Inhalt

LG München I, Endurteil v. 28.03.2023 – 33 O 3573/22
Titel:

Unzulässige Bewerbung eines Lebensmittels als solches für besondere medizinische Zwecke

Normenketten:
UWG § 3a
UKlaG § 2, 3
VO (EU) 609/2013 Art. 1 Abs. 1 lit. c, Art. 2 Abs. 2 lit. g, Art. 4 Abs. 1
VO (EU) 1169/2011 Art. 7
Leitsätze:
1. Die zu der alten Rechtslage (vgl. insbesondere Art. 1 Abs. 2 lit. b) RL 1999/21/EG) vertretene Ansicht, dass hinsichtlich des Begriffs der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eine weite Auslegung des Ernährungsbegriffs heranzuziehen sei, ist in Anbetracht der nunmehr geltenden Regelung des Art. 2 Abs. 2 lit. g) Verordnung (EU) 609/2013 nicht mehr heranzuziehen. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein Produkt (hier Leinsamen) dafür vorgesehen, schützend und behandelnd in krankhafte Prozesse einzugreifen und diese günstig zu beeinflussen, fällt es nicht unter den Ernährungsbegriff des Art. 2 Abs. 2 lit g VO (EU) 609/2013. (Rn. 29 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Art. 4 Abs. 1 Verordnung (EU) 609/2013 handelt es sich sowohl um ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne von § 2 Abs. 1 UKlaG als auch um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3 a UWG. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Unlauterkeit
Fundstellen:
MD 2023, 725
GRUR-RS 2023, 13985
LSK 2023, 13985

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an den Geschäftsführern der Komplementärin, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr
1. das Produkt „… Leinsamen“ als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zum Diätmanagement bei Darmträgheit mit typischen Symptomen wie Verstopfung, Divertikel und Schleimhautreizung in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben,
2. für das Produkt „… Leinsamen“ wie folgt zu werben:
2.1. „Sie wirken … als begleitendes Diätmanagement bei Darmträgheit mit typischen Symptomen wie
Verstopfung“
und/oder
„Schleimhautreizung“
und/oder
„Divertikel“,
2.2. „Der Gold-Standard für den Darm“,
2.3. „Effektiv durch natürliche Quellstoffe“ und/oder
„Aktivieren die Darmbewegung“ und/oder
„Schützen die Schleimhaut“,
2.4. „Diätetischer Effekt bei Darmträgheit mit Verstopfung
… Die Darmwand wird so gedehnt und der Darminhalt wird weicher. Die natürliche Darmbewegung wird hierdurch diätetisch positiv unterstützt“,
2.5. „Diätetischer Effekt bei Darmträgheit mit Schleimhautreizung oder Divertikeln
Das Gel der vorgequollenen … Leinsamen legt sich wie ein Film auf die durch Verstopfung gereizte Schleimhaut des Darms. Die starke Gelschicht um die Samen pflegt ebenso die Schleimhaut bei Divertikeln“,
3. das Produkt „Magenschutz Leinsamen“ als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zum Diätmanagement bei Schleimhaut-Schädigung des oberen Verdauungstraktes wie Reizmagen, Sodbrennen oder Gastritis in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben und/oder vertreiben zu lassen,
4. für das Produkt „Magenschutz Leinsamen“ wie folgt zu werben:
4.1. „… bei Schleimhaut-Schädigung des oberen Verdauungstraktes wie
Reizmagen“
und/oder
„Sodbrennen“
und/oder
„Gastritis“,
4.2. „… schlückchenweise getrunken legen sich diese als schützender Film auf die Schleimhaut zum begleitenden Diätmanagement bei Schleimhautschädigung des oberen Verdauungstraktes:
für Magen und Speiseröhre“
und/oder
„bei Sodbrennen oder Oberbauchschmerzen“,
4.3. „… wichtig für das Diätmanagement bei Darmträgheit mit den typischen Symptomen“,
4.4. „Der natürliche Schutzfilm
Gegen Magensäure“ und/oder
„Bei Sodbrennen“ und/oder
„Bei Reizungen & Gastritis“,
4.5. „Natürliche Hilfe für Magen und Darm“,
4.6. „Eine pflanzliche Alternative zu „Säureblockern““,
4.7. „wirksamer Schutzfilm für Magen und Speiseröhre“,
4.8. „Wissenschaftlich geprüfte Wirkung …
Lindert nachweislich die Symptome von Sodbrennen und Reizmagen“,
4.9. „… schützt die Schleimhaut des Magens als natürliche Basistherapie bei allen Magenbeschwerden.
Bei Sodbrennen“ und/oder
„Bei Reizmagen“ und/oder
„Bei Gastritis“,
jeweils sofern dies geschieht wie in Anlage K 4 wiedergegeben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist in Ziffer I. vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 80.000,00 EUR. In Ziffer II. ist das Urteil vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend.
2
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, gewerbliche oder selbständige berufliche Interessen zu verfolgen und zu fördern sowie zu Fragen des lauteren Wettbewerbes zu beraten und zu informieren. Der Kläger ist seit dem 15.11.2021 in die beim Bundesamt für Justiz geführte Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen.
3
Die Beklagte ist ein … ansässiges mittelständisches Unternehmen, das seit 1982 pflanzliche Produkte für das körperliche Wohlbefinden entwickelt und produziert. Zum Produktportfolio der Beklagten zählen neben Naturkosmetik und Nahrungsergänzungsmitteln auch die Leinsamen-Produkte „… Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“. Die Beklagte bringt die beiden Leinsamen-Produkte als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke in den Verkehr. Das Produkt „… Leinsamen“ wird als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zum Diätmanagement bei Darmträgheit mit den damit verbundenen Symptomen wie Verstopfung, Divertikeln und Schleimhautreizung vertrieben. Das Produkt „… Magenschutz Leinsamen“ soll ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zum Diätmanagement bei Schleimhautschädigung des oberen Verdauungstraktes wie Reizmagen, Sodbrennen oder Gastritis sein. Die Beklagte bewirbt die Produkte im Internet mit den in Anlage K 4 wiedergegebenen Aussagen.
4
Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.03.2022 mahnte der Kläger die Beklagte ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf. Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.03.2022 verteidigte die Beklagte die Verkehrsfähigkeit der beiden Produkte. Hinsichtlich der in dem Abmahnschreiben vom 10.03.2022 beanstandeten Werbeaussagen lenkte die Beklagte teilweise ein und gab in Bezug auf vier Aussagen eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ab (Anl. K 6). Ziff. I der seitens der Beklagten abgegebenen Erklärung enthielt folgende Formulierung:
I. […] es selbst zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das als ergänzende bilanzierte Diät vertriebene Produkt „… Magenschutz Leinsamen“ wörtlich mit den Auslobungen
1.
„Natürliche Hilfe für Magen und Darm“,
2.
„Eine pflanzliche Alternative zu Säureblockern“,
3.
„Lindert nachweislich die Symptome von Sodbrennen und Reizmagen“
4.
„Schützt die Schleimhaut des Magens als natürliche Basistherapie bei allen Magenbeschwerden“
zu werben […]
5
Der Kläger trägt vor, die streitgegenständlichen Produkte seien nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkehrsfähig. Die Produkte dienten keinem Diätmanagement, da sie nicht zur Ernährung der Patienten bestimmt seien. Nach der Produktkonzeption liege der diätetische Zweck des Produktes „… Leinsamen“ in den dort enthaltenen Schleimpolysacchariden. Auch das Produkt „… Magenschutz Leinsamen“ verfüge hiernach über solche Schleimpolysaccharide. Die Produkte dienten dazu, schützend und behandelnd in krankhafte Prozesse einzugreifen und diese günstig zu beeinflussen. Ein besonderer Nährstoffbedarf an solchen Schleimpolysacchariden bestehe hingegen nicht.
6
Der Kläger ist der Auffassung, die Produkte würden den gesetzlichen Anforderungen für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) nicht gerecht und seien daher nicht als solche verkehrsfähig. Insbesondere genügten sie nicht den Anforderungen der Verordnung (EU) 609/2013. Es sei ein enger Ernährungsbegriff zugrunde zu legen, was sich nicht zuletzt aus der Entscheidung des EuGH vom 27.10.2022 in der Rechtssache C-418/21 eindeutig ergebe. Unter Zugrundelegung dieser Entscheidung seien die streitgegenständlichen Produkte bereits deshalb keine Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, da sie nicht der Ernährung dienten, sondern einem anderen Nutzen, nämlich dem der Vorbeugung oder Behandlung einer Krankheit. Die Beklagte verstoße zugleich gegen das allgemeine und besondere Irreführungsverbot, da der Eindruck erweckt werde, die Produkte genügten den gesetzlichen Anforderungen, was nicht der Fall sei. Zudem dürften die Produkte mit den streitgegenständlichen Aussagen nicht beworben werden, da die angegriffenen Aussagen weder in der Kennzeichnung und Bewerbung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke noch bei Bewerbung und Kennzeichnung von Lebensmitteln im Allgemeinen zulässig seien, da es sich um gesundheitsbezogene bzw. krankheitsbezogene Angaben handle.
7
Der Kläger beantragt zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr
1. das Produkt „… Leinsamen“ als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zum Diätmanagement bei Darmträgheit mit typischen Symptomen wie Verstopfung, Divertikel und Schleimhautreizung in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben,
2. für das Produkt „… Leinsamen“ wie folgt zu werben:
2.1. „Sie wirken … als begleitendes Diätmanagement bei Darmträgheit mit typischen Symptomen wie Verstopfung“
und/oder
„Schleimhautreizung“
und/oder
„Divertikel“,
2.2. „Der Gold-Standard für den Darm“,
2.3. „Effektiv durch natürliche Quellstoffe“ und/oder
„Aktivieren die Darmbewegung“ und/oder
„Schützen die Schleimhaut“,
2.4. „Diätetischer Effekt bei Darmträgheit mit Verstopfung
… Die Darmwand wird so gedehnt und der Darminhalt wird weicher. Die natürliche Darmbewegung wird hierdurch diätetisch positiv unterstützt“,
2.5. „Diätetischer Effekt bei Darmträgheit mit Schleimhautreizung oder Divertikeln
Das Gel der vorgequollenen … Leinsamen legt sich wie ein Film auf die durch Verstopfung gereizte Schleimhaut des Darms. Die starke Gelschicht um die Samen pflegt ebenso die Schleimhaut bei Divertikeln“,
3. das Produkt „Magenschutz Leinsamen“ als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zum Diätmanagement bei Schleimhaut-Schädigung des oberen Verdauungstraktes wie Reizmagen, Sodbrennen oder Gastritis in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben und/oder vertreiben zu lassen,
4. für das Produkt „Magenschutz Leinsamen“ wie folgt zu werben:
4.1. „… bei Schleimhaut-Schädigung des oberen Verdauungstraktes wie
Reizmagen“
und/oder
„Sodbrennen“
und/oder
„Gastritis“,
4.2. „… schlückchenweise getrunken legen sich diese als schützender Film auf die Schleimhaut zum begleitenden Diätmanagement bei Schleimhautschädigung des oberen Verdauungstraktes:
für Magen und Speiseröhre“
und/oder
„bei Sodbrennen oder Oberbauchschmerzen“,
4.3. „… wichtig für das Diätmanagement bei Darmträgheit mit den typischen Symptomen“,
4.4. „Der natürliche Schutzfilm
Gegen Magensäure“ und/oder
„Bei Sodbrennen“ und/oder
„Bei Reizungen & Gastritis“,
4.5. „Natürliche Hilfe für Magen und Darm“,
4.6. „Eine pflanzliche Alternative zu „Säureblockern“,
4.7. „wirksamer Schutzfilm für Magen und Speiseröhre“,
4.8. „Wissenschaftlich geprüfte Wirkung …
Lindert nachweislich die Symptome von Sodbrennen und Reizmagen“,
4.9. „… schützt die Schleimhaut des Magens als natürliche Basistherapie bei allen Magenbeschwerden.
Bei Sodbrennen“ und/oder
„Bei Reizmagen“ und/oder
„Bei Gastritis“,
jeweils sofern dies geschieht wie in Anlage K 4 wiedergegeben.
8
Die Beklagte beantragt,
1. die Klage abzuweisen.
2. das gegenständliche Verfahren wegen Vorgreiflichkeit gemäß § 148 Abs. 1 ZPO bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-760/21 über das vom Verwaltungsgericht Wien am 26. November 2021 (Az.: VGW-101/042/13636/2021-22; VGW-101/042/13639/2021; VGW-101/042/13643/2021; VGW-101/042/13644/2021) beantragte Vorabentscheidungsverfahren sowie bis zu rechtskräftigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in den dort unter den Aktenzeichen I ZR 68/21 und I ZR 34/21 anhängigen Revisionsverfahren gegen Urteile des Oberlandesgerichts München vom 22. April 2021 (Az.: 6 U 5746/20) sowie des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 26. Februar 2021 (Az.: 4 U 125/20) auszusetzen.
9
Die Beklagte behauptet, die gegenständlichen Leinsamen-Produkte „… Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“ enthielten jeweils eine speziell gezüchtete Leinsamensorte, die sich im Gegensatz zu herkömmlichen Leinsamen durch einen hohen und charakteristischen Schleimstoffgehalt und durch eine hohe Schleimstofffreisetzungsrate auszeichneten. Die diätische Zweckbestimmung des Produktes „… Leinsamen“ werde damit begründet, dass bei Patienten mit Darmträgheit und den damit verbundenen Symptomen ein besonderer Nährstoffbedarf existiere, der über den Verzehr herkömmlicher Lebensmittel grundsätzlich nicht gedeckt werden könne. Die zugrunde liegende Erkrankung der Darmträgheit sei gekennzeichnet durch eine langsame Verdauung, eine gestörte Darmperistaltik, eine erhöhte Wasserresorption und der daraus resultierenden Bildung eines harten Stuhls und werde regelmäßig von Ärzten diagnostiziert. Anhand wissenschaftlicher Daten könne nachgewiesen werden, dass ein Diätmanagement mit der zweckdienlichen Substanz – konkret mit den gegenständlichen Schleimpolysacchariden – die Darmträgheit günstig beeinflusse. Die Zweckdienlichkeit dieses Leinsamens ergebe sich aus der traditionellen Anwendung, kombiniert mit dem vorhandenen Lehrbuchwissen und Expertenmeinungen zur charakteristischen Eigenschaft der speziellen Schleimpolysaccharide.
10
Hinsichtlich des Produktes „… Magenschutz Leinsamen“ werde die diätische Zweckbestimmung damit begründet, dass bei Patienten mit Schleimhautschädigung des oberen Verdauungstrakts ein besonderer Nährstoffbedarf bestehe, der über den Verzehr der üblichen Lebensmittel grundsätzlich nicht gedeckt werden könne. Die Erkrankung sei gekennzeichnet durch eine gestörte Barrierefunktion der Schleimhaut mit den typischen Symptomen wie Sodbrennen und Oberbauchschmerzen, die regelmäßig vom Arzt diagnostiziert werde. Anhand wissenschaftlicher Daten sei gezeigt worden, dass ein Diätmanagement mit der zweckdienlichen Substanz – konkret mit den gegenständlichen Schleimpolysacchariden – die Schleimhautfunktion günstig beeinflusse. Die Zweckdienlichkeit dieses Leinsamens ergebe sich auch insoweit aus der traditionellen Anwendung, kombiniert mit dem vorhandenen Lehrbuchwissen und Expertenmeinungen zur charakteristischen Eigenschaft der speziellen Schleimpolysaccharide.
11
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klage sei in Ermangelung eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit sie sich auf die vier Auslobungen erstrecke, die bereits Gegenstand der seitens der Beklagten abgegebenen Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung gewesen seien. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, da die gegenständlichen Produkte als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkehrsfähig seien und ordnungsgemäß gekennzeichnet und ausgelobt würden.
12
Die streitgegenständlichen Produkte genügten insbesondere den Anforderungen der Verordnung (EU) 609/2013, da es sich um unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende Lebensmittel zum Diätmanagement von Patienten handle, die über einen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf verfügten, der über eine herkömmliche Ernährung nicht hinreichend aufgenommen werden könne. Dabei sei ein weiter Ernährungsbegriff zugrunde zu legen. Die Produkte seien auch in bestimmter Weise verarbeitet oder formuliert, da es sich um eine spezielle Züchtung handle, die sich durch einen besonders hohen Anteil an Schleimpolysacchariden auszeichne. Bei Schleimpolysacchariden handle es sich um Nährstoffe, die im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 609/2013 in bioverfügbarer Form vorlägen und somit vom menschlichen Körper aufgenommen und verwertet werden könnten. Beide streitgegenständlichen Produkte würden angewendet, um einem krankheitsbedingt veränderten Nährstoffbedarf der Patienten gerecht zu werden. Es gehe vorliegend gerade nicht um die Behandlung von Patienten, sondern vielmehr um eine durch den Verzehr der Produkte erfolgende Kompensation eines veränderten Nährstoffbedarfs, so dass die Produkte unter Zugrundelegung eines weiten Ernährungsbegriffs unter die in Art. 2 Abs. 2 lit. g) Verordnung (EU) Nr. 609/2013 enthaltene Definition fielen.
13
Die beanstandeten Auslobungen der Produkte entsprächen in weiten Teilen der nach Art. 5 VO (EU) 2016/128 erforderlichen Pflichtkennzeichnung und stellten sich schon deshalb weder als unzulässige gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 noch als irreführende Angaben gem. Art. 7 VO (EU) Nr. 1169/2011 dar.
14
Die Beklagte ist ferner der Auffassung, das Verfahren sei gemäß § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit auszusetzen. Die noch ausstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-760/21 werde eine Antwort auf die Frage geben, wie der Begriff „Diätmanagement“ und die Formulierung „für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht“ im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 Buchst. g) Verordnung (EU) Nr. 609/2013 zu verstehen, und ob insoweit von einem engen oder von einem weiten Ernährungsbegriff auszugehen sei. Dem stehe auch nicht die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-418/21 entgegen, da der EuGH in seiner Entscheidung lediglich ausgeführt habe, dass es für das Vorliegen eines Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. g) Verordnung (EU) Nr. 609/2013 nicht ausreiche, einen „allgemeinen Nutzen“ daraus zu ziehen, ohne dies näher zu erläutern. Außerdem werde es auch noch entscheidend darauf ankommen, ob und wie der Bundesgerichtshof in den bei ihm unter den Aktenzeichen I ZR 68/21 und I ZR 34/21 anhängigen Revisionsverfahren gegen Urteile des OLG München vom 22.04.2021 (Az. 6 U 5746/20) und des OLG Karlsruhe vom 26.02.2021 (Az. 4 U 125/20) die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs bewerten und umsetzen werde.
15
Der Kläger ist diesbezüglich der Auffassung, eine Aussetzung des Verfahrens komme nicht in Betracht, da keine Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts bestünden und die Rechtslage aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-418/21 klar sei. Die streitgegenständlichen Produkte der Beklagten seien hiernach schon deshalb keine Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, da sie nicht der Ernährung dienten, sondern einem anderen Nutzen, namentlich der Vorbeugung oder Behandlung einer Krankheit.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Die Klage ist zulässig und begründet.
18
A. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist mit Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung vom 21.03.2022 in Bezug auf die vier Auslobungen
-
„Natürliche Hilfe für Magen und Darm“,
-
„Eine pflanzliche Alternative zu Säureblockern“,
-
„Lindert nachweislich die Symptome von Sodbrennen und Reizmagen“
-
„Schützt die Schleimhaut des Magens als natürliche Basistherapie bei allen Magenbeschwerden“
nicht das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.
19
Die Abgabe einer (strafbewehrten) Unterlassungserklärung lässt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nicht das Rechtsschutzbedürfnis, sondern die materiellrechtliche Wiederholungsgefahr entfallen, was jedoch Gegenstand der Prüfung der Begründetheit der Klage ist (vgl. Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 8, Rn. 1.11 m.w.N.).
20
B. Die Klage ist begründet.
21
I. Dem Kläger steht der mit Klageantrag Ziffer 1. und 3. gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung des Inverkehrbringens und/oder Vertreibens der Produkte „… Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“ gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3, 3a UWG bzw. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG, jeweils i.V.m. Art. 1 Abs. 1 lit. c), 2 Abs. 2 lit. g), 4 Abs. 1, 9 Abs. 1 VO (EU) 609/2013 zu.
22
1. Der Kläger ist als qualifizierter Wirtschaftsverband im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG, §§ 8 Abs. 3 Nr. 2, 8b Abs. 1, 2 UWG aktivlegitimiert.
23
2. Die Produkte „… Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“ erfüllen nicht die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 lit. c), 2 Abs. 2 lit. g), 4 Abs. 1, 9 Abs. 1 VO (EU) 609/2013 und sind daher nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) im Sinne der Verordnung (EU) 609/2013 verkehrsfähig.
24
a) Nach der Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 VO (EU), 609/2013 dürfen Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie dieser Verordnung genügen.
25
Die Verordnung (EU) 609/2013, die die frühere Diätrahmenrichtlinie 2009/39/EG ersetzt und seit 20.07.2016 gilt, versteht gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. g) Verordnung (EU) 609/2013 unter „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende Lebensmittel zum Diätmanagement von Patienten, einschließlich Säuglingen, die in spezieller Weise verarbeitet oder formuliert werden; sie sind zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte oder von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bestimmt, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht.
26
b) Die auf Art. 11 Verordnung (EU) 609/2013 beruhende Delegierte Verordnung (EU) 2016/128 (in Kraft getreten am 22.02.2019) regelt zur Ergänzung der Verordnung (EU) 609/2013 die besonderen Zusammensetzungs- und Informationsanforderungen für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. im Erwägungsgrund 3 ist zu Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke ausgeführt, dass solche Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke für die Ernährung von Patienten entwickelt werden, die an diagnostizierten spezifischen Krankheiten, Störungen oder Beschwerden, die es ihnen sehr schwer oder unmöglich machen, ihren Ernährungsbedarf durch den Verzehr anderer Lebensmittel zu decken, oder an einer dadurch hervorgerufenen Mangelernährung leiden.
27
c) Die zu der alten Rechtslage (vgl. insbesondere Art. 1 Abs. 2 lit. b) RL 1999/21/EG und Umsetzung in der DiätV) insbesondere auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vertretene Ansicht (vgl. etwa BGH GRUR 2009, 413 – Erfokol-Kapseln, BGH GRUR 2009, 75 – Priorin, BGH GRUR 2018, 1118 – MobilPlus-Kapseln), dass hinsichtlich des Begriffs der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eine weite Auslegung des Ernährungsbegriffs heranzuziehen sei, so dass ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke bereits dann vorläge, wenn auf andere Weise durch die Nährstoffzufuhr Erkrankungen entgegengewirkt werden soll, ist in Anbetracht der nunmehr geltenden Regelung des Art. 2 Abs. 2 lit. g) Verordnung (EU) 609/2013 und unter Zugrundelegung der Delegierten Verordnung (EU) 2016/128 nicht mehr heranzuziehen.
28
Insoweit ergibt sich bereits aus den Erwägungsgründen 9 und 10 der Verordnung (EU) 609/2013, dass gerade die unterschiedliche und teils sehr weite Auslegung der bisherigen Definition von „Lebensmitteln, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind“ (vgl. Art. 1 Abs. 2b Richtlinie 1999/21/EG) in den Mitgliedstaaten Anlass für die Neuregelung war. In seiner aktuellen Entscheidung vom 27.10.2022 (Rs C-418/21 – GRUR 2022, 1765 – Orthomol) positioniert sich der EuGH ebenfalls eindeutig zugunsten eines engen Ernährungsbegriffs, indem er ausführt, dass Art. 2 Abs. 2 lit. g) Verordnung (EU) Nr. 609/2013 und insbesondere der Begriff „sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf“ dahingehend auszulegen sei, „dass ein Erzeugnis ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke darstellt, wenn krankheitsbedingt ein erhöhter oder spezifischer Nährstoffbedarf besteht, der durch das Lebensmittel gedeckt werden soll, so dass es für eine solche Einstufung nicht ausreicht, dass der Patient allgemein aus der Aufnahme dieses Lebensmittels deswegen Nutzen zieht, weil darin enthaltene Stoffe der Störung entgegenwirken oder deren Symptome lindern“ (EuGH GRUR 2022, 1765, Rn. 59 – Orthomol). Für die Heranziehung eines weiten Ernährungsbegriffs, wie von der Beklagten vertreten, bleibt daher kein Raum mehr.
29
d) Unter Zugrundelegung eines engen Ernährungsbegriffs im Rahmen der Definition in Art. 2 Abs. 2 lit. g) Verordnung (EU) 619/2013 sowie der Ausführungen des EuGH in der oben genannten Entscheidung sind die streitgegenständlichen Produkte „… Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“ nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkehrsfähig.
aa. Das Produkt „… Leinsamen“
30
Ausweislich der Angaben der Beklagten soll das streitgegenständliche Produkt „… Leinsamen“ der diätetischen Behandlung von Personen mit Darmträgheit mit den damit verbundenen Symptomen wie Verstopfung, Divertikeln und Schleimhautreizung dienen. Nach der Produktkonzeption liege der diätetische Zweck des Produktes „… Leinsamen“ in den dort enthaltenen Schleimpolysacchariden, die über die Eigenschaft verfügen sollen, Wasser zu binden, das Stuhlvolumen zu erhöhen, den Stuhl gleitfähiger zu machen und somit die Darmträgheit günstig zu beeinflussen. Das Produkt dient daher bereits unter Zugrundelegung des Beklagtenvortrags dazu, schützend und behandelnd in krankhafte Prozesse einzugreifen und diese günstig zu beeinflussen. Dass das Produkt eine schützende Funktion haben soll, ist auch der Produktauslobung zu entnehmen, wo es beispielsweise in Aussage Ziff. 2.3. heißt „Schützen die Schleimhaut“.
bb. Das Produkt „… Magenschutz Leinsamen“
31
Das Produkt „… Magenschutz Leinsamen“ soll der diätischen Behandlung von Schleimhautschädigung des oberen Verdauungstraktes wie Reizmagen, Sodbrennen oder Gastritis dienen. Auch dieses Produkt verfügt nach der Produktauslobung über solche Schleimpolysaccharide. Die diätische Zweckbestimmung soll darin bestehen, dass bei Patienten mit Schleimhautschädigung des oberen Verdauungstraktes Schleimpolysaccharide über magenschützende Eigenschaften verfügten, die mit deren spezieller Struktur assoziiert seien. Die Schleimpolysaccharide benetzten die Schleimhaut und könnten somit die bei Schleimhautschädigung geschwächte Mucosabarriere günstig beeinflussen. Dass dem Produkt wiederum ebenfalls überwiegend eine schützende und behandelnde Funktion zukommt, ergibt sich bereits aus dem Namen des Produktes „Magenschutz“. Eine schützende Wirkung wird seitens der Beklagten zudem auch in den Aussagen Ziff. 4.4, 4.7 und 4.9 ausgelobt. Das Produkt dient folglich dazu, schützend und behandelnd in krankhafte Prozesse einzugreifen und diese günstig zu beeinflussen.
32
cc. Dass krankheitsbedingt ein erhöhter oder spezifischer Nährstoffbedarf bestünde, der durch die streitgegenständlichen Produkte „… Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“ gedeckt werden sollte, ist indes nicht zur Überzeugung der Kammer dargelegt und erwiesen.
33
Bei den von der Beklagten ausgewiesenen Krankheitsbildern handelt es sich in ihrer Allgemeinheit bereits nicht um Krankheiten, die ursächlich einen sonstigen, medizinisch bedingten Nährstoffbedarf hervorrufen oder die zur Störung bei der Aufnahme oder Resorption der in gewöhnlicher Ernährung enthaltenen Nährstoffe führen. Die Beklagte spricht selbst davon, dass Patienten mit den krankheitsbedingten Symptomen durch den Verzehr der Produkte „profitierten“, wobei ein positiver Effekt erreicht werden könne, der durch herkömmliche Leinsamenprodukte nicht erlangt werden könne. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen der beklagtenseits konsultierten Sachverständigen Fr. Dr. Dörr. Aus ihren in Anlage B 1 und B 6 beigefügten Stellungnahmen ergibt sich zwar unter anderem, dass bei Darmträgheit mit seinen typischen Symptomen ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf an Schleimpolysacchariden wissenschaftlich begründet werden könne. Der speziell gezüchtete und verarbeitete Leinsamen sei geeignet, die Stuhlkonsistenz und die Darmperistaltik bzw. eine geschwächte Mucosabarriere günstig zu beeinflussen (vgl. Anl. B 1, dort S. 26, Anl. B 6, dort S. 22). Hierdurch und durch die in Anlage B 1 und B 6 enthaltenen weiteren Ausführungen wird jedoch nicht belegt, dass durch die Krankheit ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf entstanden wäre, der durch die in Rede stehenden Produkte gedeckt werden soll. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dieser Frage war nicht veranlasst, weil die insoweit beweisbelastete Beklagte (vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rn. 32 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; Weidert, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Auflage 2021, § 5, Rn. 559 ff.; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Auflage 2023, § 5, Rn. 2.220) ein solches schon nicht angeboten hat, und zudem nach dem im Bereich gesundheitsbezogener Werbung geltenden „Strengeprinzip“ eine Deklaration als bilanzierte Diät nur dann zulässig ist, wenn dies gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht. Dies erfordert aber, dass der in Anspruch genommene Stand der Wissenschaft bereits im Zeitpunkt des Inverkehrbringens dokumentiert sein muss; ein erst im Laufe des Prozesses erfolgtes Berufen auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens würde mithin nicht ausreichend sein (BGH GRUR 2021, 513 Rn. 34 – Sinupret).
34
Insoweit stellt der EuGH in der oben genannten Entscheidung nämlich klar, dass eine Ernährungsfunktion nicht in einem allgemeinen Nutzen des Lebensmittels und auch nicht in einer Nährstoffzufuhr, welche einer Krankheit, Störung oder Beschwerde entgegenwirken soll, liegen könne (EuGH GRUR 2022, 1765, Rn. 36 – Orthomol). Wenn nämlich ein Patient aus der Aufnahme eines Erzeugnisses insoweit allgemein einen Nutzen ziehe, als dessen Inhaltsstoffe dazu beitragen, einer Krankheit vorzubeugen, sie zu lindern oder sie zu heilen, dann ziele dieses Erzeugnis nicht darauf ab, diesen Patienten zu ernähren, sondern ihn zu heilen. Dann aber könne das Lebensmittel nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eingestuft werden (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765, Rn. 41 – Orthomol). Dabei sei auch hervorzuheben, dass sich Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sowohl von gewöhnlichen Lebensmitteln als auch von Arzneimitteln unterscheiden und dass für alle drei Kategorien unterschiedliche Definitionen und rechtliche Regelungen gälten. Würde für eine Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ausreichen, dass der Patient aus der Aufnahme eines Erzeugnisses Nutzen dahingehend zöge, dass enthaltene Stoffe einer Störung entgegenwirken oder deren Symptome linderten, würde die Unterscheidung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke mit Arzneimitteln in Frage gestellt (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765, Rn. 56 – Orthomol).
35
Da die beiden Produkte der Beklagten nicht der Ernährung im genannten Sinne dienen und keinen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf decken, sondern der Vorbeugung oder Linderung einer Krankheit und insoweit den seitens der Beklagten deklarierten positiven Effekt hinsichtlich der in Rede stehenden Beschwerden haben sollen, sie mithin also nicht auf den Ausgleich eines krankheitsbedingten Ernährungsbedarfs im Sinne eines Diätmanagements i.S.d. Art. 2 Abs. 2 lit. g) Verordnung (EU) 619/2013 gerichtet sind, sind die Produkte „… Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“ nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkehrsfähig.
36
dd. Auf die weiteren Voraussetzungen, insbesondere auf die Frage, ob hinsichtlich der ausgelobten besonderen Eigenschaften und Zusammensetzung der Produkte „… Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“ ausreichend allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 VO (EU) 609/2013 vorliegen, kommt es daher nicht an. Insbesondere kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die wissenschaftlichen Daten und die beklagtenseits angeführten Beobachtungsfälle hinreichend aussagekräftig sind oder es einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung bedurft hätte (vgl. BGH, GRUR 2009, 75 Rn. 26 – Priorin).
37
3. Bei Art. 4 Abs. 1 Verordnung (EU) 609/2013 handelt es sich sowohl um ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne von § 2 Abs. 1 UKlaG als auch um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3 a UWG, da die Vorschriften der VO (EU) 609/2013 ausweislich der Erwägungsgründe 1 und 2 dem Schutz von Verbrauchern dienen (vgl. OLG München GRUR-RR 2019, 450 (451) – Lippenherpes).
38
4. Es bedurfte weder einer Vorlage an den EuGH noch der beklagtenseits beantragten Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit. Der EuGH hat sich in seiner Orthomol-Entscheidung zugunsten eines engen Ernährungsbegriffs ausgesprochen. Aus dem weiteren beim EuGH anhängigen Verfahren in der Rechtssache C-760/21 sind keine weitergehenden und für das hiesige Verfahren notwendigen Erkenntnisse zu erwarten. Soweit die Beklagte meint, dass der EuGH in seiner Entscheidung in der Rs C-418/21 lediglich ausführe, dass es für das Vorliegen eines Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. g) Verordnung (EU) Nr. 609/2013 nicht ausreiche, einen „allgemeinen Nutzen“ zu ziehen, die Beklagte hingegen behaupte, dass aus ihren Produkten ein „besonderer Nutzen“ gezogen werden könne, und daher aus dem weiteren beim EuGH anhängigen Verfahren weitere relevante Erkenntnisse zu erwarten seien, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Der EuGH unterscheidet in seiner Entscheidung nämlich begrifflich nicht zwischen einem „allgemeinen“ und einem „besonderen“ Nutzen. Das OLG Düsseldorf hat in seiner Vorlage begrifflich bereits auf einen besonderen Nutzen abgestellt. In seiner hierauf erfolgten Entscheidung hat der EuGH gerade nicht hinsichtlich der Begrifflichkeit des besonderen oder allgemeinen Nutzens differenziert, sondern den in der Vorlagefrage enthaltenen Sachverhalt und damit auch die Tatsache eines besonderen Nutzens in seine Entscheidung einbezogen und auf einen solchen abgestellt. Daher sind diesbezüglich und auch ansonsten keine weiteren, für das hiesige Verfahren relevante Erkenntnisse zu erwarten. Die Erwägungen des EuGH zum engen Ernährungsbegriff sind von der Kammer schließlich auch unmittelbar auf das hiesige Verfahren anzuwenden, so dass es auch keiner Aussetzung im Hinblick auf die beim BGH anhängigen Revisionsverfahren in anderer Sache bedarf.
39
5. Durch die erfolgten Verletzungshandlungen wird die für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr indiziert. Hinsichtlich des im Unterlassungsantrag enthaltenen „Inverkehrbringens und/oder Vertreibens“ der beiden Produkte als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) hat die Beklagte keine Unterlassungserklärung abgegeben.
40
II. Dem Kläger steht wegen des Inverkehrbringens der streitgegenständlichen Produkte als bilanzierte Diät ein Anspruch auf Unterlassung auch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 1, 3 Anhang Nr. 9, 3a UWG bzw. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG, jeweils i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, Art. 7 Abs. 1 lit a, b VO (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) gegen die Beklagte zu.
41
1. Zur Aktivlegitimation des Klägers wird auf die Ausführungen unter B.I.1 verwiesen.
42
2. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ist es verboten, Lebensmittel mit Informationen über Lebensmittel, die den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 LMIV nicht entsprechen, in den Verkehr zu bringen. Gemäß Art. 7 Abs. 1 LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere (a) in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung oder (b) indem dem Lebensmittel Wirkungen oder Eigenschaften zugeschrieben werden, die es nicht besitzt. Bei der Bezeichnung der Produkte als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke handelt es sich um eine irreführende, d.h. zur Täuschung geeignete Information im Sinne des Art. 7 Abs. 1 LMIV. Eine Information ist dann zur Täuschung geeignet, wenn sie den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entspricht und daher geeignet ist, bei den angesprochenen Verkehrskreisen zumindest auch unrichtige Vorstellungen über das Produkt zu erwecken (vgl. Grube, in: Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016, Art. 7, Rn. 46). Das Inverkehrbringen der beiden Produkte „… D Leinsamen“ und „… Magenschutz Leinsamen“ als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ist, da die Produkte nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkehrsfähig sind (siehe oben 1.2), in seiner angegriffenen Aufmachung zur Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise geeignet und damit nicht zulässig. Ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot aus § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. a) und b) LMIV liegt damit vor.
43
3. Gemäß § 3 Abs. 1, 3 Anhang Nr. 9 UWG sind unwahre Angaben über die Verkehrsfähigkeit einer Ware stets unzulässig und damit unlauter i.S.d. § 3 a UWG.
44
4. Bei Art. 7 LMIV handelt es sich zudem um eine verbraucherschützende Norm im Sinne von § 2 Abs. 1 UKlaG bzw. eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3 a UWG. Die Vorschrift soll dem Verbraucher die Wahl zwischen gleichartigen Erzeugnissen ermöglichen.
45
5. Zum Fortbestand der Wiederholungsgefahr wird auf die Ausführungen unter B.I.5 Bezug genommen.
46
III. Dem Kläger steht ferner der mit Klageantrag Ziffer 2. und 4. gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der Werbeaussagen gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 3, Anhang Nr. 9, 3a UWG bzw. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG, jeweils i.V.m. Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013, § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1, Abs. 3, 4 VO (EU) Nr. 1169/2011, Art. 10 Abs. 1 VO (EG) 1924/2006 zu.
47
1. Zur Aktivlegitimation des Klägers wird auf die Ausführungen unter B.I.1 verwiesen.
48
2. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich bereits aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 3, Anhang Nr. 9 UWG. Da die streitgegenständlichen Produkte nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkehrsfähig sind, ist jegliche Art von Werbung, die den Eindruck einer bestehenden Verkehrsfähigkeit erweckt, unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Werbeaussagen unlauter. Unerheblich ist dabei, ob die Beklagte irrtümlich glaubt, die Produkte seien verkehrsfähig (Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Auflage 2023, Anh. § 3, Rn. 9.3).
49
3. Soweit es sich um krankheitsbezogene Werbeaussagen handelt, hat der Kläger gegen die Beklagte darüber hinaus einen Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 8 Abs. 1, 3, 3a UWG bzw. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG, jeweils i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1, Abs. 3, 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV).
50
a) Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB ist es verboten, Lebensmittel mit Informationen über Lebensmittel, die den Anforderungen des Artikels 7 Absatz 3, auch in Verbindung mit Absatz 4, der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 nicht entsprechen, in den Verkehr zu bringen oder allgemein oder im Einzelfall dafür zu werben. Nach Art. 7 Abs. 3 sind Informationen über ein Lebensmittel, die diesem Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben, verboten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Aussage objektiv richtig ist, weil Lebensmittel der Ernährung und nicht der Vorbeugung, Linderung oder Heilung von Krankheiten dienen.
