Titel:
Fehlende Lizenzwilligkeit bei zögerlichem Verhandeln
Normenketten:
PatG § 139
AEUV Art. 102
ZPO § 148
Leitsätze:
1. Der Unverhältnismäßigkeitseinwand des § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist auf besondere Ausnahmefälle beschränkt, wobei die Darlegungs- und Beweislast für eine Unverhältnismäßigkeit auf Beklagtenseite liegt. Allein der Umstand, dass ein Patentverwerter einen Unterlassungsanspruch geltend macht, ist für sich gesehen nicht geeignet, diesen als unverhältnismäßig einzustufen. (Rn. 139 – 144) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen um höchst komplexe Produkte handelt und die dem Klagepatent zugrunde liegende technische Funktion nur einen Teilaspekt des von ihnen umgesetzten technischen Standards adressiert, führt jedenfalls bei der Geltendmachung von standardessenziellen Patenten grundsätzlich nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit. (Rn. 145 – 147) (redaktioneller Leitsatz)
3. Fehlt es an der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers, kann grundsätzlich offen bleiben, ob das Angebot des Patentinhabers (inhaltlich) FRAND-Bedingungen entspricht. Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und daher ebenfalls von der Pflicht, alle Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher allein in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRANDwidrig ist, dass es bei objektiver Wertung als schlechterdings untragbar erscheint, daher als nicht ernst gemeint zu bewerten ist und in der Sache nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen. (Rn. 168) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die fehlende Lizenzwilligkeit des Patentverletzers kann sich in einer Verzögerung der die Lizenzbedingungen betreffenden Verhandlungen zeigen, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass ein Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abgelehnt, sondern vielmehr vorgeblich angestrebt, die Findung einer angemessenen Lösung aber im Einzelnen hintertrieben oder zumindest so lange wie möglich hinausgeschoben wird. (Rn. 167) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Patent, Erfindung, Schadensersatzanspruch, Verletzung, Klagepatent, Vorrichtung, Unterlassungsanspruch, Patentverletzung, Anspruch, Patentanspruch, Berufung, Auslegung, Unterlassung, Patentinhaber, Bundesrepublik Deutschland, Treu und Glauben, Kosten des Rechtsstreits
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 18036
Tenor
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft am jeweiligen Vorstandsvorsitzenden (Chief Executive Officer) der Beklagten zu 1) bzw. am jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten zu 2) zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
umfassend eine Vorrichtung zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
n der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern, die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; Mittel zum Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und Mittel zum Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer; wobei: die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar sind; und das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs/Wiederherstellungsparametern ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 54)
umfassend eine Vorrichtung zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern, wobei die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; im Decodierer, Mittel zum Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die durch das Ermittlungsmittel ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; wobei: das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 75)
umfassend einen Decodierer zum Decodieren eines codierten Tonsignals,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: ein Mittel, das auf das codierte Tonsignal anspricht, zur Wiederherstellung eines Satzes von Signalcodierungsparametern aus dem codierten Tonsignal, ein Mittel zum Synthetisieren des Tonsignals als Antwort auf den Satz von Signalcodierungsparametern und eine Vorrichtung nach vorstehend lit. b) zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen des codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 90)
umfassend einen Codierer zum Codieren eines Tonsignals,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: ein Mittel, das auf das Tonsignal anspricht, um einen Satz von Signalcodierungsparametern zu produzieren, ein Mittel zum Senden des Satzes von Signalcodierungsparametern zu einem Decodierer, der auf die Signalcodierungsparameter anspricht, zur Wiederherstellung des Tonsignals und eine Vorrichtung nach vorstehend lit. a) zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung der Signalcodierungsparameter von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 91)
die eingerichtet sind zur Durchführung eines Verfahrens zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
Dritten, die zur Nutzung der Lehre des EP 1 509 903 nicht berechtigt sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
wobei das Verfahren aufweist: Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs/Wiederherstellungsparametern, die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer; wobei: die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar sind; das Tonsignal ein Sprachsignal ist; wobei das Ermitteln, im Codierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 1)
die eingerichtet sind zur Durchführung eines Verfahrens zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
Dritten, die zur Nutzung der Lehre des EP 1 509 903 nicht berechtigt sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
wobei das Verfahren aufweist: Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern, wobei die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationspara- meter; und im Decodierer, Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rah- men und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die im Decodiere ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; wobei: das Ton- signal ein Sprachsignal ist, wobei das Ermitteln, im Decodierer, von Verschlei- erungs-/Wiederherstellungsparametern ein Klassifizieren aufeinanderfolgen- der Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Ener- gieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalener- gie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durch- schnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 39)
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 27. September 2019 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 27. September 2019 begangen haben, und zwar unter Angabe:
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zelten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung der Internetadressen, der Schaltungszeiträume und der Zugriffszahlen,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und An- schriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zu Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässi- gen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob eine bestimmte Lieferung oder ein bestimmter Abneh- mer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. die vorstehend zu Ziffer 1. a) bezeichneten, seit dem 27. September 2019 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen;
5. nur die Beklagte zu 2): die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz bzw. Eigentum der Beklagten zu 2) befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer 1.a) bis d) zu vernichten, oder an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 2) herauszugeben;
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klä- gerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 27. September 2019 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
- 950.000,00 € einheitlich für Ziffer I.1., I.4. und I.5.,
- 50.000,00 € einheitlich für Ziffern I.2. und I.3. sowie
- 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags für Ziffer III.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents 1 509 903 (Anlage (C) WKS 2, nachfolgend: Klagepatent) und nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer und mittelbarer Patentverletzung in Anspruch.
2
Das Klagepatent wurde am 30.05.2005 angemeldet und nimmt eine Priorität vom 31.05.2002 (CA 23884/39) in Anspruch. Die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung erfolgten am 12.04.2017. Das Klagepatent wurde mit Wirkung für Deutschland erteilt.
3
Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A method of concealing frame erasure caused by frames of an encoded sound signal erased during transmission from an encoder to a decoder, and for accelerating recovery of the decoder after non erased frames of the encoded sound signal have been received, comprising:
determining, in the encoder, concealment/recovery parameters comprising at least two parameters selected from the group consisting of a signal classification parameter, an energy information parameter, a voicing information parameter and a phase information parameter; quantizing the concealment/recovery parameters; and transmitting to the decoder the quantized concealment/recovery parameters determined in the encoder;
the concealment/recovery parameters are usable to improve frame erasure concealment and recovery of the decoder after frame erasure; the sound signal is a speech signal;
determining, in the encoder, the concealment/recovery parameters comprises classifying successive frames of the encoded sound signal as unvoiced, unvoiced transition, voiced transition, voiced, or onset; and determining the concealment/recovery parameters comprises calculating the energy information parameter in relation to a maximum of a signal energy for frames classified as voiced or onset, and calculating the energy information parameter in relation to an average energy per sample for other frames.“
4
Patentanspruch 39 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A method for the concealment of frame erasure caused by frames erased during transmission of a sound signal encoded under the form of signal encoding parameters from an encoder to a decoder, and for accelerating recovery of the decoder after non erased frames of the encoded sound signal have been received, comprising:
determining, in the decoder, concealment/recovery parameters from the signal-encoding parameters, the concealment/recovery parameters comprising at least two parameters selected from the group consisting of a signalclassification parameter, an energy information parameter, a voicing information parameter and a phase information parameter; and in the decoder, conducting erased frame concealment and decoder recovery in response to the concealment/recovery parameters determined in the decoder;
the sound signal is a speech signal;
determining, in the decoder, the concealment/recovery parameters comprises classifying successive frames of the encoded sound signal as unvoiced, unvoiced transition, voiced transition, voiced, or onset; and determining the concealment/recovery parameters comprises calculating the energy information parameter in relation to a maximum of a signal energy for frames classified as voiced or onset, and calculating the energy information parameter in relation to an average energy per sample for other frames.“
5
Patentanspruch 54 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A device for conducting concealment of frame erasure caused by frames of an encoded sound signal erased during transmission from an encoder to a decoder, and for accelerating recovery of the decoder after non erased frames of the encoded sound signal have been received, comprising:
means for determining, in the encoder, concealment/recovery parameters comprising at least two parameters selected from the group consisting of a signal classification parameter, an energy information parameter, a voicing information parameter and a phase information parameter;
means for quantizing the concealment/recovery parameters; and means for transmitting to the decoder the quantized concealment/recovery parameters determined in the encoder;
the concealment/recovery parameters are usable to improve frame erasure concealment and recovery of the decoder after frame erasure; and the sound signal is a speech signal;
the means for determining, in the encoder, the concealment/recovery parameters comprises means for classifying successive frames of the encoded sound signal as unvoiced, unvoiced transition, voiced transition, voiced, or onset; and the means for determining the concealment/recovery parameters comprises means for calculating the energy information parameter in relation to a maximum of a signal energy for frames classified as voiced or onset, and means for calculating the energy information parameter in relation to an average energy per sample for other frames.“
6
Patentanspruch 75 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A device for the concealment of frame erasure caused by frames erased during transmission of a sound signal encoded under the form of signal-encoding parameters from an encoder to a decoder, and for accelerating recovery of the decoder after non erased frames of the encoded sound signal have been received, comprising:
means for determining, in the decoder, concealment/recovery parameters from the signalencoding parameters, the concealment/recovery parameters comprising at least two parameters selected from the group consisting of a signal classification parameter, an energy information parameter, a voicing information parameter and a phase information parameter; in the decoder, means for conducting erased frame concealment and decoder recovery in response to the concealment/recovery parameters determined by the determining means;
the sound signal is a speech signal;
the means for determining, in the decoder, the concealment/recovery parameters comprises means for classifying successive frames of the encoded sound signal as unvoiced, unvoiced transition, voiced transition, voiced, or onset; and the means for determining the concealment/recovery parameters comprises means for calculating the energy information parameter in relation to a maximum of a signal energy for frames classified as voiced or onset, and means for calculating the energy information parameter in relation to an average energy per sample for other frames.“ Patentanspruch 90 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A decoder for decoding an encoded sound signal comprising:
means responsive to the encoded sound signal for recovering from said encoded sound signal a set of signal-encoding parameters;
means for synthesizing the sound signal in response to the set of signal-encoding parameters; and a device as recited in any one of claims 75 to 89, for concealing frame erasure caused by frames of the encoded sound signal erased during transmission from an encoder to the decoder.“
7
Patentanspruch 91 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„An encoder for encoding a sound signal comprising:
means responsive to the sound signal for producing a set of signal-encoding parameters; means for transmitting the set of signal-encoding parameters to a decoder responsive to the signal-encoding parameters for recovering the sound signal; and a device as recited in any of claims 54 to 74, for conducting concealment of frame erasure caused by frames erased during transmission of the signal-encoding parameters from the encoder to the decoder.“
8
Die nachfolgend eingeblendeten Abbildungen der Klagepatentschrift (Figuren 1, 5 und 7) erläutern Ausführungsbeispiele der Erfindung:
9
Wegen der weiteren Details wird auf die Patentschrift verwiesen.
10
Die Beklagte zu 1) bietet in Deutschland für private und gewerbliche Endkunden Smartphones an, die mit dem LTE (4G)-Mobilfunkstandard kompatibel sind, insbesondere Smartphones mit der Modellbezeichnung ... (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen), vertreibt diese und führt diese aus dem Ausland nach Deutschland ein. Die angegriffenen Ausführungsformen werden beispielsweise auf der Webseite ... beworben. Die Beklagte zu 2) die deutsche Tochtergesellschaft der in China ansässigen Beklagten zu 1) und unterstützt die Beklagte zu 1) bei deren Vertriebstätigkeiten in Deutschland.
11
Die Klägerin trägt vor, dass die von den Beklagten vertriebenen Smartphones, die mit dem LTE (4G)-Mobilfunkstandard kompatibel sind, insbesondere die technischen Vorgaben gemäß den ETSI-Spezifikationen ETSI TS 126.445 V14.2.0 („Universal Mobile Telecommunications System (UMTS); LTE; Codec for Enhanced Voice Services (EVS); Detailed algorithmic description (3GPP TS 26.445 version 14.2.0 Release 14)“, nachfolgend: ETSI TS 126.445) und ETSI TS 126.447 V14.1.0 („Universal Mobile Telecommunications System (UMTS); LTE; Codec for Enhanced Voice Services (EVS); Error concealment of lost packets (3GPP TS 26.447 version 14.1.0 Release 14)“, nachfolgend: ETSI TS 126.447) umsetzen, das Klagepatent hinsichtlich der oben genannten Vorrichtungsansprüche unmittelbar und hinsichtlich der oben genannten Verfahrensansprüche mittelbar wortsinngemäß verletzen. Der FRAND-Einwand der Beklagten habe keinen Erfolg, so dass der begehrte Unterlassungsanspruch auszusprechen sei. Er sei auch nicht aus anderen Gründen unverhältnismäßig.
12
Die Klägerin beantragt zuletzt,
I. die Beklagten zu 1) und zu 2) zu verurteilen,
1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft am jeweiligen Vorstandsvorsitzenden (Chief Executive Officer) der Beklagten zu 1) bzw. am jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten zu 2) zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
umfassend eine Vorrichtung zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern, die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; Mittel zum Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und Mittel zum Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer; wobei: die Verschleierungs/Wiederherstellungsparameter zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar sind; und das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 54)
insbesondere wenn die mobilen Endgeräte ein Mittel aufweisen zum Ermitteln der Klassifizierung der aufeinanderfolgenden Rahmen des codierten Tonsignals auf der Basis zumindest eines Teils der folgenden Parameter: einem normalisierten Korrelationsparameter, einem Spektralverzerrungsparameter, einem Signal/RauschVerhältnis-Parameter, einem Tonhöhenstabilitätsparameter, einem relativen Rahmenenergieparameter und einem Nulldurchgangsparameter;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 63)
umfassend eine Vorrichtung zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern, wobei die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; im Decodierer, Mittel zum Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die durch das Ermittlungsmittel ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; wobei: das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 75)
das Mittel zum Durchführen des Verschleierns der Rahmenlöschung und der Wiederherstellung des Decodierers ein Mittel zum zufälligen Generieren eines nicht periodischen Innovationsteils eines LP-Filter-Anregungssignals aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 80)
das Mittel zum zufälligen Generieren des nicht periodischen Innovationsteils des LP-Filter-Anregungssignals aufweist:
- falls sich ein letzter empfangener nicht gelöschter Rahmen von stimmlos unterscheidet, ein Hochpassfilter zum Filtern des Innovationsteils des LP- Filter-Anregungssignals; und
- falls der letzte nicht empfangene gelöschte Rahmen stimmlos ist, ein Mittel zum Verwenden nur des Innovationsteils des LP-Filter-Anregungssignals;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 83)
das Mittel zum Durchführen des Verschleierns der Rahmenlöschung und der Wiederherstellung des Decodierers, wenn ein Einsetzen-Rahmen verloren gegangen ist, wie durch das Vorhandensein eines stimmhaften Rahmens nach einer Rahmenlöschung und eines stimmlosen Rahmens vor einer Rahmenlöschung angezeigt, ein Mittel zum künstlichen Rekonstruieren des verlorengegangenen Einsetzens durch Konstruieren eines periodischen Teils eines Anregungssignals als eine tiefpassgefilterte periodische Impulsabfolge, getrennt durch eine Tonhöhenperiode, aufweist;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 84)
c) mobile Endgeräte umfassend einen Decodierer zum Decodieren eines codierten Tonsignals,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: ein Mittel, das auf das codierte Tonsignal anspricht, zur Wiederherstellung eines Satzes von Signalcodierungsparametern aus dem codierten Tonsignal, ein Mittel zum Synthetisieren des Tonsignals als Antwort auf den Satz von Signalcodierungsparametern und eine Vorrichtung nach vorstehend lit. b) zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen des codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 90)
umfassend einen Codierer zum Codieren eines Tonsignals,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
wobei das mobile Endgerät umfasst: ein Mittel, das auf das Tonsignal anspricht, um einen Satz von Signalcodierungsparametern zu produzieren, ein Mittel zum Senden des Satzes von Signalcodierungsparametern zu einem Decodierer, der auf die Signalcodierungsparameter anspricht, zur Wiederherstellung des Tonsignals und eine Vorrichtung nach vorstehend lit. a) zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung der Signalcodierungsparameter von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 91)
die eingerichtet sind zur Durchführung eines Verfahrens zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
Dritten, die zur Nutzung der Lehre des EP 1 509 903 nicht berechtigt sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
wobei das Verfahren aufweist: Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs/Wiederherstellungsparametern, die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer; wobei: die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar sind; das Tonsignal ein Sprachsignal ist; wobei das Ermitteln, im Codierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 1)
das Ermitteln der Klassifizierung der aufeinanderfolgenden Rahmen des codierten Tonsignals auf der Basis zumindest eines Teils der folgenden Parameter aufweist: einem normalisierten Korrelationsparameter, einem Spektralverzerrungsparameter, einem Signal/Rausch-Verhältnis-Parameter, einem Tonhöhenstabilitätsparameter, einem relativen Rahmenenergieparameter und einem Nulldurchgangsparameter;
(mittelbare Verletzung Anspruch 10)
und/oder das Verschleiern der Rahmenlöschung und die Wiederherstellung des Decodierers, wenn ein Einsetzen-Rahmen verloren gegangen ist, wie durch das Vorhandensein eines stimmhaften Rahmens nach einer Rahmenlöschung und eines stimmlosen Rahmens vor einer Rahmenlöschung angezeigt, ein künstliches Rekonstruieren des verlorengegangenen Einsetzen-Rahmens durch Konstruieren eines periodischen Teils eines Anregungs-Signals als tiefpassgefilterte periodische Impulsabfolge, getrennt durch eine Tonhöhenperiode aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 29)
die eingerichtet sind zur Durchführung eines Verfahrens zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden,
Dritten, die zur Nutzung der Lehre des EP 1 509 903 nicht berechtigt sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
wobei das Verfahren aufweist: Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern, wobei die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter; und im Decodierer, Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die im Decodierer ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; wobei: das Tonsignal ein Sprachsignal ist, wobei das Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen aufweist; und das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 39)
insbesondere wenn das Durchführen des Verschleierns der Rahmenlöschung und der Wiederherstellung des Decodierers, wenn ein Einsetzen-Rahmen verloren gegangen ist, wie durch das Vorhandensein eines stimmhaften Rahmens nach einer Rahmenlöschung und eines stimmlosen Rahmens vor einer Rahmenlöschung angezeigt, ein künstliches Rekonstruieren des verlorengegangenen EinsetzenRahmens durch Konstruieren eines periodischen Teils eines Anregungssignals als tiefpassgefilterte periodische Impulsabfolge, getrennt durch eine Tonhöhenperiode aufweist;
(mittelbare Verletzung Anspruch 48)
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 27. September 2019 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 27. September 2019 begangen haben, und zwar unter Angabe:
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zelten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung der Internetadressen, der Schaltungszeiträume und der Zugriffszahlen,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob eine bestimmte Lieferung oder ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. die vorstehend zu Ziffer 1. a) bezeichneten, seit dem 27. September 2019 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen;
5. nur die Beklagte zu 2): die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz bzw. Eigentum der Beklagten zu 2) befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer 1.a) bis d) zu vernichten, oder an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 2) herauszugeben;
II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 27. September 2019 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
13
Die Beklagten beantragen zuletzt,
hilfsweise, den Rechtsstreit bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Nichtigkeitsberufung der Nichtigkeitsklägerin HMD Global Oy mit Aktenzeichen X ZR 11/22 auszusetzen.
14
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens.
15
Die Beklagte sind im Wesentlichen der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Jedenfalls sei das Verfahren im Hinblick auf die Berufung der Nichtigkeitsklägerin HMD Global Oy, begründet mit Schriftsatz vom 02.05.2022 (Anlage VP 3), auszusetzen. Den Beklagten stünde gegen die Klägerin der FRAND-Einwand zu, ferner sei die Aussprache eines Unterlassungsanspruchs hier unverhältnismäßig.
16
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 18.01.2021 (Bl. 596/598 d. A.) und 19.01.2023 (Bl. 599/601 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
17
Die Klage ist zulässig (A.). Sie ist auch begründet. Die Beklagten benutzen den Gegenstand des Klagepatents (B.). Der Klägerin stehen gegen die Beklagten daher die verfolgten Ansprüche zu. Der FRAND-Einwand der Beklagten hat keinen Erfolg (C.). Das Verfahren ist nicht nach § 148 ZPO auszusetzen (D.).
18
Die Klage ist zulässig.
19
I. Das Landgericht München I ist zuständig (§ 143 PatG, § 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 BayGZVJu, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO).
20
II. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
21
Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Schadensersatzfeststellung gemäß §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3, 9 S. 2 Nr. 1, 10 Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ zu.
22
I. Das Klagepatent betrifft Verfahren und Vorrichtungen zur wirksamen Verschleierung von Rahmenlöschungen sowie zur beschleunigten Wiederherstellung des Decodierers nach einer Rahmenlöschung, vgl. [0001].
23
1. Die Lehre des Klagepatents baut auf dem CELP (Code-Excited Linear Prediction)-Modell auf, vgl. [0004].
24
Die Beschreibung der Klagepatentschrift erläutert, dass im Stand der Technik ein Codierer ein Sprachsignal in einen digitalen Bitstrom umwandele, der über einen Kommunikationskanal übertragen oder auf einem Speichermedium gespeichert werde. Dabei werde das Sprachsignal digitalisiert, d. h. abgetastet und mit üblicherweise 16 Bit pro Abtastung quantisiert. Der Codierer habe die Aufgabe, diese digitalen Abtastwerte mit einer geringeren Anzahl von Bits darzustellen und dabei eine gute subjektive Sprachqualität beizubehalten. Der Decodierer verarbeite den übertragenen bzw. gespeicherten Bitstrom und wandele ihn in ein synthetisiertes Sprachsignal um, vgl. [0003]. In Figur 1 ist ein Beispiel für ein entsprechendes (Sprach-)Kommunikationssystem schematisch dargestellt (s.o.) und in [0015] bis [0019] beschrieben.
25
Nach dem CELP-Modell wird das Eingangstonsignal durch Einträge (sog. Vektoren) in zwei Codebüchern repräsentiert, einem innovativen Codebuch und einem adaptiven Codebuch. Im innovativen (festen) Codebuch sind Signalausschnitte für stimmlose Signalanteile codiert und seine Einträge sind unveränderlich. Demgegenüber werden im adaptiven Codebuch (Pitch-Codebuch) stimmhafte Signalanteile codiert und sein Inhalt ändert sich fortlaufend entsprechend der neuen Sprachsignale, vgl. [0004].
26
Aufgabe des Codierers ist es, in seinen Codebüchern die Einträge zu finden, die das Eingangstonsignal am besten repräsentieren. Es werden dann nicht diese Einträge, sondern Parameter, die die Einträge definieren, an den Decodierer übermittelt. Der Decodierer, der über im Wesentlichen dieselben Codebücher verfügt, kann mittels der Codebuchparameter die richtigen Einträge identifizieren und aus diesen ein Ausgangssignal rekonstruieren, dass auf Decodiererseite, also beim Empfänger einer Funkkommunikation, ausgegeben wird.
27
Die Übermittlung der Sprachdaten erfolgt paketbasiert, d.h. die mittels des CELP-Modells ermittelten Sprachdaten werden in Paketen versendet, wobei ein Paket üblicherweise einen Rahmen enthält, der einem Sprachsegment von 20 ms Dauer entspricht, vgl. [0005].
28
2. Als nachteilig an dem aus dem Stand der Technik bekannten CELP-Modell kritisiert das Klagepatent, dass bei paketbasierter Kommunikation ein Paket verloren gehen könne, wenn die Anzahl der Pakete sehr groß sei, oder als verloren gewertet werden könne, wenn es den Empfänger erst mit erheblicher Verzögerung, nach Überschreiten eines bestimmten zeitlichen Grenzwerts erreiche, vgl. [0005]. Dadurch stehen der Dateninhalt des gelöschten Rahmens und der entsprechende Teil des zu decodierenden Sprachsignals dem Decodierer auf Empfängerseite nicht zur Verfügung. Der fehlende Rahmen müsse dann im Decodierer unter Verwendung der im vorherigen Rahmen gesendeten Informationen und durch Schätzung der Signalentwicklung im fehlenden Rahmen erzeugt werden (sog. Verschleierung), vgl. [0006] und [0063].
29
Da der Inhalt des adaptiven Codebuchs, das bei der Aufrechterhaltung einer hohen Sprachqualität bei niedrigen Bitraten eine wichtige Rolle spiele, auf dem Anregungssignal vorangegangener Rahmen basiere, sei das Paar aus Codierer und Decodierer (Codec) empfindlich gegenüber einem Rahmenverlust. Bei gelöschten oder verlorenen Rahmen unterscheide sich der Inhalt des adaptiven Codebuchs im Decodierer von dem im Codierer. Wenn auf eine Rahmenlöschung folgend wieder „gute“ Rahmen empfangen würden, unterscheide sich das anhand des adaptiven Codebuchs im Decodierer synthetisierte Sprachsignal von dem Synthesesignal, das sich ohne Rahmenlöschung ergeben hätte, weil der Beitrag des adaptiven Codebuchs durch die Rahmenlöschung geändert worden sei. Der Inhalt des adaptiven Codebuchs des Decodierers müsse daher aktualisiert und an den des Codierers angeglichen werden (sog. Wiederherstellung), vgl. [0006] und [0063].
30
Die Auswirkung eines gelöschten Rahmens würde (auch) von der Art des Sprachsegments abhängen, in dem die Löschung stattgefunden habe. Wenn die Löschung in einem stationären Signalsegment auftrete, könne die Rahmenlöschung effizient verschleiert und die Auswirkung auf die darauffolgenden Rahmen minimiert werden. Wenn andererseits die Löschung bei einem Einsetzen des Sprachsignals oder einem Übergang auftrete, könne sich der Effekt der Löschung über mehrere Rahmen ausbreiten. Wenn beispielsweise der Anfang eines stimmhaften Segments verloren gehe, fehle die erste Tonhöhenperiode im adaptiven Codebuch. Dies habe eine schwerwiegende Auswirkung auf den Tonhöhenprädiktor in darauffolgenden „guten“ Rahmen, was zu einer langen Zeitdauer führe, bis das Synthesesignal am Codierer gegen das Signal konvergiere, das sich ohne Rahmenlöschung ergeben hätte, und bis der Decodierer somit wiederhergestellt sei, vgl. [0006] und [0063].
31
3. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, Verfahren und Vorrichtungen zur Verschleierung von Rahmenlöschungen und zum Beschleunigen der Wiederherstellung des Decodierers bereitzustellen, vgl. [0008] bis [0011].
32
4. Hierfür schlägt das Klagepatent Verfahren nach Maßgabe der erteilten Ansprüche 1 und 39, Vorrichtungen nach Maßgabe der erteilten Ansprüche 54 und 75, einen Decodierer nach Maßgabe des erteilten Anspruchs 90 sowie einen Codierer nach Maßgabe des erteilten Anspruchs 91 vor, die sich merkmalsmäßig wie folgt gliedern lassen:
1.1.1 zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und
1.1.2 zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden;
1.2 das Tonsignal ist ein Sprachsignal;
1.3 Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern,
1.3.1 die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus a) einem Signalklassifizierungsparameter,
b) einem Energieinformationsparameter,
c) einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und d) einem Phaseninformationsparameter; und
1.3.2 das Ermitteln weist ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen auf;
1.3.3 das Ermitteln weist auf a) ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und b) ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen;
1.4 Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter;
1.5 Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer;
1.6 die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter sind zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar.
39.1.1 zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und 39.1.2 zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden;
39.2. das Tonsignal ist ein Sprachsignal;
39.3 Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern,
39.3.1 die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus a) einem Signalklassifizierungsparameter,
b) einem Energieinformationsparameter,
c) einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und d) einem Phaseninformationsparameter; und 39.3.2 das Ermitteln weist ein Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen auf; und 39.3.3 das Ermitteln weist auf a) ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und b) ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf;
39.4 im Decodierer, Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die im Decodierer ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter.
54.1.1 zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen eines codierten Tonsignals verursacht wird, die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und 54.1.2 zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden;
54.2 das Tonsignal ist ein Sprachsignal;
54.3 Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern,
54.3.1 die zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus a) einem Signalklassifizierungsparameter,
b) einem Energieinformationsparameter,
c) einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und d) einem Phaseninformationsparameter;
54.3.2 das Mittel zum Ermitteln, im Codierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern weist ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen auf;
54.3.3 das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter weist ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf.
54.4 Mittel zum Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter; und 54.5 Mittel zum Senden der im Codierer ermittelten quantisierten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter an den Decodierer;
54.6 die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter sind zur Verbesserung eines Verschleierns einer Rahmenlöschung und Wiederherstellens des Decodierers nach einer Rahmenlöschung verwendbar.
75.1.1 zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung eines Tonsignals, das unter der Form von Signalcodierungsparametern codiert ist, von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden, und 75.1.2 zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers, nachdem nicht gelöschte Rahmen des codierten Tonsignals empfangen wurden;
75.2 das Tonsignal ist ein Sprachsignal;
75.3. Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern aus den Signalcodierungsparametern,
75.3.1 wobei die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter zumindest zwei Parameter aufweisen, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus a) einem Signalklassifizierungsparameter,
b) einem Energieinformationsparameter,
c) einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und d) einem Phaseninformationsparameter;
75.3.2 das Mittel zum Ermitteln, im Decodierer, der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter weist ein Mittel zum Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen des codierten Tonsignals als stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen auf;
75.3.3 das Mittel zum Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter weist ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Mittel zum Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf.
75.4 Mittel, im Decodierer, zum Durchführen einer Verschleierung gelöschter Rahmen und Wiederherstellung des Decodierers als Antwort auf die durch das Ermittlungsmittel ermittelten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter.
90.1 Decodierer zum Decodieren eines codierten Tonsignals, aufweisend:
90.1.1. ein Mittel, das auf das codierte Tonsignal anspricht, zur Wiederherstellung eines Satzes von Signalcodierungsparametern aus dem codierten Tonsignal;
90.1.2 ein Mittel zum Synthetisieren des Tonsignals als Antwort auf den Satz von Signalcodierungsparametern; und 90.1.3 eine Vorrichtung nach einem der Ansprüche 75 bis 89 zum Verschleiern einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen des codierten Tonsignals verursacht wird,
die während einer Sendung von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden.
91.1 Codierer zum Codieren eines Tonsignals, aufweisend:
91.1.1 ein Mittel, das auf das Tonsignal anspricht, um einen Satz von Signalcodierungsparametern zu produzieren;
91.1.2 ein Mittel zum Senden des Satzes von Signalcodierungsparametern zu einem Decodierer, der auf die Signalcodierungsparameter anspricht, zur Wiederherstellung des Tonsignals; und 91.1.3 eine Vorrichtung nach einem der Ansprüche 54 bis 74 zum Durchführen eines Verschleierns einer Rahmenlöschung, die durch Rahmen verursacht wird, die während einer Sendung der Signalcodierungsparameter von einem Codierer zu einem Decodierer gelöscht werden.
33
5. Einige Merkmale bedürfen näherer Erläuterung.
34
a) Die durch das Klagepatent unter Schutz gestellte technische Lehre ist nach dem Verständnis der angesprochenen Fachperson zu ermitteln, die einen universitären Abschluss (Diplom oder Master) eines Ingenieurstudiums der Elektro- oder Nachrichtentechnik und mehrjährige Berufserfahrung sowie einschlägige Kenntnisse auf dem Gebiet der digitalen Signalverarbeitung, insbesondere der Codierung von Sprachsignalen, besitzt.
35
b) Zum Verschleiern einer Rahmenlöschung und zum Beschleunigen einer Wiederherstellung des Decodierers (Merkmalsgruppe 1.1) sollen im Codierer Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ermittelt werden (Merkmal 1.3), die gemäß Merkmalsgruppe 1.3.1 zumindest zwei Parameter aufweisen, die aus der Gruppe bestehend aus einem Signalklassifizierungsparameter, einem Energieinformationsparameter, einem Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und einem Phaseninformationsparameter ausgewählt werden.
36
aa) Die Aufzählung der in Merkmalsgruppe 1.3.1 genannten Parameter ist nach dem Wortlaut und Wortsinn (nur) insoweit abschließend, als anspruchsgemäß aus dieser Gruppe von vier Parametern mindestens zwei Parameter ausgewählt werden müssen, d.h. nur insoweit hat die Verwendung der Formulierung „bestehend aus“ („consisting of“) abschließende Wirkung.
37
Der Anspruch trifft dagegen – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 70; Duplik – Teil II, Rz. 3/11) – keine Aussage darüber, ob die Gruppe der vier Parameter insgesamt abschließend ist. Er schließt daher nicht aus, dass darüber hinaus noch weitere Parameter außerhalb dieser Gruppe der vier Parameter herangezogen werden können, die gegebenenfalls Vorgänge betreffen, die außerhalb der klagepatentgemäßen Lösung liegen. Dies geht auch aus [0065] hervor, weil dort im Rahmen eines Ausführungsbeispiels beschrieben ist, dass bei einer leichten Erhöhung der Bitrate zur besseren Kontrolle wenige zusätzliche Parameter quantisiert und übertragen werden können (vgl. BGH GRUR 2015, 972, Rn. 22 f. – Kreuzgestänge).
38
bb) Merkmal 1.3.1 ist – entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 26; Duplik – Teil II, Rz. 15/24) – nicht dahingehend auszulegen, dass die Auswahl der mindestens zwei Parameter anhand der verfügbaren Bandbreite erfolgen muss. Eine derartige Einschränkung ist im Anspruch nicht angelegt. Soweit die Beklagtenseite diesbezüglich auf die [0077], [0104], [0108], [0112] und [0116] verweist, in denen der Aspekt der verfügbaren Bandbreite behandelt wird, handelt es sich um die Beschreibung von Ausführungsbeispielen, auf die der Gegenstand des Anspruchs nicht beschränkt ist.
39
cc) Diese Auslegung gilt entsprechend für Merkmalsgruppe 39.3.1 des Verfahrensanspruchs 39 für die Decodiererseite.
40
c) Unter einem Signalklassifizierungsparameter gemäß Merkmal 1.3.1.a) (sowie Merkmal 39.3.1.a)) versteht die Fachperson jede Kenngröße, anhand welcher der Decodierer feststellen kann, ob ein quasistationäres Sprachsegment oder ein Sprachsegment mit sich schnell ändernden Eigenschaften von der Rahmenlöschung betroffen ist (vgl. [0006], [0063]) und [0071] zur Grundidee, dass die ideale Verschleierungs-Strategie und das optimale Verfahren für die Signalwiederherstellung mit der Klassifizierung des Sprachsignals variiert). Die Fachperson subsumiert unter dem Begriff des Signalklassifizierungsparameters somit insbesondere die Rahmenklasse gemäß Merkmal 1.3.2 sowie jeden der im erteilten Unteranspruch 10 genannten Parameter (vgl. auch Tabelle 2 in [0094]).
41
aa) Zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 1.3.1.a) (bzw. Merkmal 39.3.1.a)) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen i. S. von Merkmal 1.3.2 (bzw. Merkmal 39.3.2) besteht – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 25; Duplik – Teil II, Rz. 25/33) – kein inhaltlicher Unterschied. Aus der Verwendung unterschiedlicher Begriffe im Anspruch folgt nicht zwingend, dass diesen Begriffen eine unterschiedliche Bedeutung zukommen muss. Stattdessen können sie im Einzelfall auch gleichbedeutend sein.
42
(1) Dies entspricht dem technischen Verständnis der Begriffe der Signalklassifizierung und der Rahmenklassifizierung. Der Fachperson ist vor dem Hintergrund der Codierung nach dem CELP-Modell klar, dass eine Klassifizierung des Signals auf den Rahmen Bezug nimmt. Denn Signalklassifizierung findet rahmenweise statt. Die Begriffe der Signalklassifizierung und der Rahmenklassifizierung sind – jedenfalls im vorliegend relevanten Umfang – deckungsgleich, also synonym.
43
(2) Diesem Verständnis steht auch nicht der Anspruchswortlaut entgegen.
44
Dieser gibt keine Differenzierung zwischen zwei inhaltlich zu unterscheidenden Klassifizierungsarten vor. Er spricht allein von der Ermittlung eines Signalklassifizierungsparameters und einem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen. Der Wortlaut ermöglicht damit zwanglos das Verständnis, dass die Signalklassifizierung rahmenweise erfolgt und Merkmal 1.3.2 die Klassen definiert.
45
(3) Aus der Klagepatentbeschreibung ergibt sich ebenfalls kein Anhaltspunkt für eine unterschiedliche technische Bedeutung der Begriffe der Signalklassifizierung und der Rahmenklassifizierung. Vielmehr werden in [0066] „These parameters include (…) frame classification“) und [0069] „these parameters include signal classification“) die Begriffe Signal- und Rahmenklassifizierung synonym verwendet.
46
bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Duplik – Teil II, Rz. 28/34) gebietet es die Klagepatentschrift – jedenfalls im Zusammenhang mit Merkmal 1.3.1.a) – auch nicht, zwischen Signalklassifizierung und Signalklassifizierungsparameter zu differenzieren.
47
(1) Eine derartige Unterscheidung ist technisch nicht zwingend und ergibt sich auch nicht aus der Beschreibung. Vielmehr wird in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels die Signalklassifizierung bzw. Rahmenklassifizierung explizit als ein entsprechender Parameter benannt (vgl. [0066]: („In the present illustrative embodiment of the present invention, methods for efficient frame erasure concealment, and methods for extracting and transmitting parameters that will improve the performance and convergence at the decoder in the frames following an erased frame are disclosed. These parameters include two or more of the following: frame classification (…)“); [0069]: („(…) additional parameters are computed, quantized, and transmitted with the aim to improve the FER concealment and the convergence and recovery of the decoder after erased frames. In the present illustrative embodiment, these parameters include signal classification (…)“; [0070]: „Among these parameters, signal classification will be treated in more detail.“). Auch in der u.a. in [0069] beschriebenen Figur 5 ist die Übermittlung der Rahmenklasse („class“) als Signalklassifizierungsparameter gezeigt.
48
(2) Dass in Tabelle 2 in [0094] Signalklassifizierungsparameter aufgeführt sind („Signal Classification Parameters“), die die Gütefunktion in [0095] eingesetzt werden, deren Ergebnis wiederum gemäß Tabelle 3 in [0096] für die Signalklassifizierung maßgeblich ist, führt – entgegen dem Vorbringen der Beklagten (vgl. Duplik – Teil II, Rz. 28/30) – zu keinem anderen Ergebnis.
49
Die genannten Beschreibungsstellen befassen sich mit einem anderen Aspekt der Erfindung, während die oben genannten Beschreibungsstellen [0066], [0069] und [0070] gerade Merkmalsgruppe 1.3.1 betreffen. Darüber hinaus schließt die vorliegende Auslegung auch nicht aus, dass die in Tabelle 2 in [0094] genannten Parameter als Signalklassifizierungsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.a) angesehen werden. Daneben ist aber – wie dargelegt – auch die Signalklasse bzw. Rahmenklasse als solche vom Begriff des Signalklassifizierungsparameters in Merkmal 1.3.1.a) erfasst (vgl. das Urteil des BPatG vom 06.12.2021, Anlage (C) WKS 1, S. 14/15).
50
(3) Auch das Argument der Beklagten, die Signalklassifizierung als solche sei kein Parameter, weil in [0066] und [0069] auch „energy“ als Parameter benannt sei, obwohl Energie „als solche (…) erkennbar kein Parameter“ sei (Duplik – Teil II, Rz. 34), überzeugt die Kammer nicht.
51
Es kann hier dahinstehen, ob diese Aussage für „energy“ zutrifft, weil jedenfalls aus einer etwaigen unpräzisen Formulierung hinsichtlich eines Parameters nicht zwangsläufig auf die Auslegung eines anderen Parameters geschlossen werden kann.
52
d) Ein Stimmhaftigkeitsinformationsparameter gemäß Merkmal 1.3.1.c) (sowie Merkmal 39.3.1.c)) ist bei Zugrundelegung eines funktionalen Verständnisses ein Parameter für Informationen über die Stimmhaftigkeit des Signals, wobei er geeignet ist, die Verschleierung einer Rahmenlöschung und die Wiederherstellung des Decodierers zu verbessern (vgl. Merkmal 1.6).
53
Dabei gehören zur Stimmhaftigkeit jedenfalls Informationen über die Periodizität der Sprache, vgl. [0116].
54
[0072] erläutert, dass stimmhafte Sprache eine erhebliche Menge periodischer Komponenten im Signal aufweist („Voiced speech contains an important amount of periodic components (…).“).
55
Welche konkrete Stimmhaftigkeits- oder Periodizitätsinformation Anwendung finden und als Parameter gemäß Merkmal 1.3.1.c) übermittelt werden soll, wird von der patentgemäßen Lehre nicht vorgegeben. Der Anspruch bringt auch nicht zum Ausdruck, dass ein spezifisches Maß an Stimmhaftigkeit gemeint sei. Danach genügt grundsätzlich – je nach den Systemgegebenheiten – die Bestimmung und Berücksichtigung einer Information, die sich auf die Stimmhaftigkeit, mithin auf die periodischen Komponenten des Signals, letztlich die Grundfrequenz des Sprachsignals bezieht, soweit diese Information geeignet ist, die Rahmenlöschungs-Verarbeitung zu verbessern.
56
Entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Duplik – Teil II, Rz. 38/39) gibt der Anspruch nicht vor, dass der Stimmhaftigkeitsinformationsparameter aus mindestens zwei Bits besteht. [0116], auf die die Beklagten verweisen (Duplik – Teil II, Rz. 38), erläutert nur ein Ausführungsbeispiel und enthält zudem lediglich die Aussage, dass zwei Bits ausreichen würden, wenn dies erforderlich sein („It can be encoded quite precisely with 4 bits, however, 3 or even 2 bits would suffice if necessary.“), jedoch nicht, dass der Stimmhaftigkeitsinformationsparameter aus mindestens zwei Bits bestehen muss.
57
e) Wie bereits dargelegt (s. o.) besteht zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 1.3.1.a) (bzw. Merkmal 39.3.1.a)) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen gemäß Merkmal 1.3.2 (bzw. Merkmal 39.3.2) kein inhaltlicher Unterschied.
58
Die Aufzählung der fünf Rahmenklassen in Merkmal 1.3.2 („stimmlos, stimmloser Übergang, stimmhafter Übergang, stimmhaft oder Einsetzen“, ebenso in Merkmal 39.3.2.) ist dabei – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Duplik – Teil II, Rz. 35) – nicht abschließend. Der Anspruch ist offen und enthält keine Anhaltspunkte für eine abschließende Aufzählung.
59
Auch im Übrigen enthält die Patentschrift keinen Hinweis, dass sich der Anspruch auf die in Merkmal 1.3.2 genannten fünf Klassen einschränkend festlegt. Vielmehr geht das Klagepatent in [0072] („pauses“) und [0073] („silence“) ersichtlich davon aus, dass weitere Klassen vorhanden sein können, die weder stimmhaft noch stimmlos sind und außerhalb der anspruchsgemäßen Lehre liegen.
60
f) Das Ermitteln von Verschleierungs-/Wiederherstellungsparametern (im Codierer) weist gemäß Merkmalsgruppe 1.3.3 ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf.
61
aa) Dabei enthält Anspruch 1 – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 34/37; Duplik – Teil II, Rz. 41/42) – keine Einschränkung dahingehend, dass im Codierer das Berechnen des Energieinformationsparameters anhand des Eingangssprachsignals erfolgen muss und nicht anhand eines synthetisierten Signals stattfinden kann.
62
(1) Eine derartige Einschränkung ist im Wortlaut und Wortsinn von Anspruch 1 nicht angelegt. Der Anspruch umfasst (auch) die Variante des Berechnens des Energieinformationsparameters anhand des Eingangssprachsignals, ist aber nicht hierauf beschränkt.
63
(2) Die Beklagten bringen zwar vor, der Codierer, der allein Gegenstand von Anspruch 1 sei, codiere anspruchsgemäß allenfalls ein Schallsignal, er decodiere und synthetisiere dieses aber nicht wieder, so dass anspruchsgemäß kein synthetisiertes Sprachsignal vorliege, dessen Energie verwendet werden könnte. Der Codierer habe daher zwingend die Energie des Eingangssprachsignal zu verwenden. Demgegenüber liege beim Decodierer das synthetisierte Signal vor und sei dementsprechend zu verwenden. Insoweit sei also zwischen Anspruch 1 und 39 entsprechend zu differenzieren (vgl. Duplik – Teil II, Rz. 41/42).
64
Dieses Argument greift aber nicht durch. Es trifft zu, dass in Anspruch 1 ein Verfahren im Codierer beschrieben wird und in Anspruch 39 spiegelbildlich ein Verfahren im Decodierer. Hinsichtlich der Berechnung des Energieinformationsparameters findet sich in den Ansprüchen aber gerade keine Differenzierung zwischen Codierer und Decodierer. Vielmehr sind die beiden Ansprüche insoweit wortlautidentisch. Demgegenüber ist jeweils innerhalb der beiden Ansprüche eine Differenzierung hinsichtlich der Berechnung des Energieinformationsparameters abhängig von der Klassifizierung des Sprachrahmens vorgesehen (für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie und für andere Rahmen in Relation zu einer Durchschnittsenergie, siehe hierzu unten).
65
(3) Auch aus der Beschreibung ergeben sich keine Anhaltspunkte für die von den Beklagten behauptete Einschränkung.
66
Soweit sie darauf verweisen, dass für die Durchführung der Ermittlung im Codierer in [0110] und [0111] ausgeführt werde, dass für die Berechnung des Energieinformationsparameters das Eingangssprachsignal verwendet werde, während in [0145] vorgesehen sei, dass im Decodierer das synthetisierte Sprachsignal verwendet werde (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 35/36), handelt es sich bloß um Ausführungsbeispiele, die den Anspruch nicht beschränken.
67
bb) Das Berechnen eines Energieinformationsparameters „in Relation zu“ einem Maximum einer Signalenergie bzw. einer Durchschnittenergie setzt eine nicht näher bestimmte Berechnungsvorschrift voraus, mit welcher ein Energieinformationsparameter aus einem Maximum einer Signalenergie bzw. einer Durchschnittsenergie berechnet wird (vgl. das Urteil des Bundespatentgerichts, Anlage (C) WKS 1, S. 18).
68
g) Die Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter werden gemäß Merkmal 1.4 quantisiert.
69
Die Klagepatentschrift als ihr eigenes Lexikon versteht das Quantisieren eines Parameters – entgegen dem üblichen fachmännischen Verständnis des Quantisierens als Abbilden eines wertekontinuierlichen Parameters auf einen diskreten Wert einer beschränkten Menge von Werten (siehe hierzu das Urteil des BPatG vom 06.12.2021, Anlage (C) WKS 1, S. 17) – dahingehend, dass auch ein mit einer bestimmten Präzision codierter Parameter als quantisierter Parameter bezeichnet wird (so auch das Urteil des BPatG vom 06.12.2021, Anlage (C) WKS 1, S. 17).
70
Dies ergibt sich aus [0114], weil dort eine entsprechend codierte Position (des ersten Glottal-Impulses) als „quantisierte Position“ („quantized position“) bezeichnet wird. Darüber hinaus formuliert die Klagepatentschrift in [0116], dass ein stückweise linearer „Quantisierer“ verwendet wird, um Stimmhaftigkeitsinformationen zu „codieren“ („a piece-wise linear quantizer has been used to encode the voicing information“).
71
Dieses Verständnis entspricht ebenfalls der Funktion des Quantisierens im beanspruchten Verfahren. Das Quantisieren betrifft den Zwischenschritt nach dem Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter (Merkmalsgruppe 1.3) und vor deren Senden (Merkmal 1.5). Die Parameter müssen also für die Zwecke des Sendens und der weiteren Verarbeitung codiert werden, d.h. Codieren ist ein zwingender Bestandteil des Quantisierens. Der Umfang der Präzision des Codierens ist abhängig von der weiteren Verwendung. Irrelevante Bestandteile können dabei reduziert werden, z.B. durch Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl von Bits, wodurch auch Rundungen erfasst sind.
72
Dies wird auch beispielhaft verdeutlicht durch die Beschreibung eines Ausführungsbeispiels in [0077]. Hiernach wird die Rahmenklasse unter Verwendung von zwei Bits an den Decodierer übermittelt („If the available bandwidth is sufficient, the classification is done in the encoder and transmitted using 2 bits.“). Um die vorgesehenen fünf Rahmenklassen (vgl. Merkmal 1.3.2 und [0076]) auf zwei Bits abbilden zu können, werden die Klassen „stimmloser Übergang“ und „stimmhafter“ Übergang zusammen gruppiert. Dies ist möglich, weil diese Rahmenklassen im Decodierer eindeutig unterschieden werden können. Das liegt daran, weil sie jeweils nur auf bestimmte (andere) Rahmenklassen folgen können („As it can be seen from Figure 7, UNVOICED TRANSITION class and VOICED TRANSITION class can be grouped together as they can be unambiguously differentiated at the decoder (UNVOICED TRANSITION can follow only UNVOICED or UNVOICED TRANSITION frames, VOICED TRANSITION can follow only ONSET, VOICED or VOICED TRANSITION frames).“). Insoweit findet eine Irrelevanzreduktion statt.
73
Soweit die Beklagten einwenden, hierdurch trete kein Informationsverlust ein, weil sich die zusätzliche Information aus den weiteren Rahmen ergebe, so dass nur überflüssige Informationen ausgeklammert würden, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Das Klagepatent verlangt nicht, dass es durch das Quantisieren zu einem unumkehrbaren Informationsverlust kommt.
74
h) Das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter (im Decodierer) in Anspruch 39 weist gemäß Merkmal 39.3.3 ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, und ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung für andere Rahmen auf.
75
aa) Wie Anspruch 1 (s. o.) enthält auch Anspruch 39 keine Einschränkung hinsichtlich des Signals, das für das Berechnen des Energieinformationsparameters gemäß Merkmal 39.3.3 verwendet wird.
76
bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 101/102; Duplik – Teil II, Rz. 84/87) muss für das Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie (für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind) und für das Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung (für andere Rahmen) nicht das gleiche Signal verwendet werden.
77
Eine derartige Einschränkung ist im Wortlaut und Wortsinn von Anspruch 39 nicht angelegt. Vielmehr ist Anspruch 39 insoweit offen, weil jeweils (nur) von „einer“ Energie die Rede ist („a maximum of a signal energy“ und „an average energy“). Soweit die Beklagten hierzu vorbringen, dass beide alternativen Berechnungsmethoden in der Beschreibung in den Gleichungen (16) und (17) in [0110] und [0111] angegeben seien, die einheitlich mit der Größe s²(i) arbeiteten, handelt es sich hierbei um bloße Ausführungsbeispiele, die den Anspruch nicht beschränken.
78
cc) Schließlich enthält der Anspruch – entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 102) – auch keine Einschränkung, dass die Durchführung weiterer Berechnungsschritte bei der Berechnung des Energieinformationsparameters nach Berechnung des reinen „Maximums einer Signalenergie“ und der reinen „Durchschnittsenergie pro Abtastung“ aus Anspruch 39 hinausführen. Vielmehr sind weitere Berechnungsschritte unschädlich.
79
Der Anspruch ist auch insoweit offen, weil nur vorgegeben wird, dass eine Berechnung „in Relation zu“ („in relation to“) erfolgt, so dass auch insoweit ein weites Verständnis des Anspruchs geboten ist (vgl. das Urteil des Bundespatentgerichts zu Merkmal 1.3.3.a), Anlage (C) WKS 1, S. 18: „nicht näher bestimmte Berechnungsvorschrift (…), mit welcher ein Energieinformationsparameter aus einem Maximum einer Signalenergie berechnet wird“).
80
II. Die Beklagten verletzen das Klagepatent in den Verfahrensansprüchen 1 und 39 mittelbar gemäß § 10 Abs. 1 PatG und in den Vorrichtungsansprüchen 54, 75, 90 und 91 unmittelbar gemäß § 9 S. 2 Nr. 1 PatG, weil sie die angegriffene Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland anbieten und vertreiben und die angegriffene Ausführungsformen durch die Umsetzung des LTE-Standards von den Verfahrensansprüchen 1 und 39 des Klagepatents mittelbar und von den Vorrichtungsansprüchen 54, 75, 90 und 91 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch machen.
81
1. Die Parteien streiten bezüglich Anspruch 1 über die Verwirklichung der Merkmale bzw. Merkmalsgruppen 1.3.1, 1.3.1.a), 1.3.1.c), 1.3.2, 1.3.3 und 1.3.4 sowie über die entsprechenden Merkmale in den Ansprüchen 39, 54, 75, 90 und 91, soweit sie wortgleich formuliert sind oder auf andere streitgegenständliche Ansprüche Bezug nehmen. Bezüglich Anspruch 39 streiten die Parteien außerdem hinsichtlich weiterer Aspekte über die Verwirklichung der Merkmale 39.3.1.a), 39.3.2 und 39.3.3. Gegen die Benutzung der übrigen Merkmale wendet sich die Beklagte zu Recht nicht. Denn diese werden nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin von den angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht.
82
a) Durch die Umsetzung des LTE-Standards wird von Merkmal 1.3.1 Gebrauch gemacht.
83
In Abschnitt 5.5 des Standards ETSI TS 126.445 ist eine Gruppe von sechs Parametern („5.5.1 Signal classification parameter“, „5.5.2 Energy information“, „5.5.3 Phase control information“, „5.5.4 Pitch lag information“, „5.5.5 Spectral envelope diffuser“, „5.5.6 Tonality flag information“) vorgesehen, wobei die Klägerin die in den Abschnitten 5.5.1 bis 5.5.4 genannten Parameter als die in Merkmal 1.3.1.a) bis 1.3.1.d) des Anspruchs 1 offenbarten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter identifiziert (hierzu im Einzelnen sogleich, soweit deren Verwirklichung zwischen den Parteien streitig sind).
84
aa) Der Standard geht bei der Anzahl der Parameter über die vier in Merkmalsgruppe 1.3.1 genannten Parameter hinaus. Dies steht aber – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 70/71; Duplik – Teil II, Rz. 51) – einer Verwirklichung von Merkmal 1.3.1 nicht entgegen, weil die Gruppe der Parameter in Merkmalsgruppe 1.3.1 – wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.) – nicht dahingehend abschließend ist, dass ausgeschlossen wird, dass über diese Gruppe der vier Parameter hinaus noch weitere Parameter herangezogen werden dürfen.
85
bb) Nach dem Standard werden auch zumindest zwei Parameter aus der Gruppe der vier in Merkmalsgruppe 1.3.1 genannten Parameter ausgewählt.
86
Zwar verlangt der Standard in Abschnitt 5.5 von ETSI TS 126.445 nicht ausdrücklich, dass mindestens zwei Parameter aus dieser Gruppe tatsächlich ermittelt werden, sondern formuliert insoweit lediglich im Plural. Diese Formulierung lässt aber die Möglichkeit zu, dass zwei Parameter aus dieser Gruppe der vier ausgewählt werden. Die Klägerin hat schlüssig vorgetragen, dass standardgemäß jedenfalls auch Konstellationen gegeben sind, in denen zwei oder mehr Parameter aus dieser Gruppe der vier Parameter ausgewählt werden. Dies ist auch plausibel und für die Verwirklichung des Verfahrensanspruchs ausreichend, weil es insoweit nur auf die Gemeinsamkeiten ankommt. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, dies durch die konkrete Darlegung zu widerlegen, dass nach dem Standard stets maximal nur ein Parameter aus dieser Gruppe der vier Parameter ausgewählt werde. Dies ist nicht erfolgt.
87
cc) Die zumindest zwei Parameter werden auch aus der Gruppe der vier Parameter i. S. von Merkmal 1.3.1 ausgewählt.
88
Die Beklagten tragen vor, ein anspruchsgemäßes Auswählen sei im Standard nicht vorgesehen, weil danach die Auswahl anhand des Codiermodus erfolge, nicht anhand der verfügbaren Bandbreite (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 72/75; Duplik – Teil II, Rz. 55). Dies steht einer Verwirklichung von Merkmal 1.3.1 aber nicht entgegen, weil Anspruch 1 – wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.) – nicht auf eine Auswahl der mindestens zwei Parameter anhand der verfügbaren Bandbreite beschränkt ist.
89
b) Durch die Umsetzung des LTE-Standards wird auch Merkmal 1.3.1.a) verwirklicht.
90
Der Standard sieht in Abschnitt 5.5.1 von ETSI TS 126.445 vor, dass einer der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Signalklassifizierungsparameter ist.
91
Konkret verlangt der Standard, dass Sprachsignale jeweils in eine von fünf Klassen zu klassifizieren sind:
„5.5.1 Signal classification parameter (…) The classification uses the following five classes to classify speech signals: UN- VOICED, UNVOICED TRANSITION, VOICED TRANSITION, ONSET and VOICED.“
92
Bei dieser (rahmenweise) Klassifizierung des Sprachsignals handelt es sich um einen Signalklassifizierungsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.a). Wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.), ordnet Anspruch 1 nicht an, zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 1.3.1.a) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen i. S. von Merkmal 1.3.2 oder zwischen Signalklassifizierung und Signalklassifizierungsparameter zu differenzieren.
93
c) Merkmal 1.3.1.c) wird ebenfalls verwirklicht.
94
Die in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 beschriebene „pitch lag information“ stellt einen Stimmhaftigkeitsinformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.c) dar.
95
aa) Die für als Einsetzen oder stimmhaft klassifizierte Rahmen nach Setzen des „activation flag“ auf 1 vom Codierer mitgeteilte Pitch-Verzögerung betrifft den zeitlichen Abstand zwischen zwei periodisch auftretenden Pulsen im Sprachsignal und ist nach dem aufgezeigten weiten Anspruchsverständnis eine Stimmhaftigkeitsinformation.
96
Eine fehlerhafte Pitch-Verzögerung würde dazu führen, dass der rekonstruierte Puls mit einem fehlerhaften Abstand zu den übermittelten Pulsen im Sprachsignal wiedergegeben würde, was die Grundfrequenz bzw. Stimmlage in einem Sprachsignal beeinflusst, so dass eine fehlerhafte Pitch-Verzögerung als zu hohe oder zu niedrige Stimmlage wahrgenommen wird. Damit bezieht sich die Information als Periodizitätsinformation spezifisch auf die Grundfrequenz des Signals und ist – wie der Standard in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 selbst aussagt – zur Verbesserung der Sprachqualität bei der Rahmenlöschungs-Verarbeitung geeignet.
97
bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten steht dem nicht entgegen, dass – wie die Beklagten vortragen (vgl. Duplik – Teil II, Rz. 66/69) – ein „pitch lag“ im Klagepatent beschrieben wird und keinen Eingang in den Anspruch gefunden hat (z.B. ein „open-loop pitch lag TOL“ in [0030], [0033], [0036], [0037], sowie ein „rounded closed-loop pitch lag TE“ in [0110], [0113], [0145]).
98
Die Beschreibung einer Pitch-Verzögerung in einem anderen Zusammenhang bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Information zwingend aus dem Begriff des Stimmhaftigkeitsinformationsparameters ausgeklammert werden sollte, zumal die von der Beklagtenseite zitierten Beschreibungsstellen lediglich spezifische Pitch-Verzögerungen betreffen.
99
Dass eine bestimmte Information gleichfalls in einem anderen Zusammenhang als in Bezug auf ein konkretes Merkmal des Anspruchs beschrieben wird, schließt nicht aus, dass dieses Merkmal durch die fragliche Information verwirklicht wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die Information alle Voraussetzungen des Merkmals erfüllt. Dies trifft – wie dargelegt (s. o.) – wegen des aufgezeigten Anspruchsverständnisses des Stimmhaftigkeitsinformationsparameters auf die in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 beschriebene „pitch lag information“ zu.
100
cc) Auch dass die „pitch lag information“ nicht abhängig von der verfügbaren Bandbreite vom Codierer an den Decodierer übertragen wird, sondern ausschließlich für Rahmen der Klassen „onset“ und „voiced“, für diese jedoch immer, führt – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Duplik – Teil II, Rz. 65) – zu keinem anderen Ergebnis.
101
Wie bereits zu Merkmal 1.3.1 dargelegt ist (s. o.), kommt es für das Auswählen (der zumindest zwei Parameter) i. S. von Merkmalsgruppe 1.3.1 nicht an, ob die Auswahlentscheidung anhand der verfügbaren Bandbreite getroffen wird.
102
dd) Da jedenfalls die „pitch lag information“ einen anspruchsgemäßen Stimmhaftigkeitsinformationsparameter darstellt, kann hier dahinstehen, ob Merkmal 1.3.1.c) zudem bereits durch die in Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 genannte „activation flag“ verwirklicht wird (so der klägerische Vortrag in der Klageschrift, Rz. 98/99).
103
d) Auch von Merkmal 1.3.2 wird durch die Umsetzung des LTE-Standards Gebrauch gemacht.
104
In Abschnitt 5.5.1 von ETSI TS 126.445 wird vorgeschrieben, dass Sprachsignale jeweils in eine von fünf Klassen zu klassifizieren sind. Hiernach sollen Sprachsignale als „stimmlos“, „stimmloser Übergang“, „stimmhafter Übergang“, „stimmhaft“ oder „Einsetzen“ klassifiziert werden:
„5.5.1 Signal classification parameter (…) The classification uses the following five classes to classify speech signals: UN- VOICED, UNVOICED TRANSITION, VOICED TRANSITION, ONSET and VOICED.“
105
Dies entspricht der in Merkmal 1.3.2 beanspruchten Klassifizierung aufeinanderfolgender Rahmen, was zusätzlich verdeutlicht wird durch Abschnitt 5.1.13.3.1 von ETSI TS 126.445. Darin wird erläutert, dass die Klassifizierung in die genannten fünf Klassen rahmenweise erfolgt. Darüber hinaus stimmt die Erläuterung der einzelnen Klassen in Abschnitt 5.1.13.3.1 von ETSI TS 126.445 inhaltlich mit der Beschreibung der einzelnen Klassen im Ausführungsbeispiel in [0076] der Klagepatentschrift überein.
106
Dass durch die im Standard vorgesehen Klassifizierung der Rahmen auch Merkmal 1.3.1.a) erfüllt wird (s. o.), steht einer Verwirklichung von Merkmal 1.3.2 nicht entgegen, weil es Anspruch 1 – wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.) – nicht gebietet, zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 1.3.1.a) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen i. S. von Merkmal 1.3.2 zu unterscheiden.
107
e) Merkmalsgruppe 1.3.3 wird durch die Umsetzung des LTE-Standards ebenfalls verwirklicht.
108
Nach Abschnitt 5.5.2 von ETSI TS 126.445 wird der Energieinformationsparameter für als „stimmhaft“ oder „Einsetzen“ klassifizierte Rahmen i. S. von Merkmalsgruppe 1.3.3 berechnet. So gibt der Standard vor, dass für diese beiden Rahmenklassifizierungen die Energieinformation das Maximum der Signalenergie ist und gibt mit der Gleichung (1299) eine Formel zur Berechnung dieses Maximums i. S. von Merkmalsgruppe 1.3.3 an. Ebenso wird der Energieinformationsparameter für alle anderen Rahmen i. S. von Merkmalsgruppe 1.3.3 berechnet.
109
Der Standard sieht nach den Ausführungen zu den Rahmenklassifizierungen „stimmhaft“ und „Einsetzen“ in Abschnitt 5.5.2 vor, dass für alle übrigen Rahmen die Durchschnittsenergie pro Abtastung berechnet werden soll, und gibt mit der Gleichung (1300) eine Formel zur Berechnung dieser Durchschnittsenergie an:
110
Dass hierbei im Standard ein synthetisiertes Sprachsignal („local synthesis signal“) verwendet wird, steht – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 81/82) – einer Verwirklichung von Merkmalsgruppe 1.3.3 entgegen, weil – wie dargelegt (s. o.) – Anspruch 1 nicht auf ein Berechnen des Energieinformationsparameters anhand des Eingangssprachsignals beschränkt ist.
111
f) Im LTE-Standard erfolgt auch ein Quantisieren der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter i. S. von Merkmal 1.4. aa) Wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s. o.) versteht die Klagepatentschrift den Begriff des Quantisierens eines Parameters dahingehend, dass auch ein mit einer bestimmten Präzision codierter Parameter als quantisierter Parameter bezeichnet wird. Ein derart verstandenes Quantisieren wird im Standard hinsichtlich aller vier in der Merkmalsgruppe 1.3.1 genannten Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter durchgeführt.
112
bb) Der in Abschnitt 5.5.1 von ETSI TS 126.445 erläuterte Signalklassifizierungsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.a) (s.o.) wird gemäß Abschnitt 5.5.1 mit (nur) zwei Bits codiert. Dabei führt der Standard sogar – wie [0076] der Klagepatentschrift (s. o.) – explizit aus, dass die fünf Klassen mit nur zwei Bits codiert werden können, indem die Klassen „stimmloser Übergang“ und „stimmhafter Übergang“ zusammen gruppiert werden („Though there are five signal classes, they can be encoded with only two bits as the differentiation of the both TRANSITION classes can be done unambiguously determined based on the class of the preceding frame.“). cc) Der Energieinformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.b) wird nach Abschnitt 5.5.2 von ETSI TS 126.445 mit einem 5-Bit linearen Quantisierer quantisiert („The energy information is quantized using a 5-bit linear quantizer (…).“).
113
dd) Die Informationen zur Pitch-Verzögerung als Stimmhaftigkeitsinformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.c) (s. o.) werden nach Abschnitt 5.5.4 von ETSI TS 126.445 mit vier Bits codiert, also anspruchsgemäß quantisiert, sofern sie übermittelt werden („In case the activation flag equals to 1, the pitch lag is encoded with 4 bits and transmitted on top of the activation flag.“).
114
ee) Der Phaseninformationsparameter i. S. von Merkmal 1.3.1.d) wird nach Abschnitt 5.5.3 von ETSI TS 126.445 mit acht Bits codiert, also anspruchsgemäß quantisiert („The position of the last glottal pulse, τ, is encoded using 8 bits (…).“).
115
ff) Dass es sich bei den als anspruchsgemäßer Signalklassifizierungsparameter, Stimmhaftigkeitsinformationsparameter und Phaseninformationsparameter identifizierten Größen in Abschnitt 5.5.1 von ETSI TS 126.445 um diskrete Größen, nicht um wertkontinuierliche Signale handelt, steht – entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 58/67) – einer Verwirklichung von Merkmal 1.4 nicht entgegen, weil die Klagepatentschrift insoweit über das übliche fachmännische Verständnis des Quantisierens als Abbilden eines wertekontinuierlichen Parameters auf einen diskreten Wert einer beschränkten Menge von Werten hinausgeht (s. o.).
116
g) Auch Merkmal 39.3.1 wird durch den LTE-Standard verwirklicht.
117
Die Beklagten bringen gegen die Verwirklichung von Merkmal 39.3.1 vor, dass der Decodierer nach ETSI TS 126.447 nicht nur aus den Kategorien „Signal class estimation“ (Abschnitt 5.1.2), „Energy control during recovery“ (Abschnitt 5.3.3.3), „Extrapolation of future pitch“ (Abschnitt 5.3.1.1) und „Glottal pulse resynchonization“ (Abschnitt 5.3.1.3), sondern darüber hinaus auch aus weiteren Größen Parameter für die Verschleierung von gelöschten Rahmen bzw. für die Wiederherstellung des Decodierers auswähle, insbesondere „spectral envelope diffuser“ (Abschnitt 5.3.3.2) und „tonality flag“ (Abschnitt 5.4.5.3a) (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 88/90). Wie im Rahmen der Auslegung sowie zu Merkmal 1.3.1 dargelegt (s.o.), steht dies jedoch einer Verwirklichung von Merkmal 39.3.1 nicht entgegen.
118
h) Durch die Umsetzung des LTE-Standards wird auch Merkmal 39.3.1.a) verwirklicht.
119
Der Standard sieht in Abschnitt 5.1 von ETSI TS 126.447 eine rahmenweise Signalklassifizierung vor:
120
Bei dieser (rahmenweise) Klassifizierung des Sprachsignals handelt es sich um einen Signalklassifizierungsparameter i. S. von Merkmal 39.3.1.a). Wie im Rahmen der Auslegung sowie zu Merkmal 1.3.1.a) dargelegt (s. o.), gebietet es Anspruch 39 nicht, zwischen Signalklassifizierung i. S. von Merkmal 39.3.1.a) und dem Klassifizieren aufeinanderfolgender Rahmen i. S. von Merkmal 39.3.2 oder zwischen Signalklassifizierung und Signalklassifizierungsparameter zu differenzieren.
121
i) Auch von Merkmal 39.3.2 wird durch die Umsetzung des LTE-Standards Gebrauch gemacht.
122
Die Beklagtenseite wenden gegen die Verwirklichung von Merkmal 39.3.2 ein, dass im Standard neben den beanspruchten fünf Klassen auch weitere Klassen vom Decodierer benutzt werden (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 94/97). Dies steht aber – wie im Rahmen der Auslegung sowie zu Merkmal 1.3.2 dargelegt (s.o.) – einer Verwirklichung von Merkmal 39.3.2 nicht entgegen.
123
j) Merkmal 39.3.3 wird durch die Umsetzung des LTE-Standards ebenfalls verwirklicht.
124
Nach Abschnitt 5.3.3.3 von ETSI TS 126.447 wird (bei niedrigeren Bitraten) der Energieinformationsparameter Eq im Decodierer i. S. von Merkmal 39.3.3 berechnet. Hierzu wird Eq auf den Wert E1 initialisiert und E1 gemäß den Gleichungen (95) bzw. (96) in Abschnitt 5.3.3.3 berechnet, wobei für die Rahmen „stimmhaft“ und „Einsetzen“ die Energieinformation das Maximum der Signalenergie ist und für alle übrigen Rahmen die Durchschnittsenergie pro Abtastung berechnet wird:
125
Dass für die beiden Berechnungsvarianten unterschiedliche Signale verwendet werden, steht – entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 102, 104) – der Verwirklichung von Merkmal 39.3.3 – wie dargelegt (s. o.) – nicht entgegen, zumal die Beklagten nicht darlegt haben, welche Berechnungsschritte im Standard konkret vorgenommen werden.
126
Ebenfalls hindert die Durchführung weiterer Berechnungsschritte im Standard, die die Beklagten anführen (vgl. Klageerwiderung – Teil I, Rz. 104, mit Verweis auf zwei Absätze in ETSI TS 126.447, S. 32), die Verwirklichung von Merkmal 39.3.3 nicht (s. o.).
127
2. Die Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung bezüglich der Verfahrensansprüchen 1 und 39 sind gemäß § 10 Abs. 1 PatG erfüllt. Der Gefährdungstatbestand nach § 10 PatG wird objektiv und subjektiv verwirklicht.
128
a) Mittel sind die angegriffenen Ausführungsformen (EVSfähige Mobiltelefone), weil sie Gegenstände sind, die selbst noch nicht die Lehre der Patentansprüche 1 und 39 (wortsinngemäß oder äquivalent) verwirklichen, aber geeignet sind, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung (in wortsinngemäßer oder äquivalenter Form) verwendet zu werden.
129
b) Diese Mittel beziehen sich auf ein wesentliches Element der Erfindung. Die Geräte können das in den Ansprüchen 1 und 39 beanspruchte Verfahren ausführen. Da die in den Ansprüchen 1 und 39 enthaltenen Merkmale maßgeblich durch die angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht werden, tragen sie damit zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis maßgeblich bei.
130
c) Die angegriffenen Ausführungsformen sind objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung geeignet. Wenn eine angegriffene Ausführungsform bestimmungsgemäß von dritter Seite genutzt wird, sind die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens nach den Ansprüchen 1 und 39 hergestellt. Die angegriffenen Ausführungsformen sind geeignet, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsformen und ihrer Einbindung in den EVS-Standard ist dies der Fall, weil eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer möglich ist. Diese Benutzung durch Nutzer ist bereits erfolgt.
131
d) Das Angebot oder die Lieferung der angegriffenen Ausführungsformen im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland ist erfolgt.
132
e) Der subjektive Tatbestand ist gegeben.
133
Die subjektive Bestimmung des Nutzers zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich. Die angegriffenen Ausführungsformen sehen die patentverletzende Funktionalität (EVS-Kompabilität) vor. Es ist evident, aber zumindest davon auszugehen, dass sie vom Nutzer der Vorrichtungen entsprechend ausgeführt wird. Die objektive Eignung und die Verwendungsbestimmung der Abnehmer sind für die Beklagtenseite offensichtlich.
134
III. Auf die Verwirklichung der Unteransprüche 10, 29, 48, 63, 80, 83 und 84 kommt es nicht an, weil diese insoweit nur hilfsweise geltend gemacht werden.
IV. Die Beklagten sind unstreitig passivlegitimiert.
135
V. Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche im tenorierten Umfang zu.
136
1. Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG. Die Wiederholungsgefahr wird durch die festgestellten rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert.
137
a) Ein Schlechthinverbot ist hinsichtlich Ziffer I.1.e) und f) des Tenors gerechtfertigt. Die angegriffenen Ausführungsformen können technisch und wirtschaftlich sinnvoll nur in patentverletzender Weise verwendet werden. Das haben die Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
138
b) Der Unterlassungsanspruch ist nicht aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen, § 139 Abs. 1 S. 3 PatG. Er ist verhältnismäßig, § 139 Abs. 1 S. 3 PatG.
139
(1) Gemäß § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist der Unterlassungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde.
140
Der Unverhältnismäßigkeitseinwand des § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist auf besondere Ausnahmefälle begrenzt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Unterlassungsanspruch die logische Folge des Ausschließlichkeitsrechts ist. Mit der Erteilung des Patents entstehen an der patentierten Erfindung absolute Rechte, die neben ihrem Zuweisungsgehalt einen Ausschlussgehalt besitzen, so dass der Inhaber des Rechts grundsätzlich jedermann von der Nutzung der patentierten Lehre ausschließen kann. So erlauben sie insbesondere – im Rahmen der übrigen gesetzlichen, insbesondere der patent- und kartellrechtlichen Vorgaben – den Ausschluss Dritter von der Nutzung der patentierten Lehre. Um sein Ausschließlichkeitsrecht durchzusetzen, ist der Patentinhaber in aller Regel auf den Unterlassungsanspruch angewiesen.
141
Der Gesetzgeber hat in der Begründung des 2. PatModG klargestellt, dass eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Der Unterlassungsanspruch ist die regelmäßige Sanktion der Patentrechtsordnung bei einer Patentverletzung. Darlegungs- und beweisbelastet für eine Unverhältnismäßigkeit ist die Beklagtenseite. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht (BT-Drs. 19/25821, S. 53).
142
Wenn der Patentverletzer besondere Umstände darlegt, die im Einzelfall eine nicht gerechtfertigte Härte begründen können, kann es im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und bei einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben und der grundsätzlich vorrangigen Interessen des Verletzten an der Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs ausnahmsweise darauf ankommen, ob der Verletzte selbst Produkte oder Komponenten herstellt, die mit dem patentverletzenden Produkt in Wettbewerb stehen, oder ob primär eine Monetarisierung seiner Rechte das Ziel des Patentinhabers ist (BT-Drs. 19/25821, S. 53). Im Übrigen können wirtschaftliche Auswirkungen der Unterlassungsverfügung, die Komplexität von Produkten, subjektive Gesichtspunkte auf beiden Seiten und Drittinteressen zu berücksichtigen sein. So kann etwa zu Lasten des Verpflichteten eine fehlende Lizenzwilligkeit gesehen werden (BT-Drs. 19/25821, S. 54).
143
(2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe greift der von der Beklagtenseite erhobene Einwand der Unverhältnismäßigkeit nicht durch. Unter Berücksichtigung aller Umstände des zwischen den Parteien geführten Rechtsstreits und ihrer maßgeblichen Interessen hat die Beklagtenseite eine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs nicht dargetan.
144
(a) Der Umstand, dass die Klägerin ihr EVS-Portfolio zum Zwecke der Monetarisierung erworben hat, begründet für sich gesehen keine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs. Nach der bisherigen Rechtslage (vgl. Werner in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl. 2020, § 139 Rn. 92 m.w.N.), der die Gesetzesbegründung zustimmt (s. o.), ist der Umstand allein, dass ein Patentverwerter einen Unterlassungsanspruch geltend macht, für sich gesehen nicht geeignet, diesen als unverhältnismäßig einzustufen (st. Rspr. der Kammer, vgl. LG München I GRUR-RS 2022, 34498 – „keepawake-message“).
145
(b) Dass die dem Klagepatent zugrunde liegende technische Funktion nur einen Teilaspekt des EVS-Standards adressiert, und die angegriffenen Ausführungsformen höchst komplexe Produkte sind, begründet für sich gesehen ebenfalls keine Unverhältnismäßigkeit.
146
Jedenfalls bei der Geltendmachung von standardessenziellen Patenten kommt insoweit eine Unverhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht in Betracht. Denn der Nutzer eines SEPs hat grundsätzlich einen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen. Dass der Lizenzvertrag noch nicht abgeschlossen ist, ist – wie sogleich unter C. gezeigt wird – der Beklagtenseite anzulasten. Wie oben erläutert, kann auch die Lizenzunwilligkeit bei einer Interessenabwägung zu berücksichtigen sein. Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der Argumentation der Beklagtenseite, der FRAND-Einwand und der Unverhältnismäßigkeitseinwand beruhten auf unterschiedlichen dogmatischen Grundlagen. Der Umstand, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten jedenfalls ein – nicht schlechterdings untragbares, s.u. – Angebot von der Klägerin erhalten und dieses nicht angenommen hat, weil sie lizenzunwillig gewesen ist (hierzu unter C.), vermag die Rechte der Klägerin wegen der Komplexität des Verletzerprodukts nicht zu beschränken. Denn die Unternehmensgruppe der Beklagtenseite hatte und hat die Möglichkeit, ihr patentverletzendes Handeln zu legitimieren. Sie hat (bislang) von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht. Dass die Klägerin ihre Patentrechte gegen einen lizenzunwilligen Patentverletzer durchsetzen muss und hierzu auf ein gerichtliches Verfahren angewiesen ist, ist dann logische Folge. Dies begründet im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung keine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs.
147
Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der herrschenden Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur: Kommt der Patentinhaber seinen FRAND-Verpflichtungen nach, so eröffnet § 139 Abs. 1 S. 3 PatG dem Patentverletzer bei Fehlen weiterer, die Unverhältnismäßigkeit begründender Umstände keine zusätzliche Verteidigungsmöglichkeit (vgl. Ohly, GRUR 2021, 1229, 1236).
148
(c) Auch bei einer Gesamtschau der gegen die Verhältnismäßigkeit vorgebrachten Aspekte ergibt sich keine andere Wertung.
149
2. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
150
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
151
Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
152
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren.
153
3. Der Anspruch auf Rückruf und Vernichtung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140a Abs. 1, Abs. 3 PatG. Der Anspruch auf Rückruf besteht auch gegen eine im Ausland ansässige Verpflichtete (BGH GRUR 2017, 785, 787, Rn. 33 – Abdichtsystem). Daher besteht der Anspruch auch hier gegen die Beklagtenseite. Ebenso besteht der Anspruch auf Vernichtung: Zwar liegt der Sitz der Beklagten zu 1) im Ausland, sie liefert aber unstreitig Verletzungsgegenstände ins Inland und hat daher im Inland jedenfalls (mittelbaren) Besitz.
154
Der Anspruch ist auch nicht unverhältnismäßig, § 140a Abs. 4 PatG. Auch der Unverhältnismäßigkeitseinwand nach § 140a Abs. 4 PatG ist auf enge Ausnahmen beschränkt (zum Vernichtungsanspruch siehe Rinken, in: BeckOK PatR, PatG § 140a Rn. 28, zum Rückrufanspruch Rinken, in: BeckOK PatR, PatG § 140a Rn. 46). Hier gilt das unter V.1.b) Gesagte entsprechend.
155
4. Da die Beklagten die Verletzungshandlungen zumindest fahrlässig begangen haben, sind sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
156
Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verletzt wird.
157
Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
158
Die Beklagten haften nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner.
159
Der von den Beklagten erhobene kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand (sog. FRANDEinwand) steht der Durchsetzbarkeit der klägerischen Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung, Rückruf und Entfernung nicht entgegen. Er greift mangels Lizenzwilligkeit der Unternehmensgruppe der Beklagten nicht durch.
160
Es kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung auf dem relevanten Markt besitzt, so dass sie Normadressatin des Art. 102 AEUV ist. Den sich aus dieser besonderen Stellung ergebenden Pflichten und Obliegenheiten ist die Klägerin hinreichend nachgekommen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten ist insbesondere auf die Verletzung hingewiesen worden. Entgegen der Annahme der Beklagten liegt jedoch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung vor. Denn nach den Umständen des konkreten Einzelfalls ist die Unternehmensgruppe der Beklagten nicht (hinreichend) lizenzwillig gewesen.
161
I. Ein Patentinhaber, welcher sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen an einem standardessenziellen Patent (SEP) zu FRAND-Bedingungen (also fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen) zu erteilen, kann seine durch das standardessenzielle Patent vermittelte marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung einer Verletzungsklage missbrauchen, wenn und soweit diese geeignet ist zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE; BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I). Als missbräuchlich können insoweit grundsätzlich Klageanträge in Betracht kommen, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten oder auf Vernichtung gerichtet sind (vgl. BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand I m. w. N.).
162
Der Unionsgerichtshof hat zur FRAND-Lizenz entschieden, dass der Inhaber eines von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessenziellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, er dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (vgl. EuGH aaO). Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass es dem Inhaber eines standardessenziellen Patents mit FRAND-Erklärung grundsätzlich nicht verboten ist, gegen den Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben (EuGH aaO).
163
Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung sowie Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich als missbräuchlich darstellen, wenn sich der Verletzer zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrags zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereiterklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen (BGH aaO – FRAND-Einwand I). Der Missbrauch der Marktmacht folgt aus der Ablehnung eines nachgefragten Zugangs zu der Erfindung schlechthin oder aus unangemessenen Bedingungen für einen nachgefragten Zugang, von denen der Patentinhaber auch am Ende von Verhandlungen nicht abzurücken bereit ist, mithin der Weigerung, dem den Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen anstrebenden Lizenznehmer als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses diejenigen fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen anzubieten, die dieser beanspruchen kann und zu denen er seinerseits bereit ist, mit dem Patentinhaber abzuschließen (vgl. BGH GRUR 2021, 585 Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Aus einem nicht FRAND-Bedingungen entsprechenden Angebot als solchem ergibt sich noch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Patentinhabers: Ein Missbrauch liegt erst darin, dem Patentverletzer die Verhandlung und den Abschluss eines in Ansehung der im Verhandlungsprozess artikulierten Interessen interessengerechten FRAND-Lizenzvertrags zu verweigern oder unmöglich zu machen und stattdessen das Patent oder eines der zu lizenzierenden Patente klageweise durchzusetzen (BGH aaO Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
164
Derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, muss bereit sein, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen zu nehmen (BGH aaO Rn. 70 – FRAND-Einwand I). Denn auch der marktmächtige Patentinhaber kann die Lizenznahme niemandem aufdrängen; zwar kann der potenzielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrags verlangen, der Patentinhaber ist aber darauf angewiesen, Ansprüche wegen Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der die patentgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (vgl. BGH aaO Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Der Verletzer muss sich daher klar und eindeutig bereiterklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, weil „a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND“ (BGH aaO Rn. 83 – FRAND-Einwand I). Unter welchen Umständen eine fehlende Lizenzbereitschaft des Patentverletzers vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH aaO Rn. 78 – FRAND-Einwand II).
165
Eine missbräuchliche Verweigerung durch den marktbeherrschenden Patentinhaber setzt zwingend ein fortdauerndes Verlangen des Verletzers nach Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen und dessen Bereitschaft zur Mitwirkung am Zustandekommen eines solchen Vertrags voraus, ohne die eine „Verweigerung“ des Patentinhabers ins Leere ginge (BGH aaO Rn. 66 – FRAND-Einwand II). Die Lizenzbereitschaft ist unentbehrlich, weil sich ein die gegenläufigen beiderseitigen Interessen ausbalancierendes, angemessenes Ergebnis in der Regel erst als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses erfassen lässt, in dem diese Interessen artikuliert und diskutiert werden, um auf diese Weise zu einem beiderseits gewünschten fairen und angemessenen Interessenausgleich zu gelangen. Die Anforderungen an das Verhalten des Patentinhabers und an das Verhalten des Nutzers der Erfindung bedingen sich dabei wechselseitig. Maßstab der Prüfung ist dasjenige, was eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und dem beiderseits interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, zur Förderung dieses Ziels in einem bestimmten Verhandlungsstadium jeweils tun würde (BGH aaO Rn. 59 – FRAND-Einwand II). Eine objektive Bereitschaft zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrags zeigt sich regelmäßig in der an dem gemeinsamen Ziel eines erfolgreichen Abschlusses orientierten aktiven Förderung der Verhandlungen. Dabei bauen die Verhandlungsschritte von an einem Vertragsschluss interessierten Parteien aufeinander auf. Eine Förderpflicht besteht deshalb stets, wenn und insoweit nach den geschäftlichen Gepflogenheiten und den Grundsätzen von Treu und Glauben mit dem nächsten Verhandlungsschritt zu rechnen ist (BGH aaO Rn. 68 – FRAND-Einwand II).
166
Hat es eine Seite zunächst an der gebotenen Mitwirkung am Zustandekommen eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen fehlen lassen, geht dies grundsätzlich zu ihren Lasten. Je nach Sachlage kann sie gehalten sein, begangene Versäumnisse so weit wie möglich zu kompensieren. Dies entspricht den üblichen Gepflogenheiten von an einem Vertragsschluss interessierten Personen, welche bei einer verzögerten Reaktion auf ein entsprechendes Verhandlungsangebot normalerweise damit rechnen müssen, dass die Gegenseite kein Interesse an einem Vertragsschluss mehr hat (BGH aaO Rn. 60 – FRAND-Einwand II).
167
Der Patentverletzer darf die Verhandlungen insbesondere nicht verzögern (EuGH aaO Rn. 66, 71). Denn anders als bei Vertragsverhandlungen, die ein lizenzwilliges Unternehmen vor Benutzungsaufnahme anstrebt, kann das Interesse des Verletzers auch – allein oder jedenfalls in erster Linie – darauf gerichtet sein, den Patentinhaber möglichst bis zum Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents hinzuhalten, weil ihm dann keine Verurteilung zur Unterlassung mehr droht (BGH aaO Rn. 82 – FRAND-Einwand I). Eine Verzögerungstaktik besteht typischerweise darin, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abzulehnen, sondern ihn vorgeblich anzustreben, aber die Findung einer angemessenen Lösung im Einzelnen zu hintertreiben oder zumindest so lange wie möglich hinauszuschieben (BGH aaO Rn. 67 – FRAND-Einwand II). Die auf Grundlage objektiver Gesichtspunkte vorzunehmende Beurteilung, ob eine Verzögerungstaktik verfolgt wird, soll auch das weitere Verhalten des Verletzers auf eine Verletzungsanzeige oder ein Angebot des Patentinhabers in den Blick nehmen (BGH aaO Rn. 77 – FRAND-Einwand II).
168
Fehlt es an der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offengelassen werden, ob das Angebot des Patentinhabers (inhaltlich) FRAND-Bedingungen entspricht (BGH aaO Rn. 82, 101). Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und daher ebenfalls von der Pflicht, alle Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher allein in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRANDwidrig ist, dass es bei objektiver Wertung als schlechterdings untragbar erscheint, daher als nicht ernst gemeint zu bewerten ist und in der Sache nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen (vgl. BGH aaO Rn. 71 – FRAND-Einwand II).
169
Nach der Rechtsprechung des Landgerichts München I trägt der beklagte Patentnutzer nach den üblichen zivilprozessualen Maßstäben grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Begründetheit seines kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands. Der FRAND-Einwand ist eine Einwendung des Beklagten und er muss grundsätzlich die für ihn günstigen Umstände darlegen und ggf. beweisen. Das gilt sowohl für den Umstand, das Verhalten (Angebot) des Patentinhabers sei schlechterdings untragbar als auch für die Rüge des Patentnutzers, durch die ihm angebotenen Vertragsbedingungen werde er gegenüber anderen Lizenznehmern des Patentinhabers diskriminiert. Zur Darlegung dieser Rüge gehört zumindest, dass er hierfür plausible Anhaltspunkte vorträgt. Je nach Einzelfall kann dies dazu führen, dass dann der Lizenzgeber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast wiederum hierzu näher vorzutragen hat (LG München I, Urteil vom 17.02.2023, 21 O 4140/21 – „untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation“, zur Veröffentlichung vorgesehen). Macht ein Patentbenutzer geltend, die ihm angebotene Lizenz sei nicht FRAND, weil sie schlechter als die Vertragsbedingungen der Konkurrenz sei, muss er, um als lizenzwillig angesehen zu werden, bereit sein, jedenfalls zu diesen (angeblich vorteilhafteren) Bedingungen den Lizenzvertrag zu schließen, und diese Bereitschaft objektiv durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen (LG München I aaO). Bei Verhandlungen über einen FRAND-Lizenzvertrag sind beide Parteien gehalten, in jeweils situationsangemessener Weise und nach den Geboten von Treu und Glauben beizutragen, einen vernünftigen, interessengerechten und angemessenen Ausgleich zu finden. Hierzu gehört insbesondere zügig, förderlich und konstruktiv zu verhandeln und hierbei seine Interessen zu artikulieren, um konkrete Fortschritte beim Verhandeln der Lizenzvertragsbedingungen zu erzielen. Zur Lizenzwilligkeit des wegen Verletzung klagenden Patentinhabers gehört in der Regel, dass er dem Patentbenutzer im Lauf der Verhandlungen und nach inhaltlicher Reaktion des Patentbenutzers einen Lizenzvertrag zu solch fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen anbietet, die der Patentnutzer beanspruchen kann. Diese Lizenzwilligkeit besteht in der Regel nicht, wenn der Patentinhaber auf diskriminierenden oder willkürlichen Bedingungen besteht und selbst am Ende der Verhandlungen nicht bereit ist, von diesen abzurücken (LG München I aaO).
170
Verhandelt der Patentbenutzer die Lizenzbedingungen lediglich zögerlich, bringt er damit in aller Regel seine Lizenzunwilligkeit zum Ausdruck (Verzögerungstaktik). Verlangt ein Patentbenutzer vom Patentinhaber stetig weitere Informationen, ohne dass die ihm hierauf erteilten Auskünfte in Fortschritten bei der Verhandlung münden, kann dieses Verhalten die Lizenzunwilligkeit des Patentbenutzers belegen. Zwar kann ein Patentbenutzer grundsätzlich so viele Informationen verlangen und darf – in den Grenzen des Prozessrechts – prozessual so viel mit Nichtwissen bestreiten, wie er möchte. Nach mehrjährigem Verhandeln und nach mehrmaligem Wiederholen dieses Verhaltens ist das aber jedenfalls nicht mehr förderlich und konstruktiv (LG München I aaO).
171
II. Nach diesen Maßstäben ist die Unternehmensgruppe der Beklagten unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Beachtung des einschlägigen Gesamtverhaltens der Parteien nicht hinreichend lizenzwillig. Entgegen der Annahme der Beklagten ist das Verhalten der Klägerin, insbesondere ihr letztes Angebot vom ..., nicht schlechterdings untragbar (unter 1.). Die Beklagten sind hingegen lizenzunwillig (unter 2.).
172
1. Das Verhalten der Klägerin und insbesondere ihr letztes Angebot vom ... sind nicht schlechterdings untragbar. Die Klägerin hat sich hinreichend bemüht, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden, um einem lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen.
173
Die Kammer bewertet dieses letzte Angebot der Klägerin als hinreichend ernst gemeint und auf den interessengerechten Abschluss der Verhandlungen mit der Unternehmensgruppe der Beklagten gerichtet. In der Sache bedeutet es entgegen der Annahme der Beklagten keine Weigerung, mit der Unternehmensgruppe der Beklagten einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen. Die Klägerin hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht auf diskriminierenden (hierzu unter a) oder willkürlichen (unter b) Bedingungen bestanden. Ebenso ist sie während der Verhandlungen bereit gewesen, auf die berechtigten Forderungen der Beklagten einzugehen und ihr Verhalten hieran anzupassen. Die Ausführungen der Kammer folgen im Wesentlichen der Argumentationslinie der Beklagten.
174
a) Besonders der Haupteinwand der Beklagten gegen das Verhalten der Klägerin verfängt nicht. Dieser Einwand zielt im Wesentlichen auf den Vorwurf der Diskriminierung. Eine solche haben die Beklagten jedoch nicht hinreichend dargetan. Da die Beklagten von der Klägerin hinreichende Einsicht in die klägerische Lizenzierungspraxis erhalten haben, sind sie hierzu grundsätzlich in der Lage gewesen. Gleichwohl haben sie eine Diskriminierung nicht dargetan.
175
Die Beklagten rügen, die Klägerin habe nicht (hinlänglich) belegt, mit den angebotenen Lizenzbedingungen die Beklagten nicht zu diskriminieren. Sie habe ab ... den Beklagten lediglich einzelne Verträge im elektronischen Datenraum zur Verfügung gestellt. Es fehlten aber Verträge. Hierzu zähle insbesondere der Vertrag ... Diesen habe die Klägerin lediglich mit geschwärzten Passagen eingestellt und trotz Aufforderung der Beklagten nicht belegt, dass die darin vereinbarte Lizenzzahlung von ... tatsächlich erfüllt worden sei. Den ...-Vertrag habe die Klägerin erst ca. sechs Monate nach Abschluss offengelegt. Damit habe sie den Verhandlungsprozess verzögert und die Rechtsverteidigung der Beklagten erschwert.
176
Entgegen der Annahme der Beklagten ist es im vorliegenden Fall nicht Sache der Klägerin, die Nichtdiskrimimierung der Beklagten zu belegen, sondern es ist im ersten Schritt Aufgabe der Beklagten, die von ihr gerügte Diskriminierung darzutun (s.o. LG München I, Urteil vom 17.02.2023, 21 O 4140/21 – „untergeordnete Mehrbaum-Unterteilungsinformation“, zur Veröffentlichung vorgesehen). Macht der Lizenzsucher als Diskriminierungsvorwurf geltend, der Patentinhaber lizenziere zu unterschiedlichen Preisen, muss der Lizenzsucher in der Regel anhand von Beispielen aus der Lizenzierungspraxis des Patentinhabers konkrete Anhaltspunkte darlegen, dass er konkret gegenüber wem und warum diskriminiert wird.
177
aa) Die Klägerin hat den Beklagten hinreichende Einsicht in ihre Lizenzierungspraxis gewährt und damit im zunächst gebotenen Umfang Transparenz geschaffen.
178
Hierfür hat die Klägerin den Beklagten Lizenzverträge mit insgesamt ... Unternehmensgruppen in einem elektronischen Datenraum zugänglich gemacht. Es handelt sich hierbei um folgende Lizenzverträge mit folgenden Pauschalsummen:
179
Aus diesen bestehenden Verträgen samt den weiteren Informationen der Klägerin, die sie in den elektronischen Datenraum eingestellt hat, ergibt sich ein hinreichender Einblick in ihre Lizenzierungspraxis. Aus dem Wissen darum hätten die Beklagten zumindest Anhaltspunkte ableiten können und müssen, warum die Klägerin zu unterschiedlichen Preisen lizenziere, wenn sie eine Diskriminierung bzw. nicht hinreichend belegte Nichtdiskriminierung rügen. Insbesondere hätten die Beklagten hiernach für die hinreichende Darlegung ihrer Rüge einen konkreten Diskriminierungsvorwurf erheben müssen.
180
Ein lizenzwilliger Patentnutzer muss als Lizenzsucher zwar grundsätzlich über die wesentlichen Faktoren für die Bemessung der zu zahlenden Lizenzgebühr unterrichtet sein. Hierfür muss er in der Regel die ihm angebotene Lizenzgebühr anhand der wesentlichen Faktoren für den Preis erläutert bekommen. Wird eine Pauschallizenzgebühr für Nutzungen in der Vergangenheit und in der Zukunft vereinbart, kann entsprechend dem Sinn und Zweck der Pauschalzahlung ein niedrigerer Maßstab gelten. Je mehr Lizenzverträge abgeschlossen sind, desto eher kann sich die Erläuterung der Faktoren auf eine Gegenüberstellung der konkret angebotenen Gebühr mit den vereinbarten Lizenzgebühren in bereits abgeschlossenen Lizenzverträgen beschränken. Aus offengelegten Lizenzverträgen mit Dritten samt weiteren erläuternden Informationen des Patentinhabers, die er beispielsweise in einen elektronischen Datenraum eingestellt hat, ergibt sich aber grundsätzlich für einen lizenzwilligen Patentnutzer ein hinreichender Einblick in die Lizenzierungspraxis des Patentinhabers.
181
bb) Die Klägerin hat den Beklagten ebenfalls den ... Vertrag offengelegt. Entgegen der Rüge der Beklagten ergibt sich aus den konkreten Umständen der Offenlegung kein schlechterdings untragbares Verhalten der Klägerin (unter (1)). Aus dem Vergleich des ... Vertrags mit dem letzten, der Unternehmensgruppe der Beklagten unterbreiteten Angebot ergibt sich gleichfalls keine Diskriminierung zu Lasten der Beklagt (unter (2) und (3)).
182
(1) Bevor die Beklagten Zugang zum Inhalt des Vertragstexts erlangt haben, hat die Klägerin den Beklagten zeitlich in engem Zusammenhang zum Vertragsschluss den wesentlichen Inhalt des Vertrags mitgeteilt. Sofern die Beklagten geltend machen, dass ihnen der Vertrag erst ca. sechs Monate nach Abschluss und kurz vor der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren vollständig offengelegt worden ist, folgt hieraus weder eine Diskriminierung noch ein anderer Aspekt, unter dem das Verhalten der Klägerin als schlechterdings untragbar erscheint.
183
(2) Dass die von den Beklagten geltend gemachten Unterschiede in dem Vertrag der Klägerin mit ... sowie mit anderen Lizenznehmern bei der angenommenen Entwicklung der künftigen Verkaufszahlen (Prognose der Experten vs. Inhalt der Vereinbarung der Parteien) sowie bei weiteren Annahmen z. B. für den „EVS voice share“ oder beim „EVS shipment“ zu dem ihnen gemachten Angebot bestehen können, führt angesichts des Inhalts der Lizenzverträge, der eine pauschale Lizenzgebühr für die Vergangenheit und Zukunft enthält, im Vergleich mit den Beklagten nicht zu einer Diskriminierung.
184
(a) Selbst wenn sich beim Herunterrechnen der Pauschalgebühr insofern Unterschiede zwischen einzelnen Verträgen ergeben könnten, was die „effektive Lizenzgebühr“ anbelangt, die jedoch weder Bestandteil der bestehenden Lizenzverträge noch des Angebots ist, so begründen diese aufgemachten Preisunterschiede keine Diskriminierung, weil die Preisbestimmung nicht so kleinteilig betrachtet werden darf. Entscheidend ist vielmehr, ob die bislang mit Dritten vereinbarten Lizenzgebühren und die den Beklagten angebotenen Lizenzbedingungen in einem den Schutzzwecken des Kartellrechts entsprechenden wettbewerbskonformen, die Errichtung, Gewährleistung und Absicherung eines Binnenmarkts dienenden Gesamtgefüge stehen und die angebotene Pauschallizenz den beklagten Lizenzsucher beim Marktzugang nicht diskriminiert. Eine Diskriminierung könnte zum Beispiel bestehen, wenn ein der Beklagten vergleichbarer Wettbewerber der Beklagten im nicht geringfügigen Umfang günstigere Konditionen erhalten hätte, also eine nicht geringfügig niedrigere Pauschalgebühr bei vergleichbaren Annahmen der jeweils preisbildenden Faktoren zu entrichten hat. Macht ein Patentbenutzer geltend, die ihm angebotene Lizenz sei nicht FRAND, weil sie schlechter als die Vertragsbedingungen der Konkurrenz sei, muss er, um als lizenzwillig angesehen zu werden, bereit sein, jedenfalls zu diesen (angeblich vorteilhafteren) Bedingungen den Lizenzvertrag zu schließen, und diese Bereitschaft objektiv durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen (LG München I aaO).
185
Auch bei einer etwaigen Varianz in der bisherigen Preisbildung des Patentinhabers, die jedoch keine so erhebliche Ungleichbehandlung begründet, dass sie nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern gelöst werden kann, würde eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, diesen Umstand als Chance begreifen und versuchen, (trotzdem) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss zu gelangen. Das gilt insbesondere hinsichtlich einzelner Finessen im Zahlenwerk, die sich erst beim Herunterrechnen der Pauschalgebühr ergeben.
186
(b) Daher greift der Einwand der Beklagten nicht durch, wenn sie aus bestehenden Unterschieden zwischen den einzelnen mathematischen Faktoren der jeweiligen Verträge eine Uneinheitlichkeit des gesamten Lizenzsystems der Klägerin ableiten. Insofern ist der Vergleich des vorliegenden Falls mit dem ... Vertrag lehrreich: Denn die Beklagten haben, obwohl sie ihre Vergleichbarkeit mit ... zuvor betont hatten, nicht geltend gemacht, die mit vereinbarte Pauschallizenzgebühr in Höhe von ... diskriminiere sie. Denn dieser Betrag liegt in derselben Größenordnung wie der, den die Klägerin zuletzt der Unternehmensgruppe der Beklagten angeboten hat. Eine wettbewerbsverzerrende Diskriminierung scheidet demnach aus.
187
Ebenfalls haben die Beklagten nicht erklärt, entsprechend den Bedingungen des ... Vertrags unter Anpassung an die konkreten Umstände im Detail, die bei der Unternehmensgruppe der Beklagten herrschen, bereit zu sein. Eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, würde diese von den Beklagten angeführte Varianz bei der Preisbildung als Chance begreifen und versuchen, (trotzdem) zu einem vernünftigen, angemessenen und interessengerechten Vertragsschluss zu gelangen. Stattdessen haben die Beklagten auf Angaben bestanden, aus denen sich ihre Nichtdiskriminierung ergebe, was für die erforderliche Darlegung der geltend gemachten Diskriminierung jedenfalls nicht ausreicht.
188
Auch die übrigen Widersprüche, Ungereimtheiten und Abweichungen, die die Beklagten im Vergleich ihres Angebots mit ... anführen, überschreiten jedenfalls einen bestimmten Detailgrad nicht. Es geht dabei nicht um das Große und Ganze des Vertrags, sondern um einzelne Finessen im Zahlenwerk, die mangels erheblicher Auswirkung auf die Gesamthöhe der vereinbarten Pauschallizenz keine so erhebliche Ungleichbehandlung der Beklagten gegenüber ... begründen können, dass sie nicht im Verhandlungsweg zwischen zwei lizenzwilligen Partnern gelöst werden können. Jedenfalls sind sie insofern weder hinreichend dargetan noch für die Kammer ersichtlich.
189
(3) Wenn die Beklagten anführen, in dem Vertrag mit ... seien ...-, so ergibt sich hieraus keine Diskriminierung der Beklagten. Jedenfalls ist die Klägerin am Ende der Verhandlungen bereit, von (zugunsten der Beklagten unterstellt) diskriminierenden Bedingungen abzurücken.
190
cc) Hinsichtlich der ... Unternehmensgruppe ... hat die Klägerin den Vertrag unstreitig in Teilen geschwärzt im elektronischen Datenraum den Beklagten zugänglich gemacht. Die Klägerin hat den geschwärzten Inhalt erklärt und die Berechnungsgrundlagen der darin vereinbarten Lizenzgebühr aufgezeigt. Aus diesen Ausführungen der Klägerin und insbesondere der Lizenzgebühr von ... ergibt sich jedenfalls kein Anhaltspunkt für eine Diskriminierung der Beklagten.
191
Zusätzlich zu diesen Informationen brauchte die Klägerin den geschwärzten Teil des Vertragstexts im konkreten Einzelfall auch nicht in den Datenraum einzustellen. Der konkrete Inhalt des Gesamtvertrags mag für die Beklagten zwar interessant sein. Für die Begründetheit des Einwands kommt es aber auf die Offenlegung dieses Gesamtvertrags nicht entscheidungserheblich an.
192
Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich jedenfalls nicht, dass es unter dem Gesichtspunkt der gerügten Diskriminierung überhaupt auf die ... gewährten Konditionen ankommt. Selbst wenn der Vertrag den Beklagten vollständig vorgelegt würde, ist immer noch nicht dargetan und auch nicht ersichtlich, wie sich hieraus eine Diskriminierung zulasten der Beklagten ergeben könnte, weil die Beklagten selbst nicht anführen, dass sie mit ... vergleichbar sind und selbst auch nicht geltend machen, ihre Produkte und Dienstleistungen entsprächen auf dem Markt denen von ... Vortrag zu einer konkreten Ungleichbehandlung mit einer anderen Person ist aber Voraussetzung für eine Diskriminierung. Hieran fehlt es jedoch. Insofern hilft es den Beklagten auch nicht weiter, wenn sie in der mündlichen Verhandlung unter Verweis auf eine Rechtsprechung des OLG Karlsruhe geltend machen, vergleichbarer Lizenznehmer sei jedes Unternehmen, das Smartphones vertreibe. Hieraus folgt keine konkrete Ungleichbehandlung.
193
Mangels weiterer Relevanz ist hier für die Kammer auch unerheblich, ob tatsächlich die Lizenzgebühr in Höhe der vereinbarten an die Klägerin bezahlt hat, was die Beklagten mit Nichtwissen bestritten haben. Jedenfalls zeigen die Beklagten keine Anhaltspunkte auf, hieran berechtigterweise zu zweifeln.
194
Daher kann gleichsam die Frage offenbleiben, ob der Offenlegung des Vertrags überhaupt die von der Klägerin angeführten und von den Beklagten in Abrede gestellten Geheimhaltungspflichten entgegenstehen, sowie unabhängig davon, ob der von der Beklagten erhobene Vorwurf, die Klägerin habe in diesem Prozess widersprüchlich zum USamerikanischen Verfahren zur Implementierung von ... vorgetragen, mit der von den Beklagten behaupteten Folge durchgreifen würde, die Klägerin müsse Transparenz schaffen und den Vertrag mit ... offenlegen.
195
dd) Sofern es weitere Lizenzverträge zu dem streitgegenständlichen Patent geben mag, die aus einer Zeit stammen, bevor die Klägerin die Patente erworben habe, ergibt sich hieraus ebenfalls keine Diskriminierung, weil weder ersichtlich noch dargetan ist, warum sich hieraus eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung durch die Klägerin gegenüber den Beklagten ergeben könnte.
196
ee) Überdies ergibt sich gegenüber ... keine Diskriminierung, wenn diesem Unternehmen ... eingeräumt worden ist.
197
Zum einen hat die Klägerin den Beklagten einen Lizenzvertrag mit ... angeboten, den die Unternehmensgruppe der Beklagten (aus anderen Gründen) nicht angenommen hat. Zum anderen gibt es einen objektiven Grund für eine Differenzierung zwischen ... und der Unternehmensgruppe der Beklagten, ...
198
b) Entgegen der Rüge der Beklagten ist die der Unternehmensgruppe der Beklagten von der Klägerin angebotene Lizenzgebühr nicht willkürlich.
199
aa) Ein Verstoß gegen das Willkürverbot kann gegeben sein, wenn der Patentinhaber seine Preisgestaltung nicht hinreichend plausibel erläutern kann. Allerdings ist zu beachten, dass sich aus einem nicht FRAND-Bedingungen entsprechenden Angebot als solchem noch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Patentinhabers ergibt. Ein Missbrauch liegt vielmehr erst darin, dem Patentverletzer die Verhandlung und den Abschluss eines in Ansehung der im Verhandlungsprozess artikulierten Interessen angemessenen FRAND-Lizenzvertrags zu verweigern oder unmöglich zu machen und stattdessen das Patent oder eines der zu lizenzierenden Patente klageweise durchzusetzen (vgl. BGH aaO Rn. 78 – FRANDEinwand II).
200
Welche Anforderungen an die Erläuterung zu stellen sind, ergibt sich in erster Linie aus den konkreten Umständen des Einzelfalls. Der lizenzwillige Patentsucher muss über die wesentlichen Faktoren für die Bemessung der Lizenzgebühr unterrichtet sein. Hierfür muss er in der Regel die ihm angebotene Lizenzgebühr anhand der wesentlichen Faktoren für den Preis erläutert bekommen. Je mehr Lizenzverträge abgeschlossen sind, desto eher kann sich die Erläuterung der Faktoren auf eine Gegenüberstellung der konkret angebotenen Gebühr mit den vereinbarten Lizenzgebühren in bereits abgeschlossenen Lizenzverträgen beschränken. Die Erläuterung dient dem Schutz des lizenzwilligen Patentnutzers. Dieser soll einen Ein- und Überblick über die Höhe und Berechnung der verlangten Lizenzgebühr erhalten, um aufgrund der erlangten Informationen in der Lage zu sein, mit dem Patentinhaber hinreichend informiert über seine Lizenz zu verhandeln. Eine Ausnahme von der Erläuterungspflicht kann bestehen, wenn der Patentnutzer bereits hinreichend über die Lizenzierungspraxis des Patentinhabers (sei es aus öffentlichen Quellen, sei es aus eigener Erfahrung) informiert ist.
201
bb) Von der Höhe der verlangten Lizenzgebühr auf deren Unangemessenheit und von ihrer Unangemessenheit auf Willkür zu schließen, ist jedenfalls in den Fällen, in denen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand (sog. FRAND-Einwand) als Verteidigung gegen eine Patentverletzung, also im Passivprozess, erhoben wird, lediglich in (sehr gut zu begründenden) Ausnahmefällen möglich, wenn im Einzelfall so hohe Lizenzforderungen gestellt werden, dass sie bar jeder Vernunft erscheinen und damit willkürlich sind.
202
Allein eine hohe Lizenzforderung macht das klägerische Angebot in der Regel nicht willkürlich. Es müssen grundsätzlich weitere pönale Aspekte hinzutreten, um das Verhalten des Patentinhabers als schlechterdings untragbar zu bewerten bzw. es mit der Folge als nicht ernst gemeint einzuordnen, dass es hierauf objektiv keiner Reaktion des Patentnutzers bedarf. Abgesehen davon ist es Aufgabe der Verhandlungen zwischen den Parteien, eine Lösung für die Preisfrage zu finden und eine ggf. unangemessen hohe Preisvorstellung des Patentinhabers auf ein objektiv vernünftiges, interessengerechtes und angemessenes Maß zu nivellieren. Das heißt, dass in aller Regel eine Reaktion des lizenzsuchenden Patentnutzers auf das Angebot des Patentinhabers erforderlich ist, um im Einzelfall die Faktoren für die zutreffende Preisbestimmung durch Verhandlungen zu klären. Verhandeln die Parteien ernsthaft, zügig und konstruktiv, können sie nach der Erfahrung der Kammer in der Regel ihre unterschiedlichen Vorstellungen über den Preis einvernehmlich klären. Sollte dies den Parteien nicht gelingen, können sie sich hierbei (zum Beispiel durch Schiedsgutachten, durch Schlichtungs- oder Schiedsverfahren oder durch Mediationen) von dritter Seite unterstützen lassen. Finden die Parteien auch so keine Lösung, bleibt der Rechtsweg. Dabei kann der Patentnutzer grundsätzlich entweder aktiv die Lizenz gerichtlich vom Patentinhaber einfordern oder in einem vom Patentinhaber veranlassten Patentverletzungsverfahren den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand als Rechtsverteidigung (zum Beispiel über § 242 BGB dolo agit, vgl. BGH GRUR 2009, 694 Rn. 24 – Orange-Book-Standard) gegen die Patentverletzung erheben, so dass die Patentstreitkammer zu prüfen hat, ob (insbesondere) dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch ein kartellrechtlicher Anspruch des Patentbenutzers auf Unterlassung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung (vor allem unter dem Gesichtspunkt der Zugangsverweigerung) entgegensteht (BGH aaO, FRAND-Einwand II, Rn. 54).
203
Hierbei kommt es in aller Regel nicht auf den tatsächlichen Zugang zur patentierten Technik an, der regelmäßig besteht. Daher geht es bei der Zugangsverweigerung um den rechtlichen, den legalen Zugang zur Nutzung gewerblicher Schutzrechte (vgl. Bechtold/Bosch, GWB, 10. Auflage 2021, § 19 Rn. 67). Dieser Zugang wird (ohne damit die Diskussion „access to all“ vs. „licence to all“ entscheiden zu wollen) in der Regel durch Abschluss eines Lizenzvertrags erreicht. Wird dem Patentnutzer der Abschluss des nachgesuchten Lizenzvertrags verweigert, verlangt der Patentinhaber für die Lizenz ein unangemessen hohes Entgelt oder stellt er sonstige unangemessene Bedingungen, kann dies eine Zugangsverweigerung bedeuten (vgl. BGH aaO Rn. 59 – FRAND-Einwand II; Bechtold/Bosch, GWB, 10. Auflage 2021, § 19 Rn. 68).
204
Kartellrechtlich können sich die Fälle der Zugangsverweigerung mit denen des Preis- oder Konditionenmissbrauchs überlappen und sind wegen des einheitlichen Maßstabs der Angemessenheit (insbesondere der Geltung des Vergleichsmarktkonzepts) grundsätzlich nicht trennscharf abgrenzbar. So kann es Preise geben, deren Forderung sowohl die Fallgruppe der Zugangsverweigerung als auch die des Preismissbrauchs betrifft.
205
In Fällen, in denen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand gegen Ansprüche wegen Patentverletzung geltend gemacht wird, kommt es nach Überzeugung der Kammer jedoch maßgeblich auf die Abgrenzung zwischen Zugangsverweigerung und Preismissbrauch an.
206
Für die Beurteilung des Preismissbrauchs ist in aller Regel Kenntnis des kartellgemäßen Preises erforderlich. Diese Kenntnis haben die Parteien und das Gericht eines Patentverletzungsverfahrens in aller Regel nicht. Zumeist herrscht häufig lediglich Kenntnis, zu welchen Konditionen die Wettbewerber des Patentnutzers den Marktzutritt erlangt haben. Der Verletzungsprozess, in dem der „FRAND-Einwand“ geltend gemacht wird, ist auch nicht auf die Ermittlung des kartellrechtlich richtigen Preises gerichtet. Aufgrund der prozessualen Situation, in der beide Seiten versuchen, sich gegenseitig für das bisherige Nichtzustandekommen des Lizenzvertrags verantwortlich zu machen, werden vielmehr nicht die Vertragsbedingungen ermittelt, die FRAND entsprechen, sondern die Bedingungen, die nicht FRAND sind (zum Ganzen Meier-Beck, FS Säcker, 2021, S. 275, 289/290).
207
Die Bestimmung des kartellgemäßen Preises ist dem Gericht daher – hinreichenden Tatsachenvortrag vorausgesetzt – regelmäßig nur durch ein zeit- und kostenintensives Sachverständigengutachten möglich. Währenddessen ist der Patentinhaber (faktisch) an der Durchsetzung seines Patents gehindert, und der Verletzer kann das Patent weiterhin tatsächlich ungestört nutzen. Der Verletzer erhält hierdurch insoweit zumindest zeitweise eine faktische Freilizenz (zu dem Gedanken der Freilizenz in anderem Zusammenhang Meier-Beck, FS Säcker, 2021, S. 275, 285). Das zeigt, dass bei einer Überprüfung des Preismissbrauchs ein Ungleichgewicht zu Lasten des Patentinhabers besteht, der mit Blick auf die begrenzte Lebensdauer aktueller Spitzentechnologie und die beschränkte Laufzeit von Patenten generell dringend einer schnellen Entscheidung über die Patentverletzung bedarf. Daher kann der Aspekt des Preismissbrauchs insbesondere dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch nur entgegengehalten werden, wenn sich die Geltendmachung des Preismissbrauchs in der Konstellation des konkreten Einzelfalls nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt.
208
Dass der Verletzer sich nicht unbeschränkt auf die ihm aus Art. 101, 102 AEUV zustehenden Rechte berufen kann, wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs und des Bundesgerichtshofs betont: nicht nur den Patentinhaber, auch den Patentnutzer treffen Pflichten (EuGH GRUR 2015, 764, 767, Rn. 63 ff. – Huawei/ ZTE; BGH aaO Rn. 56 ff. – FRAND-Einwand II). Auch er kann sich unredlich verhalten (vgl. BGH aaO Rn. 61 – FRAND-Einwand II). Ein entscheidender Aspekt ist hierbei, dass der Verletzer keine Verzögerungstaktik verfolgen darf (s. u.). Macht der Patentnutzer jedoch einen Preismissbrauch derart geltend, dass die Prüfung der Begründetheit des Preismissbrauchseinwands – nach gegebenenfalls mehrjährigen und erfolglosen Verhandlungen – zu einer (weiteren prozessualen) Verzögerung führen würde, ist ihm dieser Einwand im Verletzungsverfahren grundsätzlich zu versagen.
209
Wiederum greift hier maßgeblich die obige Überlegung durch: Eine Partei, die an einem Zustandekommen des Lizenzvertrags wirklich interessiert ist, wird Einwendungen hinsichtlich des Preises frühzeitig geltend machen. Wie ebenfalls oben begründet worden ist, führt auch eine hohe (anfängliche) Preisvorstellung des Patentinhabers zu einer Verhandlungspflicht. Der richtige Preis kann, wie die übrigen Vertragsbedingungen, erst durch die Verhandlungen zwischen den Parteien ermittelt werden. Soweit eine lizenzwillige Partei erkennt, dass der Patentinhaber nicht gewillt ist, substanziell von einem zu hohen (aus Sicht des Patentverletzers) Preis abzurücken, wird sie sich in aller Regel nicht gesetzeswidrig und ggf. strafbar verhalten und das Patent einfach nutzen, sondern grundsätzlich aktiv gerichtlich die Festsetzung des richtigen Preises verfolgen, insbesondere schon vor der Erhebung der Verletzungsklage. Daher ist der Einwand des Preismissbrauchs im Verletzungsverfahren, wie eingangs erläutert, nur in krassen Fällen zu berücksichtigen.
210
Eine substanzielle Beschränkung der Rechte des Patentnutzers geht damit nicht einher. In vielen Fällen kennen Parteien und Verletzungsgericht die Bedingungen von Vergleichsverträgen und vergleichen die zwischen den Parteien gewechselten Angebote mit den dortigen Bedingungen. Diese Preise führen jedenfalls grundsätzlich nicht zu einer Zugangsverweigerung. Denn sind sie zum Beispiel weitgehend etabliert und vom Markt akzeptiert, erscheinen sie trotz Unkenntnis des kartellgemäßen Preises als wettbewerbskonform und nicht zugangsbeschränkend.
211
Hinzu kommt, dass der lizenzsuchende Patentnutzer, der mit dem Patentinhaber über den Preis der Lizenz keine Einigung erzielt hat, so reagieren kann, in einem ersten Schritt den Lizenzvertrag mit vergleichbaren Konditionen zu seinen Wettbewerbern abzuschließen und so den begehrten (legalen) Zugang zum Markt zu erhalten. Im Anschluss daran bleibt es ihm unbenommen, falls er den vereinbarten Preis (weiterhin) für missbräuchlich hält, ggf. (mit Unterstützung der Kartellbehörden) bei einer auf solche Streitigkeiten spezialisierten Kartellstreitkammer die Klärung des kartellrechtlich angemessenen Preises für die Lizenz herbeizuführen (vgl. Meier-Beck, aaO, S. 275, 291). Eine weitere Möglichkeit könnte grundsätzlich ebenso in einem Angebot nach § 315 BGB bestehen (vgl. OLG Karlsruhe GRUR-RS 2021, 9325; Meier-Beck, aaO, S. 275, 290/291; Osterrieth, Patentrecht, 6. Auflage 2021, Rn. 920; Bukow in: Haedicke/Timmann, Handbuch des Patentrechts, 2. Auflage 2020, § 13 Rn. 384; im Einzelfall kritisch LG Mannheim GRUR-RS 2021, 6244).
212
Auch wenn man zwischen der patentrechtlichen Position des Patentinhabers einerseits und der durch das Kartellrecht gewährten Position des Patentnutzers im Wettbewerb andererseits im Wege der „praktischen Konkordanz“ einen angemessenen Ausgleich sucht, erscheint dieser durch die vorgenannten Möglichkeiten des Patentnutzers gegeben. Durch die aufgezeigten Wege kann sich der Patentnutzer im Rahmen der Verletzungsklage angemessen verteidigen und erhält die Möglichkeit, den kartellrechtlich richtigen Preis anderweitig ermitteln zu lassen. Gleichzeitig erhält der Patentinhaber die Möglichkeit, dass das Verletzungsverfahren in einem angemessenen Zeitrahmen geführt wird.
213
cc) Nach diesen Maßstäben ist die von der Klägerin den Beklagten angebotene Lizenzgebühr nicht willkürlich. Die Klägerin hat die Faktoren für die Preise hinreichend erläutert und den Beklagten die hierfür erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt. Die in dem elektronischen Datenraum eingestellten Übersichten genügen grundsätzlich hierfür, um die Beklagten in die Lage zu versetzen, mit der Klägerin in Kenntnis der Konditionen dritter Unternehmen informiert über die für sie angemessenen Lizenzgebühren zu verhandeln.
214
(1) Sofern die Beklagten anführen, das insbesondere bei ... zugrunde gelegte Zahlenwerk sei von der Klägerin willkürlich gewählt und hätte mit den tatsächlichen Umständen nichts zu tun, begründet dies keine Willkür. Selbst wenn die Kammer hier zugunsten der Beklagten unterstellte, dass dies so zutrifft, bleibt es den Beklagten unbenommen, die Klägerin im Wege der Verhandlung zu ersuchen, ihr vergleichbare Konditionen anzubieten, um Zugang zum Markt durch Abschluss eines Lizenzvertrags zu erhalten. Stattdessen haben die Beklagten auf ihren Angeboten beharrt (s.o. zum Diskriminierungsvorwurf) und das willkürliche Festsetzen von Verkaufszahlen und anderen Werten sowie die nicht widerspruchsfreie Erläuterung gerügt.
215
(2) Wenn die Beklagten anführen, die Klägerin habe sich geweigert, den Beklagten ... Lizenz anzubieten, so ergibt sich hieraus jedenfalls keine Willkür. Zum einen hat die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten erfolglos eine ... Lizenz angeboten (s. o.). Zum anderen hat die Unternehmensgruppe der Beklagten keinen Anspruch darauf, dass die Klägerin den von ihnen als Gegenangebot unterbreiteten Lizenzvertrag mit den konkreten Bedingungen abschließt.
216
Die Klägerin hat den Beklagten zum einen erfolglos eine ... Lizenz angeboten (s.o.). Zum anderen besitzen sämtliche Lizenzverträge der Klägerin (...). Insofern bedarf es für das Abweichen von dieser Praxis eines rechtfertigenden Grunds. Einen solchen haben die Beklagten bislang nicht hinreichend dargetan. ... Doch fehlt es an der Darlegung eines konkreten berechtigten Interesses der Beklagten, warum die Klägerin zu ihren Gunsten von dem bislang etablierten Lizenzmodell, das nach Vortrag der Klägerin ungefähr 70% des Markts abdeckt, abweichen sollte. ... Ein hierauf begründetes berechtigtes Interesse tragen die Beklagten aber nicht vor.
217
(3) Wenn die Beklagten anführen, in dem Vertrag mit ... seien die ... so ergibt sich hieraus entsprechend den oben bei dem Diskriminierungsvorwurf genannten Gründen keine Willkür der Klägerin.
218
c) Letztlich ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Klägerin den Beklagten erst im ... den Lizenzvertrag mit ... vorgelegt haben, kein schlechterdings untragbares Verhalten, weil die Beklagten über den Inhalt des im ...geschlossenen Vertrags nicht im Unklaren gelassen worden sind, sondern ihnen dieser unverzüglich nach Vertragsschluss mitgeteilt worden ist (siehe unten Ziffer 3.). Die von den Beklagten geltend gemachte Anregung, das Verfahren ruhend zu stellen und angesichts der Offenlegung des ... drucklose Verhandlungen der Parteien zu ermöglichen, greift angesichts dessen nicht durch. Denn es fehlt an Anhaltspunkten dafür, dass sich hierdurch etwas am bisherigen zurückhaltenden Verhandlungsverhalten der Beklagten ändern würde.
219
d) Aus den weiteren Rügen der Beklagten folgt ebenfalls nicht, dass das klägerische Lizenzangebot schlechterdings untragbar gewesen ist und die Beklagten von jeglichen Reaktionspflichten (besonders von der Pflicht, alle Einwände zugleich zu benennen) entbunden worden sind.
220
2. Die Lizenzunwilligkeit der Beklagten zeigt sich in ihrem zögerlichen Verhandeln der Lizenzbedingungen.
221
Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat die Verhandlungen zum Abschluss des angeblich gewollten Lizenzvertrags nicht zielführend geführt. Sie hat sich weder hinreichend zielstrebig noch hinreichend konstruktiv bei den Verhandlungen für den Abschluss des angeblich gewollten Lizenzvertrags eingesetzt. Vielmehr zeigt das Gesamtverhalten der Unternehmensgruppe der Beklagten ihr fehlendes Interesse, mit der Klägerin zügig zum Abschluss des Lizenzvertrags zu gelangen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten verfolgt zur Überzeugung der Kammer das Ziel, ihre eigenen (finanziellen) Lizenzbedingungen gegen die Klägerin durchsetzen zu wollen. Sie wendet hierfür auch eine Verzögerungstaktik an. So ist sie bereit, als Druckmittel eine möglichst lange Zeit das Klagepatent unberechtigt und ohne Bezahlung zu nutzen.
222
a) Die anfängliche Lizenzunwilligkeit der Beklagten ergibt sich objektiv im Wesentlichen aus dem im Folgenden dargestellten zögerlichen und nicht hinreichend förderlichen Verhalten der Unternehmensgruppe der Beklagten während der Verhandlungen mit der Klägerin. Insbesondere hat die Unternehmensgruppe der Beklagten im ersten Jahr der Verhandlungen ihre Lizenzbereitschaft nicht erklärt. Nach der Videokonferenz und dem Angebot der Klägerin im ... hat sie zudem zu viel Zeit verstreichen lassen und damit nicht hinreichend zügig und konstruktiv auf das Lizenzangebot der Klägerin reagiert.
223
Nachdem die Klägerin die Unternehmensgruppe der Beklagten am ... auf die Verletzung unter anderem des Klagepatents hingewiesen hat, hat die Unternehmensgruppe der Beklagten am ... den Erhalt des Verletzungshinweises bestätigt und am mitgeteilt, wer in ihrem Haus Ansprechpartner ist. Am ... hat die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten dann den Entwurf eines Geheimhaltungsvertrags („Non Disclosure Agreement“ = NDA) übermittelt. Einen solchen haben die Parteien am ... mit dem Inhalt unterschrieben, ...
224
Auf Bitte der Klägerin um Durchführung einer Videokonferenz vom ... ist diese mit der Unternehmensgruppe der Beklagten am ... durchgeführt wurden, wobei die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten ein Lizenzangebot in Höhe von ... unterbreitet und erläutert hat. Im Nachgang zu dieser Konferenz hat die Klägerin den Beklagten die Präsentation mit der Erläuterung des Lizenzangebots, Muster von Lizenzverträgen, eine Liste ihrer standardessenziellen Patente sowie IPEC-Reports zu 14 USamerikanischen und zu 14 europäischen Patenten übermittelt. Die Unternehmensgruppe der Beklagten bestätigte am ... den Erhalt dieser Unterlagen.
225
Mehr als ein halbes Jahr später, nämlich am ..., hat die Unternehmensgruppe der Beklagten zu vier der 14 europäischen Patente aus dem Portfolio der Klägerin um Übersendung von Rechtsbestandsrechercheberichten gebeten sowie mitgeteilt, dass ihre Analyse des Portfolios weiterhin andauere.
226
Nachdem am ... das NDA ab... ist, hat die Klägerin gegen die Beklagten unter anderem vor der 7. Zivilkammer des Landgerichts München I Klage erhoben und einen Antrag auf Erlass einer Anti-Anti-Suit-Injunction gegen die Unternehmensgruppe der Beklagten gestellt, die am ... erlassen und der Unternehmensgruppe der Beklagten am ... zugestellt worden ist.
227
b) Die von der Unternehmensgruppe der Beklagten nach Zustellung der Klage im Ausgangsverfahren unternommenen Mitwirkungen am Verhandlungsprozess genügen nach Überzeugung der Kammer nicht, um ihre Lizenzwilligkeit zu belegen.
228
Das im Folgenden dargestellte Verhalten der Parteien, das die wesentlichen Umstände wiedergibt (insbesondere auf die Schriftsätze der Beklagten vom 19.08.2022 – Klageerwiderung FRAND, vom 19.12.2022 – Duplik FRAND und vom 13.01.2023 – Quadruplik FRAND sowie der Klägerin vom 19.10.2022 – Replik FRAND und vom 09.01.2023 – Triplik FRAND wird ergänzend Bezug genommen), macht deutlich, dass die anfänglich zögerliche Haltung der Unternehmensgruppe der Beklagten auch nach Klageerhebung im Ausgangsverfahren fortbestanden hat. Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat die Verhandlungen nicht hinreichend gefördert, obwohl es ihr möglich gewesen wäre, und hat sich gleichfalls nicht hinreichend konstruktiv, sondern zögerlich verhalten. Insbesondere hat die Unternehmensgruppe der Beklagten von der Klägerin stetig weitere Informationen und Aufklärungen gefordert, ohne dass sich die hierauf erteilten Auskünfte in hinreichend greifbaren Fortschritten bei der Verhandlung niedergeschlagen haben.
229
aa) Nachdem die Klägerin am ... der Unternehmensgruppe der Beklagten angeboten hat, Lizenzverträge, die die Klägerin mit anderen Unternehmen geschlossen hat, unter Geltung eines entsprechenden NDAs zu offenbaren, hat die Unternehmensgruppe der Beklagten am ... um Übersendung eines solchen Entwurfs gebeten, den die Klägerin am ... der Unternehmensgruppe der Beklagten übermittelt und den diese mit Änderungen am ... zurückgeschickt hat, so dass am ... das weitere NDA zwischen den Parteien geschlossen worden ist.
230
Am ... hat die Klägerin die Unternehmensgruppe der Beklagten um Nennung von Personen gebeten, die Zugang zu dem elektronischen Datenraum erhalten sollen, in den die Klägerin die Lizenzverträge einstellt. Am ... hat die Unternehmensgruppe der Beklagten der Klägerin diese Personen benannt und am ... darum gebeten, die Bedingungen des Angebots der Klägerin zu diskutieren und den kompletten Lizenzvertrag der Klägerin mit Apple in den Datenraum einzustellen, wozu sich die Klägerin am ... bereit erklärt hat und die Parteien am ... eine Videokonferenz durchgeführt haben.
231
Am ... hat die Unternehmensgruppe der Beklagten gerügt, dass die Dokumente im elektronischen Datenraum lediglich online lesbar sind. Weiterhin hat die Unternehmensgruppe der Beklagten moniert, dass zwei Lizenzverträge der Rechtsvorgängerin der Klägerin fehlen sowie der vollständige Lizenzvertrag der Klägerin mit ... nach wie vor nicht im Datenraum vorhanden ist.
232
Am ... hat die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten mitgeteilt, der Datenraum sei so im NDA vorgesehen. Ebenso habe die Unternehmensgruppe der Beklagten bei den Verhandlungen über das NDA nie beanstandet, dass die Dokumente lediglich online lesbar seien. Außerdem hat die Klägerin geltend gemacht, dass von den ... (zum damaligen Zeitpunkt) geschlossenen Drittlizenzverträgen ... vollständig und ohne geschwärzte Passagen im elektronischen Datenraum verfügbar sind und dass dort ebenfalls alle relevanten Informationen zum Lizenzvertrag der Klägerin mit ... der Unternehmensgruppe der Beklagten offenbart sind. Im Übrigen hat die Klägerin ergänzt, dass eine Offenlegung des Lizenzvertrags mit ... wegen Erfordernissen der Geheimhaltung nicht möglich sei. Schließlich hat die Klägerin erneut ihr Lizenzangebot, das seit über einem Jahr vorliegt und auf das die Beklagten bisher nicht inhaltlich reagiert haben, erläutert sowie von elf chinesischen Patenten eine IPECAnalyse übersendet.
233
Am ... hat die Unternehmensgruppe der Beklagten der Klägerin ein Gegenangebot mit einer Pauschalzahlung von ... unterbreitet, wobei ... Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat ihr Gegenangebot erläutert. Außerdem hat die Unternehmensgruppe der Beklagten kritisiert, dass der Lizenzvertrag mit ... nach wie vor nicht komplett offengelegt worden ist.
234
Am ... hat die Klägerin das Gegenangebot zurückgewiesen und ein neues Angebot unterbreitet. Um den Wunsch der Beklagten ... aufzunehmen, hat die Klägerin den Beklagten in einer Videokonferenz und mit E-Mail vom ... ein weiteres Lizenzangebot unterbreitet, das eine Zahlung von ... vorgesehen hat. Hierfür hat die Klägerin Zahlen für die Verkäufe und Prognosen zugrunde gelegt und die Unternehmensgruppe der Beklagten gebeten, diese zu korrigieren, falls sie nicht korrekt seien.
235
Am ... hat die Unternehmensgruppe der Beklagten im Rahmen einer Videokonferenz nochmals ihr Angebot über ... erläutert und in Fortsetzung der Videokonferenz am ... angeboten, ... Überdies hat die Unternehmensgruppe der Beklagten ... mitgeteilt. Am ... hat die Unternehmensgruppe der Beklagten ihr Lizenzangebot ... erhöht.
236
Im Mai 2022 hat die Unternehmensgruppe der Beklagten in E-Mails Zahlen der Klägerin hinsichtlich der Berechnung der Lizenzgebühren bei bestehenden Lizenzverträgen kritisiert und um Erläuterung gebeten, warum ... laut Lizenzvertrag zahlen soll, während nach der Kalkulationstabelle ... zu zahlen wären, und um Rückmeldung zum Gegenangebot sowie um ein Treffen gebeten.
237
Daraufhin hat die Klägerin mit E-Mail vom ... das letzte Gegenangebot der Unternehmensgruppe der Beklagten abgelehnt und mit E-Mail vom 18.05.2022 ein neues Angebot in Höhe von ... Außerdem hat die Klägerin ein weiteres Lizenzangebot über ... im Rahmen einer Videokonferenz vom ... gemacht. Auf dieses Angebot der Klägerin hat die Unternehmensgruppe der Beklagten im Rahmen einem Videokonferenz vom ... reagiert und ihr Gegenangebot auf ... erhöht.
238
Im ... hat die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten mitgeteilt, dass sie mit einem weiteren Smartphone-Hersteller, nämlich, ... einen Lizenzvertrag abgeschlossen hat. Außerdem hat sie die Unternehmensgruppe der Beklagten die wesentlichen Eckpunkte des Lizenzvertrags mit ... erläutert (Laufzeit, Lizenzgegenstand, Höhe der Pauschallizenzzahlung und Berechnung der Lizenzgebühr).
239
Im ... haben die Parteien dann in E-Mails und Videokonferenzen die zu erwartenden Verkaufszahlen der Unternehmensgruppe der Beklagten ebenso wie die wirtschaftliche Vergleichbarkeit der Unternehmensgruppe der Beklagten mit ... anhand einer Präsentation der Klägerin diskutiert.
240
Am ... hat die Klägerin im Rahmen einer Videokonferenz eine Präsentation zur aktuellen Marktsituation gehalten und der Unternehmensgruppe der Beklagten angesichts des geschlossenen Lizenzvertrags mit ... sowie des gezogenen Vergleichs der Unternehmensgruppe der Beklagten mit diesem Konzern ein Lizenzvertragsangebot über ... vorgelegt und dieses per E-Mail gesendet.
241
Mit E-Mail vom ... hat die Klägerin die Unternehmensgruppe der Beklagten an das Angebot vom ... erinnert, worauf die Beklagten am ... reagiert und die Parteien für den ... eine Videokonferenz vereinbart haben. In dieser haben die Ver- treter der Beklagten unter anderem geäußert, dass ...
242
bb) Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat damit an den Lizenzverhandlungen zu spät und für den Abschluss eines Lizenzvertrags zu wenig förderlich mitgewirkt. Sie hat sich insbesondere nicht so verhalten, dass hierfür hinreichend konkrete Fortschritte erzielt werden.
243
Ein Lizenzsucher, der den erfolgreichen Abschluss eines Lizenzvertrags anstrebt, hätte sich – anders als es die Unternehmensgruppe der Beklagten getan hat – durch fortdauerndes Verhandeln und förderliche sowie konstruktive Mitwirkung bemüht, dass es zum Abschluss des gewollten Lizenzvertrags kommt. Insbesondere haben die Beklagten ihre Gegenangebote erst spät im Verhandlungsprozess unterbreitet und sind jedenfalls am Ende nicht bereit gewesen, diese maßgeblich zu erhöhen, obwohl sich aus den Ausführungen der Klägerin (zuletzt in der Triplik vom 09.01.2022) ergibt, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten im Vergleich zu den anderen Lizenzverträgen, die die Klägerin geschlossen hat, lediglich einen Bruchteil der dort vereinbarten Zahlungen angeboten hat. Auch zeigt das letzte Gegenangebot von ... ihre Lizenzunwilligkeit, weil trotz der grundsätzlichen Vergleichbarkeit mit ... lediglich etwas mehr als ... des von ... bezahlten Betrags angeboten wird und die Beklagten nicht erläutert haben, welche Annahmen sie für ihr eigenes Zahlenwerk bis zum Jahr ... zugrunde gelegt haben. Aus Sicht der Kammer wäre vielmehr zu erwarten gewesen, dass die Beklagten ein Lizenzangebot unterbreiten, dass entsprechend der gebotenen Anpassungen, aber in etwa in der Größenordnung liegt, in der ihr Wettbewerber ... mit der Klägerin eine Einigung gefunden hat.
244
3. An dieser festgestellten Lizenzunwilligkeit der Beklagten ändert sich nichts durch ihren Einwand, das Angebot der Unternehmensgruppe der Beklagten sei das einzige schriftliche Lizenzangebot, das die FRAND-Kriterien erfülle, so dass sie nicht als lizenzunwillig angesehen werden dürfen.
245
a) Die Unternehmensgruppe der Beklagten stützt sich im Grunde darauf, dass ihr Angebot von ... FRAND sei, weil die Klägerin für die Gesamtlaufzeit bis ... einen Betrag von zuletzt ... fordert.
246
b) Dieser Einwand greift nicht durch, weil die Beklagten einen Lizenzvertrag zu solchen Bedingungen nicht von der Klägerin beanspruchen können.
247
Voraussetzung für den Einwand der Beklagten ist, dass das klägerische Angebot von ... auf ... heruntergerechnet werden kann und ein entsprechender Vertrag zu diesen Konditionen überhaupt zur Disposition stünde, was mangels Darlegung eines berechtigten Interesses der Unternehmensgruppe der Beklagten gegenüber der Klägerin an ... bislang bereits nicht der Fall ist (s.o.). Außerdem ist das Lizenzangebot der Klägerin so konzipiert, dass für die Preisbildung lediglich Verkäufe bis ... einbezogen werden, mit denen zugleich Verkäufe bis ... abgegolten werden. Eine arithmetische Verteilung der ... bis ... auf ... bis ... scheidet damit aus.
248
III. Auch aus den übrigen Einwänden und Rügen der Beklagten ergibt sich unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls keine Begründetheit des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands.
249
Besonders aus dem mit Schriftsatz vom 28.03.2023 vorgelegten Urteil des UK High Court vom 16.03.2023 in Sachen Interdigital v. Lenovo (Anlage VP-Kart35) ergibt sich jedenfalls mangels Übertragbarkeit der tatsächlichen Umstände auf diesen Fall hier kein anderes Ergebnis.
250
IV. Der zulässige Antrag der Beklagten auf Dokumentenvorlage ist zurückzuweisen. Er ist unbegründet.
251
1. Nachdem die Kammer die fehlende Lizenzwilligkeit der Beklagten festgestellt hat, übt sie das ihr nach § 142 ZPO eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass es der beantragten Dokumentenvorlage nicht bedarf. Einem lizenzunwilligen Verhandlungspartner brauchen weitere geheimhaltungsbedürftige Informationen nicht offenbart und die entsprechenden Dokumente nicht vorgelegt zu werden, wenn sie für den Prozess nicht relevant sind.
252
Das ist hier der Fall. Aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergibt sich keine Relevanz für das Verfahren. Denn die Vorlage ist nicht entscheidungserheblich. Die Beklagten sind nicht lizenzwillig. Anhaltspunkte dafür, dass sich durch die beantragte Vorlage der Dokumente hieran etwas ändern könnte und sie ihr verzögerndes und nicht förderliches Verhalten aufgeben würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
253
2. Entgegen der Annahme der Beklagten ist der Anspruch auch nicht bereits deswegen begründet, weil die Beklagten die Dokumente lediglich online einsehbar in den elektronischen Datenraum gestellt haben, wobei es aber nicht möglich ist, die Dokumente zu drucken, zu speichern oder anderweitig zu sichern. Denn die Beklagten haben auch so die Möglichkeit, sich mit dem Inhalt der Dokumente vertraut zu machen und diesen zu Kenntnis zu nehmen. Zwar wird ihnen damit erschwert, diese Dokumente zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und es ist zuzugeben, dass die Klägerin die Kontrolle über den Datenraum ausübt. Doch es damit im Einzelfall dem Informationsinteresse der Beklagten hinreichend genüge getan. Den Inhalt der Dokumente kann die Beklagte zum Beispiel ohne Weiteres durch Abfotografieren des Bildschirms „sichern“. Außerdem ist im Lauf des Verfahrens (zu Recht) nicht eingewandt worden, sie könne sich nicht entsprechend verteidigen. Dass der Inhalt solcher Datenräume nicht als elektronischer Akteninhalt angesehen werden kann, mag zutreffen, ändert aber – wohl entgegen Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Auflage 2023, Kap. E Rn. 598 – nichts an der fehlenden Vorlageverpflichtung. Denn maßgeblich ist das Informationsbedürfnis der betroffenen Person.
254
3. Durch Vorlage des ...-Vertrags hat die Klägerin den Antrag im Übrigen zum Teil erfüllt.
255
Eine Aussetzung mit Blick auf die Berufung der Nichtigkeitsklägerin HMD Global Oy, begründet mit Schriftsatz vom 02.05.2022 (Anlage VP 3), nach § 148 ZPO ist nicht veranlasst.
256
I. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (vgl. Cepl, in: Cepl/Voß, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Auflage 2022, § 148 ZPO Rn. 106 m.w.N). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl, in: Cepl/Voß, aaO, § 148 ZPO Rn. 107 m.w.N.).
257
Eine erstinstanzliche Entscheidung des zur Entscheidung über den Rechtsbestand berufenen (regelmäßig mit Fachpersonen besetzten) Organs ist grundsätzlich hinzunehmen, sofern die Entscheidung nicht offensichtlich fehlerhaft ist (Voß, in: BeckOK PatR, PatG § 139 Vor §§ 139-142b (Verletzungsprozess) Rn. 186 m.w.N.). Die durch die Entscheidung benachteiligte Partei muss darlegen, inwieweit die Entscheidung falsch ist (Diagnose) und warum das zur Entscheidung berufene Organ in zweiter Instanz anders entscheiden wird (Prognose).
258
II. Nach diesen Maßstäben ist der Rechtsstreit nicht auszusetzen. Die von den Beklagten geltend gemachten Nichtigkeitsargumente greifen nicht durch.
259
1. Mit erstinstanzlichem Urteil vom 06.12.2021 (Anlage (C) WKS 1) hat das Bundespatentgericht das Klagepatent in dem Verfahren über die Nichtigkeitsklage der HMD Global Oy (Az. 4 Ni 9/21 (EP)) vollumfänglich bestätigt. Die hiergegen gerichtete Berufung hat die Nichtigkeitsklägerin HMD Global Oy mit Schriftsatz vom 02.05.2022 (Anlage VP 3) begründet. Die hiesigen Beklagten haben in ihrer Duplik vom 22.12.2022 (dort S. 27/68) den Inhalt dieser Berufungsbegründung zur Grundlage ihres Aussetzungsantrags gemacht.
260
2. Auf der Grundlage dieses Vorbringens ist der Rechtsstreit nicht auszusetzen. Die Beurteilung des Bundespatentgerichts ist nach Überzeugung der Kammer zutreffend und jedenfalls nicht offensichtlich unrichtig.
261
a) Der Gegenstand der Entgegenhaltung WO 01/86637 A1 (Anlage VP 2-NK 8, Bezeichnung im Nichtigkeitsverfahren und nachfolgend: Svedberg/K3) steht der Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 39 des Klagepatents nicht entgegen.
262
aa) Die Entgegenhaltung Svedberg/K3 befasst sich mit einer verbesserten Vorwärtsfehlerkorrektur (FEC)-Technik bei Übertragung von Audio-Informationen, insbesondere bei paketbasierter Übertragung codierter Sprachdaten. Zur näheren Erläuterung verweist das Bundespatentgericht in seiner Urteilsbegründung unter anderem auf die nachfolgende Figur 6 und Tabelle 1 der Schrift Svedberg/K1:
263
b) Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 39 wird durch diese Entgegenhaltung nicht offenbart. Es werden nicht sämtliche beanspruchte Merkmale gezeigt.
264
So offenbart die Schrift Svedberg/K3 jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind (Merkmal 1.3.3.a) und Merkmal 39.3.3.a)).
265
aa) Das Bundespatentgericht hat im Urteil vom 06.12.2021 ausgeführt: Ein Berechnen eines Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind, setze eine nicht näher bestimmte Berechnungsvorschrift voraus, mit welcher ein Energieinformationsparameter aus einem Maximum einer Signalenergie berechnet werde (vgl. Anlage (C) WKS 1, S. 18).
266
Das Dokument Svedberg/K3 offenbare, dass das Ermitteln der Verschleierungs-/Wiederherstellungsparameter ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung aufweise (Merkmal 1.3.3.b) und Merkmal 39.3.3.b)). Denn das Berechnen des RMS-Wertes über einen Unterrahmen stehe in einer mathematischen Relation zu einer Durchschnittsenergie pro Abtastung, weil ein Unterrahmen eine vorbestimmte feste Anzahl von Abtastwerten erfasse.
267
Das Dokument Svedberg/K3 offenbare aber nicht unmittelbar und eindeutig ein Berechnen des Energieinformationsparameters in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie für stimmhafte oder als Einsetzen klassifizierte Rahmen. Denn nach Svedberg/K3 werde im Codierer unabhängig von der Klassifizierung des Rahmens bzw. Halbrahmens stets die Wurzel des quadratischen Mittelwerts (RMS) der Energie des Sprachsignals (entweder über den letzten Unterrahmen oder über die letzte vollständige Tonhöhenepoche) gemessen. Die in Svedberg/K3 offenbarte Wurzel des quadratischen Mittelwerts (RMS) der Energie stehe nicht in einer Relation zu einem Maximum der Signalenergie für Rahmen, die als stimmhaft oder Einsetzen klassifiziert sind (vgl. Anlage (C) WKS 1, S. 25/26).
268
bb) Die Beklagten bringen – unter Bezugnahme auf die Berufungsbegründung der Nichtigkeitsklägerin (Duplik – Teil II, S. 51, 56/57) – vor, dass, weil Svedberg/K3 nach dem Urteil des Bundespatentgerichts Merkmal 1.3.3.b) offenbare, ebenfalls Merkmal 1.3.3.a) durch Svedberg/K3 offenbart sei. In technischer Hinsicht stelle die Berechnungsweise nach Merkmal 1.3.3.b) lediglich einen Spezialfall der Berechnungsweise nach Merkmal 1.3.3.a) dar (vgl. Duplik – Teil II, S. 56/57).
269
Das Bundespatentgericht sei so zu verstehen, dass „in Relation zu“ eine nicht näher bestimmte Berechnungsvorschrift meine. In eine Berechnungsvorschrift zur Berechnung der Durchschnittsenergie pro Abtastung würden sämtliche Abtastungen einfließen, die es zu mitteln gelte. Mithin fließe auch ein maximales Sample ein, also das Maximum der Signalenergie des Rahmens. In technischer Hinsicht repräsentiere die Berechnung gemäß Merkmal 1.3.3.b) ein mögliches Exemplar einer „nicht näher bestimmten Berechnungsvorschrift“ des Merkmals 1.3.3.a). Denn Merkmal 1.3.3.a) schließe – so die Beklagten – nicht aus, dass außer dem „Maximum einer Signalenergie“ noch weitere Größen, insbesondere andere Samples in die Berechnungsvorschrift einflössen (vgl. Duplik – Teil II, S. 51).
270
cc) Diese Argumentation der Beklagten greift nicht durch. Jedenfalls ist eine offensichtliche Unrichtigkeit der Entscheidung des Patentgerichts weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere besteht kein Widerspruch innerhalb der Urteilsbegründung.
271
Die Offenbarung von Merkmal 1.3.3.b) durch Svedberg/K3 schließt nach Auffassung der Kammer nicht die unmittelbare und eindeutige Offenbarung von Merkmal 1.3.3.a) ein.
272
Die Beklagten machen zwar geltend, in die Berechnung einer Durchschnittsenergie pro Abtastung flössen sämtliche Abtastungen ein, mithin auch ein maximales Sample. Dies ist aber nach Auffassung der Kammer – unabhängig davon, welche Berechnungsvorschrift angewendet wird – etwas anderes als eine Berechnung eines Energieinformationsparameters aus einem Maximum einer Signalenergie nach einer nicht näher bestimmten Berechnungsvorschrift nach der Auslegung des Bundespatentgerichts (vgl. Anlage (C) WKS 1, S. 18). Bei der Berechnung einer Durchschnittsenergie unter Einbeziehung sämtlicher Abtastungen wird nicht festgestellt, was das Maximum der Signalenergie des Rahmens ist. Es wäre auch in diesem Zusammenhang ein völlig überflüssiger Berechnungsschritt, weil es darauf bei der Durchschnittsenergie gerade nicht ankommt. Die Berechnung in Relation zu einem Maximum einer Signalenergie ist also gegenüber der Berechnung in Relation zu einer Durchschnittsenergie kein „Spezialfall“, sondern ein „aliud“.
273
c) Das Verfahren ist ebenso nicht wegen einer abweichenden Auslegung von Merkmalsgruppe 1.3.3 durch das Verletzungsgericht von der Auslegung des Bundespatentgerichts auszusetzen. Eine Aussetzung trotz erstinstanzlicher Bestätigung des Klagepatents im Rechtsbestandsverfahren wäre dann vorzunehmen, wenn das Verletzungsgericht Merkmale des Patentanspruchs anders auslegt als die Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz und das Klagepatent auf der Grundlage der Auslegung des Verletzungsgerichts zu widerrufen oder für nichtig zu erklären wäre (vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2012, 10314; Cepl, in: Cepl/Voß, aaO, § 148 ZPO Rn. 134; Kühnen aaO, Kap. E Rn. 956). Dies trifft hier aber nicht zu. Vielmehr stimmt die Auslegung der Kammer insoweit mit der Auslegung des Bundespatentgerichts überein. Die Ausführungen der Beklagtenseite (Duplik – Teil II, S. 51, 56/57) sind demgegenüber auf einen vermeintlichen Widerspruch in der Urteilsbegründung des Bundespatentgerichts bezogen, der jedoch – wie soeben dargelegt – nicht besteht.
274
d) Schließlich übt die Kammer – unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls – ihr Ermessen so aus, dass das Verfahren weder wegen der behaupteten unzulässigen Erweiterung noch wegen der behaupteten mangelnden Ausführbarkeit noch aufgrund fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der Entgegenhaltung Svedberg/K3 auszusetzen ist, zumal die Beklagtenseite insoweit (lediglich) auf die Nichtigkeitsberufungsbegründung verwiesen hat (Duplik – Teil II, S. 27/68), ohne eine offensichtliche Unrichtigkeit der Beurteilung des Bundespatentgerichts aufzuzeigen. Eine solche ist auch nicht ersichtlich.
275
I. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
276
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
277
Die Festsetzung von Teilstreitwerten entspricht gängiger Übung der Verletzungskammern am Landgericht München I, wobei hinsichtlich Unterlassung, Rückruf und Vernichtung eine einheitliche Sicherheit zu bilden ist. Die Kammer schätzt die entsprechenden Teilstreitwerte dem klägerischen Interesse entsprechend wie im Tenor angegeben.
278
§ 712 ZPO ist nicht anzuwenden, weil die Beklagtenseite einen über die üblichen Nachteile einer Vollstreckung hinausgehenden, nicht zu ersetzenden Nachteil durch die Vollstreckung nicht dargetan hat. gez.