Titel:
Berücksichtigung von Beschreibung und Unteransprüchen bei Auslegung eines Patentanspruchs
Normenketten:
EPÜ Art. 64 Abs. 1
PatG § 139 Abs. 1, Abs. 2, § 140a Abs. 1, Abs. 3, § 140b Abs. 1, Abs. 3, § 141
BGB § 242, § 259
ZPO § 32
Leitsätze:
1. Bei der Auslegung von Patentansprüchen sind die Beschreibung, die Zeichnungen sowie abhängige Unteransprüche zu berücksichtigen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Frage der unzulässigen Erweiterung kommt es auf den gesamten Offenbarungsgehalt der Anmeldung an und nicht nur auf den Wortlaut ihrer Ansprüche. Eine unzulässige Erweiterung kann somit nicht allein damit begründet werden, dass in der Anmeldung Merkmale anders als im später erteilten Patent beschrieben oder benannt werden, deren Sinngehalt für den Fachmann aber unverändert dem erteilten Patent zu entnehmen ist. (Rn. 83) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Klagepatent, Schadensersatzanspruch, Marke, Patentanspruch, Vorrichtung, Patent, Patentverletzung, Gerichtsvollzieher, Fachmann, Anspruch, Auskunft, Fahrer, Aussetzung des Verfahrens, Stand der Technik, Bundesrepublik Deutschland
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 42043
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
zur Fahrunterstützung für ein Fahrzeug, die eine einzelne, am Fahrzeug montierte Kamera an einem Ende des Fahrzeugs und eine Bildverarbeitungseinrichtung umfasst, und die eingerichtet ist, einen Kontrollbildschirm in eine Vielzahl von Unter-Bildschirmen aufzusplitten, wobei die Vielzahl von Unter-Bildschirmen Innenflächen eines Polyeders darstellt; Bildverarbeitung an einem Bild durchzuführen, das von der einzelnen, am Fahrzeug montierten Kamera aufgenommen wird, um eine Polyeder-Darstellung zu erhalten, bei der die Innenflächen des Polyeders das aufgenommene Bild darstellen; das verarbeitete Bild in Übereinstimmung mit den Unter-Bildschirmbereichen aufzusplitten, um jedem Unterbildschirm des Kontrollbildschirms ein Bild einer Fläche des Polyeders zuzuführen; und die aufgesplitteten Bilder in den entsprechenden Unter-Bildschirmbereichen anzuzeigen, wobei die einzelne, am Fahrzeug montierte Kamera eingerichtet ist, einen Bereich in Vorwärtsrichtung oder einen Bereich in Rückwärtsrichtung des Fahrzeugs aufzunehmen, und wobei ein Teil des Bildes, der im Wesentlichen der Breite des Fahrzeugs entspricht, in einem der Unter-Bildschirmbereiche, der einem Bereich in Rückwärts- oder in Vorwärtsrichtung des Fahrzeugs in der Fahrtrichtung des Fahrzeugs entspricht, angezeigt wird,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen;
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. April 2007 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden,
wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben entsprechende Belege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Mai 2007 begangen hat, und zwar unter Angabe:
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummer und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote (unter Vorlage schriftlicher Angebote), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, den jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte nicht-gewerbliche Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten sind;
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben;
5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern schriftlich unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch der aus den unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Mai 2007 entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
- 900.000,00 € einheitlich für Ziffer 1.1., I.4. und I.5.,
- 100.000,00 € einheitlich für Ziffern I.2. und I.3. sowie
- 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags für Ziffer III.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents … (Anlage K 2, nachfolgend: Klagepatent) und nimmt die Beklagte wegen unmittelbarer, hilfsweise wegen mittelbarer Patentverletzung in Anspruch.
2
Das Klagepatent wurde am 09.08.2002 angemeldet und nimmt eine Priorität vom 09.08.2001 … in Anspruch. Die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung erfolgten am 25.04.2007. Das Klagepatent wurde mit Wirkung für Deutschland erteilt. Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A driving assistance display apparatus for a vehicle comprising a single vehicle-mounted camera on an end of the vehicle, and an image processing unit arranged to
splitting a monitor screen into a plurality of subscreens, the plurality of sub-screens representing inner faces of a polyhedron;
performing image processing on an image shot by the single vehicle-mounted camera so as to obtain a polyhedron representation in which the inner faces of the polyhedron represent the shot image;
splitting the processed image in correspondence with the sub-screen areas so as to affix an image of a face of the polyhedron to each sub-screen of said monitor screen; and
displaying the split images on the corresponding sub-screen areas,
wherein said single vehicle-mounted camera is arranged to shoot a forward area or a rearward area of the vehicle, and
wherein a part of the image corresponding substantially to the width range of the vehicle is displayed on one of the sub-screen areas corresponding to a rearward or to a forward area of the vehicle in the travel direction of the vehicle.“
3
Die nachfolgend eingeblendete Abbildung (Figur 14) der Klagepatentschrift erläutert ein Ausführungsbeispiel der Erfindung:
4
Wegen der weiteren Details wird auf die Patentschrift verwiesen.
5
Die Beklagte ist eine deutsche Tochtergesellschaft der … und hat ihren Firmensitz in … sowie weitere Betriebsstätten in … und in …. Die Beklagte stellt her und liefert im Inland Fahrassistenzsysteme bestehend aus Kontrollmodul und Kamerasystem, die u.a. dazu verwendet werden, eine sog. „360°-Ansicht“-Funktionalität (bzw. „360° view“) bei Fahrzeugen der Marke „…“, insbesondere der Modellreihe „…“, zu erzeugen (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform).
6
Die Funktion der angegriffenen Ausführungsform wird in einem Herstellervideo, das über den offiziellen … YouTube-Kanal des Autoherstellers … unter https://www.yt..com/… abrufbar ist, am Beispiel eines … erläutert.
7
Die Klägerin trägt vor, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent unmittelbar wortsinngemäß, hilfsweise mittelbar wortsinngemäß verletze. Sie verweist hierzu auf nachfolgende Screenshots, die von der Klägerin dem genannten Herstellervideo entnommen und als Anlage K 5 vorgelegt wurden:
8
Daneben verweist die Klägerin auf nachfolgendes Foto, das im Rahmen einer von der Klägerin durchgeführten Untersuchung des Fahrassistenzsystems der Beklagten in einer … Limousine (Modell … der Baureihe …) bei Verwendung der Heckkamera im Modus „360°-Ansicht“ gefertigt wurde (Anlage K 6):
9
Die Klägerin beantragt zuletzt:
I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen:
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen,
zur Fahrunterstützung für ein Fahrzeug, die eine einzelne, am Fahrzeug montierte Kamera an einem Ende des Fahrzeugs und eine Bildverarbeitungseinrichtung umfasst, und die eingerichtet ist, einen Kontrollbildschirm in eine Vielzahl von Unter-Bildschirmen aufzusplitten, wobei die Vielzahl von Unter-Bildschirmen Innenflächen eines Polyeders darstellt; Bildverarbeitung an einem Bild durchzuführen, das von der einzelnen, am Fahrzeug montierten Kamera aufgenommen wird, um eine Polyeder-Darstellung zu erhalten, bei der die Innenflächen des Polyeders das aufgenommene Bild darstellen; das verarbeitete Bild in Übereinstimmung mit den Unter-Bildschirmbereichen aufzusplitten, um jedem Unterbildschirm des Kontrollbildschirms ein Bild einer Fläche des Polyeders zuzuführen; und die aufgesplitteten Bilder in den entsprechenden Unter-Bildschirmbereichen anzuzeigen, wobei die einzelne, am Fahrzeug montierte Kamera eingerichtet ist, einen Bereich in Vorwärtsrichtung oder einen Bereich in Rückwärtsrichtung des Fahrzeugs aufzunehmen, und wobei ein Teil des Bildes, der im Wesentlichen der Breite des Fahrzeugs entspricht, in einem der Unter-Bildschirmbereiche, der einem Bereich in Rückwärts- oder in Vorwärtsrichtung des Fahrzeugs in der Fahrtrichtung des Fahrzeugs entspricht, angezeigt wird,
(Anspruch 1 des Klagepatents, unmittelbare Verletzung)
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. April 2007 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden,
wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben entsprechende Belege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Mai 2007 begangen haben, und zwar unter Angabe:
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummer und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote (unter Vorlage schriftlicher Angebote), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, den jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte nicht-gewerbliche Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten sind;
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter I. 1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben;
5. die unter Ziff. I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern schriftlich unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
Ia. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen:
Bildverarbeitungsmodule samt Kameras
Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
die geeignet sind zur Verwendung im Zusammenhang mit einer Anzeigevorrichtung zur Fahrunterstützung für ein Fahrzeug, die eine einzelne, am Fahrzeug montierte Kamera an einem Ende des Fahrzeugs und eine Bildverarbeitungseinrichtung umfasst, und die eingerichtet ist, einen Kontrollbildschirm in eine Vielzahl von Unter-Bildschirmen aufzusplitten, wobei die Vielzahl von Unter-Bildschirmen Innenflächen eines Polyeders darstellt; Bildverarbeitung an einem Bild durchzuführen, das von der einzelnen, am Fahrzeug montierten Kamera aufgenommen wird, um eine Polyeder-Darstellung zu erhalten, bei der die Innenflächen des Polyeders das aufgenommene Bild darstellen; das verarbeitete Bild in Übereinstimmung mit den Unter-Bildschirmbereichen aufzusplitten, um jedem Unterbildschirm des Kontrollbildschirms ein Bild einer Fläche des Polyeders zuzuführen; und die aufgesplitteten Bilder in den entsprechenden Unter-Bildschirmbereichen anzuzeigen, wobei die einzelne, am Fahrzeug montierte Kamera eingerichtet ist, einen Bereich in Vorwärtsrichtung oder einen Bereich in Rückwärtsrichtung des Fahrzeugs aufzunehmen, und wobei ein Teil des Bildes, der im Wesentlichen der Breite des Fahrzeugs entspricht, in einem der Unter-Bildschirmbereiche, der einem Bereich in Rückwärts- oder in Vorwärtsrichtung des Fahrzeugs in der Fahrtrichtung des Fahrzeugs entspricht, angezeigt wird, (Anspruch 1, mittelbare Verletzung)
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziff. Ia.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. April 2007 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden,
wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben entsprechende Belege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziff. Ia.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Mai 2007 begangen hat, und zwar unter Angabe:
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummer und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufs-stellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote (unter Vorlage schriftlicher Angebote), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, den jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, so-fern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte nicht-gewerbliche Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten sind.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch der aus den unter Ziff. I.1., hilfsweise Ia.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Mai 2007 entstanden ist und noch entstehen wird.
10
Die Beklagte beantragt,
2. hilfsweise, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen den deutschen Anteil des Klagepatents eingereichte Nichtigkeitsklage auszusetzen.
11
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens.
12
Die Beklagte ist im Wesentlichen der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht. Jedenfalls sei das Verfahren im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage vom 31.08.2021 (Anlage B 2) auszusetzen.
13
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 25.05.2022 (Bl. 219/222 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14
Die zulässige Klage ist begründet. Eine Aussetzung des Verfahrens ist mit Blick auf die anhängige Nichtigkeitsklage nicht veranlasst.
15
Die Klage ist zulässig.
16
I. Das Landgericht München I ist zuständig, § 143 PatG, § 32 ZPO i.V. mit § 38 Nr. 1 BayGZVJu, Art. 7 Abs. 2 EuGVVO.
17
Aufgrund des bundesweiten Anbietens der angegriffenen Ausführungsform besteht eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I gemäß § 32 ZPO. Wegen des Gerichtsstands des Sachzusammenhangs bei mehreren Anspruchsgrundlagen innerhalb eines Streitgegenstands ist das Landgericht München I auch für die Entscheidung über die übrigen Handlungsalternativen zuständig (vgl. Hüßtege in: Thomas/Putzo, 34. Aufl. 2013, Vor § 12 Rn. 8).
18
II. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
19
Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Schadensersatzfeststellung gemäß §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3, 9 S. 2 Nr. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ zu.
20
I. Das Klagepatent betrifft eine Anzeigevorrichtung zur Fahrunterstützung, bei der ein Bild, das von einer von einer auf dem Fahrzeug montierten Kamera um das Fahrzeug herum aufgenommen wird, auf einem Bildschirm im Fahrzeug angezeigt wird. Insbesondere betrifft das Klagepatent vorzugsweise eine Anzeigevorrichtung zur Fahrunterstützung, bei der das um das Fahrzeug herum aufgenommene Bild auf einem zweidimensionalen Bildschirm dreidimensional erkennbar gemacht wird.
21
1. In seiner Beschreibung führt die Klagepatentschrift aus, dass im Stand der Technik der Einsatz von Weitwinkelkameras als Rückfahrkameras bekannt sei, um dem Fahrer den hinter dem Fahrzeug liegenden Bereich anzuzeigen und ihn so beim Rückwärtsfahren und Einparken zu unterstützen, vgl. [0002]. Neben der Darstellung des von der Weitwinkelkamera aufgenommenen Bildes ohne Bearbeitung (vgl. [0002]) erwähnt die Klagepatentschrift in der Erläuterung des Hintergrunds der Erfindung auch die Bildbearbeitung zur Beseitigung von Verzerrungen, vgl. [0004].
22
Daneben sei aus der US 5,649,331 ein System bekannt, das Bilder von mehreren Kameras, die nicht zwingend Weitwinkelkameras sein müssten auf einem einzelnen Bildschirm zusammenführe, so dass auf dem Bildschirm ein Weitwinkelbild angezeigt werde.
23
Aus der JP 1999-338078 sei die getrennte Anzeige des Bildes einer rechten Kamera und des Bildes einer linken Kamera auf zwei Unterbildschirmen eines Bildschirms für den toten Winkel, wie in Figur 17 gezeigt, bekannt, vgl. [0006].
24
Darüber hinaus sei aus dem Stand der Technik die Möglichkeit bekannt, Hilfslinien über das von der Rückfahrkamera aufgenommene Bild zu legen, die - wie in Figur 19 gezeigt - die Breite des Fahrzeugs und die Distanz zur Fahrzeugrückseite anzeigen und dem Fahrer beim Einparkvorgang helfen.
25
2. Als nachteilig an dem aus dem Stand der Technik bekannten Einsatz von Weitwinkelkameras kritisiert das Klagepatent, dass das aufgenommene Bild ohne Bearbeitung die Realität nur verzerrt abbilde, vgl. [0009]. Dabei seien gerade Linien nicht als solche erkennbar, sondern würden gebogen dargestellt, die Position und die Form von Gegenständen würden verzerrt dargestellt und das Verhältnis von Hindernissen zum Fahrzeug sei nicht klar abschätzbar, vgl. [0009] und [0014]. Der Fahrer könne daher das auf dem Bildschirm angezeigte Bild nicht intuitiv und ohne ein Gefühl von Inkongruenz verstehen, vgl. [0009].
26
3. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, eine Anzeigevorrichtung zur Fahrunterstützung bereitzustellen, die die Aufnahme einer Weitwinkelkamera so auf einem einzelnen Monitor anzeigt, dass der Fahrer die Anzeige intuitiv und ohne ein Gefühl von Inkongruenz zu verstehen, vgl. [0016].
27
4. Hierfür schlägt das Klagepatent eine Anzeigevorrichtung zur Fahrunterstützung nach Maßgabe des erteilten Anspruchs 1 vor, der sich merkmalsmäßig wie folgt gliedern lässt:
1.
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A driving assistance display apparatus for a vehicle comprising:
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1.1.
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a single vehicle-mounted camera on an end of the vehicle,
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1.1.1.
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wherein said single vehicle-mounted camera is arranged to shoot a forward area or a rearward area of the vehicle, and
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1.2.
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and an image processing unit arranged to
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|
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1.2.1.
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splitting a monitor screen into a plurality of sub-screens,
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1.2.1.1
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the plurality of sub-screens representing inner faces of a polyhedron;
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1.2.2.
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performing image processing on an image shot by the single vehicle-mounted camera so as to obtain a polyhedron representation in which the inner faces of the polyhedron represent the shot image;
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1.2.3.
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splitting the processed image in correspondence with the sub-screen areas so as to affix an image of a face of the polyhedron to each sub-screen of said monitor screen; and
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1.2.4.
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displaying the split images on the corresponding sub-screen areas,
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1.2.4.1.
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wherein a part of the image corresponding substantially to the width range of the vehicle is displayed on one of the sub-screen areas corresponding to a rearward or to a forward area of the vehicle in the travel direction of the vehicle.
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28
5. Diese Lehre bedarf hinsichtlich der Merkmale 1., 1.2.1.1. in Verbindung mit 1.2.2. und 1.2.3. sowie 1.2.4.1. näherer Erläuterung.
29
a) Die durch das Klagepatent unter Schutz gestellte technische Lehre ist aus der Sicht des angesprochenen Durchschnittsfachmanns, eines Diplom-Ingenieurs der Elektrotechnik mit Universitätsabschluss und mehrjähriger Berufserfahrung sowie einschlägigen Kenntnissen auf dem Gebiet von Fahrassistenzsystemen, zu ermitteln (vgl. Bl. 221 d.A.).
30
b) Entgegen dem Vorbringen der Beklagten (Klageerwiderung, S. 24; Duplik, S. 5) ergibt sich aus Merkmal 1. nicht, dass die durch Patentanspruch 1 geschützte Vorrichtung (auch) einen Bildschirm umfasst. In der Bezeichnung der geschützten Vorrichtung als „driving assistance display apparatus“ in Merkmal 1. wird der Begriff „display“ lediglich als Bestandteil der Gesamtbezeichnung im Sinne einer Anzeigevorrichtung (zur Fahrunterstützung), also einer Vorrichtung zum Anzeigen verwendet. Er bezeichnet kein Bauteil der geschützten Vorrichtung. Dies folgt aus der Fassung des Anspruchs 1 insgesamt, weil darin zunächst die Bezeichnung des Gegenstands „driving assistance display apparatus“ verwendet wird und anschließend nach „comprising“ die einzelnen Bestandteile genannt werden, die die geschützte Vorrichtung umfasst. Zudem werden in Anspruch 1 durchgehend die Begriffe „monitor screen“ und „subscreens“ verwendet, soweit es um den Kontrollbildschirm im Fahrzeug und seine Aufteilung in Unterbildschirme geht (vgl. Merkmale 1.2.1., 1.2.1.1., 1.2.3., 1.2.4. und 1.2.4.1.). während der Begriff „display“ nur zur Bezeichnung des Vorgangs des Anzeigens eines Bildes auf dem Bildschirm verwendet wird (vgl. Merkmal 1.2.4.: „displaying“; Merkmal 1.2.4.1.: „is displayed“).
31
c) Nach Merkmal 1.2.1.1. repräsentiert die Vielzahl von Unterbildschirmen, in die einen Kontrollbildschirm aufzuteilen die Bildverarbeitungseinheit (Merkmal 1.2.) gemäß Merkmal 1.2.1. geeignet ist, Innenflächen eines Polyeders. Dieses Merkmal ist in Zusammenschau mit den Merkmalen 1.2.2. und 1.2.3. zu betrachten. Nach Merkmal 1.2.2. ist die Bildverarbeitungseinheit eingerichtet, das aufgenommene Bild zu bearbeiten, um eine Polyeder-Darstellung zu erhalten, bei der die Innenflächen des Polyeders das aufgenommene Bild repräsentieren. Zudem ist die Bildverarbeitungseinheit nach Merkmal 1.2.3. eingerichtet, das verarbeitete Bild korrespondierend zu den Unterbildschirmen des Kontrollbildschirms aufzuteilen, um jedem Unterbildschirm ein Bild einer Fläche des Polyeders zuzuführen.
32
aa) Der Begriff des Polyeders bezeichnet einen Vielflächner, d.h. eine Teilmenge des dreidimensionalen Raumes, die allein von gerade Flächen begrenzt wird. Die beanspruchte Lehre ist nicht auf eine bestimmte Form als erfindungsgemäßen Polyeder beschränkt, insbesondere nicht auf die Form des Quaders, wie von der Beklagten unter Bezugnahme u.a. auf die nachfolgend abgebildete Figur 5 vorgetragen (Klageerwiderung, S. 21/22, 33/34):
33
In Anspruch 1 wird vielmehr explizit der allgemeine Begriff des Polyeders verwendet, der eine theoretisch unendliche Anzahl von Ausgestaltungen einschließt. Dementsprechend folgen hieraus auch keine Vorgaben, wie der Kontrollbildschirm genau aufzuteilen ist.
34
bb) Wie aus der Zusammenschau von Merkmal 1.2.1.1. mit den Merkmalen 1.2.2. und 1.2.3. hervorgeht, geht es dem Klagepatent um die Aufteilung eines zweidimensionalen Bildschirms in Unterbildschirme, um einen dreidimensionalen Eindruck zu erzielen. Hierbei dient der in diesen Merkmalen genannte Polyeder als gedankliches Hilfskonstrukt, um eine entsprechende „Tiefe“ darzustellen, d.h. um anzuzeigen, was sich vor, neben oder unter dem Fahrzeug befindet. Dies soll dem Fahrer beim intuitiven Erkennen der auf dem zweidimensionalen Bildschirm abgebildeten dreidimensionalen Wirklichkeit helfen (vgl. [0009]). Nicht erfasst ist daher eine Ausgestaltung, bei denen die Unterbildschirme bei Anzeige der von der Bildverarbeitungseinheit gemäß Merkmal 1.2.2. und 1.2.3. erstellten Bilder den Eindruck einer identischen räumlichen Orientierung vermitteln, da sie dann in ihrer Gesamtheit kein dreidimensionales Raumgefühl vermitteln.
35
cc) Die durch Anspruch 1 beanspruchte Lehre ist aber nicht auf die Vermittlung eines 3D-Gefühls durch eine entsprechende Formgestaltung der Unterbildschirme nach Art einer perspektivischen Zeichnung - wie die Beklagte unter Bezugnahme auf Figur 5 unter dem Schlagwort „Blick in die Schuhschachtel“ vorbringt (Klageerwiderung, S. 21/22) - beschränkt. Eine derartige Einschränkung hat gerade keinen Eingang in den Anspruch gefunden. Es handelt sich nur um eine mögliche Ausgestaltung.
36
Vielmehr verdeutlicht die Verwendung des Begriffs des „Repräsentierens“ in Merkmal 1.2.1.1., dass - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, S. 21/22) - eine Einschränkung des Anspruchs dahingehend, dass die Unterbildschirme des Kontrollbildschirms mit den Innenflächen eines Polyeders (bzw. einer perspektivischen Zeichnung hiervon) in Form und Anordnung perspektivisch korrekt übereinstimmen, nicht geboten ist.
37
Dass eine vollständige Übereinstimmung der Unterbildschirme mit den Innenflächen des Polyeders nicht erforderlich ist, geht außerdem auch aus dem abhängigen Unteranspruch 2, der Beschreibungsstelle [0026] sowie aus der - von der Beklagten für ihre Argumentation in Bezug genommenen (Klageerwiderung, S. 22) - Figur 5 hervor, weil danach jeweils zumindest eines der Bilder, das einer Innenfläche des Polyeders entspricht, nicht auf dem Kontrollbildschirm angezeigt wird. Angesichts dessen kann die genaue Form des gesamten Polyeders auf der Grundlage der Darstellung auf dem Bildschirm ohnehin nicht vollständig und mit Sicherheit bestimmt werden, wie sich beispielhaft anhand der Figur 5 erläutern lässt: Bei Betrachtung der Figur 5 für sich genommen kann der Betrachter nicht mit Bestimmtheit wissen, ob es sich hierbei tatsächlich um die Darstellung eines Quaders handelt, der lediglich oben und auf der dem Betrachter zugewandten Seite offen ist. Vielmehr ist ausgehend von der Figur 5 eine beliebige Fortsetzung des Polyeders nach oben und/oder in Richtung des Betrachters, z.B. durch eine pyramidenförmige Ausbuchtung, möglich.
38
d) Schließlich wird nach Merkmal 1.2.4.1. ein Teil des Bildes, der im Wesentlichen der Breite des Fahrzeugs entspricht, in einem der Unterbildschirmbereiche, der einem Bereich in Rückwärts- oder in Vorwärtsrichtung des Fahrzeugs in dessen Fahrtrichtung entspricht, angezeigt. Auf diese Weise kann der Fahrer anhand der Darstellung im Bildschirm leicht feststellen, ob sich ein Hindernis im Fahrweg befindet oder nicht (vgl. [0046]).
39
aa) Dabei muss der Teil des Bildes, der im Wesentlichen der Fahrzeugbreite entspricht, den betreffenden Unterbildschirmbereich nicht vollständig ausfüllen. Eine derartige Einschränkung hat keinen Eingang in Merkmal 1.2.4.1. gefunden und ist auch mit Blick auf die technische Funktion, dem Fahrer auf dem Bildschirm anzuzeigen, ob sich ein Hindernis im Fahrweg befindet, nicht erforderlich. Denn der Fahrer erkennt ein Hindernis im Fahrweg auch dann, wenn nicht der gesamte, sondern nur ein Teil des Unterbildschirmbereichs, der einem Bereich in Rückwärts- oder Vorwärtsrichtung des Fahrzeugs entspricht, einen Bildteil anzeigt, der im Wesentlichen der Fahrzeugbreite entspricht. Auch verdeutlicht der Umstand, dass Merkmal 1.2.4.1. nur die Anzeige eines Teils des Bilds betrifft, der „im Wesentlichen“ der Fahrzeugbreite entspricht, dass es nicht darum geht, in dem fraglichen Unterbildschirmbereich ausschließlich Hindernisse abzubilden, die sich exakt im Fahrweg befinden. In [0043] wird dies durch die Formulierung „or slightly wider“ zum Ausdruck gebracht.
40
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten (Klageerwiderung, S. 29/30) muss der in Merkmal 1.2.4.1. konkretisierte Unterbildschirmbereich keine Trapez- oder Dreiecksform aufweisen.
41
Die Beklagte bringt diesbezüglich vor, diese Trapez- oder Dreiecksform ergebe sich aus der „Perspektivwirkung“ auf dem 2D-Bild (Klageerwiderung, S. 30) und sei „[f]ür das intuitive Erkennen, ob Hindernisse in dem Fahrweg des Fahrzeugs liegen, (…) unerlässlich, (…), so dass auch bei einer weiteren Entfernung anspruchsgemäß erkennbar ist, ob ein Hindernis im oder außerhalb des Fahrwegs liegt“ (Klageerwiderung, S. 61).
42
Wie bereits dargelegt (s.o. B.I.5.c) aa)), ist ein erfindungsgemäßer Polyeder aber nicht zwingend ein Quader, sondern kann jede beliebige Form eines Polyeders annehmen, so dass auch eine streng perspektivische Betrachtung bzw. Abbildung der fraglichen Fläche nicht zwingend zu einer Trapez- oder Dreiecksform entsprechend der Fläche F in der Figur 5 führen würde. Eine derartige Einschränkung hat keinen Eingang in den Anspruch 1 gefunden. Es handelt sich nur um eine mögliche Ausgestaltung. Darüber hinaus wurde bereits erläutert (s.o. B.I.5.c) cc)), dass es nach der erfindungsgemäßen Lehre auch nicht erforderlich ist, dass die Unterbildschirme mit den Innenflächen eines Polyeders in Form und Anordnung vollständig und perspektivisch korrekt übereinstimmen. Dies folgt u.a. aus der Verwendung des Verbs „repräsentieren“ (s.o. B.I.5.c) cc)) und gilt auch für den in Merkmal 1.2.4.1. näher konkretisierten Unterbildschirmbereich.
43
Zudem lässt Anspruch 1 gerade offen, in welchem Unterbildschirmbereich der in Merkmal 1.2.4.1. erwähnte Teil des Bildes, der im Wesentlichen der Fahrzeugbreite entspricht, angezeigt wird. Es ist keineswegs zwingend, dass der in Merkmal 1.2.4.1. erwähnte Bildteil in der Fläche F der Figur 5 angezeigt wird. Dies ist vielmehr allenfalls Gegenstand der von Unteranspruch 7 geschützten Lehre. Nach Anspruch 1 wäre es demzufolge auch möglich, das Merkmal 1.2.4.1. in einem Teil der - rechteckigen - Fläche D der Figur 5 umzusetzen und die Fläche F nicht auf dem Bildschirm zu zeigen (vgl. die in Figur 4 dargestellten Flächen).
44
Schließlich wurde soeben dargelegt (s.o. B.I.5.d) aa)), dass der Umstand, dass Merkmal 1.2.4.1. nur die Anzeige eines Teils des Bilds betrifft, der „im Wesentlichen“ der Fahrzeugbreite entspricht, verdeutlicht, dass es nicht darum geht, in dem fraglichen Unterbildschirmbereich ausschließlich Hindernisse abzubilden, die sich exakt im Fahrweg befinden. Auch aus der technischen Funktion des Merkmals 1.2.4.1. folgt demnach keine entsprechende Einschränkung auf eine Trapez- oder Dreiecksform. Hinzu kommt, dass eine Trapez- oder Dreiecksform den (weiteren) Fahrweg des Fahrzeugs überhaupt nur dann (näherungsweise) perspektivisch abbilden würde, wenn das Fahrzeug sich exakt geradeaus bewegt. Schon bei einer leicht kurvigen Fahrt würde eine derartige Trapez- oder Dreiecksform nur noch einen Teil des eingeschlagenen Fahrwegs und der sich im Fahrweg befindlichen Hindernisse abbilden. Die übrigen Hindernisse würden sich dann - wenn überhaupt (vgl. Unteranspruch 2 und [0026]) - auf einem anderen Unterbildschirm befinden. Insoweit führt eine Trapez- und Dreiecksform des Unterbildschirmbereichs nicht zwangsläufig dazu, dass der Fahrer leicht erkennen kann, ob sich ein Hindernis in der Fahrtrichtung des Fahrzeugs befindet (vgl. [0046]).
45
II. Die Beklagten verletzen das Klagepatent unmittelbar gemäß § 9 S. 2 Nr. 1 PatG, weil sie die angegriffene Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland herstellen, anbieten und vertreiben und die angegriffene Ausführungsform von Anspruch 1 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch macht.
46
a) Die Parteien streiten über die Benutzung der Merkmale 1., 1.2.1.1. in Verbindung mit 1.2.2. und 1.2.3. sowie 1.2.4.1. Gegen die Benutzung der übrigen Merkmale wendet sich die Beklagte zu Recht nicht. Denn diese werden nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin von der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht.
47
b) Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Merkmal 1.
48
Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um eine Anzeigevorrichtung zur Fahrunterstützung für ein Fahrzeug. Wie dargelegt (s.o. B.I.5.b)) setzt Merkmal 1. nicht das Vorliegen eines Bildschirms voraus. Dass die angegriffene Ausführungsform für sich genommen keinen Bildschirm umfasst, steht einer unmittelbaren Verletzung von Anspruch 1 daher nicht entgegen.
49
c) Die angegriffene Ausführungsform macht auch von Merkmal 1.2.1.1. in Verbindung mit den Merkmalen 1.2.2. und 1.2.3. Gebrauch.
50
Die Bildverarbeitungseinheit der angegriffenen Ausführungsform ist eingerichtet, den Kontrollbildschirm in eine Vielzahl von Unterbildschirmen aufzuteilen, wobei diese die Innenflächen eines Polyeders repräsentieren (Merkmal 1.2.1.1.). Die Bildverarbeitungseinheit ist auch eingerichtet, das aufgenommene Bild zu bearbeiten, um eine Polyeder-Darstellung zu erhalten, bei der die Innenflächen des Polyeders das aufgenommene Bild repräsentieren (Merkmal 1.2.2.), sowie das verarbeitete Bild korrespondierend zu den Unterbildschirmen des Kontrollbildschirms aufzuteilen, um jedem Unterbildschirm ein Bild einer Fläche des Polyeders zuzuführen (Merkmal 1.2.3.).
51
Die genannten Merkmale hängen inhaltlich zusammen (s.o. B.I.5.c)), was auch im Rahmen der Verletzungsprüfung eine zusammenschauende Betrachtung erforderlich macht. Ihre Verwirklichung durch die angegriffene Ausführungsform geht aus den nachfolgenden, von der Klägerin in den Anlagen K 5 und K 6 vorgelegten Fotos von Darstellungen auf Bildschirmen in Fahrzeugen, die mit der angegriffenen Ausführungsform ausgestattet sind, hervor:
52
Aus den Fotos ist ersichtlich, dass der Bildschirm jeweils in drei Unterbildschirme unterteilt wird. Diese drei Unterbildschirme repräsentieren Innenflächen eines Polyeders i.S. von Merkmal 1.2.1.1. und die darauf angezeigten Bildausschnitte stellen Bilder der Innenflächen eines Polyeders dar (Merkmal 1.2.3.), die das aufgenommene Bild repräsentieren (Merkmal 1.2.2.). Dieser Effekt beruht - aus den Fotos ersichtlich - auf einer unterschiedlichen Bilddarstellung in den drei einzelnen Unterbildschirmen. Während in dem mittleren der drei Unterbildschirme die Fahrbahn sowie die auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite liegenden Gebäude (annähernd) waagrecht angezeigt werden, knicken Fahrbahnbegrenzungen und horizontale Gebäudekanten an den Übergängen zu den beiden äußeren Unterbildschirmen (d.h. an den beiden dunklen Begrenzungslinien) deutlich ab und bewegen sich dann in den äußeren Unterbildschirmen jeweils in Richtung der äußeren Bildmitte aufeinander zu. Gegenstände in den äußeren Unterbildschirmen werden deutlich stärker verzerrt dargestellt, wie die in den konkreten Fotos in den äußeren Unterbildschirmen angezeigten Autos zeigen. Die drei Unterbildschirme vermitteln dem Fahrer hierdurch jeweils den Eindruck unterschiedlicher räumliche Orientierungen, der mit einem gewissen dreidimensionalen Raumgefühl einhergeht, so dass der Fahrer die auf dem zweidimensionalen Bildschirm abgebildete dreidimensionale Wirklichkeit intuitiv erkennen kann.
53
Es kommt daher vorliegend nicht darauf an, ob die äußeren Unterbildschirme jeweils rechteckig ausgestaltet sind oder ob - wie von der Klägerin vorgetragen (Replik, S. 12/13) - deren Eckbereiche derart ausgegraut sind, dass sie keine Rechteckform aufweisen:
54
Wie dargelegt (s.o. B.I.5.c) cc)), ist die beanspruchte Lehre nicht auf die Vermittlung eines 3D-Gefühls durch eine entsprechende Formgestaltung der Unterbildschirme nach Art einer perspektivischen Zeichnung beschränkt und müssen die Unterbildschirme nicht mit den Innenflächen eines Polyeders (bzw. einer perspektivischen Zeichnung hiervon) in Form und Anordnung perspektivisch korrekt übereinstimmen. Die konkrete Formgestaltung der Unterbildschirme führt daher vorliegend nicht aus der Verwirklichung von Anspruch 1 heraus, zumal auch ein Polyeder denkbar und mangels diesbezüglicher Einschränkung (s.o. B.I.5.c) aa)) anspruchsgemäß wäre, dessen Seitenflächen bei perspektivischer Zeichnung eine - jedenfalls annähernd - rechteckige Form aufweisen. Da die konkrete Form des Polyeders im vorliegenden Fall nicht bestimmt werden kann, da in der angegriffenen Ausführungsform nicht alle Innenflächen des Polyeders gezeigt werden (was ebenfalls nicht aus der Verletzung herausführt, s.o. B.I.5.c) cc)), kann eine derartige Formgestaltung auch nicht ausgeschlossen werden.
55
Entgegen dem Vorbringen der Beklagten (Klageerwiderung, S. 24 ff.) kommt es für die Verwirklichung von Patentanspruch 1 auch nicht darauf an, ob und wie genau die angegriffene Ausführungsform bestimmte Verfahrensschritte durchführt, weil Anspruch 1 eine Vorrichtung und nicht ein Verfahren schützt. Es reicht aus, dass die angegriffene Ausführungsform eingerichtet ist, die Funktionen der Merkmale 1.2.1.1., 1.2.2. und 1.2.3. zu erfüllen.
56
d) Merkmal 1.2.4.1. wird durch die angegriffene Ausführungsform ebenfalls verwirklicht. Durch die angegriffene Ausführungsform wird ein Teil des Bildes, der im Wesentlichen der Breite des Fahrzeugs entspricht, auf dem mittleren der drei Unterbildschirme angezeigt, der den Sichtbereich in Fahrtrichtung vor bzw. hinter dem Fahrzeug zeigt.
57
Zwischen den Parteien ist insoweit unstreitig (Klageschrift, S. 17/18; Klageerwiderung, S. 61/62), dass jedenfalls im ganz unteren Bereich des mittleren Unterbildschirms ein Bildteil angezeigt wird, der im Wesentlichen der Breite des Fahrzeugs entspricht.
58
Die Klägerin verweist hierzu auf die kleinen Piktogramme in den oben abgebildeten Fotos, die in Form eines roten „Fächers“ die Aufteilung des Sichtbereichs in Fahrtrichtung vor bzw. hinter dem Auto auf die drei Unterbildschirme anzeigen. Der mittlere Teil des Fächers bezieht sich dabei auf die Darstellung in dem mittleren Unterbildschirm, wobei sich aus den Ausmaßen des mittleren Teils des Fächers ergibt, dass der in dem unteren Bildbereich des mittleren Unterbildschirms gezeigte Bereich im Wesentlichen mit der Breite des Fahrzeugs übereinstimmt. Im Rahmen des durchgeführten Tests mit einer angegriffenen Ausführungsform unter Verwendung der Heckkamera hat die Klägerin die Fahrzeugbreite in dem aufgenommenen Foto zudem durch einen roten Karton links und einen weißen Karton rechts markiert (Anlage K 6).
59
Die Beklagte wiederum hat die Fahrzeug breite im nachfolgenden Bild (aus Anlage K 5) durch die Hypotenuse des eingezeichneten grünen Dreiecks verdeutlicht:
60
Wie dargelegt (s.o. B.I.5.d) aa)) ist für die Verwirklichung von Merkmal 1.2.4.1. nicht erforderlich, dass der Bildteil, der im Wesentlichen der Fahrzeugbreite entspricht, den mittleren Unterbildschirm vollständig ausfüllt. Merkmal 1.2.4.1. ist auch erfüllt, wenn - wie bei der angegriffenen Ausführungsform - nur im unteren Bereich des Unterbildschirms ein Bildteil angezeigt wird, der im Wesentlichen der Fahrzeugbreite entspricht. Auch in dieser Ausgestaltung erkennt der Fahrer ein Hindernis im Fahrweg. Merkmal 1.2.4.1. verlangt gerade keine ausschließliche und exakte Darstellung des Fahrwegs (und der sich im Fahrweg befindlichen Hindernisse) in dem fraglichen Unterbildschirm. Insbesondere ist die beanspruchte Lehre daher auch nicht auf eine Trapez- oder Dreiecksform des fraglichen Unterbildschirms beschränkt (s.o. B.I.5.d) aa)), so dass auch eine rechteckige Ausgestaltung des fraglichen Unterbildschirms wie bei der angegriffenen Ausführungsform von Merkmal 1.2.4.1. erfasst wird.
61
III. Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche im tenorierten Umfang zu.
62
1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert.
63
Die Klägerin ist im Register als Inhaberin des Klagepatents eingetragen (Anlage K 3). Die Registervermutung wurde durch die Beklagte nicht widerlegt. Aufgrund der Registervermutung kann sich die Beklagte nicht darauf zurückziehen, mit Nichtwissen zu bestreiten, dass es sich bei der Klägerin und der ursprünglichen Patentinhaberin …, um dasselbe Unternehmen handelt (Klageerwiderung, S. 64), zumal der Kammer aus anderen Verfahren bekannt ist, dass eine entsprechende Umwandlung des genannten Unternehmens in die Klägerin erfolgt ist, was somit gerichtsbekannt ist.
64
2. Die Beklagte ist zur Unterlassung der patentverletzenden und rechtswidrigen Benutzungshandlungen verpflichtet, § 139 Abs. 1 S. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
65
Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform besteht Wiederholungsgefahr mit Blick auf die unstreitig gegebenen Tathandlungen. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen (im tenorierten Umfang) indiziert.
66
3. Der ausgesprochene Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus § 140 b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
67
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140 b Abs. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140 b Abs. 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
68
Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
69
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren. Wegen der Akzessorietät zum Schadensersatzanspruch, der ein Verschulden voraussetzt, ist die (beantragte) Karenzzeit von einem Monat ab Patenterteilung zu berücksichtigen.
70
4. Die Ansprüche gegen die Beklagte auf Vernichtung der Verletzungsformen und deren Rückruf ergeben sich im Umfang des Tenors aus § 140 a Abs. 1 und 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
71
Die Ansprüche sind - entgegen dem Vorbringen der Beklagten (Klageerwiderung, S. 64) - auch nicht wegen Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen. Dass es sich nach dem Vortrag der Beklagten sich bei der patentverletzenden Darstellung durch die angegriffene Ausführungsform auf den Bildschirmen in den Fahrzeugen nur um eine von mehreren Funktionalitäten handelt, die durch ein Softwareupdate beseitigt werden könne (Klageerwiderung, S. 64), führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit des Vernichtungs- und Rückrufanspruchs, sondern betrifft allenfalls die Frage, wie diese Ansprüche erfüllt werden können.
72
5. Da die Beklagte die Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I. zumindest fahrlässig begangen hat, ist sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, § 139 Abs. 2 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
73
Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform verletzt wird.
74
Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
75
6. Den Ansprüchen steht - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, S. 65) - nicht die Einrede der Verjährung gemäß § 141 PatG entgegen.
76
Aufgrund der fortdauernden Verletzung hat die Verjährung hinsichtlich des Anspruchs auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf schon nicht zu laufen begonnen. Den Schadensersatzanspruch kann die Klägerin jedenfalls als Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 BGB i.V. mit §§ 812, 818 BGB geltend machen, der gemäß § 852 S. 2 BGB erst zehn Jahre nach seiner Entstehung verjährt. Insoweit greift auch gegen die akzessorischen Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung nicht die Einrede der Verjährung durch.
77
Eine Aussetzung mit Blick auf die Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1) vom 31.08.2021 (Anlage B 2) nach § 148 ZPO ist nicht veranlasst.
78
I. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug; Cepl in: Cepl/Voß, ZPO, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 106 m.w.N.). Daher ist eine Aussetzung eines Patentverletzungsprozesses nur dann geboten, wenn die Nichtigkeitsklage bzw. der Einspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug; OLG Düsseldorf GRUR 2009, 53 (Ls.) - Brandschutzvorrichtung; GRUR-RR 2007, 259 - Thermocycler, GRUR 1979, 188 - Flachdachabläufe; 1979, 636 - Ventilanbohrvorrichtung; OLG München InstGE 6, 57, Rn. 15 - Kassieranlage; OLG München GRUR 1990, 352, 353 - Regal-Ordnungssysteme). Dies kann regelmäßig nur angenommen werden, wenn neuheitsschädlicher Stand der Technik geltend gemacht wird, der im Prüfungsverfahren bisher noch nicht beurteilt wurde (LG München I InstGE 9, 27 - Antibakterielle Versiegelung).
79
II. Nach diesen Maßstäben ist der Rechtsstreit nicht auszusetzen. Die von der Beklagten geltend gemachten Nichtigkeitsargumente greifen nicht durch.
80
1. Es liegt - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, S. 66/72; Duplik, S. 34/36) - keine unzulässige Erweiterung vor. Alle Merkmale des Anspruchs 1 sind durch die Anmeldung des Klagepatents ursprungsoffenbart.
81
a) Merkmal 1.2.1.1., wonach die Unterbildschirme die Innenflächen eines Polyeders „repräsentieren“, ist ursprungsoffenbart.
82
Die Beklagte ist insoweit der Auffassung, aus den Anmeldeunterlagen (Anlage B 2.MN 2) ergebe sich „als zentraler Grundsatz, dass der ‚Aufsplittparameter‘ zur Erzeugung der Unter-Bildschirme (…) durch die Heranziehung jeder Innenflächenseite eines Polyeders - erreicht durch das ‚Abfotografieren‘ des Inneren des Polyeders - ermittelt“ werde (Klageerwiderung, S. 68, Hervorhebung dort). Dies folge aus dem Wortlaut des Anspruchs 1, insbesondere des Merkmals 1.2.1.1. A („in correspondence with each inner face of a polyhedron obtained when the inside of the polyheron is shot“), sowie der zugehörigen Darstellung der Lösung in [0016] („image processing means for splitting a monitor screen into a plurality of sub-screens in correspondence with each inner face of a polyhedron obtained when the inside of the polyhedron is shot“) der Anmeldeunterlagen.
83
Für die Frage der unzulässigen Erweiterung kommt es jedoch auf den gesamten Offenbarungsgehalt der Anmeldung an und nicht nur auf den Wortlaut der Ansprüche der Anmeldung. Eine unzulässige Erweiterung kann folglich nicht allein damit begründet werden, dass in der Anmeldung Merkmale anders als im später erteilten Patent beschrieben oder benannt werden, deren Sinngehalt für den Fachmann aber unverändert dem erteilten Patent zu entnehmen ist. Der Sinngehalt des Merkmals 1.2.1.1. des erteilten Anspruchs 1 hat sich gegenüber dem entsprechenden Merkmal des eingereichten Anspruchs 1 nicht geändert. Den Hinweis auf das „Abfotografieren“ des Inneren eines Polyeders versteht der Fachmann nicht in dem Sinne, dass tatsächlich eine Fotografie angefertigt wird. Der Fachmann erkennt vielmehr, dass mit der Formulierung „in correspondence with each inner face of a polyhedron obtained when the inside of the polyhedron is shot“ in der Anmeldung nichts anderes gemeint ist als das, was Merkmal 1.2.1.1. des erteilten Anspruchs 1 ausdrückt - nämlich dass die Unterbildschirme die Innenflächen eines Polyeders „repräsentieren“. Es handelt sich lediglich um unterschiedliche Formulierungen zur Beschreibung der Verwendung eines (beliebigen) Polyeders als gedanklichen Hilfskonstrukts (s.o. B.I.5.c) bb)).
84
b) Merkmal 1.2.4.1., demzufolge ein Teil des Bildes, der im Wesentlichen der Fahrzeugbreite entspricht, in einem der Unterbildschirmbereiche, der einem Bereich in Rückwärts- oder in Vorwärtsrichtung des Fahrzeugs in dessen Fahrtrichtung entspricht, angezeigt, stellt ebenfalls keine unzulässige Erweiterung dar.
85
Die Beklagte trägt diesbezüglich vor, für die Offenbarung dieses Merkmals sei in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen (Anlage B 2.MN 2) ausschließlich das vierte Ausführungsbeispiel, wie dort beschrieben in [0047] ff. (entsprechen im Wesentlichen [0043] ff. des Klagepatents), relevant. Entscheidend für die Darstellung „eines Teils des Bildes, der im Wesentlichen der Breite des Fahrzeugs entspricht, in einem der Unter-Bildschirmbereiche“ sei daher nach der Ursprungsoffenbarung die Verwendung einer trapezförmigen Bodenfläche, die sich nach hinten hin verjüngt und nur denjenigen Bereich anzeigt, den das Fahrzeug bei der Fahrt tatsächlich passiert (Anlage B 2.MN 2, [0049]: „only an area where the vehicle passes when the vehicle is backed straight is displayed“) (Klageerwiderung, S. 71/72; Duplik, S. 35). Zudem sei das Bild (der realen Welt, z.B. betreffend Hindernisse) nach [0047] der Anlage B 2.MN 2 anzuzeigen auf „the bottom face“ (die anschließend als F konkretisiert werde), wobei als Zweck angegeben werde „so that whether an arbitrary object is on the straight travel path of the vehicle is easily determined“ (Duplik, S. 35). Bei Zugrundelegung einer weiten Auslegung von Merkmal 1.2.4.1., wonach auch die Darstellung weit darüber hinausgehender Bereiche in dem fraglichen Unterbildschirm erfasst werde, läge daher eine unzulässige Erweiterung vor.
86
Dieses Verständnis ist unzutreffend: Die Offenbarung in den [0047] ff. der Anmeldeunterlagen ist nicht auf dieses enge Verständnis der Beklagten beschränkt. Nach [0047] der Anmeldung (entspricht [0043] des Klagepatents) wird durch das Anzeigen des Bereichs vor und hinter dem Fahrzeug ein Bild der Fahrzeugbreite oder etwas breiter in dem Anzeigebereich, der der unteren Fläche entspricht, angezeigt, so dass leicht festgestellt werden kann, ob sich irgendein Objekt im direkten Fahrweg des Fahrzeugs befindet. Der Fahrer kann daher die Position des beliebigen Objekts intuitiv erfassen. Die von der Beklagten behauptete Einschränkung auf eine „trapezförmige Bodenfläche“ lässt sich dem ebenso wenig entnehmen wie die weitere Einschränkung, dass nur derjenige Bereich angezeigt werden dürfe, den das Fahrzeug tatsächlich passiert. Wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s.o. B.I.5.d) aa)), erkennt der Fahrer ein Hindernis im Fahrweg auch dann, wenn der Bildteil, der im Wesentlichen der Fahrzeugbreite entspricht, den fraglichen Unterbildschirm nicht vollständig ausfüllt. Auch eine Beschränkung auf eine Trapez- oder Dreiecksform ergibt sich hieraus nicht (s.o. B.I.5.d) bb)). Die weiteren von der Beklagten zitierten Passagen der Beschreibung der Anmeldung, beziehen sich auf weitere Ausgestaltungen des vierten Ausführungsbeispiels, die die allgemeine Offenbarung der Anmeldung nicht beschränken.
87
2. Der Gegenstand der Entgegenhaltung D1/D1a (JP H11-338074 A,) steht der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Klagepatents nicht entgegen.
88
a) Die D1 offenbart ein Umgebungs-Überwachungsgerät für ein Fahrzeug, das eine CCD-Kamera sowie Mittel zur Bearbeitung eines hiermit gewonnen Bildes umfasst (D1a, S. 1, Abs. [Solution]). Zur näheren Erläuterung der D1/D1a verweist die Beklagte unter anderem auf die folgenden Figuren der D1/D1a:
89
b) Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch diese Entgegenhaltung nicht offenbart. Es werden nicht sämtliche beanspruchte Merkmale gezeigt.
90
So offenbart die D1/D1a jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig, dass die am Fahrzeug montierte Kamera eingerichtet ist, einen Bereich in Vorwärts- oder einen Bereich in Rückwärtsrichtung des Fahrzeugs aufzunehmen (Merkmal 1.1.1.). Vielmehr wird in der D1/D1a im zweiten Ausführungsbeispiel nur der Einsatz einer Kamera mit einem V-förmigen Spiegel offenbart, die gerade nicht den Bereich vor oder hinter dem Fahrzeug aufnimmt, sondern nur die Bereiche links und rechts des Fahrzeugs, wie in [0031] unter Bezugnahme auf die Figur 10 erläutert wird. Soweit die Beklagte vorträgt, aus der „vorne in der Mitte angeordnete Kamera“ in Figur 11 ergebe sich unmittelbar, „dass diese nur die Bereiche vor oder hinter dem Fahrzeug aufnehmen kann“ (Duplik, S. 37/38), ist dies unzutreffend. Wie aus der Beschreibung in [0032] hervorgeht, handelt es sich bei der Kamera mit Bezugszeichen 301 in Figur 11 gerade um eine Kamera mit einem V-förmigen Spiegel gemäß Figur 10, die nur die Bereiche links und rechts des Fahrzeugs aufnimmt.
91
3. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten (Klageerwiderung, S. 84; Duplik, S. 36/37) fehlt es auch nicht an einer erfinderischen Tätigkeit. Die Beklagte trägt insoweit im Ergebnis vor (Klageerwiderung, S. 84; Duplik, S. 36/37), alle Merkmale des Anspruch 1 ergäben sich aus einer Kombination der Entgegenhaltung D1/D1a mit der Entgegenhaltung D2/D2a. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, welchen Anlass der Fachmann zur Kombination dieser Entgegenhaltungen gehabt hätte. Auf dieser Grundlage kann die Kammer eine fehlende erfinderische Tätigkeit nicht erkennen.
92
4. Schließlich übt die Kammer ihr Ermessen so aus, das Verfahren auch nicht wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten zur behaupteten unzulässigen Erweiterung in Bezug auf die Merkmale 1.2.2. und 1.2.3. (vgl. Klageerwiderung, S. 70) auszusetzen ist.
93
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
94
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
95
Die Werte der Teilsicherheiten ergeben sich aus den Schriftsätzen der Parteien vom 6. Juli 2022 und vom 11. Juli 2022. Für die Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung ist - so auch die ständige Rechtsprechung der Kammer - eine einheitliche Teilsicherheit zu bilden.