51
Bei den Aussagen
- Ziff. 2.1. „Sie wirken … als begleitendes Diätmanagement bei Darmträgheit mit typischen Symptomen wie Verstopfung“ und/oder „Schleimhautreizung“ und/oder Divertikel“,
- Ziff. 2.4. „Diätetischer Effekt bei Darmträgheit mit Verstopfung … Die Darmwand wird so gedehnt und der Darminhalt wird weicher. Die natürliche Darmbewegung wird hierdurch diätetisch positiv unterstützt“,
Ziff. 2.5. „Diätetischer Effekt bei Darmträgheit mit Schleimhautreizung oder Divertikeln
Das Gel der vorgequollenen … Leinsamen legt sich wie ein Film auf die durch Verstopfung gereizte Schleimhaut des Darms. Die starke Gelschicht um die Samen pflegt ebenso die Schleimhaut bei Divertikeln“,
- Ziff. 4.1. „… bei Schleimhaut-Schädigung des oberen Verdauungstraktes wie „Reizmagen“ und/oder „Sodbrennen“ und/oder „Gastritis“,
- Ziff. 4.2. „… schlückchenweise getrunken legen sich diese als schützender Film auf die Schleimhaut zum begleitenden Diätmanagement bei Schleimhautschädigung des oberen Verdauungstraktes:
„für Magen und Speiseröhre“ und/oder „bei Sodbrennen oder Oberbauchschmerzen“,
- Ziff. 4.3. „… wichtig für das Diätmanagement bei Darmträgheit mit den typischen Symptomen“,
- Ziff. 4.4. „Der natürliche Schutzfilm „Gegen Magensäure“ und/oder „Bei Sodbrennen“ und/oder „Bei Reizungen & Gastritis“,
- Ziff. 4.8. „Wissenschaftlich geprüfte Wirkung … Lindert nachweislich die Symptome von Sodbrennen und Reizmagen“,
- Ziff. 4.9. „… schützt die Schleimhaut des Magens als natürliche Basistherapie bei allen Magenbeschwerden. Bei Sodbrennen“ und/oder „Bei Reizmagen“ und/oder „Bei Gastritis“,
wirbt die Beklagte mit der Eignung ihrer Produkte zur Behandlung von Krankheiten.
52
Dabei handelt es sich um krankheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 7 Abs. 3 LMIV. Letztlich verstößt die Beklagte mit ihren Werbeaussagen auch gegen das Verbot der irreführenden Werbung gemäß Art. 7 Abs. 1, 4 LMIV, da die Produkte nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkehrsfähig sind. Die angegriffenen Werbeaussagen sind daher als krankheitsbezogene Angaben wegen Verstoßes gegen das Irreführungsverbot unzulässig i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1, Abs. 3, 4 LMIV.
53
b) Bei Art. 7 LMIV handelt es sich um eine Verbraucherschutznorm im Sinne von § 2 Abs. 1 UKlaG bzw. um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3 a UWG (s.o.).
54
4. Soweit es sich um gesundheitsbezogene Werbeaussagen handelt, hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung aus §§ 8 Abs. 1, 3, 3a UWG bzw. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG, jeweils i.V.m. Art. 10 Abs. 1 VO (EG) 1924/2006 (Health-Claim-Verordnung (HCVO)).
55
a) Nach Art. 10 Abs. 1 HCVO sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht nach Art. 13, 14 HCVO zugelassen und in der Liste der zugelassenen Angaben aufgenommen sind. Nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO ist eine „gesundheitsbezogene Angabe“ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Dabei ist der Begriff „Zusammenhang“ weit auszulegen. Der Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe erfasst jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustandes dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert (BGH GRUR 2016, 1200 – Repair Kapseln).
56
Dies zugrunde gelegt, stellen die angegriffenen Werbeaussagen
-
Ziff. 2.2. „Der Gold-Standard für den Darm“,
-
Ziff. 2.3. „Effektiv durch natürliche Quellstoffe“ und/oder „Aktivieren die Darmbewegung“ und/oder „Schützen die Schleimhaut“,
-
Ziff. 4.5. „Natürliche Hilfe für Magen und Darm“,
-
Ziff. 4.6. „Eine pflanzliche Alternative zu „Säureblockern“,
-
Ziff. 4.7. „wirksamer Schutzfilm für Magen und Speiseröhre“
gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO dar.
57
Denn mit diesen Werbeaussagen wird dem angesprochenen Verkehr, zu dem auch die Mitglieder der Kammer als normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher und zumindest potenzielle Käufer von „Leinsamenprodukten“ gehören, suggeriert, dass der Verzehr der Leinsamen zur Verbesserung der Gesundheit beiträgt. Hierdurch wird der Eindruck erweckt, dass gesundheitliche Leiden gelindert werden und die Gesundheit positiv beeinflusst wird.
58
Die getroffenen Werbeaussagen sind weder wort- noch inhaltsgleich in die Gemeinschaftsliste der zugelassenen Angaben gem. Art. 13 und 14 HCVO aufgenommen. Damit stellen die Werbeaussagen gem. Art. 10 Abs. 1 HCVO verbotene gesundheitsbezogene Angaben dar.
59
b) Bei Art. 10 HCVO handelt es sich um eine Verbraucherschutznorm im Sinne von § 2 Abs. 1 UKlaG und zugleich auch um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, so dass der Verstoß hiergegen unlauter und gemäß § 3 UWG zu unterlassen ist.
60
5. Ob die beanstandeten Werbeaussagen der Beklagten darüber hinaus auch gegen Art. 7 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/128 und Art. 9 Abs. 5 Verordnung (EU) 609/2013 verstoßen, kann nach alledem dahinstehen.
61
6. Hinsichtlich der beanstandeten Werbeaussagen liegt die erforderliche Wiederholungsgefahr vor. Soweit die Beklagte in Bezug auf die vier Auslobungen gemäß Klageantrag Ziffer 4.5, 4.6, 4.8 und 4.9 eine Unterlassungserklärung abgegeben hat, ist die Wiederholungsgefahr hierdurch nicht entfallen. Die Beklagte hat den klägerischen Vortrag, wonach die Beklagte durch die Einschränkung „wörtlich“ eine Beschränkung auf die konkrete Verletzungshandlung unter Ausschluss kerngleicher Verletzungshandlungen vorgenommen habe, nicht in Abrede gestellt. Auch ist eine Klarstellung in Bezug auf die Formulierung „es selbst […]“ seitens der Beklagten nicht erfolgt, so dass nicht klar ist, was die Beklagte hierdurch zum Ausdruck bringen wollte. Die Kammer geht daher mit dem Kläger davon aus, dass aufgrund der unklaren Formulierung auch in Bezug auf die vier Auslobungen keine, den Anforderungen an eine die Wiederholungsgefahr ausräumende Unterlassungserklärung genügende ernsthafte Erklärung vorliegt (vgl. hierzu etwa Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Auflage 2023, § 8, Rn. 1.43 ff.).
62
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO.