Titel:
Werbung für Brustvergrößerungen oder -verkleinerungen ohne medizinische Indikation mit Vorher-Nachher-Bildern
Normenketten:
UWG § 3 Abs. 4, § 3a
HWG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 11 Abs. 1 S. 3
Leitsatz:
Wenn ein Arzt oder eine Ärztin mit vier intraoperativen Halbzeitaufnahmen von Brustoperationen wirbt, die die eine Brust im bereits operierten und die andere im nicht operierten Zustand zeigen, so ist der Verbotstatbestand des § 11 Abs. 1 S. 3 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2c HWG nur dann nicht verletzt, wenn der Durchschnittsverbraucher aus den Abbildungen die medizinische Notwendigkeit des Eingriffs erkennt. Es kommt also nicht darauf an, ob es sich in den behandelten Fällen tatsächlich um medizinisch notwendige Eingriffe gehandelt hat. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Rechtsbruch
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 – 17 HK O 14537/19
Fundstellen:
MD 2023, 549
GRUR-RS 2023, 15250
LSK 2023, 15250
NJW-RR 2023, 1597
GRUR-RR 2023, 506
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 30.09.2021, Aktenzeichen 17 HK O 14537/19, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen, abgeändert und neu gefasst wie folgt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für operative plastisch-chirurgische Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff zu werben, wenn dies geschieht wie folgt:
jeweils sofern dies geschieht wie in Anlagen K 3, K 4 und K 9 wiedergegeben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 178,50 € nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.11.2019 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz zu tragen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts in obiger Fassung sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer 1. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung iHv 30.000,00 € und im Übrigen durch Sicherheitsleistung iHv 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe bzw. iHv 115% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche und einen Abmahnkostenerstattungsanspruch geltend wegen nach ihrer Ansicht unzulässiger Werbung der Beklagten für plastisch-chirurgische Eingriffe, insbesondere Vergrößerungen und Verkleinerungen der weiblichen Brust, durch die im Antrag wiedergegebenen Abbildungen wie in Anlagen K 3, K 4 und K 9 enthalten.
2
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung auf Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs gehört. Mitglieder sind ua auch Ärztekammern, Kliniken und andere Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen.
3
Die Beklagte ist auf plastisch-chirurgische Medizin spezialisierte Ärztin und bietet Vergrößerungen und Verkleinerungen der weiblichen Brust an. Sie bewarb diese mit den im Unterlassungsantrag wiedergegebenen vier Abbildungen auf ihrem Instagram Account www… wie in den Anlagen K 3, Seiten 2/16, K 4 und K 9 wiedergegeben. Zu ihrem Instagram Account gelangte man ua durch eine Verlinkung von der Homepage der Beklagten unter www… durch Anklicken eines Icons, das eine stilisierte Kamera abbildet (vgl. Anlage K 3, Seite 1, oben rechts). Zudem war, um den Auftritt der Beklagten bei Instagram aufrufen zu können, eine Registrierung und Anmeldung des Nutzers bei Instagram erforderlich. Gelangte man auf den Instagram Account der Beklagten, so präsentierte sich dieser am 22.08.2019 wie auf Anlage K 3, Seiten 2/16, wiedergegeben. Klickte man dort die auf Seite 5, Seite 6, Seite 7 und Seite 13 der Anlage K 3 markierten Bilder an, so erschien eine Ansicht, in der das angeklickte Bild angezeigt und Begleittexte eingeblendet werden sowie eigene Kommentare hinzugefügt werden können, so für den 30.09.2019 abgebildet auf Anlage K 4 und auf Anlage K 9. Zu diesen individuellen Bildansichten mit Begleittext kann man auch über die Auswahl im Menü gelangen.
4
Mit Schreiben vom 26.08.2019 mahnte der Kläger die Beklagte ab (Anlage K 5).
5
Der Kläger ist der Ansicht die beanstandeten Abbildungen auf dem Instagram Account der Beklagten verstießen gegen § 11 Abs. 1 S. 3 HWG, hilfsweise gegen § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HWG.
6
Der Kläger hat beantragt
wie erstinstanzlich erkannt.
7
Die Beklagte hat beantragt
8
Nach Ansicht der Beklagten liegt kein solcher Verstoß vor. Alle abgebildeten Eingriffe seien medizinisch indiziert gewesen wegen durch die ursprüngliche Brustgröße und -form hervorgerufenen Erkrankungen orthopädischer, psychischer oder dermatologischer Art. Die maßgeblichen angesprochenen Verkehrskreise, nämlich Frauen, insbesondere potenzielle Patientinnen, würden schon aus den Abbildungen ersehen, dass es sich um medizinisch notwendige Eingriffe handele. Das folge auch aus dem in die Beurteilung einzubeziehenden Gesamtzusammenhang, in dem sich die medizinische Notwendigkeit aus dem angefügten englischsprachigen Text der Beklagten ergebe. Die angesprochenen Verkehrskreise würden englisch sprechen und verstehen. § 11 Abs. 1 S. 3 HWG und § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c HWG würden keine Werbung für einen Eingriff erfassen, der objektiv medizinisch notwendig sei. Dies folge auch aus einer verfassungskonformen Auslegung unter Berücksichtigung insbesondere der Berufsfreiheit der Beklagten als plastische Chirurgin und schließlich auch bei unionsrechtskonformer Auslegung, zumal es weder unions- noch weltweit eine vergleichbare Werbebeschränkung gebe.
9
Mit Urteil vom 30.09.2021, auf dessen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht München I, Aktenzeichen 17 HK O 14537/19 erkannt wie folgt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für operative plastisch-chirurgische Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff zu werben, wenn dies geschieht wie folgt:
[Einblendung der 4 oben wiedergegebenen Abbildungen]
jeweils sofern dies geschieht wie in Anlage K 3 und in Anlage K 4 wiedergegeben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 178,50 € nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.02.2019 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. [Vorläufige Vollstreckbarkeit]
10
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus dem ersten Rechtszug und beantragt,
- 1.
-
Das Urteil des LG München I vom 30.09.2021 – 17 HK O 14537/19 wird aufgehoben.
- 2.
-
Die Klage wird abgewiesen.
11
Der Kläger verteidigt das Urteil und beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen, mit der Maßgabe, dass es am Ende des Klageantrags zu 1 nach „wie in“ heißt: „Anlagen K 3, K 4 und K 9“.
12
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13
Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache allerdings nur in marginalem Umfang Erfolg, weil der Zinslauf (antragsgemäß) erst ab 13.11.2019 zuzusprechen war. Das Landgericht hat der Klage im Übrigen zu Recht stattgegeben.
14
I. Die Klage ist zulässig.
15
1. Der Kläger ist klagebefugt gem. § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG idF bis 01.12.2020 (iVm § 15a Abs. 1 UWG). Die Voraussetzungen sind nach den von der Beklagten in der Berufung zu Recht nicht mehr angegriffenen Feststellungen des Landgerichts gegeben. Auf die Ausführungen im Landgerichtsurteil wird Bezug genommen.
16
2. Der Unterlassungsantrag ist hinreichend bestimmt iSd § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Bestimmtheit wird von der Beklagten in der Berufung zu Recht nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt.
17
Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 I ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bliebe (stRspr; vgl. BGH GRUR 2017, 537 Rn. 12 – Konsumgetreide; GRUR 2018, 1161, Rn. 16 – Hohlfasermembranspinnanlage II). Eine hinreichende Bestimmtheit ist für gewöhnlich gegeben, wenn eine Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung oder die konkret angegriffene Verletzungsform antragsgegenständlich ist (vgl. nur BGH GRUR 2018, 1161, Rn. 16 mzN – Hohlfasermembranspinnanlage II) und der Klageantrag zumindest unter Heranziehung des Klagevortrags unzweideutig erkennen lässt, worin die Grundlage und der Anknüpfungspunkt des Wettbewerbsverstoßes und damit des Unterlassungsgebots liegen sollen (vgl. BGH a.a.O., Rn. 16 mzN). Dies ist hier gegeben.
18
Entgegen der Ansicht des Landgerichts (Landgerichtsurteil, Seite 6, erster Absatz) gehört zum Streitgegenstand aber durch die Bezugnahme auf die Anlage K 4 auch die Instagram Anzeige, die beim Anklicken eines Bildes oder durch entsprechende Menüauswahl erscheint, wie auf Anlage K 4 angezeigt. Wegen der Vollständigkeit des für die Beurteilung erforderlichen Gesamteindrucks einer beanstandeten Werbeaussage ist in den Antrag auch Anlage K 9 einzubeziehen, welche der Kläger bereits in der Klageschrift bei Darstellung der Umgebung auf Instagram angeführt hat (Seite 15 der Klageschrift).
19
Aus Bestimmtheitsgründen waren die im Tenor in Bezug genommenen Anlagen K 3, K 4 und K 9 auch vollständig einzublenden.
20
2. Die Klage ist begründet.
21
a) Der Unterlassungsanspruch folgt aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG iVm § 3, § 3a UWG iVm § 11 Abs. 1 S. 3, § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG.
22
aa) Der Kläger ist aktivlegitimiert nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 idF bis 01.12.2020.
23
bb) Die angegriffenen Handlungen stellen sich als geschäftliche Handlung iSd § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar, da die Beklagte mit diesen auf ihrem Instagram Account vorgehaltenen Abbildungen, zu welchen sie auf ihrer beruflich bzw. geschäftlich genutzten Webseite verlinkt, ihre beruflichen Dienstleistungen der Brustverkleinerung oder -vergrößerung bewirbt. Es handelt sich ohne Weiteres um ein Verhalten einer Person zugunsten des eigenen Unternehmens bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes von Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhängt. Unschädlich ist, dass die Verlinkung nur dann zum Instagram Account der Beklagten führt, wenn der Nutzer sich bei Instagram registrieren lässt oder bereits dort registriert ist und dort angemeldet ist bzw. sich unter Angabe seines Benutzernamens und Passwords anmeldet.
24
cc) § 11 Abs. 1 S. 3 HWG ist eine Marktverhaltensregelung nach § 3a UWG (vgl. OLG Koblenz GRUR-RR 2017, 32 Rn. 4).
25
dd) Die beanstandete Werbung mit den vier eingeblendeten Abbildungen ist unlauter, weil sie gegen das Werbeverbot nach § 11 Abs. 1 S. 3, § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG verstößt.
26
(1) Die beanstandeten Abbildungen auf dem Instagram Account der Beklagten wie in Anlagen K 3, K 4 und K 9 abgebildet verstoßen gegen § 11 Abs. 1 S. 3, § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c HWG.
27
(a) Nach diesen Vorschriften darf für operative plastisch-chirurgische Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit nicht mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustands oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geworben werden.
28
Für die Feststellung, welches Verständnis die beanstandete werbende Darstellung bei dem angesprochenen Verkehr erweckt, ist der Gesamteindruck im gegebenen Kontext, so wie er vom angesprochenen Verkehr wahrgenommen wird, zu würdigen und nicht lediglich auf einzelne Elemente abzustellen (vgl. BGH, GRUR 2022, 1347 Rn 23 – 7 x mehr).
29
Gemäß § 3 Abs. 4 UWG ist bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Ob die beanstandete Werbung der Beklagten sich nur an Frauen richtet oder auch an Männer, bedarf keiner Entscheidung, weil sich dies im Streitfall nicht auswirkt.
30
(b) Sowohl aus Sicht der weiblichen Durchschnittsverbraucherinnen als auch aus Sicht der weiblichen und männlichen Durchschnittsverbraucher/innen stellen sich die in Streit stehenden Abbildungen im gegebenen Kontext des Instagram Accounts der Beklagten gemäß den Anlage K 3, Seiten 2/16, Anlagen K 4 und K 9, auch mit Rücksicht auf die nach einem etwaigen Anklicken eines Bildes erscheinenden Anmerkungen und Kommentare, als vergleichende Darstellungen des Körperzustands oder des Aussehens vor und nach einer plastisch-chirurgischen Brustverkleinerung oder -vergrößerung ohne medizinische Notwendigkeit dar.
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(aa) Unter eine vergleichende Darstellung des Körperzustands oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff iSd § 11 Abs. 1 S. 3 HWG fallen auch die in Streit stehenden vier intraoperativen Halbzeitaufnahmen von Brustoperationen, die die eine Brust im bereits operierten und die andere im nicht operierten Zustand zeigen. Denn der Durchschnittsbetrachter wird davon ausgehen, dass die bereits operierte Brust im nicht operierten Zustand der abgebildeten noch nicht operierten Brust auf der anderen Seite entsprach oder zumindest sehr ähnlich war.
32
(bb) Aus den Abbildungen allein lässt sich aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine medizinische Notwendigkeit des Eingriffs nicht erkennen. Aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers handelt es sich jeweils um weibliche Brüste, für welche die medizinische Notwendigkeit einer Korrektur nicht ersichtlich ist. Dass aufgrund der abgebildeten Brüste eine orthopädische, eine psychische oder eine Hauterkrankung besteht, ist den Bildern nicht zu entnehmen.
33
(cc) Auch aus dem Gesamtkontext der Abbildungen auf dem Instagram Account der Beklagten erkennt der Durchschnittsverbraucher nicht, dass es sich um medizinisch notwendige Eingriffe handelt. Es erscheint bereits fraglich, ob der Durchschnittsverbraucher bzw. ein signifikanter Anteil der Durchschnittsverbraucher, der diese Abbildungen auf dem Instagram Account der Beklagten wahrnimmt, die erläuternden Begleittexte der Beklagten, wie sie auf Anlage K 9 wiedergegeben sind, wahrnimmt und liest. Selbst wenn er dies täte, erschließt sich dem Durchschnittsverbraucher aus der Lektüre dieses englischsprachigen Textes der Beklagten nicht, dass die Abbildungen medizinisch notwendige Eingriffe betreffen. Zunächst ist schon nicht davon auszugehen, dass ein signifikanter Anteil der Durchschnittsverbraucher der englischen Sprache so mächtig ist, dass er den Text der Beklagten versteht. Und auch auf der Grundlage der Englischkenntnisse des erkennenden Senats kann den beigefügten Texten der Beklagten gemäß Anlage K 9 keine medizinische Indikation entnommen werden.
34
(dd) Dieses Verständnis ist kein anderes, je nachdem ob nur auf die Durchschnittsverbraucherin oder auch auf den Durchschnittsverbraucher abzustellen ist.
35
(ee) Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise die angegriffenen Aussagen verstehen, da er ständig mit Wettbewerbssachen befasst ist (vgl. BGH GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; GRUR 2014, 682 Rn. 29 – Nordjob-Messe).
36
(c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Werbung für Brustoperationen nicht deshalb zulässig, weil es sich in den abgebildeten Fällen tatsächlich um medizinisch notwendige Eingriffe gehandelt habe. Maßgeblich ist allein, ob die medizinische Notwendigkeit für den Durchschnittsverbraucher erkennbar ist oder nicht. Nach seinem maßgeblichen Verständnis wird hier aber, wie vorstehend ausgeführt, kein medizinisch notwendiger plastisch-chirurgischer Eingriff dargestellt und beworben, sondern ein nicht medizinisch notwendiger plastisch-chirurgischer Eingriff.
37
Diese Rechtsanwendung ist ohne Weiteres mit dem Wortlaut der Vorschriften vereinbar: Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c HWG findet das Gesetz Anwendung auf die Werbung für Behandlungen, soweit sich die Werbeaussage auf operative plastisch-chirurgische Eingriffe zur Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit bezieht. Nach § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG darf für die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c HWG genannten operativen plastisch-chirurgischen Eingriffe nicht mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geworben werden. Entscheidend ist folglich, worauf sich die Werbeaussage bezieht. Für die Beurteilung einer Werbeaussage ist auch sonst im Lauterkeitsrecht stets auf das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise abzustellen (vgl. § 3 Nr. 4 UWG).
38
Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm, werbende Anreize für medizinisch nicht notwendige und grundsätzlich mit erheblichen gesundheitlichen Gefahren verbundene plastisch-chirurgische Operationen zu unterbinden.
39
(d) Die Berufsausübungsfreiheit der Beklagten gem. Art. 12 Abs. 1 GG wird durch diese Vorschriften und die hier erfolgte Auslegung zum Gesundheitsschutz in einem zulässigen und verhältnismäßigen Umfang eingeschränkt (vgl. OLG Koblenz GRUR-RR 2017, 32 Rn. 14 f.). Die Einschränkung betrifft für die Beklagte als plastisch-chirurgisch tätige Ärztin lediglich solche Abbildungen, einschließlich etwaiger erläuternder Texte, die aus Sicht der Durchschnittsverbraucherin bzw. des Durchschnittsverbrauchers keine medizinische Notwendigkeit erkennen lassen. Auch die mit dem Verbot einhergehende Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit der Beklagten gem. Art. 5 Abs. 1 GG und der entsprechenden Rechte der Beklagten aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte sind daher nur in einem zulässigen Umfang eingeschränkt. Unionsrecht steht ebenso wenig entgegen. Der Gesundheitsbereich ist aus der Vollharmonisierung der UGP-RL ausgenommen (Art. 3 Abs. 3 und ErwGr. 9 S. 3 UGP-RL). Anderes einschlägiges Unionsrecht ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten nicht aufgezeigt.
40
(2) Der Verstoß gegen das Werbeverbot ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen iSd § 3 a UWG. Verstöße gegen die Werberegelungen des HWG sind in der Regel unlauter iSd § 3 a UWG, weil sie geeignet sind, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen. Für einen Ausnahmefall, in dem die Gefährdung des Schutzzwecks des HWG praktisch ausgeschlossen wäre, ist im Streitfall nichts ersichtlich.
41
ee) Die durch die Verletzung indizierte Wiederholungsgefahr hat die Beklagte nicht durch Abgabe einer ernsthaften Unterlassungserklärung ausgeräumt.
42
b) Nach § 12 Abs. 1 S. 2 UWG kann folglich der Ersatz der für die Abmahnung geltend gemachte Kostenpauschale verlangt werden. Bei einem Verband genügt es insofern, dass zumindest ein Teil der Beanstandungen berechtigt war (vgl. BGH, GRUR 2010, 744 Rn. 51 – Sondernewsletter). Die Höhe der geforderten Pauschale wird zu Recht nicht beanstandet.
43
Zinsen waren für den Erstattungsbetrag allerdings erst ab Rechtshängigkeit beantragt und können daher wegen der Begrenzung durch den Klageantrag (§ 308 ZPO) auch erst ab dem Folgetag der Zustellung der Klageschrift zugesprochen werden. Die Zustellung ist ausweislich des Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters nach Blatt 22 dA am 12.11.2019 erfolgt.
44
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
45
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711, § 709 S. 2 ZPO.
46
3. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter B. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.