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LG München I, Endurteil v. 07.02.2023 – 1 HK O 4969/22
Titel:

Irreführende Angaben des Kraftstoffverbrauchs und Emissionen in Werbung für Pkw

Normenkette:
UWG § 5 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Werden in einer Werbung für einen PKW Kraftstoffverbrauch und Emissionen neben dem Begriff "WLTP" angegeben, geht der Verkehr davon aus, dass die Angabe sich auf eine Berechnung nach der vorgenannten Prozedur bezieht, auch wenn tatsächlich hinter dem Begriff "WLTP" ein Link auf die nach WLTP berechneten Werte hinterlegt ist. (Rn. 20 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Irreführung
Fundstellen:
ESG 2023, 175
GRUR-RS 2023, 1183
LSK 2023, 1183

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für je-den Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollstrecken an dem Vorstand der Beklagten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs neue Personenkraftwagen zu bewerben und dabei die Angaben zum Kraftstoffverbrauch und den CO2-Emissionen mit den Buchstaben „WLTP“ zu versehen, wenn die angegebenen Werte des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen keine Werte sind, die nach dem Worldwide Harmonised Light-Duty Vehicles Test Procedure (Abkürzung: WLTP) ermittelt worden sind, wie geschehen in der als Anlage K 1 beigefügten Werbung, die auszugsweise hier wiedergegeben wird:
 
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger hält Werbung der Beklagten für irreführend und begehrt Unterlassung.
2
Der Kläger ist satzungsgemäß der aufklärenden Verbraucherberatung zur Förderung des Umweltschutzes verpflichtet und in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 8 Abs. 3 Nr.3 UWG, § 4 UKlaG eingetragen.
3
Die Beklagte ist ein international tätiger Automobilhersteller mit Sitz in München.
4
Die Beklagte beschrieb und bewarb ihr Produkt 3-Türer mit 8-Gang-Automatikgetriebe auf einer ihrer Webpages u.a. wie im Klageantrag und Anlage K1 dargestellt.
5
Bei den in der Darstellung ausgewiesenen Verbrauchs- und Emissionswerten (5,9l/100km (Kombiwert) und 135 g/km CO₂“ (Kombiwert)) handelt es sich unstreitig um Werte, die nach dem sog. NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) und nicht nach dem sog. WLTP (world-wide harmonised light-duty verhicles test procedure) berechnet sind. Zu den Werten nach dem WLTP gelangt man allerdings, wenn man auf die Buchstabenfolge WLTP clickt. Es existiert insoweit eine entsprechende Verlinkung zu einer weiteren (Unter-)Seite. Der NEFZ und der WLTP sind unterschiedliche Methoden der Verbrauchs- und Emissionswertermittlung. Die Werte liegen beim WLTP regelmäßig höher.
6
Mit E-Mail vom 12.04.2022 wie Anlage K2 mahnte der Kläger die Beklagte ab.
7
Die Beklagte änderte die Darstellung wie aus Anlage K4 ersichtlich. Mit Schreiben vom 14.04.2022 wie Anlage K3 lehnte sie die Abgabe einer Unterlassungserklärung allerdings ab.
8
Mit Schriftsatz vom 28.04.2022 hat der Kläger Klage erhoben und verfolgt sein Unterlassungsbegehren weiter. Er macht geltend, die streitgegenständliche Werbung sei irreführend im Sinne des § 5 UWG. Ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher würde aufgrund der Darstellungsweise davon ausgehen, dass die angegeben Verbrauchs- und Emissionswerte nach dem WLTP berechnet seien. Es handele sich auch einen relevanten Umstand.
9
Der Kläger beantragt,
wie tenoriert.
10
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
11
Die Beklagte hält die Darstellung nicht für irreführend. Indem sie NEFZ-Werte angebe, erfülle sie nur ihre gesetzliche Verpflichtung. Die Verkehrskreise würden auch nicht davon ausgehen, dass es sich um WLTP-Werte handele. WLTP sei optisch klar abgegrenzt.

Entscheidungsgründe

12
I. Der Klage war stattzugeben. Die zulässige Klage ist begründet.
13
Dem Kläger steht der geltend gemachte lauterkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 S.1 UWG zu.
14
Nach § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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1. Es liegt eine irreführende geschäftliche Handlung der Beklagten vor.
16
Irreführend ist eine Handlung nach § 5 Abs. 2 Nr.1 UWG u.a, wenn sie unwahr ist oder zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale eines Produkts enthält.
17
Wie eine Werbeaussage zu verstehen ist und damit die Frage ihrer Täuschungseignung, beurteilt sich nach dem Verständnis des durchschnittlich informierten, verständigen und der Situation, in der er mit der Aussage konfrontiert wird, entsprechend aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers. Die Beurteilung dieses Verständnisses obliegt dem Tatrichter (vgl. BGH GRUR 2003, 247).
18
Es ist in der Rechtsprechung dabei auch anerkannt, dass die Irreführungsgefahr sich nicht auf sämtliche und auch auf die überwiegende Zahl der Verbraucher erstrecken muss, sondern ausreichend ist, wenn ein nicht unerheblicher Teil der Verkehrskreise irregeführt werden kann. Auch darauf, ob tatsächlich Verbraucher irregeführt wurden oder ob eine Täuschungsabsicht bestand, kommt es nicht an.
19
Danach ist Täuschungseignung hier zu bejahen. Es besteht die Gefahr, dass ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verbraucher bei Betrachtung der Darstellung zu der Auffassung gelangt, dass die ausgewiesenen Werte zum Kraftstoffverbrauch und zur CO₂-Emission nach dem WLTP berechnet sind.
20
a) Der Annahme, dass es sich bei den ausgewiesenen Werten um WLTP-Werte handelt, werden insbesondere Verbraucher unterliegen, denen die Bedeutung des Zeichens „WLTP“ bereits bei Besuch der Seite bekannt ist, d.h. die wissen, dass es sich dabei um eine Abkürzung für eine Prüfmethode bei der Schadstoff- und Verbrauchsberechnung handelt und dass der WLTP den NEFZ ablöst bzw. abgelöst hat.
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Anders als die Beklagte geltend macht, ist das Zeichen „WLTP“ nämlich nicht ausreichend abgesetzt von den ausgewiesenen Werten, um eine gedankliche Verbindung auszuschließen. Es ist zwar in Fettdruck geschrieben, aber das ist die Überschrift „Verbrauch & Emissionen“ auch. Das Zeichen „WLTP“ ist auch jedenfalls nicht merklich größer als die Überschrift. Dass es in Großbuchstaben geschrieben ist, ist bei Kenntnis von der Abkürzungsfunktion ebenfalls kein Umstand, der eine selbständige, unabhängige Stellung des Zeichens „WLTP“ nahelegt. Zuletzt ist der Abstand zwischen der Überschrift zu den konkret angegeben Werten der gleiche wie der zwischen den Werten und dem Zeichen.
22
Dass das Zeichen „WLTP“ auf der Internetseite einen Link zu einer anderen Seite mit den richtigen WLTP-Werten beinhaltet, beseitigt die Gefahr einer Fehlvorstellung nicht. Die Verlinkung ist von außen nicht erkennbar. Der Verbraucher stößt allenfalls zufällig darauf, wenn er mit der Maus über das Zeichen fährt. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies häufig geschieht. Hinzu kommt: Zur Vermeidung einer Fehlvorstellung muss der Verbraucher dann den Link auch noch betätigen und anhand der verlinkten Angaben erkennen, dass die zuerst angegebenen Werte NEFZ-Werte sind. Auch daran bestehen erhebliche Zweifel. Zwar wurde die verlinkte Seite dem Gericht nicht vorgelegt. Nach dem Vortrag der Parteien enthielt sie aber über die Werte hinausgehend keinerlei Erklärung. Insoweit bleibt die Situation für den Verbraucher auch nach Kenntnis der Unterseite verwirrend, weil ihm nirgends klar mitgeteilt wird, dass die zuerst angegebenen Werte solche nach dem NEFZ sind.
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Es ist auch davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der Verbraucher zur Zeit des Verstoßes im April 2022 – auf diesen Zeitpunkt kommt es an – bei Besuch der Seite entsprechend informiert war, d.h. Kenntnis von der Existenz und Bedeutung des WLTP hatte. Durch den sog. „Dieselskandal“, bei dem festgestellt wurde, dass Abgaswerte von Personenkraftwagen im Prüfverfahren nach dem NEFZ manipuliert wurden, ist das Thema der Prüfmethode der Abgas- und Verbrauchswerte bei Kraftfahrzeugen seit Mitte der 2010er-Jahre stark in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und wird entsprechend viel diskutiert. Bereits im Jahr 2018 wurde dann der WLTP eingeführt. Auch dies wurde nicht nur in der Fachpresse im Automobilbereich, sondern auch in der allgemeinen Presse thematisiert.
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b) Es besteht aber auch die Gefahr, dass Teile der Verbraucher, denen der Begriff zuerst nicht bekannt ist, irregeführt werden. Es ist insoweit zwar näherliegend, dass diese, weil sie eine Erklärung suchen, auf die Verlinkung stoßen als Verbraucher, welche den Begriff bereits kennen. Es bleibt aber das oben beschriebene Problem bestehen, dass auch die Verlinkung die Gefahr von Fehlvorstellungen nur unzureichend beseitigt.
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Zudem ist es auch gleichermaßen wahrscheinlich, dass Verbraucher, statt auf der Seite selbst nach einer Erklärung zu suchen, den Begriff einfach googeln, um Aufschluss über seine Bedeutung zu erhalten. Wenn Sie das machen, sind sie anschließend in der gleichen Position wie diejenigen, welche die Kenntnis von Anfang an hatten.
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2. Es handelt es sich auch um eine relevante Täuschungsgefahr, d.h. eine, welche in der Lage ist, geschäftliche Entscheidungen von Verbrauchern wesentlich zu beeinflussen.
27
Was eine „geschäftlichen Entscheidung“ ist, wird in § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG legaldefiniert. Der Begriff erfasst außer der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb des Produkts auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten eines Geschäfts. Auf sie muss sich der Einfluss der unwahren bzw. täuschenden Angabe auswirken. Das Aufsuchen einer Internetseite, auf der Produkte oder Dienstleistungen unmittelbar bestellt werden können, steht dem Betreten eines stationären Geschäfts gleich (vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Dreyer, 5. Aufl. 2021, UWG § 5 Rn. 349).
28
Danach ist die Gefahr einer wesentlichen Beeinflussung der Verbraucher zweifellos zu bejahen.
29
Für die Verbraucher sind Verbrauchswerte, aber auch Abgaswerte ein (zunehmend) wichtiges Kriterium bei der Beurteilung von Personenkraftwagen. Geht der Verbraucher von falschen (insbesondere besseren) Werten aus, hat dies offensichtlich Einfluss darauf, ob er sich weiter – im Internet oder real – mit dem Fahrzeug beschäftigt.
30
II. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1 ZPO und § 709 S.1 ZPO.