Inhalt

LG München I, Endurteil v. 11.05.2022 – 21 O 15874/20
Titel:

Berücksichtigung von Unteransprüchen und Ausführungsbeispielen bei der Auslegung eines Patentanspruchs

Normenketten:
EPÜ Art. 64 Abs. 1
PatG § 139 Abs. 1, Abs. 2 § 140a Abs. 1, Abs. 3, § 140b Abs. 1, Abs. 3
BGB § 242, § 259
Leitsatz:
Die Beschreibung von Ausführungsbeispielen bzw. Ausgestaltungen rechtfertigt keine einschränkende Auslegung des Patentanspruchs.  (Rn. 36, 38 und 41) (Rn. 36, 38 und 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Schadensersatz, Italien, Klagepatent, Werbung, Patentverletzung, Kunststoff, Gerichtsvollzieher, Auslegung, Auskunft, Unterlassung, Neuheit, Technik, Anspruch, Bundesrepublik Deutschland, Aussetzung des Verfahrens, Stand der Technik
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 42032

Tenor

I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
Spreizdübel aus Kunststoff,
- mit einem Spreizbereich, der durch ein Spreizelement aufspreizbar ist,
- wobei das Spreizelement zum Aufspreizen in einen axialen Führungskanal des Spreizdübels einführbar ist,
- mit einer ersten Spreizhülse, und
- mit einer zweiten Spreizhülse, die die erste Spreizhülse in einem unverspreizten Zustand zumindest teilweise umhüllt,
- wobei die erste Spreizhülse und die zweite Spreizhülse im unverspreizten Zustand dreh- und zugfest miteinander verbunden sind,
- wobei im Spreizbereich eine Gleitfläche zwischen der ersten Spreizhülse und der zweiten Spreizhülse ausgebildet ist, derart
- dass sich beim Verspreizen des Spreizdübels die erste Spreizhülse im Spreizbereich von der zweiten Spreizhülse lösen kann und relativ zur zweiten Spreizhülse bewegbar ist, wobei
- die erste Spreizhülse durch das Spreizelement selbst aufspreizbar ist, und
- die erste Spreizhülse in ihrer Umfangsfläche eine Durchbrechung aufweist, die ein Spreizen der ersten Spreizhülse in radialer Richtung erleichtert,
(Anspruch 1 …)
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 03.06.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheim- haltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 03.06.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften de gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagehöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage hin mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre - der Beklagten - Kosten herauszugeben;
5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 03.06.2017 in Verkehr gebrachten Er- zeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rücknahme verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer 1.1. bezeichneten, seit dem 03.06.2017 begangenen Handlungen bereits entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
- einheitlich 480.000,00 € für Ziffern I.1., I.4. und I.5. und
− 20.000,00 € für Ziffern I.2. und I.3. sowie
− 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags für Ziffer III.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents … (Anlage KR A 1, nachfolgend: Klagepatent) und nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer Patentverletzung in Anspruch.
2
Das Klagepatent wurde am 08.02.2011 angemeldet und nimmt eine Priorität vom 07.02.2011 … sowie vom 11.02.2010 … in Anspruch. Die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung erfolgten am 03.05.2017. Das Klagepatent wurde mit Wirkung für Deutschland erteilt. Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet wie folgt:
„Spreizdübel (1, 101, 201, 301) aus Kunststoff,
- mit einem Spreizbereich (9, 109, 209, 309), der durch ein Spreizelement aufspreizbar ist,
- wobei das Spreizelement zum Aufspreizen in einen axialen Führungskanal (5, 105, 205, 305) des Spreizdübels (1, 101, 201, 301) einführbar ist,
- mit einer ersten Spreizhülse (2, 102, 202, 302), und
- mit einer zweiten Spreizhülse (3, 103, 203, 303), die die erste Spreizhülse (2, 102, 202, 302) in einem unverspreizten Zustand zumindest teilweise umhüllt,
- wobei die erste Spreizhülse (2, 102, 202, 302) und die zweite Spreizhülse (3, 103, 203, 303) im unverspreizten Zustand dreh- und zugfest miteinander verbunden sind,
- wobei im Spreizbereich (9, 109, 209, 309) eine Gleitfläche (16, 116, 216, 316) zwischen der ersten Spreizhülse (2, 102, 202, 302) und der zweiten Spreizhülse (3, 103, 203, 303) ausgebildet ist, derart
- dass sich beim Verspreizen des Spreizdübels (1, 101, 201, 301) die erste Spreizhülse (2, 102, 202, 302) im Spreizbereich (9, 109, 209, 309) von der zweiten Spreizhülse (3, 103, 203, 303) lösen kann und relativ zur zweiten Spreizhülse (3, 103, 203, 303) bewegbar ist,
dadurch gekennzeichnet,
- dass die erste Spreizhülse (2, 102, 202, 302) durch das Spreizelement selbst aufspreizbar ist, und
- dass die erste Spreizhülse (2, 102, 202, 302) in ihrer Umfangsfläche eine Durchbrechung (7, 107, 207, 307) aufweist, die ein Spreizen der ersten Spreizhülse (2, 102, 202, 302) in radialer Richtung erleichtert.“ (Hervorhebungen dort)
3
Die nachfolgend eingeblendeten Abbildungen (Figuren 1 bis 10) der Klagepatentschrift zeigen Ausführungsbeispiele der Erfindung:
4
Wegen der weiteren Details wird auf die Patentschrift verwiesen.
5
Die Beklagte zu 1) ist ein in Italien ansässiges Unternehmen und produziert den Dübel … (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen)
6
Der Beklagte zu 2) ist unter der im Passivrubrum gennanten Firma tätig und Generalvertreter der Beklagten zu 1) in der Bundesrepublik Deutschland. Er bietet an und vertreibt die angegriffenen Ausführungsformen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
7
Die Klägerin trägt vor,
dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent unmittelbar wortsinngemäß verletze. Sie verweist hierzu auf vorgelegte Bilder der angegriffenen Ausführungsform (Anlage KR A 4), vorgelegte Muster der angegriffenen Ausführungsform (Anlage KR A 5) und ein von der Website des Beklagten zu 2) heruntergeladenes Infoblatt (Anlage KR A 6), das u.a. folgende Abbildungen der angegriffenen Ausführungsform enthält:
8
Die Klägerin beantragt zuletzt:
I. die Beklagten zu verurteilen,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1. an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
Spreizdübel aus Kunststoff,
- mit einem Spreizbereich, der durch ein Spreizelement aufspreizbar ist,
- wobei das Spreizelement zum Aufspreizen in einen axialen Führungskanal des Spreizdübels einführbar ist,
- mit einer ersten Spreizhülse, und
- mit einer zweiten Spreizhülse, die die erste Spreizhülse in einem unverspreizten Zustand zumindest teilweise umhüllt,
- wobei die erste Spreizhülse und die zweite Spreizhülse im unverspreizten Zustand dreh- und zugfest miteinander verbunden sind,
- wobei im Spreizbereich eine Gleitfläche zwischen der ersten Spreizhülse und der zweiten Spreizhülse ausgebildet ist, derart
- dass sich beim Verspreizen des Spreizdübels die erste Spreizhülse im Spreizbereich von der zweiten Spreizhülse lösen kann und relativ zur zweiten Spreizhülse bewegbar ist, wobei
- die erste Spreizhülse durch das Spreizelement selbst aufspreizbar ist, und
- die erste Spreizhülse in ihrer Umfangsfläche eine Durchbrechung aufweist, die ein Spreizen der ersten Spreizhülse in radialer Richtung erleichtert,
(Anspruch 1 …)
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 03.06.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden, wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 03.06.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften de gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagehöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage hin mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre - der Beklagten - Kosten herauszugeben;
5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 03.06.2017 in Verkehr gebrachten Er- zeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rücknahme verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen
II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 03.06.2017 begangenen Handlungen bereits entstanden ist und noch entstehen wird.
9
Die Beklagten beantragen,
I. die Klage abzuweisen.
II. Hilfsweise: Den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen den deutschen Teil des europäischen Patents EP 2 533 962 B1 anhängige Nichtigkeitsklage auszusetzen.
10
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens.
11
Die Beklagten sind im Wesentlichen der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht. Jedenfalls sei das Verfahren im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage vom 07.06.2021 (Anlage PBP A2) auszusetzen.
12
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 21.07.2021 (Bl. 138/140 d.A.) und 09.03.2022 (Bl. 262/264 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Klage ist begründet. Eine Aussetzung des Verfahrens ist mit Blick auf die anhängige Nichtigkeitsklage nicht veranlasst.
A.
14
Die Klage ist zulässig.
15
I. Das Landgericht München I ist sachlich, örtlich und international zuständig (§ 143 PatG, § 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 GZVJu, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO).
16
II. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
B.
17
Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Schadensersatzfeststellung gemäß §§ 139 Abs. 1 und 2, 140 a Abs. 1 und 3, 140 b Abs. 1 und 3, 9 S. 2 Nr. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ zu.
18
I. Das Klagepatent betrifft einen Spreizdübel aus Kunststoff, vgl. [0001].
19
1. In seiner Beschreibung führt die Klagepatentschrift aus, dass aus dem EP 1 701 046 A1 im Stand der Technik ein Spreizdübel bekannt sei, der in ein Bohrloch eingebracht und dort zur Befestigung aufgespreizt werden könne. Der Spreizdübel bestehe aus einer rohrförmigen Spreizhülse mit einem Spreizbereich, der durch Einführen einer Holz- oder Spanplattenschraube radial aufspreizbar sei. Der Spreizbereich werde beim Aufspreizen durch die Schraube im Durchmesser aufgeweitet, wodurch Spreizschenkel des Spreizbereichs gegen die Bohrlochwand gedrückt würden. Um eine möglichst große Reibung zwischen den Spreizschenkeln und der Bohrlochwand zu erzielen, seien die Spreizzungen relativ massiv, mit kreissektorförmigen Querschnitten ausgebildet, so dass auch bei Schrauben mit kleinem Durchmesser eine möglichst große radiale Aufweitung des Spreizdübels erreicht werden könne, vgl. [0002].
20
Demgegenüber sei aus der DE 297 04 666 U1 ein Spreizdübel mit Spreizzungen bekannt, die in Hohlbaustoffen Knoten bilden oder ausknicken könnten, vgl. [0002].
21
Daneben sei aus der DE 7 145 271 ein Spreizdübel für weiches Mauerwerk bekannt, der aus einer ersten Spreizhülse aus einem harten Kunststoff bestehe, die in eine zweite Spreizhülse aus einem weichen Kunststoff eingesetzt sei. Die erste Spreizhülse, die das in Einbringrichtung vordere Ende des Spreizdübels bilde, sei als hülsenförmiges Ringelement ausgebildet. Die beiden Spreizhülsen wiesen einen gemeinsamen axialen Führungskanal auf, in den eine Schraube als Spreizelement eingeschraubt werden könne. Die Schraube sei beispielsweise eine Spanplattenschraube mit einem im Durchmesser gegenüber dem Gewinde erweiterten Schraubenkopf. Der Spreizdübel werde beim Einführen der Schraube zunächst in radialer Richtung aufgeweitet und verspreizt. Wenn die Schraube vollständig in den Führungskanal eingeschraubt sei, liege der Schraubenkopf am hinteren Ende des Spreizdübels an. Durch weiteres Drehen der Schraube werde das hülsenförmige Ringelement, und damit die erste Spreizhülse und ein vorderer Abschnitt der zweiten Spreizhülse, zum hinteren Ende des Spreizdübels hin verschoben, wodurch die zweite Spreizhülse verkürzt werde und in einem Spreizbereich wulstartig ausknicke. Aufgrund seines Aufspreizverhaltens sei dieser Spreizdübel insbesondere für weiche Baustoffe und Baustoffe mit Hohlräumen geeignet, beispielsweise für Hochlochziegel, vgl. [0003].
22
Schließlich sei aus der EP 1 717 459 B1 ein Spreizdübel gemäß dem Oberbegriff des Klagepatentanspruchs 1 zur Befestigung in plattenartigen Bauteilen bekannt. Dieser gattungsgemäße Spreizdübel weise zwei Spreizhülse auf, die in einem unverspreizten Zustand dreh- und zugfest miteinander verbunden seien. Im Spreizbereich des Spreizdübels sei eine Gleitfläche zwischen den beiden Spreizhülsen vorhanden, so dass sich die Spreizhülsen des Spreizdübels voneinander lösen und gegeneinander bewegen könnten, wobei sie den Spreizdübel verspreizten, vgl. [0004].
23
2. Als nachteilig an dem aus der EP 1 701 046 A1 bekannten Spreizdübel kritisiert das Klagepatent, dass aufgrund der massiven Ausbildung der Spreizzungen die Fähigkeit der Spreizzungen, in Hohlbaustoffen Knoten zu bilden oder auszuknicken, stark begrenzt sei, vgl. [0002].
24
Demgegenüber sei das Aufspreizverhalten des aus der DE 7 145 271 bekannten Spreizdübels in einem Vollbaustoff (z.B. in Beton) nachteilig, weil ein Ausknicken des Spreizbereichs aufgrund des geringen Ringspalts zwischen der Bohrlochwand und dem Spreizdübel nicht möglich sei. Zudem sei durch die zum Ausknicken notwendige relativ geringe Wandstärke des Spreizbereichs der in radiale Richtung erzeugbare Spreizdruck gering, so dass der Spreizdübel in einem Vollbaustoff nur geringe Haltekräfte erzeugen könne, vgl. [0003].
25
3. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, einen Spreizdübel bereitzustellen, der in unterschiedlichen Baustoffen verbesserte Halteeigenschaften aufweist, vgl. [0005].
26
4. Hierfür schlägt das Klagepatent einen Spreizdübel nach Maßgabe des erteilten Anspruchs 1 vor, der sich merkmalsmäßig wie folgt gliedern lässt (vgl. Anlage KR A 3):

A1 a)

Spreizdübel aus Kunststoff, umfassend

A1 b)

einen Spreizbereich,

A1 b)1

der Spreizbereich ist durch ein Spreizelement aufspreizbar,

A1 b)2

das Spreizelement ist zum Aufspreizen in einen axialen Führungskanal des Spreizdübels einführbar,

A1 c)

eine erste Spreizhülse und

A1 d)

eine zweite Spreizhülse, die die erste Spreizhülse in einem unverspreizten Zustand zumindest teilweise umhüllt.

A1 e)

Die erste Spreizhülse und die zweite Spreizhülse sind im unverspreizten Zustand dreh- und zugfest miteinander verbunden.

A1 f)

Im Spreizbereich ist eine Gleitfläche zwischen der ersten Spreizhülse und der zweiten Spreizhülse derart ausgebildet, dass sich beim Verspreizen des Spreizdübels die erste Spreizhülse im Spreizbereich von der zweiten Spreizhülse lösen kann und relativ zur zweiten Spreizhülse bewegbar ist.

A1 g)

Die erste Spreizhülse ist durch das Spreizelement selbst aufspreizbar.

A1 h)

Die erste Spreizhülse weist in ihrer Umfangsfläche eine Durchbrechung auf, die ein Spreizen der ersten Spreizhülse in radialer Richtung erleichtert.

27
5. Diese Lehre bedarf hinsichtlich der Merkmale A1 c), A1 d), A1 f) sowie A1 h) näherer Erläuterung.
28
a) Die durch das Klagepatent unter Schutz gestellte technische Lehre ist aus der Sicht des angesprochenen Durchschnittsfachmanns, eines Diplom-Ingenieurs oder Bachelor (FH/HAW) des Maschinenbaus mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung von Spreizdübeln, zu ermitteln (vgl. Bl. 264 d.A.; Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 2).
29
b) Der Spreizdübel umfasst nach Merkmal A1 c) eine erste Spreizhülse sowie nach Merkmal A1 d) eine zweite Spreizhülse, die die erste Spreizhülse in einem unverspreizten Zustand zumindest teilweise umhüllt.
30
Eine klagepatentgemäße Spreizhülse ist eine Hülse, die (durch das Spreizelement, vgl. Merkmal A1 g), hierzu sogleich) aufgespreizt werden kann (vgl. [0006], S. 2, Z. 51-53; vgl. auch Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 5).
31
In [0006], S. 2, Z. 54-55, ist beschrieben, dass die Spreizhülsen zwei separate Körper sind, die miteinander verbunden sind. Somit ist patentgemäß nicht vorgesehen, einen einzigen Körper, wie z.B. einen einstückig aus einem Kunststoff gespritzten Dübel, rein gedanklich durch hindurchgezogene Grenzen in mehrere Spreizhülsen zu teilen (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 5).
32
aa) Die erste Spreizhülse gemäß Merkmal A1 c), die nach Merkmal A1 g) durch das Spreizelement selbst aufspreizbar ist, muss das Spreizelement umhüllen, sie muss es - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, Rz. 17) - aber nicht im Wesentlichen vollständig umhüllen.
33
Eine derart einschränkende Auslegung des Begriffs „Spreizhülse“ folgt - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, Rz. 5; Schriftsatz vom 01.03.2022, Rz. 1) - weder aus dem allgemeinen Sprachverständnis des Wortes „Hülse“ noch aus der Verwendung des Begriffs „umhüllen“, der in Merkmal A1 d) in Bezug auf das Verhältnis der zweiten Spreizhülse zur ersten Spreizhülse verwendet wird.
34
Vielmehr geht aus Merkmal A1 h) des Anspruchs 1 unmittelbar hervor, dass ein vollständiges Umschließen des Spreizelements durch die erste Spreizhülse gerade nicht anspruchsgemäß ist, weil danach die erste Spreizhülse in ihrer Umfangsfläche eine Durchbrechung aufweist, die das Aufspreizen der ersten Spreizhülse in radialer Richtung erleichtert. Wie in [0009] beschrieben, kann die Durchbrechung beispielsweise ein Längsschlitz oder eine Materialschwächung sein, ihre Form ist folglich beliebig (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 7). Figur 6 zeigt ebenso eine schlitzförmige Durchbrechung. Merkmal A1 h) enthält ebenfalls keine Einschränkung hinsichtlich des Ausmaßes der Durchbrechung. Vielmehr wird die Erleichterung des Aufspreizens in radialer Richtung - wie der Fachmann weiß - umso größer sein, je größer die Durchbrechung ist.
35
Auch aus Merkmal A1 d) geht hervor, dass das Vorliegen einer Spreizhülse kein vollständiges Umhüllen (eines anderen Gegenstands) voraussetzt, weil danach die zweite Spreizhülse die erste Spreizhülse (nur) „zumindest teilweise“ umhüllt (hierzu sogleich). Darüber hinaus ist ein im Wesentlichen vollständiges Umhüllen - ebenfalls in Bezug auf die die Umhüllung der ersten Spreizhülse durch die zweite Spreizhülse - gerade Gegenstand des Unteranspruchs 8, der obsolet wäre, wenn eine derartige Einschränkung bereits in den Begriff der „Spreizhülse“ für sich genommen hineinzulesen wäre (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 5).
36
Soweit die Beklagten noch darauf verweisen, dass in den Erläuterungen der Beschreibung in [0014], [0015], [0028] und [0031] im Zusammenhang mit dem Begriff der Spreizhülse die Begriffe „Umgreifen“, „Umhüllen“, „vollständiges Umhüllen“, „Umschließen“ bzw. „Umschließen auf ihrer gesamten Länge“ verwendet würden (Klageerwiderung, Rz. 8/12), kann hierauf ebenfalls keine Einschränkung des Begriffs der Spreizhülse gestützt werden, weil es sich hierbei lediglich um die Beschreibung von Ausführungsbeispielen bzw. Ausgestaltungen handelt.
37
bb) Die zweite Spreizhülse muss gemäß Merkmal A1 d) die erste Spreizhülse zumindest teilweise umhüllen.
38
(1) Ein vollständiges Umhüllen ist demzufolge möglich, aber nicht verlangt. Dies geht insbesondere aus Unteranspruch 8 hervor, dessen Gegenstand gerade die im Wesentlichen vollständige Umhüllung (in axialer Richtung) der ersten Spreizhülse durch die zweite Spreizhülse ist (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 5). Auch allgemein folgt - wie soeben dargelegt - aus dem Begriff der Spreizhülse nicht, dass ein im Wesentlichen vollständiges Umhüllen erforderlich ist. Soweit in [0015] ein „im Wesentlichen vollständiges Umhüllen“ der ersten Spreizhülse durch die zweite Spreizhülse und in [0031] ein „Umschließen auf ihrer gesamten Länge“ beschrieben ist, handelt es sich lediglich um Beschreibungen von Ausgestaltungen bzw. Ausführungsbeispielen.
39
(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten (Klageerwiderung, Rz. 5/18; Duplik, Rz. 10/18) verlangt Merkmal A1 d) nicht, dass die zweite Spreizhülse die erste Spreizhülse im unverspreizten Zustand zumindest auch im Spreizbereich teilweise umhüllt, so dass die Umfangsfläche der ersten Spreizhülse zumindest im Spreizbereich gegen die Innenseite der zweiten Spreizhülse gedrückt werden kann. Jedenfalls insoweit legt die Kammer Anspruch 1 des Klagepatents anders als das italienische Gericht … in seiner Entscheidung vom 28.04.2021 aus (vgl. Anlage PBP A1 und Übersetzung in Anlage PBP A1 a, S. 4).
40
Eine derartige Einschränkung kann dem Anspruch 1 nicht entnommen werden. Vielmehr formuliert Merkmal A1 g) in Bezug auf das Verhältnis der ersten Spreizhülse zum Spreizelement explizit, dass die Spreizhülse durch das Spreizelement selbst aufspreizbar ist, und Merkmal A1 b)1 offenbart, dass der Spreizbereich durch ein Spreizelement aufspreizbar ist, während eine derartige Formulierung in Bezug auf das Verhältnis der zweiten Spreizhülse zur ersten Spreizhülse gerade keinen Eingang in Merkmal A1 d) gefunden hat.
41
Soweit in [0028] beschrieben wird, dass die Umfangsfläche der ersten Spreizhülse im Spreizbereich gegen die Innenseite der zweiten Spreizhülse gedrückt wird („Die Schraube spreizt die erste Spreizhülse 2 und die sie umschließende zweite Spreizhülse 3 nach Art eines Spreizdübels auf. (…) Da die erste Spreizhülse 2 und die zweite Spreizhülse 3 in derselben Richtung aufspreizen, behindert die die erste Spreizhülse 2 umschließende zweite Spreizhülse 3 das Aufspreizen nicht.“), handelt es sich um ein nicht einschränkendes Ausführungsbeispiel.
42
Ebenso kann [0008] nicht entnommen werden, dass Merkmal A1 d) verlangt, dass die zweite Spreizhülse (auch) durch die erste Spreizhülse nach außen gedrückt wird, weil es sich bei der diesbezüglichen Textpassage in [0008] ersichtlich um einen Konditionalsatz handelt („Wird die zweite Spreizhülse dadurch gespreizt, dass die erste Spreizhülse in die zweite Spreizhülse eingezogen wird, so dass die erst Spreizhülse die zweite Spreizhülse zusätzlich zum Spreizelement radial dehnt und nach außen drückt, so wird die radiale Ausweitung der zweiten Spreizhülse durch die Spreizbarkeit der ersten Spreizhülse vergrößert.“). [0008] beschreibt also nur die radiale Ausweitung der zweiten Spreizhülse für den Fall einer derartigen Ausgestaltung, beschränkt dadurch indes nicht Merkmal A1 d) auf diese Ausgestaltung (vgl. auch Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 5, wonach „eine Hülse auch dann eine erfindungsgemäße Spreizhülse sein [kann], wenn sie zusätzlich die Funktion eines Spreizelements übernimmt“ [Hervorhebung hinzugefügt]).
43
Entgegen der Auffassung der Beklagten (Duplik, Rz. 14/15; Schriftsatz vom 01.03.2022, Rz. 5/6) setzt die Erfüllung der patentgemäßen Funktion, die Halteeigenschaften in unterschiedlichen Baustoffen zu verbessern (vgl. [0005]) nicht voraus, dass die zweite Spreizhülse die erste Spreizhülse zumindest auch im Spreizbereich teilweise umhüllt. Die Beklagten tragen hierzu vor, dass die beiden Spreizhülsen im Vollbaustoff aufgrund der zug- und drehfesten Verbindung gemeinsam einen massiven und stabilen Spreizbereich bildeten ([0007], Z. 6-7). Dabei stabilisiere die erste Spreizhülse die zweite Spreizhülse. Dies erfolge nach Merkmal A1 d) aufgrund der teilweisen Umhüllung. In einem Hohlbaustoff/weichem Mauerwerk falle diese Stabilisierung weg, weil durch eine Relativverschiebung der beiden Spreizhülsen entlang der Gleitflächen die zug- und drehfeste Verbindung aufgelöst werde ([0007], Z. 16-18). Nun könne der Spreizbereich weit stärker radial aufgespreizt werden ([0007], Z. 22-23). Wäre die Umhüllung nur in Bereichen vorhanden, die nicht aufspreizbar seien, könne der Wegfall der Stabilisierung keinen Effekt auf das Aufspreizverhalten entwickeln.
44
Dieser Argumentation folgt die Kammer nicht: Eine Veränderung des Aufspreizverhaltens durch einen Wegfall der gegenseitigen Stabilisierung der ersten und zweiten Spreizhülse (und damit ein unterschiedliches Aufspreizverhalten in Voll- und Hohlbaustoffen) kann auch eintreten, wenn erste Spreizhülse und zweite Spreizhülse im Spreizbereich z.B. nebeneinander angeordnet sind und sich auf diese Weise stabilisieren.
45
c) Nach Merkmal A1 f) ist im Spreizbereich eine Gleitfläche zwischen der ersten Spreizhülse und der zweiten Spreizhülse derart ausgebildet, dass sich beim Verspreizen des Spreizdübels die erste Spreizhülse im Spreizbereich von der zweiten Spreizhülse lösen kann und relativ zur zweiten Spreizhülse bewegbar ist.
46
Eine Gleitfläche i.S. von Merkmal A1 f) ist demnach eine Fläche zwischen der ersten und der zweiten Spreizhülse, deren Funktion es ist, dass die Spreizhülsen dort nicht fest verbunden sind, sondern sich beim Verspreizen lösen und voneinander wegbewegen können. Wie in [0006], S. 3, Z. 2-3, beschrieben, muss sich die erste Spreizhülse nicht überall, sondern nur im Spreizbereich von der zweiten Spreizhülse lösen können, wobei weder ein vollständiges noch ein im Wesentlichen vollständiges Lösen erforderlich ist, d.h. ein teilweises Lösen im Spreizbereich reicht aus (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 6).
47
Entgegen der Auffassung der Beklagten (Klageerwiderung, Rz. 20; Schriftsatz vom 01.03.2022, Rz. 11) müssen sich die gleitenden Flächen der Spreizhülsen im unverspreizten Zustand nicht berühren. Dies geht aus [0006], S. 2, Z. 54-55, hervor, wonach die Spreizhülsen zwei separate Körper sind, die sich „beispielsweise an der Gleitfläche berühren oder aneinander haften“. Zudem ist in [0006], S. 2, Z. 56-58, beschrieben, dass zwischen den beiden Spreizhülsen eine zusätzliche Schicht mit geringer Reibung angeordnet sein kann (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 6). Aufgrund der Funktion der Gleitfläche dürfen die Spreizhülsen aber, wenn sie sich berühren, nicht unlösbar verbunden sein.
48
Entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, Rz. 23; Duplik, Rz. 29/31; Schriftsatz vom 01.03.2022, Rz. 13/15) muss keine Relativverschiebung entlang der Gleitfläche stattfinden. Eine beliebige Bewegbarkeit reicht aus. Merkmal A1 f) gibt lediglich vor, dass die erste Spreizhülse relativ zur zweiten Spreizhülse bewegbar ist. Der Begriff der Bewegbarkeit erfasst dabei gleichermaßen radiale und axiale Bewegungen und beinhaltet keine Beschränkungen. Dies wird aus den verschiedenen Ausführungsbeispielen deutlich. Denn bei den Figuren 1 bis 4 kommt es zu einer Längsverschiebung der beiden Hülsen gegeneinander, bei den Figuren 5 bis 10 dagegen lediglich zu einem Lösen und einer Relativbewegung der an den Hülsen ausgebildeten Spreizzungen (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 6/7). Soweit die Beklagten insoweit auf die Beschreibung in [0007], Z. 16-18, verweisen (Duplik, Rz. 29), führt dies zu keinem abweichenden Ergebnis, weil dort nur eine Möglichkeit der Relativverschiebung (im Vollbaustoff) beschrieben ist.
49
Die relative Bewegung der beiden Spreizhülsen zueinander ist - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, Rz. 23; Schriftsatz vom 01.03.2022, Rz. 13) - nicht auf ein Gleiten im Sinne einer Bewegung mit bestehendem Kontakt beschränkt. Wie dargelegt ist der Begriff des Gleitens funktional so auszulegen, dass die Gleitfläche das Lösen und Bewegen der Spreizhülsen ermöglichen muss. Daher weicht die Auslegung der Kammer auch hier von der Auslegung des Gerichts … ab (Anlage PBP A1a, S. 5).
50
II. Die Beklagten verletzen das Klagepatent unmittelbar gemäß § 9 S. 2 Nr. 1 PatG, weil sie die angegriffene Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland anbieten und vertreiben und die angegriffene Ausführungsform von Anspruch 1 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch macht. Aufgrund abweichender Auslegung (s. o. B.I.) kommt die Kammer zu einem anderen Ergebnis als das Gericht … in dessen Anordnung vom 28.04.2021 (Anlage PBP A1/A1 a).
51
a) Die Parteien streiten über die Benutzung der Merkmale A1 c), A1 d), A1 f) und A1 h). Gegen die Benutzung der übrigen Merkmale wenden sich die Beklagten zu Recht nicht. Denn diese werden nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin von der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht.
52
b) Die angegriffene Ausführungsform macht von Merkmal A1 c) i.V. mit Merkmal A1 g) und Merkmal A1 h) Gebrauch. Der hellgraue Bestandteil der angegriffenen Ausführungsform (von den Beklagten als „erster Dübelkörper“ bezeichnet, vgl. Klageerwiderung, Rz. 49) stellt eine anspruchsgemäße erste Spreizhülse dar.
53
aa) Der erste Dübelkörper ist in dem Bereich zwischen den Kopf- und Kragenabschnitten (von den Beklagten als „Segmente“ bezeichnet, vgl. Klageerwiderung, Rz. 6, 49) unstreitig (vgl. Klageerwiderung, Rz. 53) gemäß Merkmal A1 g) durch das Spreizelement (Schraube) aufspreizbar.
54
bb) Nicht nur die rohrförmigen (nicht aufspreizbaren) Kopf- und Kragenabschnitte an den gegenüberliegenden Enden des ersten Dübelkörpers sind hülsenförmig ausgebildet, sondern der gesamte erste Dübelkörper. Der erste Dübelkörper umhüllt das Spreizelement.
55
Wie dargelegt (s. o. B.I.5.b) aa)), setzt das Vorliegen einer anspruchsgemäßen ersten Spreizhülse nicht voraus, dass diese das Spreizelement im Wesentlichen vollständig umhüllt. Ein teilweises Umhüllen reicht aus. Unstreitig umschließen die Kopf- und Kragenabschnitte des ersten Dübelkörpers das Spreizelement, wenn dieses in den Führungskanal eingeführt wird (vgl. Klageerwiderung, Rz. 56). Daneben verlaufen die beiden stegförmigen Segmente des ersten Dübelkörpers unstreitig auf gegenüberliegenden Seiten in Längsrichtung entlang des axialen Führungskanals, der das Spreizelement aufnimmt (vgl. Klageerwiderung, Rz. 49, 51/52), und umhüllen somit das Spreizelement (teilweise).
56
cc) Der erste Dübelkörper weist auch eine Durchbrechung i.S. vom Merkmal A1 h) auf. Zwischen den beiden stegförmigen Segmenten des ersten Dübelkörpers verlaufen zwei gegenüberliegende Längsschlitze. Hierbei handelt es sich um anspruchsgemäße Durchbrechungen, vgl. [0009]. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten steht dem nicht entgegen, dass „[d]er Zwischenraum zwischen diesen Segmenten (…) größer [sei] als das Volumen der säulenartigen Elemente, wenn man sich den ersten Dübelkörper als geschlossenen Zylinder vorstellt“ (Schriftsatz vom 01.03.2022, Rz. 24), weil Anspruch 1 - wie dargelegt (s. o. B.I.5.b) aa)) - gerade keine Einschränkung des Ausmaßes der Durchbrechung enthält.
57
c) Merkmal A1 d) wird durch die angegriffene Ausführungsform ebenfalls verwirklicht. Der grüne Bestandteil der angegriffenen Ausführungsform (von den Beklagten als „zweiter Dübelkörper“ bezeichnet, vgl. Klageerwiderung, Rz. 50) stellt eine anspruchsgemäße zweite Spreizhülse dar, die die erste Spreizhülse in einem unverspreizten Zustand zumindest teilweise umhüllt.
58
Der zweite Dübelkörper weist - wie der erste Dübelköper (s. o.) - rohrförmige Kopf- und Kragenabschnitte auf sowie zwei sich in Längsrichtung erstreckende, stegförmige Segmente, die sich beim Eindrehen des Spreizelements aufspreizen (vgl. Klageerwiderung, S. 50, 52/53). Es handelt sich folglich um eine anspruchsgemäße Spreizhülse.
59
Der zweite Dübelkörper, d.h. die zweite Spreizhülse, umhüllt auch den ersten Dübelkörper, d.h. die erste Spreizhülse (s. o.), im unverspreizten Zustand zumindest teilweise gemäß Merkmal A1 d). Der zweite Dübelkörper umhüllt den ersten Dübelkörper unstreitig (vgl. Klageerwiderung, Rz. 57) im Bereich der Kopf- und Kragenabschnitte. Ein vollständiges Umhüllen oder ein Umhüllen im Spreizbereich ist - wie dargelegt (s. o. B.I.5.b) bb)) - nicht erforderlich.
60
d) Die angegriffene Ausführungsform macht von Merkmal A1 f) Gebrauch. Im Spreizbereich sind Gleitflächen zwischen dem ersten Spreizhülse und der zweiten Spreizhülse dergestalt ausgebildet, dass sich beim Verspreizen des Spreizdübels die erste Spreizhülse im Spreizbereich von der zweiten Spreizhülse lösen kann und relativ zur zweiten Spreizhülse bewegbar ist.
61
Sämtliche sowohl von der Klägerin (Klage, S. 32; Replik, S. 30/36; Triplik, S. 13) als auch von den Beklagten (Klageerwiderung, S. 19; Duplik, S. 13/21; Schriftsatz vom 01.03.2022, S. 4) vorgelegten Abbildungen und Fotos von Anwendungen bzw. Versuchen mit der angegriffenen Ausführungsform zeigen, dass die Seitenflächen der Segmente des ersten und zweiten Dübelkörpers derart gestaltet sind, dass die Dübelkörper voneinander lösbar und zueinander relativ bewegbar sind. Die Funktion der Gleitfläche(n) ist erfüllt. Auf das Vorhandensein eines Kontakts im unverspreizten Zustand oder im Rahmen des Aufspreizvorgangs kommt es - wie dargelegt (s. o. B.I.5.c)) - für die Verwirklichung von Merkmal A1 f) ebenso wenig an wie auf die Abgrenzung von axialen und radialen Bewegungen.
62
III. Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche im tenorierten Umfang zu.
63
1. Die Beklagten sind jeweils zur Unterlassung der patentverletzenden und rechtswidrigen Benutzungshandlungen verpflichtet, § 139 Abs. 1 S. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform besteht Wiederholungsgefahr mit Blick auf die unstreitig gegebenen, arbeitsteilig ausgeführten Tathandlungen. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen (im tenorierten Umfang) indiziert. Die Beklagten haften als Mittäter.
64
2. Der ausgesprochene Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus § 140 b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
65
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140 b Abs. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140 b Abs. 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
66
Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
67
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren. Wegen der Akzessorietät zum Schadensersatzanspruch, der ein Verschulden voraussetzt, ist die (beantragte) Karenzzeit von einem Monat ab Patenterteilung zu berücksichtigen.
68
3. Die Ansprüche gegen die Beklagten auf Vernichtung der Verletzungsformen und deren Rückruf ergeben sich im Umfang des Tenors aus § 140a Abs. 1 und 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
69
4. Da die Beklagten die Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I. zumindest fahrlässig begangen haben, sind sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, § 139 Abs. 2 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
70
Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform verletzt wird.
71
Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
72
Die Beklagten haften mit Blick auf den insoweit unstreitigen Sachverhalt in der Verletzerkette gesamtschuldnerisch. Verletzungshandlungen außerhalb dieses Sachverhalts wurden beiderseits nicht vorgetragen.
C.
73
Eine Aussetzung mit Blick auf die Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1) vom 07.06.2021 (Anlage PBP A2) nach § 148 ZPO ist nicht veranlasst.
74
I. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug; Cepl in: Cepl/Voß, ZPO, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 106 m.w.N.). Daher ist eine Aussetzung eines Patentverletzungsprozesses nur dann geboten, wenn die Nichtigkeitsklage bzw. der Einspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug; OLG Düsseldorf GRUR 2009, 53 (Ls.) - Brandschutzvorrichtung; GRUR-RR 2007, 259 - Thermocycler, GRUR 1979, 188 - Flachdachabläufe; 1979, 636 - Ventilanbohrvorrichtung; OLG München InstGE 6, 57, Rn. 15 - Kassieranlage; OLG München GRUR 1990, 352, 353 - Regal-Ordnungssysteme). Dies kann regelmäßig nur angenommen werden, wenn neuheitsschädlicher Stand der Technik geltend gemacht wird, der im Prüfungsverfahren bisher noch nicht beurteilt wurde (LG München I InstGE 9, 27 - Antibakterielle Versiegelung).
75
II. Nach diesen Maßstäben ist der Rechtsstreit nicht auszusetzen. Die von den Beklagten geltend gemachten Nichtigkeitsargumente greifen nicht durch.
76
1. Der Gegenstand der Entgegenhaltung D1 (DE 7 145 271 U) steht der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Klagepatents nicht entgegen.
77
a) Die D1 offenbart einen Spreizdübel zum Befestigen von Gegenständen an Mauerwerk aus Leichtbeton, z.B. Gasbeton oder Bimsstein und ähnlichem Mauerwerk (D1, S. 1, Abs. 1). Zur näheren Erläuterung der D1 verweisen die Beklagten unter anderem auf die folgenden Figuren der D1:
78
b) Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch diese Entgegenhaltung nicht offenbart. Es werden nicht sämtliche beanspruchte Merkmale gezeigt.
79
So offenbart die D1 jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig, dass beim Verspreizen des Spreizdübels eine Relativbewegung der ersten Spreizhülse zur zweiten Spreizhülse im Spreizbereich möglich ist (Merkmal A1 f)). Wie in der D1, S. 4, letzten Absatz, erläutert zieht die in die Spreizhülse 20 eingedrehte Schraube die Spreizhülse 20 in Richtung des hinteren Dübelende (d.h. in Figur 1 nach oben), so dass der elastische Dübelmantel 10 im Bereich, der in der Figur 1 oberhalb der Spreizhülse 20 liegt, gestaucht und dabei in diesem Bereich an die Bohrlochwand gepresst wird. Für diese Funktionsweise ist wesentlich, dass die Spreizhülse 20, die als eine erste Spreizhülse im Sinne des Anspruchs 1 angesehen werden kann, so abgestützt ist, dass sie nicht in den Dübelmantel 10 hineingezogen wird, der als eine zweite Spreizhülse im Sinne des Anspruchs 1 angesehen werden kann. Eine relative Bewegbarkeit der Spreizhülsen zueinander i.S. von Merkmal A1 f) würde dieser Funktionsweise gerade widersprechen (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 8/10).
80
2. Auch der Gegenstand der Entgegenhaltung D2 (EP 2 119 920 A2) steht der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 nicht entgegen.
81
a) Die D2 offenbart ebenfalls einen Spreizdübel („expansion anchor“) 1 mit einem rohrförmigen Körper („tubular body“) 2 (D2, [0001] und [0013]). Zur näheren Erläuterung der D2 verweisen die Beklagten unter anderem auf die folgende Figur 1 der D2:
82
b) Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch diese Entgegenhaltung nicht offenbart. Es werden nicht sämtliche beanspruchte Merkmale gezeigt.
83
So offenbart die D2 unter anderem keine Gleitflächen i.S. von Merkmal A1 f).
84
Wie dargelegt (s. o. B.I.5.b)), handelt es sich klagepatentgemäß bei der ersten und zweiten Spreizhülse um zwei separate Körper (vgl. [0006], S. 2, Z. 54-55). Demgegenüber ist eine gedankliche Aufteilung eines einstückig aus einem Kunststoff gespritzten Bestandteils eines Dübels in mehrere Spreizhülsen nicht klagepatentgemäß.
85
Dementsprechend kann im Rahmen der D2 nur der in deren [0015] und [0017] beschriebene verformbare Körper („deformable body“) 6 (weiß) als eine erste Spreizhülse i.S. von Merkmal A1 c) und der starre Einsatz („rigid insert“) 7 (grau) als eine zweite Spreizhülse i.S. von Merkmal A1 d) angesehen werden. Dagegen entspricht es - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, Rz. 76/79) - nicht dem Klagepatent, mittels einer willkürlich durch den verformbaren Körper 6 gezogene Grenze Teile des Körpers als eine erste Spreizhülse und andere Teile des Körpers 6 zusammen mit dem starren Einsatz 7 als eine zweite Spreizhülse zu bezeichnen (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 10).
86
In [0017] und [0019] der D2 ist beschrieben, dass der Einsatz 7 in den Körper 6 so fest integriert bzw. eingebettet ist („firmly integrated“ bzw. „embedded“), dass beide, obwohl sie separate Körper sind, einen einzigen Körper bilden ([0019]: „to form a single body“). Eine Lösbarkeit der ersten Spreizhülse von der zweiten Spreizhülse und eine relative Bewegbarkeit der Spreizhülsen zueinander i.S. von Merkmal A1 f) ist demzufolge gerade nicht offenbart (vgl. Hinweis des BPatG vom 02.03.2022, zu Bl. 260 d.A., S. 11).
87
3. Schließlich übt die Kammer - unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch des qualifizierten Hinweises des BPatG im Nichtigkeitsverfahren vom 02.03.2022 (zu Bl. 260 d.A.) - ihr Ermessen so aus, das Verfahren weder wegen der behaupteten mangelnden Ausführbarkeit in Bezug auf die Ausbildung der Gleitfläche noch wegen der behaupteten neuheitsschädlichen Vorwegnahme der klagepatentgemäßen technischen Lehre durch die Entgegenhaltungen D3 (DE 197 42 022 A1) und D4 (US 5,846,041) noch aufgrund fehlender erfinderischer Tätigkeit aufgrund der Entgegenhaltung der D5 (EP 1 717 459) in Verbindung mit der Entgegenhaltung D6 (US 4,602,902) auszusetzen ist.
88
Insbesondere liegen die Gegenstände der weiteren von den Beklagten vorgebrachten Entgegenhaltungen im Verhältnis zum Gegenstand des Klagepatents nicht näher als die bereits diskutierte Entgegenhaltungen D1 und D2 und vermögen insofern ebenfalls die Patentfähigkeit nicht zu erschüttern.
D.
89
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
90
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.