Titel:
Unzulässige vorverurteilende identifizierende Berichterstattung
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1
EMRK Art. 6 Abs. 2
KUG §§ 22, 23
Leitsatz:
Eine identifizierende Berichterstattung während eines erstinstanzlich nicht abgeschlossenen Strafverfahrens ist unzulässig, wenn die Beteiligung an den vorgeworfenen Taten bereits als sicher hingestellt wird. Dies gilt auch, wenn ein Geständnis vorliegt. (Rn. 44 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verteidiger, Staatsanwaltschaft, Berichterstattung, Bildnis, Unterlassung, Bildberichterstattung, Haftbefehl, Meinungsfreiheit, Tatverdacht, Anlage, Wortberichterstattung, Verdachtsberichterstattung, Marktmanipulation, Insolvenz, berechtigtes Interesse, Gelegenheit zur Stellungnahme, Beklagten Unterlassung
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 8183
Tenor
1. Der Beklagten wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, untersagt,
a. über den Kläger im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen seine Person unter Angabe seines Namens und unter Verwendung seines Bildnisses identifizierend zu berichten und/oder berichten zu lassen,
wenn dies jeweils geschieht wie in dem unter der URL
veröffentlichten Artikel „Das ist der Mann, der im … auspackt“, der als Anlage K 1 beigefügt ist,
veröffentlichen Video-Beitrag „Das ist … der als Anlage K 2 beigefügt ist,
b. die nachfolgenden Bildnisse des Klägers ohne dessen Einwilligung zu verbreiten und/oder öffentlich zur Schau zu stellen:
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Nennung seines Namens und die Veröffentlichung zweier Bildnisse seiner Person in einem Online-Pressebericht und in einem Online-Videobeitrag.
2
Der Kläger leitete die … mit Sitz in … die eine zentrale Rolle im …spielt.
3
Die Staatsanwaltschaft … ging ausweislich ihrer Presseerklärung vom 22.07.2020 (Anlage B4) davon aus, dass die Beschuldigten - zu denen auch der Kläger zählt - im Jahr 2015 übereingekommen seien, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der … durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sog …aufzublähen. Dabei sollen angeblich vorhandene Vermögenswerte in Höhe von zuletzt 1,9 Milliarden Euro in Wahrheit nicht existiert haben. Durch falsche Jahresabschlüsse getäuschte Investoren und Banken sollen deshalb Gelder in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt haben, die angesichts der Insolvenz der … höchstwahrscheinlich verloren seien. 1,1 Milliarden Euro der nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft … I „erfundenen“ Bilanzsumme in Höhe von 1,9 Milliarden Euro entfielen auf die vom Verfügungskläger geleitete …
4
Der Kläger stellte sich am 06.07.2020 freiwillig den Behörden und bot den Ermittlern seine Kooperationen an. Er möchte sich seiner individuellen Verantwortung stellen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft in einer … Justizvollzugsanstalt.
5
Die Beklagte ist verantwortlich für die Webseite … und die … Am 21.07.2020 wandte sich ein Redakteur der Beklagten an den Strafverteidiger des Klägers und übersandte ihm ein Bildnis, das den Antragsteller zeigt. Er erkundigte sich bei dem Verteidiger des Klägers, ob es sich dabei um den Kläger handle. Der Verteidiger des Klägers antwortete darauf hin, dass er dies nicht kommentiere. Mit E-Mail vom 24.07.2020, 13:12 Uhr (Anlage K4), richtete sich ein weiterer … der Beklagten an den Strafverteidiger des Klägers, kündigte die unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung des Bildnisses an und bat um Stellungnahme bis 17:00 Uhr. Der anwaltliche Vertreter des Verfügungsklägers antwortete hierauf mit E-Mail vom gleichen Tage um 16:43 Uhr (Anlage K5).
