Inhalt

LG Ingolstadt, Endurteil v. 01.06.2023 – 81 O 549/22
Titel:

Erfolglose Schadensersatzklage wegen öffentlich zugänglicher Nutzerdaten

Normenketten:
ZPO § 253, § 256
DSGVO Art. 6, Art. 17, Art. 82
BGB § 823, § 1004
Leitsätze:
1. Für den gemäß Art. 82 DS-GVO erforderlichen Schadenseintritt ist der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der DS-GVO nicht ausreichend, denn der Schaden ist nicht mit der zugrundeliegenden Rechtsgutsverletzung gleich zu setzen; es bedarf vielmehr des Nachweises eines von der zugrunde liegenden Rechtsgutsverletzung zu unterscheidenden konkret entstandenen Schadens. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung, ob ein konkreter (immaterieller) Schaden entstanden ist, ist entscheidend, ob durch die DS-GVO-Verletzung eine durchschnittlich im Datenschutz sensibilisierte Person solch negative Gefühle entwickeln würde, die über jene hinausgehen, welche man automatisch entwickelt, wenn ein Gesetz zu seinen Ungunsten verletzt wird. Nicht schon jeder, allein durch die Verletzung an sich hervorgerufene Ärger oder sonstige Gefühlsschaden ist auszugleichen, sondern nur ein darüberhinausgehendes besonderes immaterielles Interesse. Entscheidend ist, dass die Datenschutzverletzung über eine individuell empfundene Unannehmlichkeit hinausgeht oder das Selbstbild oder Ansehen einer Person ernsthaft beeinträchtigt. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Unterlassung, Unterlassungsanspruch, Verletzung, Software, Schaden, Bestimmtheit, Auskunft, Technik, Antragstellung, Streitwert, Auslegung, Feststellungsinteresse, Internet, Stand der Technik, personenbezogene Daten, Art und Weise, Schadensersatzanspruch, Rechtsanwaltskosten, Ermessen, Einstellung, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Ermessen des Gerichts
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 14661

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.100,00 € vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 11.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz, Unterlassung und Auskunft wegen Datenschutzverstößen geltend.
2
Die Beklagte betreibt für Nutzer in der Europäischen Union die F.-Plattform, auf der sie es registrierten Nutzern ermöglicht, auf den F. Dienst über die Webseite www.f..com oder über Apps für Mobiltelefone und Tablett-PCs zuzugreifen.
3
Im Rahmen der für die Nutzung des Dienstes erforderlichen Registrierung muss der Nutzer persönliche Daten, nämlich Namen, Geschlecht und Nutzer-ID angeben, die als Teil des Nutzerprofils durchgehend öffentlich einsehbar sind.
4
Dem Nutzer wird darüber hinaus die Möglichkeit eingeräumt, sei es im Rahmen des Registrierungsprozesses, sei es nach der Registrierung weitere Daten einzugeben.
5
Die Beklagte stellt ihren Nutzern bezüglich der weiter einzugebenen Daten jederzeit abänderbare-Einstellungsmöglichkeiten unter anderem in Form einer Zielgruppenauswahl und in Form von Suchbarkeits-Einstellungen zur Verfügung. Der Nutzer kann hierbei im Rahmen der Zielgruppenauswahl festlegen, wer ein bestimmtes Datenelement im F.-Profil des Nutzers sehen kann. Mit der Suchbarkeits-Einstellung bestimmt der Nutzer demgegenüber, ob sein Nutzerkonto auf der F.-Plattform anhand bestimmter Daten, beispielsweise Telefonnummern gefunden werden kann. Die Suchbarkeits-Einstellungen stellen die Optionen „alle“, „Freunde von Freunden“, „Freunde“ und ab Mai 2019 auch die Option „nur ich“ zur Verfügung. Die von der Beklagten für die Telefonnummer zur Verfügung gestellte Voreinstellung lautet „alle“.
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Die Suchbarkeits-Einstellungen befinden sich im Abschnitt „Privatsphäre“ des Haupteinstellungsmenüs im Konto eines Nutzers. Zu diesem Menü kann der Nutzer direkt von der F.-Startseite aus gelangen, nachdem er sich in seinem Konto angemeldet hat. Die Beklagte stellt dem Eigennutzer eine Vielzahl von Möglichkeiten unter anderem über die Bereiche „Privatsphäre“ und „Hilfe“ auf der F. Startseite zur Verfügung, um zu den jeweils maßgeblichen Einstellungen zu gelangen. Auf die Darstellung in der Klageschrift vom 24.03.2022, Seite 10 ff wird Bezug genommen.
7
Hinsichtlich der Handynummer stellt die Beklagte den Nutzern gesonderte Hinweise zur Verfügung. Auf die Darstellung der Klageschrift vom 25. März 2022 (Blatt 15/16 der Akte) wird Bezug genommen.
8
Die Beklagte bot den Nutzern im streitgegenständlichen Zeitraum die Funktion an, die im Smartphone eines Nutzers gespeicherten Personenkontakte mit Nutzern auf F. zu synchronisieren. Der Nutzer konnte über die sogenannte Kontakt-Importer-Funktion seine Kontakte mit Telefonnummern hochladen, um diese mit den auf den F.-Konten hinterlegten Telefonnummern abzugleichen und so zu den f.-Konten zu gelangen, bei denen Telefonnummern hinterlegt waren, die sich auch in seinen Kontakten befanden.
