Titel:
Irreführende Werbung für einen "High Protein Quarkriegel" mit der Angabe einer bestimmten Proteinmenge
Normenketten:
LMIV Art. 7 Abs. 1 lit. a
UKlaG § 2 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a LIMV ist der Hinweis auf eine bestimmte Menge an Proteinen in einem als "High Protein Quarkriegel" bezeichneten Lebensmittel irreführend, wenn nicht deutlich wird, worauf sich die angegebene Menge genau bezieht. (Rn. 26 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die LMIV ist kein lex specialis zur HCVO. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassung, Streitwert, Verbraucher, Zustellung, Anspruch, Sternchen-Hinweis, Ordnungshaft, Sicherheitsleistung, Zinsen, Information, Lebensmittel, Klage, Rechtsauffassung, Zuwiderhandlung, Kosten des Rechtsstreits, Frankfurt Main, Zustellung der Klage
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 56999
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen am Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen das Produkt High Protein Quarkriegel mit der Angabe „[8,8 g PROTEIN*]“ in den Verkehr zu bringen, sofern dies geschieht, wie in der Anlage K1 wiedergegeben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 210,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.11.2020 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 27.500,00 € vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der klagende Bundesverband der Verbraucherzentralen nimmt die Beklagte auf Unterlassung von Geschäftspraktiken nach dem UKlaG in Anspruch.
2
Der Kläger ist ein Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und 26 weiterer verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland. Er ist in die Liste der qualifizierten Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG eingetragen.
3
Die Beklagte betreibt die Filiale F. Landstraße …,… Fr. am M.. Sie vertreibt das Lebensmittel mit der Bezeichnung „High Protein Quarkriegel“. Es wird als „Quarkriegel überzogen mit kakaohaltige Fettklausur, mit Zucker und Süßungsmittel, hoher Proteingehalt“ in den Verkehr gebracht.
4
Auf der Schauseite befindet sich die hervorgehobene Angabe: „[8,8 g PROTEIN*]“
5
Weder auf der Schauseite, noch auf der Rückseite wird das Sternchen bei Protein aufgelöst.
6
Mit Schreiben vom 08.07.2020 mahnte der Kläger die Beklagte wettbewerbsrechtlich ab (Anlage K2). Mit Schreiben vom 27.07.2020 verteidigte die Beklagte die angegriffene Angabe als rechtskonform (Anlage K3). Durch Email der anwaltlichen Vertreter der Beklagten vom 17.08.2020 (Anlage K4) wurde der Entwurf einer modifizierten Produktverpackung übermittelt. Hinsichtlich der weiteren Korrespondenz zwischen den Parteien wird auf die Anlagen K5 und K6 verwiesen.
7
Der Kläger meint, dass die konkrete Produktaufmachung gegen Art. 30 Abs. 3 Verordnung (EU) Nummer 1 169/2011 (LMIV) und zudem gegen Art. 3 lit. A) VO (EG) Nummer 1 924/2006 (LGVO) Art. 7 Abs. 1 lit. a), Abs. 2 und Abs. 4 LMIV verstoße.
8
Der Kläger vertritt die Rechtsauffassung, dass Art. 30 LMIV sowohl eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG als auch eine verbraucherschützende Vorschrift im Sinne des § 2 Abs. 1 UKlaG sei. 13 O 370/20 - Seite 3 - Der Kläger trägt vor, dass eine Wiederholung des Brennwerts nur zusammen mit den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz vorgesehen sei. Es handle sich hierbei um eine abschließende Regelung, sodass weitere Informationen nicht erlaubt seien.
9
Die nährwertbezogenen Angaben seien mehrdeutig und irreführend. Eine Information müsse klar und für den Verbraucher leicht verständlich sein. Die Angabe auf der Schauseite sei indes unklar, weil der Verbraucher keine Information enthalte, auf was sich diese Angabe beziehe. Eine Auflösung des Sternchens auf der Produktverpackung erfolge nicht.
10
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Vorgaben der LIMV den Bestimmungen der HCVO in Bezug auf Etikettierung und Nährwertdeklaration vorgehen würden. LIMV sei lex specialis und zudem die jüngere Norm. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien in Art. 29 LMIV geregelt, die HCVO falle hierunter nicht.
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen am Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen das Produkt High Protein Quarkriegel mit der Angabe „[8,8 g PROTEIN*]“ in den Verkehr zu bringen, sofern dies geschieht, wie in der Anlage K1 wiedergegeben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 210,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt
14
Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, dass kein Verstoß gegen Art. 30 Abs. 3 LMIV vorliege. Die Angabe des Proteingehalts von 8,8 g sei eine zulässige nährwertbezogene Angabe gemäß Anhang VO (EG) Nummer 1924/2006 (HCVO). Proteine seien als Nährstoffe definiert. Die Eu. F. Sa. Au. veröffentliche Referenzwerte für die Proteinzufuhr. Daher dürfe gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. i) und d) LIMV die Angabe „Enthält: Protein“ erfolgen. Zudem ergebe sich aus dem Anhang der HCVO, dass die nährwertbezogene Angabe „Proteinquelle“ unter hier erfüllten Voraussetzungen zulässig sei. Eine mehrfache Kennzeichnung hinsichtlich des Gehalts eines einzelnen Nährstoffs sei zulässig. Aus dem Anhang der HCVO ergebe sich, dass die nährwertbezogene Angabe „hoher Proteingehalt“ unter hier vorliegenden Bedingungen zulässig sei.
15
Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, dass die Angabe „8,8 g Protein“ weder unklar, noch irreführend, noch mehrdeutig sei. Der unbefangene, durchschnittliche Verbraucher gehe angesichts der Angabe davon aus, dass er ein Produkt mit 8,8 g Protein erhalte.
16
Das Gericht hat keinen Beweis erhoben. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2021 wird Bezug genommen.
17
Ebenso wird Bezug genommen wegen der Einzelheiten auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
Entscheidungsgründe
18
Die Klage ist zulässig und begründet.
19
I. Die Klage ist zulässig.
20
1. Das Landgericht Bamberg ist gemäß § 6 Absatz ein Satz 1, Abs. 2 UKlaG in Verbindung mit § 6 Nr. 3 GZVJu sachlich und örtlich zuständig.
21
2. Der Kläger ist aktivlegitimiert.
22
Eine Anspruchsberechtigung des Klägers gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG ist gegeben.
23
II. Die Klage ist begründet.
24
1. Der Kläger hat Anspruch auf Unterlassung gegen die Beklagte aus § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 LIMV.
25
a) Art. 7 LIMV ist Verbraucherschutzgesetz im Sinne des § 2 Abs. 1 Abs. 2 UKlaG (Köhler/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl., 2021, § 2 UKlaG Rz. 30b,c).
26
b) Das Gericht erachtet das streitgegenständliche Produkt als irreführend im Sinne des Art. 7 Absatz 1 Buchstabe a LMIV, da der Sternchen-Hinweis weder auf der Schauseite, noch auf der Rückseite aufgelöst wird. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a LIMV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung.
27
Dabei ist die Gesamtaufmachung des Lebensmittels entscheidend (Voit/Grube, LIMV, 2. Aufl., Art. 7 Rz. 47).
28
Der Sternchen-Hinweis wird unstreitig auf dem Produkt nicht aufgeklärt. Es findet sich kein Hinweis darauf, ob die Angabe Protein 8,8 g sich auf eine Portion (mit welcher Größe?) oder auf einen Referenzwert (mit welchem Basiswert?) bezieht. Es ist auch dem mündigen Verbraucher nicht zuzumuten, sich über die angegebene Nährwerttabelle diesen Wert zu erschließen.
29
Bei vergleichender Betrachtung mit dem Lauterkeitsrecht findet dieses Ergebnis eine Stütze. Ein üblicher Weg für eine rechtlich gebotene Aufklärung in der Werbung sind deutliche SternchenHinweise. Die Durchschnittsverbraucher sind diese gewohnt und werden sie bei neuartigen Angeboten auch zur Kenntnis nehmen. Ein Sternchen-Hinweis muss jedoch klar und unmissverständlich, gut lesbar und grundsätzlich vollständig sein. Er muss der klarzustellenden Aussage räumlich zugeordnet sein (Gloy/Loschelder/Danckwerts, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage, 2019 § 59 Randziffer 96). Diesen Anforderungen wird ein nicht aufgelöster Sternchen-Hinweis nicht gerecht.
30
2. Daher kommt es auf das zwischen den Parteien problematisierte Verhältnis zwischen den Vorgaben der LIMV und der HCVO nach Auffassung des Gerichts nicht an.
31
Lediglich ergänzend führt das Gericht aus, dass nach seiner Auffassung die LIMV kein lex specialis zur HCVO ist. Das Verhältnis der Normen zueinander ist weder durch die Legislative noch Judikative abschließend geklärt. Das Gericht tritt insoweit der Auffassung der Beklagtenseite bei, dass Unzulänglichkeiten des europäischen Gesetzgebers nicht zulasten des Rechtsanwenders gehen können (siehe auch Bruggmann: Neun Jahre Health-ClaimsVerordnung - kein Ende der Kinderkrankheiten in Sicht, LMuR 2015, 73).
32
Eine Entscheidung über die von den Parteien aufgeworfene Rechtsfrage ist im vorliegenden Fall auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines kerngleichen Verstoßes geboten.
33
Die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH liegen somit auch nicht vor.
34
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.