Titel:
Nachschaffende Übernahme begründet keine Unlauterkeit
Normenketten:
GGV Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 lit. b, Art. 6, Art. 8 Abs. 1, Art. 10, Art. 19 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1 lit. b, Art. 81 lit. d, Art. 84, Art. 89 Abs. 1 lit. a
UWG § 3, § 4 Nr. 3, § 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Kombination der maßgeblichen Merkmale einer Bierflasche, insbesondere der Proportionen von Halspartie, Schulterbereich und Hauptkörper, vermittelt einen eigentümlichen Gesamteindruck, nämlich den einer gedrungenen, rundlichen („knuffigen“) Flasche, der von dem anderer Bierflaschen abweicht. (Rn. 79 und 100) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung des Gesamteindrucks können Maße der tatsächlich vertriebenen Erzeugnisse, die aus der Anmeldung nicht hervorgehen, ebenso wie die Form des Mundstücks, die nahezu unmerkliche Durchmessersteigerung im oberen und unteren Teil des Hauptkörpers, die Farbe sowie die leichte Verjüngung des Flaschenbodens, die technisch bedingt sind, nicht berücksichtigt werden. (Rn. 78) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wegen der abweichend gestalteten „Schulterpartie“ und einem insgesamt schlankeren und eleganteren Gesamteindruck ist von keiner identischen oder nahezu identischen, sondern allenfalls von einer nachschaffenden Übernahme auszugehen, die wegen der im Interesse der Wettbewerbsfreiheit bestehenden Nachahmungsfreiheit für sich genommen keine Unlauterkeit begründet. (Rn. 126 und 127) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Abstand zwischen der Gestaltung der „kleinen Euro Flasche“ und der Gestaltung anderer Flasche ist ausreichend groß, um bei näherer Befassung mit der Flaschenform einer Verwechslung entgegenzuwirken und eine unmittelbare Herkunftstäuschung auszuschließen. (Rn. 131) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Unterlassungsklage, Drittwiderklage, Neuheit und Eigenart, Schutzumfang, Nachahmung
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 60188
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Widerklage wird abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Unterlassungs- und Folgeansprüche auf Basis des Gemeinschaftsgeschmacksmustergesetzes, hilfsweise auf Grundlage des Wettbewerbsrechts geltend. Die Beklagte begehrt im Wege der Drittwiderklage Nichtigerklärung des für die Drittwiderbeklagte eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters EU 002205666-001.
2
Der Kläger betreibt ein Unternehmen mit Sitz in M.. Er entwickelt, produziert und vertreibt Verpackungen aus Glas, insbesondere Getränke-Flaschen (vgl. Internetauszug, K 1).
3
Die Beklagte ist ein Unternehmen mit Sitz in B. W.. Gegenstand des Unternehmens ist ebenfalls die Herstellung und der Vertrieb von Getränke- und Glasflaschen (vgl. Internetauszug, K 2).
4
Die Drittwiderbeklagte ist Inhaberin des am 20.03.2013 angemeldeten Gemeinschaftsgeschmacksmusters EU 002205666-001 (im Folgenden: Klagemusters, vgl. Registerauszug, K 3). Dem Kläger ist von der Drittwiderbeklagten eine räumlich unbeschränkte, ausschließliche Lizenz zur Nutzung der durch das Klagemuster geschützten Bierflaschenform eingeräumt worden. Die Drittwiderbeklagte hat in die Erhebung der vorliegenden Klage eingewilligt und den Kläger zur Geltendmachung und Durchsetzung der Rechte und Ansprüche aus dem Klagemuster gegenüber der Beklagten ermächtigt und aus dessen Verletzung entstandene Ansprüche an diesen abgetreten (vgl. Vereinbarung, K 4).
5
Lange Jahre erfolgte die Abfüllung von Bier in Deutschland überwiegend in 0,5 Liter – Pfandflaschen. Dabei wurden hauptsächlich zwei Standardtypen solcher Flaschen verwendet, die nachfolgend abgebildete „Euro-Flasche“ (vgl. Asservat K 22)
und die sog. „NRW-Flasche“
6
Seit einiger Zeit werden Getränke, vor allen Dingen Bier, vermehrt auch in kleineren Gebinden, insbesondere 0,33 Liter – Flaschen, abgefüllt.
7
Für diese Volumengröße waren zunächst im Wesentlichen die sog. „Vichy-Flasche“
die sog. „Longneck-Flasche“
und die sog. „kleine Steinie-Flasche“
8
In Zusammenarbeit mit der Drittwiderbeklagten entwickelte der Kläger die durch das Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 002205666-001 (im Folgenden: Klagemuster) geschützte Form der nachfolgend wiedergegebenen Bierflasche (im Folgenden: „kleine Euro“ bzw. „kleine Euro-Flasche“):
9
Eine nach dem Klagemuster geformte Bierflasche ist die vom Kläger seit dem Jahr 2014 vertriebene 0,33 Liter-Bierflasche „kleine Euro“ (vgl. Internetauszug, K 1; Asservat, K 21).
10
Der Werbeaufwand des Klägers für die 0,33 Liter-Euro-Flasche seit der ProduktEinführung 2014 beläuft sich auf EUR 7.257,68 (2014), EUR 8.223,51 (2015), EUR 11.739,51 (2016), EUR 36.540,05 (2017), EUR 37.784,49 (2018), EUR 65.801,51 (2019), EUR 58.000 (2020), EUR 61.000 (2021). Er vertreibt die 0,33 Liter-EuroFlasche seit ihrer Einführung 2014 an inzwischen über 70 Brauereien und Getränkehersteller. Im ersten Jahr 2014 hat der Kläger ca. 300.000 Stück der 0,33 Liter-Euro-Flasche verkauft, im Jahr 2020 ca. 13 Millionen Stück und im Jahr 2021 ca. 19 Millionen Stück. Insgesamt sind bisher ca. 75 Millionen Stück verkauft worden.
11
Seit dem Jahr 2020 vertreibt auch die Beklagte eine 0,33 Liter-Bierflasche. Es handelt sich um die nachfolgend wiedergegebene und mit hiesiger Klage angegriffene 0,33 Liter-Bierflasche („SUD-Flasche“, vgl. Internetauszug, Anlage K 12; Asservat, K 23):
12
Die Flasche entspricht dem für die Beklagte eingetragenen Design …92-0006 (Registerauszug, K 9), angemeldet am 27.10.2018 und veröffentlicht am 10.05.2019:
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Die Bierflaschen weisen am Flaschenboden kleine erhabene Relief-Markierungen im Glaskörper der Flasche auf, sogenannte Hüttenzeichen oder Punt Marks. Bei der Beklagten und der angegriffenen SUD-Flasche ist die Punt Mark ein „V“ in einem Feld. Bei dem Kläger finde sich die Punt Mark „IM“.
14
Mit Schreiben vom 07.02.2020 ließ der Kläger die Beklagte im Namen der Drittwiderbeklagten wegen drohender Verletzung des Klagemusters abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auffordern (vgl. Schreiben, K 17). Die Beklagte ließ die geltend gemachten Ansprüche mit Schreiben vom 21.02.2020 zurückweisen (vgl. Schreiben, K 18).
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Der Kläger trägt vor, das Klagemuster schütze eine gegenüber dem Formenschatz neue und eigenartige Flaschenform für Bierflaschen.
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Alle vorbekannten Flaschengestaltungen, sowohl die Flaschenformen mit 0,5 Liter als auch die mit 0,33 Liter Füllvolumen, seien „rund“ (also rotationssymmetrisch), so dass die Gestaltungsmerkmale durch eine Seitenansicht bzw. eine Querschnittsansicht bestimmt würden, und besäßen prinzipiell alle die folgenden Merkmale (von oben nach unten gesehen):
- ein Mundstück, das den Verschluss mit einem Standard-Kronkorken erlaube und im Wesentlichen bei allen erwähnten Flaschengestaltungen identisch sei (Gesamthöhe ca. 18 mm),
- einer sich weitenden Halspartie als Übergang vom Mundstück zum zylindrischen Hauptkörper
- einen zylindrischen Haupt(volumens) körper, der sich vom Ende des Halsstücks bis zu einem abschließenden Bodenstück erstrecke,
- ein ca. 10 bis 20 mm hohes Bodenstück, das an das zylindrische Hauptstück anschließe und sich leicht zum Boden hin verjünge, wobei diese Verjüngung aus Stabilitätsgründen technisch bedingt sei,
- im oberen und unteren Teil des zylindrischen Hauptkörpers eine nahezu unmerkliche Durchmessersteigerung um weniger als einen Millimeter, die technisch bedingt sei, da sie verhindere, dass bei der Reinigung und Abfüllung der Flaschen ein Aneinanderreiben der zylindrischen Hauptstücke der Flaschen auf ihrer gesamten Höhe erfolge.
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Die gestalterischen Unterschiede, die in ihrem Zusammenwirken die unterschiedlichen Gesamteindrücke der verschiedenen Flaschenformen bzw. gestaltungen prägten, bestünden in den folgenden Merkmalen:
- Gesamthöhe der Flasche;
- Breite des zylindrischen Hauptkörpers;
- Verhältnis der Gesamthöhe der Flasche zur Breite des zylindrischen Hauptkörpers;
- Verhältnis der Höhe des Halsstücks zum zylindrischen Hauptkörper;
- Konturlinienführung des Halsstücks: hier seien konvex oder konkav gekrümmte und auch gerade Abschnitte der Konturlinien möglich und verwirklicht.
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Die Flasche des Klagemusters, die „kleine Euro-Flasche“, lehne sich in ihrer Gestaltung an die „große“ (also 0,5 Liter) Euro-Flasche an. Allerdings ergebe die Gesamtheit der Merkmale der „kleinen Euro-Flasche“ nicht lediglich eine verkleinerte Version der 0,5-Liter „Euro-Flasche“, sondern eine eigenständige, charaktervolle Gestaltung, die durch Anlehnung an bestimmte Gestaltungselemente und unterschiedliche Ausformung anderer Gestaltungselemente den gewünschten Eindruck erziele, dass nämlich die „kleine Euro-Flasche“ der „kleine Bruder“ der bekannten und weit verbreiteten 0,5 Liter „Euro-Flasche“ sei. Dabei werde gerade auch durch die „fließendere“ Konturlinienführung im Halsbereich des Klagemusters ohne die geraden Abschnitte wie bei der 0,5 Liter – „Euro-Flasche“, der „niedlichere“ Gesamteindruck der kleinen 0,33 Liter-Flasche im Vergleich zur 0,5 Liter-EuroFlasche erzeugt, was den Eindruck des „kleinen Bruders“ verstärke. Daher werde der informierte Benutzer, aber auch der unbefangene Betrachter/ Verbraucher sofort die „kleine Euro-Flasche“ als gestalterisch der 0,5 Liter-Euro-Flasche zugehörig begreifen, also erkennen, dass beide einer „Gestaltungsfamilie“ angehörten, während dies für keine der anderen kleinen 0,33/ 0,5- Liter Flaschen der Fall sei.
19
Dieser Gesamteindruck der „kleinen Euro-Flasche“ sei die Grundlage für den überaus großen Markterfolg dieser Flasche, und daher müsse der geschützten Gestaltung ein entsprechend großer Schutzumfang zugestanden werden.
20
Der Kläger und seine Entwicklung-Kooperationspartnerin hätten ihre klagemustergemäße Flasche bei Einführung 2014 als „kleine/330-ml-Euro-Flasche“ angekündigt (vgl. Presseartikel, K 14). Diese im Markt weiterhin als Bezeichnung der neuen Flaschen-Kreation des Klägers geläufige Bezeichnung werde, seit nun die Beklagte die streitgegenständliche Flasche kürzlich in den Markt gebracht habe, auch für diese verwendet (vgl. Presseartikel, K 15, K 24, K 25, K 26, K 27).
21
Der Kläger ist der Auffassung, das Klagemuster sei rechtsbeständig, durchgreifende Löschungsgründe seien nicht dargetan.
22
Der Industriesektor, in dem die vorliegend zu beurteilende Gestaltung sowie die Gestaltungen des vorbekannten Formenschatzes und die Verletzungsform anzusiedeln seien, sei der von massenhaft hergestellten und verwendeten Bier(pfand) flaschen. Durch die spezielle Art des Erzeugnisses ergäben sich im vorliegenden Falle erhebliche Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit des Designers: Die Hauptfunktion von Bierflaschen sei, eine bestimmte Menge an Flüssigkeit (Bier) zu beinhalten und zu transportieren. Entsprechend dieser Hauptfunktion wiesen alle Flaschenformen einen Hauptvolumenskörper auf, der zylindrische oder im Wesentlichen zylindrische Form habe. Dieser Hauptvolumenskörper schließe nach unten hin mit einem Bodenstück ab und im oberen und unteren Teil des Hauptvolumenskörpers befänden sich Abschnitte mit einem geringfügig größeren Durchmesser als dazwischen. Diese Merkmale seien folgerichtig in allen Flaschengestaltungen des vorbekannten Formenschatzes sowie im Klagemuster, in der Verletzungsform und auch in der behauptet vorbenutzten 0,33 Literflasche „L. “ verwirklicht. Das Mundstück (oder Ausguss) und dessen Ausgestaltung seien gebrauchsbedingt und genormt, weisen also immer die gleiche Form und Größe auf, da die Flaschen mit standardisierten Kronkorken verschlossen würden. Der informierte Benutzer werde deshalb das Hauptaugenmerk auf die prägenden Merkmale, die einer größeren Gestaltungsfreiheit zugänglich seien, nämlich die Gesamthöhe der Flasche, die Breite des zylindrischen Körpers, die Größenverhältnisse, wie das Verhältnis von Gesamthöhe zur Breite und das Verhältnis der Höhe des Halsstücks zur Höhe des zylindrischen Körpers, und auch die Gestaltung des Übergangs vom zylindrischen Hauptvolumenskörper zum Mundstück, legen, welche in ihrem Zusammenwirken den Gesamteindruck der Flasche prägten und bestimmten. Als „informierter Benutzer“ sei im vorliegenden Fall der aufmerksame und informierte Verbraucher anzusehen, dem Bier(pfand) flaschen in einer Vielzahl von unterschiedlichen Formen beispielsweise in Supermärkten oder Getränkemärkten gegenüberträten.
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Bezüglich der prägenden Merkmale bestünden erhebliche Unterschiede des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz:
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Die Unterschiede zwischen der „Euro-Flasche“ und dem Klagemusters resultierten insbesondere daraus, dass beim Klagemuster der prinzipiell konische, vom zylindrischen Hauptvolumenskörper zum Mundstück führende Abschnitt relativ kürzer und mit ausgeprägter Kurvatur (konkaven/ konvexen Abschnitten) ausgestaltet sei und so einen auffällig gedrungeneren, kompakteren Eindruck der Form vermittele als die 0,5 Liter-„Euro-Flasche“. Ein weiterer auffälliger Unterschied im Gesamteindruck ergebe sich aus dem bei beiden Formen zur Aufnahme eines genormten Kronkorkens gleich großen und gleich geformten Mundstücks, das der informierte Betrachter als solches erkennen werde und somit die Flasche mit dem Mundstück als „Norm“ entsprechend dimensioniert betrachten werde. Aufgrund der durch das abweichende Füllvolumen unterschiedlichen Dimensionen des übrigen Flaschenkörpers entstehe zu dem gleich großen Mundstück eine auffällig abweichende Größenrelation. Dies sei eine schlichte Folge eben dieser abweichenden Größenrelation auf den Gesamteindruck, der durch die jeweilige Formgebung erzeugt werde. Zwar sei die Abbildung des Klagemusters nicht bemaßt. Jedoch erkenne der informierte Betrachter aufgrund der genannten Größenrelation, dass die abgebildete Flasche kleiner sei als eine 0,5 Liter-Flasche, und im Zweifel ein Volumen von 0,33 Liter habe.
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Schließlich sei zu berücksichtigen, dass im Sektor der industriell gefertigten, massenhaft hergestellt und verwendeten Bier(pfand) flaschen eine hohe Musterdichte bestehe, wie ein einfacher Gang in den Supermarkt zeige (vgl. auch Internetauszug, B 3).
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Es bestehe ein Unterlassungsanspruch aus Art. 89 Abs. lit. 1 a i.V.m. Art. 19 Abs. 1 GGV gegen die Beklagte. Bei der von der Beklagten angebotenen „SUD-Flasche“ handele es sich um eine nahezu identische Nachahmung der durch das Klagemuster geschützten Gestaltung, wie folgende Gegenüberstellung zeige:
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Alle den Gesamteindruck bestimmenden Merkmale der „kleinen Euro-Flasche“ seien beim Verletzungsprodukt identisch oder nahezu identisch übernommen worden, sodass derselbe Gesamteindruck beim Betrachter entstehe. Im Einzelnen seien
- die Gesamthöhe und die Breite des zylindrischen Hauptkörpers nahezu identisch,
- womit auch das Verhältnis der Gesamthöhe zur Breite des zylindrischen Hauptkörpers nahezu identisch sei,
- das Verhältnis der Höhe von zylindrischen Hauptkörper und Halsstücke sehr ähnlich, und
- die Konturlinienführung des Halsstücks auch nahezu identisch.
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Insgesamt führe die Übernahme aller Gestaltungsmerkmale in identischer oder sehr ähnlicher Form durch das Verletzungsprodukt dazu, dass der Verbraucher denselben Gesamteindruck von der vom Klagemuster geschützten Flasche und dem Verletzungsprodukt habe, nämlich den, dass diese Gestaltung eben die „kleine EuroFlasche“, also der kleine Bruder der 0,5 Liter „Euro-Flasche“ sei. Der einzig erkennbare Unterschied zwischen der verletzenden Flasche und dem Klagemuster, der nur bei genauer Betrachtung sichtbar sei, bestehe darin, dass die verletzende Flasche im Halsstück ein wenig lang gestreckter sei als die durch das Klagemuster geschützte, was auch die geringfügig größere Höhe (4 mm) der Verletzungsform bedinge. Dieser äußerst geringfügige Unterschiede habe keinen nennenswerten Einfluss auf den Gesamteindruck und werde vom Verbraucher auch nicht bewusst wahrgenommen.
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Da die Beklagte schuldhaft handele, stehe dem Kläger ferner ein Schadensersatzanspruch aus Art. 88 Abs. 2 GGV i. V. m. § 42 Abs. 2 DesignG zu.
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Hilfsweise stehe dem Kläger ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 3 Abs. 1; 4 Nr. 3 lit. a, lit. b; 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG und auf Schadensersatz aus §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 lit. a, lit. b; 9 UWG zu.
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Die vom Kläger eingeführte und seither intensiv vermarktete Flaschenform sei geeignet, von den maßgeblichen Verkehrskreisen als Hinweis auf die Herkunft aus dem Betrieb des Klägers aufgefasst zu werden. Die wettbewerbliche Eigenart der streitgegenständlichen Flaschenform des Klägers folge zunächst aus deren ästhetischen Gestaltungsmerkmalen. Der Abstand zum wettbewerblichen Umfeld sei deutlich (vgl. Anlagen K 8). Hinzu komme, dass im Getränke- und vorliegend insbesondere Biermarkt die Flaschenformen eine gewichtige Rolle für die Vermarktung spiele. Aufgrund dessen komme der Form von Bierflaschen genuin wettbewerbliche Eigenart zu. Die wettbewerbliche Eigenart der „kleinen EuroFlasche“ sei als hoch einzuschätzen, unter anderem deshalb, weil es sich bei der „kleinen Euro“ bei ihrer Markteinführung um eine gänzliche Neugestaltung gehandelt habe, welche sehr bald nach ihrer Markteinführung (und weit vor der Einführung der Flasche der Beklagten) in allen Fachkreisen bestens bekannt gewesen sei, wie durch die zahlreichen Artikel in Fachzeitschriften belegt sei. Nach dem Kläger zur Kenntnis gelangten Zahlen verfüge die „kleine Euro-Flasche“ bereits über einen erheblichen Anteil am wachsenden Markt der 0,33 Liter-Bierflaschen.
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Von einem Entfallen der wettbewerblichen Eigenart des nachgeahmten Originals könne keine Rede sein. Dieses komme allenfalls dann in Betracht, wenn eine Vielzahl von Nachahmungen auf dem Markt aufgetaucht sei und die fragliche Gestaltung Allgemeingut geworden sei, der Verkehr also nicht mehr einem bestimmten Hersteller eine bestimmte Ware zuordne. Die 0,33 Liter-Euro-Flasche werde im einschlägigen Markt der Bierflaschen-Käufer (Brauereien, Glas-/ Flaschenhändler) eindeutig dem Kläger zugeordnet.
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Aufgrund fast identischer Nachahmung komme es zu einer unmittelbaren Herkunftstäuschung. Zumindest aber liege eine mittelbare Herkunftstäuschung der Abnehmer vor, die ohne weiteres vermeidbar sei (§§ 3 Abs. 1; 4 Nr. 3 lit. a UWG). Aufgrund der eigentümlichen, den Verbraucher besonders ansprechenden Formgebung und des bei den relevanten Verkehrskreisen bekannten Erfolgs dieser Flaschenform werde der Einkäufer von Bierflaschen beim Angebot der Beklagten ihrer „SUD-Flasche“ ein Erzeugnis und Angebot des Klägers vermuten.
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Darüber hinaus stelle das Angebot der Beklagten der streitigen „Sud-Flasche“ eine wettbewerbswidrige Ausbeutung des guten Rufs dar, welchen sich der Kläger für die von ihm angebotene Flaschenform erarbeitet habe. Er habe das Marktsegment für diese Flaschenform in mehrjähriger aufwendiger und erfolgreicher Arbeit zu erheblichem Volumen und Erfolg geführt.
35
Der Kläger beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist,
Getränke-Glasflaschen im Gebiet der Europäischen Union, anzubieten, in Verkehr zu bringen, einzuführen, auszuführen oder zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen, wenn diese wie nachfolgend abgebildet gestaltet sind:
2. dem Kläger Auskunft über den Vertriebsweg der unter vorstehend zu Ziff. I.1. abgebildeten Erzeugnisse zu erteilen, und zwar unter Angabe a) der Namen und Anschriften der Hersteller, der Lieferanten und der anderen Vorbesitzer;
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. dem Kläger über den Umfang der vorstehend zu Ziff. I. 1. Bezeichneten Handlungen Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses mit Angaben über a) Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen sowie Namen und Anschrift der Abnehmer, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen und Artikel-Nummern,
b) Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreise sowie Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen und Artikel-Nummern,
c) einzelne Werbeträger, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) Gestehungskosten unter Angabe der einzelnen Kostenfaktoren sowie des erzielten Gewinns;
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder ihrem Eigentum befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziff. I. 1. an einen von dem Kläger zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben;
5. die in Ziff. I. 1. abgebildeten, in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den durch das Urteil der Kammer gerichtlich festgestellten verletzenden Zustand der Sache zurückzurufen, gegebenenfalls bereits gezahlte Kaufpreise bzw. sonstige Äquivalente zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten und mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen und endgültig zu entfernen, indem die Beklagte die Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der diesem aus Handlungen gemäß Ziff. I. 1. entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich entstandene Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.502,50 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist,
Getränke-Glasflaschen im geschäftlichen Verkehr im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, anzubieten, zu bewerben und/ oder zu vertreiben, wenn diese wie nachfolgend abgebildet gestaltet sind:
2. dem Kläger über den Umfang der vorstehend zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses mit Angaben über
d) Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreise sowie Namen und Anschrift der Abnehmer, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen und Artikel-Nummern,
e) Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreise sowie Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen und Artikel-Nummern,
f) einzelne Werbeträger, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
g) Gestehungskosten unter Angabe der einzelnen Kostenfaktoren sowie des erzielten Gewinns.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der diesem aus Handlungen gemäß Ziff. I. 1. entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich entstandene Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.502,50 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
36
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung hilfsweise der Beklagten nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, die auch durch Bank- oder Sparkassenbürgschaft erbracht werden darf, abzuwenden.
37
Die Beklagte beantragt ferner widerklagend,
das Gemeinschaftsgeschmacksmuster EU 002205666-0001 (Anlage K 3) der Drittwiderbeklagten für nichtig zu erklären.
Abweisung der Drittwiderklage.
Zurückweisung des Vollstreckungsschutzantrags.
39
Die Beklagte trägt vor, sie habe mit ihrer angegriffenen Bierflasche den Markt durchdrungen. Seit Markteinführung habe sie nahezu 60 Millionen Stück in den Markt gebracht; der laufende Bestand im Markt dürfe sich auf die etwa gleiche Anzahl belaufen, weil ein Schwund regelmäßig ergänzt werde und neue Abnehmer hinzukämen.
40
Vorbekannter Formenschatz gegenüber dem Klagemuster sei auch die nachstehend wiedergegebene 0,33 l Bierflasche „L. “
41
Die über e.-Kleinanzeigen angebotene 0,33l Bierflasche „L. “ sei nachweisbar aus dem Jahr 1997, wie anhand des Verfallsdatums „04.11.1997“ belegt sei.
42
Ein weiterer vorbekannter Formenschatz sei die nachstehend wiedergegebene Standard-DDR-Bierflasche, wie sie in der DDR und damit lange Zeit vor dem Anmeldedatum des Klagemusters hergestellt und vertrieben worden sei und über e. erworben werden könne
(vgl. Internetausdrucke, B 8; Asservat).
43
Es handele sich bei diesem vorbekannten Formenschatz der DDR-Bierflasche zwar um einen solchen einer 0,5 Liter-Bierflasche. Darauf komme es aber nicht an, denn ein Geschmacksmuster sei „dimensionslos“.
44
Im Wettbewerb gebe es auch weitere Anbieter von 0,33 Liter-Bierflaschen im Retrodesign der Euroflasche. Zu nennen sei der Anbieter W. G. GmbH. Die nachstehend wiedergegebene 0,33 Liter-Bierflasche Wiegand habe ausweislich der Angaben des Herstellers eine Höhe von 199,8 mm, einen Durchmesser von 61 mm und ein Gewicht von 230 g:
45
Einer der Abnehmer der Wiegand-Flasche sei die H. Brauerei. Aber auch das Hofbräuhaus München verfülle sein Bier in dieser Flasche. Es gebe eine ganze Reihe weiterer durchaus bekannter Biermarken, die die Wiegand-Flasche benutzt hätten und auch weiterhin benutzten. Die Flasche sei sogar mit dem MehrwegInnovationspreis der Deutschen Umwelthilfe 2018 ausgezeichnet worden (vgl. Internetauszug, B 10).
46
Die Beklagte ist der Auffassung, die Zulässigkeit der Widerklage folge aus Art. 24 Abs. 1, 2; 25 Abs. 1 lit. b GGV. Als Gemeinschaftgeschmacksmustergericht sei das Gericht auch für die erhobene Widerklage nach Art. 85 Abs. 1 S. 2 GGV zuständig. Der Kläger sei zwar nicht Inhaber des Klagemusters, sondern nur Lizenznehmer. Dies stehe aber der Zulässigkeit einer Widerklage auf Nichtigkeit des Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht entgegen; dies folge aus Art. 84 Abs. 3 GGV.
47
Die Widerklage sei auch begründet, denn es liege ein Nichtigkeitsgrund nach Art. 25 Abs. 1b GGV vor. Das Klagemusters sei zum Prioritätstag (20.03.2013) mangels kumulativen Vorliegens der Voraussetzungen Neuheit und Eigenart nicht schutzfähig gewesen. Es liege eine identische Vorwegnahme der Gestaltung des Klagemusters durch das Design der unstreitig seit dem Jahre 1981 bekannten „Euro-Flasche“ (vgl. Anlage K 6; Internetausdruck, B 3) vor. Die „Euro-Flasche“ besitze einen zylindrischen Hauptkörper, eine als konischen Abschnitt ausgebildete Schulter und einen zylindrischen Hals mit Mundstück. Der Übergang vom zylindrischen Abschnitt des Hauptkörpers in den konischen Abschnitt der Flaschenschulter geschehe in einer konvexen Krümmung. Dann schließe sich ein gerade Abschnitt an und anschließend verlaufe der konische Abschnitt in einer konkaven Krümmung zum Flaschenhals. Entscheidend sowohl bei der „Euro-Flasche“ als auch bei dem Klagemuster sei, dass der Übergang vom zylindrischen Hauptabschnitt zum konischen Abschnitt der Flaschenschulter über eine konvexe Krümmung erfolge, sich ein gerade Abschnitt anschließe und sodann in einer konkaven Krümmung in den Flaschenhals übergehe. Das Klagemusters, das angegriffene und das entgegengehaltene vorbekannte Muster der „Euro-Flasche“, sie alle differenzierten nicht nach der Größe und Dimension.
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Wenn angenommen werde, dass das vorbekannte Muster der „Euro-Flasche“ nicht als identisch im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GGV gelte, weil sich seine Merkmale nicht nur in unwesentlichen Einzelheiten unterschieden, fehlten dem Klagemuster die Schutzvoraussetzung der erforderlichen Eigenart nach Art. 4 Abs. 1 GGV. Ein Vergleich zwischen Klagemuster und der vorbekannten „Euro-Flasche“ rechtfertige die Feststellung einer hohen gattungsbedingten Ähnlichkeit. Abweichungen bestünden im Schulterbereich der Flaschenkonturen, als das Klagemusters kleiner und gedrungen erscheine. Die Abweichungen gegenüber dem vorbekannten Muster der „Euro-Flasche“ und der vorbekannten „L. -Flasche“ seien aber bei einem Vergleich der Muster (dimensionslos) nicht derart offensichtlich, dass ein anderer Gesamteindruck entstehe.
49
Die Klage erweise sich aber auch unabhängig von der Nichtigkeit des Klagemusters als unbegründet. Die Unterschiede zwischen den sich gegenüberstehenden Gestaltungen des Klagemusters zur angegriffenen Bierflasche der Beklagten seien schlicht zu groß, als dass ein gemeinsamer Gesamteindruck angenommen werden könne.
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Der Schutzbereich des Klagemusters sei angesichts des vorbekannten Formenschatzes auf mehr oder weniger Fälle der Identität beschränkt. Von einer identischen Verwirklichung der Merkmale des Klagemusters durch die angegriffene Bierflasche könne nicht gesprochen werden.
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Die Frage, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Klagemusters vorliege, bestimme sich danach, wie groß die auf einer Gestaltungshöhe fußende Eigenart des Anspruchsmusters sei. Das Klagemuster sei in seinen Merkmalen geprägt durch das Streben nach einer Flaschenform, wie sie auch schon der „Euro-Flasche“ zugrunde gelegen habe (Retrodesign). Die Schultern im konischen Abschnitt des Klagemusters seien im Verlauf der Kontur erklärtermaßen als Beweis für die enge Verwandtschaft (kleiner Bruder) wie diejenigen der vorbekannten „Euro-Flasche“ angelegt. Im Gegensatz zu der aus der Gestaltungsalternative der Vichy-Flasche (Anlage K 8) hervorgegangenen NRW-Flasche (Anlage K 7) seien die Schultern bei dem Klagemuster kräftig ausgebildet. Das Klagemuster wirke dadurch gedrungen und rundlich, was die geringere Höhe der kleineren Bierflasche gegenüber der normalen Größe der Euroflasche erkläre. Das Klagemusters zeichne sich durch diese gestauchte bzw. wie es der Kläger selbst nenne „gedrungene Form“ und eine dadurch bedingte steile Schulter mit einer ausgeprägten konvexen Krümmung, einem kurzen geraden Abschnitt und einer betont konkaven Krümmung zum Tubus unterhalb des Mundstücks aus. Das Mundstück sei unterhalb der Lippe mit einem umlaufenden Band ausgestattet, das im Längsschnitt ein dreieckiges Profil aufweise und insoweit mit dem Verlauf der Schulterlinie korrespondiere. Durch diese Merkmalskombination des Klagemusters entstehe die individuelle Prägung einer Bierflasche, deren gestalterische Besonderheit der Kläger in seiner Abmahnung vom 07.02.2020 als „gedrungenes, rundlicheres ‚knuffiges‘ Erscheinungsbild“ charakterisiert habe.
52
Die angegriffene Bierflasche der Beklagten unterscheide sich gegenüber dem Klagemuster gerade in diesen, den spontanen Gesamteindruck des Musters ausmachenden Merkmalen. Es lasse sich gerade nicht feststellen, dass die angegriffene Flasche die aufgrund der Gedrungenheit entstehende „Knuffigkeit“ aufweise. Bei der Bierflasche der Beklagten sei die Schulter der Flasche abweichend ausgestaltet, was sich dem Betrachter ohne weiteres mitteile. Zwischen den konvexen und sodann konkav verlaufenen Krümmungen im konischen Abschnitt (Schulterbereich) zum Tubus mit Mundstück sei kein wahrnehmbarer gerader Abschnitt auszumachen. Die Konturen der angegriffenen Bierflasche wechselten – von unten nach oben betrachtet – unmittelbar von konvex zu konkav gekrümmt ohne geraden Zwischenabschnitt. Das Flaschenprofil zeige eine sanfte S-förmige Linienführung und im Wechselpunkt der Krümmungen könne nur eine Tangente angelegt werden. Die Linienführung korrespondiere mit der Gestaltung des Bandes unterhalb der Mündungslippe. Das Band sei im Längsschnitt bogenförmig gerundet ausgestaltet. Die angegriffene Bierflasche werde durch die ausgewählte Gestaltung dieses konischen Abschnittes individuell geprägt. Dies begründe einen Unterschied in dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Designs, welcher aus dem Schutzbereich des Klagemusters herausführe. Denn zweifelsohne bestehe eine erhebliche vorbekannte Musterdichte von Bierflaschen und eine geringe Gestaltungsfreiheit. Das Klagemuster habe sich zum Ziel gesetzt, als Retrodesign der Euro-Flasche wahrgenommen zu werden. In Verfolgung dieser Zielvorstellung sei der Gestaltungsspielraum begrenzt und der Schutzbereich klein.
53
Hinzu komme, dass die angegriffene Bierflasche der vorbekannten DDR-Flasche (Anlage B 6) entspreche. Der einzige Unterschied bestehe darin, dass die vorbekannte DDR-Bierflasche ein Füllvolumen von 0,5 l haben und nicht nur lediglich von 0,33 l. Wegen der Dimensionslosigkeit in Musterfragen könne es darauf aber nicht ankommen.
54
Dem Kläger stünden auch keine Ansprüche aus Wettbewerbsrecht zu, insbesondere nicht aus §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 lit. a, lit. b; 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG. Die angegriffene Bierflasche sei zwar ein Wettbewerbserzeugnis zu demjenigen des Klägers. Im Wettbewerb tummelten sich allerdings auch weitere Anbieter derartiger 0,33 Bierflaschen im Retrodesign der Euro-Flasche. Zudem sei die Bierflasche nach dem Klagemuster weder bekannt im wettbewerbsrechtlichen Sinne, insbesondere bekannter als diejenige der Beklagten oder anderer Mitbewerber, noch könne von einer objektiven Nachahmung gesprochen werden. Zudem fehle es aus den genannten Gründen an einer wettbewerblichen Eigenartigkeit des „kleinen Bruders“ der Retro „Euro-Flasche“.
55
Aus den Gründen, die bereits bei der Erörterung der geschmacksmusterrechtlichen Fragestellung behandelt worden seien, bestehe zwischen der 0,33 Liter-Flasche des Klägers und der angegriffenen SUD-Flasche der Beklagten kein gemeinsamer Gesamteindruck. Vielmehr unterschieden sich die gegenüberstehenden Bierflaschen deutlich in der Ausgestaltung des Schulterbereichs. Die SUD-Flasche sei zudem höher und im Durchmesser kleiner. Jeder Einkäufer einer Brauerei werde sehr große Aufmerksamkeit auf den Durchmesser der Flaschen legen, schließlich müsse er auch den dazu passenden Kasten bzw. Träger bestellen.
56
Soweit es um die Prüfung wettbewerbsrechtlicher Tatbestände gehe, insbesondere im Hinblick auf Nachahmung, bestünden die maßgeblichen Verkehrskreise aus Brauereien und Abfüllern, die den Markt kennen. Weil Bierflaschen im Umlaufsystem (Pfandflaschen) eine Lebensdauer von 10 Jahren und mehr erreichten, träfen die Verkehrskreise die Entscheidung über die Wahl einer Bierflasche mit besonderer Sorgfalt. Die Glasflaschen würden nicht auf Sicht gekauft, sondern sorgfältig ausgesucht, erprobt und erst dann für einen langen Zeitraum bestellt. Die Marketingabteilungen sowohl der Brauereien als auch der Flaschenhersteller, allesamt Fachleute, seien darin eingebunden. Für die Brauereien spiele auch eine wesentliche Rolle, ob solche Bierflaschen in vorhandene Kästen bzw. Träger aufgenommen werden könnten.
57
Eine Verwechslung der sich gegenüberstehenden Bierflaschen innerhalb der angesprochenen Verkehrskreise sei ferner deshalb ausgeschlossen, weil die Bierflaschen der Beklagten am Flaschenboden andere Punt Marks aufwiesen, als die des Klägers. In Fachkreisen sei dies bekannt.
58
Ein Tatbestand der Rufausbeutung nach § 4 Nr. 3 lit. b UWG sei fernliegen. Der Kläger sei nicht der einzige Anbieter von Flaschen der Füllgröße 0,33 in Braunglas. Die Erweiterung des Flaschenangebots durch Mitbewerber könne per se keine Rufausnutzung sein, sondern sei dem Wettbewerb immanent und fördere Innovationen. Der Bekanntheitsgrad der angegriffenen SUD-Flasche der Beklagten dürfte zudem deutlich höher, jedenfalls nicht kleiner sein als derjenige der Flaschen des Klägers.
59
Der Kläger erwidert, die angeblich vorbekannten Formenschatz gegenüber dem Klagemuster darstellende Bierflasche „L. “ stelle offensichtlich weder eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der Gestaltung des Klagemusters noch eine einen gleichen Gesamteindruck erzeugende und damit die Eigenart des Klagemusters vorwegnehmende Gestaltung dar. Die nur unvollständigen und perspektivischen Abbildungen in Anlage B 4 ließen eine genauere Bestimmung der Dimension nicht zu. Soweit erkennbar bestünden aber erhebliche Unterschiede zumindest im Verhältnis der Höhe des Halsstücks zur Gesamthöhe und in der Konturlinienführung des Halsstücks (also des Übergangs vom zylindrischen Flaschenkörper zum Mundstück), die bei der „L. “-Flasche im Wesentlichen linear flach, also nicht gekurvt verlaufe. Bereits diese zwei prägenden Flaschenmerkmale bewirkten einen erheblich unterschiedlichen Gesamteindruck gegenüber dem Klagemuster. Weiterhin schließe sich bei der „L. “-Flasche der konisch geformte Übergangsbereich direkt an das Mundstück an, während beim Klagemuster noch ein kurzer zylindrischer Bereich zwischen Mundstück und gekurvtem Übergangsbereich vorhanden sei. Dies lasse die „L. “-Flasche gewissermaßen „halslos“ erscheinen.
60
Die mit Anlage B 8 eingereichten Abbildungen von „DDR-Flaschen“ stellten anscheinend verschiedene Flaschen dar. Die verzerrten Darstellungen ließen eine Beurteilung des Gesamteindrucks nicht abschließend zu. Auf den Abbildungen eindeutig zu erkennen sei jedoch, dass es sich um 0,5 l Flaschen handele, deren Gestaltung weitgehend der 0,5 l „Euro-Flasche“ entspreche. Die Flaschen wiesen aus diesem Grund denselben Gesamteindruck auf wie die bereits erörterte „EuroFlasche“, welcher – wie ausgeführt – von dem des Klagemusters deutlich verschieden sei. Im Übrigen lasse der Vortrag der Beklagten nicht konkret erkennen, wann, wo und wie die in Anlagenkonvolut B 8 abgebildeten Flaschen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein sollten.
61
Dem Kläger sei bekannt, dass der Wettbewerber Wiegand inzwischen ebenfalls eine 0,33 l-Flasche anbiete. Inwieweit die Wiegand-Flasche mit dem Original-Produkt des Klägers in den Maßen und/oder im Gesamteindruck übereinstimme, könne anhand der Einlichtung im Schriftsatz der Beklagten oder der Anlage B 9 nicht abschließend beurteilt werden. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass die Brauerei H. oder das Hofbräuhaus München ihr Bier in einer Wiegand-Flasche verfüllten.
62
In der Tat wiesen 0,33 l-Bierflaschen unterschiedliche Formen und Abmessungen auf. Folglich bedürfe es für unterschiedliche Flaschen vielfach unterschiedlich konstruierter bzw. unterteilter Kästen. Diese würden typischerweise von Flaschenhersteller passend für die entsprechende Flasche mit angeboten (wenn auch typischerweise nicht von diesem hergestellt).
63
Die Punt Marks seien bei der Flasche bei bestimmungsgemäßem Stehen auf dem Boden nicht sichtbar. Sie seien offensichtlich nicht geeignet, die optische Wirkung der Flaschenform und den Gesamteindruck in irgendeiner Form zu beeinflussen, auch nicht für den Flaschen-Einkäufer einer Brauerei.
64
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen und das Sitzungsprotokoll vom 25.04.2022 (Bl. 99/100 d. A.) Bezug genommen.
65
Mit Zustimmung der Parteien (Bl. 103 und 105 d. A. sowie Bl. 132 und 133 d.A.) hat das Gericht durch Beschluss vom 14.06.2022 (Bl. 106 d.A.) und erneuten Beschluss vom 09.09.2022 (Bl. 134/ 135 d.A.) die Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet.
Entscheidungsgründe
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Die Klage auf Unterlassung und weitere Folgeansprüche erweist sich als zulässig (C.) und unbegründet (D.). Die vorgreiflich zu prüfende Drittwiderklage auf Nichtigerklärung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist zulässig (A.) und unbegründet (B.).
67
Die Drittwiderklage ist gemäß Art. 24 Abs. 1, 81 lit. d, 84 GGV zulässig. Insbesondere muss die Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit nicht gegen den Kläger des Verletzungsverfahrens gerichtet sein. Aus Art. 84 Abs. 3 GGV folgt vielmehr, dass sie auch dann gegen den im Register eingetragenen Inhaber gerichtet werden kann, wenn es sich dabei um einen Dritten handelt (vgl. Eichmann/ Jestaedt/ Fink/ Meiser/ Jestaedt, GGV, 6. Auflage, Art. 84 Rdn. 13) .
68
Die Widerklage ist jedoch unbegründet. Nichtigkeitsgründe im Sinne von Art. 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 lit. b GGV sind nicht dargetan. Dem angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster EU 002205666-001 (vgl. Registerauszug, Anlage K 3) fehlte zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Anmeldung weder die erforderliche Neuheit noch die erforderliche Eigenart gemäß Art. 4 Abs. 1 GGV.
69
I. Das Klagemuster verfügt auch unter Einbeziehung der entgegengehaltenen „Euro-Flasche“ (Anlage K 6), „L. -Flasche“ B 4 und „DDR-Flasche“ (Anlage B 8) über die erforderliche Eigenart im Sinne von Art. 6 GGV. Offenbleiben kann insoweit, ob die L. Flasche und die DDR-Flasche tatsächlich als vorbekannt anzusehen sind.
70
1. Die erforderliche Eigenart liegt nach Art. 6 Abs. 1 lit. b GGV vor, wenn sich der Gesamteindruck, den ein eingetragenes Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, dass der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung zugänglich gemacht worden ist.
71
2. Der Begriff des informierten Benutzers kennzeichnet dabei einen Benutzer, dem keine durchschnittliche Aufmerksamkeit, sondern eine besondere Wachsamkeit eigen ist, sei es aufgrund seiner persönlichen Erfahrung oder seiner umfangreichen Kenntnisse im betreffenden Bereich (EuGH, GRUR 2012, 506 Tz. 53 – PepsiCo). Es handelt sich um einen Benutzer, der – ohne Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein – die verschiedenen Geschmacksmuster kennt, die es im betroffenen Wirtschaftsbereich gibt, gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen und die Produkte auf Grund seines Interesses an ihnen mit verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit benutzt (EuGH, GRUR 2012, 506 Tz. 59 – PepsiCo). Er nimmt, soweit möglich, einen direkten Vergleich der betreffenden Geschmacksmuster vor (vgl. BGH GRUR 2018, 832 Tz. 33 – Ballerinaschuh).
72
3. Bei der Bestimmung der Eigenart ist – wie bei der Bestimmung des Schutzumfangs nach Art. 10 Abs. 2 GGV – der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen (Art. 6 Abs. 2 GGV).
73
Dabei besteht zwischen dem Gestaltungsspielraum des Entwerfers und dem Schutzumfang des Musters eine Wechselwirkung (BGH GRUR 2011, 142 Tz. 17 – Untersetzer). Eine hohe Musterdichte und ein kleiner Gestaltungsspielraum des Entwerfers können dazu führen, dass bereits geringe Gestaltungsunterschiede beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorrufen, während eine geringe Musterdichte und damit ein größerer Gestaltungsspielraum selbst bei größeren Gestaltungsunterschieden beim informierten Benutzer möglicherweise keinen anderen Gesamteindruck erwecken. Der Schutzumfang hängt demnach vom Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz ab. Dieser Abstand ist durch einen Vergleich des Gesamteindrucks des Klagemusters und der vorbekannten Formgestaltung zu ermitteln. Je größer der Abstand ist, desto größer ist der Schutzumfang des Klagemusters zu bemessen (vgl. BGH GRUR 2019, 398 Tz. 14 – Meda Gate; BGH GRUR 2011, 1112 Tz. 32 – Schreibgeräte).
74
Für die Frage, welchen Abstand das Klagemuster zum vorbekannten Formenschatz einhält, kommt es dabei nicht auf einen Vergleich einzelner Merkmale des Klagemusters mit einzelnen Merkmalen vorbekannter Muster an. Maßgeblich ist vielmehr der jeweilige Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Muster, der darüber entscheidet, wie groß die Ähnlichkeit des Klagemusters mit dem vorbekannten Formenschatz ist. Das schließt allerdings nicht aus, dass zunächst die Merkmale bezeichnet werden, die den Gesamteindruck der in Rede stehenden Muster bestimmen, um den Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz zu ermitteln (BGH GRUR 2019, 398 Tz. 15 – Meda Gate; BGH GRUR 2018, 832 Tz. 20 ff. – Ballerinaschuh m.w.N.)
75
Entscheidend für die Beurteilung des Gesamteindrucks sind bei alledem allein die aus der hinterlegten Erscheinungsform erkennbaren Merkmale. Subjektive Überlegungen und die Zielsetzung des Anmelders sind nicht berücksichtigungsfähig (vgl. Eichmann/ Jestaedt/ Fink/ Meiser/ Jestaedt, GGV, 6. Auflage, Art. 6 Rdn. 31 unter Verweis auf EuGH GRUR 2012, 510 Tz. 55 – Leitpfosten zur Straßenmarkierung). Für die Beurteilung der Eigenart bedeutet dies, dass für die Bestimmung des Gesamteindrucks des angemeldeten Musters nur die Merkmale herangezogen werden können, welche sich aus der Anmeldung ergeben (Eichmann/ Jestaedt/ Fink/ Meiser/ Jestaedt, GGV, 6. Auflage, Art. 6 Rdn. 31; Ruhl/ Tolkmitt/ Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 3. Auflage, Art. 6 Rdn. 23).
76
4. Nach diesen Grundsätzen ist der Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz als gering einzuordnen. Er reicht jedoch aus, um von einer Eigenart des Klagemusters auszugehen.
77
a) Das Klagemuster Nr. 002205666-001 weist folgende für den Gesamteindruck maßgebliche Merkmale auf:
- eine kurze, zylindrische, als solche wahrnehmbare „Halspartie“, welche sich an ein Mundstück anschließt und deren Durchmesser etwas mehr als ein Drittel des Durchmessers des Hauptkörpers beträgt,
- eine „Schulterpartie“, welche am Halsstück in einer leicht konvexen Krümmung beginnt, um nach einer kurzen Geraden in einer starken konkaven Krümmung in den Hauptkörper überzugehen und welche etwa 1/5 der Gesamthöhe der Flasche misst,
- einen zylindrischen Hauptkörper, welcher etwa 2/3 der Gesamthöhe der Flasche ausmacht,
- ein Verhältnis des Durchmessers des zylindrischen Hauptkörpers zur Gesamthöhe der Flasche von etwa 1:3.
78
Bei der Beurteilung des Gesamteindrucks keine Berücksichtigung finden können die Maße der dem Klagemuster entsprechenden tatsächlich vertriebenen Erzeugnisse, wie das Volumen oder die genauen Abmessungen der Bierflasche, da diese aus der Anmeldung nicht hervorgehen. Nicht zu beachten sind ferner die Form des Mundstücks, die nahezu unmerkliche Durchmessersteigerung im oberen und unteren Teil des Hauptkörpers, die Farbe sowie die leichte Verjüngung des Flaschenbodens, da diese Merkmale – insoweit unstreitig – technisch bedingt sind (vgl. Art. 8 Abs. 1 GGV).
79
Die Kombination der maßgeblichen Merkmale, insbesondere der Proportionen von „Halspartie“, „Schulterbereich“ und Hauptkörper sowie die Ausgestaltung der „Schulterpartie“ vermittelt dem Klagemuster einen ihm eigentümlichen Gesamteindruck, nämlich den einer gedrungenen, rundlichen („knuffigen“) Flasche. Die Form wird dabei besonders durch den markanten Schulterbereich geprägt.
80
b) Die entgegengehaltenen Bierflaschen weisen einen abweichenden Gesamteindruck auf.
81
aa) Die unstreitig vorbekannte „Euro-Flasche“ (vgl. Anlage K 6) weist folgende für den Gesamteindruck maßgebliche Merkmale auf:
- eine kurze, zylindrische, als solche wahrnehmbare „Halspartie“, welche sich an ein Mundstück anschließt und deren Durchmesser etwas mehr als ein Drittel des Durchmessers des Hauptkörpers beträgt,
- eine „Schulterpartie“, welche am Halsstück in einer leicht konvexen Krümmung beginnt, um nach einer Geraden in einer konkaven Krümmung in den Hauptkörper überzugehen und welche etwa 1/4 der Gesamthöhe der Flasche ausmacht,
- einen zylindrischen Hauptkörper, welcher etwas weniger als 2/3 der Gesamthöhe der Flasche misst,
- ein Verhältnis des Durchmessers des zylindrischen Hauptkörpers zur Gesamthöhe der Flasche von etwas weniger als 1:3.
82
Der Gesamteindruck der „Euro-Flasche“ wird durch das Verhältnis von „Halspartie“, „Schulterpartie“ und Hauptkörper sowie die Ausgestaltung der „Schulterpartie“ geprägt. Das Verhältnis des Hauptkörpers zur Gesamthöhe der Flasche sowie das Verhältnis des Durchmessers des zylindrischen Hauptkörpers zur Gesamthöhe der Flasche unterscheiden sich dabei nur geringfügig vom Klagemuster, wie es sich aus der Anmeldung ergibt. Gleichwohl weicht die „EuroFlasche“ im Gesamteindruck vom Klagemuster ab. Die „EuroFlasche“ weist eine – im Verhältnis zur Gesamthöhe der Flasche – längere „Schulterpartie“ auf. Damit einher geht eine gegenüber dem Klagemuster schwächere konkave Krümmung im Übergang von der „Schulterpartie“ zum Hauptkörper. Insgesamt wirkt die „EuroFlasche“ trotz der im Übrigen ähnlichen Proportionen deshalb schlanker und langgezogener als das Klagemuster. Die dem Klagemuster eigentümliche Gedrungenheit und Rundlichkeit fehlt.
83
Zu berücksichtigen ist ferner die zum Zeitpunkt der Entwicklung des Klagemusters bestehende hohe Musterdichte im Bereich der Bierflaschen (vgl. Anlagen K 6, K 7 und K 8 a), welche zur Folge hat, dass bereits geringe Gestaltungsunterschiede beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorrufen.
84
Vor diesem Hintergrund kann dem Klagemuster Eigenart nicht abgesprochen werden. Der Schutzumfang des Klagemusters ist angesichts der gestalterischen Nähe zur vorbekannten „EuroFlasche“ jedoch gering.
85
bb) Da die entgegengehaltene „DDR-Flasche“ (vgl. Anlage B 8 und Asservat) große Ähnlichkeiten mit der „Euro-Flasche“ aufweist, gilt entsprechendes für die „DDR-Flasche“. Die „DDR-Flasche“ unterscheidet sich ebenfalls lediglich geringfügig in den Proportionen des Hauptkörpers im Verhältnis zur Gesamthöhe der Flasche sowie im Verhältnis des Durchmessers der Flasche zum Durchmesser des zylindrischen Hauptkörpers vom Klagemuster. Wie die „EuroFlasche“ weicht die „Schulterpartie“ der „DDR-Flasche“ von der „Schulterpartie“ des Klagemusters ab. Die „Schulterpartie“ der „DDRFlasche“ macht ca. 1/3 der Gesamthöhe der Flasche aus. Die konkave Krümmung im Übergang von der „Schulterpartie“ zum Hauptkörper fällt gegenüber der „Euro-Flasche“ noch schwächer aus. Die „DDR-Flasche“ wirkt deshalb im Gesamteindruck schlanker und weniger geschwungen als das Klagemuster.
86
cc) Auch die entgegengehaltene „L. -Flasche“ (vgl. Anlage B 4) vermag dem Klagemuster nicht seine Eigenart zu nehmen. Die Prüfung ist insoweit anhand der vorgelegten Abbildungen vorzunehmen, auch wenn diese die Merkmale nicht klar oder vollständig zeigen. Unklarheiten gehen zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten (vgl. Ruhl/ Tolkmitt/ Ruhl, 3. Auflage, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Art. 6 Rdn. 26).
87
Die „L. -Flasche“ unterscheidet sich bereits dadurch deutlich vom Klagemuster, dass sie über eine kaum wahrnehmbare „Halspartie“ verfügt. Es fehlt mithin die für das Klagemuster charakteristische Dreiteilung in „Halspartie“, „Schulterpartie“ und Hauptkörper. Die „L. -Flasche“ wirkt deshalb gedrungener und gleichzeitig weniger geschwungen ausgestaltet als das Klagemuster.
88
II. Dem Klagemuster fehlt nicht die erforderliche Neuheit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b GGV.
89
Nach Art. 5 Abs. 1 lit. b GGV gilt ein eingetragenes Geschmacksmuster als neu, wenn der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung des Geschmacksmusters, das geschützt werden soll, oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag, kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist. Zwei Geschmacksmuster gelten gemäß Art. 5 Abs. 2 GGV als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden. Unwesentlich sind nur solche Einzelheiten, die dem Betrachter nicht unmittelbar auffallen.
90
Die Entgegenhaltungen und das Klagemuster weisen nicht nur unwesentliche Unterschiede auf (vgl. Ziffer B. I. 4. b.).
91
Die Klage ist zulässig.
92
I. Das LG München I ist gemäß Art. 80 Abs. 1, 81 lit. a., 82 Abs. 5 GGV, §§ 63 Abs. 1, 2, 63b DesignG, 32 ZPO international, sachlich und örtlich zuständig, soweit Ansprüche wegen einer Verletzung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters geltend gemacht werden.
93
Für die hilfsweise auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage erhobenen Ansprüche sind die deutschen Gerichte international gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO zuständig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit folgt insoweit aus § 14 Abs. 1, 2 Satz 2 UWG.
94
1. Der Kläger ist prozessführungsbefugt (vgl. Art. 32 Abs. 3 S. 1 GGV).
95
Ausweislich der mit Anlage K 4 vorgelegten Prozessstandschafts- und Abtretungserklärung, deren Echtheit die Beklagte zu Recht nicht in Frage gestellt hat, hat die Drittwiederbeklagte als Rechtsinhaberin ihre Zustimmung zur gerichtlichen Geltendmachung der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverletzungsansprüche durch den Kläger erteilt.
96
Die Klage ist indes unbegründet. Sowohl die geltend gemachten geschmacksmusterrechtlichen Ansprüche als auch die hilfsweise geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche bestehen nicht.
97
I. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 89 Abs. 1 lit. a, 19 Abs. 1, 10 GGV sowie die hierauf bezogenen geschmacksmusterrechtlichen Folgeansprüche sind nicht gegeben, da die angegriffene Bierflasche („SUD-Flasche“) der Beklagten nicht in den Schutzbereich des Klagemusters Nr. 002205666-001 fällt. Das Angebot und der Vertrieb der „SUD-Flasche“ verletzen das Klagemuster daher nicht.
98
1. Nach Art. 10 Abs. 1 GGV erstreckt sich der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Die Prüfung, ob ein Modell in den Schutzbereich eines Geschmacksmusters eingreift, erfordert, dass der Schutzumfang des Geschmacksmusters bestimmt sowie sein Gesamteindruck und derjenige des angegriffenen Modells ermittelt und verglichen werden (BGH GRUR 2019, 398 Tz. 12 – Meda Gate; BGH GRUR 2018, 832 Tz. 19 – Ballerinaschuh).
99
Bei der Beurteilung des Schutzumfangs des Klagemusters ist nach Art. 10 Abs. 2 GGV der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen. Der anerkannte Grundsatz, dass der Schutzumfang eines Geschmacksmusters von dessen Abstand zum vorbekannten Formenschatz abhängt, gilt auch für die Bestimmung des Schutzumfangs eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 10 Abs .2 GGV (vgl. BGH GRUR 2018, 832 Tz. 21 – Ballerinaschuh).
100
2. Die angegriffene Bierflasche der Beklagten verletzt das Klagemuster nicht, da sie beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck erweckt.
101
a) Die Frage der Übereinstimmung des Gesamteindrucks ist aus der Sicht eines informierten Benutzers zu beurteilen (Art. 10 Abs. 1 GGV). Als „informiert“ wird ein Benutzer bezeichnet, der verschiedene Geschmacksmuster kennt, die es in dem betreffenden Wirtschaftsbereich gibt, gewisse Kenntnisse über die Elemente besitzt, die die Geschmacksmuster regelmäßig aufweisen, und die Produkte aufgrund seines Interesses an ihnen mit vergleichsweise großer Aufmerksamkeit verwendet. Seine Kenntnisse und der Grad der Aufmerksamkeit sind zwischen denen eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers und denen eines Fachmanns anzusiedeln.
102
Bei der Prüfung, ob der Gesamteindruck des angegriffenen Modells beim informierten Benutzer den gleichen Gesamteindruck wie das Klagemuster erweckt, sind sowohl die Übereinstimmungen als auch die Unterschiede der Muster zu berücksichtigen. Dabei ist eine Gewichtung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Merkmalen danach vorzunehmen, ob sie aus der Sicht des informierten Benutzers für den Gesamteindruck von vorrangiger Bedeutung sind oder in den Hintergrund treten (BGH GRUR 2019, 398 Tz. 30, 31 – Meda Gate). Auszugehen ist dabei von denjenigen Merkmalen der Erscheinungsformen eines Erzeugnisses, die anhand seiner Wiedergabe in der Anmeldung eindeutig erkennbar sind (vgl. BGH GRUR 2018, 832 Rn. 33 – Ballerinaschuh).
103
b) Das Klagemuster weist folgende für den Gesamteindruck maßgebliche Merkmale auf (vgl. auch Ziffer B. I. 4. a.):
- eine kurze, zylindrische, als solche wahrnehmbare „Halspartie“, welche sich an ein Mundstück anschließt und deren Durchmesser etwas mehr als ein Drittel des Durchmessers des Hauptkörpers beträgt,
- eine „Schulterpartie“, welche am Halsstück in einer leicht konvexen Krümmung beginnt, um nach einer kurzen Geraden in einer starken konkaven Krümmung in den Hauptkörper überzugehen und welche etwa 1/5 der Gesamthöhe der Flasche misst,
- einen zylindrischen Hauptkörper, welcher etwa 2/3 der Gesamthöhe der Flasche ausmacht,
- ein Verhältnis des Durchmessers des zylindrischen Hauptkörpers zur Gesamthöhe der Flasche von etwa 1:3.
104
Die Kombination dieser Merkmale vermitteln dem Klagemuster den Eindruck einer gedrungenen, rundlichen („knuffigen“) Flasche. Die Form wird dabei besonders durch den markanten Schulterbereich geprägt. Allerdings ist der Schutzbereich des Klagemusters angesichts des geringen Abstandes zum vorbekannten Formenschatz sowie der bestehenden hohen Musterdichte zum Zeitpunkt der Entwicklung des Klagemusters als gering anzusehen (siehe Ziffer B. I. 4. b.).
105
c) Das angegriffene Muster weist demgegenüber folgende prägende Merkmale auf:
- eine kurze, zylindrische, als solche wahrnehmbare „Halspartie“, welche sich an ein Mundstück anschließt und deren Durchmesser etwas mehr als ein Drittel des Durchmessers des Hauptkörpers beträgt,
- eine „Schulterpartie“, welche am Halsstück in einer leicht konvexen Krümmung beginnt, um nach einer Geraden in einer leicht konkaven Krümmung in den Hauptkörper überzugehen und welche etwa 1/4 der Gesamthöhe der Flasche misst,
- einen zylindrischen Hauptkörper, welcher etwa 2/3 der Gesamthöhe der Flasche ausmacht,
- ein Verhältnis der Breite des zylindrischen Hauptkörpers zur Gesamthöhe der Flasche von etwas weniger als 1:3.
106
d) In den Proportionen von „Halspartie“, „Schulterbereich“ und Hauptkörper stimmen die angegriffen „SUD-Flasche“ und das Klagemuster weitgehend überein. Beide Muster erwecken Assoziationen an die vorbekannte „EURO-Flasche“. Abweichungen ergeben sich jedoch in der „Schulterpartie“ der „SUD-Flasche“. Die „SUD-Flasche“ weist eine – im Verhältnis zur Gesamthöhe der Flasche – längere „Schulterpartie“ auf als das Klagemuster. Die konkave Krümmung im Übergang von der „Schulterpartie“ zum Hauptkörper erscheint deutlich schwächer. In der Folge erweckt das angegriffen Muster einen schlankeren und eleganteren Gesamteindruck als das Klagemuster. Es weist – trotz der ähnlichen Proportionen – gerade nicht die dem Klagemuster eigentümliche Gedrungenheit und Rundlichkeit auf.
107
Angesichts des nur geringen Schutzbereichs des Klagemusters schließen die genannten Abweichungen im Gesamteindruck eine Schutzrechtsverletzung aus.
108
II. Der Kläger kann sein Begehren nicht auf §§ 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 lit. a, lit. b, UWG stützen. Zwar weist die „kleine Euro-Flasche“ des Klägers wettbewerbliche Eigenart auf (hierzu Ziffer II. 2.) und kann die von der Beklagten vertriebene „SUD-Flasche“ als nachschaffende Übernahme angesehen werden (hierzu Ziffer II. 3.). Es fehlt jedoch an besonderen Umständen, die das Verhalten der Beklagten als unlauter erscheinen lassen (hierzu Ziffer II. 4.).
109
1. Der Vertrieb einer Nachahmung kann nach § 4 Nr. 3 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart aufweist und besondere Umstände – wie eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft oder eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts – hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Unlauterkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (st. Rspr., vgl. nur BGH GRUR 2022, 160 Tz. 12 – Flying V m.w.N.).
110
2. Die „kleine Euro“-Flasche des Klägers verfügt über eine hohe wettbewerbliche Eigenart.
111
a) Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn dessen konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH GRUR 2021, 1544 Tz. 20 – Kaffeebereiter m.w.N.). Das Produkt muss sich von anderen vergleichbaren Erzeugnissen oder vom Durchschnitt in einem Maße abheben, dass der Verkehr auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen schließt (Köhler/ Bornkamm/ Feddersen/ Köhler, 40. Auflage, UWG § 4 Rdn. 3.27). Maßgebend bei der Beurteilung ist der Gesamteindruck, den das Produkt vermittelt (vgl. BGH GRUR 2016, 730 Tz. 33 – Herrnhuter Stern).
112
Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Verkehr den Hersteller der Ware namentlich kennt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn der Verkehr annimmt, die Ware stamme von einem bestimmten Hersteller, wie auch immer dieser heißen möge, oder sei von einem mit diesem verbundenen Unternehmen in Verkehr gebracht worden (vgl. BGH GRUR 2018, 311 Tz. 14 – Handfugenpistole).
113
b) Die Flasche des Klägers weist danach originär durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart auf. Zwar existieren auf dem Markt zahlreiche 0,5- und 0,33-l-Bierflaschen (vgl. Lichtbilder, Anlagen K 6, K 7, K 8 a, K 8 b, K 8 c) und lehnt sich die „kleine Euro – Flasche“ bewusst an die langjährig auf dem Markt befindliche „Euro-Flasche“ (vgl. Lichtbild, Anlage K 6) an. Von ihrem Marktumfeld hebt sich die „kleine Euro“ jedoch in ausreichendem Maße durch die konkrete Ausgestaltung und Kombination ihrer Abmessungen und Proportionen, welche sich wie folgt darstellen, ab:
- eine kurze, zylindrische „Halspartie“, welche sich an ein Mundstück anschließt,
- eine „Schulterpartie“, welche am Halsstück in einer leicht konvexen Krümmung beginnt, um nach einer kurzen Geraden in einer starken konkaven Krümmung in den Hauptkörper überzugehen und welche etwa 1/5 der Gesamthöhe der Flasche misst,
- einen zylindrischer Hauptkörper, welcher etwa 2/3 der Gesamthöhe der Flasche ausmacht,
- eine Gesamthöhe der Flasche von etwa 19 cm bei einem Durchmesser des Hauptkörpers von etwa 6 cm, was einem Füllvolumen von 0,33 l entspricht.
114
Dabei kann allein die Grundidee, die bekannte „Euro-Flasche“ in ein 0,33-l-Format umzuwandeln, im Interesse der Freiheit des Wettbewerbs keinen Schutz genießen. Dies entspricht dem Grundsatz, dass gestalterische Grundideen, die keinem Sonderschutz zugänglich wären, nicht im Wege des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes für einen Wettbewerber monopolisiert werden dürfen (vgl. BGH GRUR 2009, 1069 Tz. 21 – Knoblauchwürste; BGH GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattung). Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz kommt allein für die konkrete Umsetzung der gestalterischen Grundidee in Betracht (BGH GRUR 2009, 1069 Tz. 22 – Knoblauchwürste).
115
c) Zu Gunsten des Klägers kann angesichts der mehr als sechsjährigen Marktpräsenz der „kleine-Euro-Flasche“ sowie der vorgetragenen Werbeaufwendungen und Absatzzahlen unterstellt werden, dass die wettbewerbliche Eigenart der „kleinen Euro-Flasche“ durch eine gewisse Verkehrsbekanntheit gesteigert wurde.
116
d) Die wettbewerbliche Eigenart ist auch nicht durch das Auftreten ähnlicher Erzeugnisse auf dem Markt nachträglich wieder entfallen.
117
Die wettbewerbliche Eigenart eines Erzeugnisses kann zwar entfallen, wenn der Verkehr dessen prägende Gestaltungsmerkmale aufgrund der Marktverhältnisse nicht (mehr) einem bestimmten Hersteller oder einem mit diesem durch einen Lizenz- oder Gesellschaftsvertrag verbundenen Unternehmen zuordnet (GRUR 2018, 311 Tz. 20 – Handfugenpistole). Erforderlich ist hierfür jedoch, dass Konkurrenzprodukte in großem Umfang bzw. in großen Stückzahlen vertrieben werden (vgl. BGH GRUR 2017, 734 Tz. 41 – Bodendübel; BGH GRUR 2007, 984 Tz. 26 – Gartenliege).
118
Dass Konkurrenzprodukte, namentlich die von der Beklagten ins Feld geführte „Wiegand-Flasche“, in großem Umfang vertrieben werden, hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht nachzuweisen vermocht. Es fehlt an ausreichendem Vortrag zur Marktbedeutung des Konkurrenzproduktes.
119
3. Die angegriffene „SUD-Flasche“ stellt allenfalls eine nachschaffende Übernahme der „kleinen Euro-Flasche“ dar.
120
a) Eine Nachahmung liegt vor, wenn das angegriffene Produkt dem Originalprodukt so ähnlich ist, dass es sich in ihm wiedererkennen lässt. Hierfür ist zu prüfen, ob das angegriffene Produkt die prägenden Gestaltungsmerkmale des Originalprodukts übernimmt, die dessen wettbewerbliche Eigenart ausmachen (vgl. BGH GRUR 2018, 832 Tz. 50 – Ballerinaschuh). Ähnlichkeiten in Merkmalen, denen der Verkehr keine herkunftshinweisende Bedeutung beimisst, genügen nicht, ebenso wenig Ähnlichkeiten, die allein oder zusammen mit anderen allenfalls Erinnerungen oder Assoziationen an das Produkt, für das wettbewerbsrechtlicher Schutz begehrt wird, wachrufen können, aber nicht hinreichend geeignet sind, über die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen zu täuschen (BGH GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattung).
121
Aufgrund der Merkmale, die die wettbewerbliche Eigenart ausmachen, muss der Grad der Nachahmung festgestellt werden. Bei einer (nahezu) unmittelbaren Übernahme sind geringere Anforderungen an die Unlauterkeitskriterien zu stellen als bei einer lediglich nachschaffenden Übernahme. Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse die Nachahmung nur geringfügige Abweichungen vom Original aufweist. Eine nachschaffende Übernahme ist demgegenüber gegeben, wenn die fremde Leistung lediglich als Vorbild genutzt wird und eine bloße Annäherung an das Originalprodukt festzustellen ist (BGH GRUR 2022, 160 Tz. 38 – Flying V).
122
b) Anders als im Rahmen der Prüfung, ob eine Verletzung des Klagemusters gegeben ist, kommt es bei der Prüfung, ob eine Nachahmung vorliegt, nicht auf die Sicht eines informierten Benutzers, sondern auf diejenige des Durchschnittsverbrauchers an. Dabei ist der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass der Verkehr die in Rede stehenden Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt. Regelmäßig treten dabei die übereinstimmenden Merkmale mehr hervor als die Unterschiede, so dass es maßgeblich nicht so sehr auf die Unterschiede als auf die Übereinstimmungen ankommt (BGH GRUR 2007, 795 Rn. 34 – Handtaschen).
123
Erfolgt der Vertrieb jedoch von Fachleuten an Fachleute oder fachkundige Erwerber, ist davon auszugehen, dass sie sich – anders als das breite Publikum bei Alltagsgeschäften – genauer damit befassen und sich – im Hinblick auch auf Service- und Garantieleistungen -für den Hersteller interessieren (vgl. BGH GRUR 2012, 58 Tz. 49 – Seilzirkus; BGH WRP 2015, 717 Tz. 23 – Keksstangen; Köhler/ Bornkamm/ Feddersen/ Köhler, 40. Auflage, UWG § 4 Rdn. 3.42).
124
c) Die „kleine Euro“ und die angegriffene „SUD-Flasche“ weisen große Ähnlichkeit in ihren Abmessungen aus. Der Gesamteindruck, der sich gegenüberstehenden Produkte wird jeweils (auch) durch ihre Gesamthöhe von 19,5 cm („SUDFlasche“) bzw. 19 cm („kleine Euro“) und den Durchmesser ihres Hauptkörpers von jeweils etwa 6 cm bestimmt sowie die Länge des zylindrischen Hauptkörpers von etwa 2/3 der Gesamthöhe der Flasche. Unterschiede ergeben sich allerdings bei der Gestaltung der „Schulterpartie“. Diese ist bei der „SUDFlasche“ länger und weniger kurvig ausgestaltet. Die „SUD- Flasche“ lehnt sich insoweit optisch noch stärker an die „EuroFlasche“ an. Es handelt sich hierbei nicht um lediglich geringfügige, im Gesamteindruck unerhebliche Abweichungen. Vielmehr erweckt die Flasche der Beklagten aufgrund der abweichend gestalteten „Schulterpartie“ insgesamt einen schlankeren und eleganteren Gesamteindruck.
125
Hinzu kommt, dass es sich bei dem angesprochenen Verkehr um Fachkreise, namentlich die mit dem Einkauf von Glasflaschen betrauten Mitarbeiter von Brauereien und Getränkeherstellern handelt. Fachleute verfügen grundsätzlich über einen höheren Kenntnisstand über die im Markt angebotenen Produkte, ihre Form und Marktanteile sowie über die Hersteller und Vertriebsgesellschaften (vgl. BGH GRUR 2015, 603 Tz. 23 – Keksstangen m.w.N.). Sie befassen sich grundsätzlich genauer mit dem Angebot, so dass ihnen Unterschiede eher auffallen (vgl. Köhler/ Bornkamm/ Feddersen/ Köhler, 40. Auflage, UWG § 4 Rn. 3.42; MüKoUWG/ Wiebe, 3. Auflage, UWG § 4 Abs. 3 Rdn. 123).
126
Es ist deshalb von keiner identischen oder nahezu identischen, sondern allenfalls von einer nachschaffenden Übernahme auszugehen.
127
4. Da im Interesse der Wettbewerbsfreiheit vom Grundsatz der Nachahmungsfreiheit auszugehen ist, begründet das Vorliegen einer Nachahmung für sich genommen noch nicht die Unlauterkeit im Sinne des § 4 Nr. 3 UWG. Erforderlich ist, dass darüber hinaus ein Unlauterkeitstatbestand erfüllt ist (BGH GRUR 2017, 79 Rn. 77 – Segmentstruktur). Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
128
a) Eine vermeidbare Herkunftstäuschung im Sinne von § 4 Nr. 3 lit. a UWG ist zu verneinen. Es liegt weder eine unmittelbare, noch eine mittelbare Herkunftstäuschung vor.
129
(1) Nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG handelt unlauter, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt. Dabei ist zwischen einer unmittelbaren Herkunftstäuschung und einer mittelbaren Herkunftstäuschung zu unterscheiden. Eine unmittelbare Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, bei der Nachahmung handele es sich um das Originalprodukt. Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält oder wenn er von geschäftlichen oder organisatorischen – wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen – Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht (BGH GRUR 2022, 160 Tz. 46 – Flying V).
130
(2) Nach dem eigenen Vortrag des Klägers spielt die Flaschenform bei der Vermarktung von Getränken, insbesondere von Biersorten eine besondere Rolle. Hinzu kommt die unstreitig lange Lebensdauer der streitgegenständlichen Flaschen sowie das Erfordernis ihrer Kompatibilität mit Getränke- bzw. Bierkästen. Aufgrund der langfristigen Folgen, welche die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Flaschenform hat, darf davon ausgegangen werden, dass die Produktwahl nicht lediglich „auf Sicht“ erfolgt, sondern Ergebnis einer sorgfältigen Prüfung ist, welche eine nähere Befassung mit der konkreten Form, aber auch mit dem potenziellen Flaschenhersteller beinhaltet. Hinzu kommt, dass nach dem Vortrag der Parteien und den vorgelegten Unterlagen davon auszugehen ist, dass die streitgegenständlichen Produkte typischerweise im Wege des Direktvertriebes unmittelbar vom Hersteller bezogen werden. Auch dies setzt eine nähere Auseinandersetzung mit dem Hersteller voraus.
131
Der Abstand zwischen der Gestaltung der „kleinen EuroFlasche“ des Klägers und der Gestaltung der „SUD- Flasche“ der Beklagten (vgl. Ziffer D. II. 3.) ist ausreichend groß, um bei näherer Befassung mit der Flaschenform einer Verwechslung entgegenzuwirken. Bereits dies schließt eine unmittelbare Herkunftstäuschung aus.
132
Im Übrigen weisen die Produkte der Parteien unstreitig „Punt Marks“ auf, welche jeweils unmittelbar am Flaschenboden angebracht sind und einen Herkunftshinweis enthalten. Das angesprochene Fachpublikum ist mit der Anbringung von Punt Marks vertraut und wird diese deshalb auch zur Kenntnis nehmen.
133
(3) Für das Vorliegen einer mittelbaren Herkunftstäuschung fehlt es an konkreten Hinweisen auf lizenzrechtliche Verbindungen zwischen den Parteien. Diese können darin liegen, dass die Beklagte zuvor Originalprodukte der Klägerin vertrieben hat oder die Parteien früher einmal durch einen Lizenzvertrag verbunden waren (vgl. BGH GRUR 2022, 160 Tz. 51 – Flying V m.w.N.). Das in der Vergangenheit bereits (lizenz-) vertragliche Beziehungen zwischen den Parteien bestanden hätten, welche dem Verkehr Anlass geben könnten, von lizenzrechtlichen Verbindungen zwischen den Parteien auszugehen, ist weder vorgetragen, noch ersichtlich.
134
(4) Auch wenn die Mitglieder des Gerichts nicht zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören, sind sie wegen ihrer ständigen Befassung mit Geschmacksmuster- und hiermit zusammenhängenden Wettbewerbssachen in der Lage, das Verkehrsverständnis anhand ihrer Erfahrungen selbst zu beurteilen (vgl. BGH GRUR 2013, 1052 Tz. 29 – Einkaufswagen III; BGH GRUR 2019, 196 Tz. 19 – Industrienähmaschinen).
135
b) Auch eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des Produkts des Klägers im Sinne von § 4 Nr. 3 lit. b UWG ist nicht gegeben.
136
Eine unlautere Rufausnutzung kann zwar auch ohne Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise auf einer Anlehnung an die fremde Leistung beruhen, die eine erkennbare Bezugnahme auf den Mitbewerber oder seine Produkte erfordert. Die Frage, ob hierdurch eine Gütevorstellung im Sinne von § 4 Nr. 3 lit. b UWG unangemessen ausgenutzt wird, ist im Wege einer Gesamtwürdigung zu beantworten, bei der alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Grad der Anlehnung sowie die Stärke des Rufs des nachgeahmten Produkts, zu berücksichtigen sind. Dabei kann grundsätzlich schon die Annäherung an die verkehrsbekannten Merkmale eines fremden Produkts als solche zu einer für die Annahme einer Rufausbeutung erforderlichen Übertragung der Gütevorstellung führen. Bei einer identischen Nachahmung gilt insofern ein strenger Maßstab. Allerdings reicht es für eine Rufausbeutung nicht aus, wenn lediglich Assoziationen an ein fremdes Produkt und damit Aufmerksamkeit erweckt werden (BGH GRUR 2022, 160 Tz. 57 – Flying V).
137
Die „SUD-Flasche“ weist einen anderen Gesamteindruck als die „kleine Euro-Flasche“ auf und hält einen hinreichenden Abstand zu dem Produkt des Klägers (siehe Ziffer 4. a.). Zwar lehnt sie sich, wie die Flasche des Klägers, an die vorbekannte „EuroFlasche“ an und weckt insoweit Assoziationen sowohl an die „Euro-Flasche“, als auch an die „kleine-Euro-Flasche“. Weder für die Gestaltung der „Euro-Flasche“, noch für die Grundidee, die „Euro-Flasche“ in ein 0,33-l-Format umzuwandeln kann der Kläger indes wettbewerbsrechtlichen Schutz beanspruchen (vgl. Ziffer D. II. 2.). Die Anlehnung an die „Euro-Flasche“ vermag eine unangemessene Rufausnutzung nicht zu begründen.
138
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
139
Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO.