Inhalt

OLG München, Beschluss v. 03.11.2022 – 18 U 4534/22 Pre
Titel:

Unzulässigkeit der Bildberichterstattung vor Verurteilung im Strafverfahren

Normenketten:
ZPO § 522 Abs. 2
KUG § 22, § 23
Leitsätze:
1. Ist sich das Gericht „zweifelsfrei“ darüber klar, dass eine mündliche Verhandlung zu keinem höheren Erkenntnisgrad führen kann, ist offensichtlich mangelnde Erfolgsaussicht im Sinne des § 522 Abs. 2 ZPO anzunehmen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wer im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens ein Teilgeständnis abgegeben hat, kann sich bei der Abwägung der gegenseitigen Interessen im Recht der Bildberichterstattung nur eingeschränkt auf die Unschuldsvermutung berufen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Beschluss, mit dem eine Anklage zugelassen wird, kommt im Rahmen der Abwägung der für und gegen die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung maßgeblichen Erwägungen eine deutlich geringere Zäsurwirkung zu, als einem erstinstanzlichen Schuldspruch. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Zurückweisung der Berufung ist nicht nach § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO ausgeschlossen, wenn es nur auf die Umstände des konkret zu beurteilenden Einzelfalls ankommt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsklage, Verdachtsberichterstattung, Persönlichkeitsrecht, Pressefreiheit, Bildnisveröffentlichung, Abwägungsentscheidung, Berufungszurückweisung
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 09.09.2022 – 18 U 4534/22 Pre
LG München I, Urteil vom 27.07.2022 – 9 O 10210/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 27.05.2025 – VI ZR 337/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 61107

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.07.2022, Aktenzeichen 9 O 10210/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist in Ziffer 1 seines Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten, soweit es für das Berufungsverfahren noch relevant ist, Unterlassung der Berichterstattung über ein Strafverfahren durch Veröffentlichung von dessen Bildnis. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 27.07.2022 Bezug genommen.
2
Das Landgericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil wird verwiesen.
3
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27.7.2022 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 28.7.2022, bei Gericht eingegangen am Folgetag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 6.9.2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründet.
4
Wegen des Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 6.9.2022 (Bl. 119/126) und vom 11.10.2022 (Bl. 149/167) nebst Anlagen verwiesen.
5
Die Beklagte stellt die Anträge gemäß Schriftsatz vom 28.7.2022 (Bl. 115).
6
Der Kläger stellt den Antrag gemäß Schriftsatz vom 8.9.2022 (Bl. 136).
7
Hinsichtlich seines Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den Schriftsatz vom 8.9.2022 (Bl. 130/136) verwiesen.
8
Der Senat hat mit Beschluss vom 9.9.2022 (Bl. 138/144), der Beklagten zugestellt am 20.9.2022, auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen. Dem ist die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.10.2022 (Bl. 149/167) entgegengetreten.
II.
9
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.07.2022, Aktenzeichen 9 O 10210/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
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Die Gegenerklärung der Beklagten vom 11.10.2022 gibt Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen:
12
1. Die Berufung der Beklagten hat entgegen ihrer Ansicht offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
13
Dabei bezieht sich die Offensichtlichkeit im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO allein auf den Erkenntnisprozess des Gerichts. Ist sich das Gericht „zweifelsfrei“ darüber klar, dass eine mündliche Verhandlung zu keinem höheren Erkenntnisgrad führen kann, ist offensichtlich mangelnde Erfolgsaussicht anzunehmen. Nach der Begründung des Rechtsausschusses muss die Aussichtslosigkeit „nicht auf der Hand liegen“, sie darf vielmehr Ergebnis „vorgängiger gründlicher Prüfung“ sein. Zurückweisung durch Beschluss mangels Erfolgsaussicht kommt also in Betracht, wenn sich aus der Berufungsbegründung keine Gesichtspunkte ergeben, die eine Abänderung des Ersturteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen rechtfertigen (Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 522 Rn. 36).
14
Die Zurückweisung der Berufung nach dieser Vorschrift setzt dagegen nicht voraus, dass auch unter allen anderen „Sachkundigen“ über die rechtlichen Voraussetzungen einer zulässigen Bildberichterstattung im Verdachtsstadium im Allgemeinen und im hier zu beurteilenden Einzelfall im Besonderen Einigkeit bestünde. Der angeführte Umstand, dass „der Fall des Klägers bzw. die Zulässigkeit einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung über den Kläger in der (Fach- und Medien-)Öffentlichkeit kontrovers diskutiert“ würde, schränkt die Anwendbarkeit der Berufungszurückweisung durch Beschluss genauso wenig ein, wie der behauptete Umstand, dass sich die befassten Erstrichter bei ihrer Urteilsfindung nur von der Rechtsauffassung des Senats hätten leiten lassen. Regelmäßig werden auch bereits die Prozessbevollmächtigten der Parteien des Rechtsmittelverfahrens über die betreffenden Fragen unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die Bestimmung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO setzt schließlich auch nicht voraus, dass die unterschiedlichen Rechtsmeinungen der Parteien und ihrer Vertreter nicht öffentlich diskutiert werden.
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Auch in der Sache haben sich keine Umstände ergeben, die eine andere Entscheidung rechtfertigen:
16
Ohne Erfolg führt die Beklagte in ihrer Gegenerklärung aus, dass die zu treffende Abwägungsentscheidung hier schon deshalb eindeutig in ihrem Sinn auszufallen hätte, weil sämtliche Abwägungskriterien bis auf eines für die Zulässigkeit der identifizierenden Berichterstattung sprächen. Die schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, erforderliche Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits (vgl. BGH, Urteil vom 7.7.2020 – VI ZR 250/19 Rn. 9 m.w.N.) hat unter wertender Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu erfolgen und entzieht sich einer rein schematischen Anwendung wie etwa der bloßen Anzahl der angeführten Abwägungsgründe.
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Soweit der Senat in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt hat, dass das Landgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass das abgelegte Teilgeständnis nicht zur Folge hat, dass sich der Kläger nur noch in eingeschränktem Maß auf die für ihn streitende Unschuldsvermutung berufen könnte, geht die Beklagte hierauf in ihrer Gegenerklärung nicht mehr im Einzelnen ein.
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Eine abweichende Entscheidung ist vorliegend auch nicht durch den von der Berufungsführerin in ihrer Gegenerklärung eher am Rande erwähnten und von der Klagepartei nicht bestrittenen Umstand geboten, dass das Strafgericht die gegen den Kläger erhobene Anklage mittlerweile zugelassen hat. Wie die Anklage setzt auch der Eröffnungsbeschluss nur voraus, dass der Angeschuldigte nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (§ 203 StPO), wobei diese Einschätzung jedoch vom Strafgericht zu treffen ist. Da die strafgerichtliche Verurteilung demgegenüber nach § 261 StPO die Überzeugung des Gerichts voraussetzt, kommt aber auch dem Eröffnungsbeschluss im Rahmen der Abwägung der für und gegen die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung maßgeblichen Erwägungen eine deutlich geringere Zäsurwirkung zu als einem erstinstanzlichen Schuldspruch. Außer der Tatsache, dass die Anklage mittlerweile zugelassen wurde, teilt die Beklagte jedoch keine neuen Umstände mit, die im vorliegenden Fall das Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung zu Gunsten der Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung bereits vor einem erstinstanzlichen Schuldspruch zuließen. Auch sonst sind solche nicht ersichtlich.
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2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine Zurückweisung der Berufung auch nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO Satz 1 Nr. 2 ZPO ausgeschlossen.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2015 – II ZR V 310/14, ZIP 2016, 266, Rn. 3; Zöller/Heßler a.a.O. § 543 Rn. 11). Nicht abstrakt klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn es nur auf die Umstände des konkret zu beurteilenden Einzelfalls ankommt (BGH, Beschluss vom 25.8.2020 – VIII ZR 59/20). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen u.a. dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH a.a.O. m.w.N.). Bezugspunkte sind einerseits die in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO als selbständiger Zulassungsgrund definierten Kriterien der Fortbildung des Rechts und der Wahrung der Rechtseinheit, andererseits die Praxis der Instanzgerichte oder nachhaltige Bedenken im Schrifttum gegen höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. Zöller/Heßler a.a.O.). Dabei vermag nicht jede Gegenstimme Klärungsbedarf zu begründen. So kann sich weiterer Klärungsbedarf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann ergeben, wenn nicht nur einzelne Instanzgerichte oder Literaturstimmen der Auffassung des Bundesgerichtshofs widersprechen oder wenn neue Argumente vorgebracht werden, die den Bundesgerichtshof dazu veranlassen können, seine Ansicht zu überprüfen (BVerfG, Beschluss vom 4.11.2008 – 1 BvR 2587/06, Rn. 19). Dabei genügt die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, nicht. Der Rechtsmittelführer muss vielmehr konkret auf die Rechtsfrage, ihre Entscheidungserheblichkeit, Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen. Insbesondere sind Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die betreffende Rechtsfrage umstritten ist (BGH, Beschluss vom 27.3.2003 – V ZR 291/02). Grundsätzliche Bedeutung kann sich dabei auch aus dem tatsächlichen oder rechtlichen Gewicht einer Frage für den Rechtsverkehr ergeben (Zöller/Heßler a.a.O. § 543 Rn. 11).
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte zeigt weder hinreichend deutlich auf noch ist sonst ersichtlich, welche entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage sich vorliegend stellt, noch legt sie dar, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die betreffende Rechtsfrage umstritten ist. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich vielmehr – wie im Hinweisbeschluss ausgeführt – auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte mit hinreichender Klarheit beantworten, wobei das Ergebnis im vorliegenden Fall – wie ebenfalls im Hinweisbeschluss im Einzelnen ausgeführt – entscheidend von der Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls abhängt. In ihrer Gegenerklärung erwähnt die Beklagte insofern lediglich „ganz spezielle und höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfragen“, bleibt insoweit aber stets ungenau. Insoweit führt sie im Wesentlichen aus, dass es um die Voraussetzungen für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung im größten Wirtschaftsskandal seit Jahrzehnten ginge, der von einem alles überragenden öffentlichen Informationsinteresse geprägt sei und der die gesamte deutsche Medienlandschaft betreffe. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Presse seit Bekanntwerden des Skandals im Sommer 2020 vor der Frage stehe und auch in Zukunft stehen werde, ob und wie identifizierend in Wort und insbesondere Bild über den Kläger berichtet werden könne, ist festzustellen, dass die sich in jedem einzelnen Verfahren stellende Abwägungsentscheidung schon mit Blick auf die unterschiedlichen streitgegenständlichen Medienberichte der in Anspruch genommenen Presseorgane, den sich in jedem Verfahren unterscheidenden Parteivortrag und den fortschreitenden Stand der Strafverfahren neu zu treffen ist. Allein der behauptete Umstand, dass sämtliche zivilrechtlichen Gerichtsverfahren des Klägers sowohl von der Öffentlichkeit als auch insbesondere von Fachkreisen intensiv beobachtet und kommentiert würden, vermag eine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht zu begründen. Gleiches gilt für die mitgeteilten Umstände, dass die entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hätten und dass der Vorsitzende des erkennenden Senats Entscheidungen aus dem hier in Rede stehenden Verfahrenskomplex zum Zweck der Veröffentlichung an Fachverlage versandt hat.
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3. Eine Entscheidung des Senats wird nicht durch den Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts erfordert (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 1. Alt. ZPO).
23
Die Fortbildung des Rechts durch eine solche Entscheidung ist nur dann erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. Hierzu besteht nur dann Anlass, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (BGH NJW 2002, 3029). Im Rahmen seiner Entscheidung über eine Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass die schlüssige Darstellung des Zulassungsgrundes der Rechtsfortbildung als Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellt und substantiiert darauf eingeht, inwiefern diese Rechtsfrage klärungsbedürftig und im konkreten Fall auch klärbar ist (BGH WM 2010, 237).
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Die Beklagte zeigt weder Nachweise aus Rechtsprechung und Schrifttum auf, wonach die im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsfragen abweichend vom erkennenden Senat und den im Hinweisbeschluss vom 9.9.2022 angegebenen höchst- und obergerichtlichen Entscheidungen beurteilt werden, noch sind solche sonst ersichtlich.
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4. Eine Zurückweisung der Berufung ist auch nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO Satz 1 Nr. 3 2. Alt. ZPO ausgeschlossen.
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Eine Divergenz ist nicht anzunehmen. Der Verweis auf das abweichende Urteil des Erstgerichts in einem vorangegangenen Parallelverfahren ist hierfür zur Begründung von vorneherein ungeeignet. Eine Divergenz wäre nur anzunehmen, wenn der Senat ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts (vgl. Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 43. Aufl., § 543 Rn. 4b m.w.N.). Dass diese Voraussetzung zuträfe, hat die Beklagte nicht dargelegt. Die unterschiedliche Subsumtion bzw. Beurteilung eines Sachverhalts durch zwei Gerichte begründet noch keine Divergenz (vgl. Thomas/Putzo/Seiler a.a.O.).
27
Wie bereits im Hinweisbeschluss im Einzelnen ausgeführt beruht das Ergebnis im vorliegenden Fall auf einer Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, wobei der Senat keinen Grund sieht, von den überzeugenden Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und Obergerichten abzuweichen. Auf die zusammenfassende Darstellung dieser Voraussetzungen für eine zulässige identifizierende Bildberichterstattung über Straftaten wird erneut auf S. 9 f des Senatsurteils vom 7.6.2022 – 18 U 2993/22 Pre sowie S. 3 ff des Hinweisbeschlusses im gegenständlichen Verfahren Bezug genommen. Soweit die Beklagte meint, dass danach „die Bebilderung einer Verdachtsberichterstattung vor erstinstanzlicher Verurteilung nahezu vollständig ausgeschlossen“ sei, und dies „nicht der Auffassung anderer Gerichte … und schon gar nicht der des BGH“ entspreche, nennt sie nicht etwa einen vom Senat aufgestellten Rechtssatz, sondern beschränkt sich auf eine eigene Interpretation. Insoweit wurde bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, dass, soweit der Beklagtenvertreter meint, die Ausgangsentscheidung des Landgerichts und die genannte Rechtsprechung des Senats in einem Parallelverfahren laufe entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf hinaus, dass eine identifizierende Bildberichterstattung im Verdachtsstadium nicht möglich sei und vielmehr erst nach einer Verurteilung mit Bild berichtet werden dürfe, dies ein gewisses Fehlverständnis der in Fachkreisen unter dem Stichwort „Verdachtsberichterstattung“ bekannten Problematik offenbart.
28
Dass der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Grundsatz, dass im Rahmen der im Zusammenhang mit der Bildberichterstattung über ein Strafverfahren anzustellenden Abwägung bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung oftmals überwiegen wird, durch eine Anklageerhebung und entsprechend auch durch Zulassung der Anklage auch aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts weder stets noch auch nur im Regelfall eine Einschränkung erfährt, folgt bereits daraus, dass einer strafrechtlichen Verurteilung stets Anklage und deren Zulassung vorausgehen.
29
Auch der vorliegende Einzelfall lässt sich somit in Übereinstimmung mit der zitierten obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung nach den betreffenden kongruenten Rechtssätzen entscheiden. Dass über die streitgegenständlichen Fragen ein relevanter Meinungsstreit bestehen würde (siehe dazu BGH, Beschluss vom 12.11.2019 – XI ZR 148/19, juris Rn. 13), ist weder dargetan noch ersichtlich.
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5. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).
31
Eine mündliche Verhandlung über die Berufung ist regelmäßig dann nicht geboten, wenn sie – wie hier – keinerlei zusätzlichen Erkenntnisgewinn verspricht. Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob eine mündliche Verhandlung etwa dann geboten wäre, wenn das Ersturteil nur im Ergebnis richtig wäre (so Thomas/Putzo/Seiler a.a.O. § 522 Rn. 15a), oder wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine umfassend neue rechtliche Würdigung gestützt würde und diese angemessen mit dem Berufungsführer nicht im schriftlichen Verfahren erörtert werden könnte, wobei nicht jede Auswechslung der Begründung ausreicht (vgl. Zöller/Heßler a.a.O. § 522 Rn. 40 m.w.N.), oder ob nicht vielmehr die negative Formulierung in § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO erkennen lässt, dass das Gesetz bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Nrn. 1 bis 3 eine mündliche Verhandlung im Regelfall für entbehrlich hält.
32
Im vorliegenden Verfahren hat das Erstgericht seine Entscheidung jedenfalls ganz überwiegend zutreffend begründet. Soweit es dagegen auf Seite 13 und 28 seines erstinstanzlichen Urteils der fehlenden rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung im Rahmen der Verdachtsberichterstattung rechtliche Bedeutung zugemessen hat, führt dies nicht zu einer von derjenigen des Senats gänzlich abweichenden Begründung der Entscheidung, sondern beruht ersichtlich auf einem vereinzelt gebliebenen Fehlverständnis des Wesens der Verdachtsberichterstattung.
III.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
34
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
35
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.