9
Der Kläger ist Software Entwickler. Er hat sich bereits vor etlichen Jahren bei der Beklagten als Nutzer registriert und dabei über die notwendigen Daten hinaus seine E-Mail Adresse und seine Handynummer angegeben. Bei der Eingabe der Handynummer hat der Kläger die Zielgruppenauswahl hinsichtlich der Handynummer so abgeändert, dass sie für Dritte nicht einsehbar war. Die korrespondierende Suchbarkeitseinstellung hat der Kläger weder bei der Einstellung der Handynummer noch im Nachhinein bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung abgeändert.
10
Vermutlich zwischen Januar 2018 und September 2019 lasen unbekannt gebliebene Dritte von Millionen von F.-Nutzern die von auf F. als „öffentlich“ hinterlegten Daten, in Form des so genannten „scrapings“ aus. Indem – vermutlich über das Contact-Importer-Tool – eine Vielzahl von Kontakten mit automatisch erzeugten Telefonnummern in ein virtuelles Adressbuch eingegeben wurde, gelang es den unbekannten Dritten, diese – selbst generierten – Telefonnummern konkreten F.-Profilen zuzuordnen. Wurde mit einer der automatisch generierten „fiktiven“ Telefonnummer eine Übereinstimmung mit einer bei F. hinterlegten „realen“ Telefonnummer erzielt, wurde sodann, ohne dass in den entsprechenden Profilen bei den Sichtbarkeitseinstellungen die hinterlegten Telefonnummern öffentlich freigegeben waren, mit Hilfe des Kontakt-Importer-Tools der jeweils zugehörige F.-Nutzer angezeigt. Auf diese Weise konnten die öffentlich einsehbaren Daten des jeweiligen Nutzers abgegriffen und mit dessen Telefonnummer korreliert werden.
11
„Scraping“ war und ist nach den Nutzungsbedingungen von f..com untersagt.
12
Das Phänomen war bereits vor dem hier streitgegenständlichen Vorfall bekannt und fand und findet im Internet bekanntermaßen statt.
13
Die auf diese Weise ermittelten Datensätze von Millionen von F.-Nutzern wurden Anfang April 2021 im Internet verbreitet. Auch die Daten des Klägers wurden in der beschriebenen Art abgeschöpft und verbreitet, wobei zwischen den Parteien streitig ist, in welchem Umfang die Abschöpfung und Verbreitung erfolgte.
14
Die Beklagte informierte über den Vorfall zunächst von sich aus weder den Kläger noch die Irish Data Protection Commission als zuständige Datenschutzbehörde.
15
Mit der als Anlage K 1 vorgelegten E-Mail vom 09.06.2021 forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte vorgerichtlich zur Zahlung von 500,- €, Unterlassung künftiger Zugänglichmachung der Daten des Klägers sowie Erteilung einer Auskunft, welche konkreten Daten im April 2021 abgegriffen und veröffentlicht wurden, unter Fristsetzung zur 23.06.2021 auf (K 1). Die Beklagte wies die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz und Unterlassung mit Schreiben vom 23.08.2021 zurück und erteilte Auskünfte.
16
Die Klägerseite behauptet, dass nicht nur Name, Vorname, Geschlecht und ID – Nummer des Klägers, sondern auch dessen Telefonnummer und Wohnort im Rahmen des Scrapings abgegriffen worden seien.
17
Im Darknet sei der ihn betreffende Datensatz wie folgt veröffentlicht:
18
… Der Kläger trägt vor, dass die Beklagte keine hinreichenden technischen und organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen habe, um die Ausnutzung des von ihr zur Verfügung gestellten Kontaktimporter Tools zu verhindern. Bei Kenntnis der unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen „hätte sie diese Option zu keinem Zeitpunkt aktiviert“(Schriftsatz vom 08.02.2023, Seite 22).
19
Der Kläger behauptet, einen erheblichen Kontrollverlust über seine Daten erlitten zu haben und sich in einem Zustand großen Unwohlseins und großer Sorge über möglichen Missbrauch seiner ihn betreffenden Daten zu befinden. Er erhalte seit dem Vorfall unbekannte Kontaktversuche via SMS und E-Mail. Er habe sich mit dem Scraping-Vorfall und der Herkunft der Daten auseinandersetzen, den Sachverhalt ermitteln und sich um eine Auskunft gegenüber der Beklagten kümmern müssen. Er habe Stress, Komfort- und Zeiteinbußen erlitten. Der Vorfall habe zu einem Gefühl des Kontrollverlustes, des Beobachtetwerdens und der Hilfslosigkeit geführt.
20
Der Kläger sieht sich auf Grundlage von Art. 82 DSGVO wegen des ihm entstandenen immateriellen Schadens zum Schadenersatz berechtigt. Die Beklagte habe mit ihrer Vorgehensweise gegen zahlreiche Vorschriften der DSGVO verstossen. Der Kläger habe hierdurch einen Schaden erlitten. Mit der Verletzung datenschutzrechtlicher Normen gehe immer ein Schaden einher, ohne dass eine Erheblichkeitsschwelle überschritten werden müsse. Mit dem Kontrollverlust sowie den Einbußen des Klägers sei auch ein konkreter ersatzfähiger immaterielle Schaden entstanden. Die Vielzahl der Verstöße der Beklagten und deren datenfeindliches Agieren sei im Rahmen der Bemessung der Höhe des Schadensersatzes ebenso zu berücksichtigen wie das in Art. 83 DSGVO enthaltene Bußgeldregime und rechtfertige einen Schadensersatz in der geltend gemachten Höhe.
21
Den von ihm geltend gemacht Feststellungsantrag auf Ersatz künftiger Schäden sieht die Klägerseite dadurch gerechtfertigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch zukünftige erhebliche Belästigungen und die Gefahr einer missbräuchlichen Nutzung der erworbenen Daten mit einer entsprechenden Schadensverursachung besteht.
22
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergebe sich aus Art. 17 DSGVO und §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB. Ihm könne weder die fehlende Bestimmtheit noch ein Entfall der Wiederholungsgefahr entgegengehalten werden.
23
Der dem Kläger zustehende Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO sei durch die außergerichtlich erteilte Auskunft nicht (vollständig) erfüllt.
24
Der Kläger beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite immateriellen Schadensersatz in angemessener Höhe zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 1.000,00 EUR nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite alle künftiger Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten, der nach Aussage der Beklagten im Januar 2018 bis September 2019 erfolgte, entstanden sind und/oder noch entstehen werden.
3. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 EUR, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,
a. personenbezogenen Daten der Klägerseite, namentlich Telefonnummer, F.ID, Familiennamen, Vornamen, Geschlecht, Bundesland, Land, Stadt, Beziehungsstatus unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen vorzusehen, um die Ausnutzung des Systems für andere Zwecke als der Kontaktaufnahme zu verhindern,
b. die Telefonnummer der Klägerseite auf Grundlage einer Einwilligung zu verarbeiten, die wegen der unübersichtlichen und unvollständigen Informationen durch die Beklagte erlangt wurde, namentlich ohne eindeutige Informationen darüber, dass die Telefonnumer auch bei Einstellung auf „privat“ noch durch Verwendung des Kontaktimporttools verwendet werden kann, wenn nicht explizit hierfür die Berechtigung verweigert und, im Falle der Nutzung der F.-Messenger App, hier ebenfalls explizit die Berechtigung verweigert wird.
4. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerseite Auskunft über die Klägerseite betreffende personenbezogene Daten, welche die Beklagte verarbeitet, zu erteilen, namentlich welche Daten durch welche Empfänger zu welchem Zeitpunkt bei der Beklagten durch Scraping oder durch Anwendung des Kontaktimporttools erlangt werden konnten.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € zu zahlen zuzüglich Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
25
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
26
Sie trägt vor, im fraglichen Zeitraum ausreichende Sicherheitsmaßnahmen hinsichtlich des Scrapings von Daten ergriffen zu haben. Es habe Übertragungsbeschränkungen und eine Bot-Erkennung durch Captcha-Abfragen gegeben. Darüber hinaus beschäftige die Beklagte ein Team von Datenanalysten und Softwareingenieuren zur Verhinderung von Scraping-Aktivitäten.
27
Die Beklagte hält die von der Klägerin erhobenen Anträge für unbestimmt, das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO für den geltend gemachten Feststellungsantrag sei nicht gegeben, da ein künftiger Schadenseintritt bei objektiver Betrachtung nicht ersichtlich sei.
28
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach Art. 82 scheitere daran, dass die Normen gegen die Beklagte verstoßen haben soll, nicht dem Schutzbereich des Art. 82 unterfielen. Dem Kläger sei darüber hinaus kein Schaden in Form der erforderlichen spürbaren Beeinträchtigung persönlichkeitsbezogener Belange von einem Gewicht entstanden, der zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs berechtige.
29
Die von der Klägerseite gerügten Verstöße gegen einzelne Vorschriften der DSGVO lägen nicht vor.
30
Der von der Klägerseite geltend gemachte Unterlassungsanspruch verfolge mit der Implementierung von Sicherheitseinrichtungen ein aktives Tun der Beklagten. Aus der DSGVO ergebe sich kein Unterlassungsanspruch. Ein Unterlassungsanspruch ergebe sich nicht aus nationalen Vorschriften, da die DSGVO insoweit abschließend sei.
31
Der Klägerseite stehe der von ihr geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht zu, da dieser durch das außergerichtliche Schreiben vom 01.09.2021 bereits vollumfänglich erfüllt sei.
32
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
33
Die in die Zuständigkeit des Einzelrichters fallende Angelegenheit wurde durch Beschluss vom 13.10.2022 gemäß § 348 Abs. 3 Satz 2 ZPO von der Kammer übernommen.
34
Das Gericht hat mündlich zur Sache verhandelt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger persönlich angehört. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2023 (Blatt 304/309 der Akte) wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

35
Die zulässige Klage ist unbegründet.
36
1. Das Landgericht Ingolstadt ist international, sachlich und örtlich zuständig.
37
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 6 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 Alt. 2. EuGVVO (Brüssel la – VO). Gemäß Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 EuGVVO kann die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.
38
Der Kläger ist gemäß Art. 17 Abs. 1 EuGVVO Verbraucher. Er gibt an, einen Nutzungsvertrag mit der Beklagten geschlossen zu haben über die Nutzung der Social-Media-Plattform F. mittels eines Benutzerkontos zu privaten Zwecken. Der Kläger hat seinen Wohnort in …, woraus sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt.
39
Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Ingolstadt folgt aus §§ 23 Nummer 1, 71 Abs. 1 GVG, wobei das Gericht einen Streitwert von mehr als 5000 € zugrunde legt.
