Inhalt

LG München I, Beschluss v. 14.11.2022 – 25 O 12738/22
Titel:

Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Wissenschaftlers

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004
StGB § 185
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Leitsatz:
Zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch die Behauptung, der Betroffene habe keinen naturwissenschaftlichen Hintergrund. (Rn. 19 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Persönlichkeitsrecht
Fundstellen:
LSK 2022, 32257
GRUR-RS 2022, 32257
ZUM-RD 2023, 228

Tenor

1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann - wegen jeder Zuwiderhandlung untersagt,
in Bezug auf den Antragsteller zu äußern und / oder zu verbreiten [Unterstreichungen maßgeblich]
„Der Gründungsdirektor G. … hat keinerlei naturwissenschaftlichen Hintergrund.“
wenn dies geschieht wie nachfolgend dagestellt:
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 6.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung von der Antragsgegnerin die Unterlassung einer ihn betreffenden Äußerung.
2
Der Antragsteller ist Professor an der L.-M.-Universität M. (LMU) und Inhaber des Lehrstuhl … der biologischen Fakultät. Er ist Gründungsdirektor des … Der Antragsteller hat Physik an der O. University studiert, am European Institute in Fl. in Geschichte mit Schwerpunkt auf der Geschichte der Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert promoviert, war Lecturer in „…“ ander St. University und … in „…“ am Tr. C. D.. Er war Gründungsdirektor der …. am Tr. C. D.. Der Antragsteller hat mehrere Bücher und Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht.
3
Die Antragsgegnerin ist Gründerin der Bürgerbewegung ….
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Am 01.10.2022 verteilte die Antragsgegnerin auf dem Veranstaltungsgelände des … in M. einen Flyer der Bürgerbewegung … mit der Aufschrift „…“ Der Flyer enthält auf seiner Rückseite u.a. die Aussage „Der Gründungsdirektor G. … hat keinerlei naturwissenschaftlichen Hintergrund“. Hinsichtlich des Inhalts des Flyers wird auf die Anlage AS 3 Bezug genommen.
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Mit anwaltlichen Schreiben vom 07.10.2022 mahnte der Antragsteller die Antragsgegnerin ab und forderte diese zur Abgabe einer Unterlassungserklärung bis zum 13.10.2022 auf (Anlage AS 7). Die Antragsgegnerin lehnte die Abgabe einer Unterlassungserklärung ab (Anlage AS 8).
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Der Antragsteller ist der Auffassung, ihm stehe wegen der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts ein Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin aus §§ 1004, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, § 185 StGB, Art. 1 Abs. 1. Art. 2 Abs. 1 GG zu. Die Bezeichnung als „G. …“ stelle eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB dar und sei als Schmähkritik einzustufen, da es der Antragsgegnerin nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern um die Diffamierung des Antragstellers gehe. Im Hinblick auf die Aussage, der Antragsteller habe „keinerlei naturwissenschaftlichen Hintergrund“ handle es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung, wobei der Beweis der Wahrheit der Aussage der Antragsgegnerin obliege. Die Antragsgegnerin sei Störerin im Sinne des § 1004 BGB. Eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der angegriffenen Äußerung sei ebenso gegeben wie die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit.
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Die Antragsgegnerin führt aus, die Bezeichnung des Antragstellers als „G. … “ sei weder eine Beleidigung noch eine unzulässige Schmähkritik, sondern zulässige Satire. Die Vermutung des Antragstellers, dass sich die Bezeichnung „G.“ auf seine irische Aussprache oder sein Aussehen beziehe, sei falsch. Vielmehr beziehe sich der Ausdruck „G.“ auf den sog. „G. Effekt“, der durch eine wissenschaftliche Debatte geprägt sei. Im Hinblick auf den fehlenden ..naturwissenschaftlichen Hintergrund“ sei die Aussage nicht wörtlich zu verstehen, sondern als Satire einer in der Öffentlichkeit stehenden Person zu sehen. Der gegenständliche Flyer stelle ein Gesamtkunstwerk und kreativen Protest gegen das Projekt … dar. Die Antragsgegnerin sei keine Störerin, durch das Verteilen der Flyer habe sie sich die angegriffene Äußerung auch nicht zu eigen gemacht.
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Zur Ergänzung wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet.
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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Das Landgericht München ist sachlich und örtlich zuständig.
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2. Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Unterlassung der strengegenständlichen Äußerung aus §§ 823 Abs. 1, 1004 analog BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1. 2 Abs. 1 GG
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a. Die Äußerung „Der Gründungsdirektor G. … hat keinerlei naturwissenschaftlichen Hintergrund.“ beeinträchtigt den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
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b. Bei der streitgegenständlichen Äußerung handelt es sich um eine Meinungsäußerung, der zugleich eine Tatsachenbehauptung zugrunde liegt.
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Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt (BVerfGE 90, 241 [247] = NJW 1994. 1779; BVerfGE 94, 1 [8] = NJW 1996, 1529; BVerfG, NJW 2000, 199 [200]; NJW 2008, 358 [359]). Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (vgl. Senat, NJW 2011, 2204 = AfP 2011, 259 Rn. 10; NJW 2010, 760 = AfP 2010, 72 Rn. 15; BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Rn. 63; BVerfGE 90, 241 [247] = NJW 1994, 1779; BVerfG, NJW 2008, 358 [359]).
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Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte (vgl. Senat, NJW 2002, 1192 = AfP 2002, 169 [170]; NJW-RR 2008, 913 = AfP 2008. 193 Rn. 12, 18; NJW 2009, 3580 = AfP 2009, 588 Rn. 11; BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Rn. 70: BVerfGE 85, 1 [15] = NJW 1992, 1439; BVerfG, NJW 2008, 358 [359]). Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BVerfGE 85, 1 [15 f.] = NJW 1992, 1439 mwN; BVerfG, NJW 1993, 1845 [1846]). (BGH, Urteil vom 16.12.2014 - VI ZR 39/14, Rn. 8, beck-online)
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Die zutreffende Einstufung einer Äußerung als Wertung oder Tatsachenbehauptung setzt die Erfassung ihres Sinns voraus (Senat, NJW 2009, 3580 = AfP 2009, 588 Rn. 11; NJW 2008. 2110 = AfP 2008, 297 Rn. 15; NJW 2005, 279 = AfP 2005, 70 [73]; NJW 2007, 686 = AfP 2007, 46 Rn. 14; BVerfGK 10, 485 [489] = NJW 2007, 2686). Bei der Sinndeutung ist zu beachten, dass die Äußerung stets in dem Zusammenhang zu beurteilen ist, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. Senat, BGHZ 132, 13 [20] = NJW 1996, 1131; NJW 2005, 279 = AfP 2005, 70 [73]; NJW 2014, 3154 = AfP 2014, 449 Rn. 13; BVerfG, NJW 2013, 217 [218]) (BGH, Urteil vom 16.12.2014 - VI ZR 39/14. Rn. 9. beck-online). Maßgeblich für die Deutung ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfGE 93, 266 [295] = NJW 1995, 3303; BGHZ 95, 212 [215] = NJW 1985, 2644; BGHZ 132, 13 [19] = NJW 1996, 1131).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei der angegriffenen Äußerung um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG, da sich in ihr eine Tatsachenbehauptung mit wertenden Elementen vermengt.
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Ein unvoreingenommener und verständiger Rezipient des als Anlage AS 3 vorgelegten Flyers versteht die streitgegenständliche Äußerung zunächst dahingehend, dass der Antragsteller keine naturwissenschaftliche Bildung aufweisen könne und er deshalb als Gründungsdirektor des … sei. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses versteht ein unvoreingenommener und verständiger Leser den Namenszusatz „G.“ in der Folge gerade nicht als Referenz zu einer naturwissenschaftlich geführten Debatte eines „G. Effekts“, sondern als wertende Kategorisierung der Person des Antragstellers im Sinne einer vergleichenden Betrachtung mit dem aus der Literatur-Trilogie „Herr der Ringe“ bekannten Wesen „G.“.
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c. Die angegriffene Äußerung verletzt den Antragsteller - nach Abwägung mit dem Recht der Antragsgegnerin auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG - in dessen allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 GG.
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aa. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht st nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2014 - VI ZR 137 13 -, juris).
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bb. Nach Abwägung aller konkreten Umstände des Einzelfalls verletzt die Äußerung den Antragsteller in dessen allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 Abs. 1,2 Abs 1 GG.
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Im Rahmen der vom Gericht unter Berücksichtigung des Einzelfalls vorzunehmenden Gesamtabwägung war eine Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte, erforderlich. Dabei war auch zu berücksichtigen, auf welchen (auch mittelbaren) Anknüpfungstatsachen die geäußerte Meinung, die wertende und tatsächliche Bestandteile vermengt, gründet. Denn das Recht auf freie Meinungsäußerung wird - obwohl grundsätzlich von hohem Gewicht - nicht vorbehaltlos gewährleistet. Vielmehr ist im Rahmen der vom Gericht vorzunehmenden Gesamtabwägung auch zu berücksichtigen, ob eine Tatsachenbehauptung. auf der eine Wertung aufbaut, unrichtig ist und sie deshalb gegenüber einem kollidierenden Schutzgut gegebenenfalls zurückzutreten hat (BVerfG Beschluß vom 16. 7. 2003 - 1 BvR 1172/99. Beschl, v. 11.11.2021 - 1 BvR 11/20).
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(1) Zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers war im Rahmen der Abwägung deshalb maßgeblich zu berücksichtigen, dass die der Äußerung zugrunde liegende Tatsachenbehauptung, der Antragsteller habe „keinerlei naturwissenschaftlichen Hintergrund“, unwahr ist.
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Zwar war - anders als der Antragsteller meint - im vorliegenden Verfahren nicht von einer Umkehr der Glaubhaftmachungslast mit der Folge, dass die Antragsgegnerin die Wahrheit der vorgenannten Tatsachenbehauptung glaubhaft hätte machen müssen, auszugehen.
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Der Antragsteller hat jedoch glaubhaft gemacht, dass die Behauptung, er habe keinerlei naturwissenschaftlichen Hintergrund, unwahr ist. Die Erbringung eines Vollbeweises war hierfür nicht erforderlich. Angesichts des Eilcharakters des einstweiligen Verfügungsverfahrens hat der Antragsteller Verfügungsanspruch und -grund lediglich glaubhaft zu machen, §§ 935, 920 Abs. 2 i.V.m. 294 ZPO. Dies hat zur Folge, dass an die Stelle des für einen Vollbeweis notwendigen Beweismaßes eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung tritt, die ein den konkreten Umständen angepasstes Maß an Glaubhaftigkeit auch unter Berücksichtigung der Folgen der zu treffenden Entscheidung fordert (Zöller/Greger, 32. Auflage, § 294 Rn. 1, 6). Diesen Anforderungen ist der Antragsteller durch die Vorlage seiner eidesstattlichen Versicherung vom 26.10.2022 (Anlage AS 6) gerecht geworden.
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Der Antragsteller hat eidesstattlich versichert, er habe Physik studiert, in Geschichte mit Schwerpunkt auf der Geschichte der Naturwissenschaften promoviert, sei an diversen Universitäten im naturwissenschaftlichen Bereich tätig gewesen und sei Inhaber des Lehrstuhls … biologischen Fakultät der LMU München. Die Antragsgegnerin ist diesen Angaben nicht entgegen getreten, sondern hat hierzu lediglich ausgeführt, dass der entsprechende Aussageteil nicht wörtlich, sondern im Sinne eines poetisch-künstlerischen Zugangs zur Natur zu verstehen sei. Ihre Angaben hat die Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht. Die Entkräftung der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers ist ihr nicht gelungen.
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(2) Zugunsten des Antragstellers war im Rahmen der Abwägung darüber hinaus zu bewerten, dass es sich bei dem Begriff ..G.“ - anders als die Antragsgegnerin in ihrer außergerichtlichen Stellungnahme vom 14.10.2022 (Anlage AS 8) meint - nicht um ein positiv besetztes Wesen handelt, sondern dieses - angesichts der ihr vom Autor zugeschriebenen optischen und charakterlichen Eigenschaften - überwiegend negativ konnotiert ist. Mangels Sachbezug lässt dies aus der Sicht eines verständigen und unvoreingenommenen Rezipienten auch kein anderes Verständnis als das zu. dass es der Antragsgegnerin nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache. sondern um eine Herabsetzung des Antragstellers als Person ankam.
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(3) Weiterhin war im Rahmen der Abwägung zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Äußerung in der Öffentlichkeit getätigt wurde und angesichts des gewählten Verbreitungsmediums einer unbestimmten Vielzahl von Adressaten zugänglich war.
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(4) Demgegenüber war zugunsten der Äußerung insbesondere zunächst zu berücksichtigen, dass der Verfassungsgeber dem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG, von dem vorliegend auch Gebrauch gemacht wurde, ein erhebliches Gewicht beigemessen hat.
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Darüber hinaus war im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Äußerung und der als Anlage AS 3 vorgelegte Flyer sich jedenfalls teilweise mit einer öffentlich wahrnehmbaren Tätigkeit des Antragstellers, nämlich dem Aufbau und Betrieb des … auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang war auch zu bedenken, dass sich dem Flyer eine Vielzahl von Thesen und Behauptungen entnehmen lassen, wovon die angegriffene Äußerung lediglich einen kleinen Teil darstellt.
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Schließlich war zu berücksichtigen, dass die Intention der Antragsgegnerin jedenfalls nicht ausschließbar die Abgabe eines Beitrags zur öffentlichen Meinungsbildung hinsichtlich eines öffentlich wahrnehmbaren Projekts umfasste.
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(5) Soweit die Antragsgegnerin angibt, dass es sich sowohl bei dem Begriff „G.“ als auch bei dem Inabredestellen eines „naturwissenschaftlichen Hintergrunds“ des Antragstellers um Satire und damit um eine dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG unterfallende Kunstform handle, hat sich das Gericht hiervon nicht überzeugen können.
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Der Satire ist wesenseigen, mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten, um in aggressiver Form Missstände anzuprangern und Widersprüche zwischen Anspruch und Realität aufzudecken (Klass AfP 2016, 477 (478); EGMR AfP 2018, 38 Rn. 33 - Haupt/Österreich). Dies ist vorliegend nicht erkennbar.
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Der streitgegenständlichen Äußerung lässt sich weder die Anprangerung eines Missstands noch das Aufdecken eines Widerspruchs zwischen Anspruch und Realität entnehmen. Vielmehr handelt es sich - wie vorstehend dargestellt - einerseits um eine nicht mehr sachbezogene Herabsetzung der Person des Antragstellers, andererseits um die Verbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung.
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Selbst wenn man - wie nicht - zu der Einschätzung gelangte, dass es sich um eine satirische Behauptung handelte, wäre es für deren rechtlicher Beurteilung auch entscheidend, ob für den Empfänger erkennbar ist, dass es sich bei der in ihr enthaltenen unwahren Tatsachenbehauptung um eine für die Satire typische Verfremdung oder Übertreibung handelt, der Empfänger sie also für seine Meinungsbildung bewertend einordnen kann, oder ob er zu der irrigen Einschätzung kommen kann, die Aussage sei tatsächlich wahr (BGH GRUR 2017, 308 Rn. 14 - Die Anstalt). Auch dies wäre vorliegend jedoch zu verneinen.
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(6) Unter Berücksichtigung dieser Aspekte handelt es sich bei der angegriffenen Äußerung um einen erheblichen und rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers, der das Recht der Antragsgegnerin auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG im Ergebnis überwiegt.
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d. Die Antragsgegnerin ist Störerin im Sinne des § 1004 BGB.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 28.07.2015 - VI ZR 340/14) ist als Störe im Sinne von § 1004 BGB ohne Rücksicht darauf, ob ihn ein Verschulden trifft, jeder anzuseren. der die Störung herbeigeführt hat oder dessen Verhalten eine Beeinträchtigung befürchten lässt. Von der Norm erfasst wird sowohl der unmittelbare Störer, der durch sein Verhalten selbst die Beeinträchtigung adäquat verursacht hat, als auch der mittelbare Störer, der in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Dabei genügt als Mitwirkung in diesem Sinne auch die Unterstützung oder die Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte (vgl Senat, BGHZ 197, 213 = NJW 2013, 2348 Rn. 24; NJW-RR 2009, 1413 = AfP 2009, 494 Rn. 13: BGHZ 203, 239 = NJW 2015, 778 = AfP 2015, 36 Rn. 37; BGH, NJW 2011, 753 = AfP 2011, 156 Rn. 10 ff., jew. m.w.N.).
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Wer die Äußerung eines Dritten verbreitet, muss sich diese als eigene Äußerung zurechnen lassen, wenn es an einer eigenen und ernsthaften Distanzierung fehlt. Ein Zu-Eigen-Machen liegt insbesondere vor. wenn die Äußerung eines Dritten in eigenen Gedankengang so eingefügt wird, dass dadurch die eigenen Aussage unterstrichen werden soll (BVerfG, Beschluss v. 30.09.2003 - 1 BvR 865/00).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
41
Nach den unstreitigen Angaben des Antragstellers hat die Antragsgegnerin im Rahmen des … München am 01.10.2022 die als Anlage AS 3 vorgelegten Flyer, denen rückseitig die beanstandete Äußerung entnommen werden kann, verteilt und an der Hauswand eines Gebäudes angebracht
42
Eine Distanzierung zu den im Flyer enthaltenen Aussagen ist seitens der Antragsgegnerin nicht erfolgt. Diese folgt auch nicht aus den Angaben der Antragsgegnerin im Rahmen des Schriftsatzes vom 11.11.2022. Denn insoweit führt die Antragsgegnerin lediglich an, dass sie - obgleich Gründerin der Bürgerbewegung - nicht für Veröffentlichungen und Aktivitäten der gesamten Bürgerbewegung verantwortlich sei. Eine inhaltliche Distanzierung zu der streitgegenständlichen Aussage kann hierin gerade nicht erblickt werden.
43
e. Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr folgt aus der Erstäußerung der angegriffenen Aussage. Die Antragsgegnerin hat weder vorprozessual noch im gerichtlichen Verfahren eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.
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3. Ein Verfügungsgrund liegt vor. Die Antragsgegnerin hat außergerichtlich mitgeteilt, dem Unterlassungsbegehren des Antragstellers nicht nachkommen zu wollen (Anlage AS 8). Es steht zu befürchten, dass ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers weiter vertieft würde.
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4. Die Entscheidung konnte gemäß § 937 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung ergehen, dass sie dringend war.
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Erforderlich ist hierfür eine gesteigerte Gefährdung der Rechte des Antragstellers dahingehend, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs oder die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung den Zweck der einstweiligen Verfügung gefährden würde (OLG Karlsruhe NJW-RR 1987. 1206 Anders/Gehle/Becker Rn. 5; MüKoZPO/Drescher Rn. 5: Thomas/Putzo/Seiler Rn. 2: Zöller/Vollkommer Rn. 5) (BeckOK ZPO/Mayer. 46. Ed. 1.9.2022, ZPO § 937 Rn. 5). Dies steuerliegend der Fall.
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Angesichts der Weigerung der Antragsgegnerin zur Abgabe einer Unterlassungserklärung dem Fortbestand der Bürgerbewegung … und des Projekts …. sowie der von der Antragsgegnerin geäußerten Auffassung, mangels Urheberschaft einer Aussage nicht als Störerin in Anspruch genommen werden zu können, steht im vorliegenden Verfahren zu befürchten, dass durch die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und dem damit einhergehenden Zeitverlust der Zweck der einstweiligen Verfügung vereitelt würde.
48
Der Antragsgegnerin wurde mit Verfügung vom 27.10.2022 rechtliches Gehör gewährt.
III.
49
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
50
Die Streitwertfestsetzung ist entsprechend dem Unterlassungsinteresse des Antragstellers erfolgt. § 3 Abs. 1 ZPO.