Titel:
Erfolgreicher Eilantrag eines Journalisten auf Übersendung eines anonymisierten Strafbefehls
Normenketten:
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1
StPO § 33
BayPrG Art. 4
Leitsätze:
1. Die allgemein anerkannte Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen umfasst auch Strafbefehle. (Rn. 27 – 30)
2. Der presserechtliche Auskunftsanspruch von Medienvertretern nach Art. 4 BayPrG kann sich grundsätzlich auch auf die Herausgabe anonymisierter Strafbefehle erstrecken. (Rn. 25 – 38)
Schlagworte:
Einstweiliges Rechtsschutzverfahren, presserechtlicher Auskunftsanspruch, Strafbefehl nach Absprache, Grundsatz der Selbstwiderlegung, Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen, Publikationspflicht, veröffentlichungswürdige Gerichtsentscheidungen, Strafbefehl
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 14.03.2023 – M 10 E 22.6192
Fundstellen:
K & R 2023, 542
ZGI 2023, 189
ZUM-RD 2023, 743
StV 2023, 598
GRUR-RS 2023, 11628
LSK 2023, 11628
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro fest-gesetzt.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Beigeladene gegen die im Eilverfahren erwirkte Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsteller auf der Grundlage eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs eine anonymisierte Kopie eines den Beigeladenen betreffenden Strafbefehls zu übersenden.
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Der Antragsteller ist als Volontär bei der Handelsblatt GmbH tätig. Am 18. November 2022 wandte er sich unter der E-Mailadresse V.N* …@handelsblattgroup.com an das Amtsgericht Erding und bat um Erteilung einer presserechtlichen Auskunft durch Übersendung des gegen den Beigeladenen gerichteten anonymisierten Strafbefehls vom 4. November 2022. Das Amtsgericht Erding verweigerte die Übersendung des anonymisierten Strafbefehls. Nach weiterem Schriftverkehr mit dem Antragsteller bzw. der Rechtsabteilung der Handelsblatt Media Group GmbH& Co.KG beantwortete das Amtsgericht mit E-Mail vom 2. Dezember 2022 einen Fragenkatalog des Antragstellers mit zwölf Punkten (lediglich) durch die Mitteilung, dass gegen den Beigeladenen am 4. November 2022 ein Strafbefehl erlassen worden sei, der seit dem 24. November 2022 rechtskräftig sei. Des Weiteren erfolgte eine Aufzählung der dem Strafbefehl zugrundeliegenden Straftaten, eine Mitteilung des Strafmaßes sowie über die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 500.000 Euro. Die Mitteilung weiterer Einzelheiten wurde abgelehnt.
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Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2022 stellte zunächst die Handelsblatt GmbH beim Verwaltungsgericht München den Antrag, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, der Antragstellerin Auskunft über den Strafbefehl gegen Herrn … W* … vom 4. November 2022, rechtskräftig seit dem 24. November 2022, durch Übersendung einer Kopie des anonymisierten Strafbefehls zu erteilen. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2022 wurde Herr … W* … zum Verfahren beigeladen. Nach richterlichem Hinweis vom 23. Januar 2023, dass die Handelsblatt GmbH nicht auskunftsberechtigt sein dürfte, teilten deren Bevollmächtigte dem Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 25. Januar 2023 mit, dass der jetzige Antragsteller nunmehr den Antrag weiterverfolge. Mit Beschluss vom 14. März 2023 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner, dem Antragsteller eine Woche nach Rechtskraft des Beschlusses Auskunft über den gegen den Beigeladenen gerichteten Strafbefehl des Amtsgerichts Erding vom 4. November 2022 durch Übersendung einer anonymisierten und im Hinblick auf etwaige persönliche Angaben geschwärzten Kopie des Strafbefehls zu erteilen.
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Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beigeladene mit der Beschwerde. Er trägt im Wesentlichen vor, der Antrag sei schon unzulässig, weil der Antragsteller keine ladungsfähige Anschrift angegeben habe. Es bestehe zudem kein Anordnungsgrund, da keine Dringlichkeit ersichtlich sei. Ein Anordnungsanspruch sei ebenfalls nicht ersichtlich. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 BayPrG stelle keine Anspruchsgrundlage für die Herausgabe gerichtlicher Aktenbestandteile dar. Ein Strafbefehl sei nicht einer veröffentlichungswürdigen Gerichtsentscheidung gleichzustellen und deshalb scheide auch ein Anspruch auf Herausgabe nach „Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG“ aus. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung sei zumindest unzulänglich. Sie berücksichtige nicht, dass der Antragsteller kein „Berichterstattungsinteresse“ vorgetragen habe. Außerdem seien die verfassungsrechtlich fundierten Positionen „beider Beigeladener“ nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt worden.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verweist auf die zutreffende Entscheidung des Verwaltungsgerichts und setzt sich ausführlich mit dem Vortrag des Beigeladenen auseinander. Zudem wird eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 1. Mai 2023 vorgelegt.
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Der Antragsgegner stellt keinen Antrag. Er hält die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ebenfalls für zutreffend und führt eingehend zum Beschwerdevorbringen des Beigeladenen aus.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist im angegriffenen Beschluss zutreffend davon ausgegangen, dass der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zulässig ist und der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch dafür glaubhaft gemacht hat, den Antragsgegner zu verpflichten, Auskunft über den Strafbefehl des Amtsgerichts Erding vom 4. November 2022 gegen den Beigeladenen durch Übersendung einer anonymisierten und im Hinblick auf etwaige persönliche Angaben geschwärzten Kopie des Strafbefehls zu erteilen. Die im Beschwerdeverfahren vom Beigeladenen vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern.
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1. Nicht durchdringen kann der Beigeladene mit dem Einwand, der Eilantrag sei bereits unzulässig. Die Anschrift der Handelsblatt GmbH als ladungsfähige Adresse des Antragstellers genüge nicht den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts existiere keine Erklärung des Antragstellers, er sei als Redakteur bei der Handelsblatt GmbH beschäftigt; er habe lediglich angegeben, in der Toulouser Allee 27, 4..0211 Düsseldorf, dienstansässig zu sein. Der Antragsteller sei offenbar seit Jahren freiberuflich als sog. investigativer Journalist tätig. Er habe mehrere Beiträge in der „Süddeutschen Zeitung, Lokalausgabe Freising/Erding“ veröffentlicht und sei gegenüber dem Beigeladenen in der Vergangenheit grundsätzlich als Mitarbeiter der „Süddeutschen Zeitung, Lokalausgabe Freising/Erding“ aufgetreten.
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Dieses Vorbringen des Beigeladenen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Mit der Angabe der Adresse der Handelsblatt GmbH in der Toulouser Allee 27, 4..0211 Düsseldorf, werden die Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift des Antragstellers i.S.v. § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfüllt.
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a) Zu den zwingenden Bestandteilen einer ordnungsgemäßen Antragsschrift gehört nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der in selbständigen Beschlussverfahren nach §§ 80, 80a und 123 VwGO über die Regelung des § 122 VwGO hinaus entsprechend gilt (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2022 – 7 CE 22.1099 – juris Rn. 9; VGH BW, B.v. 25.10.2004 – 11 S 1992/04 – NVwZ-RR 2006, 151 Rn. 4 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 122 Rn. 5 m.w.N.), die Bezeichnung des Antragstellers. Neben der Nennung des Vornamens und des Familiennamens gehört die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Antragstellers zu den zwingenden Bestandteilen einer Antragsschrift. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift soll nicht nur die hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit des Antragstellers sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen. Sie soll darüber hinaus gewährleisten, dass er nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Falle seines Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann (BayVGH, B.v. 10.8.2022 – 7 CE 22.1099 – juris Rn. 9 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 82 Rn. 3 m.w.N.). Der Antragsteller soll sein Verfahren nicht aus dem Verborgenen heraus führen können (vgl. BGH, U.v. 6.4.2022 – VIII ZR 262/20 – NJW-RR 2022, 714 Rn. 15 m.w.N.).
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Betreibt eine natürliche Person ein gerichtliches Verfahren, ist zu deren ordnungsgemäßer Bezeichnung im Sinne von § 82 Abs. 1 Satz1 VwGO in der Regel die Wohnanschrift anzugeben (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – NJW 1999, 2608 LS. 1; U.v. 24.3.2021 – 6 C 4.20 – BVerwGE 172, 85 Rn. 11 m.w.N.). Bereits die vom Bundesverwaltungsgericht verwendete Formulierung „in der Regel“ lässt die Möglichkeit zu, dass in besonders gelagerten Ausnahmefällen auch eine andere als die Wohnadresse als ladungsfähige Anschrift anzuerkennen ist. Entscheidend ist, ob mit der vom Antragsteller angegebenen Adresse den mit der Anforderung der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift verfolgten Zielsetzungen Genüge getan wird. Denn die zu stellenden Anforderungen an die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift des Antragstellers dürfen im Hinblick auf dessen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz nicht weitergehen, als es für die Wahrung der berechtigten Interessen des Antragsgegners und für den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens erforderlich ist (vgl. BGH, U.v. 6.4.2022 – VIII ZR 262/20 – NJW-RR 2022, 714 Rn. 15). Hiernach ist der Zweck der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift dann erfüllt, wenn die Partei durch die angegebene Anschrift eindeutig identifiziert wird und an sie wirksam Zustellungen vorgenommen werden können.
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b) Den Einwendungen des Beigeladenen sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass mit der vom Antragsteller angegebenen Adresse dieser Zweck der ladungsfähigen Anschrift nicht erfüllt werden könnte. Insbesondere ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bei der Handelsblatt GmbH als Arbeitnehmer beschäftigt sein muss.
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Ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung vom 13. Dezember 2022 im erstinstanzlichen Verfahren ist der Antragsteller Redakteur der Handelsblatt GmbH und „dienstansässig in der Toulouser Allee 27, 4..0211 Düsseldorf“. Diese Angaben des Antragstellers werden durch den mit der Antragsschrift vorgelegten Schriftverkehr bestätigt. Daraus ergibt sich zweifelsfrei, dass der Antragsteller mit dem Antragsgegner unter der E-Mailadresse V.N* …@handelsblattgroup.com kommuniziert hat. Bereits die erste E-Mail an den Antragsgegner vom 18. November 2022 ist unterschrieben mit V* … N* …, Handelsblatt, Handelsblatt GmbH, Toulouser Allee 27, 4..0211 Düsseldorf. Zudem trat im Laufe des Verwaltungsverfahrens der Leiter „Recht“ der Handelsblatt Media Group GmbH& Co.KG an den Antragsgegner heran, um dem Anliegen des Antragstellers Nachdruck zu verleihen. Dabei wies er diesen als Redakteur des Handelsblatts aus. Nachdem der Eilantrag mit dem im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Antragsgegner geltend gemachten Anliegen darüber hinaus zunächst von der Handelsblatt GmbH selbst gestellt wurde, durfte das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgehen, dass der Antragsteller für diese tätig ist und die genannte Adresse somit den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO entspricht.
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Die vom Beigeladenen im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwendungen hat der Antragsteller mit der weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 1. Mai 2023 ausgeräumt. Er trägt hiermit ergänzend vor, er sei als Volontär bei der Services by Handelsblatt Media Group GmbH angestellt, die eine Journalistenschule betreibe. Eingesetzt werde er bei der Handelsblatt GmbH, weil sich dort die Redaktion befinde. Die Services by Handelsblatt Media Group sei ebenso wie die Handelsblatt GmbH eine 100%ige Tochter der Handelsblatt Media Group GmbH& Co.KG. Im Rahmen des Volontariats seien mehrere Stationen zu absolvieren, um einen Redaktionsbetrieb in seiner Gesamtheit kennenzulernen. So sei es zu seinem Einsatz bei der Süddeutschen Zeitung, Lokalausgabe Freising/Erding gekommen. Er bleibe aber bei der Services by Handelsblatt Media Group GmbH angestellt und werde dort auch sein Volontariat beenden.
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Somit ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass wirksam Zustellungen an den Antragsteller unter der Adresse Toulouser Allee 27, 4..0211 Düsseldorf vorgenommen werden können. Nicht maßgeblich ist, dass der Antragsteller nicht direkt bei der Handelsblatt GmbH angestellt ist, sondern bei dieser lediglich als Redakteur beschäftigt wird. Der Verweis auf die Entscheidung des Senats vom 10. August 2022 – 7 CE 22.1099 – (juris) ist nicht zielführend. Entgegen der Auffassung des Beigeladenen ist dieser Entscheidung nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller zwingend bei der Handelsblatt GmbH als Arbeitnehmer beschäftigt sein muss. Zudem haben sowohl die Handelsblatt GmbH, die Services by Handelsblatt Media Group als auch die Media Group GmbH& Co.KG ihren Sitz in der Toulouser Allee 27, 4..0211 Düsseldorf.
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2. Entgegen der Ansicht des Beigeladenen hat der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ist nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Ein solcher Nachteil ist in Fällen presserechtlicher Auskunftsansprüche anzunehmen, wenn für die begehrte Auskunft ein gesteigertes öffentliches Interesse sowie ein starker Gegenwartsbezug bestehen, der dazu führt, dass bei einem Abwarten der Klärung im Hauptsacheverfahren die begehrte Auskunft ihren Nachrichtenwert verliert und allenfalls noch von historischem Interesse ist (vgl. BVerfG, B.v. 8.9.2014 -1 BvR 23/14 – NJW 2014, 3711; BVerwG, B.v. 22.9.2015 – 6 VR 2.15 – NVwZ 2016, 945).
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a) Anders als der Beigeladene meint, wird die Dringlichkeit der begehrten Regelungsanordnung durch das prozessuale Verhalten des Antragstellers nicht in Frage gestellt.
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Nach dem Grundsatz der Selbstwiderlegung gibt ein Antragsteller zu erkennen, dass eine einstweilige Anordnung für ihn nicht „nötig“ ist, wenn er die im Falle einer Versagung des Eilrechtsschutzes zu erwartenden Nachteile selbst herbeigeführt oder versäumt hat, diese (rechtzeitig) abzuwenden (vgl. Dombert in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, § 123 VwGO Rn. 132). Der Antragsteller hat durch Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 25. Januar 2023 und damit binnen zwei Tagen nach dem richterlichen Hinweis vom 23. Januar 2023, dass die ursprüngliche Antragstellerin, die Handelsblatt GmbH, nicht aktivlegitimiert sein dürfte, erklärt, er werde das Verfahren als Antragsteller übernehmen. Ein Verhalten des Antragstellers dahingehend, dass er den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht für „nötig“ hält, ist aufgrund der unverzüglichen Reaktion nicht ersichtlich. An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts, wenn man mit dem Beigeladenen davon ausgeht, dass der gesamte Zeitraum seit Erhebung des Eilantrags durch die ursprüngliche Antragstellerin, die Handelsblatt GmbH, mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2022 in den Blick zu nehmen wäre. Dabei kann die vom Beigeladenen mit Verweis auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts MecklenburgVorpommern vom 27. September 2018 – 1 LZ 329/18 – (NVwZ-RR 2019, 241) gezogene Parallele zum Erfordernis der Wahrung der Klagefrist bei einem Parteiwechsel im vorliegenden Verfahren nicht gezogen werden. Anders als im dortigen Verfahren, dem eine Anfechtungsklage gegen einen belastenden Bescheid zugrunde lag und daher für den Parteiwechsel die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 VwGO einzuhalten war, wäre der vorliegende Auskunftsanspruch der Presse in der Hauptsache mit der Leistungsklage gerichtlich geltend zu machen (vgl. zum verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse BVerwG, U.v. 8.7.2021 – 6 A 10.20 – juris Rn. 15 m.w.N.). Auch ignoriert der Beigeladene, dass zwischen dem 13. Dezember 2022 und dem 23. Januar 2023 die Weihnachtstage und der Jahreswechsel stattgefunden haben. Darüber hinaus ist der Antragsteller – wenn auch rechtsirrig – ursprünglich davon ausgegangen, dass die Handelsblatt GmbH antragsberechtigt ist und ihm bei erfolgreichem Ausgang des Eilverfahrens der begehrte anonymisierte Strafbefehl zur Verfügung stehen wird. Eine wie auch immer geartete Säumnis des Antragstellers, die den Schluss nahelegen könnte, er habe durch sein eigenes Verhalten die Eilbedürftigkeit der Streitsache erst herbeigeführt, ist daher nicht zu sehen.
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b) Nicht durchdringen kann der Beigeladene mit seinem Vortrag, ein Anordnungsgrund sei entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch deshalb zu verneinen, weil der Antragsteller keine gegenwärtige Berichterstattung beabsichtige und die pauschale Behauptung, dass ein öffentliches Interesse an dem Vorgang bestehe, nicht genüge. Soweit der Antragsteller konkret Anlässe für die von ihm beabsichtigte Recherche nenne, wie die „Verwendung von Steuergeldern“, sei dies schon deshalb nicht maßgeblich, weil sich die öffentlichen Aufgabenträger über Abfallgebühren refinanzierten. Nicht ersichtlich sei auch, inwiefern sich aus dem Strafbefehl konkrete Erkenntnisse zu einem etwaigen Versagen des „Umweltamts“ und damit Anhaltspunkte für eine weitere Recherche ergeben sollten.
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Mit diesem Vorbringen missachtet der Beigeladene den bereits vom Verwaltungsgericht herangezogenen Grundsatz, dass die Presse in den Grenzen des Rechts selbst entscheidet, ob und wie sie über ein bestimmtes Thema berichtet (vgl. BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 29 f.). Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffung grundrechtlich schützt. Unter das Selbstbestimmungsrecht in zeitlicher Hinsicht fällt die Freiheit der Presse, zu entscheiden, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll. Zwar genügt es, wenn Eilrechtsschutz nur dann gewährt wird, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2020 – 7 CE 20.1822 – juris Rn. 13 unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 30), der Erlass einer einstweiligen Anordnung mithin notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Damit die Presse ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion wahrnehmen kann, dürfen jedoch insbesondere auch hinsichtlich der Aktualität einer Berichterstattung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Daher können grundsätzlich ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug nicht bereits deshalb verneint werden, weil die Berichterstattung nicht auf unaufschiebbare Berichte wie die Aufdeckung von schweren Rechtsbrüchen staatlicher Entscheidungen zielt und sie im Übrigen auch später möglich bleibt (vgl. BVerfG, B.v. 8.9.2014 a.a.O. Rn. 30).
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Der Antragsteller hat vorliegend in ausreichendem Maße deutlich gemacht, warum er die Einsicht in den Strafbefehl sofort benötigt und nicht auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens und dessen rechtskräftigen Abschluss verwiesen werden kann. Seine Argumentation, der anonymisierte Strafbefehl diene der Recherche im Hinblick auf ein etwaiges Versagen des „Umweltamts“ bei den immissionsschutzrechtlichen Kontrollen der W* … Umwelt GmbH und der Verwendung von Steuergeldern, ist plausibel. Der Strafbefehl enthält (unter anderem) die Bezeichnung der Tat, die dem Angeklagten zur Last gelegt wird (§ 409 Abs. 1 Nr. 3 StPO), und muss zudem den historischen Lebenssachverhalt enthalten (vgl. Maur in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Aufl. 2023, § 409 Rn. 5). Aufgrund der dem Antragsteller bereits vom Antragsgegner vom 2. Dezember 2022 übermittelten Informationen zu den vom Strafbefehl erfassten Taten des Beigeladenen ist es nicht fernliegend, dass sich aus der Schilderung des Lebenssachverhalts Anhaltspunkte ergeben können, die auf etwaige Versäumnisse der Umweltbehörden oder Handlungen des Beigeladenen hinweisen könnten, die es den Behörden erschwert haben könnten, einschlägige Missstände bei der W* … Umwelt GmbH zu entdecken. Es handelt sich hierbei um einen plausibel erklärten Rechercheansatz und nicht, wie bei der vom Beigeladenen in Bezug genommenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. August 2017 – 6 S 12.17 – (ZUM 2018, 147), um eine bloße Spekulation des auskunftbegehrenden Journalisten, zumal sich – entgegen der Behauptung des Beigeladenen – nach wie vor aktuelle Presseberichte zum Ganzen finden (vgl. Artikel vom …2023 „Illegale Müllgeschäfte: Bewährungs- und Geldstrafe für W* …“ sowie „Vertrauen in W* … nachhaltig beschädigt“, abzurufen über Merkur.de), aus denen sich ergibt, dass die Kommunen, die in Geschäftsbeziehungen zur W* … Umwelt GmbH stehen, um eine Aufarbeitung bemüht sind. Soweit der Beigeladene darauf hinweist, die öffentlichen Aufgabenträger der Abfallentsorgung refinanzierten sich über Abfallgebühren und deshalb könne der Antragsteller die Dringlichkeit nicht mit dem Argument begründen, es bestehe ein gesteigertes öffentliches Interesse an einer Berichterstattung über die Verwendung von Steuergeldern, überzeugt dieses Argument nicht. Unabhängig davon, dass öffentliche Einrichtungen, für die ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht, in der Regel mit Gebühren oder Beiträgen und nicht mit Steuergeldern finanziert werden, handelt es sich dabei um Geld der Bürger und dessen bestimmungsgemäße Verwendung ist naturgemäß von gesteigertem öffentlichen Interesse.
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3. Das Verwaltungsgericht hat zudem zutreffend angenommen, dass der Antragsteller den von ihm geltend gemachten Auskunftsanspruch (Anordnungsanspruch) grundsätzlich auf Art. 4 BayPrG stützen kann, weil sich ein presserechtlicher Auskunftsanspruch von Medienvertretern auch auf anonymisierte Strafbefehle erstrecken kann. Das Beschwerdevorbringen des Beigeladenen rechtfertigt auch insoweit keine andere Entscheidung.
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a) Soweit der Beigeladene dem Beschluss des Verwaltungsgerichts entgegenhält, dieses habe zu Recht einen Herausgabeanspruch nach Art. 4 BayPrG abgelehnt, aber auch der der Entscheidung zugrunde gelegte Herausgabeanspruch unmittelbar aus „Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG“ bestehe nicht, ist dieses Vorbringen bereits nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat als Rechtsgrundlage für den Anspruch des Antragstellers eindeutig und ausschließlich Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayPrG angenommen.
27
b) Nicht durchdringen kann der Beigeladene mit seinem Vorbringen, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts stelle ein Strafbefehl keine „Gerichtsentscheidung“ dar, für die ein Anspruch auf „Veröffentlichung“ bestehe, weil die vom Verwaltungsgericht herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidungen sich lediglich auf Strafurteile bezögen.
28
Das Verwaltungsgericht hat hierzu zutreffend ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 16 ff. m.w.N.), die auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 26.2.1997 – 6 C 3.96 – juris) Bezug nehme, sei eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen allgemein anerkannt. Der Presse komme neben einer Informationsinsbesondere eine Kontrollfunktion zu. Beide Funktionen seien berührt, wenn ein Pressevertreter zum Zwecke der Berichterstattung über ein gerichtliches Strafverfahren recherchiere. Mit der Publikationspflicht korrespondiere ein presserechtlicher Auskunftsanspruch von Medienvertretern, der nicht auf die Herausgabe von Strafurteilen beschränkt sei, sondern sich grundsätzlich auch auf anonymisierte Strafbefehle erstrecke. Das Bundesverfassungsgericht habe terminologisch allgemein eine Publikationspflicht für „Entscheidungen“ judiziert. Hätte es die Publikationspflicht nur auf Urteile beschränken wollen, sei davon auszugehen, dass es diesen Begriff verwendet hätte. Auch aus Sinn und Zweck der Publikationspflicht lasse sich aus der zitierten Rechtsprechung keine Beschränkung auf (Straf-)Urteile entnehmen. Die grundsätzliche Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen folge aus dem Rechtsstaatsprinzip, einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Bundesverfassungsgericht habe die Pflicht zur Herausgabe einer anonymisierten Kopie eines Strafurteils in dem dort entschiedenen Fall „gerade“ wegen des Öffentlichkeitsgrundsatzes des gerichtlichen Verfahrens angenommen. Nach der expliziten Annahme des Bundesverwaltungsgerichts sei der Öffentlichkeitsgrundsatz des gerichtlichen Verfahrens jedoch als zusätzliches, weiteres Argument für eine Publikationspflicht zu verstehen. Dies bedeute damit nicht, dass die Publikationspflicht bei Gerichtsentscheidungen, die ohne mündliche Verhandlung/Hauptverhandlung ergingen, nicht gelte. Der streitgegenständliche Strafbefehl sei eine veröffentlichungswürdige Entscheidung, weil ersichtlich ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung bestehe, wie die konkrete Presseanfrage zeige (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.1997 – 6 C 3.96 – juris Rn. 29).
29
Mit dieser Argumentation des Verwaltungsgerichts setzt sich der Beigeladene nicht hinreichend i.S.v. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO auseinander. Der Einwand, es bestehe keine Veranlassung, sich mit der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht auseinanderzusetzen, weil danach zwar feststehe, dass Gerichtsentscheidungen grundsätzlich anonymisiert zu veröffentlichen seien, der wesentliche Angriff des Beigeladenen gehe aber dahin, dass es sich bei einem Strafbefehl eben nicht um eine Gerichtsentscheidung handele, verkennt die Bedeutung von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Danach sind in der Beschwerdebegründung die Gründe darzulegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist. Sie muss sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Die Gründe der angefochtenen Entscheidung geben damit den Beschwerdegründen den Inhalt vor. Die Dichte der geforderten Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung orientiert sich an deren inhaltlicher Dichte (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 146 Rn. 22a m.w.N.). Insbesondere wird den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO regelmäßig nicht mit bloßen Bezugnahmen auf erstinstanzliches Vorbringen Genüge getan (vgl. Happ in Eyermann a.a.O. Rn. 22b m.w.N.). Da das Verwaltungsgericht die grundsätzliche Publikationspflicht eines Strafbefehls anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausführlich begründet hat, hätte der Beigeladene sich mit der diesbezüglichen Argumentation auseinandersetzen müssen. Gerade weil ein Strafbefehl, gegen den nicht rechtzeitig Einspruch erhoben wurde, einem Strafurteil nach § 410 Abs. 3 StPO gleich steht, hätte es insoweit einer substantiierten Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts bedurft.
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Soweit der Beigeladene lediglich darauf verweist, die vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen sei durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 2023 – 15 E 599/22 – (juris) aufgehoben worden, werden hierdurch keine Zweifel an der Argumentation des Verwaltungsgerichts aufgezeigt. Denn das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat den im dortigen Verfahren auf § 4 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen gestützten Anspruch auf Veröffentlichung von gerichtlichen Entscheidungen in einer Rechtsprechungsdatenbank unter anderem deshalb verneint, weil dieses Gesetz nach seinem § 2 Abs. 2 Satz 1 auf Gerichte nur dann Anwendung finde, soweit sie Verwaltungsaufgaben wahrnähmen. Ausführungen dazu, die den Schluss nahelegen könnten, dass Strafbefehle nicht publiziert werden dürften, enthält der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen nicht. Der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts lässt sich somit in Bezug auf die wesentliche Argumentation des Verwaltungsgerichts, die grundsätzliche Publikationspflicht von Strafbefehlen folge nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Rechtsstaatsprinzip, einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung, nichts Gegenteiliges entnehmen.
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c) Entgegen der Ansicht des Beigeladenen steht § 33 StPO einer Einordnung des Strafbefehls als „Gerichtsentscheidung“ nicht entgegen. Das Vorbringen, ein Strafbefehl könne keine Gerichtsentscheidung sein, weil bereits aus § 33 StPO folge, dass „vor einer Entscheidung“ rechtliches Gehör zu gewähren sei, was vor Erlass eines Strafbefehls gemäß § 407 Abs. 3 StPO ausdrücklich nicht erforderlich sei, und zudem stehe dem Gericht nach § 408 Abs. 3 Satz 1 StPO für den Erlass eines Strafbefehls kein Ermessen zu, überzeugt nicht.
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Neben anderen Vorschriften soll mit § 33 StPO das prozessuale Grundrecht auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) vor Gericht gesichert werden (vgl. SchneiderGlockzin in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 33 Rn. 1 m.w.N.). Mit der Vorschrift will das Gesetz die Grundsätze berücksichtigen, die das Bundesverfassungsgericht zu Art. 103 Abs. 3 GG entwickelt hat. Danach dürfen einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten. Zwar ist nach § 33 Abs. 2 und 3 StPO grundsätzlich auch bei Entscheidungen des (Straf-)Gerichts, die außerhalb einer Hauptverhandlung ergehen, rechtliches Gehör zu gewähren. Für den Strafbefehl enthält jedoch § 407 Abs. 3 StPO eine Ausnahmevorschrift, wonach es entgegen § 33 Abs. 3 StPO nicht der vorherigen Anhörung des Angeschuldigten bedarf. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist dadurch gewährleistet, dass der Beschuldigte gegen den Strafbefehl Einspruch einlegen und dadurch die Hauptverhandlung herbeiführen kann (vgl. Valerius in Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33 Rn. 17). Für die Einordnung eines Strafbefehls als gerichtliche Entscheidung lässt sich aus diesen strafprozessualen Vorschriften nichts herleiten.
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Nicht nachvollziehbar ist das Argument des Beigeladenen, es könne sich bei einem Strafbefehl nicht um eine „gerichtliche Entscheidung“ handeln, weil dem Gericht nach § 408 Abs. 3 Satz 1 StPO kein Ermessen für dessen Erlass zukomme. Es bleibt bereits offen, was § 408 StPO, der amtlich als „Richterliche Entscheidung über den Strafbefehlsantrag“ überschrieben ist, im Allgemeinen und § 408 Abs. 3 Satz 1 StPO im Speziellen gegen die Einordnung des Strafbefehls als „gerichtliche Entscheidung“ aussagen soll. Im Übrigen übersieht der Beigeladene, dass das Gericht dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft nur dann zu entsprechen hat, wenn dem Erlass des Strafbefehls keine Bedenken entgegenstehen, andernfalls ist die Hauptverhandlung anzuberaumen (vgl. § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO).
34
d) Ebenfalls nicht durchgreifend ist das Vorbringen des Beigeladenen, der vom Verwaltungsgericht herangezogene „Öffentlichkeitsgrundsatz des gerichtlichen Verfahrens“ begründe im vorliegenden Fall den streitgegenständlichen Herausgabeanspruch nicht, weil der Strafbefehl auf einer Absprache i.S.v. § 160b StPO zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung beruhe.
35
Bei dieser Argumentation lässt der Beigeladene bereits außer Betracht, dass das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3.96 – (juris Rn. 23) verwiesen hat. Danach hat die Publikationspflicht zwar ihre Grundlage auch in dem leitenden Grundsatz des Prozessrechts der Öffentlichkeit gerichtlicher Verhandlungen und Urteilsverkündungen (vgl. u.a. § 55 VwGO i.V.m. §§ 169, 173 GVG), geht aber über diesen hinaus. Der Öffentlichkeitsgrundsatz des gerichtlichen Verfahrens sei demnach als zusätzliches weiteres Argument für eine Publikationspflicht zu verstehen und bedeute nicht, dass die Publikationspflicht bei Gerichtsentscheidungen, die ohne Hauptverhandlung/mündliche Verhandlung ergingen, nicht gelte (vgl. UA S. 16). Die nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erforderliche Auseinandersetzung mit der diesbezüglichen Argumentation des Verwaltungsgerichts findet jedenfalls allein durch den Verweis auf § 160b StPO nicht statt.
36
e) Nicht nachvollziehbar ist der Einwand des Beigeladenen, im Fall einer Absprache zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung bestehe deshalb keine „Mitteilungspflicht gegenüber der Öffentlichkeit“, weil sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebe, dass „lediglich Erörterungen nach § 202a, 220 StPO“ mitzuteilen seien; § 160b StPO hingegen sei weder von dieser Vorschrift erfasst noch sei § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auf § 160b StPO entsprechend anwendbar.
37
Streitgegenständlich im vorliegenden Verfahren ist der Anspruch des Antragstellers nach Art. 4 Abs. 1 BayPrG. Welche „Erörterungen“ zwischen den Beteiligten eines Strafverfahrens in der Hauptverhandlung „öffentlich“ zu machen sind, könnte im vorliegenden Verfahren nur dann streitentscheidend sein, wenn die entsprechenden Vorschriften der Strafprozessordnung dem presserechtlichen Auskunftsanspruch nach ihrem Sinn und Zweck entgegengehalten werden könnten. Dies zeigt der Beigeladene weder substantiiert auf, noch gibt es hierfür Anhaltspunkte. § 243 StPO bezweckt, heimliche Deals über den Ausgang des Verfahrens jenseits der dafür gesetzlich vorgesehenen Formen zurückzudrängen (vgl. Schneider in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 243 Rn. 35 m.w.N.). Das Ziel der in § 243 Abs. 4 StPO normierten Mitteilungspflichten besteht in erster Linie darin, sämtliche Verfahrensbeteiligte frühzeitig von den Verständigungsbemühungen des Gerichts im Vorfeld oder Fortgang der Hauptverhandlung zu informieren, um auf diesem Wege Wissensgleichstand und Transparenz über Form und Inhalt der angestrebten Verfahrenserledigung herzustellen (vgl. Schneider in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O. Rn. 36 m.w.N.). Die in § 243 Abs. 4 StPO enthaltenen Mitteilungspflichten dienen somit gerade dem Transparenzgebot (vgl. Arnoldi in Münchener Kommentar zur StPO, § 243 Rn. 40 m.w.N.). Da auch § 160b StPO das gesetzgeberische Ziel einer transparenten Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens hat (vgl. Weingarten in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 160b Rn. 1 m.w.N.), die wesentlichen Inhalte der Erörterungen zudem nach § 160b Satz 2 StPO aktenkundig zu machen sind, ergibt sich sowohl aus § 243 Abs. 4 StPO als auch aus § 160b StPO, dass Absprachen im gesamten strafgerichtlichen Verfahren nicht im Verborgenen bleiben dürfen. Es ist daher nichts dafür ersichtlich, dass die dem Strafbefehl zugrundeliegende Absprache zwischen Staatsanwaltschaft und Beigeladenem einer Herausgabe des Strafbefehls an den Antragsteller entgegenstehen könnte.
38
f) Fehl geht schließlich auch der Verweis des Beigeladenen auf die Ausführungen von Nötzel/Klauck in ihrem Beitrag „Die Absprache im Ermittlungsverfahren“ (NStZ 2021, 577, 579), wonach aus Sicht der Verteidigung eine der wesentlichen Chancen von Absprachen in der Vermeidung einer Anklage zu sehen sei; die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung sei für den Mandanten häufig mit einem irreversiblen Ansehensverlust verbunden und bereits die Anklageerhebung selbst könne eine soziale und wirtschaftliche Existenzvernichtung bedeuten. Allein aus der Schilderung der Vorteile einer Absprache für einen Mandanten lässt sich weder der Schluss ziehen, dass es sich bei einem Strafbefehl nicht um eine „gerichtliche Entscheidung“ handelt, noch ergibt sich hieraus, dass generell eine Weitergabe an die Presse ausgeschlossen sein muss. Dies gilt unabhängig davon, ob die Absprache im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren oder vor oder während der Hauptverhandlung erfolgt. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht hierzu zutreffend ausgeführt, dass die im Strafbefehl im Wesentlichen enthaltenen Informationen, wie die verurteilte Person, begangene Straftaten und verhängte Strafe, ohnehin schon in der Öffentlichkeit bekannt sind.
39
4. Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren zeigt auch keine fehlerhafte Abwägung des Verwaltungsgerichts auf.
40
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass sich Grenzen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs dann ergeben können, wenn die Beantwortung einer Anfrage Grundrechte Dritter, etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, berührt (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 7.8.2006 – 7 BV 05.2582 – juris Rn. 48 m.w.N.). Stehen sich Grundrechtspositionen gegenüber, sind sie in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Es ist insbesondere abzuwägen, ob dem verfassungsrechtlich aufgrund der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) gewährleisteten Informationsinteresse des Antragstellers oder dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteresse des Beigeladenen (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.2018 – 7 C 5.17 – juris Rn. 29) der Vorzug zu geben ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2023 – 7 CE 23.27 – juris Rn. 13). Hiervon ausgehend ist das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls dem Informationsinteresse des Antragstellers der Vorzug gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Beigeladenen zukommt.
41
Der Beigeladene wendet gegen das Ergebnis der Abwägung im Wesentlichen ein, bei richtiger Abwägung hätte dem Persönlichkeitsrecht des Beigeladenen der Vorrang gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der Durchführung einer Recherche eingeräumt werden müssen. Es könne schon nicht sichergestellt werden, dass der Antragsteller nicht doch über den Strafbefehl berichten würde. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass die abgeurteilten Taten, das Strafmaß und die Rechtskraft des Strafbefehls bereits bekannt seien. Die „abgeurteilten Taten“ seien jedoch gerade im Einzelnen nicht bekannt. Das Verwaltungsgericht habe nicht in seine Abwägung mit einbezogen, dass der Beigeladene im Hinblick auf den zu berücksichtigenden Resozialisierungsgedanken ein Recht darauf habe, nicht unter Heranziehung von Inhalten des Strafbefehls Gegenstand einer öffentlichen Auseinandersetzung zu sein. Mit diesen Argumenten gelingt es dem Beigeladenen nicht, die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, dem auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gestützten Informations- bzw. Rechercheinteresse des Antragstellers sei der Vorrang vor den Belangen des Persönlichkeitsschutzes des Beigeladenen einzuräumen, zu erschüttern.
42
Bei einem presserechtlichen Auskunftsanspruch ist – in gleicher Weise wie bei Unterlassungsansprüchen gegen Presseveröffentlichungen – bei der Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit personenbezogener Daten danach zu unterscheiden, ob die Intim-, die Privat- oder die Sozialsphäre betroffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.2018 – 7 C 5.17 – juris Rn. 33). In Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dient diese Unterscheidung als Orientierungspunkt für die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der diese Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe (BVerfG, U.v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 – BVerfGE 65,1, 45). Eingriffe in die Sozialsphäre sind unter erleichterten Voraussetzungen zulässig, so dass der Persönlichkeitsschutz weniger weit reicht als in den Fällen der Betroffenheit der Intim- und Privatsphäre (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.2018 – 7 C 5.17 – juris Rn. 33).
43
Der streitbefangene Strafbefehl des Amtsgerichts Erding vom 4. November 2022 als Ergebnis des gegen den Beigeladenen durchgeführten Strafverfahrens ist der Sozialsphäre zuzurechnen. Diese umfasst die gesamte Teilnahme am öffentlichen Leben, also die Gegebenheiten, in denen der Einzelne in Kontakt mit anderen tritt (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.2018 – 7 C 5.17 – juris Rn. 34). Ausweislich der Angaben des Antragsgegners in der E-Mail an den Antragsteller vom 2. Dezember 2022 betrafen die im Strafbefehl abgeurteilten Straftaten die geschäftliche Tätigkeit des Beigeladenen und damit dessen geschäftliche Beziehungen zu Dritten. Der Strafbefehl hatte also Gegebenheiten zum Gegenstand, durch die der Beigeladene in Kontakt mit anderen getreten ist.
