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OLG München, Hinweisbeschluss v. 09.09.2022 – 18 U 4534/22 Pre
Titel:

Bildberichterstattung, Verdachtsberichterstattung, Abgestuftes Schutzkonzept, Unschuldsvermutung, Untersuchungshaft, Wortberichterstattung, Berufungsrücknahme, Strafrechtliche Ermittlungen, Landgerichte, Berichterstattung über Straftaten, Berechtigtes Interesse, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Widerstreitende Interessen, Aussicht auf Erfolg, Teilgeständnis, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Verfahrensabschnitte, Abwägungskriterien, Entscheidungserhebliche Tatsachen, Gerichtskostengesetz

Schlagworte:
Berufungsaussichtslosigkeit, Persönlichkeitsrecht, Verdachtsberichterstattung, Bildberichterstattung, Unschuldsvermutung, Interessenabwägung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 27.07.2022 – 9 O 10210/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 03.11.2022 – 18 U 4534/22 Pre
BGH Karlsruhe, Urteil vom 27.05.2025 – VI ZR 337/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 61260

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.07.2022, Az. 9 O 10210/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung der Beklagten offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat der Beklagten im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger zu Recht untersagt, auf die geschehene Weise dessen Bildnis zu veröffentlichen, zu verbreiten oder veröffentlichen oder verbreiten zu lassen, weil die streitgegenständliche Bildberichterstattung auch im gegenwärtigen Zeitpunkt rechtlich unzulässig ist.
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Die sich auf rechtliche Erwägungen beschränkende Berufungsbegründung zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen.
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1. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die vom Ausgangsgericht zutreffend wiedergegebenen rechtlichen Voraussetzungen für eine zulässige Berichterstattung über Straftaten des von der Äußerung Betroffenen, hinsichtlich derer eine Klärung, ob er sie begangen hat, etwa durch rechtskräftige Verurteilung noch nicht erfolgt ist, nicht lediglich im strafprozessualen Stadium des Ermittlungsverfahrens Bedeutung haben. Vielmehr gelten diese Maßstäbe im Grundsatz für die Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren (vgl. BGH, Urteil v. 31.5.2022 – VI ZR 95/21, Rn. 23; Urteil v. 22.2.2022 – VI ZR 1175/20, Rn. 28) und somit auch in den späteren Verfahrensabschnitten des Zwischen- und Hauptverfahrens. Es hätte daher nahe gelegen, das tenorierte Unterlassungsgebot nicht auf den Zusammenhang mit einer Berichterstattung über strafrechtliche Ermittlungen gegen den Kläger zu beziehen. Dies erscheint jedoch letztlich unschädlich, da allgemein ersichtlich ist, dass mit der gebrauchten Formulierung die Berichterstattung über die betreffenden Strafvorwürfe und nicht nur über einzelne auch in späteren Verfahrensabschnitten grundsätzlich noch zulässige Ermittlungsmaßnahmen gemeint ist.
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2. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit einer Bildberichterstattung nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann es nicht dahinstehen, ob für eine Bildveröffentlichung bei einer Verdachtsberichterstattung noch strengere Maßstäbe anzulegen sind als bei einer Namensnennung im Sinne einer identifizierenden Wortberichterstattung, und trifft es auch nicht zu, dass die Abwägungskriterien schlicht dieselben wären. Insofern ist anerkannt, dass der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinsichtlich der Veröffentlichung von Bildern einerseits und der Berichterstattung durch Wortbeiträge andererseits verschieden weit reicht (BVerfG, Beschluss v. 8.12.2011 – 1 BvR 927/08, Rn. 19). Die Zulässigkeit einer Bildberichterstattung richtet sich nicht nach denselben Maßstäben wie die einer Textberichterstattung, sondern ist nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nach § 23 Abs. 2 KUG nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (vgl. hierzu und im folgenden BGH, Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 249/18, AfP 2020, 143, Rn. 39 m.w.N.). Dass die Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte für Wort- und Bildberichterstattung durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, zeigt etwa die zuletzt genannte Entscheidung des BGH.
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3. Die Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls hat das Landgericht unter weitgehender Heranziehung der vom Senat in seinem Urteil v. 7.6.2022 – 18 U 2993/22 Pre angestellten Erwägungen zutreffend vorgenommen. Neue tatsächliche Umstände, die sich auf das Ergebnis der Abwägung auswirken könnten, zeigt die Beklagte weder auf noch sind diese sonst ersichtlich.
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a) Der Senat hat auf den Seiten 9 f seines Urteils v. 7.6.2022 die vom BVerfG, BGH und Obergerichten aufgestellten Voraussetzungen für eine zulässige identifizierende Bildberichterstattung über Straftaten wie folgt zusammengefasst:
„Bei einer identifizierenden Bildberichterstattung über eine Straftat ist zu berücksichtigen, dass eine solche Berichterstattung in das Recht des Abgebildeten auf Schutz seiner Person eingreift, weil sie sein Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert. Andererseits gehört eine Straftat zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Bei der rechtlichen Prüfung der Bildberichterstattung ist in die Abwägung einzustellen, dass die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter begründen. Bei Straftaten besteht häufig ein legitimes Interesse an der Bildberichterstattung über den Täter, weil sie oft durch die Persönlichkeit des Täters geprägt sind und Bilder unmittelbar über die Person und des Täters informieren können. Auch hier kommt es maßgeblich auf die Bedeutung der Straftat für die Öffentlichkeit an, die sich aus der Schwere oder Art der Tat, den Besonderheiten des Tathergangs oder der Person oder Stellung des Täters ergeben kann (vgl. BGH a.a.O., Rn. 44).
Handelt es sich um ein noch laufendes Ermittlungsverfahren, so ist im Rahmen der Abwägung auch die zugunsten des Betroffenen streitende, aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.06.2009 – 1 BvR 1107/09, AfP 2009, 365, Rn. 20). Bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch wird insoweit oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Berichterstattung über den Angeklagten eines Strafverfahrens kann allerdings dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Betreffende nicht – beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht – auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann, etwa wenn er sich in eigenverantwortlicher Weise den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege der individualisierenden Berichterstattung gestellt hat, aber auch dann, wenn er kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung beziehungsweise Prominenz auch sonst in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht darauf hinzunehmen hat (BVerfG a.a.O.; BGH, Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 249/18, AfP 2020, 143, Rn. 44).
Die für den Betroffenen streitende Unschuldsvermutung verliert an Gewicht, wenn er ein Geständnis abgelegt hat, seine Beteiligung an der ihm zur Last gelegten Tat deshalb nicht mehr im Zweifel steht und auch nicht zu befürchten ist, dass sich dies im weiteren Verlauf des Strafverfahrens noch ändern wird (vgl. OLG Köln, Urteil vom 04.05.2017 – 15 U 153/16, AfP 2019, 74, Rn. 32). Ein Geständnis kann zur Folge haben, dass sich der Verdachtsgrad gegen den Betroffenen so weit verdichtet, dass dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit nunmehr der Vorrang gebührt (vgl. OLG Köln a.a.O.). Es lässt die Unschuldsvermutung aber nicht vollständig entfallen, sondern führt lediglich dazu, dass diese der Bildberichterstattung nur noch in eingeschränktem Maße entgegengehalten werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196, Rn. 46 m.w.N.). In die Abwägung einzustellen ist die Gefahr, dass das Gesicht des Betroffenen zu Unrecht mit der Tat verbunden wird und er sich von diesem Eindruck auch nach einem Freispruch auf unabsehbare Zeit nicht mehr befreien kann (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 249/18, AfP 2020, 143, Rn. 44 m.w.N.).“
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Der Senat sieht nach wie vor keinen Anlass, von den dargestellten überzeugenden Grundsätzen abzuweichen. Ernstzunehmende Gegenmeinungen etwa in Teilen der Literatur führt die Beklagte nicht an. Soweit der Beklagtenvertreter meint, die Ausgangsentscheidung des Landgerichts und die oben genannte Rechtsprechung des Senats in einem Parallelverfahren laufe entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf hinaus, dass eine identifizierende Bildberichterstattung im Verdachtsstadium nicht möglich sei und vielmehr erst nach einer Verurteilung mit Bild berichtet werden dürfe, offenbart dies ein gewisses Fehlverständnis der in Fachkreisen unter dem Stichwort „Verdachtsberichterstattung“ bekannten Problematik. Hierauf deutet die Berufungsbegründung auch insoweit hin, als an anderer Stelle ausgeführt wird, dass mangels vollumfänglichen Geständnisses „ja im Wege der Verdachtsberichterstattung berichtet“ worden sei. Dass weder mit jeder erstinstanzlichen Verurteilung das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen noch gar mit einem (auch vollumfänglichen) Geständnis die Tat stets zwingend nachgewiesen ist, soll hier nicht näher ausgeführt werden, lässt die vom Beklagtenvertreter gebrauchten Qualifizierungen der Rechtsansicht des Ausgangsgerichts wie des von diesem zitierten Senats als „faktischen Unsinn“ jedoch in einem besonderen Licht erscheinen. Der Beklagten ist lediglich zuzugestehen, dass der vom Landgericht auf Seite 13 und 28 des erstinstanzlichen Urteils angesprochenen fehlenden rechtskräftigen Verurteilung im Rahmen der Verdachtsberichterstattung keine entscheidende Rolle zukommen kann.
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b) Die vom Landgericht vorgenommene Abwägung aller hierbei zu berücksichtigender Umstände erscheint sachgerecht und begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
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aa) So hat das Landgericht in zutreffender Weise dem Umstand, dass mittlerweile gegen den Kläger Anklage erhoben wurde, keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Ersturteil wird Bezug genommen. In seinem dort in Bezug genommenen Urteil vom 7.6.2022 hatte der Senat hierzu festgestellt, dass der Bejahung eines hinreichenden Tatverdachts durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen eine deutlich geringere Zäsurwirkung zukomme als einem erstinstanzlichen Schuldspruch. Nichts anderes gilt hier im Ergebnis für den in der Berufungsbegründung erwähnten dringenden Tatverdacht, der nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO eine rechtliche Voraussetzung der Untersuchungshaft darstellt. Dieser verlangt nicht einmal die Prognose, dass eine Verurteilung wahrscheinlich ist, es genügt vielmehr, wenn aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses in seiner Gesamtheit die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Verfolgte sich schuldig gemacht hat (BGH, Beschluss v. 6.4.1979 – 1 BJs 205/78/StB 16/79).
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bb) Soweit die Berufungsbegründung darauf abhebt, dass der Kläger bereits im Untersuchungsausschuss aufgetreten sei und sich dort öffentlichkeitswirksam entschuldigt habe, hat das Landgericht diesen Umstand durchaus berücksichtigt, ihm aber im Rahmen der Abwägung zu Recht nicht die von der Beklagten erhoffte Bedeutung zugemessen. Insofern hatte der Senat in seinem Urteil vom 7.6.2022 etwa ausgeführt, dass der Auftritt des Klägers vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags nicht auf einer eigenverantwortlichen Entscheidung beruhte und Bild- und Tonaufnahmen von der Vernehmung des Klägers nicht zugelassen waren.
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cc) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, dass der Kläger jedenfalls in weiten Teilen ein Geständnis abgelegt habe. Zutreffend ist das Landgericht unter Bezugnahme auf das genannte Urteil des Senats davon ausgegangen, dass das abgelegte Teilgeständnis nicht zur Folge hat, dass sich der Kläger nur noch in eingeschränktem Maß auf die für ihn streitende Unschuldsvermutung berufen könnte. In seinem vom Landgericht in Bezug genommenen Urteil vom 7.6.2022 hatte der Senat insofern folgendes ausgeführt:
„Ausweislich des Artikels erhebt die Staatsanwaltschaft München I unter anderem gegen den Verfügungskläger Anklage wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Bilanzfälschung, Untreue und Marktmanipulation (a.a.O., S. 29). Die in dem Artikel wiedergegebenen Teilgeständnisse des Verfügungsklägers füllen diese Straftatbestände allerdings nur zum Teil aus. Der Verfügungskläger hat sich den Ermittlungsbehörden gegenüber eher als Getriebenen dargestellt, dem … unaufhörlich eingebläut habe, dass es kein Zurück mehr gebe (a.a.O., S. 18). Die Wortberichterstattung der Verfügungsbeklagten stützt sich auch nicht nur auf das Teilgeständnis des Verfügungsklägers, sondern auch auf andere Erkenntnisquellen wie Zeugenaussagen Dritter oder E-Mail-Verkehr. Es besteht deshalb die – von der Verfügungsbeklagten in anderem Zusammenhang durchaus erkannte (vgl. Anlage AS 1, S. 3) – Möglichkeit, dass entscheidende Teile der Anklage in sich zusammenfallen könnten.“
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Weshalb der Senat hiernach für die Annahme eines Geständnisses erwarten sollte, dass Tatverdächtige neben der Einräumung des ihnen vorgeworfenen Verhaltens diese Taten „auch noch selbst unter irgendwelche Straftatbestände“ subsumieren würden (so S. 5 der Berufungsbegründung), bleibt unverständlich. Die erwähnten Bezeichnungen einzelner Straftaten dienen lediglich der Umschreibung einzelner tatsächlicher Tatvorwürfe.
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Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).