Inhalt

OLG München, Urteil v. 07.07.2022 – 29 U 431/21
Titel:

Unzureichender Sachvortrag zur Irreführungsgefahr der Produktbezeichnung eines Lebensmittels

Normenketten:
VO (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) Art. 7 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 S. 1
EssigVO § 1 Abs. 3
UWG § 3, § 3a, § 5 Abs. 1
Leitsatz:
Die schlüssige Darlegung eines Irreführungsgesichtspunkts setzt Vortrag dazu voraus, durch welche Angabe welcher konkrete Verkehrskreis angesprochen wird, welche Vorstellungen die Angabe bei diesem angesprochenen Verkehrskreis ausgelöst hat, warum diese Vorstellung unwahr ist und dass die so konkretisierte Fehlvorstellung geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte (BGH GRUR 2018, 431 Rz. 16 – Tiegelgröße). Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich die Beklagte hinreichend gegen den Angriff verteidigen und das Gericht sodann prüfen, ob es die Voraussetzungen einer irreführenden geschäftlichen Handlung feststellen kann.  (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irreführung, Produktbezeichnung, Blickfangwerbung, Verkehrsauffassung, Kennzeichnung, Zusammensetzung, Säuregehalt, Verfahrensmangel, Klageänderung, Beschwer, Unterlassungsansprüche, LMIV, rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung, Kennzeichnungspflicht, Irreführungseignung, Verkehrskreise, Klagehäufung, Zusatzangaben, Zutatenverzeichnis, Verbrauchererwartung, Essigverordnung, Bezeichnung von Lebensmitteln, Zusammengesetzte Lebensmittel, Abgrenzungskriterien, Aktivlegitimation, Verjährungseinrede, Lauterkeitsrecht, Wettbewerbsverein, Verkehrsbezeichnung, Marktverhaltensregeln, irreführende Angabe, Unterlassungsanspruch, Fruchtsaftkonzentrat
Vorinstanzen:
LG München II vom 06.07.2022 – 2 HKO 1932/20
LG München II, Endurteil vom 11.12.2000 – 2 HK O 1932/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 23.02.2023 – I ZR 127/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 47647

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München II vom 11.12.2000, Az. 2 HK O 1932/20 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Das genannte Urteil des Landgerichts München II wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das vorliegende Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger wendet sich aus Lauterkeitsrecht gegen die Bewerbung und Etikettierung von Lebensmitteln aus dem Angebot der Beklagten.
2
Der Kläger ist ein Wettbewerbsverein, dessen Zweck die Überwachung der Einhaltung der Wettbewerbsregeln ist. Ihm gehört eine erhebliche Anzahl von Gewerbetreibenden an, die Waren gleicher oder verwandter Art vertreiben wie die Beklagte (Satzung, Mitgliederliste, Tätigkeitsbericht, Erklärung des Geschäftsführers des Klägers, K1 bis K4). Die Beklagte betreibt einen Feinkosthandel mit Nahrung und Genussmitteln, und einen Onlineshop unter der Adresse www.g. .de.
3
Die Klage richtet sich gegen folgende, von der Beklagten vertriebene Produkte:
- „Aprikosen Aperitif Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, Aprikosenpüree 10%, natürliches Aprikosenaroma und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage A
- „Cranberry Aperitif Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, Cranberry Saftkonzentrat 5%, natürliches Cranberryaroma und einem Säuregehalt von 5%., vorgelegt als Anlage B
- „Erdbeer Aperitif Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, Erdbeerpüree 10%, natürliches Erdbeeraroma und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage C
- „Granatapfel Aperitif Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, Granatapfel Saftkonzentrat 2%, natürliches Granatapfelaroma und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage D
- „Heidelbeer Aperitif Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, Heidelbeerpüree 10%, natürliches Heidelbeer Aroma und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage E
- „Himbeer Aperitif Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, Himbeere Saftkonzentrat 3%, natürliches Himbeere Aroma und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage F
- „Holunderblüten Aperitif Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, natürliches Holunderextrakt 2% und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage G
- „Zitronen Aperitif Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, Zitronensaft, natürliches Zitronenaroma und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage H
- „Kirsch Balsam Essig“ mit den Zutaten gekochter Traubenmost, Weinessig, Kirschsaft 2%, natürliches Kirscharoma und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage I
- „Tomaten Balsam Essig“ mit den Zutaten konzentrierter Traubenmost, Weinessig, natürliches Tomatenaroma 0,5%. und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage J
- „Dattel Balsam Essig“ mit den Zutaten gekochter Traubenmost, Weinessig, Dattelsaftkonzentrat 3% und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage K
- „Feigen Balsam Essig“ mit den Zutaten gekochter Traubenmost, Weinessig, Feigenextrakt 2%, natürliches Feigenaroma und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage L
- „Haselnuss Balsam Essig“ mit den Zutaten gekochter Traubenmost, Weinessig, natürliches Haselnussaroma 0,3% und einem Säuregehalt von 5%, vorgelegt als Anlage M Die genannten Anlagen A bis M sind wie folgt gestaltet:
4
Auf den Zutatenverzeichnissen der streitgegenständlichen Produkte steht die Zutat Traubenmost an erster Stelle. Als Essigbestandteil verwendet die Beklagte ausschließlich Weinessig, die Produkte weisen einen Säuregehalt von 5% auf. Zudem enthalten die Produkte auch Fruchtsaftkonzentrat oder Fruchtpüree sowie Aromen.
5
Der Kläger hat vorgetragen, die streitgegenständlichen Produkte bestünden größten Teils aus Traubenmost. Sie würden fälschlicherweise als „[…] Essig“ bezeichnet. Er meint, dass es sich bei den Produkten tatsächlich nicht um Essig handele, weil ihre Zusammensetzung nicht der Legaldefinition von Essig in der Verordnung über den Verkehr mit Essig und Essigessenz (EssigV) entspreche. Hier sei die Definition in § 1 Abs. 1 EssigV maßgeblich, die die genaue Herstellungsart beschreibe. Die Produkte der Beklagten, die zum größten Teil aus Traubenmost bestünden, unter Hinzufügung von Essig in Form von Weinessig, stellten demnach schon gar keine Essige dar. Da die falsche Verkehrsbezeichnung gewählt sei, unterlägen die Lebensmittel einem Verkehrsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1, Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 lit. a), Art. 17 Abs. 1 LMIV iVm. § 4 EssigV und Art. 14 Abs. 2 lit.b) Verordnung (EG) Nr. 178/2002, da ein unsicheres Lebensmittel vorliege. Bei den Vorgaben der LMIV und der EssigV handle es sich um Marktverhaltensregeln gemäß § 3a UWG, die die Beklagte verletze, deshalb sei der Tatbestand des Rechtsbruchs erfüllt und der Kläger könne Unterlassung verlangen.
6
Außerdem wiesen die streitgegenständlichen Produkte einen Säuregehalt von nur 5% auf, während Weinessig einen Säuregehalt von 60 g/l haben müsse. Dies folge aus § 1 Abs. 3 EssigV i.V.m. Art. 78 i.V.m. Anhang VII Teil II Nr. 17 b) der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013.
7
Auch ergebe sich der Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 8 Abs. 3 Nummer 2, § 3 a UWG in Verbindung mit Art. 7 Absatz 1a, Absatz 4 LMIV. Die Beklagte informiere irreführend über die Eigenschaften der streitgegenständlichen Lebensmittel, indem sie diese als Essig ausgebe, während sie gerade nicht das Ergebnis einer Vergärung von Fruchtweinen darstellten, sondern es sich lediglich um Zubereitungen handle, die auch Weinessig enthielten. Dabei sei weder die Angabe „Aperitif“ noch „Balsam“ geeignet, über die korrekte Zusammensetzung aufzuklären. Der Verbraucher, d. h. der durchschnittlich informierte, verständige und situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsverbraucher erwarte ein wertiges Produkt, das durch die Vergärung von Grundzutaten hergestellt werde, und nicht durch das Versetzen von angekauftem fertigem Weinessig mit Traubenmost und Fruchtanteilen.
8
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meldung der näher bezeichneten Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs, Lebensmittel unter der Bezeichnung „Essig“ zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen, die auch a) konzentrierten Traubenmost enthalten, wenn dies geschieht wie bei dem „Aprikosen Aperitif Essig“ in Anlage A, dem „Cranberry Aperitif Essig“ in Anlage B, dem „Erdbeer Aperitif Essig“ in Anlage C, dem „Granatapfel Aperitif Essig“ in Anlage D, dem „Heidelbeer Aperitif Essig“ in Anlage E, dem „Himbeer Aperitif Essig“ in Anlage F, dem „Holunderblüten Aperitif Essig“ in Anlage G, dem „Zitronen Aperitif Essig“ in Anlage H, dem „Kirsch Balsam Essig“ in Anlage I, dem „Tomaten Balsam Essig“ in Anlage J, dem „Dattel Balsam Essig“ in Anlage K, dem „Feigen Balsam Essig“ in Anlage L und/oder dem „Haselnuss Balsam Essig“ in Anlage M.
und/oder
b) Fruchtpüree enthalten, wenn dies geschieht wie bei dem „Aprikosen Aperitif Essig“ in Anlage A, dem „Erdbeer Aperitif Essig“ in Anlage C, dem „Heidelbeer Aperitif Essig“ in Anlage E, und/oder dem „Dattel Balsam Essig“ in Anlage K und/oder
c) natürliche Aromen enthalten, wenn dies geschieht wie bei dem „Aprikosen Aperitif Essig“ in Anlage A, dem „Cranberry Aperitif Essig“ in Anlage B, dem „Erdbeer Aperitif Essig“ in Anlage C, dem „Granatapfel Aperitif Essig“ in Anlage D, dem „Heidelbeer Aperitif Essig“ in Anlage E, dem „Himbeer Aperitif Essig“ in Anlage F, dem „Zitronen Aperitif Essig“ in Anlage H, dem „Kirsch Balsam Essig“ in Anlage I, dem „Tomaten Balsam Essig“ in Anlage J, dem „Feigen Balsam Essig“ in Anlage L und/oder dem „Haselnuss Balsam Essig“ in Anlage M.
und/oder
d) konzentrierten und/oder nicht konzentrierten Fruchtsaft enthalten, wenn dies geschieht wie bei dem „Cranberry Aperitif Essig“ in Anlage B, dem „Granatapfel Aperitif Essig“ in Anlage D, dem „Himbeer Aperitif Essig“ in Anlage F, dem „Zitronen Aperitif Essig“ in Anlage H, dem „Kirsch Balsam Essig“ in Anlage I, dem „Dattel Balsam Essig“ in Anlage K, und/oder dem „Haselnuss Balsam Essig“ in Anlage M.
und/oder
e) gekochtes Dattelsaftkonzentrat wie geschehen bei dem „Dattel Balsam Essig“ in Anlage K enthalten und/oder
f) und/oder Fruchtextrakte enthalten, wenn dies geschieht wie bei dem „Holunderblüten Aperitif Essig“ in Anlage G, dem „Feigen Balsam Essig“ in Anlage L.
9
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte hat vorgetragen, sie sei aufgrund der Essigverordnung sogar verpflichtet, ihre Produkte als Essig zu bezeichnen, da diese einen Säuregehalt von 5% aufwiesen und auf der Basis von Weinessig hergestellt würden. Aus § 4 EssigV folge nicht, dass Erzeugnisse, die nicht den Begriff des „Essig“ im Sinne von § 1 EssigV erfüllten, nicht als Essig bezeichnet werden dürften. Denn die Essigverordnung beanspruche nur beschränkte Geltung, und stelle keine umfassende und abschließende gesetzliche Regelung dessen dar, was Essig sei. Eine Art Reinheitsgebot für Essig sei mit der Essigverordnung nicht bezweckt. Vielmehr diene sie lediglich dem Gesundheitsschutz des Verbrauchers, der zwingend darauf hingewiesen werden müsse, dass er es mit einer Säure zu tun habe. Das Hinzufügen von Zutaten diene lediglich dazu, dem Essig eine bestimmte Geschmacksnote zu geben, eine solche Art von „Veredelung“ sei unproblematisch zulässig. Ein durchschnittlicher Verbraucher erkenne ohne weiteres, dass beispielsweise ein Haselnussessig Zutaten enthalte, die den in der Bezeichnung genannten Geschmack erzeugten, wie zum Beispiel auch bei Kräuteressigen.
11
Mit Urteil vom 11.12.2020, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht München II die Klage abgewiesen.
12
Formalien der Berufung der Beklagten und der Anschlussberufung Der Kläger hat gegen dieses ihm am 21.12.2020 zugestellte Urteil mit am 20.01.2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 108/109 d. A.) Berufung eingelegt und diese mit am 18.02.2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 113/134 d. A.) begründet.
13
Der Kläger wiederholt und vertieft zur Begründung seiner Berufung das Vorbringen aus dem ersten Rechtszug. Er macht geltend, das Landgericht habe den Sachverhalt unrichtig festgestellt. So habe das Erstgericht in unzulässiger Weise als gerichtsbekannt zugrundegelegt, dass eine Vielzahl von Produkten als „Essig“ in Verbindung mit entsprechenden Geschmacksbezeichnungen vermarktet würde. Weiter sei das Landgericht in unzulässiger Weise davon ausgegangen, dass in den streitgegenständlichen Produkten die namensgebenden Zutaten in gesetzeskonformer Menge hinzugefügt seien. Letzteres sei nicht Streitgegenstand.
14
Außerdem habe das Landgericht die Legaldefinition in § 1, § 4 EssigV falsch eingestuft, und sei irrig davon ausgegangen, dass der Begriff „Essig“ als verkehrsübliche Bezeichnung auch für zusammengesetzte Lebensmittel zulässig sei. Auch habe sich das Landgericht nicht mit den Klageanträgen befasst, es hätte jede genannte Zutat darauf untersuchen müssen, ob diese in einem „Essig“ zulässig sei. Zudem habe das Landgericht die Verbrauchererwartung an Produkte, die als „Essig“ gekennzeichnet seien und in der Aufmachung den Verweis auf eine Frucht enthielten falsch festgestellt. Darüber hinaus habe sich das Landgericht von der sachfremden Erwägung des Abmahnschutzes leiten lassen.
15
Der Kläger hat znächst die erstinstanzlichen Anträge in der Berufung weiterverfolgt. Er beantragt zuletzt,
unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts München II vom 18.12.2020, Az.: 2 HK O 1932/20, wird der Beklagten bei Meldung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu vollziehen an den bzw. am jeweiligen gesetzlichen Vertreter(n) der Beklagten verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs, Produkte unter der Bezeichnung des Lebensmittels „Essig“ zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen, die auch
a) Traubenmost enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage A, Anlage B, Anlage C, Anlage D, Anlage E, Anlage F, Anlage G, Anlage H, Anlage I, Anlage J, Anlage K, Anlage L, Anlage M und/oder
b) Fruchtpüree enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage A, Anlage C, Anlage E, und/oder Anlage K und/oder
c) natürliche Aromen enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage A, Anlage B, Anlage C, Anlage D, Anlage E, Anlage F, Anlage H, Anlage I, Anlage J, Anlage L und/oder Anlage M.
und/oder
d) konzentrierten und/oder nicht konzentrierten Fruchtsaft enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage B, Anlage D, Anlage F, Anlage H, Anlage I, Anlage K, und/oder Anlage M.
und/oder
e) gekochtes Dattelsaftkonzentrat wie geschehen in Anlage K enthalten und/oder
f) und/oder Fruchtextrakte enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage G, Anlage L.
16
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
17
Die Beklagte verteidigt das Ersturteil. Erstmals in der Berufungsinstanz erhebt sie die Einrede der Verjährung und macht geltend, wegen eines Teils der streitgegenständlichen Produkte habe der Kläger die Beklagte bereits im Juli 2017 auf Unterlassung in Anspruch genommen. Weiter zweifelt die Beklagte die Aktivlegitimation des Klägers an, weil sie vermutet, dass er die Individualinteressen eines seiner Mitglieder vertrete, das die Beklagte vom Markt verdrängen wolle.
18
Außerdem macht die Beklagte geltend, der Klageantrag gehe über das hinaus, was der Kläger im Falle einer Irreführung fordern könne. Denn er könne, sofern Irreführung bejaht würde nur verlangen, dass die streitgegenständlichen Produkte nicht als Essig bezeichnet werden dürfen, wenn Essig nicht aus der Vergärung der jeweils namensgebenden Zutat hergestellt worden sei.
19
Berufungsreplik Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.06.2022 Bezug genommen.
II.
20
Die nach § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nummer 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere gemäß § 519 Abs. 1, Abs. 2, § 517 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 520 Abs. 2, Abs. 3 ZPO begründete Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht zu, ob er aktivlegitimiert ist und ob Verjährung eingetreten ist, kann daher offen bleiben.
21
A. Der Verfahrensmangel einer fehlenden wirksamen Aufnahme des Rechtsstreits nach der Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 S. 2 ZPO ist geheilt.
22
Zwar fehlt es an der wirksamen Aufnahme des Rechtsstreits, weil der Aufnahmeschriftsatz des Klägers vom 21.04.2021 nach der Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 S. 2 ZPO nicht dem nach § 250 ZPO richtigen Gegner zugestellt wurde. Dieser Verfahrensmangel ist aber geheilt, gemäß § 295 ZPO durch rügelosen Sachantrag (§ 297 ZPO). Die dafür erforderliche Kenntnis der Beklagten bzw. deren Prozessbevollmächtigter von diesem Mangel (§ 51 Abs. 2 ZPO, § 85 Abs. 2) ist auch gegeben (Schriftsatz der Beklagten vom 22.04.2021, Bl. 146/147 d.A.). Zudem ist dieser Verfahrensmangel der Heilung zugänglich (Stackmann in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, Rn. 12 zu § 250).
23
B. Sofern in der Änderung des Klageantrags im Termin vom 02.06.2022 (Sitzungsprotokoll vom 02.06.2022, S. 3, Bl. 174 d.A.) eine Klageänderung zu erblicken ist, ist diese trotz fehlender Zustimmung der Beklagten (Sitzungsprotokoll vom 02.06.2022, S. 3, Bl. 174 d.A.) zulässig, weil sachdienlich nach § 533 Nr. 1 Fall 2 ZPO und weil sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das hiesige Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat, § 533 Nr. 2 i.V.m. § 529 ZPO.
24
Maßgeblich für die Frage der Sachdienlichkeit ist der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, wobei die Erledigung der Streitpunkte zwischen den Parteien entscheidend ist. Die Sachdienlichkeit kann bei der gebotenen prozesswirtschaftlichen Betrachtungsweise nur verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt wird, ohne dass das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden kann (BGH NJW 2007, 2414; 2011, 2796; WM 2020, 841). Das ist hier nicht der Fall, vielmehr räumt die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits aus und beugt einem anderenfalls zu führenden Rechtsstreit vor.
25
C. Die für die Zulässigkeit des hiesigen Rechtsmittels erforderliche Beschwer sowie das nötige Bestreben, diese Beschwer mit dem Rechtsmittel zu beseitigen (BGH NJW 2003, 2172, 2173; NJW-RR 1988,959), ist trotz der Änderung des Klageantrags gegeben. Denn bei dieser Änderung handelt es sich lediglich um eine Neufassung des Antragswortlauts, um die unverändert beanstandete Verhaltensweise zutreffend zu erfassen. Der das unveränderte Klageziel in andere Worte fassende Antrag geht sachlich nicht über das erstinstanzliche Begehren hinaus (vgl. BGH GRUR 2015, 1108, Rn. 28 – Green-IT; Cassardt in: Cepl/ Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, Rz. 19 zu § 511).
26
Dies zeigt der Vergleich der ursprünglichen Antragsfassung mit der endgültigen Fassung. Der Kläger wandte sich von Anfang an gegen die Verwendung von „Essig“ in den Produkten gemäß Anlagen A bis M. So lautete die ursprüngliche Antragsformulierung „wie bei dem „Aprikosen Aperitif Essig““ und nicht „wie in „Aprikosen Aperitif Essig“. Angriffsrichtung war daher von Anfang an nicht die Verwendung des Begriffs „Essig“ in der Produktbezeichnung „Aprikosen Aperitif Essig“, sondern die Verwendung dieses Begriffs in der gesamten Produktaufmachung. Dies wird auch belegt durch die erstinstanzliche Bezugnahme des Klägers auf die Aufmachung. Mit diesem unveränderten Begehren wurde der Kläger in der ersten Instanz abgewiesen, womit er beschwert ist und er erstrebt mit der Berufung die Beseitigung dieser Beschwer.
27
D. Die geltend gemachten Unterlassungsansprüche stehen dem Kläger aber auch in der zuletzt gestellten Antragsfassung nicht zu. Sie folgen weder aus einem Verstoß gegen die LMIV i.V.m. EssigV noch aus einem Verstoß gegen das Irreführungsverbot gemäß Art. 7 LMIV.
28
I. Ein Verstoß gegen LMIV i.V.m. EssigV liegt nicht vor.
29
Art. 17 Abs. 1 S. 1 LMIV legt fest, dass ein Lebensmittel mit seiner rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung zu bezeichnen ist. Unter der rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung ist gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. n) LMIV die Bezeichnung eines Lebensmittels zu verstehen, die durch die für dieses Lebensmittel geltenden Rechtsvorschriften der Union vorgeschrieben ist. Wenn es keine entgegenstehenden unionsrechtlichen Vorschriften über eine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung gibt, kann eine solche auf Ebene der Mitgliedsstaaten festgelegt werden. Es muss sich dabei aber um eine Vorschrift mit normativer Geltungsanordnung handeln (Meisterernst in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 180. EL Juli 2021, Rn. 102 zu Art. 2). Sind für bestimmte Lebensmittel Bezeichnungen rechtlich ausdrücklich vorgeschrieben, so sind diese zwingend zu verwenden. Dies ergibt sich in der Regel bereits aus der Geltungsanordnung des betreffenden Rechtsakts, mit dem die betreffende Bezeichnung gesetzlich festgelegt wird.
30
Der Kläger beruft sich insoweit auf § 4 Abs. 1 EssigV. Die Vorschrift bestimmt, dass Essig nur in den Verkehr gebracht werden darf, wenn er wie dort festgeschrieben gekennzeichnet ist. Was Essig im Sinne dieser Verordnung ist, legt § 1 Abs. 1 EssigV fest. Der Kläger schließt aus der dargestellten Kennzeichnungspflicht das Verbot der Kennzeichnung als „Essig“, wenn das betreffende Produkt nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 EssigV erfüllt. Er ist der Auffassung, dass sich mit der Legaldefinition einer Lebensmittelbezeichnung ein Numerus Clausus des Bezeichnungsschutzes ergebe, der dem Verbraucher helfen solle, das Lebensmittel zu erkennen.
31
Zwar trifft letzteres zu und ist die Bezeichnung eines Lebensmittels von zentraler Bedeutung, da sie das Lebensmittel für den Verbraucher erkennbar macht. Damit spielt die Bezeichnung des Lebensmittels eine herausragende Rolle im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Lebensmittelaufmachung als irreführend (Grube in: Voit/Grube, Lebensmittelinformationsverordnung, 2. Auflage 2016, Rn. 2 zu Art. 17). Jedoch folgt hieraus kein Numerus Clausus der Bezeichnung „Essig“. Ziel der EssigV ist es ausweislich ihrer amtlichen Begründung zur Fassung 1972 (abgedruckt in Rathke in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Werkstand: 180. EL Juli 2021, Vorbemerkung, Rn. 1-7), Gefahren für Leib und Leben von Menschen auszuschalten. Essig, der unter die EssigV fällt, ist als solcher zu kennzeichnen, um insbesondere Verätzungen und Schäden wie Narben, Strikturen oder Perforationen im Mund-, Hals- und Rachenraum bei Menschen, insbesondere bei Kleinkindern vorzubeugen. Daher gibt die Verordnung Warnhinweise vor.
32
Daraus folgt aber nicht, dass Zusammensetzungen, die nicht die Merkmale des § 1 Abs. 1 EssigV erfüllen, nicht als „Essig“ bezeichnet werden dürfen. Dabei kann offen bleiben, ob die streitgegenständlichen Produkte unter die EssigV fallen. Ist dies der Fall, ist die Kennzeichnung verpflichtend. Fallen sie nicht unter die EssigV, schadet eine Kennzeichnung als Warnung vor Risiken nicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 17 LMIV. Dies gilt zumal Art. 17 Abs. 1 S. 1 LMIV positiv formuliert, dass die gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnung zwingend zu verwenden ist. Ein Verstoß liegt vor, wenn diese gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnung nicht verwendet wird. Umgekehrt folgt aber kein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 S. 1 LMIV daraus, dass Lebensmittel eine Bezeichnung führen, obwohl sie die dafür geltenden Voraussetzungen nicht erfüllen.
33
II. Auch folgen die geltend gemachten Klageansprüche nicht aus einem Verstoß gegen das Irreführungsverbot gemäß Art. 7 LMIV.
34
1. Eine Information über Lebensmittel ist irreführend im Sinn von Art. 7 LMIV, wenn sie zur Täuschung geeignet ist. Eine tatsächlich eingetretene Irreführung oder gar Schädigung muss weder vorliegen noch nachgewiesen werden, um einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot zu begründen. Vielmehr ist die „Täuschungseignung“ der Irreführung immanent (EuGH ZLR 1995, 667 – Sauce Hollandaise/Sauce Béarnaise).
35
Zur Täuschung geeignet ist eine Information dann, wenn sie den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entspricht und daher geeignet ist, bei den angesprochenen Verkehrskreisen zumindest auch unrichtige Vorstellungen über das Produkt zu erwecken. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn eine Lebensmittelinformation mehrere Deutungsmöglichkeiten zulässt und nur eine dieser Deutungsmöglichkeiten nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt (Grube in: Voit/Grube, Lebensmittelinformationsverordnung, 2. Auflage, Rn. 46 zu Art. 7).
36
Die Gesamtaufmachung des Lebensmittels ist entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob eine Irreführungseignung gegeben ist (BGH GRUR 2003, 631 – L-Glutamin). Hierzu gehören neben dem Wortlaut werblicher Aussagen auch Bilder bzw. Grafiken (Grube in: Voit/Grube, Lebensmittelinformationsverordnung, 2. Auflage, Rn. 47 zu Art. 7). Potenziell irreführende Angaben oder Abbildungen können durch erläuternde Zusatzangaben relativiert werden (BGH GRUR 2003, 631 – L-Glutamin). Auch sind die Informationen des Zutatenverzeichnisses heranzuziehen, wenn die Zusammensetzung des Lebensmittels für die Kaufentscheidung des Verbrauchers relevant ist (vgl. EuGH ZLR 1995, 667 – Sauce Hollandaise/Sauce Béarnaise). Jedoch kann die Zutatenliste allein ungeeignet sein, die in den Vordergrund gerückten, objektiv unrichtigen Angaben auf der Produktverpackung durch klarstellende Angaben aufzuklären (BGH GRUR 2016, 738 Rz. 18 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II).
37
Bei der Ermittlung der mutmaßlichen Verkehrserwartung ist im Kontext der LMIV v. a. die Auffassung der Verbraucher, und zwar der Gesamtheit der angesprochenen Verbraucher, heranzuziehen. Wenn die Erwartung eines relevanten Anteils dieser Verbraucherschaft nicht erfüllt wird, liegt eine Irreführung vor (Grube in: Voit/Grube, Lebensmittelinformationsverordnung, 2. Auflage, Rn. 56 zu Art. 7).
38
2. Die Beklagte richtet sich mit ihren streitgegenständlichen Produkten und der diesbezüglichen Werbung an den allgemeinen Verkehr. Zu diesen allgemeinen Verkehrskreisen zählen die Mitglieder des Senats, so dass sie in der Lage sind, das Verkehrsverständnis der beklagten Bewerbung und Etikettierung der Produkte festzustellen.
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Dieser Referenzverbraucher bringt der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegen (vgl. BGH GRUR 2000, 619, 621 – Orient-Teppichmuster; BGH GRUR 2012, 184, Rn. 19 – Branchenbuch Berg; BGH GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; BGH GRUR 2004, 249, 251 – Umgekehrte Versteigerung im Internet; BGH GRUR 2004, 435, 436 – FrühlingsgeFlüge; BGH GRUR 2004, 793, 796 – Sportlernahrung II). Dabei hängt der Grad der Aufmerksamkeit des Verbrauchers von der jeweiligen Situation und vor allem von der Bedeutung ab, die die beworbenen Waren oder Dienstleistungen für ihn haben. Die Aufmerksamkeit, mit der sich der Referenzverbraucher der angegriffenen Bewerbung und Etikettierung der streitgegenständlichen Produkte zuwendet, ist eher gering, denn die angebotenen Produkte sind eher geringwertige Gegenstände des täglichen Bedarfs. Es werden nicht höherwertige Waren oder Dienstleistungen angepriesen.
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3. Mit seinen Anträgen strebt der Kläger das Verbot an, Produkte unter der Bezeichnung des Lebensmittels „Essig“ zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen, die auch zB Traubenmost enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage A, Anlage B, Anlage C etc. Dabei richtet sich der Angriff sowohl gegen die Verwendung des Begriffs „Essig“ in der Banderole als auch in dem Produktnamen, wie beispielsweise in „Aprikosen Aperitif Essig“.
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Der Kläger greift damit eine konkrete Handlung unter verschiedenen Aspekten jeweils gesondert an und macht eben diese verschiedenen Aspekte im Wege der kumulativen Klagehäufung zu jeweils getrennten Klagezielen. Er umschreibt die einzelnen Beanstandungen in verschiedenen Klageanträgen, wobei er zur Verdeutlichung jeweils auf die konkrete Verletzungsform Bezug nimmt.
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In diesem Fall nötigt der Kläger das Gericht zwar, die beanstandete Anzeige unter jedem der geltend gemachten Gesichtspunkte zu prüfen (BGH GRUR 2013, 401, Rz. 25 – Biomineralwasser). Der Kläger ist aber auch gehalten, zu den geltend gemachten Gesichtspunkten vorzutragen. Denn ein Kläger, der sich auf Irreführung beruft, hat substanziiert diejenigen Irreführungsaspekte darzulegen und zu den dafür maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen einer irreführenden geschäftlichen Handlung konkret vorzutragen, auf die er seinen Klageangriff stützen will (BGH GRUR 2018, 431 Rz. 16 – Tiegelgröße m.w.N.). Dementsprechend darf auch das Gericht eine Verurteilung nur auf diejenigen Irreführungsgesichtspunkte stützen, die der Kläger schlüssig vorgetragen hat (BGH GRUR 2018, 431 Rz. 16 – Tiegelgröße m.w.N.).
43
Die schlüssige Darlegung eines Irreführungsgesichtspunkts setzt Vortrag dazu voraus, durch welche Angabe welcher konkrete Verkehrskreis angesprochen wird, welche Vorstellungen die Angabe bei diesem angesprochenen Verkehrskreis ausgelöst hat, warum diese Vorstellung unwahr ist und dass die so konkretisierte Fehlvorstellung geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte (BGH GRUR 2018, 431 Rz. 16 – Tiegelgröße). Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich die Beklagte hinreichend gegen den Angriff verteidigen und das Gericht sodann prüfen, ob es die Voraussetzungen einer irreführenden geschäftlichen Handlung feststellen kann.
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4. Vor diesem Hintergrund führen die Irreführungsangriffe des Klägers nicht zum Erfolg der Klage.
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a) Mit Berufungsantrag Buchst. a dringt der Kläger nicht durch. Das Gericht folgt ihm nicht in seiner Argumentation, die streitgegenständlichen Produkte seien begrifflich kein „Essig“, sondern eine Zubereitung aus Essig, weil sie Traubenmost enthalten. Mit diesem Angriff hat der Kläger weder in Bezug auf die Verwendung von „Essig“ in Alleinstellung auf den Banderolen der streitgegenständlichen Flaschen gemäß Anlagen A bis M Erfolg, noch in Bezug auf „Essig“ innerhalb der Produktbezeichnungen „Aprikosen Aperitif Essig“, „Cranberry Aperitif Essig“, „Erdbeer Aperitif Essig“ etc. gemäß Anlagen A bis M. Für die Berufungsanträge Buchst. b) bis f) betreffend Fruchtpüree, natürliche Aromen, konzentrierten und/oder nicht konzentrierten Fruchtsaft, gekochtes Dattelsaftkonzentrat und Fruchtextrakte gilt dies entsprechend.
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aa) Soweit sich der Kläger für diesen Irreführungsvorwurf gegen die Verwendung von „Essig“ in Alleinstellung auf den Banderolen der streitgegenständlichen Flaschen gemäß Anlagen A bis M richtet, verhilft ihm dies nicht zum Erfolg.
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Die Beklagte wirbt hier zwar blickfangmäßig mit „Essig“. Denn im Rahmen der Gesamtankündigung wird „Essig“ im Vergleich zu den sonstigen Angaben besonders herausgestellt, indem das Wort in weißer Schrift auf den roten Banderolen grafisch hervorgehoben wird. Dadurch soll die Aufmerksamkeit des Publikums erweckt werden.
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Jedoch gilt für derartige Blickfangwerbung, dass immer dann, wenn der Blickfang für sich genommen zwar eine Fehlvorstellung auslöst, dennoch Irreführung ausgeschlossen ist, wenn eine Aufklärung erfolgt. In Fällen, in denen der Blickfang nur die halbe Wahrheit enthält, muss der Betrachter hinreichend deutlich aufgeklärt werden. Dabei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, wie deutlich der aufklärende Hinweis gestaltet sein muss (vgl. Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Auflage, Rn. 1.90 zu § 5).
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Auch wenn dem Kläger zuzustimmen ist, dass die Angaben einzelner Zutaten auf den streitgegenständlichen Flaschen nicht geeignet sind, die in viel größerer Schrift abgedruckte Angabe „Essig“ auf der Banderole in ein zutreffendes Licht zu rücken (vgl. dazu auch BGH GRUR 2016, 738 Rz. 18 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II), ist aber zu bedenken, dass direkt unterhalb der Banderole mit der Aufschrift „Essig“ die Kennzeichnung „Aprikosen Aperitif Essig“, „Erdbeer Aperitif Essig“, „Granatapfel Aperitif Essig“ etc. steht. Nachdem diese Aufschrift nahezu waagerecht auf die Flasche gedruckt ist, „Essig“ dagegen senkrecht, sticht sie dem Verkehr schon wegen der leichteren Lesbarkeit mehr ins Auge.
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Nachdem der Verkehr auch aus der Verwendung von „Essig“ zB in „Aprikosen Aperitif Essig“ gemäß Anlage A, „Erdbeer Aperitif Essig“ in Anlage C, „Granatapfel Aperitif Essig“ in Anlage D etc. nicht schließt, dass es sich bei dem Inhalt einer so gekennzeichneten Flasche um reinen Essig handelt, weil auch die Wörter beispielsweise „Aprikosen“ und „Aperitif“ enthalten sind, liegt keine Irreführung vor. „Essig“ wird innerhalb von beispielsweise „Aprikosen Aperitif Essig“ in Anlage A auch nicht blickfangmäßig hervorgehoben. Denn „Essig“ wird bei der jeweiligen Produktbezeichnung, wie „Aprikosen Aperitif Essig“, „Erdbeer Aperitif Essig“, „Granatapfel Aperitif Essig“ etc. im Vergleich zu den sonstigen Angaben auf den streitgegenständlichen Produkten gemäß Anlagen A bis M nicht besonders herausgestellt.
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Zudem kann dem Kläger nicht darin gefolgt werden, dass die Verbrauchererwartung bei Verwendung des Begriffs „Essig“ durch dessen gesetzliche Definition normativ geprägt ist. Dass es eine Verordnung über den Verkehr mit Essig und Essigessenz gibt, ist ebenso weithin unbekannt wie die vermeintliche Definition der Verordnung, dass „Essig“ ausschließlich eine Lösung von Essigsäure in Wasser sein kann. Hinzutritt, dass dem Kläger nicht darin gefolgt werden kann, dass aus den Bestimmungen der Essigverordnung zu schließen ist, dass „Essig“ nur ist, was ansonsten keine anderen Zutaten enthält (s.o.).
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Weil es somit an einer Irreführung durch den Banderolenaufdruck „Essig“ fehlt, kommt auch nicht zum Tragen, dass die Banderole in Anlage I nicht zu sehen ist.
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bb) Auch soweit sich der Kläger für seinen Irreführungsvorwurf gegen die Verwendung von „Essig“ zB in „Aprikosen Aperitif Essig“ gemäß Anlage A wendet, verhilft ihm dies nicht zum Erfolg. Wie gezeigt, schließt der angesprochene Verkehr aus dieser Verwendung nicht, dass es sich bei dem Inhalt einer so gekennzeichneten Flasche um reinen Essig handelt.
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b) Schon nicht unter die Klageanträge fällt der weitere klägerische Vorwurf, die Beklagte täusche die Verbraucher darüber, dass der Essig der streitgegenständlichen Produkte nicht aus den namensgebenden Zutaten gewonnen sei, die Verbraucher erwarteten als Ausgangsstoff dieser Produkte irrigerweise Fruchtwein, sie würden durch den Hinweis auf die Frucht in dieser Erwartung geprägt. Der Kläger führt dazu aus, eine Angabe wie „Erdbeer-Essig“ fasse der Verbraucher so auf, dass Erdbeeren als Ausgangsstoff für einen Essig verwendet würden. Zudem sei Verbrauchern nicht bekannt, dass Haselnüsse nicht gärfähig seien und deshalb aus Haselnüssen kein Haselnuss-Essig hergestellt werden könne. Diese Angabe sei daher per-se unzulässig, da sie dem Verbraucher eine Möglichkeit suggeriere, die nicht gegeben sei.
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Die Klageanträge richten sich aber nicht hiergegen, sondern dagegen, die Bezeichnung „Essig“ für Lebensmittel zu verwenden, die auch die in den Klageanträgen Buchst. a bis f aufgeführten Zusätze enthalten. Das erfasst nicht den Angriff dagegen, dass der in den streitgegenständlichen Produkten enthaltene Essig nicht aus den namensgebenden Zutaten gewonnen wurde.
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c) Auch nicht von den Klageanträgen erfasst ist der klägerische Vorwurf, die angegriffenen Produkte enthielten hauptsächlich Traubenmost und vor allem Fruchtsaftpüree sowie -konzentrat.
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Zwar zielen die Klageanträge darauf, dass die streitgegenständlichen Produkte die Zutat Traubenmost, Fruchtsaftpüree und/ oder -konzentrat (Klageanträge Buchst. a, b und d) enthalten. Die Anträge bringen aber nicht zum Ausdruck, dass der entsprechende Irreführungsangriff vor dem Hintergrund erfolgt, dass Traubenmost, Fruchtsaftpüree sowie -konzentrat den Hauptanteil der Produkte ausmachen und sie dennoch als zB „Aprikosen Aperitif Essig“ bezeichnet werden.
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d) Sofern der Kläger geltend macht, die Beklagte verwende für die streitgegenständlichen Produkte ausschließlich Weinessig als Essigbestandteil, das Produkt weise einen Säuregehalt von 5% auf, der notwendige Essigsäuregehalt von Weinessig von 6% werde nicht erreicht, daher liege ein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 EssigV i.V.m. Art. 78 i.V.m. Anhang VII Teil Il Nr. 17 b) der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vor, ist auch dies nicht von den Klageanträgen erfasst.
III.
59
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nummer 10 S. 2, § 711 Satz 1, Satz 2, § 709 Satz 2 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 auf Satz 2 Satz 1 Nummer 1 ZPO) hat und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nummer 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.