6
Am 24.07.2020 veröffentlichte die Beklagte unter der URL … einen Video-Beitrag. Darin heißt es:
…sah nie aus wie der Strippenzieher einer kriminellen Bande, die Milliarden verschwinden lässt. Dennoch, der ehemalige Banker und Prokurist ist die Schlüsselfigur im … Seit Anfang Juli sitzt er im Knast in … plaudert offenbar immer neue Details über die … aus. Und schaffte es, dass sein Ex-Chef … wieder hinter Gittern sitzt. Neuer Vorwurf gegen …nd andere: gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue und Marktmanipulation - und das schon seit 2015!
Mittendrin im dubiosen Milliarden-Poker mit Kreditkarten: … Er begann seine Karriere 2003 bei der … in … kam dann als … über die … (ab 2005) zu … erhielt bis 2013 … über die …
Danach verliert sich seine Spur im fernen … Dort übernahm … die … In … verwischte der medienscheue Finanzjongleur alle Spuren im Netz: keine Fotos, kein „StayFriends“, von Facebook und Twitter sind alle Einträge gelöscht.
In … trat… umso protziger auf, fuhr im schneeweißen … (Neupreis 180.000 Euro) durch den …residierte im weltweit größten Gebäude, dem …
Schon in der Konzern-Zentrale bei … fiel Kollegen … Hang zu schnellen Autos auf: Mit dem inzwischen flüchtigen …verabredete er sich zu Autorennen. Aber … stand immer im … von … und …ersuchte, seinen Look mit piekfeinen Anzügen und Krawatten aufzupeppen.
In …ef offiziell alles prächtig. Die … zuletzt ein sattes Drittel des angeblichen Welt-Umsatzes für den … - und sogar 60 % des weltweiten Gewinns.
7
Inzwischen sind die Ermittler sicher: …erabredete sich mit den … und … spätestens 2015 dazu, die Bilanzen durch Scheingeschäfte aufzublasen. Die liefen dann zu weiten Teilen über … Büro in …
Für Einzelheiten des Videobeitrags wird auf Anlage K2 verwiesen.
8
Am selben Abend veröffentlichte die Beklagte einen nahezu wortgleichen Artikel unter der URL …
9
Wörtlich heißt es in dem Online-Beitrag unter anderem:
„Verlegenes Grinsen, schütteres Haar (schon mit Anfang 30) - … sah nie aus wie der Strippenzieher einer kriminellen Bande, die Milliarden verschwinden lässt.
Dennoch, der ehemalige … ist die Schlüsselfigur im … Seit … sitzt er im Knast in … plaudert offenbar immer neue Details über die … aus. Und schaffte es, dass sein …wieder hinter Gittern sitzt. Neuer Vorwurf gegen … und andere: gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue und Marktmanipulation - und das schon seit 2015!
Mittendrin im dubiosen Milliarden-Poker mit Kreditkarten: … Er begann seine Karriere 2003 bei der … in … kam dann als Prokurist über die … (ab 2005) zu … erhielt bis 2013 … über die …
Danach verliert sich seine Spur im fernen … Dort übernahm … In …verwischte der medienscheue Finanzjongleur alle Spuren im Netz: keine Fotos, kein „StayFriends“, von Facebook und Twitter sind alle Einträge gelöscht.
In …rat … umso protziger auf, fuhr im schneeweißen … (Neupreis 180.000 Euro) durch den … residierte im weltweit größten Gebäude, dem …
Schon in der Konzern-Zentrale bei … fiel Kollegen … Hang zu schnellen Autos auf: Mit dem inzwischen flüchtigen … verabredete er sich laut Zeugen zu Autorennen. … im … im … „Da ging’s zu wie beim Autotuner, die redeten nur über Frauen und ihre Karren.“ erinnert sich ein Geschäftspartner. „Aber … stand immer im Schatten von … versuchte, seinen Look mit piekfeinen Anzügen und Krawatten aufzupeppen.
Das gelang … offenbar auch bei der … Zuletzt „erwirtschaftete“ das Unternehmen in … ein sattes Drittel des angeblichen Welt-Umsatzes für den … - und sogar 60 % des weltweiten Gewinns (laut …knapp 400 Millionen EUR).
Inzwischen sind die Ermittler sicher: …verabredete sich mit seinen … und … spätestens 2015 dazu, die Bilanzen durch Scheingeschäfte aufzublasen. Angeblicher Schaden: 3,2 Milliarden €!
… Anwalt antwortete auf BILD-Anfrage gestern nicht.
In der vergangenen Woche erklärte er: „Mein Mandant hat sich freiwillig dem Verfahren gestellt und steht - im Gegensatz zu anderen - zu seiner individuellen Verantwortung.“
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Für die weiteren Einzelheiten des Beitrags wird auf Anlage K1 verwiesen.
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Außerdem finden sich in den Beiträgen folgende Bildnisse des Klägers (Beitrag „Das ist der Mann, der im … auspackt“:
Bildnis 1 und 2; Video-Beitrag „Das ist Kronzeuge … Bildnis 1):
12
In dem Verfahren bei dem Landgericht München I, Az. 9 O 9467/20, beantragte der (hiesige) Kläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Diese erging mit Beschluss vom 27.07.2020 und wurde mit Endurteil vom 09.09.2020 bestätigt. Die hiergegen eingelegte Berufung der dortigen Verfügungsbeklagten wurde mit Beschluss des OLG München vom 07.04.2021, Az. 18 U 5576/20 Pre, zurückgewiesen.
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Die Beklagte forderte den Kläger zur Erhebung der Klage nach § 926 ZPO auf.
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Der Kläger trägt vor, dass er die Öffentlichkeit stets gemieden habe. Er werde in der Berichterstattung der Beklagten erstmals der Öffentlichkeit vorgeführt; er habe sich bewusst niemals mit einem Bild in die Öffentlichkeit begeben.
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Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung würden in mehrfacher Hinsicht missachtet. Zu dem Video-Beitrag sei der Kläger nicht hinreichend angehört worden. In den streitgegenständlichen Beiträgen finde sich keine hinreichende Stellungnahme des Klägers. Hätte die Beklagte den anwaltlichen Vertreter des Klägers - auf dessen Email vom 24.07.2020 - mit konkreten Fragen konfrontiert, hätten diese mitgeteilt, dass die wesentlichen Vorwürfe unzutreffend seien und bestritten würden. Dem Kläger sei auch keine ausreichende zeitliche Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
16
Seriöse Medien wie die … oder die … würden über den Vorgang nicht unter namentlicher Nennung des Klägers berichten und erst recht kein Bildnis veröffentlichen.
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Die Berichterstattung sei rechtswidrig, weil die Beklagte unter voller Identifizierbarmachung im denkbar frühesten Verfahrensstadium berichte und damit die Unschuldsvermutung missachte. Die Beklagte habe den Kläger maximal identifiziert. Zudem sei von Relevanz, dass es sich bei dem Kläger nicht um einen bekannten Politiker oder Abgeordneten des Landtags, sondern um einen Unternehmer handle. Bei einer identifizierenden Berichterstattung über einen Straftatverdacht werde - wie es die Rechtsprechung und insbesondere das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof forderten - allgemein Zurückhaltung angemahnt. Die Bezeichnung des Klägers als „Schlüsselfigur“ erwecke den Eindruck, als sei der Kläger seiner Taten bereits überführt. Dies gelte im vorliegenden Fall wegen der Gefährdung des Klägers als Kronzeuge erst recht. Die Bildnisveröffentlichung gefährde auch seine Angehörigen.
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Zudem mangle es an einem Mindestbestand an Beweistatsachen für verschiedene Vorwürfe.
19
Die Beklagte habe § 22 KUG missachtet, indem sie Bildnisse des Klägers ohne dessen Einwilligung publiziert habe.
1. Der Beklagten wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, untersagt,
a. über den Kläger im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen seine Person unter Angabe seines Namens und unter Verwendung seines Bildnisses identifizierend zu berichten und/oder berichten zu lassen,
wenn dies jeweils geschieht wie in dem unter der URL
… veröffentlichten Artikel „Das ist der Mann, der im … der als Anlage K 1 beigefügt ist,
… veröffentlichen Video-Beitrag „Das ist Kronzeuge … der als Anlage K 2 beigefügt ist,
b. die nachfolgenden Bildnisse des Klägers ohne dessen Einwilligung zu verbreiten und/oder öffentlich zur Schau zu stellen:
… wenn dies jeweils geschieht wie in den Beiträgen „Das ist der Mann, der im … auspackt“ (Anlage K1, Bildnis 1 und 2) bzw. „Das ist Kronzeuge… (Anlage K2, Bildnis 1).
21
Die Beklagte beantragt,
22
Die Beklagte trägt vor, dass der Kläger entgegen seiner Behauptung, die Öffentlichkeit stets gemieden zu haben, im Rahmen seiner Tätigkeit für …bereits vor der Berichterstattung der Beklagten mit seinem vollen Namen und Foto werbend in die Öffentlichkeit getreten sei (vgl. Anlage B2).
23
Entscheidend sei der dringende Tatverdacht gegen den Kläger, seine zentrale Rolle im … und das überragende Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Der Unschuldsvermutung könne in Anbetracht der vorliegenden gewichtigen Beweistatsachen (Leiter der Gesellschaft, auf deren Konten 1,1 Milliarden Euro nicht existierten; Untersuchungshaft; geständige Aussage als Kronzeuge, die zur Verhaftung dreier … in der Abwägung deshalb kein maßgebliches Gewicht mehr zukommen.
24
Zu den in der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft … enthaltenen Angaben - insoweit handle es sich um eine privilegierte Quelle - müsse die Beklagte dem Kläger keine Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, als der Strafverteidiger des Klägers klargestellt habe, dass sich der Kläger nicht zu den Vorwürfen einlassen werde.
25
Auf die angebliche Gefährdung des Klägers und seiner Familie komme es nicht an; selbst wenn eine solche bestünde, überwöge das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
26
Der Kläger sei auf den Fotos allenfalls für einen Personenkreis erkennbar, der ihn ohnehin gut kenne. Die Fotos seien zudem zeithistorische Belege des bei …vorherrschenden Zeitgeists, der ab 2015 in dem größten Bilanzbetrug der deutschen Geschichte gegipfelt sei. Die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, sie zu sehen. Die im Rahmen des abgestuften Schutzkonzepts nach § 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 KUG vorzunehmende Abwägung müsse zugunsten der Beklagten ausgehen.
27
Die Berichterstattung sei von Anfang an rechtmäßig gewesen. Jedenfalls sei die Wiederholungsgefahr entfallen, nachdem der Kläger viele der identifzierenden Vorveröffentlichungen bis heute unbeanstandet gelassen habe und er zudem im Untersuchungsausschuss des Bundestages angehört worden sei, worüber wiederum identifizierend berichtet worden sei.
28
Überdies fehle es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für den Klageantrag zu Ziff. 1 b.
29
Für die weiteren Einzelheiten des Sachstands und des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
30
Die Klage ist zulässig und begründet.
31
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Berichterstattung unter Nennung seines Namens gemäß §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG und auf Unterlassung der ihn identifizierenden Bildberichterstattung und der Verbreitung oder Zur-Schau-Stellung seiner Bildnisse im Kontext mit dem streitgegenständlichen Online- und Videobeitrag gemäß §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG.
32
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt zwar nicht vor personenbezogenen Berichten schlechthin, sondern vielmehr ist eine Wortberichterstattung grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfG v. 08.12.2011 - Az. 1 BvR 927/08 - Rz. 19; alle Zitate im Folgenden, soweit nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank). Denn der gleichfalls grundgesetzlich - nämlich durch Art. 5 Abs. 1 GG - garantierte Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit erlaubt es der Presse, innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach publizistischen Kriterien darüber zu entscheiden, was sie im öffentlichen Interesse für berichtenswert hält (BGH v. 11.03.2009 - Az. I ZR 8/07 - Rz. 14).
33
Dabei ist stets eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und dem gleichfalls in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit andererseits vorzunehmen (BVerfG v. 14.02.1973 - Az. 1 BvR 112/65 - Rz. 28; BVerfG v. 08.12.2011 - Az. 1 BvR 927/08 - Rz. 18; BGH v. 15.11.1994 - Az. VI ZR 56/94 - Rz. 64).
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2. Während sich der Kläger auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung/das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen kann, streitet für die Beklagte das Recht auf freie Berichterstattung und Meinungsäußerung, wie es durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vermittelt wird. Dazu gehört grundsätzlich zunächst einmal das Recht, über wirtschaftliche Verhältnisse und die personellen und wirtschaftlichen Verflechtungen von Personen und Unternehmen zu berichten. Dazu gehört aber - weitergehend - auch das Recht, innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach publizistischen Kriterien selbst darüber zu entscheiden, was sie im öffentlichen Interesse für berichtenswert hält (vgl. BGH v. 11.03.2009 - I ZR 8/07 - Rz. 14).
35
Maßgeblich ist daher die für den konkreten Fall vorzunehmende Güterabwägung zwischen dem Recht des Klägers einerseits und dem Recht der Beklagten andererseits. In diese Abwägung sind die soziale Stellung und die Intensität des Eindringens in die Privatsphäre, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sowie das öffentliche Informationsinteresse einzustellen.
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3. Dabei ist im vorliegenden Fall noch zu differenzieren zwischen der identifizierenden Berichterstattung mittels Namensnennung einerseits (siehe im Folgenden unter Ziffer 3.1) und der streitgegenständlichen Bildberichterstattung andererseits, für die nach der Systematik der §§ 22, 23 KUG noch strengere Anforderungen gelten (siehe hierzu unten unter Ziffer 4.).
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3.1. Für ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit spricht zunächst insbesondere der Umstand, dass der Kläger bei einer Tochter der Firma …eine hervorgehobene Position bekleidete. Er war bis 2013 …bei der … und leitete dort die … welche nach Angaben von ... für ein Drittel des angeblichen weltweiten Umsatzes und für 60 % des weltweiten Gewinns verantwortlich war, der laut … knapp 400 Millionen Euro betrug. Für ein überwiegendes Informationsinteresse streitet auch der Umstand, dass der dringende Verdacht besteht, dass 1,9 Milliarden € aus der …ie existiert haben, wovon ein maßgeblicher Betrag auf die von dem Verfügungskläger geleitete …entfällt. Es handelt sich um den Verdacht besonders gravierender Delinquenz von Verantwortlichen eines … die zu einer außerordentlich immensen Schadenssumme geführt haben.
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Die Beantragung und der Erlass eines Untersuchungshaftbefehles zeigen zudem, dass die Strafverfolgungsbehörden einen dringenden Tatverdacht gegen den Kläger bejaht haben. Dabei lautet der Haftbefehl unter anderem auf „den dringenden Tatverdacht des gemeinschaftlichen Betrugs und versuchten gemeinschaftlichen Betrugs jeweils im besonders schweren Fall sowie den Verdacht der Beihilfe zu anderen Straftaten“. Für eine Verantwortlichkeit des Klägers spricht auch der Umstand, dass sein Strafverteidiger öffentlich erklärt hat, dass der Kläger sich seiner individuellen Verantwortung stellen wolle. Dieser musste sich zudem der Öffentlichkeit bereits im Rahmen seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des …stellen.
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3.2. Dem steht gegenüber, dass gegen den Kläger zum - für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen - Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung keine Anklage erhoben wurde, das Strafverfahren mithin noch (lange) nicht (rechtskräftig) abgeschlossen war und ist.
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In seiner Entscheidung vom 16.02.2016 (BGH NJW-RR 2017, 31) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt:
„Diese Grundsätze gelten auch für die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten. In diesem Verfahrensstadium steht lediglich fest, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, in der Regel ist aber nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen (Senat, NJW 2013, 229 Rn. 12; GRUR 2013, 200 Rn. 11; BVerfG, NJW 2012, 1500 = AfP 2012, 143 Rn. 39 jew. m.w.N.). Dies gilt auch für die Berichterstattung über eine Straftat, da diese zum Zeitgeschehen gehört und die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter begründen kann (vgl. Senat, BGHZ 143, 199 [204] = NJW 2000, 1036; BGHZ 183, 353 = NJW 2010, 757 Rn. 14; BGHZ 190, 52 = NJW 2011, 3153 Rn. 19; NJW 2013, 229 Rn. 13; BVerfG, NJW 2009, 350 = AfP 2009, 46 Rn. 11; NJW 2009, 3357 = AfP 2009, 365 Rn. 18; EGMR, EuGRZ 2012, 294 Rn. 96 jew. m.w.N.). Besteht allerdings - wie im Ermittlungsverfahren - erst der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet (vgl. Senat, BGHZ 132, 13 [24] = NJW 1996, 1131; BGHZ 143, 199 [203] = NJW 2000, 1036; BGHZ 199, 237 = NJW 2014, 2029 Rn. 28 m.w.N.). Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 II EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“ (Senat, BGHZ 143, 199 [203] = NJW 2000, 1036; NJW 2013, 229 Rn. 14 jew. m.w.N.; vgl. auch BVerfG, NJW 2009, 350 = AfP 2009, 46 Rn. 15).
Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. Senat, BGHZ 143, 199 [203 f.] = NJW 2000, 1036 m.w.N.; BGHZ 199, 237 = NJW 2014, 2029 Rn. 26; BGHZ 203, 239 = NJW 2015, 778 Rn. 16 m.w.N.; vgl. auch BVerfGK 9, 317 [322]).“
41
Erst mit der Rechtskraft des Strafurteils entfällt die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung (siehe nur BGH NJW 2020, 45).
42
Gemessen an diesen Grundsätzen waren die streitgegenständlichen identifizierenden Verdachtsberichterstattung unzulässig.
43
Wie bereits vom Oberlandesgericht München in dem Verfügungsverfahren Az. 18 U 5576/20 Pre (9 O 9467/20 LG München I) mit Beschluss vom 03.02.2021 ausgeführt, handelt es sich insoweit um eine vorverurteilende, nicht ausgewogene Berichterstattung, sodass die Schutzinteressen des Klägers überwiegen und eine namentliche Nennung seiner Person nicht hinzunehmen ist.
44
Durch die Darstellung des Klägers in den angegriffenen Beiträgen wird dessen Beteiligung an den ihm vorgeworfenen Taten bereits als sicher hingestellt und insbesondere durch die Formulierungen „Strippenzieher einer kriminellen Bande, die Milliarden verschwinden lässt“, „Schlüsselfigur“ und derjenige, der „sich mit seinen Chefs zur Begehung von Straftaten verabredet“ hat, der Eindruck erweckt, es handle sich bei dem Kläger um den eigentlichen Haupttäter bzw. Initiator des Betrugsgeschehens. Dass sich das Verfahren zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch im Ermittlungsstadium befand, wird nicht hinreichend deutlich; allenfalls könnte sich dies für den kundigen Leser bzw. Zuschauer aus dem Wort „Ermittler“ ergeben, welches jedoch erst ganz am Ende der Beiträge auftaucht und mit der Formulierung „Inzwischen sind sich die Ermittler sicher“ den Eindruck suggeriert, als stehe das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens bereits fest.
45
Die Berichterstattung kann, wie das Oberlandesgericht München in dem genannten Beschluss ausführt, auch nicht mit einem Geständnis des Klägers - ein solches wurde in diesem Verfahren klägerseits nicht in Abrede gestellt - gerechtfertigt werden, zumal ein solches nur dazu führt, dass die Unschuldsvermutung der Berichterstattung ggfs. nur noch in eingeschränktem Maße, nicht aber überhaupt nicht mehr entgegen gehalten werden könnte. Dies gilt auch für die von der Beklagtenseite zitierte Äußerung des Klägers im Untersuchungsausschuss des Bundestages, dass die zur Aufklärung anstehende Angelegenheit „ein Riesen-Desaster“ sei, das „sich durch nichts beschönigen“ lasse.
46
Der Umstand, dass der Kläger im Untersuchungsausschuss angehört wurde, lässt auch nicht die Wiederholungsgefahr entfallen. Zum einen handelt es sich hierbei nicht um ein Geständnis. Zum anderen entfällt die Wiederholungsgefahr nur ausnahmsweise, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Prüfung des Unterlassungsanspruchs hinsichtlich einer ihn identifizierenden Wort- und Bildberichterstattung über ein Ermittlungsverfahren wegen der Straftat bereits rechtskräftig verurteilt ist (BGH, VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196).
47
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf die … (Anlage B2) vorträgt, dass der Kläger bereits vor der Berichterstattung mit seinem vollen Namen und seinem Foto werbend in die Öffentlichkeit getreten sei, ist - wie auch das Oberlandesgericht München in seinem Beschluss vom 07.04.2021, Az. 18 U 5576/20 Pre, darlegt - auszuführen, dass hierdurch noch keine nennenswerte Selbstöffnung gegenüber den Medien bzw. der Öffentlichkeit angenommen werden kann.
48
Ob darüber hinaus angesichts einer knappen Fristsetzung im Rahmen der dem Kläger seitens der Beklagten vor Veröffentlichung des streitgegenständlichen Artikels eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme auch noch ein Verstoß der Beklagten gegen die Grundsätze der sog. Verdachtsberichterstattung (vgl. dazu z.B. BGH NJW 1996, 1131, 1134) zu beklagen ist, kann somit dahinstehen
49
4. Ebenso steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der Bildberichterstattung zu. Denn was für die Nennung des Namens gilt, muss im Hinblick auf die Systematik der §§ 22, 23 KUG erst recht für die angegriffenen Bildveröffentlichungen gelten, da insoweit die Rechtswidrigkeit indiziert wird.
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Eine Einwilligung des Klägers i.S.d. § 22 KUG liegt nicht vor. Aus den oben dargelegten Gründen, die insoweit entsprechend gelten, kann hier auch nicht von einem Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ausgegangen werden, dessen Verbreitung kein berechtigtes Interesse des Klägers i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG verletzt. Weder eine (teil-)geständige Einlassung oder der Umstand, dass der Verfügungskläger sich einer Verhandlung in der Öffentlichkeit (vor Gericht oder in einem Untersuchungsausschuss) stellen muss, noch eine nicht rechtskräftige erstinstanzliche Verurteilung lassen die für ihn streitende Unschuldsvermutung entfallen. Jedenfalls bei dem vorliegend zu berücksichtigenden Sach- und Streitstand - unter Berücksichtigung insbesondere der Tatsache, dass gegen den Kläger zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal Anklage erhoben wurde, geschweige denn ein zumindest erstinstanzliches Urteil ergangen ist - überwiegt jedenfalls derzeit noch das Recht des Klägers auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer Veröffentlichung einer identifizierender Abbildung in der Presse.
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Es fehlt auch nicht an einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis des Klägers bezogen auf den Antrag Ziff. 1b. Es handelt sich hierbei um einen anderen Streitgegenstand als der mit Ziff. 1a. verfolgte Antrag.
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5. Somit steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen identifizierenden Text- und Bildberichterstattung zu.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO.