Inhalt

OLG München, Urteil v. 17.02.2022 – 29 U 747/21
Titel:

Unzulässigkeit einer Klausel zur Beschränkung der Nutzung von mobilen Daten auf nicht stationäre Endgeräte

Normenketten:
BGB § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1
VO (EU) 2015/2120 Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Wird die Nutzung eines mobilen Internetzugangs durch einen Mobilfunkanbieter in AGB auf die Nutzung in nicht stationären Endgeräten beschränkt, stellt dies keine Leistungsbeschreibung dar, sodass eine Inhaltskontrolle möglich ist. (Rn. 25 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einschränkung der Nutzung eines mobilen Internetzugangs durch einen Mobilfunkanbieter in AGB auf die Nutzung in nicht stationären Endgeräten ist unzulässig. (Rn. 34 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Leistungen, Inhaltskontrolle, Bundesnetzagentur, Leistungsbeschreibung, Geschwindigkeit, Bestimmtheit, Nutzung, Kommission, Klausel, Internet, Unionsrecht, Freistellung, Telekommunikation, Leistungspflicht, Nutzung von, geltendes Recht, Zahlung von Abmahnkosten
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 28.01.2021 – 12 O 6343/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 04.05.2023 – III ZR 88/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 48908

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 28.01.2021, Az. 12 O 6343/20 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Endurteil des Landgerichts München I vom 28.01.2021, Az. 12 O 6343/20 wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das vorliegende Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich des Unterlassungsgebots des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von Euro 50.000,- abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten im Verbandsklageverfahren um eine von der Beklagten in ihren Mobilfunkverträgen verwendete Vertragsklausel.
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Der Kläger, eine qualifizierte Einrichtung gemäß § 3 Abs. 1 Nummer 1 UKlaG und in der entsprechenden Liste des Bundesamtes für Justiz geführt, ist der Dachverband der Verbraucherzentralen der Länder und weiterer Verbände in Deutschland. Die Beklagte bietet Telekommunikationsdienste an.
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Zum Angebot der Beklagten gehört auch der Tarif „O. F. U.“. In diesem Tarif stellt die Beklagte den Kunden ausweislich ihrer „Preisliste Mobilfunk P.“ ein unbegrenztes Inklusiv-Datenvolumen für das Internet zur Verfügung. Der Begriff „unbegrenzt“ in der Preisliste ist mit Fußnote 7 versehen, in der es u.a. – und hier streitgegenständlich – wie folgt heißt:
„Der mobile Internetzugang kann/ darf nur mit Smartphones, Tablets oder sonstigen Geräten genutzt werden, die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen (nicht z.B. in stationären LTE-Routern).“
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Ergänzend wird auf Anlage K1 Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 04.02.2020 (K2) mahnte der Kläger selbst die Beklagte ab.
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Die Bundesnetzagentur untersagte der Beklagten mit Bescheid vom 25.11.2021, die streitgegenständliche Klausel zu verwenden und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld von Euro 100.000 an (Abdruck des Bescheids nach Blatt 150/152 der Akten).
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Der Kläger hat vorgetragen, die Verwendung der streitgegenständlichen Klausel verstoße gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nummer 1 BGB in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/2120 vom 25.11.2015 (kurz: TK-Binnenmarkt-VO oder TSM-VO). Die Klausel verletze die in Art. 3 Abs. 1 TSM-VO normierte Endgerätefreiheit. Die genannte Vorschrift gewähre Endnutzern das Recht, über ihren Internetzugang Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen. Die Klausel der Beklagten schließe im Gegensatz dazu bestimmte Endgeräte von vornherein von der Nutzung in dem streitgegenständlichen Tarif aus. Dies betreffe sämtliche Endgeräte, die eine permanente Stromzufuhr durch ein Kabel benötigten. Ausdrücklich seien dies nach dem Klauselwortlaut stationäre LTE-Router, also Geräte, die unmittelbar mittels der von der Beklagten im Rahmen des Tarifs überlassenen SIM-Karten den Internetanschluss herstellen, dabei jedoch eine permanente kabelgebundene Stromversorgung benötigten, aber auch alle anderen kabelgebundenen Geräte. Von der Klausel seien auch solche Endgeräte betroffen, die den Zugang über einen solchen LTERouter indirekt nutzten, dabei jedoch Mobilgeräte seien. Dass manche Endgeräte über eine sogenannte Tethering-Funktionalität – also die Möglichkeit, anderen Geräten einen Internetzugang zu vermitteln – verfügten, ändere nichts an der Verbotswidrigkeit der streitgegenständlichen Klausel.
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Die Klausel unterliege auch der Inhaltskontrolle. Es handele sich um eine Regelung, die die Leistungspflicht der Beklagten einschränke, verändere, ausgestalte oder modifiziere. Sie betreffe nicht den einer Überprüfung entzogenen Kernbereich der Leistungsbeschreibung.
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Im Übrigen werde durch die streitgegenständliche Klausel von einem gesetzlichen Leitbild abgewichen. Dieses bestehe in der Regelung des Art. 3 TSM-VO. Ausweislich der Erwägungsgründe dieser Verordnung sei die Endgerätefreiheit eines der wesentlichen Elemente der Verordnung im Hinblick auf den Schutz der Endkunden.
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Die Beklagte hat vorgetragen, sie biete Produkte zur Herstellung eines Internetanschlusses an, wobei sich die Produkte insbesondere darin unterschieden, ob sie für eine mobile oder eine stationäre Nutzung vorgesehen seien. Diese Einteilung des Angebots in solche unterschiedlichen Portfolios sei marktüblich. Die Unterscheidung zwischen mobilen und stationären Zugangsangeboten richte sich an unterschiedliche Kundenbedürfnisse. Die Tarife, bei denen die beanstandete Klausel eingesetzt werde, seien für eine mobile, ortsunabhängige Nutzung gedacht und würden den Kunden für genau diesen Einsatzzweck angeboten.
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Die Klausel unterliege ohnehin nicht der Inhaltskontrolle, weil sie die Hauptleistungspflicht regle. Durch die Bezugnahme auf einen „mobilen Internetzugang“ lege die Klausel von vornherein fest, für welchen Zweck und in welchem Umfang eine Leistungsverpflichtung der Beklagten bestehe. Der Kunde könne sich je nach seinen Bedürfnissen für einen mobil nutzbaren Internetanschluss oder eben für einen stationären entscheiden. Ein wesentlicher, preisbildender Unterschied der Tarife der Beklagten liege darin, ob diese für eine stationäre oder für eine mobile Nutzung vorgesehen seien. Mit der streitgegenständlichen Klausel sei die entsprechende Hauptleistung in Form der mobilen Internetnutzung mittels Endgerät beschrieben. Dementsprechend handele es sich nicht um eine nachträgliche Einschränkung eines bereits zugesagten Hauptleistungsversprechens.
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Die Klausel weiche nicht vom Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nummer 1 BGB ab. Art. 3 Abs. 1 TSM-VO habe keine Leitbildfunktion im Sinne dieser Vorschrift. Telekommunikationsverträge seien schwerpunktmäßig Dienstverträge. Art. 3 Abs. 1 TSM-VO statuiere keine absolute Verpflichtung des Anbieters gegenüber den Endnutzern, die als Leitbild dienen könnten. Die Hauptaufgabe der TSM-VO bestehe darin, den Zugang zum offenen Internet zu gewährleisten. Einzelne Rechte der Endnutzer seien nur die Ausformung dieses übergeordneten zwecks der TSM-VO. Die Rechte der Endnutzer aus der TSM-VO, auch die Endgerätefreiheit, würden nicht absolut gelten. Es sei den Telekommunikationsdienstleistern unbenommen, nach den Bedürfnissen der Nutzer unterschiedlich ausgestaltete Tarife anzubieten. Die streitgegenständliche Klausel stelle keine unzulässige Einschränkung dar.
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Selbst wenn man in Art. 3 Abs. 1 TSM-VO eine Leitbildfunktion erkenne, weiche die Klausel nicht von dessen wesentlichen Grundgedanken ab. Mit der Endgerätewahlfreiheit sollten schließlich Versuche von Anbietern unterbunden werden, den Kunden die Nutzung eines ganz bestimmten, möglicherweise anbietereigenen Geräts vorzuschreiben und die Nutzung anderer Geräte zu verhindern. Die hier gegenständliche Klausel führe jedoch zu keiner solchen Beschränkung.
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Mit Urteil vom 28.01.2021, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht München I (Az. 12 O 6343/20) die Beklagte verurteilt,
1. es bei Meidung der näher bezeichneten Ordnungsmittel zu unterlassen, in Bezug auf Telekommunikationsverträge mit Verbrauchern die folgende oder eine inhaltsgleiche Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu verwenden:
„Der mobile Internetzugang kann/ darf nur mit Smartphones, Tablets oder sonstigen Geräten genutzt werden, die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen (nicht z.B. in stationären LTE-Routern).“
2. an die Klägerin Euro 214,- nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.06.2020 zu zahlen.
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Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 29.01.2021 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 11.02.2021 (Bl. 99/101 d. A.) Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung (Verfügung vom 22.03.2021, Bl. 107 d. A.) mit Schriftsatz vom 28.05.2021, bei Gericht eingegangen am selben Tag (Bl. 112/120 d. A.) begründet.
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Sie wiederholt und vertieft zur Begründung der Berufung ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug. Sie hebt insbesondere hervor, die streitgegenständliche Klausel sei nicht der Inhaltskontrolle unterworfen, weil es sich um eine gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB kontrollfreie Hauptleistungsvereinbarung handle.
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Zudem verstoße die streitgegenständliche Klausel nicht gegen Art. 3 Abs. 1 TSM-VO, denn sie stelle eine zulässige vertragliche Vereinbarung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 TSMVO dar.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts München I vom 28.01.2021 (Aktenzeichen 12 O 6343/20) zu ändern und die Klage abzuweisen.
19
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Auch er wiederholt und vertieft zur Verteidigung des Ersturteils sein Vorbringen aus dem ersten Rechtszug.
21
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.02.2021 Bezug genommen.
II.
22
Die nach § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nummer 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere gemäß § 519 Abs. 1, Abs. 2, § 517 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 520 Abs. 2, Abs. 3 ZPO begründete Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, dem Kläger stehen die durch das Landgericht zugesprochenen Ansprüche zu.
23
A. Der Kläger kann von der Beklagten aus § 1, § 3 Abs. 1 Nummer 1 UKlaG i.V.m. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB verlangen, es zu unterlassen, in Bezug auf Telekommunikationsverträge mit Verbrauchern die streitgegenständliche Klausel oder eine inhaltsgleiche Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu verwenden (Urteilstenor Ziffer 1).
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I. Bei der streitgegenständlichen Klausel handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung gemäß § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Sie ist eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung, die die Beklagte als Verwenderin der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrags stellt.
25
II. Die streitgegenständliche Klausel unterliegt der Inhaltskontrolle.
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1. Nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB unterliegen nur Klauseln der Inhaltskontrolle, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder ergänzende Regelungen vereinbart werden. Klauseln, die Art, Umfang und Güte der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen (Leistungsbeschreibungen und Preisvereinbarungen), sind dagegen von der Inhaltskontrolle ausgenommen. Es ist nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie den Vertragsparteien im Allgemeinen freigestellt, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen.
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Die Freistellung von der Inhaltskontrolle gilt jedoch nur für Abreden über den unmittelbaren Leistungsgegenstand. Dagegen sind Regelungen, die die Leistungspflicht des Verwenders einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, inhaltlich zu kontrollieren. Für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung verbleibt nur der Bereich von Regelungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (statt vieler BGH NJW 2019, 2997, Rz. 19 m.w.N.).
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Die Bedingungen sind dabei ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden nach dem objektiven Inhalt und typischen Sinn der in Rede stehenden Klausel einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Verkehrskreise verstanden werden (BGH MMR 2011, 520, Rdnr. 10; BGH MMR 2015, 277, Rdnr. 9).
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1. Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der streitgegenständlichen Klausel zur mobilen Nutzung nicht um eine kontrollfreie Leistungsbeschreibung. Die Klausel regelt nicht unmittelbar Hauptleistungspflichten der Parteien, sondern sie betrifft eine die Leistungspflicht der Beklagten einschränkende Nebenabrede. Denn die Hauptleistungspflicht der Beklagten besteht gemäß Ziffer 2.1 ihrer „Leistungsbeschreibung für Mobilfunkdienstleistungen“, Stand Juli 2020 (wiedergegeben aus der Berufungserwiderung vom 30.08.2021, Fußnote 6) unwidersprochen darin, ihren Kunden einen Mobilfunkanschluss bereitzustellen. Anders als die Beklagte vorträgt, vereinbart sie damit mit ihren Kunden gerade nicht einen Tarif zur mobilen Nutzung, d. h. unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen Stromanschluss (Berufungsbegründung vom 28.05.2021, Seite 3, Blatt 114 der Akten). Damit unterfällt das streitgegenständliche Nutzungsverbot auch nicht dem Bereich von Regelungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (BGH MMR 2018, 160, Rz. 15).
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Außerdem schränkt die streitgegenständliche Klausel die erlaubte Nutzung der durch die Beklagte zu erbringenden Leistung ein, was keine Leistung der Beklagten darstellt. Derartige Regelungen, die die Leistungspflicht des Verwenders einschränken, sind von einer Inhaltskontrolle nicht ausgenommen.
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Anders verhält es sich bei den von der Beklagten ins Feld geführten Regelungen betreffend Geschwindigkeit und Datenvolumen (vgl. dazu BGH NJW 2018, 534, Rz. 23). Diese beiden Parameter unterliegen dem Einfluss der Beklagten und stellen von ihr zu erbringende Leistungen dar. Sie regelnde Vertragsklauseln sind daher von der Inhaltskontrolle ausgenommen.
32
Demgegenüber schränkt die streitgegenständliche Klausel die technisch mögliche, vollumfängliche Nutzung der Leistung der Beklagten durch Verbraucher nur ein. Dieses Verbot zu befolgen, obliegt dem Verbraucher und betrifft somit nicht die Leistungspflicht der Beklagten.
33
Die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob die Beklagte mit der Unterscheidung zwischen stationärer und mobiler Nutzung einem Wunsch ihrer Kunden nachkommt, wie sie selbst geltend macht, oder ob die Kunden nicht vielmehr ein bloß funktionales Interesse an einem Internetzugangsdienst haben, muss nicht entschieden werden, weil es auf die Kundenwünsche hier nicht ankommt. Überdies liegen der Bundesnetzagentur jedenfalls keine Belege dafür vor, dass diese Portfolioentwicklung nachfragegesteuert wäre (Stellungnahme der Bundesnetzagentur vom 27.07.2021, Seite 3, Blatt 132 der Akte).
34
III. Der Inhaltskontrolle hält die streitige Klausel nicht stand, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen, von denen abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und die Kunden der Beklagten unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB), denn die Klausel verletzt das Recht der Nutzer auf freie Endgerätewahl und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 TSM-VO.
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1. Gemäß Art. 3 Abs. 1 TSM-VO haben Endnutzer unter anderem das Recht, Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen. Der diesbezügliche Erwägungsgrund 5 der TSM-VO lautet: „Die Endnutzer sollten beim Zugang zum Internet frei unter den verschiedenen Arten von Endgeräten im Sinne der RL 2008/63/EG der Kommission wählen können. Internetzugangsanbieter sollten über die von den Herstellern oder Händlern der Endgeräte im Einklang mit dem Unionsrecht angewandten Beschränkungen hinaus keine weiteren Beschränkungen auf die Nutzung von Endgeräten, die die Verbindung zum Netz herstellen, anwenden.“
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a) Das Recht auf freie Endgerätewahl gilt für Endgeräte im Sinne der Richtlinie 2008/63/EG. Nach deren Art. 1 Nummer 1 lit. a sind Endeinrichtungen direkt oder indirekt an die Schnittstelle eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes angeschlossene Einrichtungen zum Aussenden, Verarbeiten oder Empfangen von Nachrichten; sowohl bei direkten als auch bei indirekten Anschlüssen kann die Verbindung über Draht, optische Faser oder elektromagnetisch hergestellt werden; bei einem indirekten Anschluss ist zwischen der Endeinrichtung und der Schnittstelle des öffentlichen Netzes ein Gerät geschaltet.
37
Bei den von der Beklagten durch ihre streitgegenständliche Klausel ausgenommenen LTE-Routern handelt es sich um „Endeinrichtungen“ in diesem Sinne, sie sind daher Endgeräte im Sinne der TSM-VO.
38
b) Das streitgegenständliche vertragliche Verbot, die SIM-Karte bzw. das eSIMProfil in Routern zu verwenden, schränkt das Recht der Endnutzer ein, ihre Endgeräte frei auszuwählen.
39
aa) Sofern sich die Beklagte darauf beruft, Endgeräte, die eine mobile Nutzung bezweckten, bildeten eine eigenständige Endgerätekategorie gegenüber Endgeräten, die auf eine stationäre Nutzung ausgelegt seien, ist dem zu entgegnen, dass sich diese Unterscheidung nicht aus der TSM-VO herleiten lässt. Denn die TSM-VO differenziert im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 TSM-VO bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten nicht, ob dies über ein Mobilfunk- oder Festnetz (d. h. bei stationären Anschlüssen) erfolgt. Entsprechend wird auch nicht zwischen einer stationären oder mobilen Nutzung von (mobilen) Endgeräten unterschieden. Dabei muss pauschal die Nutzung jeglichen Endgeräts möglich sein, unabhängig davon, welche technischen Zusatzfunktionen das Endgerät bietet. Kunden müssen mithin selbst entscheiden können, mit welcher Art von Endgerät inklusive seiner technischen Eigenschaften sie den Internetzugangsdienst nutzen. Ein Endgerät mit Mobilfunkschnittstelle kann sowohl im Rahmen von reinen Mobilfunktarifen als auch im Rahmen von mobilfunkbasierten Festnetzersatzprodukten genutzt werden.
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bb) Das Recht, Endgeräte der eigenen Wahl zu verwenden, kann gemäß Art. 3 Abs. 2 TSM-VO auch nicht vertraglich eingeschränkt werden.
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Dies folgt aus dem oben wiedergegebenen Erwägungsgrund 5 der TSM-VO. Weder in Art. 3 TSM-VO noch im Erwägungsgrund 5 der TSM-VO werden Endnutzerrechte derart eingeschränkt, dass ein Ausschluss der Nutzung von LTE-Routern gestattet wäre. Vielmehr stellt Erwägungsgrund 5 ausdrücklich klar, dass neben Einschränkungen, die Hersteller und Händler im Einklang mit dem Unionsrecht vornehmen dürfen, keine weiteren Beschränkungen der Nutzung von Endgeräten zulässig sind.
42
Vor diesem Hintergrund greift auch das Argument der Beklagten nicht durch, die Vereinbarung, einen Internetzugangsdienst nicht mit einem bestimmten Gerätetyp zu verwenden, sei ein „Merkmal“ eines Internetzugangsdienstes im Sinne des Art. 3 Abs. 2 TSM-VO und daher nicht grundsätzlich unzulässig. Die Beklagte meint, es sei zu berücksichtigen, inwiefern die Wahlmöglichkeiten des Endnutzers durch vom Anbieter obligatorisches Equipment eingeschränkt werde. Der ganz überwiegende Anteil an Endgeräten bleibe nach der streitgegenständlichen Vereinbarung aber zulässig, womit nur eine geringfügige Einschränkung der Wahlmöglichkeiten des Endnutzers vorliege. Die Beklagte hält daher eine einzelfallbezogene Abwägung für erforderlich und beruft sich dafür auf die Entscheidung eine EuGH, abgedruckt in NJW 2021, 219 – Telenor.
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Dem folgt der Senat nicht. Denn die genannte EuGH-Entscheidung behandelt einen anderen Sachverhalt. Das dortige Verfahren betraf ein Zero-RatingAngebot und hierbei das ebenfalls in Art. 3 Abs. 1 TSM-VO festgeschriebene Recht der Endnutzer, Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten bzw. Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen. Schließlich nimmt der EuGH in der von der Beklagten zitierten Passage (NJW 2021, 219, Rz. 39, vgl. Berufungsbegründung vom 28.05.2021, Seite 6, Blatt 117 d. A.) ausdrücklich Erwägungsgrund 7 der TSM-VO in den Blick, der sich mit diesen Rechten befasst. Erwägungsgrund 7 behandelt diese Rechte und erklärt, dass die nationalen Regulierungsbehörden befugt sein sollten, gegen Vereinbarungen vorzugehen, die aufgrund ihrer Tragweite zu Situationen führen, in denen die Auswahlmöglichkeit der Endnutzer in der Praxis wesentlich eingeschränkt wird. Damit ist in der TSM-VO zwar eine Abwägung in Bezug auf das Recht der Endnutzer, Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten bzw. Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen, angelegt. Eine vergleichbare Regelung findet sich aber in Bezug auf die hier inmitten stehende Endgerätewahlfreiheit in der TSM-VO nicht. Mit ihr befasst sich auch die genannte EuGH-Entscheidung nicht, weshalb die Entscheidung auch nicht auf den hiesigen Sachverhalt übertragbar ist.
44
Dieses Ergebnis wird bekräftigt durch die auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 3 TSM-VO erlassenen Leitlinien zur Umsetzung der Verordnung zum Offenen Internet vom Juni 2020 des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (kurz GEREC bzw. Body of European Regulators for Electronic Communications, kurz BEREC). Mögen diese Leitlinien auch keinen Normcharakter haben, handelt es sich bei ihnen doch um an die nationalen Regulierungsbehörden gerichtete Empfehlungen, denen diese weitestgehend Rechnung tragen sollen. Weiter sollen die Leitlinien zur einheitlichen Anwendung der Verordnung beitragen und hierdurch auch mehr Rechtssicherheit für die Betroffenen schaffen (vgl. Ausführungen unter „Hintergrund und allgemeine Aspekte“ der Leitlinie, in der nicht-autorisierten Übersetzung des BEREC-Dokuments BoR (16 (127) durch die Bundesnetzagentur, angepasst an BoR (20) 112 durch die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR), Fachbereich Telekommunikation und Post.). Zu dem hier im Mittelpunkt stehenden Art. 3 Abs. 2 TSM-VO heißt es in den Leitlinien: „Vereinbarungen zwischen Anbietern von Internetzugangsdiensten und Endnutzern über die gewerblichen und technischen Bedingungen und die Merkmale von Internetzugangsdiensten wie Preis, Datenvolumina oder Geschwindigkeit sowie die Geschäftspraxis der Anbieter von Internetzugangsdiensten dürfen die Ausübung der Rechte der Endnutzer gemäß Abs. 1 nicht einschränken.“ (zitiert nach o.g. Übersetzung der Leitlinien).
45
c) Hinsichtlich der weiteren erstinstanzlich vorgebrachten Argumente der Beklagten gegen eine Verletzung des Gebots der Endgerätefreiheit, die die Beklagte in ihrer Berufung nicht noch einmal explizit aufgreift, auf die sie aber umfassend Bezug nimmt (vgl. Berufungsbegründung vom 28.05.2021, Seite 8, Blatt 119), schließt sich der Senat der Einschätzung des Landgerichts an.
46
So findet sich für die Auffassung der Beklagten, die Endgerätefreiheit sei auf den Fall beschränkt, dass Telekommunikationsanbieter den Kunden die Verwendung eigener Geräte aufzwingen wollten, keine Grundlage in der TSM-VO (LGU, S. 8).
47
Auch folgt der Senat der Beklagten nicht in ihrer Auffassung, die Endgerätefreiheit werde durch die streitgegenständliche Klausel nicht eingeschränkt, weil die Einbindung auch kabelgebundener Endgeräte über das sogenannte Tethering möglich sei, sodass auch kabelgebundene Geräte zumindest indirekt angeschlossen werden könnten. Denn diese Nutzung mit einem kabelgebundenen Endgerät würde ein zusätzliches Mobilgerät voraussetzen, das den unmittelbaren Zugang über Tethering herstellt. Dies wäre mit erheblichem Aufwand verbunden und wahrt daher nicht die Endgerätefreiheit der Kunden (LGU, S. 9). Auch ist eine solche mittelbare Nutzung kabelgebundener Endgeräte über Tethering vom Wortlaut der Klausel nicht gedeckt. Denn sie unterscheidet nicht zwischen unmittelbarer und mittelbarer Nutzung, sondern untersagt jegliche Nutzung mittels kabelgebundener Endgeräte. In einem anderen Sinn kann die Klausel mit Blick auf die oben dargestellten Auslegungsgrundsätze nicht verstanden werden.
48
2. Mit der Verwendung der streitgegenständlichen Klausel weicht die Beklagte von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Insbesondere stellt die TSM-VO gemäß Art. 288 Abs. 2 AEV unmittelbar geltendes Recht dar. Die darin normierte Endgerätefreiheit stellt nach dem Inhalt der TSM-VO und ihren Erwägungsgründen ein gesetzlich normiertes Leitbild für die Gestaltung von Verträgen über Internetzugangsdiensten dar.
49
Diese Abweichung indiziert zudem eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners gemäß § 307 Abs. 1 BGB (BGH NJW 2014, 924 Rn. 45; BGH NJW 2014, 2420 Rn. 69 und BGH NJW 2017, 1018 Rn. 32). Diese Vermutung ist zwar als widerlegt anzusehen, wenn die Klausel auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung den Kunden gleichwohl nicht unangemessen benachteiligt (BGH NJW 2014, 924 und BGH NJW 2014, 2420). Dahingehende Umstände sind aber weder vorgetragen noch ersichtlich.
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B. Der Kläger kann auch die Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von Euro 214,- verlangen (Urteilstenor Ziffer 2), der Anspruch folgt aus § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 UWG.
51
Der Kläger hat aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BGB auch Anspruch auf Verzugszins ab dem Folgetag nach Zustellung der Klage am 20.06.2020, § 187 Abs. 1 BGB, § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO. Ein höherer als der sich aus § 291 Satz 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebende Prozesszins wird nicht verlangt.
III.
52
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nummer 10, § 711 Satz 1, Satz 2, § 709 Satz 2 ZPO Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung sowie zur Fortbildung des Rechts nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO zuzulassen. Die entscheidungserhebliche Frage der Auslegung der Endgerätefreiheit gemäß Art. 3 Abs. 1 TSM-VO ist höchstrichterlich nicht geklärt und über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen von Bedeutung. Insofern fehlt es für die rechtliche Beurteilung typischer oder jedenfalls verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Leitentscheidung.
53
Da im hiesigen Verfahren für die Entscheidung Bundesrecht maßgeblich ist und es sich hierbei nicht im wesentlichen um Rechtsnormen handelt, die in den Landesgesetzen enthalten sind, war die Revision nach § 8 Abs. 2 EGGVG i.V.m. Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG zum Bundesgerichtshof und nicht zum Bayerischen Obersten Landesgericht zuzulassen.