Titel:
Musterdichte und Gestaltungsspielraum bei farbigen Weihnachtssternen
Normenketten:
GGV Art. 10 Abs. 2, Art. 19 Abs. 1,Art. 85 Abs. 1, Art. 89 Abs. 1, Art. 91 Abs. 1
DesignG § 42 Abs. 2, § 46, § 62a Nr. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Bei einer hohen Musterdichte besteht zwar ein geringer Gestaltungsspielraum, aber wegen der stark ausgeprägten Übereinstimmungen der Weihnachtssterne in Strahlenanzahl, Zackenanordnung und Aufhängung sowie im Aufbau in drei Ebenen liegt eine Verletzung vor. (Rn. 26 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Farbe ist bei Weihnachtsdekoration – anders als etwa bei Bekleidungsstücken – kein entscheidendes Gestaltungsmittel - insbesondere die Farbe rot wird mit Weihnachten in Verbindung gebracht. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Den inländischen Importeur von Waren trifft eine Obliegenheit zur Überwachung der Schutzrechtslage. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Händler darf ein Erzeugnis jedenfalls solange nicht in den Verkehr bringen, wie er nicht begründetermaßen annehmen darf, dass die notwendige Prüfung auf die Verletzung von Rechten Dritter zumindest einmal durchgeführt worden ist (Anschluss an BGHZ 166, 203 = GRUR 2006, 575 - Melanie). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die von der Verletzerin geschaltete Werbung ist ein für die Bemessung der Höhe eines Schadensersatzanspruches nach der Lizenzanalogie relevanter Faktor (Anschluss an BGH GRUR 2006, 143, 146 - Catwalk). (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Geschmacksmusterverletzung, Unterlassungsanspruch, Schadensersatzberechnung, Verletzergewinn, Gesamteindruck, Musterdichte, Auskunftsanspruch
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 12.07.2022 – 3 U 3875/21
OLG Nürnberg, Berichtigungsbeschluss vom 29.07.2022 – 3 U 3875/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 16.08.2024 – I ZR 122/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 66836
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, Weihnachtssterne bzw. zu einer Lichterkette verbundene Weihnachtssterne im geschäftlichen Verkehr in Deutschland anzubieten, zu bewerben, einzuführen oder auszuführen oder sonst wie in den Verkehr zu bringen und/oder diese Handlungen durch Dritte ausführen zu lassen, nämlich so wie nachfolgend abgebildet:
sofern die Sterne insbesondere folgende Merkmale aufweisen:
- der Stern weist 18 Strahlen (Zacken) auf,
- davon sechs Strahlen, deren Grundfläche durch vier gleichlange Seiten, nämlich ein Quadrat:
bzw. zwölf Strahlen, deren Grundfläche durch drei Seiten, nämlich ein gleichschenkliges Dreieck:
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 57.265,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.04.2021 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Umfang der für die vorstehend unter Ziffer 1. bezeichneten Weihnachtssterne und Lichterketten betriebenen Werbung Auskunft zu erteilen, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und -gebiet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die sich gemäß Ziffer 1. in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse auf eigene Kosten an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben. Die Kosten der Vernichtung trägt die Beklagte.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 23% und die Beklagte 77% zu tragen.
7.Das Urteil ist für die Klagepartei in Ziff. 1 gegen Sicherheitsleistung von 110.000,00 €, in Ziff. 3 gegen Sicherheitsleistung von 11.000,00 € und in Ziff. 4 gegen Sicherheitsleistung von 30.000,00 € vorläufig vollstreckbar. Im Übrigen ist das Urteil für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über eine Geschmacksmusterverletzung.
2
Die Klägerin, ein Großhandelsunternehmen, ist Inhaberin der eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster 004031201-0001, -0002 und -0004. Hierbei handelt es sich um einen zu Dekorationszwecken gestalteten Stern. Auf die Anlage K1 sowie den vorgelegten Stern der Klagepartei (Anlage K3) wird Bezug genommen. Am 09.09.2020 wurde gegen das Geschmacksmuster mit den Endziffern 0004 beim EUIPO ein Nichtigkeitsantrag eingereicht, am 15.07.2021 gegen die beiden anderen Geschmacksmuster. Die Beklagte vertrieb in den Jahren 2018 und 2019 Weihnachtssterne sowie Lichterketten mit Weihnachtssternen wie auf S. 9 f. der Klageschrift (Bl. 9 f. d. A.) und dem vorgelegten Stern der Beklagten (Anlage K4) ersichtlich. Hiermit erzielte sie in diesen Jahren einen Rohgewinn von insgesamt 159.070,68 €.
3
Die Klägerin behauptet, der Stern der Beklagten sei identisch mit ihrem Stern, wodurch das Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit den Endziffern 0004, hilfsweise mit den Endziffern 0002, hilfsweise mit den Endziffern 0001, verletzt werde. Die Klägerin trägt vor, der von der Beklagten durch den Vertrieb der streitgegenständlichen Sterne erzielte Gewinn beruhe zu 80% auf der Verletzung des Klagemusters. Bei Berücksichtigung eines pauschalen Abschlags für abzugsfähige Kosten der Beklagten von 10%, sei an die Klägerin deshalb ein Verletzergewinn von 114.530,94 € zu zahlen.
4
Die Klägerin beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, Weihnachtssterne bzw. zu einer Lichterkette verbundene Weihnachtssterne im geschäftlichen Verkehr in Deutschland anzubieten, zu bewerben, einzuführen oder auszuführen oder sonst wie in den Verkehr zu bringen und/oder diese Handlungen durch Dritte ausführen zu lassen, nämlich so wie nachfolgend abgebildet:
sofern die Sterne insbesondere folgende Merkmale aufweisen:
- der Stern weist 18 Strahlen (Zacken) auf,
- davon sechs Strahlen, deren Grundfläche durch vier gleichlange Seiten, nämlich ein Quadrat:
bzw. zwölf Strahlen, deren Grundfläche durch drei Seiten, nämlich ein gleichschenkliges Dreieck:
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 114.530,94 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Umfang der für die vorstehend unter Ziffer I. bezeichneten Weihnachtssterne und Lichterketten betriebenen Werbung Auskunft zu erteilen, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und -gebiet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die sich gemäß Ziffer I. in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse auf eigene Kosten an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben. Die Kosten der Vernichtung trägt die Beklagte.
5
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
6
Die Beklagte behauptet, der vorbekannte Formenschatz weise eine geringe Musterdichte auf. Der Gestaltungsspielraum des Entwerfers sei deshalb nicht eingeschränkt gewesen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Verfahren wegen der beim EUIPO gestellten Nichtigkeitsanträge gem. Art. 91 Abs. 1 GGV auszusetzen sei. Den Klagemustern fehle es an Neuheit, mindestens aber an Eigenart.
7
Auf das Sitzungsprotokoll vom 15.07.2021 (Bl. 178 ff. d.A.) wird verwiesen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
8
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
10
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Nürnberg-Fürth als Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht iSv Art. 80 f. GGV örtlich und sachlich zuständig.
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Die Klage ist teilweise begründet. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch, es zu unterlassen, das streitgegenständliche Geschmacksmuster zu verletzen (I.), sowie Ansprüche auf Schadensersatz in Höhe von 57.265,44 € (II.), Auskunft über die beklagtenseits mit dem Geschmacksmuster betriebene Werbung (III.) sowie Herausgabe der unter Verletzung des Geschmacksmusters gewonnenen Erzeugnisse zum Zwecke der Vernichtung (IV).
12
I. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch aus Artt. 19 Abs. 1, 89 Abs. 1 lit. a) GGV, weil diese das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster 004031201-0004 verletzt hat. Auf die hilfsweise geltend gemachten Verletzungen der Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit den Endziffern 0001 und 0002 kam es daher nicht mehr an.
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1. Die Klägerin ist als Inhaberin des eingetragenen Geschmacksmusters aktivlegitimiert, Art. 17 GGV.
14
2. Die Rechtsgültigkeit des eingetragenen Geschmacksmusters wird gem. Art. 85 Abs. 1 GGV vermutet. Eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit wurde nicht erhoben.
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3. Mit dem Vertrieb der streitgegenständlichen Weihnachtssterne hat die Beklagte das Geschmacksmuster der Klägerin verletzt.
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a) Der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstreckt sich nach Art. 10 Abs. 1 GGV auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Die Prüfung, ob ein Modell in den Schutzbereich eines Geschmacksmusters eingreift, erfordert, dass der Schutzumfang des Geschmacksmusters bestimmt (b) sowie sein Gesamteindruck und derjenige des angegriffenen Modells ermittelt und verglichen werden (c) (vgl. BGH, GRUR 2018, 832, 834 Rn. 19 – Ballerinaschuh).
17
b) Die Kammer geht wegen des vorbekannten Formenschatzes von einer hoher Musterdichte und einem geringen Schutzumfang des Klagemusters aus.
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aa) Bei der Beurteilung des Schutzumfangs des Klagemusters ist nach Art. 10 Abs. 2 GGV der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen. Der Schutzumfang des Klagemusters wird auch durch seinen Abstand zum vorbekannten Formenschatz bestimmt. Dieser Abstand ist durch einen Vergleich des Gesamteindrucks des Klagemusters und der vorbekannten Formgestaltungen zu ermitteln (BGH, GRUR 2016, 803 Rn. 31 = WRP 2016, 1135 – Armbanduhr). Je größer der Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz ist, desto größer ist der Schutzumfang des Klagemusters zu bemessen (BGH, GRUR 2013, 285 Rn. 32 = WRP 2013, 341 – Kinderwagen II). Der anerkannte Grundsatz, dass der Schutzumfang eines Geschmacksmusters von dessen Abstand zum vorbekannten Formenschatz abhängt, gilt auch für die Bestimmung des Schutzumfangs eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 10 Abs. 2 GGV (vgl. BGH, GRUR 2011, 1117 Rn. 35 – ICE; GRUR 2013, 285 Rn. 32 – Kinderwagen II; vgl. auch EuG, GRUR-RR 2010, 189 Rn. 72 = GRUR 2010, 421 Ls. – PepsiCo/Grupo Promer). Für die Frage, welchen Abstand das Klagemuster zum vorbekannten Formenschatz einhält, kommt es nicht auf einen Vergleich einzelner Merkmale des Klagemusters mit einzelnen Merkmalen vorbekannter Muster an. Maßgeblich ist vielmehr der jeweilige Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Muster, der darüber entscheidet, wie groß die Ähnlichkeit des Klagemusters mit dem vorbekannten Formenschatz ist (vgl. BGH, GRUR 2011, 142 Rn. 17 = WRP 2011, 100 – Untersetzer; GRUR 2012, 512 Rn. 26 = WRP 2012, 558 – Kinderwagen I). Das schließt allerdings nicht aus, dass zunächst die Merkmale bezeichnet werden, die den Gesamteindruck der in Rede stehenden Muster bestimmen, um den Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz zu ermitteln (BGH, GRUR 2013, 285 Rn. 34 – Kinderwagen II; vgl. zum Ganzen BGH, GRUR 2018, 832, 834 Rn. 21 – Ballerinaschuh).
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Der informierte Betrachter ist eine Person, welche – ohne selbst Entwerfer oder Sachverständiger zu sein – die relevanten Produkte als Benutzer wahrnimmt und sie aufgrund seines Interesses mit verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit benutzt. Er ist mit dem jeweiligen Warengebiet vertraut. Die Kenntnisse beschränken sich aber auf die Erfahrungen, welche sich aus der Benutzung des Produkts bzw. der Kenntnis anderer Produkte in diesem Warenbereich ergeben. Er nimmt – soweit möglich – einen direkten Vergleich zwischen den Gestaltungen vor (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, 6. Aufl. 2019 Rn. 17, VO (EG) 6/2002 Art. 6 Rn. 17 m.w.N.).
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Die Beurteilung des abweichenden Gesamteindrucks basiert darauf, dass für das angemeldete Geschmacksmuster und das jeweilige vorbekannte Muster der Gesamteindruck ermittelt werden muss. Dies erfolgt auf Grundlage der jeweils offenbarten Erscheinungsformen (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, VO (EG) 6/2002 Art. 6 Rn. 6). Die Eigenart eines Geschmacksmusters ergibt sich aus einem unterschiedlichen Gesamteindruck oder dem Fehlen eines „Déjà vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers im Vergleich zum bestehenden Formenschatz und unter Berücksichtigung des Grades der Gestaltungsfreiheit. Dabei sind die Unterschiede zu berücksichtigen, die hinreichend ausgeprägt sind, um den Gesamteindruck zu beeinflussen und die Unterschiede außer Betracht zu lassen, die sich nicht auf den Gesamteindruck auswirken. Diese Beurteilung ist anhand des Gesamteindrucks vorzunehmen, den die geltend gemachten älteren Geschmacksmuster für sich genommen hervorrufen. Vorzunehmen ist daher ein direkter Vergleich zwischen dem Gesamteindruck des angegriffenen Geschmacksmusters und dem jeweiligen Gesamteindruck der geltend gemachten älteren Muster (vgl. EUIPO Entscheidung v. 11.1.2018 – R 1203/2016-3, BeckRS 2018, 43847 Rn. 20 f. beck-online). Die dem Geschmacksmuster entsprechenden tatsächlich vertriebenen Erzeugnisse können zur Veranschaulichung verwendet werden, um die anhand der Beschreibung und der Darstellung in der Anmeldung bereits getroffenen Schlussfolgerungen zu bestätigen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 – I ZR 187/16 –, Rn. 33, juris).
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Entscheidendes Kriterium dafür, ob der Abstand zur Begründung der Eigenart ausreicht, ist die Gestaltungsfreiheit. Der Grad der Gestaltungsfreiheit wird zunächst dadurch beeinflusst, welche Gestaltungsmöglichkeiten der Verwendungszweck des in Rede stehenden Erzeugnisses eröffnet. Erlegt der Verwendungszweck dem Gestalter wenig Grenzen auf, führt dies grundsätzlich zu einer großen Gestaltungsfreiheit und damit eher hohen Anforderungen an die Eigenart; sind aber auf einem bestimmten Gebiet die durch den Verwendungszweck an sich eröffneten weiten Gestaltungsmöglichkeiten nicht nur durch die Zahl vorbekannter Muster sondern auch dadurch eingeengt, dass diese untereinander nur noch einen geringen Abstand halten, führt dies – über die („quantitative“) Mustervielfalt hinaus – zu einer („qualitativen“) Musterdichte. In diesem Fall dürfen die Anforderungen an die Eigenart nicht überspannt werden. Auch in dicht besetzten Geschmacksmuster- bzw. Designgebieten müssen schutzfähige Neuentwicklungen möglich bleiben. Bei einer hohen Musterdichte in diesem Sinn ist daher unabhängig von der durch den Verwendungszweck bedingten Vorgaben von einem eher geringen Gestaltungsspielraum auszugehen mit Folge, dass an die Eigenart eher geringe Anforderungen zu stellen sind (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 11. September 2014 – 6 U 58/14 –, Rn. 15 – 17, juris).
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bb) Wird kein vorbekannter Formenschatz vorgetragen, ist von einem weiten Schutzumfang sowie einer großen Gestaltungsfreiheit auszugehen. Um den weiten Schutzumfang und die große Gestaltungsfreiheit einzugrenzen, muss somit der Anspruchsgegner vorbekannte Gestaltungen bzw. sonstigen Sachvortrag (technisch bedingte Anforderungen an die Gestaltung) vortragen und ggf. beweisen, um so die Gestaltungsfreiheit und den weiten Schutzumfang einzuschränken (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, 6. Aufl. 2019 Rn. 38, VO (EG) 6/2002 Art. 10 Rn. 38).
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In ihrem Endurteil vom 02.07.2020, Az. 19 O 6560/19 (Anlage K2), hat die Kammer in Bezug auf das dort ebenfalls streitgegenständliche Klagemuster wegen der hohen Musterdichte einen geringen Gestaltungsspielraum des Entwerfers angenommen. Hierzu hat sie folgendes ausgeführt:
„Die Kammer ist der Ansicht, dass für den Vergleich des informierten Benutzers von der Produktkategorie „klassischer Weihnachtsstern“ nach dem Vorbild des „Herrnhuter Sterns“ auszugehen ist. Der informierte Benutzer ist mit dem Warenbereich vertraut. Maßgeblich für die hier relevante Produktkategorie als Vergleichsmaßstab ist der Umstand, dass hier bereits eine Vielzahl ähnlicher Produkte mit spezifischen Merkmalen existiert. Der informierte Benutzer wird daher nicht beliebig und wahllos irgendwelche Sterne für den Vergleich des relevanten Warenbereichs heranziehen. Ginge man mit der Beklagten von der Relevanz weitgehend beliebiger Sterngestaltungen aus, zöge man die zu vergleichende Produktkategorie viel zu weit. Letztlich müsste in diesem Fall der informierte Benutzer „Äpfel mit Birnen“ vergleichen. Die relevante Produktkategorie muss sich an dem vorbekannten Formenschatz, nicht aber an weitgehend beliebig darstellbaren Vergleichsgruppen (wie hier beispielsweise neben „illuminierten Sternen“ gleich welcher Art auch „Weihnachtsdekoration“) orientieren.
In der hiernach für den Vergleich heranzuziehenden Produktkategorie ist eine große Zahl vorbekannter Muster gegeben, vom bereits Ende des 19. Jahrhunderts erfundenen „Herrnhuter Stern“, über sächsische Traditionsweihnachtssterne wie den sog. „Annaberger Stern“ über jüngere Gestaltungen wie den unter verschiedenen Bezeichnungen vertriebenen Stern Anlage K20 („Melchior“). Diese Muster halten untereinander nur einen geringen Abstand, wirken auf einen nur flüchtigen Betrachter fast gleich. Wegen der hiermit vorliegenden hohen Musterdichte dürfen – entsprechend den oben dargestellten Maßstäben – im vorliegenden Fall die Anforderungen an die Eigenart nicht überspannt werden. Die hier erkennbaren Unterschiede zwischen den klägerischen Geschmacksmustern und den vorbekannten Gestaltungen sind, da lediglich geringe Anforderungen an die Eigenart der klägerischen Geschmacksmuster gestellt werden dürfen, für die Annahme einer geschmacksmusterrechtlichen Eigenart hinreichend erheblich.“
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Die Kammer hält an dieser Rechtsauffassung weiter fest.
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cc) Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass die Beklagte selbst eine geringe Musterdichte behauptet (vgl. Klageerwiderung, S.7, Bl. 37 d.A. sowie Schriftsatz vom 30.06.2021, S. S12/14, Bl. 102/104 d.A.), um zum Zwecke der beantragten Verfahrensaussetzung (hierzu unten Punkt C.) eine fehlende Neuheit bzw. Eigenart des Klagemusters nach Art. 5 und 6 GGV zu begründen. Diese Behauptung stellt aber zugleich einen im Verletzungsverfahren für die Klägerin günstigen Umstand dar, weil damit eine große Gestaltungsfreiheit festgestellt wird (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, VO (EG) 6/2002 Art. 10 Rn. 28). Wegen des damit verbundenen großen Schutzumfangs des Klagemusters müsste der Stern der Beklagten deshalb einen entsprechend großen Abstand zum Klagemuster wahren, um keine Verletzungshandlung darzustellen.
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c) Selbst wenn man aber zu Gunsten der Beklagten entgegen ihres eigenen Sachvortrags eine hohe Musterdichte mit der Folge eines engen Schutzbereiches des Klagemusters annimmt, liegt wegen der besonders stark ausgeprägten Übereinstimmung des Sterns der Beklagten mit dem Klagemuster gleichwohl eine Verletzung vor.
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aa) „Ein enger Schutzumfang kann sich bei hoher Musterdichte mit der Folge ergeben, dass bereits geringe Gestaltungsunterschiede einen anderen Gesamteindruck hervorrufen können, BGH GRUR 2011, 142 Rn 17 – Untersetzer; GRUR 2011, 1112 Rn 42 – Schreibgeräte; GRUR 2011, 1117 Rn 35 – ICE. Die Wechselwirkung zwischen Schutzumfang und Gestaltungsspielraum ergibt, dass der Schutzumfang umso geringer ist, je höher die Musterdichte ist, KG ZUM 2005, 230, 231; OLG Frankfurt GRUR-RR 2009, 16 (17), so dass bereits geringe Gestaltungsunterschiede einen abweichenden Gesamteindruck hervorrufen können, EuG GRUR-RR 2010, 189 Rn 72 – Grupo Promer; BGH GRUR 2013, 285 Rn 31 – Kinderwagen II, GRUR 2016, 803 Rn 31 – Armbanduhr. Allerdings ist es im Einzelfall denkbar, dass trotz hoher Musterdichte eine Gestaltung stark von den vorbekannten Gestaltungen abweicht; dann besteht aufgrund der großen Unterschiede zum vorbekannten Formenschatz ein weiter Schutzbereich. Wenn in einem Produktbereich die schöpferischen Möglichkeiten beschränkt sind, wird Einzelheiten eines Erzeugnisses idR mehr Beachtung geschenkt, SchwBG Hartwig DesignE 4, 19 – Schmuckring. Designvielfalt bedeutet nicht Designdichte, sondern ist idR Ausdruck eines weiten Gestaltungsspielraums, BGH GRUR-RR 2012, 27 Rn 22 – Milla. Bei engem Schutzumfang unterliegen dem VerbietungsR nur Gestaltungen, die bes stark ausgeprägte Übereinstimmungen mit dem Gegenstand eines GGM aufweisen. Das kann zur Folge haben, dass nur identische oder fast identische Gestaltungen vom VerbietungsR erfasst werden“ (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, 6. Aufl. 2019 Rn. 36, VO (EG) 6/2002 Art. 10 Rn. 36).
28
bb) Vorliegend weist das Verletzungsmuster aber eine solch besonders stark ausgeprägte Übereinstimmung mit dem Klagemuster auf, weshalb es – selbst bei Berücksichtigung eines engen Schutzbereichs – keinen anderen Gesamteindruck als das Klagemuster hervorruft. Der Stern der Beklagten ist nahezu identisch zum Klagemuster.
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aaa) Wie schon in ihrer vorangegangenen Entscheidung geht die Kammer von folgendem Gesamteindruck, den das Klagemuster hervorruft, aus:
- Das klägerische Muster ordnet die Strahlen jeweils in der Abfolge 'dreieckiger Strahl' (mit jeweils einer vertikal ausgerichteten kürzeren Seite des Grundflächendreiecks), an diesen angrenzend ein auf einer 'quasi-quadratischen Grundfläche beruhender Strahl' (dessen vertikal ausgerichteten Seiten minimal kürzer als die beiden anderen Seiten sind) sowie im Anschluss hieran wieder der 'dreieckige Strahl'. Auf einer gedachten horizontalen Linie wiederholt sich dann diese Abfolge.
- In drei optisch trennbaren Befestigungslagen („Ebenen“) befinden sich jeweils sechs Strahlen.
- Durch die Kombination verschieden geometrisch geformter Strahlen entsteht ein klar geordnetes Erscheinungsbild.
- Für den Betrachter ist daher ein bestimmter Punkt bei bzw. nach einer Bewegung des klägerischen Sterns klar fixierbar und bestimmbar.
- Beim klägerischen Geschmacksmuster ist – in der relevanten, durch die jeweiligen Ansatzpunkte der Leuchtmittelkabel in Kombination mit der wirkenden Schwerkraft klar vorgegebenen Aufhängesituation – ein vertikaler Kranz von insgesamt sechs Strahlen mit erkennbarer quadratischer Grundfläche gegeben.
- Die Strahlen mit quadratischer Grundfläche haben aufgrund der Grundfläche vier Seiten, diejenigen mit Dreiecksgrundfläche nur drei; dieser Umstand führt zu wahrnehmbaren optischen Unterschieden hinsichtlich der Strahlen.
- Aufgrund der beschriebenen Kombination verschiedener geometrischer Elemente weist das Klagemuster neben dreidimensionalen Wirkungen bei horizontaler Rotation zwei optisch klar abgrenzbare zweidimensional wirkende Perspektiven auf. Dies hat zur Folge, dass das Klagemuster – anders als beim vorbekannten Formenschatz – bei einer Bewegung nicht immer gleich weit gedreht wirkt.
- Anhand der Strahlen mit quasi-quadratischer Grundfläche kann zudem optisch stets der Ursprungsort dieser Perspektiven leicht aufgefunden werden.
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bbb) Das Verletzungsmuster erweckt einen hiermit übereinstimmenden Gesamteindruck. Dies konnte die Kammer bei Gegenüberstellung der Sterne (Anlagen K3 und K4) kraft eigener Sachkunde, da sie zum angesprochenen Verkehrskreis gehört, selbst feststellen.
31
Den von der Beklagtenseite vorgebrachten Einwand, dass zwischen den Sternen Unterschiede in Gestalt von schärferen Kanten vorhanden seien, kann die Kammer bei einem direkten Vergleich der Sterne (Anlagen K3 und K4) nicht nachvollziehen.
32
Auch dem Beklagteneinwand, dass rote Sterne nicht verletzend seien, weil die rote Farbe aus dem Schutzumfang herausführe, kann die Kammer nicht folgen: In der Regel hat die farbliche Ausgestaltung (einfarbig oder auch mehrfarbig oder mit farbigen Mustern) keine Bedeutung für die Bestimmung des Gesamteindrucks, eine abweichende farbliche Gestaltung kann daher in der Regel Eigenart nicht begründen. Auch das EuG hat für eine Farbspritzpistole aus der Verwendung von Farben und Farbkontrasten keine Eigenart hergeleitet, T 651/17 (EuG BeckRS 2018, 30208) Rn 47. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass der informierte Benutzer die Erwartung hat, ein Produkt in unterschiedlichen Farben erwerben zu können (EUIPO BK BeckRS 2016, 127411, für Schuhe HABM BK R 2427/2013-3 Rn 48, aA aber OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 131761 in einem Verletzungsverfahren). Im Einzelfall kann dies aber anders sein, etwa bei der Gestaltung von T-Shirts oder zweidimensionalen (Stoff-)mustern, bei denen Farbe und Muster (Farbvariationen) häufig ein entscheidendes Gestaltungsmittel sind (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, 6. Aufl. 2019 Rn. 32, VO (EG) 6/2002 Art. 6 Rn. 32).
33
Hiervon ausgehend ist die Farbe nach Auffassung der Kammer bei Weihnachtsdekoration – anders als etwa bei Bekleidungsstücken – kein entscheidendes Gestaltungsmittel. Bei Weihnachtsdekoration kann ein Käufer regelmäßig erwarten, Sterne in unterschiedlichen Farben erwerben zu können. Dies gilt insbesondere für die Farbe rot, weil es sich hierbei um eine mit Weihnachten in Verbindung gebrachte Farbe handelt.
34
In Bezug auf die weiteren Einwände, wonach die viereckigen Strahlen nicht quadratisch, sondern länglich rechteckig verlaufen, der Stern schlechter geklebt sei und die Strahlen beim Verletzungsmuster kürzer und breiter ausfallen, mögen die Sterne zwar nicht vollkommen identisch sein. Nach Überzeugung der Kammer sind die Abweichungen jedoch so gering, dass durch sie kein abweichender Gesamteindruck hervorgerufen wird. Dies gilt auch dann, wenn man von einer geringen Gestaltungsfreiheit mit der Folge, dass schon kleine Abweichungen für die Erzeugung eines anderen Gesamteindrucks ausreichen können, ausgeht. Die Elemente, die für den Eindruck des Betrachters, nach dem oben unter Punkt B.I.3.c.aa dargelegten Maßstab, besonders maßgebend sind, sind vorliegend identisch:
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Dies betrifft insbesondere die identische Anordnung der Zacken abwechselnd mit quadratischer und dreieckiger Grundfläche. Des Weiteren ist bei beiden Sternen ein Kranz von insgesamt sechs Strahlen mit einer erkennbarer quadratischen Grundfläche vorhanden. Auch die Aufhängungsvorrichtung und der den Eindruck prägende symmetrische Aufbau mit drei Ebenen sind identisch. Hierdurch ergeben sich dieselben beschriebenen optischen Eindrücke, die auch einen bestimmten Punkt bei bzw. nach einer Bewegung klar fixierbar machen.
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4. Eine Genehmigung der Klagepartei, das Geschmacksmuster zu benutzen, liegt nicht vor.
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5. Die Wiederholungsgefahr wird durch die Verletzungshandlung indiziert und wurde nicht durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt.
38
II. Die Klägerin kann von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 57.265,44 € verlangen, Art. 89 Abs. 1 lit. d), Abs. 2 GGV, §§ 62a Nr. 1, 42 Abs. 2 DesignG.
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1. Es liegt jedenfalls eine fahrlässige Verletzungshandlung der Beklagten vor.
40
Der Sorgfaltspflicht liegt eine Prüfungsobliegenheit zugrunde (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, 6. Aufl. 2019 Rn. 39, DesignG § 42 Rn. 39).
41
Den Hersteller trifft grds eine Obliegenheit zur Überwachung der Schutzrechtslage, BGH GRUR 1970, 87 (88) – Muschi-Blix; GRUR 19977, 598 (601) – Autoscooterhalle; GRUR 2006, 575 Rn 28 – Melanie. Er muss somit nach möglicherweise bestehenden Schutzrechten recherchieren, und zwar unabhängig davon, ob geschützte Produkte vertrieben werden oder beim Vertrieb auf einen Designschutz hingewiesen wird. Wer dieser Obliegenheit nicht Rechnung trägt, handelt idR fahrlässig (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, DesignG § 42 Rn. 40)
42
Die dem Hersteller obliegende Prüfungspflicht trifft idR auch den – wie vorliegend die Beklagte – inländischen Importeur von Waren (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, DesignG § 42 Rn. 41). Auch ein Händler darf ein Erzeugnis jedenfalls solange nicht in den Verkehr bringen, wie er nicht begründetermaßen annehmen darf, dass die notwendige Prüfung auf die Verletzung von Rechten Dritter zumindest einmal durchgeführt worden ist (BGH GRUR 2006, 575, Rn. 28).
43
Ein Sachvortrag der Beklagten in Erfüllung ihrer sekundären Darlegungslast, ihren Prüfungsobliegenheiten nachgekommen zu sein, liegt nicht vor.
44
2. Die Höhe des nach § 42 Abs. 2 Satz 2 DesignG herauszugebenden Verletzergewinns bemisst die Kammer auf 57.265,44 €.
45
a) Ausgehend von einem unstreitigen Rohgewinn von 159.070,68 € hat die Kammer 10% für abzugsfähige Kosten subtrahiert, so dass ein Rohgewinn von 143.163,61 € verbleibt.
46
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die geltend gemachten Kosten abzugsfähig sind, obliegt dem Verletzer. Der Verletzer muss also vortragen und ggf. beweisen, dass es sich um Kosten handelt, die ohne die Designverletzung nicht entstanden wären. Eventuelle Nachweisschwierigkeiten auf Grund des Umstandes, dass die Verletzungshandlungen längere Zeit zurückliegen und nicht in allen Einzelheiten dokumentiert werden, gehen im Rahmen des Zumutbaren zu Lasten des Verletzers. Im Übrigen kann das Gericht die anrechenbaren Kosten bei Würdigung aller Umstände als eine für die Berechnung des Verletzergewinns maßgebliche Größe im Rahmen des § 287 ZPO schätzen (Günther/Beyerlein in: Günther/Beyerlein, DesignG, 3. Aufl. 2015, IV. Anspruch auf Schadensersatz (§ 42 Abs. 2 Satz 1), Rn. 39).
47
Beklagtenseits wurde lediglich pauschal eingewandt, dass die abzugsfähigen Kosten deutlich höher seien. Weiterer Sachvortrag ist hierzu jedoch trotz entsprechender Ankündigung nicht erfolgt.
48
Für die Annahme höherer abzugsfähiger Kosten sind daher keine Anhaltspunkte vorhanden.
49
b) Die Kammer schätzt den Anteil der Verletzungshandlung am Verletzergewinn auf 40%.
50
aa) Der Verletzergewinn ist nur insoweit herauszugeben ist, als er auf der Rechtsverletzung beruht (BGH GRUR 2007, 431, Rn. 37). Die Herangehensweise zu Ermittlung dieses „Kausalanteils“ erfolgt in zwei Schritten. Zunächst sind die Faktoren zu bestimmen, welche die Kaufentscheidung eines Abnehmers beeinflussen. Sodann sind die ermittelten Faktoren wertend im Verhältnis zueinander zu gewichten, BGH GRUR 2012, 1226 Rn 20 – Flaschenträger. Im Regelfall bedarf es dabei einer Schätzung gem § 287 ZPO. Dies darf aber nicht dazu führen, dass der Sachverhalt und die für die Kaufentscheidung bestimmenden Faktoren nicht oder nur kursorisch bestimmt werden. Insofern muss eine umfassende Prüfung und – ggf. – eine Beweisaufnahme stattfinden, BGH GRUR 2012, 1226 Rn 20 – Flaschenträger. Eine wesentliche Rolle bei der Bewertung spielt idR, welche Bedeutung die ästhetische Gestaltung im Unterschied zu vorbekannten Gestaltungen aufweist. Je größer die optischen Unterschiede zu Gestaltungen im vorbekannten Formenschatz sind, desto eher ist davon auszugehen, dass die ästhetische Gestaltung von relevanter Bedeutung für eine Kaufentscheidung ist (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, DesignG § 42 Rn. 53).
51
Für hochwertige Designtische ist ein Kausalitätsanteil von 80% (bei Nachahmung) bzw. 90% (bei Identität) als angemessen angesehen worden, OLG Köln WRP 2013, 1241. Für einen Kinderhochstuhl sind 90% zu hoch, BGH GRUR 2009, 856 Rn 45 – Tripp-Trapp-Stuhl, unter Aufhebung von OLG Hamburg ZUM-RD 2006, 29, für Damenunterwäsche ist ein Kausalanteil von 60% angesetzt worden, OLG Hamburg GRUR-RR 2009, 140. Ein Anteil von 40% ist vom BGH für die Nachahmung eines Steckverbindergehäuses nicht beanstandet worden, BGH GRUR 2007, 431 Rn 39 – Steckverbindergehäuse (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, DesignG § 42 Rn. 55). Der BGH hat ganz zutreffend festgestellt, dass für Gebrauchsgegenstände ein Kausalanteil über 50% eine besondere Ausnahme darstellt, BGH GRUR 2009, 856 Rn 45 – Tripp-Trapp-Stuhl (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, DesignG § 42 Rn. 56).
52
Für die Entscheidung zum Kauf eines Gebrauchsgegenstandes ist regelmäßig nicht nur die ästhetische Gestaltung, sondern auch die technische Funktionalität von Bedeutung. Es kann daher nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der durch die identische Benutzung eines eingetragenen Designs erzielte Gewinn in vollem Umfang darauf beruht, dass jeder Kaufentschluss – und damit der gesamte Gewinn – allein durch das imitierte Aussehen und nicht durch andere wesentliche Umstände wie etwa die technische Funktionalität oder den niedrigen Preis verursacht worden ist (Günther/Beyerlein in: Günther/Beyerlein, DesignG, 3. Aufl. 2015, IV. Anspruch auf Schadensersatz (§ 42 Abs. 2 Satz 1), Rn. 32).
53
bb) Die Kaufentscheidung beruht im vorliegenden Fall zwar, da es sich um Dekoration handelt, auch auf der ästhetischen Gestaltung der Sterne. Insoweit weist das Klagemuster aber, wie aufgezeigt, nur einen geringen Unterschied zu vorbekannten Gestaltungen auf. Wegen der hohen Musterdichte ist der optische Unterschied zu Gestaltungen im vorbekannten Formenschatz gering, so dass die konkrete ästhetische Gestaltung des Klagemusters zur Überzeugung der Kammer von geringer Bedeutung für Kaufentscheidung ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte gerichtsbekannt über ein großes Filialnetz mit einer großen Produktvielfalt, d.h. eine große Vertriebsorganisation und herausgehobene Marktstellung, verfügt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass jedenfalls ein Teil der Absätze der Sterne der Beklagten darauf zurückzuführen ist, dass sie bei Gelegenheit des Einkaufes von anderen Waren bei der Beklagten vom Verbraucher „mitgekauft“ und deshalb in geringerem Umfang wegen ihrer konkreten Gestaltung abgesetzt worden sind. Neben der Ästhetik ist vorliegend aber auch die technische Funktionalität („leuchtender Stern“) – insbesondere in der Weihnachtszeit – relevant für eine Kaufentscheidung. Diese Funktion ist jedoch vorbekannt. Allerdings war jedoch im Rahmen der Abwägung ebenfalls zu berücksichtigen, dass, wenn auch geringfügige Unterschiede zwischen den Sternen der Parteien bestehen, eine nahezu identische Nachahmung, ohne einen starken gestalterischen Anteil der Beklagten, vorliegt. Nach alledem geht die Kammer deshalb von einem Kausalanteil von 40% aus.
54
Auf der Basis eines Kausalanteils von 40% aus dem Gewinn von 143.163,61 € ist somit ein Verletzergewinn von 57.265,44 € herauszugeben.
55
III. Der Auskunftsanspruch über den Umfang der betriebenen Werbung ergibt sich aus Art. 89 Abs. 1 lit. d), Abs. 2 GGV, §§ 62a Nr. 1, 46 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2 DesignG.
56
Die von der Beklagten geschaltete Werbung stellt einen für die Bemessung der Höhe eines Schadensersatzanspruches nach der Lizenzanalogie relevanten Faktor dar (vgl. BGH GRUR 2006, 143, 146, beck-online).
57
IV. Der Herausgabeanspruch zum Zwecke der Vernichtung folgt aus Art. 89 Abs. 1 lit. d) GGV, §§ 62a Nr. 1, 43 Abs. 1 Satz 1 DesignG.
58
Dies hat auf Kosten der Beklagten zu erfolgen (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, DesignG § 43 Rn. 9).
59
V. Ob die Klage auch unter Zugrundelegung der weiteren Geschmacksmuster der Klagepartei bzw. nach dem UrhG und dem UWG begründet ist, kann dahinstehen. Da der Verletzergewinn nach diesen Anspruchsgrundlagen ebenfalls gem. § 287 ZPO zu schätzen ist, ergäbe sich für die Klagepartei hieraus auch kein höherer Schadensersatzanspruch.
60
Das Verfahren war entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nach Art. 91 Abs. 1 GGV auszusetzen.
61
I. Zwar ist das Verletzungsverfahren regelmäßig auszusetzen, wenn beim EUIPO ein Nichtigkeitsantrag vor Klageerhebung gestellt wurde. Die hiesige Klage ging am 10.03.2021 bei Gericht ein. Die Nichtigkeitsanträge gegen die Geschmacksmuster 004031201-0001 und 004031201-0002, auf die die Klage hilfsweise gestützt wird, wurden dagegen erst am Tag der mündlichen Verhandlung (15.07.2021) gestellt, so dass im Hinblick auf diese Nichtigkeitsanträge eine Aussetzung nicht veranlasst war.
62
Aber eine Aussetzung kam auch trotz des am 09.09.2020 gegen das Gemeinschaftsgeschmacksmuster 004031201-0004 gestellten Nichtigkeitsantrages nicht in Betracht.
63
II. Gründe, die ausnahmsweise eine Fortführung des später eingeleiteten Verletzungsverfahrens begründen, liegen vor, wenn das früher eingeleitete Nichtigkeitsverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zur Vernichtung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters führt (Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, 6. Aufl. 2019, VO (EG) 6/2002 Art. 91 Rn. 13).
64
Die Beklagte setzt dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster im Nichtigkeitsverfahren das US-Patent 1,653,206, dort Fig. 1, entgegen, das einen anderen Formenschatz darstelle, als er im vorangegangen Verfahren der Kammer, Az. 19 O 6560/19, eingewandt wurde.
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Die Kammer geht im vorliegenden Fall gleichwohl davon aus, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das Nichtigkeitsverfahren keinen Erfolg haben wird.
66
1. Die Eigenart und den hinreichenden Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz hat die Kammer bereits im Verfahren 19 O 6560/19 bejaht. Die dort maßgeblichen Erwägungen sollen zur besseren Übersichtlichkeit im Folgenden nochmals wiedergegeben werden:
„Beiden Sternen gemeinsam ist zwar die Grundidee eines dreidimensionalen, durch von einem Körper ausgehenden Strahlen umkranzten, lampionartigen Gebilde. Die optischen Wirkungen, die mit ähnlichen Mitteln erzielt werden, weisen aber erhebliche Unterschiede auf.
So laufen sämtliche Strahlen des Sterns „Melchior“ auf eine erkennbare dreieckige Grundfläche zu (Tetraeder); beim klägerischen Geschmacksmuster ist – in der relevanten, durch die jeweiligen Ansatzpunkte der Leuchtmittelkabel in Kombination mit der wirkenden Schwerkraft klar vorgegebenen Aufhängesituation – ein vertikaler Kranz von insgesamt sechs Strahlen mit erkennbarer quadratischer Grundfläche gegeben.
Die Strahlen mit quadratischer Grundfläche haben aufgrund der Grundfläche vier Seiten, diejenigen mit Dreiecksgrundfläche nur drei; dieser Umstand führt zu wahrnehmbaren optischen Unterschieden hinsichtlich der Strahlen.
Durch die (teilweise) auf einer quadratischen Grundfläche beruhenden Strahlen ist aber auch eine andere Anordnung der Strahlen des klägerischen Sternkörpers möglich. Das klägerische Muster ordnet die Strahlen jeweils in der Abfolge 'dreieckiger Strahl' (mit jeweils einer vertikal ausgerichteten kürzeren Seite des Grundflächendreiecks), an diesen angrenzend ein auf einer 'quasi-quadratischen Grundfläche beruhender Strahl' (dessen vertikal ausgerichteten Seiten minimal kürzer als die beiden anderen Seiten sind) sowie im Anschluss hieran wieder der 'dreieckige Strahl'. Auf einer gedachten horizontalen Linie wiederholt sich dann diese Abfolge. Das den klägerischen Geschmacksmustern entgegengehaltene Muster „Melchior“ dagegen zeigt eine repetitive Abfolge „dreieckiger Strahl mit nach untern ausgerichteter Spitze des gleichschenkligen Grundflächendreiecks“ und daran anschließend „dreieckiger Strahl mit nach oben ausgerichteter Spitze des gleichschenkligen Grundflächendreiecks“ usw.
Auch befinden sich beim klägerischen Muster in drei optisch trennbaren Befestigungslagen jeweils sechs Strahlen, beim Muster „Melchior“ dagegen von oben nach unten fünf, zehn und dann wieder fünf Strahlen. Diese konstruktiven Unterschiede führen bereits zu einem unterschiedlichen Erscheinungsbild. Während der klägerische Stern durch die Kombination verschieden geometrisch geformter Strahlen ein klar geordnetes Erscheinungsbild hat, zeigt das Muster „Melchior“ angesichts gleichförmiger Strahlen eine derartige optische Ordnung nicht. Für den Betrachter ist daher ein bestimmter Punkt bei bzw. nach einer Bewegung des klägerischen Sterns klar fixierbar und bestimmbar, beim Stern „Melchior“ dagegen aufgrund dessen repetitivem Aufbau nicht. Anders gesagt: Egal, wie der Stern „Melchior“ auf einer horizontalen Achse gedreht wird, er wirkt für den Betrachter stets gleich weit gedreht. Anders das klägerische Muster, das aufgrund der beschriebenen Kombination verschiedener geometrischer Elemente neben dreidimensionalen Wirkungen bei horizontaler Rotation zwei optisch klar abgrenzbare zweidimensional wirkende Perspektiven aufweist. Anhand der Strahlen mit quasi-quadratischer Grundfläche kann zudem optisch stets der Ursprungsort dieser Perspektiven leicht aufgefunden werden.“
67
An dieser Auffassung hält die Kammer weiter fest.
68
2. Ebenfalls hält das Klagemuster Abstand zu der beklagtenseits nunmehr eingewandten Entgegenhaltung aus dem US-Patent 1,653,206, dort Fig. 1, und stellt damit eine Neuheit dar:
69
Diese Entgegenhaltung hat nämlich, wenn man sie, wie in der Patentschrift (Anlage K14) am Buchstaben d) aufhängt, keine gleichförmig horizontale mittlere Ebene, die aus sechs Strahlen besteht. Auch ist kein vertikaler Kranz von insgesamt sechs Strahlen mit quadratischer Grundfläche erkennbar. Dies führt dazu, dass nicht ersichtlich ist, dass beim Aufhängen am besagten Punkt d) die Entgegenhaltung denselben symmetrischen Gesamteindruck mit zwei klar abgrenzbaren Perspektiven hervorruft wie beim Klagemuster.
70
3. Im Übrigen ist nicht nachgelassenes Vorbringen der Parteien gem. § 296a ZPO prozessual unbeachtlich. Gründe, die Anlass zu einer Wiedereröffnung des Verfahrens geben würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO und ergibt sich aus dem Maß des jeweiligen Unterliegens in der Hauptsache. Ausgehend von einem Streitwert von 250.000 € unterliegt die Klagepartei lediglich insoweit als der zugesprochene Schadensersatz hinter dem Klageantrag zurückbleibt.
72
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
73
Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass die Versetzung des Kammervorsitzenden an das Oberlandesgericht Nürnberg keinen Verhinderungsgrund iSd § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO darstellt, weshalb seine Unterschrift nicht zu ersetzen war (Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 315 ZPO, Rn. 6 sowie MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 315 Rn. 8). gez.