40
Die örtliche Zuständigkeit folgt aus Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 EuGVVO. Danach kann die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Das Landgericht ist unabhängig davon nach Art. 79 Abs. 2 S. 2 DSGVO, § 44 Abs. 1 S. 2 BDSG örtlich zuständig (besonderer Gerichtsstand). Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Münchsmünster und damit im Bezirk des angerufenen Gerichts.
41
2. Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite sind die von der Klägerseite gestellten Sachanträge hinreichend bestimmt.
42
Ein Klageantrag ist hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeiten auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt (s. nur BGH 21.11.2017, II ZR 180/15, NJW 2018, 1259 Rn. 8 m.w.N.).
43
2.1 Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite kann die Bestimmtheit des Klageantrags zu 1) nicht mit der Behauptung der Beklagtenseite, es handele sich um unterschiedliche Lebenssachverhalte, deren Verhältnis zueinander unklar sei und die in einem unzulässigen Alternativverhältnis zueinander stünden, infrage gestellt werden. Nach Auffassung des Gerichts richtet sich der Einwand der Beklagtenseite nicht gegen die Bestimmtheit des Klageantrags im Sinne des § 253 Abs. 2 Nummer 2, 2. Alternative ZPO, sondern gegen die durch § 253 Abs. 2 Nummer 2, 1. Alternative zwingend vorgeschriebene Bezeichnung des Gegenstands und Grund des Anspruchs und damit des dem Klageanspruch zugrundegelegten tatsächlichen Sachverhalts.
44
Soweit die Beklagtenseite ihre Auffassung, es lägen mehrere Lebenssachverhalte vor, auf die von der Klägerseite behauptete Verletzung mehrerer Vorschriften der DSGVO stützt, handelt es sich um rechtliche Qualifizierungen, die nicht zum Lebenssachverhalt gehören. Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite wird von der Klägerseite lediglich ein Lebenssachverhalt beschrieben, der den Zeitraum von der Registrierung bis hin zur behaupteten Schädigung in der Gegenwart mit umfasst und durch die bestehenden vertraglichen Beziehungen betreffend die Nutzung der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Dienste verbunden wird. Auf Grundlage des vorstehenden Sachverhalts entwickelt die Klägerseite den von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruch. Die von der Beklagtenseite geäußerten Zweifel hinsichtlich des Umfangs der Rechtskraft vermag das Gericht ebenso wenig zu teilen wie den Einwand, dass das Kostenrisiko in unzulässiger Weise auf die Beklagte abgewälzt wird. Dem Kostenrisiko dürfte angesichts des mit dem Klageantrag zu 1 verfolgten überschaubaren Betrags ohnehin keine gesteigerte Bedeutung zukommen.
45
2.2 Der Ansicht der Beklagten, der mit der Ziffer 2. verfolgte Feststellungsantrag entspreche nicht dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nummer 2 ZPO, kann nicht gefolgt werden.
46
Das Erfordernis eines bestimmten Antrags (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) gilt allerdings als eine die Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung betreffende Prozeßvoraussetzung auch für die Feststellungsklage nach § 256 ZPO. Der Kläger muß deshalb in seinem Antrag das Rechtsverhältnis, dessen Bestehen oder Nichtbestehen festgestellt werden soll, so genau bezeichnen, daß über dessen Identität und damit über den Umfang der Rechtskraft des begehrten Feststellungsanspruchs keinerlei Ungewißheit herrschen kann (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2000 – VIII ZR 289/99 –, Rn. 35, juris).
47
Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite kann die Bestimmtheit allerdings nicht dadurch infrage gestellt werden, dass der Feststellungsgegenstand im Verhältnis entstandene/künftige Schäden nicht eindeutig festgelegt ist. Das Gericht sieht das festzustellende Rechtsverhältnis mit dem Ersatz künftig entstehender Schäden hinreichend genau bezeichnet. Dies erschließt sich zwar nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut des Antrags, wohl aber in Verbindung mit dem Sachvortrag des Klägers, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur streitgegenstandsbestimmenden Auslegung des Antrags heranzuziehen ist (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2000 – VIII ZR 289/99 –, Rn. 36, juris).
48
Es liegt für den Klageantrag zu 2 auch ein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO hinsichtlich zukünftiger materieller Schäden vor. Dieses erfordert im Gegensatz zu der von der Beklagtenseite vertretenen Auffassung keinen konkreten Sachvortrag, welche materiellen Schäden ihr noch entstehen könnten. Ausreichend ist die Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts, wobei ein Feststellungsinteresse nur dann zu verneinen ist, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 – VI ZR 133/06 –, Rn. 5, juris). Mit der Klägerseite hält das Gericht die Gefahr einer missbräuchlichen Nutzung der klägerischen Daten, die zu einem Vermögensschaden auf Klägerseite führen kann, nicht für ausgeschlossen.
49
Demgegenüber dürfte sich ein Feststellungsinteresse hinsichtlich künftiger immaterieller Schäden wegen des mit dem Antrag zu 1 unbeschränkt geltend gemachten Schmerzensgeldes nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Schmerzensgeldes, der es erbietet, die Höhe des der Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15 –, Rn. 6, juris) nicht darstellen lassen.
50
2.3 Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite ist auch der Klageantrag zu 3a) hinreichend bestimmt. Soweit die Beklagtenseite den von der Klägerseite im Rahmen des Antrags verwendeten Ausdruck „nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen“ und hierbei insbesondere den Terminus „Stand der Technik“ beanstandet, ist ihr dahingehend recht zu geben, dass der vorgenannte Begriff Wandlungen unterliegt und auslegungsbedürftig ist. Die Verwendung derartiger Begriffe, deren Bedeutung nicht immer gleich sein muss, in Antrags- und Urteilsformel ist nicht grundsätzlich und generell unzulässig (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 46/09 –, Rn. 11, juris). Eine auslegungsbedürftige Antragsformulierung kann hinzunehmen sein, wenn dies zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist (BGH, Urteil vom 21. Mai 2015 – I ZR 183/13 –, Rn. 13, juris).
51
So liegt der Fall hier. Die Beschreibung von konkreten Sicherheitsmaßnahmen anstelle des verwendeten Begriffs würde einerseits die Befugnisse der Beklagten zur Entscheidung, welche Sicherheitsmaßnahmen sie implementieren möchte, einschränken, andererseits wäre die Klägerin verpflichtet, sich über den aktuellen Stand der Technik zu erkundigen, um diese der Klage zugrunde zu legen und bei Änderungen jeweils eine neue Klage gegen die Beklagte anzustrengen. Diese Vorgehensweise würde einem effektiven Rechtsschutz widersprechen (so auch LG Essen, Urteil vom 10. November 2022 – 6 O 111/22 – Rz. 55, juris, LG Bielefeld, Urteil vom 19. Dezember 2022 – 8 O 182/22 – Rz. 31, juris).
52
Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite kann den Anträgen 3 die Bestimmtheit auch nicht deswegen abgesprochen werden, weil hier lediglich der Gesetzeswortlaut wiedergegeben wird. Über den Gesetzeswortlaut hinaus hat die Klägerseite aber mit der Einbeziehung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten Kontakt Importer Tools hinreichend deutlich macht, dass er kein Verbot im Umfang des Gesetzeswortlauts beansprucht, sondern sich mit seinem Unterlassungsbegehren an der konkreten Verletzungshandlung orientiert (BGH, Urteil vom 21. Mai 2015 – I ZR 183/13 –, Rn. 13, juris).
53
Der von der Klägerseite verwendete Begriff der unübersichtlichen und unvollständigen Information hat in der Antragstellung über die Aufnahme der konkreten Verletzungshandlung eine hinreichende Konkretisierung gefunden.
54
3. Die Klage ist allerdings unbegründet.
55
Die Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Geldentschädigungsanspruch in Bezug auf einen ihm zugefügten immateriellen Schaden liegen nach Auffassung der Kammer nicht vor. Das Gericht konnte sich auf Grundlage des schriftsätzlichen Vorbringens in Verbindung mit der persönlichen Anhörung des Klägers keine Überzeugung vom Vorhandensein eines immateriellen Schadens bilden.
56
3.1 Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.
57
Der Begriff des Schadens ist in diesem Zusammenhang im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2021 (BVerfG, 1 BvR 2853/19, juris) autonom auszulegen, ohne dass es darauf ankommt, ob ein bestimmter Schaden nach nationalem Recht als Schaden angesehen werden könnte (OLG Celle, Urteil vom 22. September 2022 – 11 U 107/21 –, Rn. 123 m.w.N., juris).
58
Nach Auffassung der Kammer ist für den erforderlichen Schadenseintritt der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO nicht ausreichend. Der Schaden ist nicht mit der zugrundeliegenden Rechtsgutsverletzung gleich zu setzen (OLG Frankfurt, Urteil vom 14. April 2022 – 3 U 21/20 –, Rn. 43, juris; OLG Celle, Urteil vom 22. September 2022 – 11 U 107/21 –, Rn. 129, juris). Es bedarf vielmehr des Nachweises eines von der zugrunde liegenden Rechtsgutsverletzung zu unterscheidenden konkret entstandenen Schadens (OLG Frankfurt, Urteil vom 2. März 2022 – 13 U 206/20 –, Rn. 70, juris).
59
Hierfür spricht bereits der Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO, der über den Verstoß hinaus ausdrücklich die Entstehung eines Schadens voraussetzt. Diesem Verständnis steht auch Erwägungsgrund 146 zur DSGVO nicht entgegen. In dem Erwägungsgrund 146 S. 3 zu der DS-GVO heißt es zwar, dass der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden soll, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht. Der Anspruch soll nach Erwägungsgrund 146 S. 6 sicherstellen, dass die betroffenen Personen einen vollständigen und wirksamen Schadensersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Das schließt ein, dass Schadensersatzforderungen abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv machen sollen (OLG Frankfurt, Urteil vom 2. März 2022 – 13 U 206/20 –, Rn. 70, juris). Andererseits spricht Satz 1 davon, das „Schäden, die … entstehen“ ersetzt werden sollen und wiederholt damit die Formulierung in § 82 DSGVO.
60
Umgekehrt führt der fehlende Hinweis in den Vorschriften der DSGVO und den maßgeblichen Erwägungsgründen darauf, dass Bagatellschäden nicht auszugleichen wären, dazu, dass der Nachweis eines tatsächlich erlittenen Schadens erforderlich ist, um ein vom Verordnungsgeber nicht gewolltes Ausufern von Schadensersatzforderungen in allen Fällen eines – tatsächlich für den Betroffenen folgenlosen – Datenschutzverstoßes zu vermeiden (OLG Frankfurt, Urteil vom 2. März 2022 – 13 U 206/20 –, Rn. 73, juris).
61
Auch die Aufzählung der durch die Datenschutzverletzung möglichen Schäden im Erwägungsgrund 85 Satz 1 macht deutlich, dass der Schaden mit der Datenschutzverletzung nicht identisch ist, zumal durchaus denkbar ist, dass eine Datenschutzverletzung nicht zum Eintritt eines der benannten Schäden führt. Vor diesem Hintergrund muss in jedem Einzelfall betrachtet werden, ob ein Schaden überhaupt entstanden ist (OLG Celle, Urteil vom 22. September 2022 – 11 U 107/21 –, Rn. 135, juris).
62
Gegen eine Ausdehnung des immateriellen Schadensersatzes spricht auch das erhebliche Missbrauchsrisiko, das mit der Schaffung eines lediglich auf einen Verstoß gegen Vorschriften der DSGVO beschränkten und im übrigen voraussetzungslosen Schmerzensgeldanspruchs gerade im Bereich des Datenschutzrechts einherginge (für Bagatellschäden: OLG Dresden, Beschluss vom 11. Juni 2019 – 4 U 760/19 –, Rn. 13, juris).
63
Bei der Beurteilung, ob ein konkreter (immaterieller) Schaden entstanden ist, hat das Gericht einzelfallbezogen zu beurteilen, ob durch die DSGVO-Verletzung eine durchschnittlich im Datenschutz sensibilisierte Person solch negative Gefühle entwickeln würde, die über jene hinausgehen, welche man automatisch entwickelt, wenn ein Gesetz zu seinen Ungunsten verletzt wird. Der Geschädigte muss daher einen solchen Nachteil erlitten haben, dem infolge der Beeinträchtigung der Interessen ein Gewicht zukommen muss. Nicht schon jeder, allein durch die Verletzung an sich hervorgerufene Ärger oder sonstige Gefühlsschaden ist auszugleichen, sondern nur ein darüberhinausgehendes besonderes immaterielles Interesse. Entscheidend ist, dass die Datenschutzverletzung über eine individuell empfundene Unannehmlichkeit hinausgeht oder das Selbstbild oder Ansehen einer Person ernsthaft beeinträchtigt (OLG Celle, Urteil vom 22. September 2022 – 11 U 107/21 –, Rn. 137, juris).
64
3.2 Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze konnte sich das Gericht vom Vorhandensein eines dem Kläger entstandenen konkreten immateriellen Schadens keine Überzeugung bilden.
65
Die Klägerseite hat zunächst unter Zugrundelegung ihrer Rechtsauffassung, wonach ein Schaden bereits in der Verletzung von Vorschriften der DSGVO zu sehen sei, zu dem dem Kläger entstandenen Schaden nur in einer pauschalen, aus einer Vielzahl vergleichbarer Fälle bekannten Art und Weise vorgetragen. Die Erwähnung des Wortes … (Klageschrift vom 24.03.2022 Seite 44) lässt darauf schließen, dass es sich insoweit um einen Baustein handelt, der nicht nur in Verfahren gegen die Beklagte, sondern auch in sonstigen von der klägerischen Kanzlei geführten Verfahren, denen Verstöße gegen die DSGVO zugrunde liegen, Verwendung findet.
66
Dem pauschalen Vorbringen zufolge hat die Klägerseite „einen erheblichen Kontrollverlust über ihre Daten erlitten“ und verbleibt „in einem Zustand großen Unwohlseins und Sorge über möglichen Missbrauch ihrer Daten“ was sich unter anderem in einem „verstärkten Misstrauen bezüglich E-Mail zum anrufen von unbekannten Nummern und Adressen, aber auch in der ständigen Sorge, dass die veröffentlichten Daten von Kriminellen für unlautere Zwecke verwendet werden könnten“ manifestiert habe. Darüber hinaus erhalte die Klägerseite seit April 2021 „vermehrt dubiose Nachrichten und E-Mails der oben beschriebenen Art“ (vgl. Klageschrift vom 24.03.2022, Seite 44 f).
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Der vorstehende Sachverhalt wurde in der Replik vom 10.10.2022 dahingehend „konkretisiert“, dass der Schaden des Klägers wie folgt beschrieben wird:
„Verlust der Kontrolle über die sie ihn betreffenden personenbezogenen Daten. Dies führt auf Klägerseite zu dem Gefühl des Kontrollverlusts, des Beobachtet werdens und der Hilfslosigkeit. Die Klägerseite hat auch Zeit und Mühe aufgewendet, um sich vor drohendem (weiteren) Missbrauch zu schützen. Die Schäden sind kausal auf den dargestellten Sachverhalt, auf die Rechtsverletzungen der Klägerin zurückzuführen.“
68
Die Verwendung der männlichen und weiblichen Personalpronomina liegt nahe, dass es sich auch bei diesem Sachvortrag um einen Textbaustein handelt, der über das streitgegenständliche Verfahren hinaus Verwendung findet und damit nicht geeignet ist, einen konkreten Schaden des Klägers zu beschreiben.
