Inhalt

LG München II, Beschluss v. 13.12.2022 – 14 O 4422/22 Pre
Titel:

Keine Dringlichkeitsvermutung bei Geltendmachung des postmortalen Persönlichkeitsrechts

Normenkette:
ZPO § 294, § 935, § 940
Leitsatz:
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nicht dringlich, wenn die Antragstellerin zwar von einem bestimmten Inhalt (Firmenchronik im Internet) erst jüngst erfahren hat, dieser aber Persönlichkeitsbelange eines bereits vor zwanzig Jahren Verstorbenen Verwandten betrifft; es ist nicht ersichtlich, weshalb in diesem Falle ein Zuwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht möglich ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Untersagung, Arbeit, Internet-Auftritt, Dringlichkeitsvermutung, Herausgabe, Domain, Eilverfahren, Internet, Dringlichkeit, Unterschrift, Wiederholungsgefahr, Bedeutung, Vater, Kenntnis, Abwendung wesentlicher Nachteile, besondere Dringlichkeit
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 03.01.2023 – 18 W 1681/22 Pre e
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 47232

Tenor

1. Der Antrag vom 08.12.2022 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin ist die Tochter von Herrn G. K.. Die Firma K., heute ... M2. GmbH mit Hauptsitz in E. wurde gegründet von K1. K., dem Vater von G. K.. G. K. war rund 40 Jahre in der Geschäftsführung und -leitung der Firma tätig. Er ist im Jahr 2003 verstorben.
2
Die Antragstellerin erfuhr am 09.11.2022 von der erfolgten Herausgabe einer Firmenchronik der Firma ... M2. GmbH, die ihr am 10.11.2022 seitens der Antragsgegner übermittelt wurden. Die Firmenchronik ist auch im Internet-Auftritt der Antragsgegnerin zu 1) unter der Domain „www.....com“ frei abrufbar.
3
Auf Seite 20 der Chronik wird ein Bild gezeigt, welches nach der Bildunterschrift neben dem Firmengründer K1. K. den Vater der Antragstellerin, G. K., in einem Büro am Unternehmenssitz in M. zeigen soll.
4
Das Bild zeigt nach Vortrag der Antragstellerin allerdings nicht G. K., sondern R. K., den verstorbenen Onkel der Antragstellerin.
5
In Bezug auf das Bild findet sich dort folgender Text:
„An dieser Stelle muss eine Spekulation erlaubt sein, die durch nichts gestützt wird als durch ein einziges Foto, das damals entstanden ist. Es zeigt Vater und Sohn, Seniorchef und Juniorchef, bei der Arbeit im gemeinsamen Büro. Die Schreibtische sind in L-Form rechtwinklig aneinandergerückt. K1. K. schaut selbstbewusst in die Kamera. Sein Blick signalisiert, dass er es ist, der das Sagen hat, während Herr G. K. die Kamera meidet, sich in Unterlagen vertieft. Jeder der beiden hält einen Stift in der Hand; bei dem jungen K. sieht es aus, als würde er Randnotizen auf dem vor ihm liegenden Schriftstücke machen, beim „Alten“ vermutet man unweigerlich, dass er im nächsten Moment seine Unterschrift unter ein Papier von größter Bedeutung setzen wird. Wer dieses Bild betrachtet, wird wohl kaum neidisch werden auf G. K., der noch weit davon entfernt war, Chef zu sein. (…)“.
6
Die Antragstellerin forderte die Antragsgegner mit anwaltlichem Schreiben der Antragstellerin vom 02.12.2022, zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf.
7
Die Antragstellerin beantragt
1. Den Antragsgegnern wird es bei Meidung eines für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, die Ordnungshaft hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 1) zu vollziehen an den Antragsgegnern zu 2) und zu 3),
verboten,
a. das nachfolgend wiedergegebene Bild mit der Bildunterschrift „K1. und G. K. im gemeinsamen Büro am Unternehmenssitz M.: sachlich, zweckmäßig, fast ohne persönliche Note“ zu verbreiten und / oder öffentlich wiederzugeben bzw. entsprechende Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen
und / oder
b. unter Bezugnahme auf das in lit. a) wiedergegebene Bild folgende Textpassage zu verbreiten und / oder öffentlich wiederzugeben bzw. entsprechende Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen:
„An dieser Stelle muss eine Spekulation erlaubt sein, die durch nichts gestützt wird als durch ein einziges Foto, das damals entstanden ist. Es zeigt Vater und Sohn, Seniorchef und Juniorchef, bei der Arbeit im gemeinsamen Büro… K1. K. schaut selbstbewusst in die Kamera. Sein Blick signalisiert, dass er es ist, der das Sagen hat, während G. K. die Kamera meidet, sich in Unterlagen vertieft. Jeder der beiden hält einen Stift in der Hand; beim jungen K. sieht es aus, als würde er Randnotizen auf dem vor ihm liegenden Schriftstück machen, beim „Alten“ vermutet man unweigerlich, dass er im nächsten Moment seine Unterschrift unter ein Papier von größter Bedeutung setzen wird.
8
Wer dieses Bild betrachtet, wird wohl kaum neidisch werden auf G. K., der noch weit davon entfernt war, Chef zu sein.“, wie in der Firmenchronik der Firma ...M. mit dem Titel „Grenzen Verschieben“ geschehen.
II.
9
Der Antrag war zurückzuweisen, da die besondere Dringlichkeit, mithin der Verfügungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht wurde.
10
Ein Verfügungsgrund im Sinne von §§ 935, 940 ZPO, der eine vorläufige Sicherung oder Regelung im Eilverfahren zu rechtfertigen vermag, besteht nur im Falle der Dringlichkeit. Eine solche Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit liegt vor, wenn eine objektive Besorgnis besteht, dass durch bevorstehende Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder wenn bei dauernden Rechtsverhältnissen die Regelung eines einstweiligen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig ist. Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ist unter Abwägung der einander im Einzelfall gegenüberstehenden Parteiinteressen zu prüfen. Gegen das Interesse des Antragstellers an der alsbaldigen Untersagung ist das Interesse des Antragsgegners abzuwägen, nicht aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens mit einem Verbot belegt zu werden.
11
Als besondere Form des Rechtschutzinteresses und damit als Prozessvoraussetzung ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes von Amts wegen zu prüfen, wobei es der Antragstellerin obliegt, das Vorliegen des Verfügungsgrundes mit den Beweismitteln des § 294 ZPO hinreichend glaubhaft zu machen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.07.2021 – 1 W 23/21).
12
Auch bei der Geltendmachung von Verletzungen des – hier postmortalen – Persönlichkeitsrechts existiert keine Dringlichkeitsvermutung. Vielmehr muss ebendiese von der Antragstellerin dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
13
Dies ist nicht erfolgt.
14
Es ist bereits nicht mitgeteilt, wann die Firmenchronik im Internet veröffentlicht wurde. Es ist zwar zutreffend, dass die Antragstellerin erst am 10.11.2022 vom genauen Inhalt der Firmenchronik Kenntnis erlangt hat. Allerdings ist der Vater der Antragstellerin bereits im Jahr 2003 verstorben. Die besondere Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung, welche von der Vermutung des Vorliegens der Wiederholungsgefahr im Rahmen der materiell-rechtlichen Anspruchs zu trennen ist, ist daher nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb zu diesem Zeitpunkt ein Zuwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht möglich ist.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO.