Eine anonyme Nutzung ist insoweit nicht möglich.
8
Von Seiten der Werbetreibenden werden sogenannte Ad-Words-Verträge mit der Beklagten zu 2) oder der Beklagten zu 3) abgeschlossen, in deren Rahmen die Werbetreibenden allein entscheiden können, in welcher Weise für welche Kategorien von Videos und für welche Kanäle sie Werbung auf … platzieren wollen.
9
Die Beklagte zu 4) arbeitet als sogenanntes Multi-Channel-Network mit den Betreibern von …Kanälen zusammen und unterstützt diese Mitglieder unter anderem bei der Videoproduktion und beim Aufbau eines Publikums. Für ihre Leistungen erhält sie 20% der oben genannten 55% der durch die geschaltete Werbung generierten Einnahmen aus den …-Kanälen ihrer Mitglieder. Die Werbeeinnahmen von Mitgliedern der Beklagten zu 4) werden von den Beklagten zu 1) bis 3) nicht direkt an die Mitglieder, sondern vielmehr an die Beklagte zu 4) ausgezahlt, die sie nach Abzug ihres Anteils an ihre Mitglieder weiterleitet. Die Auszahlungen an die Beklagte zu 4) beruhen auch auf eigenen Vereinbarungen der Beklagten zu 4) mit Unternehmen aus dem Konzernverbund der Beklagten zu 1) bis 3).
10
Die Beklagte zu 1) hat ein Benachrichtigungsverfahren (‚Noticeand Take-Down‘-Verfahren) eingerichtet, im Rahmen dessen Rechteinhaber die Beklagte zu 1) über rechtsverletzende Inhalte auf ihrer Plattform informieren können, falls Uploader entsprechende Videos dort hochgeladen haben. Entfernt die Beklagte zu 1) hierauf ein Video von der Plattform, verhindert ein Filter, dass ein identisches Video erneut hochgeladen werden kann. Die Konten von Uploadern, deren Videos wegen Rechtsverletzungen wiederholt beanstandet und entfernt worden sind, werden von der Beklagten zu 1) nach vorheriger Ankündigung gesperrt (‚Three-strikes-and-you’re-out‘-Policy).
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Ferner bietet die Beklagte zu 1) Rechteinhabern ein Programm zur Inhaltsprüfung an, mit dem rechtsverletzende Videos aufgefunden werden können. Im Falle einer damit vom Rechteinhaber erkannten Rechtsverletzung kann er das betreffende Video mit einfachem Mausklick melden, woraufhin es die Beklagte zu 1) sperrt.
12
Zudem unterhält die Beklagte zu 1) ein softwarebasiertes sogenanntes Content-IdentificationSystem (Anlage B 6), für das Rechteinhaber Referenzdateien zur Verfügung stellen können, anhand derer das System neu hochgeladene oder bereits vorhandene Videos identifiziert. Stellt das System damit eine Übereinstimmung fest, können die Rechteinhaber das entsprechende Video entweder sperren lassen oder es zu ihren eigenen Gunsten monetarisieren.
13
Die Klägerin behauptet, sie sei Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an den 16 streitgegenständlichen Filmen gemäß Anlage K 1 im Hinblick auf die Kino- und Videogrammauswertung sowie im Hinblick auf den Internetabruf durch Download oder Streaming.
14
Die streitgegenständlichen Filme würden regelmäßig von Mitgliedern der Beklagten zu 4) auf … hochgeladen und anschließend mittels Werbung monetarisiert. Die öffentliche Zugänglichmachung sei jeweils erfolgt, obwohl die Beklagte zuvor Referenzdateien im Content-IdentificationSystem eingestellt und eine Sperrung von Videos mit mehr als drei bzw. fünf Minuten Länge vorgegeben habe.
15
Die Beklagten generierten auch Erlöse mithilfe von Abonnements für eine werbefreie Nutzung der …-Plattform, an denen die Uploader ebenfalls mit 55% beteiligt würden.
16
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe jeweils ein Anspruch aus Eingriffskondiktion zu, der auf Wertersatz für die Gebrauchsvorteile gerichtet sei, die die Beklagten durch die Verwertung der Filme der Klägerin auf … erlangt hätten. Die Beklagten griffen in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts, nämlich dasjenige der Klägerin ein, über das Ob und Wie der öffentlichen Wiedergabe der Filme zu entscheiden. Aufgrund der Monetarisierung machten sich die Beklagten die von Dritten auf die Plattform hochgeladenen Inhalte zu eigen und seien daher für die Eingriffe verantwortlich. Sie hätten aufgrund der Eingriffe auch etwas erlangt, nämlich die Werbe- und Abonnementeinnahmen, von denen sie nur einen Teil an die Uploader durchreichten.
17
Die Beklagten seien zur Auskunft verpflichtet, zum einen, da sie selbst für die Rechtsverletzungen verantwortlich seien, zum anderen, weil ihre in gewerblichem Ausmaß erbrachten Dienstleistungen für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt würden.
18
Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wege der Stufenklage beantragt,
die Beklagten zu verurteilen,
1. der Klägerin jeweils darüber Auskunft zu erteilen, welche Einnahmen aus Werbung und Abonnementzahlungen sie in Zusammenhang mit der folgend aufgeführten rechtswidrigen Verwertung von Filmwerken der Klägerin über die Plattform … … erzielt haben,
2. erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer nach dem vorstehenden Antrag zu Ziffer 1. zu erteilenden Auskünfte jeweils an Eides statt zu versichern,
3. der Klägerin jeweils denjenigen Betrag herauszugeben, den die Beklagten ausweislich ihrer Auskunftserteilungen gemäß Antrag zu Ziffer 1. jeweils erlangt haben.
19
Die Beklagten haben beantragt,
Klageabweisung.
20
Die Beklagten rügen die internationale Zuständigkeit sowie die Bestimmtheit der Anträge.
21
Die Beklagten sind der Auffassung, es werde weder in den Zuweisungsgehalt eines der Klägerin zustehenden Rechts eingegriffen, noch hätten sie etwas auf Kosten der Klägerin erlangt.
22
Die Werbeeinnahmen stünden in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der öffentlichen Zugänglichmachung der Filme durch die Uploader, da Auslöser der Werbung ausschließlich der Entschluss des Uploaders sei, die konkreten Inhalte zu monetarisieren. Die Beklagten selbst vermarkteten die Inhalte nicht auf …, sondern stellten auf ausdrückliche Anforderung der Uploader nur Werbemöglichkeiten zur Verfügung.
23
Die Beklagten zu 1) bis 3) seien jedenfalls nach dem Telemediengesetz und der E-CommerceRichtlinie haftungsprivilegiert.
24
Die Beklagte zu 4) ist der Auffassung, sie erlange lediglich die Gegenleistung für ihre an die jeweiligen …-Kanalbetreiber erbrachten Dienstleistungen. Im Übrigen handle es sich nur um einen abgekürzten Zahlungsweg.
25
Mit Endurteil vom 31.08.2017 (Bl. 269/285 d.A.), auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage vollständig abgewiesen.
26
Mit ihrer Berufung vom 05.10.2017, mit der sie ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug wiederholt und vertieft, greift die Klägerin das Urteil des Landgerichts an und verfolgt ihr Begehren weiter.
27
Die Klägerin beantragt,
Unter Abänderung des am 31.08.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az. 7 O 8215/16, werden die Beklagten verurteilt,
1. der Klägerin jeweils darüber Auskunft zu erteilen, welche Einnahmen aus Werbung und Abonnementzahlungen sie in Zusammenhang mit der in Anlage K 1 (zur Klageschrift vom 17.05.2016) aufgeführten rechtswidrigen Verwertung von Filmwerken der Klägerin über die Plattform … erzielt haben,
2. erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer nach dem vorstehenden Antrag zu Ziffer 1. zu erteilenden Auskünfte jeweils an Eides statt zu versichern,
3. der Klägerin jeweils denjenigen Betrag herauszugeben, den die Beklagten ausweislich ihrer Auskunftserteilungen gemäß Antrag zu Ziffer 1. jeweils erlangt haben.
28
Die Beklagten beantragen,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
29
Die Beklagten verteidigen das angegriffene Urteil ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
30
Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 29.10.2018 (Bl. 465/467 d.A.) bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs vom 13.09.2018, Az. I ZR 140/15 – Y.T., ausgesetzt.
31
Zur Ergänzung wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
32
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
33
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.
34
a) Die auch in der Berufungsinstanz zu prüfende internationale Zuständigkeit ergibt sich im Hinblick auf die bereicherungsrechtlichen Ansprüche gegen die Beklagte zu 2) aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.
35
Im Hinblick auf die Beklagte zu 2), die ihren Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats hat, so dass grundsätzlich vorrangiges europäisches Sekundärrecht in Form der EuGVVO anzuwenden ist, besteht auch für den geltend gemachten Anspruch aus Eingriffskondiktion ein Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.
36
aa) Um festzustellen, ob bei einer auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützten Klage auf Herausgabe eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO den Gegenstand des Verfahrens bilden, ist im Rahmen der euroautonomen Qualifikation zu prüfen, ob zwei Voraussetzungen erfüllt sind: nämlich zum einen, dass diese Klage nicht an einen Vertrag oder an Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO anknüpft, und zum anderen, dass mit der Klage eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht werden soll (EuGH EuZW 2022, 132 Rn. 43 – HRVATSKE ŠUME).
37
Eine Schadenshaftung wird dann geltend gemacht, wenn dem Beklagten ein schädigendes Ereignis im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO insoweit zugerechnet werden kann, als ihm eine Handlung oder Unterlassung vorgeworfen wird, die gegen eine Verpflichtung oder ein gesetzliches Verbot verstößt. Eine Haftung aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, kommt nämlich nur in Betracht, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem diesem zugrunde liegenden rechtswidrigen Ereignis feststellbar ist (EuGH a.a.O. Rn. 53 – HRVATSKE ŠUME; EuZW 2016, 547 Rn. 40, 41, 50 – Austro-Mechana).
38
Dies gilt unterschiedslos für sämtliche unerlaubten Handlungen oder Handlungen, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sind, ohne dass es erforderlich wäre, speziell zwischen einer unerlaubten Handlung und einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, zu unterscheiden. Das Konzept der „Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder (…) Ansprüche aus einer solchen Handlung“ bezieht sich nämlich nicht auf Fälle, die durch das Fehlen eines schädigenden Ereignisses gekennzeichnet sind, sondern vielmehr auf Fälle, in denen das schädigende Ereignis durch Unvorsichtigkeit oder Fahrlässigkeit verursacht wurde. Eine Klage kann somit keine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung zum Gegenstand haben, wenn die geltend gemachte Haftung des Beklagten nicht auf dem Vorliegen eines schädigenden Ereignisses beruht (EuGH a.a.O. Rn. 54 – HRVATSKE ŠUME).
39
Eine auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützte Klage auf Herausgabe beruht indessen auf einer Verpflichtung, deren Ursprung nicht in einem schädigenden Ereignis liegt. Diese Verpflichtung entsteht nämlich unabhängig vom Verhalten des Beklagten, so dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und einer etwaigen unerlaubten Handlung oder einer unerlaubten Unterlassung des Beklagten feststellbar wäre (EuGH a.a.O. Rn. 55 – HRVATSKE ŠUME).
40
Im urheberrechtlichen Kontext ist zu beachten, dass bei einer Klage einer Verwertungsgesellschaft eine „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO den Gegenstand des Verfahrens bilden, wenn sich die Klage auf die Verpflichtung zur Zahlung eines „gerechten Ausgleichs“ nach Art. 5 Abs. 2 lit. b) InfoSoc-Richtlinie bezieht, wozu Unternehmen nach dem nationalen Recht für das erstmalige gewerbsmäßige und entgeltliche Inverkehrbringen von Trägermaterial im Inland verpflichtet sind. Eine solche Verpflichtung hat in einem schädigenden Ereignis ihren Ursprung, nämlich im Schaden der Urheberrechtsinhaber, der mit der Privatkopie des in den Verkehr gebrachten Trägermaterials in Zusammenhang steht (EuGH a.a.O. Rn. 57 – HRVATSKE ŠUME unter Bezugnahme auf den Schlussantrag von GA Saugmandsgaard Øe, BeckRS 2021, 26892 Rn. 72).
41
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall anzunehmen, dass eine „Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder (…) Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO inmitten stehen. Vorliegend beruht nach dem – insoweit maßgeglichen – klägerischen Vortrag die Klage, die nach der ausdrücklichen Klarstellung der Klägerin im Termin vom 23.03.2023 (Bl. 536 d.A.) allein auf Eingriffskondiktion gestützt wird, auf einem schädigenden Ereignis, nämlich dem Eingriff in die – behaupteten – urheberrechtlichen Befugnisse der Klägerin in Form des Rechts der öffentlichen Wiedergabe nach §§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2; 19a UrhG, durch die den Beklagten vermögenswerte Positionen zugeflossen sein sollen, für die sie Wertersatz begehrt.
42
Dieser unmittelbare Zusammenhang mit einer behaupteten Handlung der Beklagten, die auch eine unerlaubte Handlung darstellt, rechtfertigt es im Hinblick auf Rn. 55 der HRVATSKE ŠUMEEntscheidung des EuGH von einem schädigenden Ereignis und damit von einer jedenfalls der unerlaubten Handlung gleichgestellten Handlung bzw. von Ansprüchen aus einer solchen Handlung auszugehen (vgl. Finkelmeier, IWRZ 2022, 88, 89). Hierfür spricht, dass der EuGH in den Rn. 41 ff. der zitierten Austro-Mechana-Entscheidung in anderem urheberrechtlichem Zusammenhang ebenfalls ein schädigendes Ereignis angenommen hat (vgl. Pika, NJW 2022, 379, 380), weil dort der „gerechte Ausgleich“ nach der InfoSoc-Richtlinie als Spiegelbild des Schadens anzusehen war, der den Urhebern durch nicht erlaubte Privatkopien entstanden ist. Schließlich spricht auch die Kohärenz zwischen internationalem Zivilprozessrecht und Kollisionsrecht (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 46 – HRVATSKE ŠUME) für eine Anwendung von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, da im insoweit einschlägigen Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO eine gleichlaufende Anknüpfung eines außervertraglichen Schuldverhältnisses aus ungerechtfertigter Bereicherung mit einer unerlaubten Handlung vorgesehen ist, die eine enge Verbindung mit der ungerechtfertigten Bereicherung aufweist (vgl. Mankowski, RIW 2022, 50, 51).
43
Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV scheidet aus, weil der Senat nicht als letztinstanzliches Gericht entscheidet.
44
b) Im Hinblick auf die Beklagten zu 1), 3) und 4) folgt die internationale Zuständigkeit für die geltend gemachten Ansprüche aus Eingriffskondiktion aus § 32 ZPO.
45
aa) Auch bezüglich der auf den Britischen Jungferninseln ansässigen Beklagten zu 4) kommt für die am 17.05.2016 erhobene Klage autonomes deutsches Recht in Form von § 32 ZPO, nicht Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zur Anwendung, wenngleich die hiesige Klage bereits am 17.05.2016 und damit vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gemäß Art. 50 EUV (sog. Brexit) erhoben worden ist.
46
Zwar gehörten die Britischen Jungferninseln vor dem Brexit zu den im Anhang II des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aufgeführten überseeischen Ländern und Hoheitsgebieten (vorletzter Spiegelstrich von Anhang II), für die gemäß Art. 355 Abs. 2 Satz 1 AEUV das im Vierten Teil des Vertrags (Artikel 198 bis 204 AEUV) festgelegte besondere Assoziierungssystem galt.
47
Sie fielen damit aber grundsätzlich aus dem territorialen Anwendungsbereich der Verträge über die Europäische Union (EUV) und über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) heraus. Die allgemeinen Vertragsbestimmungen und das sonstige Primär- und Sekundärrecht der Union waren auf sie nur dann anwendbar, wenn die entsprechenden Regelungen ausdrücklich auf sie verwiesen haben (vgl. EuGH BeckRS 2006, 70670 Rn. 46 – Eman und Sevinger; BeckRS 2004, 74082 Rn. 42 – DADI und Douane-Agenten). Eine solche Verweisung enthielt und enthält die EuGVVO nicht, so dass sie ihre Geltung für die Mitgliedstaaten nicht auf die überseeischen Länder und Hoheitsgebiete erstreckt (BGH NJW 2017, 564 Rn. 19).
48
Eine Anwendbarkeit von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO folgt auch nicht daraus, dass er eine vom Wohnsitz bzw. Sitz (Art. 63 Abs. 1 EuGVVO) des Beklagten unabhängige Geltung beansprucht (vgl. BGH a.a.O. Rn. 20), da er gerade an diesen anknüpft („Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden…“).
49
bb) Dadurch, dass die Beklagte zu 4) nunmehr in der Berufungsinstanz die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nicht mehr aufrechterhalten will (Bl. 380 d.A.), kann das Fehlen der internationalen Zuständigkeit, das in erster Instanz gerügt wurde, nicht nachträglich in der Berufungsinstanz (für die § 39 ZPO ohnehin keine Anwendung findet) durch rügeloses Verhandeln geheilt werden (BGH NJW 2007, 3501 Rn. 16).
50
cc) Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte im Hinblick auf die Beklagten zu 1), 3) und 4) ergibt sich für die geltend gemachten Ansprüche aus Eingriffskondiktion vor dem Hintergrund der Doppelfunktionalität der Regeln über die örtliche Zuständigkeit (BGHZ 173, 57, 64; 184, 365, 370) aber aus § 32 ZPO.
51
Zwar wird teilweise vertreten, dass § 32 ZPO zwingend voraussetze, dass die materiell-rechtliche (Anspruchs-) Grundlage des prozessualen Anspruchs eine unerlaubte Handlung sei, so dass bereicherungsrechtliche Ansprüche auch aus Eingriffskondiktion ausschieden. Der Begriff der unerlaubten Handlung in § 32 ZPO sei kein eigenständiger Begriff des Prozessrechts, sondern einer des materiellen Rechts und als solcher seit Inkrafttreten des BGB nach diesem zu bestimmen (RGZ 60, 300, 302). Da § 32 ZPO gerade an das materielle Recht anknüpfe, sei für einen – ohnehin konturlosen – eigenständigen zivilprozessualen Begriff der unerlaubten Handlung weder Raum noch Bedarf. Soweit zur Frage der Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung darauf verwiesen werde, dass der Gerichtsstand des § 32 ZPO nicht auf die Geltendmachung von Schadensersatz beschränkt sei, würden die Fragen von materiellem Klagegrund und Klageziel vermengt (BeckOK ZPO/Toussaint, 48. Ed. 1.3.2023, § 32, Rn. 2.3).
52
Dem kann indes nicht gefolgt werden. Der Begriff der unerlaubten Handlung in § 32 ZPO ist als eigenständiger Begriff des Prozessrechts aufzufassen und umfasst als solcher auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung in der Variante der Eingriffskondiktion. Richtigerweise müssen an diesem Gerichtsstand auch Ansprüche der aufgrund der Nutzung oder Verletzung gewerblicher Schutzrechte nach den Grundsätzen der Eingriffskondiktion geschuldeten Herausgabe der erlangten Vorteile geltend gemacht werden können. Die Nähe der Eingriffskondiktion zum Deliktsrecht rechtfertigt deren Qualifizierung als „unerlaubte Handlung“ im Sinne des § 32 ZPO. Die Eingriffskondiktion stellt sich in dem weiten, von § 32 ZPO intendierten Sinne als eine Form unerlaubter – weil der Rechtsordnung zuwiderlaufender Handlung – dar, so dass der Gerichtsstand des § 32 ZPO eröffnet ist (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 32, Rn. 8; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 20. Aufl., § 32, Rn. 7; MüKoZPO/Patzina, 6. Aufl., § 32, Rn. 8; Saenger/Bendtsen, ZPO, 9. Aufl., § 32, Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, ZPO, 5. Aufl., § 32, Rn. 10; ausdrücklich offengelassen in BayObLG BeckRS 2020, 8038 Rn. 18).
53
dd) Eine unerlaubte Handlung ist im Sinne von § 32 ZPO sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort begangen, so dass eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen oder in das Rechtsgut eingegriffen worden ist. Der Erfolgsort einer unerlaubten Handlung ist bei einer behaupteten Verletzung des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte durch ein öffentliches Zugänglichmachen oder eine öffentliche Wiedergabe des Schutzgegenstands über eine Internetseite im Inland belegen, wenn die geltend gemachten Rechte im Inland geschützt sind und die Internetseite (auch) im Inland öffentlich zugänglich ist (BGH GRUR 2022, 1308 Rn. 23 – Y.T. II; GRUR 2016, 1048 Rn. 17 f. – An Evening with Marlene Dietrich). Der Kläger macht Ansprüche wegen der Verletzung von im Inland geschützten Urheberrechten und verwandten Schutzrechten auf der Plattform … geltend. Die Plattform ist im Inland abrufbar.
54
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin stehen – wie das Landgericht zutreffend angenommen hat – gegen die Beklagten keine Ansprüche aus Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zu.
55
a) Anwendbar ist nach Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO deutsches Recht, da der geltend gemachte bereicherungsrechtliche Anspruch an zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnisse in Form der klägerseits behaupteten unerlaubten Handlungen in Form von Urheberrechtsverletzungen anknüpft, auf die nach Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO deutsches Recht anzuwenden wäre, weil nach dem Klagevortrag für Deutschland Schutz beansprucht wird.
56
b) Anknüpfungspunkt für eine Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB kann die Handlung des Bereicherten sein, wenn er in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts eingegriffen und hierdurch etwas auf Kosten des Rechtsinhabers erlangt hat. Eine Nichtleistungskondiktion kann ferner gegeben sein, wenn nicht der Bereicherte, sondern ein Dritter in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts eingegriffen hat, sofern nicht im Verhältnis des Dritten oder des Entreicherten zum Bereicherten der Vorrang der Leistungskondiktion besteht (BGH GRUR 2022, 1308 Rn. 95 – Y.T. II; GRUR 2013, 717 Rn. 15 – Covermount; GRUR 2010, 623 Rn. 33 – Restwertbörse I).
57
Auch bei unterstellter Aktivlegitimation der Klägerin fehlt es vorliegend an einem Eingriff in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts durch die Beklagten, weil diese weder als Bereicherte selbst eine eigene öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalte im Sinne von §§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2; 19a UrhG vorgenommen haben, die allein dem Rechteinhaber zugewiesen wäre, noch durch einen solchen Eingriff eines Dritten etwas erlangt haben.
58
aa) Im Hinblick auf die erforderliche Handlung der Wiedergabe ist nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH zu beachten, dass zwar der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform hinsichtlich der von seinen Nutzern bewirkten Zugänglichmachung potenziell rechtsverletzender Inhalte eine zentrale Rolle spielt, dass jedoch sowohl im Hinblick auf die Bedeutung der Rolle, die ein solches Tätigwerden des Betreibers einer Plattform bei der Wiedergabe durch den Nutzer dieser Plattform spielt, als auch im Hinblick auf dessen Vorsätzlichkeit zu beurteilen ist, ob das betreffende Tätigwerden unter Berücksichtigung des spezifischen Kontexts als Handlung der Wiedergabe einzustufen ist.