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Die von der Klägerseite schriftsätzlich beschriebenen psychischen Beeinträchtigungen erscheinen bereits deswegen schwer nachvollziehbar, weil die nach dem klägerischen Sachvortrag den Gegenstand der Verletzung von Vorschriften der DSGVO bildenden Daten Name, Vorname und IP-Nummer weitgehend aus dem öffentlich zugänglichen Profil des Klägers stammen und damit bereits nach ihrer Eingabe von sämtlichen Dritten eingesehen werden konnten, damit nicht mehr unter der ausschließlichen klägerischen Kontrolle standen. Ein hieraus resultierender Kontrollverlust ist für das Gericht nicht nachvollziehbar (so auch LG Bielefeld, Urteil vom 19. Dezember 2022 – 8 O 182/22 – Rz. 39, juris).
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Soweit die Klägerseite weitere Daten des Klägers von dem Scraping-Vorfall betroffen sieht, liegt bereits ein substantiierter Sachvortrag dazu, welche konkreten Daten der Kläger überdies in seinem F.Profil eingestellt haben will, die er nicht öffentlich zugänglich machen wollte, nicht vor.
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Soweit die Klägerseite eine Beeinträchtigung des Klägers durch vermehrte E-Mails ab einem bestimmten Zeitpunkt behauptet, ist ein kausaler Zusammenhang mit den von der Klägerseite behaupteten Verstößen der Beklagten nicht herstellbar. Aufgrund des von der Klägerseite beschriebenen Sachvortrags, der allein die Eingabe der Handynummer betrifft, erscheint bereits nicht nachvollziehbar, dass auch die E-Mail – Adresse des Klägers von dem in der Klage geschilderten Sachverhalt als Voraussetzung der vorgenannten Beeinträchtigung betroffen ist.
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Die schriftsätzlich geäußerten Ängste und Sorgen des Klägers haben sich nach Auffassung der Kammer auch nicht in dessen persönlicher Anhörung bestätigt. Der Kläger konnte dem Gericht im Rahmen der durchgeführten persönlichen Anhörung den schriftsätzlich geschilderten Zustand großen Unwohlseins und Sorge nicht vermitteln. Der Kläger vermittelte dem Gericht vielmehr einen äußerst sorglosen Eindruck. Von den zahlreichen Benachrichtigungen der Beklagten per E-Mail hat er nach seinen Angaben in der Anhörung keine Kenntnis genommen. Über Voreinstellungen und die Möglichkeit, diese zu ändern, hat er erst im Laufe des Verfahrens erfahren und damit auch nach Kenntnis von dem Scraping Vorfall keine Veranlassung gesehen, sich vor Durchführung des Rechtsstreits in der Angelegenheit zu informieren. Die Sorglosigkeit des Klägers zeigt sich nach Ansicht des Gerichts aber auch darin, dass dieser trotz seiner Tätigkeit … mit entsprechenden technischen Affinitäten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine Veranlassung gesehen hat, die Suchbarkeits-Einstellung bezüglich der Handynummer zu ändern.
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Soweit der Kläger seine Besorgnis darauf stützen möchte, dass seine Kinder bei der Verwendung seines Handys im Zusammenhang mit SMS oder Anrufen Erklärungen abgeben und er damit in Verpflichtungen gerate, dürfte die daraus resultierende Besorgnis nicht auf dem streitgegenständlichen Vorfall, sondern in 1. Linie auf dem unbeaufsichtigten Hantieren der Kinder mit dem Handy des Klägers beruhen, dem entgegenzuwirken vorrangig Aufgabe des Klägers ist.
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Auch die vom Kläger geschilderte Motivation zur Erhebung der Klage, verhindern zu wollen, dass „so etwas nochmals vorkommt“ lässt nicht auf die Kompensation eines entstandenen Schadens schließen.
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Soweit sich der Kläger darauf beruft, ab einem bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt vermehrt SMS, E-Mails und Anrufe bekommen zu haben, ist einerseits ein substantiierter Sachvortrag, aus dem heraus sich der behauptete vermehrte Zeitaufwand rechtfertigen könnte, nicht gegeben. Zum anderen ist es dem Kläger nicht gelungen, einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem streitgegenständlichen Vorfall und der behaupteten vermehrten Kontaktaufnahme über das Telefon herzustellen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger einen konkreten Zeitpunkt, ab dem es zu vermehrten Kontaktaufnahmen gekommen sein soll, nicht sicher angeben konnte. Gerichtsbekannt werden auch Inhaber von Mobilfunknummern, die keinen Account bei der Beklagten unterhalten und demzufolge dem streitgegenständlichen Vorfall nicht unterworfen waren, regelmäßig per SMS oder Anrufen kontaktiert.
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Nach Auffassung des Gerichts liegen auf Seiten des Klägers auch keine berücksichtigungsfähigen Komfort- und/oder Zeiteinbußen im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Vorfall vor. Bezüglich der Zeiteinbußen im Zusammenhang mit der Sichtung/Beantwortung von Telefonaten und SMS konnte vom Kläger ein Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Vorfall nicht hergestellt werden (siehe oben). Auch in der Auseinandersetzung mit der Beklagten liegt eine wesentliche Zeiteinbuße des Klägers nicht vor. Der Kläger schildert in diesem Zusammenhang, dass er unmittelbar, nachdem er von dem „Datenleck bei der Beklagten“ erfahren habe, mit der Klägerkanzlei Kontakt aufgenommen habe. Die einzige von ihm in der Folge unternommene Aktivität habe in dem Aufsuchen einer Prüfwebseite bestanden, ehe er dann die Klägervertreter mit der Wahrnehmung seiner Interessen mandatiert habe. In diesen Aktivitäten liegt nach Auffassung des Gerichts ein die Einschätzung als Schaden rechtfertigende Zeiteinbuße nicht vor.
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3.3 Der Feststellungsantrag zu 2) ist unbegründet, weil der Eintritt künftiger Schäden – mangels Vorliegen eines Schadens – bereits nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
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3.4 Der Unterlassungsantrag zu Ziff. 3.) ist ebenfalls unbegründet. Ein derartiger Anspruch aus §§ 1004 analog, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 1, Art. 17 DSGVO besteht nicht.
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So bezieht sich der Unterlassungsantrag zu Ziffer 3a) zunächst teilweise auf Datenpunkte, die nach dem Vorbringen des Klägers von diesem überhaupt nicht veröffentlicht wurden, mithin auch nicht Gegenstand des Scraping-Vorfalls gewesen sind, z.B. Bundesland oder Beziehungsstatus.
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Hinsichtlich der weiteren Datenpunkte wie F.ID, Familienname, Vorname und Geschlecht handelt es sich um die immer öffentlichen Nutzerinformationen, die auf der Profilseite des Klägers stets eingesehen werden können, auch von „unbefugten Dritten“, ohne dass Sicherheitsmaßnahmen überhaupt notwendig sind. Dem hat der Kläger mit der Registrierung zugestimmt.
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Schließlich sind alle diese Datenpunkte bereits nach dem Vortrag des Klägers nicht, wie im Unterlassungsantrag formuliert, über „eine Software zum Importieren von Kontakten“ zugänglich gemacht worden, sondern wurden bereits nach dem klägerischen Vortrag automatisiert von der klägerischen F.-Profilseite gescraped.
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Soweit das Klagebegehren darauf gerichtet ist, ein (erneutes) Scraping seiner Telefonnummer von der Plattform der Beklagten zu verhindern, liegt bereits ein Verstoß der Beklagten gegen Art. 6 DS GVO als Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs nicht vor.
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Die Beklagte hat den Kläger ausreichend aufgeklärt gemäß Art. 13 Abs. 1 DSGVO, insbesondere über die Zwecke der Verarbeitung sowie deren Rechtsgrundlage und die etwaigen Empfänger oder Kategorien von Empfängern der personenbezogenen Daten (s.o.). Der Kläger hat zudem mit der Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen und der Datenrichtlinie die Einwilligung zu der Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 a.) DSGVO. Insbesondere wurden die Datenlinie sowie die Nutzungsbedingungen in einfach verständlicher Sprache abgefasst und sind einfach zugänglich, wenn auch mehrschichtig. Die Website der Beklagten weist einen sogar mehrfach darauf hin, dass man einen Privatsphärecheck machen kann. Insoweit entspricht das Ersuchen der Einwilligung auch den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 DSGVO. Bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB durchaus bei entsprechender Sorgfalt und Inanspruchnahme von Zeit sind die mehrschichtigen Hinweise nachvollziehbar (s. Screenshots in der Akte).
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Der von Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach 3b) ist deswegen unbegründet, weil eine Wiederholungsgefahr nicht besteht. Der Unterlassungsantrag ist darauf gerichtet, die Verwendung der Kontakt Importfunktion für die Suche nach der Telefonnummer des Klägers zu untersagen, wenn dieser nicht zuvor ausdrücklich darüber informiert wurde, dass er diese Verwendung durch entsprechenden Eintrag in die Suchbarkeits-Einstellung vermeiden kann. Nach Auffassung des Gerichts kann ein in dem fehlenden Hinweis der Beklagten liegender Verstoß gegen Vorschriften der Datenschutz Grundverordnung bereits deswegen nicht mehr wiederholt werden, weil dem Kläger aufgrund des Verfahrens nunmehr die maßgeblichen Einstellungsmöglichkeiten, mit denen er selbst dem von ihm beanstandeten Gebrauch entgegenwirken kann, bekannt sind und eine von ihm dennoch aufrecht erhaltene Einwilligung nicht mehr auf einer unübersichtlichen unvollständigen Information durch die Beklagte, sondern auf seiner eigenen Willensentscheidung beruht.
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4. Dem Kläger steht auch der mit dem Klageantrag zu Ziff. 4.) geltend gemachte Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht zu. Der betreffende Anspruch, den die Kammer ausgehend von der klägerseits gewählten Formulierung „namentlich welche Daten durch welche Empfänger zu welchem Zeitpunkt bei der Beklagten durch Scraping oder durch Anwendung des Kontaktimporttools erlangt werden konnten“ sowie den weiteren Sachvortrag des Klägers, dahin auslegt, dass es diesem um die Datenverarbeitung der Beklagten im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Scraping-Vorfall geht, wurde durch die im außergerichtlichen Schriftsatz der Beklagten vom 17.11.2021 (Anlage K 2) enthaltene Auskunft bereits erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB), soweit er die Verarbeitung von Daten des Klägers durch die Beklagte betrifft. Die Beklagte ist auch lediglich gehalten, diese von ihr selbst – und nicht etwaig von Dritten – verarbeiteten Daten mitzuteilen. Soweit durch das Scraping öffentlich einsehbare Daten von Dritten etwaig verarbeitet wurden, ist jedenfalls nicht die Beklagte auskunftspflichtig, zumal sie nach eigenem Vortrag die gescrapten Rohdaten nicht vorliegen hat.
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5. Mangels Hauptanspruchs bestehen auch die geltend gemachten Nebenansprüche auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO.