Inhalt

LG München I, Beschluss v. 20.07.2022 – 7 O 6982/22
Titel:

Neubeginn der Dringlichkeitsfrist nach Urteil des EuGH

Normenketten:
GebrMG § 24 Abs. 1
ZPO § 935, § 940
Leitsätze:
1. Eines erfolgreichen Rechtsbestandsverfahrens als grundsätzliche formelle Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung bedarf es bei einem Gebrauchsmuster jedenfalls dann nicht, wenn es aus einer Patentanmeldung unter Beanspruchung derselben Priorität abgezweigt wurde, diese Patentanmeldung bereits in ein Patent erwachsen oder dessen Erteilung von der Erteilungsbehörde angekündigt ist und soweit die Schutzansprüche des Gebrauchsmusters mit denen des Patents identisch sind. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar mag es berechtigte Zweifel daran geben, ob die im Bereich des OLG München nach dessen ständiger Rechtsprechung geltende einmonatige Dringlichkeitsfrist mit der RL 2004/48/EU in Einklang steht. Jedenfalls derzeit erscheint es aber als vertretbar, weiterhin die dadurch gewährleistete Rechtssicherheit als ausreichende Existenzbegründung für die starre Monatsfrist anzuführen. (Rn. 43 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
3. War die Rechtsverfolgung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach Kenntnis von Antragsgegner und angegriffener Ausführungsform wegen der entgegenstehenden Rechtsprechung des OLG München (GRUR 2020, 385 - Elektrische Anschlussklemme) nicht erfolgversprechend, hat der Antragsteller mit dem Urteil des EuGH vom 28.04.2022 (GRUR 2022, 811 - Phoenix Contact/Harting) erneut die Möglichkeit, innerhalb eines Monats zu prüfen, ob die einstweilige Verfügung erfolgversprechend ist oder nicht. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Einstweilige Verfügung
Fundstellen:
LSK 2022, 39515
GRUR-RR 2023, 211
GRUR 2023, 760
GRUR-RS 2022, 39515

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

A.
1
Die Antragstellerin beantragt den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung wegen behaupteter wortsinngemäßer Verletzung ihres Verfügungsgebrauchsmusters.
2
Sie ist das Mutterunternehmen des Pharma-Konzerns S.. Dieser stellt her und vertreibt Arzneimittel.
3
Die Antragsgegnerinnen gehören zur Unternehmensgruppe E. mit Sitz in Österreich. Sie vertreiben seit Anfang 2022 in Deutschland das Produkt „Bortezomib E. Injektionslösung“ als vorliegend angegriffene Ausführungsform (Anlage PBP 6, PBP 7). Inhaberin der arzneimittelrechtlichen Zulassung ist die Antragsgegnerin zu 1), die Antragsgegnerin zu 2) ist nach nicht bestrittenen Angaben der Antragstellerin „Mitvertreiberin“.
4
Die Antragstellerin ist Inhaberin des am 09.03.2020 eingetragenen Verfügungsgebrauchsmusters …51 U1 (Anlage PBP 2). Dessen Gegenstand betrifft eine gebrauchsfertige Bortezomib-Lösung (Anlage PBP 3). Schutzanspruch 1 lautet:
„Gebrauchsfertige flüssige pharmazeutische Lösung, umfassend
- ein wässriges Lösungsmittel;
- einen Bortezomibester, der in dem Lösungsmittel gelöst enthalten ist, wobei die Bortezomibester-Bildungskomponente Mannitol ist,
wobei die Lösung bei einer Temperatur von 2 bis 8 °c eine Laufzeit von zumindest 3 Monaten aufweist, wobei der Bortezomibgehalt bis zum Ende der Laufzeit 90% des ursprünglich eingesetzten Bortezomibs nicht unterschreitet.“
5
Die Antragstellerin ist darüber hinaus Inhaberin der europäischen Patentanmeldung EP ******1.4 (Anlage PBP 8). Aus diesem wurde das Verfügungsgebrauchsmuster abgezweigt. Gegen die Patentanmeldung hatten Dritte am 03.12.2021 Einwendungen gegen die Patentfähigkeit eingereicht, wobei unter Verweis auf das Produkt „Velcade“ die Neuheit der Erfindung in Abrede gestellt wurde (Anlage PBP 11). Die Einwendungen sind vom EPA berücksichtigt worden (Anlage PBP 10).
6
Am 11.04.2022 hat das EPA gem. Regel 71 (3) AusfO erklärt, auf die Anmeldung EP 16 74 4351.4 ein Patent in der zuletzt eingereichten Fassung (Anlage PBP 9) zu erteilen (Anlage PBP 10).
7
Ebenfalls am 11.04.2022 hat die Antragstellerin zwei mit den hiesigen Antragsgegnerinnen gesellschaftsrechtlich verbundene Unternehmen wegen behaupteter irreführender Werbung bezüglich der angegriffenen Ausführungsform abgemahnt.
8
Am 22.04.2022 hat die Antragstellerin einen Patentanwalt mit der Evaluierung des Rechtsbestands ihrer zur Erteilung anstehenden europäischen Patentanmeldung und des Verfügungsgebrauchsmusters beauftragt (Anlage PBP 16).
9
Am 28.04.2022 ist das Urteil des EuGH in der Sache C-44/21 (GRUR 2022, 811) verkündet worden. Darin wird das Erfordernis eines erfolgreich durchgeführten erstinstanzlichen Rechtsbestandsverfahren für einen auf ein Patentrecht gestützten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungserklärung für europarechtswidrig erklärt.
10
Am 16.05.2022 ist der Antragstellerin die positive Rechtsbestandsevaluation ihres Patentanwalts zugegangen (Anlage PBP 16).
11
Am 20.05.2022 hat die Antragstellerin ihren Rechtsanwalt mit der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Vorgehens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auf Basis des Verfügungsgebrauchsmusters beauftragt (Anlage PBP 20).
12
Das Ergebnis ist der Antragstellerin am 26.05.2022 zugegangen (Anlage PBP 16).
13
Mit Schreiben vom 27.05.2022 hat die Antragstellerin die Schutzansprüche der Verfügungsgebrauchsmusters eingeschränkt, so dass sie mit denen der europäischen Patentanmeldung in der zu erteilenden Fassung übereinstimmen (Anlage PBP 4, vgl. auch Anlage PBP 2).
14
Am 03.06.2022 ist bei der Antragstellerin die finale Entscheidung zur Rechtsverfolgung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes getroffen worden.
15
Am 07.06.2022 hat die Antragstellerin die Antragsgegnerinnen unter Fristsetzung bis zum 15.06.2022 erfolglos abgemahnt (Anlage PBP 17).
16
Am 16.06.2022 hat sie Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht eingereicht.
17
Die Antragstellerin trägt vor, die zeitliche Dringlichkeit sei gegeben, denn sie habe die Verfolgung der Rechtsverletzung zu jeder Zeit mit der erforderlichen Eile betrieben. Die Dringlichkeitsfrist habe vorliegend frühestens in dem Moment zu laufen begonnen, in dem die Antragstellerin nach Verkündung des EuGH-Urteils aufgrund der Rechtsbestandsanalyse sicher davon ausgehen konnte, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Erfolg verspricht. Sie habe am 20.05.2022 durch ihren zuvor im Urlaub befindlichen Rechtsanwalt erstmals Kenntnis von der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs erhalten. Die Rechtsbestandsevaluation sei vorliegend notwendig gewesen, da Gegenstand des Anspruchs ein ungeprüftes Gebrauchsmuster ist. Zur Vermeidung von Prozessrisiken sei es daher geboten gewesen, dessen Rechtsbestand vor dem Aussprechen einer darauf beruhenden Abmahnung eingehend zu prüfen. Der Rechteinhaber müsse sich nicht auf einer ungesicherten Tatsachenlage auf ein Verletzungsverfahren mit unsicherem Ausgang einlassen. Vor der Kenntnis von einem Verletzerprodukt habe noch keine Erforderlichkeit und Zumutbarkeit für eine aufwändige und kostspielige Bestandsanalyse bestanden. Nach Vorliegen der positiven Rechtsbestandsanalyse am 16.05.2022 habe die Antragstellerin alle weiteren erforderlichen (auch internen) Schritte zur Rechtsverfolgung zügig betrieben.
18
Die Ausführungen der Antragsgegnerinnen zum fehlenden Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters sowie einer zu Ungunsten der Antragstellerin ausfallenden Interessenabwägung könnten nicht überzeugen. Der Rechtsbestand sei aufgrund der Mitteilung des EPA sowie der durchgeführten Bestandsevaluation als gesichert anzusehen. Die Einwände der Antragsgegnerinnen zeigten keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung aller Merkmale des Verfügungsgebrauchsmusters auf. Die Antragsgegnerinnen würden unzulässigerweise den Offenbarungsgehalt der A2. AG 4 mit der Offenbarung einer rekonstituierten Bortezomiblösung verbinden und daraus einen einheitlichen Offenbarungsgehalt schaffen. Sofern die Antragsgegnerinnen behaupteten, die A2. AG 4 lege den Erfindungsgegenstand nahe, erläuterten sie bereits nicht, warum die AG 4 als nächstliegender Stand der Technik überhaupt in Betracht komme. Zudem habe der Fachmann selbst ausgehend von der A2. AG 4 keinerlei Veranlassung gehabt, in Richtung auf die streitgegenständliche Erfindung weiterzuarbeiten.
19
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegnerinnen im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel, Ordnungshaft zu vollziehen an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Antragsgegnerinnen, zu unterlassen, gebrauchsfertige flüssige pharmazeutische Lösungen, umfassend ein wässriges Lösungsmittel, einen Bortezomibester, der in dem Lösungsmittel gelöst enthalten ist, wobei die Bortezomibester-Bildungskomponente Mannitol ist, wobei die Lösung bei einer Temperatur von 2 bis 8 °C eine Laufzeit von zumindest 3 Monaten aufweist, wobei der Bortezomibgehalt bis zum Ende der Laufzeit 90% des ursprünglich eingesetzten Bortezomibs nicht unterschreitet, insbesondere die Produkte Bortezomib E. Injektionslösung („angegriffene Ausführungsform“)
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen (unmittelbare Verletzung des …51 U1).
hilfsweise:
es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel, Ordnungshaft zu vollziehen an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Antragsgegnerinnen, zu unterlassen, gebrauchsfertige flüssige pharmazeutische Lösungen, umfassend ein wässriges Lösungsmittel, einen Bortezomibester, der in dem Lösungsmittel gelöst enthalten ist, wobei die Bortezomibester-Bildungskomponente Mannitol ist, wobei die Lösung bei einer Temperatur von 2 bis 8 °C eine Laufzeit von zumindest 6 Monaten aufweist, wobei der Bortezomibgehalt bis zum Ende der Laufzeit 90% des ursprünglich eingesetzten Bortezomibs nicht unterschreitet, insbesondere die Produkte Bortezomib E. Injektionslösung („angegriffene Ausführungsform“)
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen (unmittelbare Verletzung des …51 U1).
20
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
1) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen;
2) der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen;
3) hilfsweise, nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden;
4) weiter hilfsweise, die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung nur gegen Sicherheitsleistung zuzulassen.
21
Die Antragsgegnerinnen tragen vor, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei zurückzuweisen, da es an der Einhaltung der 1-Monatsfrist, einer positiven Bestandsprognose sowie einer Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin fehle.
22
Die Dringlichkeitsfrist habe spätestens ab dem 22.04.2022 zu laufen begonnen, so dass die Beantragung der einstweiligen Verfügung am 16.06.2022 offensichtlich zu spät sei. Selbst nach Zugang der positiven Rechtsbestandsevaluation am 16.05.2022 habe sich die Antragstellerin in Bezug auf die Rechtsverfolgung zögerlich verhalten und weitere 3 Wochen zugewartet, bevor sie den streitgegenständlichen Antrag gestellt habe.
23
Das Verfügungsgebrauchsmuster sei ferner im Hinblick auf die Offenbarung in der A2. AG 4 sowie in der A2. AG 12 (12a) neuheitsschädlich getroffen. Das Produkt Velcade®, das alle Merkmale des geltend gemachten Verfügungsgebrauchsmusteranspruchs aufweise, sei bereits vor dem Prioritätsdatum der europäischen Patentanmeldung und des Verfügungsgebrauchsmusters rekonstituiert worden und somit neuheitsschädlicher Stand der Technik.
24
Ferner sei die streitgegenständliche Erfindung durch die A2. AG 4 nahegelegt.
25
Schließlich habe das EPA es zu Unrecht und entgegen seinen eigenen Prüfungsrichtlinien unterlassen, der Antragstellerin/ Anmelderin den Beweis für die Neuheit des Anmeldegegenstands aufzugeben. Das sei erforderlich gewesen, da die Merkmalsgruppe 2 als „result-to-be-achieved“ anzusehen sei. Da die Ansprüche keine konkreten Merkmale angäben, um die Laufzeit zu erzielen, müsse bei der Prüfung von solchen aufgabenhaft formulierten Ansprüchen gemäß den Prüfungsrichtlinien des EPA der Einwand der Neuheit erhoben werden und der Anmelder aufgefordert werden, Nachweis für die Neuheit in Bezug auf die nicht explizit offenbarten Parameter gegenüber im Stand der Technik implizite Offenbarungen zu erbringen. Das habe das EPA im Erteilungsverfahren jedoch versäumt.
26
Auch die Interessenabwägung falle zu Ungunsten der Antragstellerin aus. Die von der Antragstellerin behaupteten Umsatzeinbußen seien in dieser Höhe nicht zu befürchten und würden bestritten. Im Übrigen drohten sie nicht durch die angegriffene Ausführungsform einzutreten, sondern durch weitere Konkurrenzprodukte in Pulverform.
27
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen.
B.
28
Zwar sind alle übrigen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben (I.), indes fehlt es an der erforderlichen zeitlichen Dringlichkeit (II.), weswegen der Antrag der Antragstellerin vom 16.06.2022 auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung zurückzuweisen ist.
I.
29
1. Aufgrund der Entscheidung des Unionsgerichtshofs vom 28.04.2022 in der Sache C-44/21 (GRUR 2022, 811) bedarf es für den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentsachen (unzweifelhaft) keines erfolgreichen Durchlaufens eines Rechtsbestandsverfahrens als grundsätzliche formelle Erlassvoraussetzung. Für angemeldete europäische Patente gilt vielmehr ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Erteilung eine Vermutung der Gültigkeit (EuGH GRUR 2022, 811 Rn. 41 mwN). Wird indes nicht ein Patent geltend gemacht, sondern ein Gebrauchsmuster, das aus einer Patentanmeldung gem. § 5 GebrMG unter Beanspruchung derselben Priorität abgezweigt wurde, und ist entweder die Patentanmeldung bereits in ein Patent erwachsen oder, wie vorliegend, dessen Erteilung von der Erteilungsbehörde angekündigt, so bedarf das Gebrauchsmuster ebenfalls keines erfolgreichen Rechtsbestandsverfahrens als grundsätzliche formelle Erlassvoraussetzung, um es zum Gegenstand eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu machen, soweit seine Schutzansprüche identisch mit denen des Patents sind, aus dem es abgezweigt worden ist. Wie mit anderen Gebrauchsmustern zu verfahren ist, kann vorliegend offen bleiben.
30
In dem hier zu entscheidenden Fall liegt mit dem Schreiben des EPA vom 11.04.2022 die Ankündigung einer Patenterteilung vor, aus dessen Anmeldegegenstand das Streitgebrauchsmuster unter Beanspruchung derselben Priorität abgezweigt worden ist. Die Schutzansprüche der beiden Schutzrechte stimmen nach der Beschränkung am 27.05.2022 ebenfalls überein. Somit ist das Verfügungsgebrauchsmuster tauglicher Gegenstand eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung. Es kommt daher in den Genuss der zu Gunsten des Ausgangspatents bestehenden Bestandsvermutung.
31
2. Ein Verfügungsanspruch gemäß § 24 Abs. 1 GebrMG liegt vor. Anspruch 1 des Verfügungsgebrauchsmusters lässt sich entsprechend dem Vorschlag der Antragstellerin wie folgt gliedern:
1. Gebrauchsfertige flüssige pharmazeutische Lösung,
1.1. umfassend ein wässriges Lösungsmittel,
1.2. weiter umfassend einen Bortezomibester, der in dem Lösungsmittel gelöst enthalten ist,
1.3. wobei die Bortezomibester-Bildungskomponente Mannitol ist,
1.4. wobei die Lösung bei einer Temperatur von 2 bis 8 °C eine Laufzeit von zumindest 3 Monaten aufweist,
1.5. wobei der Bortezomibgehalt bis zum Ende der Laufzeit 90% des ursprünglich eingesetzten Bortezomibs nicht unterschreitet.
32
Zu Recht ziehen die Antragsgegnerinnen die wortsinngemäße Verwirklichung des Anspruchs durch die angegriffene Ausführungsform „Bortezomib E. Injektionslösung“ (Anlage PBP 6, PBP 7) nicht in Zweifel.
33
3. Das gegen den Rechtsbestand gerichtete Vorbringen der Antragsgegnerinnen vermag nach der Überzeugung der Kammer die jedenfalls aufgrund des Erteilungsbeschlusses des EPAs zu vermutende Rechtsbeständigkeit des Verfügungsgebrauchsmusters nicht zu erschüttern. Die Kammer ist darüber hinaus davon überzeugt, dass die Rechtsbestandsangriffe der Antragsgegnerin gegen das Verfügungsgebrauchsmuster nicht durchgreifen: a)
34
Insbesondere das Merkmal 1.4. wird weder durch die E. AG 4 noch durch das Produkt Velcade© (rekonstituierte Bortezomiblösung) selbst unmittelbar und eindeutig vorweggenommen. Eine über 8 Std. hinausgehende Haltbarkeit (“Laufzeit“) ist nicht in diesem Sinne offenbart.
35
b) Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus unter Bezugnahme auf die PrüfungsRiLi des EPA, Stand März 2022, Teil G, Kap. IV.6 geltend macht, das EPA hätte insoweit einen Verfahrensfehler begangen, wäre dieser - die Richtigkeit unterstellt - für das deutsche Verfügungsgebrauchsmuster unerheblich.
36
Unabhängig davon kann die Kammer aber nicht erkennen, dass ein wesentlicher Verfahrensfehler des EPA vorliegt, der - sollte er überhaupt in einem Bestandsverfahren gerügt werden (können) - die Erteilungsentscheidung ernsthaft in Frage stellte.
37
c) Etwas anderes folgt auch nicht aus der AG 12, da diese lediglich eine Haltbarkeit „von bis zu 42 Tagen bei 4 °C oder bei Raumtemperatur“ unmittelbar und eindeutig offenbart. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass dies auch für längere Zeiträume, insbes. 3 Monate gilt. Dieser Zeitraum ist gar nicht Gegenstand der Untersuchung der AG 12.
38
d) Ein Naheliegen des Erfindungsgegenstandes kann nicht angenommen werden, da bereits nicht erläutert und im Übrigen nicht erkennbar ist, warum der von den Antragsgegnerinnen nicht näher definierte Fachmann die A2. AG 4 als nächstliegenden Stand der Technik identifiziert und davon ausgehend Veranlassung gehabt hätte, in Richtung auf die streitgegenständliche Erfindung weiterzuarbeiten. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der A2. AG 4 nicht um eine wissenschaftliche Veröffentlichung handelt, sondern eine Gebrauchsinformation.
39
4. Auch die Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus:
40
Im Rahmen der Gesamtabwägung ist zugunsten der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass die Verletzung von den Antragsgegnerinnen nicht in Zweifel gezogen ist - und zudem aus Sicht der Kammer klar zu bejahen ist. Ferner spricht für die Antragstellerin, dass der Bestand des Verfügungsgebrauchsmusters deswegen als besonders gesichert erscheint, weil es im Erteilungsverfahren des Stammpatents Eingaben Dritter gab, die vom EPA berücksichtigt, aber für nicht durchgreifend befunden wurden (Zigann, in: Haedicke/Timmann HdBPatR, 2 Aufl. 2020, § 15 Rn. 370). Je größer der Grad an Sicherheit bei der Beurteilung des Verfügungsanspruchs und des Verfügungsgrundes ist, desto eher können die dem Antragsgegner drohenden Nachteile in Kauf genommen werden (Zigann, in: Haedicke/Timmann HdBPatR, 2 Aufl. 2020, § 15 Rn. 373 mVw auf Benkard/Grabinski/Zülch, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 153a.).
41
Etwaige Drittinteressen sind nicht betroffen, da das medizinische Produkt auch in nicht schutzrechtsverletzender Weise mit einem lyophilisierten Pulver den Patienten zur Verfügung steht.
II.
42
Dem Verfügungsantrag fehlt es indes an der erforderlichen zeitlichen Dringlichkeit.
43
1. Im Bereich des OLG München gilt nach dessen ständiger Rechtsprechung eine einmonatige Dringlichkeitsfrist (GRUR-RR 2021, 298 Rn. 49 - Dringlichkeit in Patentsachen). Sie wird in Lauf gesetzt, wenn der Antragsteller Kenntnis von der fraglichen Verletzungshandlung und dem hierfür Verantwortlichen hat und er alle Informationen und Glaubhaftmachungsmittel besitzt, um mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen zu können (OLG München GRUR 2020, 385 Rn. 60 - Elektrische Anschlussklemme). Die erforderlichen Glaubhaftmachungsmittel muss sich der Antragsteller zuvor mit der gebotenen Eile beschaffen (Retzer in Harte/Henning, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 317). Sobald der Patentinhaber das mutmaßlich patentverletzende Erzeugnis in den Händen hat, trifft ihn die Obliegenheit, den betreffenden Gegenstand zügig und umfassend auf das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung zu untersuchen, also die notwendigen Untersuchungen alsbald in die Wege zu leiten, diese zielstrebig zum Abschluss zu bringen und, sofern sich ein positiver Befund ergibt, anschließend ohne übermäßiges Zögern die sich daraus ergebenden Verbietungsansprüche zu verfolgen. Generell darf er dabei einen sicheren Weg gehen und alle Glaubhaftmachungsmittel beschaffen, die bei einem denkbaren Verteidigungsverhalten des Gegners erforderlich werden können (OLG München GRUR-RR 2021, 298 Rn. 49 - Dringlichkeit in Patentsachen mwN).
44
Maßgeblich ist stets, ob der Antragsteller das Seinige getan hat, um sein Schutzrecht zügig durchzusetzen. Dass jede Aufklärungs- und Verfolgungsmaßnahme für sich betrachtet gegebenenfalls auch zügiger hätte absolviert werden können, ist nicht von Belang (OLG München, ebd, mwN).
45
Zwar mag es berechtigte Zweifel daran geben, ob die starre Einhaltung einer Monatsfrist zur Wahrung der zeitlichen Dringlichkeit in Patent- und Gebrauchsmustersachen im Lichte von Art. 3 Abs. 1 S. 2 der RL 2004/48/EU angemessen ist, da es sich bei diesen - möglicherweise im Gegensatz zum Markenrecht und dem UWG - um tatsächlich und rechtlich äußerst komplexe Sachverhalte handelt. Ferner könnte die Monatsfrist im Widerspruch zu der in Erwägungsgrund 8 und 10 der RL 2004/48/EU genannten Zielsetzung stehen, europaweit einheitliche Vorgaben an die Durchsetzung von gewerblichen Schutzrechten zu etablieren. Indes erscheint jedenfalls derzeit als vertretbar, weiterhin die dadurch gewährleistete Rechtssicherheit als ausreichende Existenzbegründung für die starre Monatsfrist anzuführen.
46
2. Im Lichte der vorstehend erläuterten Grundsätze kann vorliegend nicht von der Einhaltung der Dringlichkeitsfrist ausgegangen werden.
47
a) Die Antragstellerin hatte ausweislich der Abmahnung vom 11.04.2022 spätestens zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der angegriffenen Ausführungsform und der Antragsgegnerin (Tat und Täter).
48
Zu diesem Zeitpunkt war die Rechtsverfolgung der angegriffenen Ausführungsform im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im Bereich des OLG München gleichwohl nicht erfolgversprechend, da dem die Rechtsprechung des OLG München in der Sache „Elektrische Anschlussklemme“ (GRUR 2020, 385) entgegenstand.
49
Die vorgenannte Rechtsprechung ist jedoch in vollem Umfang mit dem Urteil des Unionsgerichtshofs vom 28.04.2022 in der Sache C-44/21 (GRUR 2022, 811) für europarechtswidrig erklärt worden. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Antragstellerin die Möglichkeit, innerhalb eines Monats zu prüfen, ob eine einstweilige Verfügung erfolgversprechend ist oder nicht. Der Kammer fällt es insoweit schwer anzunehmen, die Entscheidung des Unionsgerichtshofs sei der mit der Verteidigung von technischen Schutzrechten vertrauten Antragstellerin lange verborgen geblieben, zumal sie ausweislich der Anlage PBP 16 sogar über die Position einer „Vice President Intellectual Property“ verfügt. Zudem wurde die genannte Entscheidung in den einschlägigen Medien und den spezialisierten Kanzleien kommuniziert (eine Analyse der Entscheidung findet sich z. B. auf der Internetseite der Kanzlei der Antragstellerin mit Datum vom 05.05.2022). Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin eine Frist zur Kenntnisnahme von 2 Wochen einräumte (12.05.2022), wäre die Monatsfrist am 12.06.2022 abgelaufen. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Antragstellerin alle für die aus ihrer Sicht erforderlichen Schritte zur Einleitung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens durchführen können und müssen.
50
Die Antragstellerin hat jedoch keine Anstalten unternommen, zu einer zügigen Entscheidung über eine Rechtsverfolgung im einstweiligen Rechtsschutz zu gelangen. Insbesondere hat sie die aus ihrer Sicht erforderlichen Schritte (Rechtsbestandsevaluation durch Patentanwalt, Verletzungsprüfung durch Rechtsanwalt, Einholung interner Zustimmungen) nicht vordringlich betrieben. Anstatt diese nämlich parallel durchzuführen, hat sie die Teilschritte nacheinander vollzogen und erst dann den nächsten Teilschritt in Angriff genommen, nachdem das Ergebnis des vorangegangenen vorlag. Dabei hätte die Antragstellerin ihren Rechtsanwalt parallel mit der Verletzungsprüfung beauftragten können mit der Maßgabe, den positiven Rechtsbestand zu unterstellen. Gleiches gilt für die Einholung der internen Zustimmung. Es erscheint der Kammer nicht ungewöhnlich, wenn in Unternehmen verschiedene Szenarien zur Entscheidung gestellt werden, deren Eintreten im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht feststeht. Die Antragstellerin hätte bereits vor dem Ergebnis der Rechtsbestands- und Rechtsverletzungsanalyse entscheiden können, ob bei positivem Ergebnis der Rechtsweg beschritten werden soll oder nicht. Zwar ist sie dazu keineswegs verpflichtet. Es liegt aber auf der Hand, dass die Aufspaltung der zügigen Rechtsverfolgung in viele, nacheinander geschaltete Schritte bei Überschreiten der 1-Monatsfrist dringlichkeitsschädlich sein kann. Durch die zeitliche Aneinanderreihung vieler Teilschritte hätte es ansonsten der Schutzrechtsinhaber in der Hand, den Beginn der Dringlichkeitsfrist beinahe beliebig hinauszuzögern. Wer jedoch die Rechtsverfolgung anstatt in synchrone in asynchrone Teilschritte aufteilt hat nicht das seinige getan, um sein Schutzrecht zügig durchzusetzen und muss sich bei Überschreiten der 1-Monatsfrist den Vorwurf dringlichkeitsschädlichen Verhaltens gefallen lassen.
51
b) Des Weiteren war die von der Antragstellerin durchgeführte Bestandsevaluation mit Verkündung des Urteils des Unionsgerichtshofs (bzw. mit dessen unterstellter Kenntnis spätestens am 12.05.2022) nicht mehr erforderlich. Das gilt auch für das Verfügungsgebrauchsmuster. Denn unter den Bedingungen, wie sie unter I.1. skizziert sind, kommt ein Verfügungsgebrauchsmuster jedenfalls in den (zusätzlichen) Genuss der durch den Unionsgerichtshof festgestellten Bestandsvermutung des Ausgangspatents. Gerade wegen dieses Gleichlaufs hat die Antragstellerin die Ansprüche des Verfügungsgebrauchsmusters auch an jene ihres zur Erteilung anstehenden Europäischen Patents in beschränkender Weise angepasst.
52
Insoweit beinhaltet die Argumentation der Antragstellerin auch einen Wertungswiderspruch. Denn einerseits beruft sich die Antragstellerin zur Begründung der allgemeinen Zulässigkeit ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Grundlage eines Gebrauchsmusters auf die Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs. Andererseits führt sie aber zur Rechtfertigung ihres zögerlichen Vorgehens ins Feld, dass dennoch eine gesonderte Rechtsbestandsprüfung notwendig gewesen sei. Die Rechtsbestandsanalyse legt sie aber gar nicht vor. Vorgelegt wurde lediglich eine eidesstattliche Versicherung, dass eine Rechtsbestandsanalyse mit (positivem) Ergebnis durchgeführt worden ist (Anlage PBP 21).
53
Unabhängig hiervon ist eine Bestandsevaluation durch einen beauftragten Patentanwalt kein geeignetes Glaubhaftmachungsmittel, welches den Erfolg eines einstweiligen Verfügungsverfahrens als sicher erscheinen lässt. Glaubhaftmachungsmittel können sich nur auf Tatsachen beziehen, nicht jedoch auf Rechtsfragen. Bei der Frage, ob Löschungsgründe vorliegen, handelt es sich aber um eine Rechtsfrage.
54
Die spätestens ab dem 12.05.2022 laufende Monatsfrist zur Einleitung eines einstweiliges Verfügungsverfahren wurde demnach nicht eingehalten, so dass der Antrag zurückzuweisen ist.
C.
55
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
56
Der Streitwert ergibt sich aus den nicht bestrittenen Angaben der Antragstellerin in Verbindung mit § 3 ZPO, § 51 Abs. 1 GKG.