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OLG München, Urteil v. 18.02.2021 – 29 U 853/20
Titel:

Pflicht zur Angabe des Ursprungslandes bei einem Angebot von Obst und Gemüse über einen Online-Shop

Normenketten:
UWG § 3a
VO (EU) 1308/2013 Art. 76 Abs. 1
VO (EWG) 2913/92 Art. 23 ff.
VO (EU) 952/2013 Art. 60 Abs. 1
VO (EU) 543/2011 Art. 5 Abs. 3
Leitsätze:
1. Bei Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG. (Rn. 19 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mehrfachangaben zu den Ursprungsländern von Obst und Gemüse verstoßen gegen die Kennzeichnungspflicht aus Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013. (Rn. 28 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Pflicht zur Angabe eines konkreten Ursprungslandes vor Abschluss eines Vertrages bei dem Angebot von Obst und Gemüse besteht auch, wenn die Produkte im Wege des Fernabsatzes angeboten werden. (Rn. 33 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Nichtangabe des Ursprungslandes bei dem Angebot von Obst und Gemüse im Fernabsatz beeinträchtigt die Verbraucherinteressen spürbar im Sinne von § 3a UWG. (Rn. 41 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Italien, Berufung, Marktverhaltensregelung, Auslegung, Kennzeichnung, Spanien, Ware, Dienstleistungen, Marktteilnehmer, Marktverhalten, Unterlassung, Niederlande, Fernabsatz, Unionsrecht, nicht ausreichend, Waren oder Dienstleistungen, einheitliche Anwendung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 14.01.2020 – 1 HK O 6852/18
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 54500

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14.01.2020, Az. 1 HK O 6852/18, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer 1. a) des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 30.000,00 sowie aus Ziffer 2. des landgerichtlichen Urteils und aus Ziffer II. dieses Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe bzw. in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um lauterkeitsrechtliche Ansprüche wegen der Ursprungskennzeichnung von Kopfsalat, Paprika, Äpfeln, Trauben, Tomaten, Orangen und Zitronen im Online-Handel.
2
Der Kläger ist ein Verbraucherschutzverband, der in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach dem Unterlassungsklagengesetz eingetragen ist. Die Beklagte betreibt einen Online-Versandhandel, der unter anderem auch frische Lebensmittel anbietet.
3
Die Beklagte bot im November 2017 über ihre Webseite bestimmte Obst- und Gemüsesorten wie folgt mit jeweils mehreren möglichen Ursprungsländern an (Anlage K 1):
- Kopfsalat aus „Frankreich, Italien, Niederlande oder Belgien“
- Paprika Trikolor aus „Spanien, Niederlande, Marokko, Italien oder Israel“
- Äpfel Braeburn aus „Neuseeland, Chile oder Südafrika“
- Trauben hell kernlos 500 g aus „Brasilien, Peru, Namibia, Südafrika, Argentinien, Chile, Indien, Ägypten, Spanien, Italien, Griechenland, Portugal, Marokko“
- Tomaten Rispe Aromatico 250 g aus „Spanien, Marokko, Italien, Niederlande oder Belgien“
- Orangen 2 kg aus „Spanien, Italien, Südafrika, Simbabwe, Griechenland, Ägypten“
- Zitronen 500 g aus „Spanien, Italien, Südafrika, Argentinien, Uruguay, Türkei“
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Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 15.03.2018 (Anlage K 2) wegen der vermeintlich fehlenden Angabe des jeweils auf das konkrete Produkt bezogenen Ursprungslandes erfolglos ab.
5
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte müsse für die jeweiligen Obst- und Gemüsesorten ein einziges Ursprungsland angeben, nämlich dasjenige, aus dem das konkrete an den Kunden versandte Produkt stamme. Durch die Angabe verschiedener möglicher Ursprungsländer verstoße die Beklagte gegen die Marktverhaltensregeln der VO (EU) Nr. 543/2011, aus denen sich eine Pflicht zur Benennung eines einzelnen, nämlich des konkreten für das Produkt zutreffenden Ursprungslandes ergebe.
6
Der Begriff des Ursprungslandes sei nämlich aus dem Zollkodex (VO (EWG) Nr. 2913/92) und dem Unionszollkodex (VO (EU) Nr. 952/2013) zu entnehmen, wonach darunter nicht eine Vielzahl von Ländern zu verstehen sei, sondern ein einziges Land, in dem eine Ware gewonnen oder hergestellt worden sei.
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Nach der VO (EU) Nr. 543/2011 müssten die Informationen über das Ursprungsland bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz bereits vor Abschluss des Kaufvertrages verfügbar sein. Es sei folglich nicht ausreichend, dass die Kunden der Beklagten das Ursprungsland erst dann durch Informationen auf der Produktverpackung oder dem Produkt selbst erführen, sobald ihnen die bestellte Ware zugesandt worden sei. Einschlägig seien bei den streitgegenständlichen Obst- und Gemüsesorten auch nicht die Regelungen über Mischverpackungen.
8
Die Beklagte ist der Auffassung, im Online-Handel müsse kein einzelnes Ursprungsland für Obst und Gemüse angegeben werden, da das gar nicht möglich sei und auch nicht den Gewohnheiten der Verbraucher entspreche, die von Bestellungen schlicht absehen würden, wenn das von ihnen gewünschte Ursprungsland in der Liste nicht auftauche. Die Forderungen nach Angabe eines einzelnen Ursprungslandes seien im Online-Handel nicht erfüllbar, weil der Kunde bei den Lieferterminen innerhalb eines Zeitraums von 27 Tagen flexibel sei und nicht vorhergesagt werden könne, aus welchem Ursprungsland die Frischware stamme, die dann versandt werden könne. Wenn die Beklagte keinen Austausch vornehmen könne, würde sich der Anteil der Lebensmittel, die weggeworfen werden müssten, deutlich erhöhen.
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Die von der Klägerin herangezogenen Kennzeichnungsvorschriften der VO (EU) Nr. 543/2011 gälten nur auf der Großhandelsstufe, da dort nur sogenannte Packstücke geregelt würden.
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Variable Kennzeichnungsinformationen im Online-Handel seien auch von der EU-Kommission im Hinblick auf die LMIV (VO (EU) Nr. 1169/2011) anerkannt, so dass für die Ursprungskennzeichnung im Rahmen der VO (EU) Nr. 543/2011 nichts anderes gelten könne.
11
Die VO (EU) Nr. 543/2011 sei jedenfalls dann sachgerecht dahingehend auszulegen, dass die Angabe einer Liste möglicher Ursprungsländer ausreichen müsse, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Bestellung der Ware und deren Lieferung mehrere Tage oder Wochen lägen. Zudem lasse sich der VO (EU) Nr. 543/2011 selbst entnehmen, dass eine Kennzeichnung mit mehreren Ursprungsländern zulässig sei, wenn es sich wie vorliegend um eine Mischung von Produkten handle.
12
Das Landgericht hat der - ursprünglich auch einen zweiten Streitgegenstand umfassenden - Klage durch Teil-Versäumnis- und Endurteil vom 14.01.2020, Az. 1 HK O 6852/18, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, in vollem Umfang stattgegeben. Hinsichtlich des zweiten Streitgegenstandes (Ziffer 1. b) des landgerichtlichen Urteils) hat eine Säumnislage bestanden.
13
Die Beklagte greift das Urteil, soweit es als Endurteil ergangen ist (Ziffer 1. a) des landgerichtlichen Urteils), unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit ihrer Berufung an.
14
Die Beklagte beantragt,
das Teil-Endurteil des Landgerichts München I vom 14. Januar 2020, Az.: 1 HK O 6852/18, in Ziffer 1. lit. a des Tenors aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.
15
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
16
Zur Ergänzung wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2021 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
17
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
18
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Angebote für Obst und Gemüse ohne Angabe des konkreten Ursprungslandes wie in Anlage K 1 aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013, Art. 23 ff. VO (EWG) Nr. 2913/92, Art. 60 Abs. 1 VO (EU) Nr. 952/2013 und Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 543/2011 zu.
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1. Nach Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 dürfen Erzeugnisse des Sektors Obst und Gemüse (Anhang I, Teil IX der VO (EU) Nr. 1308/2013), die frisch an den Verbraucher verkauft werden sollen, nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie in einwandfreiem Zustand, unverfälscht und von vermarktbarer Qualität sind und das Ursprungsland angegeben ist. Bei Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG:
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a) Um als Marktverhaltensregelung nach § 3a UWG angesehen werden zu können, muss eine Vorschrift zumindest auch dazu bestimmt sein, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Wie sich aus dem Wort „auch“ ergibt, muss dieser Zweck nicht der einzige und nicht einmal der primäre sein (BGH WRP 2017, 536 Rn. 20 - Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln). Ob ein entsprechender Normzweck vorliegt, ist durch Auslegung der Norm zu ermitteln.
21
Als Marktverhalten ist jede Tätigkeit auf einem Markt anzusehen, die objektiv der Förderung des Absatzes oder Bezugs dient und durch die ein Unternehmer auf Mitbewerber, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer einwirkt. Dazu gehören nicht nur das Angebot und die Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen sondern auch die Werbung und der Abschluss und die Durchführung von Verträgen.
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Damit eine Vorschrift zumindest auch dazu bestimmt sein kann, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln, muss sie einen Wettbewerbsbezug in der Form aufweisen, dass sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt (BGH GRUR 2019, 970 Rn. 28 - Erfolgshonorar für Versicherungsberater; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 3a, Rn. 1.61 ff.).
23
b) Nach diesen Grundsätzen ist die in Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 enthaltene Pflicht, bei frischem Obst und Gemüse das Ursprungsland anzugeben, als Marktverhaltensregelung anzusehen.
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Die VO (EU) Nr. 1308/2013 stellt die sogenannte Gemeinsame Marktorganisations-VO (GMO) dar. Bei deren Herkunftskennzeichnungsverpflichtungen handelt es sich um Formen der Marktorganisation im Sinne einer Europäischen Marktordnung nach Art. 40 Abs. 1 lit. c AEUV und damit um Elemente einer gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte. Diese haben sich vorrangig an den Zielen des Art. 39 AEUV zu orientieren (Art. 40 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV), wobei es vor allem um die Produktivität der Landwirtschaft, die Stabilisierung der Märkte, die Versorgungssicherheit und schließlich die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen geht.
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Dies schließt freilich nicht aus, dass daneben weitere Ziele, wie namentlich der Verbraucherschutz nach Art. 12 AEUV, verfolgt werden, wenngleich das Interesse der Verbraucherinformation nicht primäres Ziel, sondern nur ein nachgelagerter Zweck ist (Sosnitza, GRUR 2016, 347, 352).
26
In Erwägungsgrund 72 der VO (EU) Nr. 1308/2013 ist in Bezug auf Obst und Gemüse die Rede vom Interesse der Verbraucher an einer angemessenen und transparenten Produktinformation. Damit wird deutlich, dass die Herkunftskennzeichnung für Obst und Gemüse in Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 zumindest auch dem Zweck dient, transparente Produktinformationen zu gewährleisten. Dass dies nicht der einzige oder primäre Zweck ist, spielt für eine Marktverhaltensregelung nach § 3a UWG keine Rolle.
27
Die Regelung dient auch objektiv der Förderung des Absatzes von Obst und Gemüse und wirkt insoweit auf Verbraucher ein, als diese ihre Nachfrage nach Obst und Gemüse aufgrund der Ursprungsangabe und der damit verbundenen Erwartungen an das Produkt steuern können. Damit schützt sie auch die Verbraucher in ihren wettbewerblichen Belangen bei der Nachfrage nach diesen Produkten. Produktkennzeichnungspflichten der VO (EU) Nr. 1308/2013 sind deshalb als Marktverhaltensregelungen nach § 3a UWG anzusehen (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 3a, Rn. 1.211a).
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2. Die Mehrfachangaben zu den Ursprungsländern gemäß Anlage K 1 verstoßen gegen die Kennzeichnungspflicht aus Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013, da hiernach „das“ Ursprungsland des jeweils konkret verkauften Produkts im Sinne einer Einzahl anzugeben ist.
29
Der Begriff des Ursprungslandes in Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 ist in der VO nicht definiert, sondern nach Art. 23 ff. der VO (EWG) Nr. 2913/92, dem sogenannten Zollkodex, sowie nach Art. 60 der seit dem 01.05.2016 an die Stelle des Zollkodex getretenen VO (EU) Nr. 952/2013, dem sogenannten Unionszollkodex, zu bestimmen (EuGH GRUR 2019, 1067 Rn. 51 - Wettbewerbszentrale/Prime Champ; BGH GRUR 2020, 432 Rn. 25 - Kulturchampignons II).
30
Nach Art. 23 Abs. 1 Zollkodex sind Ursprungswaren eines Landes Waren, die vollständig in diesem Land gewonnen oder hergestellt worden sind. Nach Art. 23 Abs. 2 lit. b Zollkodex sind vollständig in einem Land gewonnene oder hergestellte Waren pflanzliche Erzeugnisse, die in diesem Land geerntet worden sind. Nach Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex gelten Waren, die in einem einzigen Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind, als Ursprungswaren dieses Landes oder Gebiets. Nach Art. 31 lit. b der Delegierten VO (EU) Nr. 2015/2446 gelten im Sinne des Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex als Waren, die in einem einzigen Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind, dort geerntete pflanzliche Erzeugnisse.
31
Dass die von der Beklagten vertriebenen Obst und Gemüseprodukte als solche in einem einzigen Land geerntet werden, hat die Beklagte nicht bestritten. Folglich unterliegt sie der Verpflichtung, auch das konkrete Ernteland als Ursprungsland anzugeben. Dass die Beklagte Produkte verschiedener Ursprungsländer in ihrem Internetauftritt für den Vertrieb zusammenfasst, ändert an dieser Verpflichtung nichts, da nach dem oben Gesagten das Land der Ernte und nicht die Vermarktungsform maßgeblich ist.
32
Es kommt auch nicht darauf an, dass die Beklagte die Obst- und Gemüsesorten nicht auf der Großhandelsstufe und dort als Packstücke, sondern im Online-Einzelhandel vertreibt, da nach Art. 76 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1308/2013 die Vermarktungsnormen des Abs. 1 auf allen Stufen der Vermarktung gelten.
33
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist sie nicht deshalb von der Pflicht zur konkreten Ursprungslandangabe befreit, weil sie die verschiedenen Obst- und Gemüseprodukte im Wege des Fernabsatzes vertreibt.
34
Nach Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 543/2011 erfordert die Einhaltung der Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse, zu denen Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 zählt, im Falle von Vertragsabschlüssen im Fernabsatz nämlich, dass die Kennzeichnungsangaben vor Abschluss des Kaufvertrags verfügbar sind. Die VO (EU) Nr. 543/2011 ist - anders als die Beklagte meint - nach wie vor auf Kennzeichnungsvorschriften der Marktordnung anwendbar, weil Anforderungen an die Qualität und Güte ebenso wie finanzielle Förderungen zwangsläufig eine Bezeichnung der Produkte voraussetzen (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 177. EL Juli 2020, 315. Vorbemerkung Gemüse, Rn. 90; 330. Obst und Obsterzeugnisse, Allgemeine Vorbemerkung, Rn. 85).
35
a) Soweit die Beklagte der VO (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) die Möglichkeit entnehmen will, verschiedene Ursprungsländer einzelner Chargen vorab im Fernabsatz zu Listen zusammenzufassen, sofern sie nur bei der gelieferten Ware wieder einzeln aufgeführt sind, dringt sie damit nicht durch. Nach Art. 1 Abs. 4 LMIV gehen die in speziellen Rechtsvorschriften der Union für bestimmte Lebensmittel enthaltenen Kennzeichnungsvorschriften wie die Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 und Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 543/2011 für Obst und Gemüse der LMIV vor (vgl. Zipfel/Rathke, a.a.O.). Überdies enthält Art. 14 Abs. 1 lit. a) LMIV für verpflichtende Informationen über Lebensmittel eine mit Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 543/2011 inhaltlich identische Regelung, sofern nicht das - hier nicht interessierende - Mindesthaltbarkeits- bzw. Verbrauchsdatums betroffen ist.
36
b) Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil ein Arbeitspapier der EU-Kommission, Stimmen in der Literatur eines Mitgliedstaates, Unterlagen eines Lobbyverbandes oder Testberichte der Klägerin etwas anderes vorsehen möchten.
37
Im Hinblick auf das Arbeitspapier der EU-Kommission ist zu beachten, dass dieses keinen Normcharakter besitzt, sondern bloße Richtlinien enthält, nach denen die Kommission vorzugehen beabsichtigt, und solche Richtlinien der Kommission für die Auslegung des Unionsrechts grundsätzlich nicht verbindlich sind (vgl. EuGH EuZW 2000, 531 Rn. 89 - Kommission/Griechenland).
38
Im Übrigen ist Unionsrecht, insbesondere auch sekundäres Unionsrecht, euroautonom auszulegen, d.h. dass aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (st. Rspr. des EuGH, vgl. z.B. BeckRS 2020, 16041 Rn. 17 - COMI; GRUR 2019, 1198 Rn. 47 - Cookie-Einwilligung; GRUR 2019, 940 Rn. 62 - Reformistischer Aufbruch; NJW 2018, 1377 Rn. 32 - Mahnkopf; GRUR 2017, 1120 Rn. 70 - Nintendo/BigBen; EuZW 2011, 908 Rn. 25 - Brüstle). Aus dogmatischen Gründen verbietet es sich daher, wie die Beklagte zur Auslegung auf nationale Äußerungen oder Gepflogenheiten zurückzugreifen, da durch sie eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts infrage gestellt würde.
39
4. Soweit die Beklagte als Anspruchsvoraussetzung weiter die Gefahr einer Irreführung der Verbraucher ansehen möchte, kommt es hierauf im Rahmen von § 3a UWG i.V.m. Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 nicht an.
40
Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, verhält sich die Entscheidung des EuGH GRUR 2019, 1067 - Wettbewerbszentrale/Prime Champ nur dazu, dass bei einer Einhaltung von Vermarktungsvorschriften wie Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 keine Irreführung mehr vorliegen kann, lässt aber nicht den Umkehrschluss zu, dass bei einer - vermeintlich - fehlenden Irreführung auch kein Verstoß gegen Vermarktungsvorschriften vorliegen könne.
41
5. Schließlich fehlt es auch nicht an einer spürbaren Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen im Sinne von § 3a UWG durch die Zusammenfassung von Ursprungsländern für Obst und Gemüse im Internetauftritt der Beklagten.
42
Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung in Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 keine Vermutung der Spürbarkeit begründet, lässt sich konkret feststellen, dass er geeignet ist, den durchschnittlichen Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine solche Eignung ist anzunehmen, wenn das Verhalten des Unternehmers den Durchschnittsverbraucher davon abhalten kann, die Vor- und Nachteile einer geschäftlichen Entscheidung zu erkennen, abzuwägen und eine effektive Wahl zu treffen.
43
Dies ist vorliegend der Fall, weil der Verbraucher aufgrund der Auflistung einer Mehrzahl verschiedener Ursprungsländer für das angebotene Obst oder Gemüse nicht in der Lage ist zu erkennen, woher das ihm letztlich gelieferte Obst oder Gemüse stammen wird, und er folglich nicht in der Lage ist, die Vor- und Nachteile seiner geschäftlichen Entscheidung zu erkennen. Er kann den Erwerb von Obst und Gemüse nicht an qualitativen, ökologischen, sozialen, saisonalen oder sonstigen Kriterien im Hinblick auf ein bestimmtes Ursprungsland ausrichten, sondern muss es der Beklagten überlassen, welche Ware aus welchem Land sie ihm liefern wird.
44
Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung ist richtlinienkonform anhand der Legaldefinition in Art. 2 lit. k UGP-RL (RL 2005/29/EG) und damit weit auszulegen. Diese Definition erfasst „jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 3, Rn. 3.28). Das Argument der Beklagten, dass sich der Verbraucher durch die Mehrfachnennung der Ursprungsländer allenfalls dazu entschließen werde, von einer Bestellung bei ihr ganz abzusehen, ist daher unbeachtlich.
45
Im Hinblick auf sonstige Marktteilnehmer ergibt sich die Spürbarkeit zudem daraus, dass sich die Beklagte mit der Zusammenfassung der Ursprungsländer in Listen bis zur tatsächlichen Lieferung die Auswahl unter Obst und Gemüsesorten verschiedener Ursprungsländer offenhält und sich so einen Vorteil gegenüber Wettbewerbern verschafft, die sich durch die die rechtskonforme Angabe eines einzigen Ursprungslandes vor Abschluss des Kaufvertrages gebunden haben.
46
6. Entgegen der Auffassung der Beklagten war bei der Kostenentscheidung auch keine teilweise Kostentragungspflicht des Klägers nach §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO anzunehmen.
47
Eine Teilklagerücknahme im Sinne von § 269 ZPO setzt grundsätzlich das Vorliegen mehrerer Streitgegenstände oder eine Teilbarkeit des Streitgegenstands voraus (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl., § 269, Rn. 6). Vorliegend betraf der nicht mehr im zuletzt in erster Instanz gestellten Antrag enthaltene Teil („… und dies auch für im Kern gleiche Verletzungshandlungen (ebenso kennzeichnungspflichtige Lebensmittel und/oder anderer Name der Internetseite) zu unterlassen“) zum ausgeurteilten Verbot kerngleiche Verletzungshandlungen, die jedoch keinen anderen Streitgegenstand oder einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes bildeten. Die im Klageantrag angegebene konkrete Verletzungsform bildet einen einheitlichen Streitgegenstand, der auch kerngleiche Verstöße umfasst (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 1.23e, 1.23f, 1.23g).
48
7. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
49
8. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat aufgrund ihres Einzelfallcharakters keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Eine Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht, weil der Senat nicht als letztinstanzliches Gericht eines Mitgliedstaates entscheidet (vgl. EuGH EuZW 2009, 75 Rn. 76 - Cartesio).