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AG München, Endurteil v. 29.07.2022 – 142 C 488/22
Titel:

Öffentliche Wiedergabe in Patientenzimmern eines Krankenhauses

Normenketten:
UrhG § 22
UrhG § 97
Leitsätze:
1. Die öffentliche Wiedergabe einer Funksendung i.S.d. § 22 UrhG setzt voraus, dass eine tatsächliche Wahrnehmbarmachung des Werkes erfolgt ist, auch wenn eine Weitersendung i.S.d. § 20b UrhG vorliegt.
2. Die Darlegungs- und Beweislast für eine solche Wiedergabehandlung trifft den Anspruchsteller. Darlegungs- und Beweiserleichterungen für das Vorliegen von Wiedergabehandlungen in Patientenzimmern eines Krankenhauses kommen grundsätzlich nicht in Betracht.
Schlagworte:
öffentliche Wiedergabe, Öffentliche Wiedergabe
Fundstellen:
LSK 2022, 21850
GRUR-RS 2022, 21850
ZUM-RD 2022, 723

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.130,52 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin verlangt Lizenzschadensersatz aus abgetretenem Recht der Fa. M. GmbH (im Folgenden: M.) für die öffentliche Wiedergabe von audiovisuellen Inhalten im Jahr 2021.
2
Die M. beansprucht für sich die Rechteinhaberschaft für die Wiedergabe von Funksendungen und der öffentlicher Zugänglichmachung i.S.d. § 22 UrhG für das Repertoire mehrerer hundert Filmstudios, u.a. der „S. AG“, „N. GmbH und „S.P. GmbH“. Sie ist als unabhängige Verwertungseinrichtung i.S.d. § 4 VGG in der entsprechenden Liste des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) eingetragen.
3
Die Beklagte betreibt in Mü. unter der Bezeichnung I. ein Krankenhaus mit mindestens 188 Betten. In den Patientenzimmern sind Fernsehgeräte aufgestellt, so dass jeder Patient Zugang zu einem von der Beklagten bereitgestellten Fernseher hat. Darüber bietet die Beklagte das lineare Fernsehprogramm an. Dieses wird über die zentrale Kabelempfangsanlage der Beklagten wiedergegeben, von der die Programmsignale an die jeweiligen Fernsehgeräte weitergesendet werden. Die Fernsehgeräte verfügen über keine eigenen Empfänger.
4
Im Jahr 2021 bestand die Möglichkeit, über die von der Beklagten in den Patientenzimmern zur Verfügung gestellten Fernsehgeräte zahlreiche TV-Filme, deren Rechte zur öffentlichen Zugänglichmachung die M. für sich reklamiert, zu rezipieren, etwa die Serien „Biene Maja“ und „Wickie und die starken Männer“ (Lizenzgeber: S. AG) und die Filme „Toni Erdmann“ (Lizenzgeber: N. GmbH), „The Da Vinci Code - Sakrileg“ oder „Hotel Transsilvanien“ (Lizenzgeber: S.P. GmbH). Eine Zustimmung zur Wiedergabe über die Geräte in der Klinik der Beklagten hatte weder die Klägerin noch die M. erteilt.
5
Die Klägerin behauptet, die Fa. M. sei Inhaberin des Rechts zur öffentlichen Wiedergabe von audiovisuellen Inhalten mehrerer hundert Filmstudios (s. i.E. Studioliste Anlage K 1), u.a. auch der oben genannten Studios. Die Fa. M. habe dieses Recht an die Klägerin abgetreten mit der Befugnis der Geltendmachung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung.
6
Die Klägerin ist der Auffassung, durch die Ermöglichung des Zugangs über die in den Patientenzimmern zur Verfügung gestellten Fernsehgeräte sei eine öffentliche Wiedergabehandlung der Beklagten i.S.d. § 22 UrhG anzunehmen. Auf eine tatsächliche Betrachtung einer Fernsehsendung durch eine Vielzahl von Personen komme es nicht an. Die potentielle Möglichkeit einer Werksrezeption reiche aus. Im Übrigen treffe die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast, dass keines der Werke, für die sie die Rechteinhaberschaft beansprucht, wiedergegeben worden sei bzw. es sei eine Beweislastumkehr anzunehmen.
7
Die Klägerin meint, für die unberechtigte Wiedergabe in der Klinik der Beklagten sei ein Lizenzschadensersatz nach der Tarifübersicht der Fa. M. in Höhe von 5,62 € netto pro Patientenbett jährlich zu leisten.
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Sie beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.130,52 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.11.2021 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Sie beruft sich insbesondere darauf, lediglich eine „Kabelweitersendung“ i.S.d. §§ 20, 20b UrhG zu betreiben. Die für die interne Weiterleitung notwendigen Rechte habe sie bei der GEMA lizenziert. Eine darüber hinausgehende eigenständige Wiedergabehandlung scheide schon deshalb aus, da keine neue Öffentlichkeit erreicht werde. Das Zurverfügungstellen der Fernsehgeräte sei als Teil der Weiterleitung der zentral empfangenen Fernsehsignale von dieser insoweit mit erfasst.
11
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, Protokolle und sonstige Unterlagen des Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
12
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Ob die Klägerin überhaupt aktivlegitimiert ist, konnte offen bleiben, da der geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG mangels rechtswidriger Verletzungshandlung der Beklagten ausscheidet. Ebenso wenig kommen sonstige Anspruchsgrundlagen in Betracht.
13
1. Der Klägerin ist es nicht gelungen in ausreichender Weise darzulegen, dass die Beklagte in das durch sie in Anspruch genommene Recht der öffentlichen Wahrnehmbarmachung von Funksendungen i.S.d. § 22 S. 1 UrhG eingegriffen hat. Die Klägerin trägt nicht vor, ob und ggf. wann welche Werke, für die sie Schutz beansprucht, wiedergegeben wurden.
14
a. § 22 UrhG setzt voraus, dass das gesendete Werk der Öffentlichkeit wahrnehmbar gemacht, d.h. unmittelbar für die menschlichen Sinne wiedergegeben wird. Aus diesem Grund muss der Empfängerkreis auch bei § 22 UrhG - anders als bei § 20 UrhG, bei dem die Empfangbarkeit durch an unterschiedlichen Orten befindliche Empfänger ausreicht - an einem Ort versammelt sein. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss die Handlung der Wahrnehmbarmachung demjenigen zuzurechnen sein, der die Handlung einer öffentlichen Wiedergabe vornimmt (Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 22 Rn. 8).
15
b. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine derartige Wiedergabehandlung jedoch nicht von Vornherein schon deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte das - von der Klägerin nicht in Anspruch genommene - Recht der Weitersendung nach §§ 20, 20b UrhG (rechtmäßig) ausübt. Es entspricht vielmehr der ständigen Rechtsprechung des BGH und des EuGH, dass gerade in Folge der Ausübung des Weitersenderechts jedenfalls bei Hinzutreten bestimmter weiterer Voraussetzungen auch eine weitere Handlung der Wiedergabe anzunehmen sein kann (vgl. etwa die zusammenfassenden Darstellungen in BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 - I ZR 21/14 -, „Königshof“ Rn. 26, juris, m.w.N.).
16
c. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verlangt der Begriff der „öffentliche Wiedergabe“ jedoch zwei kumulative Tatbestandsmerkmale, nämlich eine „Handlung der Wiedergabe“ eines Werks und seine „öffentliche“ Wiedergabe (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 31. Mai 2016 - C-117/15 -, Rn. 37, juris m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es für das Vorliegen einer Wiedergabehandlung deshalb gerade nicht ausreichend, dass die Beklagte lediglich „die potentielle Möglichkeit des Zugangs“ über von ihr zur Verfügung gestellte Geräte ermöglicht. Es ist einhellige Rechtsprechung des BGH und EuGH, dass eine Wiedergabehandlung nur dann vorliegt, wenn die geschützten Werke tatsächlich öffentlich wiedergegeben werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 14. Juni 2017 - C-610/15 -, Rn. 40, juris, m.w.N.; BGH a.a.O Rn. 11, juris). Erforderlich ist demnach, dass mindestens eines der Filmwerke, deren Rechte die Klägerin bzw. die M. für sich in Anspruch nimmt, im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich auf einem Fernsehgerät in den Zimmern der Beklagten gezeigt wurde. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin vorgelegten Entscheidung des LG München I vom 16.08.2021 (Az. 42 O 10057/20). Zwar führt das Gericht dort unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH und des EuGH aus, dass es für eine öffentliche Wiedergabe ausreiche, dass ein Zugang zum geschützten Werk geschaffen wird, ohne dass es darauf ankäme, dass dieser auch genutzt werde. Diese Ausführungen beziehen sich jedoch ausschließlich auf die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Wiedergabe vorliegt, was sich aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidung und der Bezugnahme auf die bereits zitierte Rechtsprechung des BGH und EuGH ergibt. In dem bloßen Bereitstellen von Fernseh- und Radiogeräten liegt keine Wiedergabehandlung (BGH, Urteil vom 18. Juni 2020 - I ZR 171/19 -, Rn. 20, juris), insbesondere keine solche nach § 22 UrhG. Soweit der BGH a.a.O. weiter ausführt, dass eine Handlung der Wiedergabe dann vorliegen kann, wenn zur Bereitstellung der Empfangsgeräte eine Verbreitungshandlung, etwa eine Weiterleitung von Rundfunksendungen über eine Verteileranlage an die Endgeräte hinzu kommt, bezieht sich dies ebenfalls auf eine tatsächlich vorliegende Wiedergabehandlung, nämlich die Weitersendung i.S.d. § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG, auf die die Klägerin sich im Rahmen des § 22 UrhG jedoch nicht berufen kann und auch nicht beruft.
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2. Entgegen der Ansicht der Klägerin kommen ihr in Bezug auf das Vorliegen einer Wiedergabehandlung auch keine Darlegungs- oder Beweiserleichterungen zugute.
18
a. Die Klägerin trägt nach allgemeinen Grundsätzen als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs erfüllt sind. Danach ist es grundsätzlich ihre Sache, darzulegen und nachzuweisen, dass die Beklagte in eines ihrer durch das Urheberrechtsgesetz geschützten Rechte eingegriffen hat (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 - I ZR 140/10 -, Rn. 21, juris; Urteil vom 15. November 2012 - I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 Rn. 32 = WRP 2013, 799 - Morpheus; BGH, Urteil vom 8. Januar 2014 - I ZR 169/12 -, BGHZ 200, 76-86, Rn. 14). Sie hat demnach darzulegen, welche konkrete(n) Wiedergabehandlung(en) der Beklagten zuzurechnen sind. Dem ist sie nicht nachgekommen.
19
b. Die Klägerin kann sich auch entgegen ihrer Ansicht insoweit nicht auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zurückziehen. Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft zwar in der Regel dann eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 - I ZR 140/10 -, Rn. 23, juris). Insofern ist der Klägerin zuzugestehen, dass sie keinen Einblick hat, ob und wann welche Fernsehprogramme in den Patientenzimmern der Beklagten abgespielt wurden. Auch dürfte es - im Gegensatz zur Wiedergabe in Hotelzimmern - schwieriger sein, im Rahmen von Eigenrecherchen konkrete Rechtsverletzungen festzustellen. Voraussetzung für das Eingreifen einer sekundären Darlegungslast ist jedoch ebenfalls, dass auch dem Prozessgegner nähere Angaben zu diesen Umständen ohne weiteres möglich und zumutbar sind. Begegnet im Einzelfall die nicht beweispflichtige Partei im Hinblick auf eine ihr obliegende Substanziierungslast ebenfalls Schwierigkeiten, weil sie die entsprechenden Tatsachen nicht kennt und auch nicht in Erfahrung zu bringen vermag, kann von ihr eine solche Substanziierung nicht gefordert werden (BGH NJW-RR 2017, 1520 Rn. 23, beck-online). So liegt der Fall hier: Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, wie es der Beklagten möglich sein sollte Auskunft darüber zu erteilen, ob und wann welcher ihrer Patienten über die zur Verfügung gestellten Fernsehgeräte über welches Programm rezipiert hat. Die Beklagte müsste nachträglich bei einer Anzahl von vermutlich mehreren tausend Patienten, welche im Jahr 2021 bei ihr in Behandlung waren, nachfragen, ob diese eines der ebenfalls mehreren Tausend Werke aus dem Pool der Klägerin eingeschaltet hatten. Dass dies weder möglich noch zumutbar ist, dürfte auf der Hand liegen. Nachdem die Klägerin bereits ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist, kommt es auch auf die von ihr thematisierte Frage der „Beweislastumkehr“ nicht an.
20
c. Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine „Beweiserleichterung“ im Sinne einer tatsächlichen Vermutung stützen, dass aufgrund der „immensen Menge“ von Ausstrahlungsterminen der von ihr wahrgenommenen zahlreichen Titeln eine Wiedergabe erfolgt ist. Zwar geht die Rechtsprechung im Rahmen der sog. „GEMA-Vermutung“ davon aus, dass nach der Lebenserfahrung bei der Wiedergabe von moderner Tanz- und Unterhaltungsmusik zugunsten einer Verwertungsgesellschaft auch Titel, die in das Repertoire der Gesellschaft fallen, enthalten sind. Dies fußt jedoch auf der Annahme, dass der GEMA als einziger deutscher Verwertungsgesellschaft für musikalische Urheberrechte ein fast lückenloses Repertoire an in- und ausländischer Tanz- und Unterhaltungsmusik zusteht (so schon BGH, Urteil vom 7. Oktober 1960 - I ZR 17/59 -, Rn. 19, juris). Dass die Klägerin ein derartiges „fast lückenloses“ Repertoire wahrnimmt, trägt sie selbst nicht vor. Selbst wenn man davon ausgeht, dass - wie zuletzt erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen - ihre Werke in mehreren tausend Sendeterminen im Jahr 2021 hätten wiedergegeben werden können, bleibt es dennoch letztlich völlig offen, ob eine solche Wiedergabe in den Patientenzimmern tatsächlich erfolgt ist.
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3. Es trifft auch nicht zu, dass die Klägerin aufgrund der Festhaltung an diesen Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen schutzlos gestellt ist. Ihr verbleibt es, die - wenn auch aufwändige - Dokumentation konkreter Rechtsverletzungen zu betreiben und im Anschluss einzelne Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Im Übrigen können Unterlassungsansprüche ggf. auch vorbeugend ohne vorangegangene Rechtsverletzung aufgrund Erstbegehungsgefahr durchgesetzt werden, was in der vorliegenden Konstellation zumindest nicht von Vornherein ausgeschlossen erscheint.
22
4. Nachdem die Klage hinsichtlich der Hauptforderung keinen Erfolg hatte, konnten auch die Zinsen nicht zugesprochen werden.
II.
23
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708, 711 ZPO.
24
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 3 ZPO, 63 Abs. 2 S. 1 GKG.