44
Auch wenn öffentliche Stellen im Zusammenhang mit dem strafwürdigen Verhalten des Beigeladenen bislang selbst nicht unmittelbar in den Fokus gelangt sind, spricht viel dafür, dass die Angaben im Strafbefehl einen gesteigerten Öffentlichkeitsbezug haben. Denn der Beigeladene hat nach unwidersprochenem Vortrag des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren als (ehemaliger) Geschäftsführer die Umsätze der W* … Umwelt GmbH im Wesentlichen durch Geschäftsbeziehungen mit der öffentlichen Hand erwirtschaftet. Die W* … Umwelt GmbH war und ist bei einer Vielzahl von Landkreisen u.a. mit der Abfallbeseitigung befasst. Damit ist es – auch unter Berücksichtigung der zuvor zitierten aktuellen Presseberichte – weder ausgeschlossen, dass bei dem sanktionierten Geschäftsgebaren des Beigeladenen die Verwendung von öffentlichen Geldern – unabhängig von deren Rechtsnatur als Steuergelder oder Gebühren – tangiert ist noch sind mögliche Versäumnisse von Umweltbehörden gänzlich fernliegend. Da durchaus die Möglichkeit besteht, dass durch die Kenntnis der dem Strafbefehl zugrundeliegenden Lebenssachverhalte Folgerungen für die gegenwärtigen und künftigen Geschäftsbeziehungen der W* … Umwelt GmbH zu ihren kommunalen Kunden gezogen werden können, steht der Einwand des Beigeladenen, der Strafbefehl sei rechtskräftig, der finanzielle Beitrag sei geleistet, er führe keine operativen Tätigkeiten mehr aus und halte sich in jeder Hinsicht an die Vorgaben des Strafbefehls, dessen Herausgabe nicht entgegen. Zudem geht es dem Antragsteller nach seinem Vorbringen gerade nicht darum, ausschließlich das Verhalten des Beigeladenen erneut zu thematisieren. Er erhofft sich vielmehr mittels des Strafbefehls Erkenntnisse dazu, ob behördliches Versagen vorliegt bzw. es Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung öffentlicher Gelder gegeben hat. Damit will er in erster Linie der Kontrollfunktion der Presse nachkommen.
45
In einem solchen Fall überwiegt das Informationsinteresse der Öffentlichkeit den Schutz der Privatsphäre des Beigeladenen, zumal von der grundsätzlichen Zugänglichkeit von Gerichtsentscheidungen die allgemeinen gesetzlichen wie verfassungsrechtlichen Anforderungen an den weiteren Umgang der Medien mit den Entscheidungen unberührt bleiben. Äußerungen und Publikationen können, wie etwa nach den Grundsätzen zur Verdachtsberichterstattung oder zur Zurückhaltung bei Berichten über zurückliegende Straftaten, die die Resozialisierung von Straftätern beeinträchtigen, Grenzen unterliegen. Die Medien haben insoweit gesteigerte Sorgfaltspflichten zu beachten. Die Verantwortung für die Beachtung dieser Pflichten liegt dabei grundsätzlich bei den Medien selbst. Diese Sorgfaltspflichten können nicht schon generell zum Maßstab für das Zugänglichmachen der gerichtlichen Entscheidungen seitens der Gerichtsverwaltung gemacht werden (vgl. BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 22 m.w.N.).
46
Die Berufung des Beigeladenen auf den Resozialisierungsgedanken kann zudem schon deshalb nicht entscheidend zum Tragen kommen, weil die Resozialisierung nach allgemeiner Auffassung als das herausragende Ziel namentlich des Vollzugs von Freiheitsstrafen angesehen wird (vgl. BVerfG, U.v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72 – NJW 1973, 1227/1231). Die Vollstreckung der im Strafbefehl verhängten Freiheitsstrafe ist jedenfalls derzeit zur Bewährung ausgesetzt. Ein Recht des Beigeladenen, nicht weiterhin „Gegenstand einer öffentlichen Auseinandersetzung“ zu werden, ist in Anbetracht der vom Strafbefehl erfassten Straftaten, die aufgrund der Tätigkeit der Firma des Beigeladenen im Bereich der Abfallentsorgung gerade auch Interessen der Allgemeinheit berühren, nicht ersichtlich.
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Der Verweis des Beigeladenen auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 20. Juli 2022 – 203 VAs 139/22 – (BeckRS 2022, 45997), wonach einem Dritten kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf die Veröffentlichung strafgerichtlichen Entscheidungen zusteht, ist nicht zielführend. Der dortige Antragsteller kann sich nicht auf Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayPrG berufen, weil er die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 BayPrG nicht erfüllt und andere Rechtsgrundlagen für den geltend gemachten Anspruch verneint wurden.
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Soweit sich der Beigeladene darauf beruft, das Verwaltungsgericht habe versäumt, das Unternehmensrecht des Beigeladenen zu 2) zu würdigen, übersieht er, dass die W* … GmbH nicht zum Verfahren beigeladen ist. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2022 hat das Verwaltungsgericht Herrn … W* … unter der Adresse W* … Umwelt GmbH, … …, … E* … beigeladen. Der Formulierung des Beschlusses ist eindeutig zu entnehmen, dass es sich dabei nur um einen Beigeladenen handelt. Weitere Beiladungsbeschlüsse sind nicht vorhanden. Ob und inwieweit sich der Beigeladene selbst auf Art. 14 Abs. 1 GG berufen kann, trägt er nicht vor.
49
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
50
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).