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OLG München, Urteil v. 05.08.2021 – 29 U 1726/21
Titel:

Irreführende Werbung für ein Nahrungsergänzungsmittel in Fruchtgummiform

Normenketten:
UWG § 3a, § 12 Abs. 2
VO (EU) 1169/2011 Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4
VO (EG) 178/2002 Art. 14 Abs. 1, 2 lit. a
ZPO § 308 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Unterlassungsantrag aufgrund Irreführung kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn die Irreführung in der konkreten Verkaufssituation klargestellt werden kann und das Angebot dennoch vom Unterlassungstenor umfasst wäre. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein neuer Streitgegenstand in einem einstweiligen Verfügungsverfahren nachträglich eingeführt, kann die Dringlichkeitsvermutung bereits widerlegt sein. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es liegt ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 LMIV vor, wenn ein hochdosiertes Nahrungsergänzungsmittel in Form von Fruchtgummis mit der Aufforderung zum „Naschen“ beworben wird, während die Verzehrempfehlung lediglich von einem Stück pro Tag ausgeht. (Rn. 15 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Greift ein Antragsteller ein Lebensmittel als unsicher im Sinne von Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a VO  (EG) 178/2002 an, weil der Verzehr der empfohlenen Tagesdosis gesundheitliche Risiken berge, stellt es einen anderen Streitgegenstand war, wenn die Produktaufmachung zu einem höheren Konsum anregt und dies das Gesundheitsrisiko begründet. (Rn. 22 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kennzeichnung, Verpackung, Berufung, Streitgegenstand, Marktverhaltensregelung, Anlage, Verletzungsform, Verletzung, Kenntnis, Antragsteller, Durchschnittsverbraucher, Verbot, Internetauftritt, Dringlichkeit, konkrete Verletzungsform
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 11.03.2021 – 1 KK O 17003/20
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 61966

Tenor

I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 11.03.2021, Az. 1 HK O 17003/20, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen, abgeändert und neu gefasst, wie folgt:
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines vom Gericht für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an einem der Geschäftsführer,
verboten,
im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu Wettbewerbszwecken das Nahrungsergänzungsmittel
mit nachfolgenden Angaben zu bewerben und/oder bewerben zu lassen:
a) „Naschen für Schönheit und Wohlbefinden: mit den …“,
wenn dies geschieht wie in Anlage C
und/oder
b) „Der verführerisch-fruchtige Geschmack macht die kleinen Bärchen zum Genuss. Naschen für die Schönheit – besser geht’s kaum!“,
wenn dies geschieht wie in Anlage C
und/oder
c) „Mein täglicher Begleiter Vitamin D & … so einfach und lecker zu sich zu nehmen ich liebe die …,
wenn dies geschieht wie in Anlage D.
2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller 7/10 und die Antragsgegnerin 3/10.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Antragsteller 2/3 und die Antragsgegnerin 1/3.

Entscheidungsgründe

1
A. Von einem Tatbestand wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 S. 1, § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO abgesehen.
2
B. Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist teilweise begründet. Die Verurteilung wegen der Verfügungsanträge zu I.1. und zu I.3. hat keinen Bestand. Den Verfügungsanträgen zu I.2.a) bis c) hat das Landgericht zu Recht stattgegeben.
3
I. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sind zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, da jeweils auf die konkret angegriffene Verletzungsform Bezug genommen wird und der Verfügungsantrag zumindest unter Heranziehung des Vortrags unzweideutig erkennen lässt, worin die Grundlage und der Anknüpfungspunkt des Wettbewerbsverstoßes und damit des Unterlassungsgebots liegen sollen (vgl. nur BGH, GRUR 2018, 1161, Rn. 16 mzN – Hohlfasermembranspinnanlage II).
4
II. Dem Antragsteller steht der mit dem Verfügungsantrag zu I.1. geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 a UWG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 VO (EU) 1169/2011 (Lebensmittelinformations-VO, im Folgenden: LMIV) nicht zu.
5
1. Gegenstand des Antrags zu I.1. war ursprünglich das Verbot, im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu Wettbewerbszwecken das Nahrungsergänzungsmittel …“ in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen und/oder zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn dies geschieht wie in Anlage B/2 abgebildet. Der Antragsteller stützte den Antrag in der Antragsbegründung darauf, dass sowohl die Verpackung, insbesondere die Aufkleber mit comicartigen Bären, die Sprechblasen, das Herz auf dem Deckel und eine unzureichende Kennzeichnung als Nahrungsergänzungsmittel, als auch die Gestaltung der Darreichungsform als Fruchtgummi in Bärchenform, irreführend seien und gegen Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 LMIV verstießen. Denn es werde der Eindruck erweckt, dass es sich um ein konventionelles angereichertes Fruchtgummi handele, nicht jedoch um ein hochdosiertes Nahrungsergänzungsmittel.
6
Die vom Antrag in Bezug genommene Anlage B/2 bildet von Antragstellerseite gefertigte Fotos des Produktes ab, welches als Anlage A zur Akte gereicht ist.
7
In der mündlichen Berufungsverhandlung hat der Antragsteller den Antrag zu I.1. nach „oder bewerben zu lassen“ wie folgt formuliert: „wenn dies geschieht wie in Anlage B 1 und wenn nicht in der konkreten Verkaufssituation zusätzlich darauf hingewiesen wird, dass es sich bei dem Produkt um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt.“ Zur weiteren Begründung hat er darauf verwiesen, dass sich die fehlende Verkehrsfähigkeit des Produkts aufgrund von Irreführungsaspekten auch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 a UWG i.V.m. Art. 14 Abs. 1, Abs. 3 lit. b) Lebensmittel-Basisverordnung (EG) Nr. 178/2002 (im Folgenden: Basis-VO) ergeben könne.
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2. Der mit diesem Antrag geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht dem Antragsteller nicht zu.
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a) In seiner bisherigen Fassung umfasste der Antrag auch Sachverhaltsgestaltungen, in denen der geltend gemachte Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 lit a LMIV ausschied, weil aus Hinweisen in der konkreten Verkaufssituation für die maßgebliche Sichtweise des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers mit der situationsangemessenen Aufmerksamkeit (vgl. BGH, GRUR 2012, 184 Rn. 19 – Branchenbuch Berg; BGH, GRUR 2018, 431 Rn. 27 – Tiegelgröße) erkennbar war, dass es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt, etwa aufgrund der Präsentation des Produkts in einem Drogerieregal, welches nur mit Nahrungsergänzungsmitteln befüllt ist, oder auf einer Verkaufswebseite in einem nur aus Nahrungsergänzungsmitteln bestehenden Bereich. Ein Antrag ist aber insgesamt als zu weit abzuweisen, wenn er auch Sachverhaltsgestaltungen erfasst, in denen es an einem Verstoß fehlt (vgl. BGH, GRUR 2013, 1161 Rn. 53 ff. – Hard Rock Café; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., 2021, § 12 Rn. 1.44 a m.w.N.).
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b) Soweit der Antrag in der Berufungsverhandlung dahin umformuliert wurde, dass in der konkreten Verkaufssituation nicht zusätzlich darauf hingewiesen wird, dass es sich bei dem Produkt um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt, fehlt es an der Darlegung und Glaubhaftmachung der für den Unterlassungsanspruch erforderlichen Begehungsgefahr. Verkaufssituationen ohne Hinweis darauf, dass es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt, hat der Antragsteller schon nicht dargelegt.
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c) Soweit schließlich der Antrag in der Berufungsverhandlung erstmals mit fehlender Verkehrsfähigkeit des Produkts aufgrund von Irreführungsaspekten auf §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 a UWG i.V.m. Art. 14 Abs. 1, Abs. 3 lit. b) Basis-VO gestützt wurde, fehlt es zumindest an einem Verfügungsgrund, weil dieser neue Streitgegenstand erst nach Ablauf von einem Monat nach Kenntnis von einem etwaigen Verstoß anhängig gemacht wurde. Zwar wird nach § 12 Abs. 2 UWG die Dringlichkeit vermutet. Sie ist aber durch ein Verhalten des Antragstellers als widerlegt anzusehen, dem zu entnehmen ist, dass er die Angelegenheit selbst nicht als dringend ansieht (vgl. BGH, GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung; Senat, GRUR-RR 2017, 89 Rn. 80 – Kein Vollgas; Senat, GRUR 2019, 507 Rn. 26 – Wissenschaftsverlage). Nach ständiger Rechtsprechung der für die Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes zuständigen Senate des Oberlandesgerichts München kann nicht mehr von Dringlichkeit ausgegangen werden, wenn ein Antragsteller länger als einen Monat ab Erlangung der Kenntnis von der Verletzungshandlung und der Person des Verletzers zuwartet, bevor er den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt (vgl. Senat, GRUR-RR 2017, 89 Rn. 80 – Kein Vollgas; Senat, GRUR-RR 2008, 310, 312 – Jackpot-Werbung). Dringlichkeitsschädlich ist es auch, wenn der Antragsteller – wie hier – einen neuen oder erweiterten Streitgegenstand im bereits anhängigen Verfügungsverfahren erst nach Ablauf der Monatsfrist einbringt, obschon ihm dies bereits früher möglich gewesen wäre (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.15 a.).
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II. Das Landgericht hat dem Verfügungsantrag zu 1.2. a) bis c) zu Recht entsprochen. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich jeweils aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 a UWG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 LMIV.
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1. Gegenstand des Antrags zu I.2.a) ist das Verbot, im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu Wettbewerbszwecken das Nahrungsergänzungsmittel … mit nachfolgenden Angaben zu bewerben und/oder bewerben zu lassen: a) „Naschen für Schönheit und Wohlbefinden: mit den …itamins von …“, wenn dies geschieht wie in Anlage C, und/oder b) „Der verführerischfruchtige Geschmack macht die kleinen Bärchen zum Genuss. Naschen für die Schönheit – besser geht’s kaum!“, wenn dies geschieht wie in Anlage „D“, und/oder c) „Mein täglicher Begleiter Vitamin D & … so einfach und lecker zu sich zu nehmen Ich liebe die …, wenn dies geschieht wie Anlage D. Diese Werbeäußerungen finden sich jeweils in der Produktwerbung im Internetauftritt der Antragsgegnerin unter „https://www…..com“, wie in Anlage C und dem hieraus entnommenen vergrößerten Ausschnitt in Anlage D abgebildet.
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2. Soweit die Antragsgegnerin rügt, die in Antrag I.2.b) angegriffene Formulierung sei in Anlage D nicht enthalten, ist dies richtig: Die Formulierung findet sich in Anlage C. Das ergibt sich bereits deutlich aus der Antragsbegründung auf Seite 20 der Antragsschrift und der dortigen Bezugnahme auf Anlage C, so dass in der Formulierung des Antrags zu I.2.b) in der Antragsschrift ein offensichtliches Schreibversehen unterlaufen ist. Die offensichtliche Unrichtigkeit ist nach § 319 ZPO zu korrigieren.
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3. Das Landgericht hat diesen Verbotsanträgen mit Recht wegen Verstoßes gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 LMIV entsprochen, weil es sich bei der Aufforderung zum „Naschen“ bzw. der Anpreisung als „so einfach und lecker zu sich zu nehmen“ über eine allgemeine unspezifische Werbeanpreisung hinaus um die Beschreibung und Anregung einer Art des Verzehrs handelt, welche über ein Stück pro Tag hinausgeht und sich mit der Verzehrempfehlung auf der Verpackung von (nur) einem Stück pro Tag schwerlich in Einklang bringen lässt.
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a) Für die Beurteilung des Irreführungsgehalts einer Werbeaussage ist entscheidend, wie der angesprochene Verkehr die beanstandete Aussage aufgrund ihres Gesamteindrucks im Gesamtkontext versteht (vgl. BGH, GRUR 2003, 800, 803 – Schachcomputerkatalog; BGH GRUR 2003, 361, 362 – Sparvorwahl; Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., 2021, § 5 Rn. 1.81).
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b) Der Durchschnittsverbraucher fasst das Verb „naschen“ im gegebenen Kontext, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, als eine genießerische Verzehrform auf, die sich regelmäßig nicht auf ein Stück beschränkt, sondern das mehrfache Zugreifen und Verzehren solcher Fruchtgummis beschreibt. Dies gilt auch für den mit dem Antrag zu I.2.c) angegriffenen Text „einfach und lecker zu sich zu nehmen“, der im Gesamtkontext der Anlage D gesehen werden muss, in welchem sich an die wiedergegebene Formulierung anschließt: „nie war naschen gesünder“. Der Verbraucher wird in die Irre geführt, weil diese Verzehrform für ein Nahrungsergänzungsmittel untypisch ist und der Verzehrempfehlung von einem Stück pro Tag zuwiderläuft. Aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers impliziert der Begriff des Naschens, dass genießerisch Stück für Stück zeitnah – und nicht, wie die Antragsgegnerin meint, nur Tag für Tag ein Stück – konsumiert wird.
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c) Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise die angegriffenen Aussagen verstehen, da er ständig mit Wettbewerbssachen befasst ist (BGH, GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; GRUR 2014, 682 Rn. 29 – Nordjob-Messe).
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4. Art. 7 Abs. 1 lit a LMIV ist eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3 a UWG, deren Verletzung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber und Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. zur deutschen Umsetzung der Verordnung § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB bzw. § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 LFGB a.F. i.V.m. § 4 Nr. 11 UWG a.F.: BGH, GRUR 2008, 1118 Rn. 15 – MobilPlus-Kapseln; BGH, GRUR 2016, 738 Rn. 18 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II).
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5. Die für den Unterlassungsantrag erforderliche und durch den Verstoß indizierte Wiederholungsgefahr hat die Antragsgegnerin nicht durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt.
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III. Keinen Bestand hat die landgerichtliche Verurteilung hinsichtlich des Verfügungsantrags zu I.3.
22
1. Der Antrag zu I.3. richtet sich dagegen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu Wettbewerbszwecken das Nahrungsergänzungsmittel … mit einer Menge von 50 µg Cholecalciferol bzw. Vitamin D pro empfohlener Tagesverzehrmenge in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen, wenn dies geschieht wie in Anlage B/1. Zur Begründung dieses Antrags hat der Antragsteller in der Antragsschrift angeführt, dass der Verzehr der empfohlenen Tagesverzehrmenge von 50 µg gesundheitliche Risiken berge und es sich folglich um ein unsicheres Lebensmittel i.S.v. Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a Basis-VO handele.
23
2. Das Landgericht hat dem Antrag mit der Begründung stattgegeben, dass das Produkt insgesamt in seiner konkreten Gestaltung und einer Anreicherung von 50 µg pro Stück entsprechend der Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom Juli 2020 (Ast 14) ohne ausreichende Warnhinweise aufgrund des möglicherweise erhöhten Mortalitätsrisikos und Risikos für das Pankreaskarzinom ohne ärztliche Überwachung als unsicher zu bewerten sei. Für die Bewertung als unsicher hat es dabei sowohl darauf abgestellt, dass das ansprechend gestaltete Produkt in Form eines Gummibärchens, damit einer Süßigkeit, die üblicherweise in größeren Mengen als einem Stück verzehrt werde, geeignet sei, einen Verbraucher zu verführen, mehr als ein Stück zu sich zu nehmen, als auch darauf, dass bereits bei 100 µg, das heißt 2 Stück pro Tag, das BfR eine ärztliche Überwachung empfehle, wenn diese über einen längeren Zeitraum eingenommen werden (vgl. LGU, Seite 17).
24
3. Damit hat das Landgericht sich nicht innerhalb der vom Antragsteller gesteckten Grenzen des Antragsgegenstands gehalten und etwas anderes zugesprochen als begehrt (vgl. § 308 Abs. 1 ZPO).
25
a) Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (vgl. BGH, GRUR 2013, 401 Rn. 18 mzN – Biomineralwasser). Der Antragsteller hat mit der Antragsschrift das Angebot bzw. die Bewerbung des in Streit stehenden Produkts mit eigenständigen durch die Worte „und/oder“ verbundenen Anträgen im Wege der kumulativen Klagehäufung unter verschiedenen Aspekten jeweils gesondert angegriffen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 25). Er hat die einzelnen Beanstandungen in den verschiedenen Klageanträgen umschrieben und zur Verdeutlichung jeweils auf die konkrete Verletzungsform Bezug genommen („wie geschehen in …“) (vgl. BGH a.a.O. Rn. 25).
26
Zur Begründung des Antrags zu 1.3. hat der Antragsteller in der Antragsschrift nur geltend gemacht, dass der Verzehr der empfohlenen Tagesverzehrmenge von 50 µg gesundheitliche Risiken berge und es sich folglich um ein unsicheres Lebensmittel i.S.v. Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a Basis-VO handele. Nicht zur Begründung des Antrags zu I.3. angeführt hat er den weiteren Gesichtspunkt, dass der Verbraucher aufgrund der Aufmachung des Produkts und der Darreichungsform verleitet werde, mehr als nur ein Fruchtgummi pro Tag zu verzehren. Diesen Gesichtspunkt hat der Antragsteller erstmals in der Replik vom 29.01.2021 auf Seite 22 (Bl. 86 d.A.) im zweiten Absatz und damit nach Ablauf der im Bezirk des Oberlandesgerichts München geltenden Dringlichkeitsfrist von einem Monat angeführt. Auch soweit der Antragsteller diesen Gesichtspunkt in der Berufungserwiderung aufgreift (Seite 24, vorletzter Absatz, Bl. 206 d.A., Seite 25 ff., Bl. 207 ff d.A.) und sich mit dem Antrag auf Berufungszurückweisung diese Begründung zu eigen macht und hiermit den Mangel geheilt haben könnte, weil im Sichzueigenmachen eine grundsätzlich noch in der Berufungsinstanz mögliche Klageerweiterung liegt (vgl. Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 308 Rn. 7 m.w.N.), scheidet dies im Verfügungsverfahren wegen Dringlichkeitsschädlichkeit aus. Denn, wie oben bereits ausgeführt, ist es trotz der Vermutung gem. § 12 Abs. 2 UWG dringlichkeitsschädlich, wenn der Antragsteller einen neuen oder erweiterten Antragsgegenstand im bereits anhängigen Verfügungsverfahren erst nach Ablauf der Monatsfrist einbringt, obschon ihm dies bereits früher möglich gewesen wäre (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.15 a.).
27
Da der Antragsteller selbst weder Berufung noch Anschlussberufung eingelegt hat, obwohl er das begehrte Verbot, das allein das Gesundheitsrisiko der Menge von 50 µg Cholecalciferol bzw. Vitamin D pro empfohlener Tagesverzehrmenge betraf, nicht zugesprochen erhalten hatte und insofern auch beschwert war, ist der ursprüngliche auf jenen Gegenstand begrenzte Antrag mit der Berufung der Antragsgegnerin auch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Der Senat hat daher auf die Berufung der Antragsgegnerin hin auch nicht zu prüfen, ob diese bereits nur durch den Umstand der Dosierung der Tagesdosis gegen Art. 14 Abs. 1 lit. a Basis-VO verstoßen hat.
C.
28
I. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
29
II. Für die Zulassung der Revision ist im Streitfall, dem ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, kein Raum (vgl. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).