59
Insbesondere kann ein Tätigwerden in voller Kenntnis der Folgen des betreffenden Verhaltens und mit dem Ziel, der Öffentlichkeit Zugang zu geschützten Werken zu verschaffen, zur Einstufung dieses Tätigwerdens als „Handlung der Wiedergabe“ führen. Um festzustellen, ob der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform in voller Kenntnis seines Verhaltens bei der unerlaubten Wiedergabe geschützter Inhalte durch Nutzer seiner Plattform tätig wird, um anderen Internetnutzern Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen, sind alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die die betreffende Situation kennzeichnen und es ermöglichen, direkt oder indirekt Schlussfolgerungen hinsichtlich der Frage zu ziehen, ob der Betreiber bei der unerlaubten Wiedergabe dieser Inhalte vorsätzlich tätig wird oder nicht (EuGH GRUR 2021, 1054 Rn. 77-81, 83 – Y.T. und Cyando; BGH GRUR 2022, 1308 Rn. 76 – Y.T. II).
60
(1) Zu den insoweit maßgeblichen Gesichtspunkten zählen die Tatsache, dass ein solcher Betreiber, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer derselben geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen, sowie die Tatsache, dass dieser Betreiber an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt ist, auf seiner Plattform Hilfsmittel anbietet, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder ein solches Teilen wissentlich fördert, wofür der Umstand sprechen kann, dass der Betreiber ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen (EuGH a.a.O. Rn. 84 – Y.T. und Cyando; BGH a.a.O. Rn. 77 – Y.T. II).
61
Der bloße Umstand, dass der Betreiber allgemein Kenntnis von der rechtsverletzenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform hat, genügt hingegen nicht, um anzunehmen, dass er mit dem Ziel handelt, den Internetnutzern Zugang zu diesen Inhalten zu verschaffen. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern (EuGH a.a.O. Rn. 85 – Y.T. und Cyando; BGH a.a.O. Rn. 78 – Y.T. II).
62
Ob das fragliche Tätigwerden Erwerbszwecken dient, ist zwar nicht gänzlich unerheblich, doch allein die Tatsache, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform Erwerbszwecke verfolgt, erlaubt weder die Feststellung, dass er hinsichtlich der rechtswidrigen Wiedergabe geschützter Inhalte durch einige seiner Nutzer vorsätzlich handelt, noch eine dahingehende Vermutung (EuGH a.a.O. Rn. 86 – Y.T. und Cyando; BGH a.a.O. Rn. 79 – Y.T. II).
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(2) Soweit sich bei der Prüfung einer rechtswidrigen öffentlichen Zugänglichmachung ergeben sollte, dass die Beklagte hinreichende technische Maßnahmen getroffen hat, die geeignet sind, Urheberrechtsverletzungen glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen, ist weiter zu prüfen, ob sie nach einem Hinweis des Klägers unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen getroffen haben, um den Zugang zu diesem Inhalt durch Löschung oder Sperrung zu verhindern. Zwar reicht die allgemeine Kenntnis von der rechtsverletzenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf einer Video-Sharing-Plattform nicht für die Annahme aus, der Betreiber handele mit dem Ziel, den Internetnutzern Zugang zu diesen Inhalten zu verschaffen. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Zugang zu diesem Inhalt durch Löschung oder Sperrung zu verhindern. In einem solchen Fall trägt der Betreiber über die bloße Bereitstellung der Plattform hinaus dazu bei, der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen, so dass eine öffentliche Wiedergabe vorliegt (EuGH a.a.O. Rn. 85, 102 – Y.T. und Cyando; BGH a.a.O. Rn. 111, 112 – Y.T. II).
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(3) Soweit nicht der Bereicherte selbst, sondern ein Dritter in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts eingegriffen hat, ist jedenfalls Voraussetzung der Nichtleistungskondiktion, dass der Kondiktionsgegenstand dem Bereicherungsschuldner nicht auf dem Umweg über das Vermögen des Dritten zugeflossen ist, sondern sich bis zum kondiktionsauslösenden Vorgang im Vermögen des Bereicherungsgläubigers befunden hat (BGH a.a.O. Rn. 95 – Y.T. II; GRUR 2009, 515 Rn. 46 – Motorradreiniger).
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bb) Nach diesen Grundsätzen kommt mangels einer Wiedergabehandlung durch die Beklagten selbst sowie mangels unmittelbaren Zuflusses des Kondiktionsgegenstandes vom Bereicherungsgläubiger an die Beklagten als vermeintliche Bereicherungsschuldner ein Anspruch aus Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB nicht in Betracht.
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(1) Eine Wiedergabehandlung fällt den Beklagten nicht dadurch zur Last, dass sie nicht diejenigen Maßnahmen ergriffen hätten, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf der Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen, oder dass sie auf dieser Plattform Hilfsmittel angeboten hätten, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder ein solches Teilen wissentlich gefördert hätten, indem sie ein Geschäftsmodell gewählt haben, das die Nutzer der Plattform dazu angeregt hätte, geschützte Inhalte auf der Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.
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Zwar wird Nutzern der Zugang zur Plattform … nur aufgrund einer gültigen E-Mail-Adresse ermöglicht, ohne dass die hochgeladenen Videos inhaltlich kontrolliert werden oder eine Überprüfung der sonstigen Nutzerangaben erfolgt. Im Rahmen einer glaubwürdigen und wirksamen Bekämpfung wird seitens der Plattformbetreiber für eine Monetarisierung indes die Einrichtung eines sogenannten …-Kanals verlangt, in dessen Rahmen eine rechtliche Verpflichtung der Nutzer erfolgt, keine Videos zur Monetarisierung freizugeben, für die sie nicht über die notwendigen Rechte verfügen. Überdies bedarf es für die Auszahlung des dem Uploader zustehenden Anteils an den im Rahmen der Monetarisierung erzielten Werbeerlösen einer sogenannten Ad-SenseVereinbarung, für die er seinen Namen, seine Adresse sowie seine Kontoverbindung angeben muss, so dass eine anonyme Nutzung unmöglich ist. Zudem ist ein Benachrichtigungsverfahren (‚Noticeand Take-Down‘-Verfahren) eingerichtet, im Rahmen dessen Rechteinhaber über rechtsverletzende Inhalte auf der Plattform informieren können, falls Uploader entsprechende Videos dort hochgeladen haben. Sofern ein Video von der Plattform entfernt wird, verhindert ein Filter, dass ein identisches Video erneut hochgeladen werden kann. Die Konten von Uploadern, deren Videos wegen Rechtsverletzungen wiederholt beanstandet und entfernt worden sind, werden nach vorheriger Ankündigung gesperrt (‚Three-strikes-and-you’re-out‘-Policy). Ferner wird Rechteinhabern ein Programm zur Inhaltsprüfung angeboten, mit dem rechtsverletzende Videos aufgefunden werden können, wobei sie im Falle einer erkannten Rechtsverletzung das betreffende Video mit einfachem Mausklick melden können, woraufhin es gesperrt wird. Überdies können Rechteinhaber ein softwarebasiertes sogenanntes Content-Identification-System nutzen und Referenzdateien zur Verfügung stellen, anhand derer das System neu hochgeladene oder bereits vorhandene Videos identifiziert, so dass die Rechteinhaber im Falle einer Übereinstimmung das entsprechende Video sperren lassen können.
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Bei diesen Maßnahmen handelt es sich nicht nur um reaktive Maßnahmen infolge zutage getretener Rechtsverletzungen, sondern vielmehr um proaktive Maßnahmen, durch die im Vorfeld Rechtsverletzungen unterbunden werden sollen. Dass dieses Maßnahmen nicht hinreichend effektiv seien, begründet die Klägerin lediglich damit, dass trotz ihrer Nutzung Rechtsverletzungen aufgetreten seien, ohne dass dies vor dem Hintergrund betrachtet würde, dass technische Schutzmaßnahmen stets einer gewissen Unvollkommenheit unterliegen, durch die nicht ohne weiteres auf ihre fehlende Effektivität geschlossen werden kann. Auch dass weitere Maßnahmen wie Wortfilter oder eine ausnahmslose Identifizierung der Nutzer denkbar wären, ist vor dem Hintergrund, dass als Maßstab die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartbaren Maßnahmen dienen, als Begründung der fehlenden Effektivität nicht ausreichend.
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Nicht erkennbar ist weiter, dass die Beklagten auf der Plattform Hilfsmittel angeboten hätten, die speziell zum unerlaubten Teilen von Inhalten bestimmt sind, oder dass sie ein solches Teilen wissentlich gefördert hätten. Vor dem Hintergrund, dass eine Monetarisierung von Inhalten der Angabe von Klardaten bedarf und anonymisiert nicht möglich ist, lässt sich auch nicht erkennen, dass ein Geschäftsmodell gewählt wurde, das die Nutzer der Plattform dazu angeregt hätte, geschützte Inhalte auf der Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.
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Dass die Beklagten grundsätzlich, obwohl sie vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurden, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um den Zugang zu diesem Inhalt durch Löschung oder Sperrung zu verhindern, wird seitens der Klägerin nicht geltend gemacht.
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(2) Soweit die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.03.2023 thematisiert hat, dass es den Beklagten oblegen hätte, sogenannte Wortfilter einzusetzen, zumal diese eine effiziente Kontrolle ermöglichten, hat sie diesbezüglich nichts dazu vorgetragen, wie hierbei der Problematik des sogenannten „Overkill“ Rechnung getragen werden kann, wie also der Schutz der Meinungsfreiheit und von Persönlichkeitsrechten gewährleistet werden kann, indem eine zu weitgehende Filterung verhindert wird.
72
Soweit die Klägerin weiter moniert hat, seitens der Beklagten werde eine jedenfalls faktisch anonyme Nutzung ermöglicht, wie insbesondere die unergiebige Antwort auf ein Auskunftsersuchen gemäß Anlage BK 4 zeige, durch die die fehlende Möglichkeit, an Klardaten der Uploader zu kommen, dokumentiert sei, verhilft ihr das ebenfalls nicht zum Erfolg. Die Anlage BK 4 zeigt nur einzelne Beispiele einer erfolglosen Beauskunftung, wobei offenkundig nicht versucht worden ist, auch die Geldströme im Rahmen der Monetarisierung nachzuvollziehen, was möglicherweise erfolgversprechender sein kann als bloße Auskunftsersuchen („Follow the money“).
73
Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung argumentiert hat, dass aufgrund der durch die Anlage BK 4 dokumentierten faktisch anonymen Nutzung eine eigene Handlung der Wiedergabe der Beklagten anzunehmen sei, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Die persönliche Zurechnung einer Handlung der Wiedergabe bezieht sich grundsätzlich auf die Werknutzung. Bei mehreren Akteuren begeht die Handlung der Wiedergabe im Zweifel derjenige, unter dessen Kontrolle und Verantwortung die Zugangsverschaffung zum Werk vollzogen wird. Es geht folglich darum, wer die Autonomie über die Handlung hat (vgl. Wandtke/Bullinger/Leenen, 6. Aufl., InfoSoc-RL, Art. 3, Rn. 25 m.w.N.). Dass diese Form der Handlungsherrschaft davon abhängen soll, ob die Klardaten des Uploaders anhand der bei der Plattform hinterlegten Informationen in einem einzelnen Beispielsfall ermittelbar sind oder nicht, erscheint nicht nachvollziehbar.
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(3) Ein sogenannter Anspruch aus Dritteingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB scheidet mangels unmittelbaren Zuflusses des Kondiktionsgegenstandes von der Klägerin an die Beklagten als Bereicherungsgläubiger ebenfalls aus.
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Der Kondiktionsgegenstand ist vorliegend die Nutzungshandlung im Sinne von §§ 15 Abs. 2
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Satz 1 und 2 Nr. 2; 19a UrhG in Form der öffentlichen Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Filmwerke, für welche die Klägerin Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB begehrt. Dieser Kondiktionsgegenstand fließt indes nicht unmittelbar von der Klägerin an die Beklagten, sondern allenfalls von den Uploadern an diese, sobald diese das Videomaterial auf die Plattform hochladen.
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Soweit die Klägerin einen eigenen Kondiktionsgegenstand in einem Recht zur Nutzung der Filme für Werbung bzw. dem Gebrauch der Werbemöglichkeiten oder des Werbeerlöspotentials sehen möchte (Seite 7 ff. der Berufungsbegründung vom 22.12.2017, Bl. 340 ff. d.A.), kann dem nicht gefolgt werden. Hierbei handelt es sich nicht um eigenständige urheberrechtliche Nutzungshandlungen, die dem Urheber zugewiesen sind, also einen entsprechenden Zuweisungsgehalt aufweisen, in den im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB eingegriffen werden kann. Dementsprechend bilden sie keinen eigenen Bereicherungsgegenstand, zumal in der von der Klägerin angeführten Entscheidung BGH GRUR 2010, 62 – Nutzung von Musik für Werbezwecke lediglich die Reichweite bzw. Beschränkung der Berechtigungsverträge im Rahmen von § 31 Abs. 1 Satz 1 UrhG und die Zweckübertragungslehre inmitten standen.
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cc) Soweit die Klägerin seitens der Beklagten zu 4) einen eigenen Eingriff im Rahmen von § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB vermutet und eine diesbezügliche sekundäre Darlegungslast deshalb bei der Beklagten zu 4) sieht, weil sie in …-Kanälen als „Owner“ aufscheine, kann dem nicht gefolgt werden. Für den Eingriff in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts trifft nach allgemeinen Grundsätzen den Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast (BGH NJW-RR 2007, 488 Rn. 9), lediglich im Hinblick auf die Tatsachen, aus denen der Schuldner sein Recht herleiten möchte, das Erlangte behalten zu dürfen, lässt sich gegebenenfalls eine sekundäre Darlegungslast annehmen (BGH NJW-RR 2004, 556). Allein aus der Begrifflichkeit „Owner“ auf den Eingriff schließen zu wollen, ist rein spekulativ. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beklage zu 4) auf Seite 8, zweiter Absatz, der Berufungserwiderung vom 22.03.2018 (Bl. 372 d.A.) vorgetragen hat, dass unter bestimmten Umständen wie dem Beitritt eines Kanalbetreibers zum System der Beklagten zu 4) Änderungen des Eintrags als „Owner“ auch auf sie selbst erfolgen, ohne dass damit auf eine Verantwortlichkeit der Beklagten zu 4) für den Upload geschlossen werden könne.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
80
4. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), da die maßgeblichen Rechtsfragen durch die zitierten Entscheidungen des EuGH und des BGH geklärt sind. Auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor.