Titel:
Urheberrechtsverletzung durch öffentliche Zugänglichmachung eines Gedichts
Normenkette:
UrhG § 2, § 16, § 19a, § 72, § 97 Abs. 2, § 97a Abs. 3
Leitsätze:
1. Eine Schadensersatzpflicht wegen einer Urheberrechtsverletzung scheidet nicht ohne weiteres allein deshalb aus, weil das betroffene Werk vom Urheber auf einer kostenfreien Internetplattform eingestellt wird. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sinn und Zweck der Berechnung des Schadens nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie ist es, dem Urheber in den Fällen, in denen die Bestimmung eines konkreten Schadens nicht oder nur schwer möglich ist, eine Schadensbemessung zu ermöglichen, etwa weil der Verletzte die vom Rechtsverletzer vorgenommene Nutzung selbst gar nicht vornimmt; entscheidend ist, ob das geschützte Recht derart ausgewertet wird, dass der Verletzer dessen kommerzielles Potential ausbeutet, ohne hierzu berechtigt zu sein. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Berufung, Schadensersatzanspruch, Urheberrecht, Unterlassungsanspruch, Zustimmung, Zahlung, Abmahnkosten, Erstattung, Urheberrechtsverletzung, Abmahnung, Verletzung, Lizenzanalogie, Internet, Kosten des Rechtsstreits, Die Fortbildung des Rechts, Kosten des Berufungsverfahrens
Vorinstanz:
AG München, Urteil vom 02.04.2020 – 161 C 17971/19
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 46224
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten hin wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 02.04.2020, Az. 161 C 17971/19, abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 945,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.09.2019 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 02.04.2020, Az. 161 C 17971/19, wird zurückgewiesen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu 3/4, der Kläger zu 1/4 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 850,00 € und die Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten in Höhe von 805,20 € wegen unberechtigter Verwendung eines Gedichts im Internet geltend.
2
Der Kläger ist Autor verschiedener Gedichte, unter anderem des nachfolgenden, sieben Strophen umfassenden Gedichts mit dem Titel „Dachdeckers Weihnachtsgedicht“:
„Der Dachdecker - man mags kaum glauben deckt aller Dächer, nicht nur Gauben.
Baut Fenster ein und schneidet Latten- und nagelt fest auch Schieferplatten.
Montiert auch Rinne, Rohr und Bogen saniert auch Wände ungelogen.
Beim Dacheindecken stets bedacht - ob er auch alles dicht gemacht.
Doch was er heute möcht - an diesen Tagen - ist der lieben Kundschaft Danke sagen.
Für das Vertrauen in uns - an dieser Stelle - bedankt sich Lehrling, Meister und Geselle.
Wir wünschen Ihnen nur das Beste- und nicht nur jetzt zum Weihnachtsfeste.“
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Dieses Gedicht veröffentlichte der Kläger im Internet auf der für interessierte Nutzer kostenlos zugänglichen Webseite www…..de. Dabei wurde auf der Webseite zugleich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Angebot für Autoren und Leser kostenlos ist und weder die Veröffentlichung noch der Abruf der Texte Geld kostet. Zugleich erfolgte ein Hinweis darauf, dass die Autoren die Urheberrechte an ihren Texten behalten und jederzeit eine Löschung von Texten oder deren Profile beantragen können. Unter den über den Link https://www…..de/urheberrecht.html abrufbaren Richtlinien zum Thema „Urheberrecht“ erfolgt darüber hinaus ein weiterer, ausdrücklicher Hinweis folgenden Inhalts:
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Auf diese Richtlinien wurde unmittelbar unterhalb des streitgegenständlichen, auf www…..de abgedruckten Gedichts mit folgendem weiteren Hinweis Bezug genommen:
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Der Beklagte ist selbständiger Dachdeckermeister. Auf seiner Facebookseite „…“ veröffentlichte der Beklagte das vorgenannte Gedicht für einen Zeitraum von 9 Monaten einschließlich dem 20.08.2019, ohne den Kläger zuvor kontaktiert und um Erlaubnis gefragt zu haben. Ein Urhebervermerk war zudem nicht angebracht.
6
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers forderten den Beklagten mit Schreiben vom 30.08.2019 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und Zahlung von Schadensersatz und Abmahngebühren in Höhe von insgesamt 1.655,20 € auf. Der Beklagte gab daraufhin die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, in der er sich verpflichtete, es ab sofort zu unterlassen, das Gedicht mit dem Titel „Dachdeckers Weihnachtsgedicht“ ohne Zustimmung des Klägers zu vervielfältigen bzw. vervielfältigen zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen bzw. öffentlich zugänglich machen zu lassen. Mit der am 15.11.2019 der Beklagtenseite zugestellten Klage verfolgte der Kläger die ihm nach seinem Dafürhalten zustehenden Zahlungsansprüche weiter.
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Mit Urteil vom 02.04.2020 hat das Amtsgericht München den Beklagten wie folgt verurteilt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.005,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.09.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 39 Prozent und der Beklagte 61 Prozent zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Zur Begründung der Verurteilung zur Zahlung führt das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Ausführungen Bezug genommen wird, aus:
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 97 Abs. 2 UrhG auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 200 € sowie aus § 97 Abs. 2 UrhG einen Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 805,20 €.
I. (…) 2. Durch das unbestrittene Einstellen des streitgegenständlichen Gedichts auf seiner Facebookseite hat der Beklagte dieses gemäß §§ 72 Abs. 1, 16, 19a UrhG vervielfältigt und damit das Urheberrecht des Klägers verletzt. Das Gedicht ist als Sprachwerk urheberrechtlich geschützt.
Der Beklagte hat zumindest auch fahrlässig und damit schuldhaft gehandelt. Hieran besteht für das Gericht kein Zweifel. Der Verwender eines urheberrechtlich geschützten Werks muss vor der Verwendung seine Befugnis hierzu umfassend prüfen.
3. Der Beklagte ist somit gemäß § 97 Abs. 2 UrhG dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet. Durch die unberechtigte Benutzung des streitgegenständlichen Gedichts verursachte der Beklagte einen Schaden in Höhe von insgesamt 100 €, welchen das Gericht gemäß § 287 ZPO der Höhe nach schätzt.
a) § 97 Abs. 2 UrhG ermöglicht - wie schon die frühere Rechtsprechung bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten - dem Verletzten wegen der besonderen Beweisschwierigkeiten, die der Verletzte hat, neben dem Ersatz des konkreten Schadens weitere Wege der Schadensermittlung. Danach kann der Schaden auch in Höhe einer angemessenen Lizenzgebühr berechnet werden. Der Verletzte hat daher das Wahlrecht, wie er seinen Schadensersatzanspruch berechnen will. Vorliegend hat der Kläger die Berechnung im Wege der Lizenzanalogie gewählt. Bei der Berechnung der angemessenen Lizenzgebühr ist rein objektiv darauf abzustellen, was bei vertraglicher Einräumung der Rechte ein vernünftiger Lizenzgeber gefordert und ein vernünftiger Lizenznehmer gewährt hätte, wenn beide im Zeitpunkt der Entscheidung die genaue Sachlage gekannt hätten. Diese Schadensberechnung beruht auf der Erwägung, dass derjenige, der ausschließliche Rechte anderer verletzt, nicht besser stehen soll, als er im Falle einer ordnungsgemäß erteilten Erlaubnis durch den Rechtsinhaber gestanden hätte. Damit läuft die Lizenzanalogie auf die Fiktion eines Lizenzvertrages der im Verkehr üblichen Art hinaus. In welchem Ausmaß und Umfang es konkret zu einem Schaden gekommen ist, spielt dabei keine Rolle.
b) Nach diesen Grundsätzen wäre die Berechnung der angemessenen Vergütung nach den üblichen Tarifen, die der Beklagte bei Einholung einer Nutzungserlaubnis beim Kläger zu entrichten gehabt hätte, vorzunehmen. Dabei ist unerheblich, ob der Beklagte selbst bereit gewesen wäre, für seine Nutzungshandlung eine Vergütung in dieser Höhe zu zahlen.
Der Schadensersatzpflicht des Beklagten steht auch nicht entgegen, dass der Kläger das Gedicht den Nutzern der Plattform ….de grundsätzlich unentgeltlich zur Verfügung stellte.
Vorliegend führt nach Überzeugung des Gerichts die Tatsache, dass das Gedicht - bei Einhaltung der entsprechenden Bedingungen - auch kostenlos hätte genutzt werden können, nicht dazu, dass dem Gedicht kein Wert beizumessen wäre. Der Urheber kann in diesen Fällen regelmäßig eine angemessene Lizenzgebühr verlangen, wenn die Nutzung außerhalb der erlaubten Nutzungsart liegt, vgl. hierzu Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 12. Auflage, § 97 Rn. 93a. Vorliegend war die streitgegenständliche Nutzung nicht von den Nutzungsbedingungen der Plattform erfasst.
Der Kläger hat ein Interesse daran, dass die Lizenzbedingungen eingehalten werden. Wenn dies nicht der Fall ist und eine Lizenz daher nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass ein vernünftiger Lizenzgeber bei vertraglicher Einräumung des Nutzungsrechts sehr wohl eine Lizenzzahlung gefordert und ein vernünftiger Lizenznehmer eine solche auch gezahlt hätte. Die Tatsache, dass das Gedicht bei einer zulässigen Nutzung kostenlos verfügbar war, ist allerdings bei der Schätzung des Werts zu berücksichtigen.
Nach der Einschätzung des Gerichts ist für die streitgegenständliche Nutzung eine Vergütung in Höhe von 100 Euro anzusetzen. Unstreitig war das Bild 9 Monate auf der Facebookseite des Beklagten eingestellt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass das Gedicht zumindest auch gewerblich genutzt wurde. Dies ergibt aus der Anlage K03, in der ersichtlich ist, dass das Gedicht unter der Bezeichnung „…“ genutzt wurde.
c) Nach § 13 UrhG hat der Urheber das Recht auf Anerkennung seiner Urhebereigenschaft am Werk. Er kann bestimmen, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen ist und welche Bezeichnung zu verwenden ist.
Die Verwendung des Gedichts auf der Facebookseite des Beklagten ohne die Benennung des Klägers als Urheber verletzt dessen Rechte aus § 13 Satz 2 UrhG. Dem Urheber steht daher grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch gemäß § 97 Abs. 2 UrhG zu, der in Übereinstimmung mit der wohl überwiegend vertretenen Auffassung in der Rechtsprechung sowie in ständiger Rechtsprechung des hiesigen Gerichts mit einem Zuschlag in Höhe von 100% des üblichen Nutzungshonorars zu bemessen ist (§ 287 ZPO). Der Kläger hat daher einen Anspruch auf Zahlung weiterer 100 € als Schadensersatz für die Verletzung der Rechte gegen den Beklagten.
d) Die Klage war abzuweisen, soweit der Kläger 150 € für die Dokumentation der begangenen Rechtsverletzungen begehrt. Der Vortrag wie sich dieser Betrag zusammensetzt und woraus genau sich diese Summe ergibt ist unsubstantiiert und für das Gericht nicht überprüfbar. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Nutzung des Gedichts grundsätzlich kostenlos ermöglicht. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass dem Kläger laufende Kosten für die Prüfung von Rechtsverletzungen entstehen.
II. Der Beklagte ist darüber hinaus verpflichtet, dem Kläger gemäß § 97 Abs. 2 UrhG die für die Abmahnung entstandenen Anwaltskosten zu erstatten, da die Abmahnung berechtigt war. Es bestand aufgrund der widerrechtlichen Nutzung des Gedichtes ein Unterlassungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten.
1. Den von der Klägerseite angesetzten Gegenstandswert in Höhe von 10.000,- € erachtet das Gericht für angemessen.
Die Feststellung des Streitwerts resultiert grundsätzlich aus einer Schätzung des Gerichtes. (…) Bei der Bemessung stellt die eigene Wertangabe des Klägers zu Beginn des Verfahrens in der Regel ein gewichtiges Indiz für eine zutreffende Bewertung dar (OLG München, Beschluss vom 06.03.2012; Az. 29 W 399/12).
In diesem Zusammenhang war zu berücksichtigen, dass die Qualität des Gedichts erheblich ist. Ferner war die Nutzung nach Überzeugung des Gerichts zumindest auch gewerblich. Mit der widerrechtlichen Veröffentlichung des Gedichts im Internet war darüber hinaus die Gefahr der unkontrollierbaren Weiterverbreitung verbunden. Zusammenfassend ergibt sich mithin ein erheblicher Eingriff.
2. Damit ergibt sich nach dem RVG ein Anspruch des Klägers in Höhe von 785,20 € plus 20,00 € Auslagenpauschale, mithin insgesamt 805,20 €.
3. Die Formulierung der Abmahnung verstößt auch nicht gegen § 97a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 UrhG, weil eine Vervielfältigung durch Dritte aufgenommen wurde („vervielfältigen bzw. öffentlich zugänglich machen zu lassen“). Es handelt sich hierbei um eine kerngleiche Handlung. Kerngleich sind nämlich diejenigen Handlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Dies ist vorliegend der Fall, denn ein effektiver Rechtsschutz des Klägers verlangt vorliegend, dass eine Vervielfältigung/Veröffentlichung beispielsweise durch Mitarbeiter ebenfalls ausgeschlossen ist. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die Abmahnung keine andere urheberrechtlich relevante Verletzungshandlung enthält.
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Das Urteil wurde dem Beklagten am 02.04.2020 zugestellt (Bl. 64Z d.A.). Am 30.04.2020 hat der Beklagte per elektronischem Anwaltspostfach gegen das Urteil Berufung eingelegt (Bl. 73/74 d.A.) und diese nach antragsgemäß gewährter Fristverlängerung am 02.07.2020 begründet (Bl. 78/85 d.A.). Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 24.08.2020, eingegangen bei Gericht am 25.08.2020, Anschlussberufung eingelegt und diese zugleich begründet (Bl. 88/97 d.A.).
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Der Beklagte begehrt eine Aufhebung des mit seiner Berufung angegriffenen Urteils und vollumfängliche Abweisung der Klage. Zur Begründung trägt der Beklagte wie folgt vor:
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Das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft einen Anspruch auf Zahlung von fiktiven Lizenzkosten in Höhe von 100,00 € nebst einem Verletzerzuschlag in gleicher Höhe angenommen und dies unzutreffend mit einer angeblich 9-monatigen Nutzung eines Bildes begründet, obwohl der Beklagte unstreitig ein Weihnachtsgedicht des Klägers auf seine Facebookseite eingestellt habe und kein Bild. Ein Zahlungsanspruch komme überdies nicht in Betracht, weil der Kläger auf der kostenfreien Internetplattform www…..de gar keine Lizenzerlöse erzielt. Eine sonstige Kommerzialisierung des Gedichts gegenüber Verlagen oder anderen Nachfragern habe der Kläger nicht dargelegt. Mangels schlüssiger Darlegung und mangels Nachweises einer eigenen Lizenzierungspraxis könne ein Zahlungsanspruch aber nicht bestehen. Mit der kostenlosen Veröffentlichung auf der Plattform ….de habe sich der Kläger gerade dazu entschlossen, sein Gedicht nicht unmittelbar vermögenswert zu nutzen.
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Auch der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten bestehe im Ergebnis nicht. Insoweit habe das Amtsgericht übersehen, dass die gegenüber dem Beklagten erfolgte Abmahnung unwirksam ist, da die geforderte Unterlassungserklärung entgegen § 97a Abs. 2 Nr. 4 UrhG über den eigentlich bestehenden Unterlassungsanspruch hinausging. Der Kläger könne allenfalls eine Unterlassung durch den Beklagten selbst zu verlangen, nicht aber durch Dritte.
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Weiter habe das Gericht das ihm zustehende Ermessen bei der Festsetzung des der Berechnung der Abmahnkosten zu Grunde liegenden Gegenstandswerts rechtsfehlerhaft ausgeübt. Allenfalls hätte der Auffangstreitwert des § 23 Abs. 3 RVG in Höhe von 5.000,00 € festgesetzt werden dürfen. Zumindest hätte das Amtsgericht bei der Annahme eines Gegenstandswerts von 10.000,00 € die nach dem RVG geschuldeten Gebühren nur auf einen Betrag von 725,40 € zuzüglich einer Auslagenpauschale von 20,00 € festsetzen dürfen.
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Der Beklagte b e a n t r a g t im Berufungsverfahren:
Das Urteil des Amtsgerichts München vom 12. März 2020, Az.: 161 C 17971/19, wird teilweise geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
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Der Kläger b e a n t r a g t:
Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
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Der Beklagte wird auf die Anschlussberufung hin verurteilt, dem Kläger über den vom Amtsgericht München zuerkannten Betrag hinaus weitere EUR 400,00 zu zahlen.
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Der Kläger ist der Meinung, dass das Amtsgericht in dem Umfang zutreffend entschieden habe, wie es der Klage stattgegeben habe. In den Richtlinien der Literaturplattform ….de würde ausdrücklich auf das Erfordernis der Zustimmung für eine andere als von der Plattform vorgesehene Nutzung hingewiesen. Auch nichtkommerziellen Urhebern sei insbesondere in Fällen wie hier vorliegender gewerblicher Nutzungen ein Schadensersatzanspruch zuzusprechen.
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Dem Kläger stehe aber darüber hinaus ein weitergehender Zahlungsanspruch in Höhe von 400,00 € zu. Seit April 2020 biete der Kläger aufgrund der hohen Beliebtheit seiner Gedichte auf seiner Facebookseite als Kleinunternehmer Nutzungslizenzen zu Lizenzpreisen zwischen 280,00 € und 400,00 € an. Da die Lizenzierungspraxis erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht München aufgenommen worden sei, müsse diese im Rahmen des Berufungsverfahrens berücksichtigt werden.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 31.03.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgemäß eingelegte und begründete Berufung des Beklagten hat in der Sache - wenn auch in nur geringem Umfang - teilweise Erfolg. Die Anschlussberufung des Klägers war vollumfänglich als unbegründet zurückzuweisen.
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Das Amtsgericht hat dem Kläger dem Grunde nach zu Recht einen Anspruch auf Zahlung von Schadens- und Aufwendungsersatz gemäß §§ 97 Abs. 2, 97a Abs. 3 Satz 1, 16, 19a UrhG zugesprochen. Lediglich der Höhe nach war, worauf die Berufung zutreffend hinweist, das Urteil insoweit abzuändern, als das Amtsgericht ausgehend von einem Streitwert von 10.000,00 € zu Unrecht anstatt 725,40 € eine Gebühr von 785,20 € angenommen hat. Im Übrigen hat das Amtsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die mit der Anschlussberufung seitens des Klägers geltend gemachten, weitergehenden Schadensersatzansprüche bestehen nicht.
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I. Dem Kläger steht der vom Amtsgericht zuerkannte Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 200,00 € aus §§ 97 Abs. 2, 16 Abs. 1, 19a UrhG zu.
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1. Soweit das Amtsgericht in seiner Begründung auf §§ 72 Abs. 1, 16, 19a UrhG abgestellt und ausgeführt hat, dass „das Bild“ unstreitig 9 Monate auf der Facebookseite des Beklagten eingestellt gewesen sei, liegt ein offensichtliches Schreibversehen vor. Sowohl aus dem Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils als auch der Urteilsbegründung im Übrigen ergibt sich eindeutig und ohne jeden vernünftigen Zweifel, dass dem eine von dem Beklagten schuldhaft begangene Urheberrechtsverletzung zu Grunde liegt, indem dieser das unstreitig von dem Kläger verfasste Gedicht mit dem Titel „Dachdeckers Weihnachtsgedicht“ als urheberrechtlich geschütztes Schriftwerk auf seiner zumindest auch gewerblich genutzten Facebookseite für einen Zeitraum von 9 Monaten veröffentlicht hat. An der gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG notwendigen Schöpfungshöhe hat das Gericht keinerlei Zweifel.
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2. Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand der Berufung, dass eine Schadensersatzpflicht nicht in Betracht komme, weil der Kläger auf der kostenfreien Internetplattform www…..de keine Lizenzerlöse erziele und der Kläger eine sonstige Kommerzialisierung des Gedichts gegenüber Verlagen oder anderen Nachfragern nicht dargelegt und bewiesen habe. Die Berufung verkennt dabei, dass zwar der unmittelbare Werkgenuss über die Literaturplattform ….de kostenlos ermöglicht wird, jede weitere Werknutzung aber von der entsprechend einzuholenden Erlaubnis des Urhebers abhängig ist. Dem klar verständlichen und für jeden Nutzer ohne weiteres zugänglichen, unmittelbar unterhalb des streitgegenständlichen Gedichts abgebildeten Hinweis zufolge liegen die entsprechenden Rechte bei dem namentlich zudem nochmals ausdrücklich genannten Kläger. Weiter werden Nutzer über den Link „Urheberrecht“, welcher unmittelbar neben dem vorstehenden Hinweis abgebildet ist, explizit darauf hingewiesen, dass das Einverständnis des jeweiligen Autors benötigt wird, wenn Texte für eigene Publikationen, Internetseiten, Bücher, etc. genutzt werden sollen und das Kopieren der Texte auf andere Internetseiten ohne Zustimmung des Verfassers gegen das Urheberrecht verstößt.
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Dass der Beklagte den Kläger kontaktiert und um Erlaubnis gefragt hat, bevor er das streitgegenständliche Gedicht auf seine Facebookseite gestellt und dort veröffentlicht hat, trägt der Beklagte selbst nicht vor. Damit ist die Widerrechtlichkeit des Handelns des Beklagten letztlich evident.
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3. Weiter vermag die Kammer auch insoweit keinen Rechtsfehler zu erkennen, als das Amtsgericht dem Kläger der Höhe nach einen Schadensersatzanspruch von 200,00 € zugesprochen hat.
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a. Das Argument, dass mangels einer tatsächlichen Lizenzierungspraxis des Klä gers ein bezifferbarer Schadensersatzanspruch nicht bestehe, verfängt nicht.
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Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts ergibt sich im Falle einer wie hier erfolgten Urheberrechtsverletzung bereits unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut des § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG, dass der Kläger als Urheber den ihm entstanden Schaden nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie bestimmen kann. Für die Berechnung eines Schadens nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie kommt es aber entgegen der Berufung nicht darauf an, dass eine tatsächliche Lizenzierungspraxis besteht. Bestünde eine tatsächliche Lizenzierungspraxis, würden entsprechende Lizenzbeträge bereits als konkreter Schaden in Höhe des entgangenen Gewinns erstattet. Sinn und Zweck der Berechnung des Schadens nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie ist aber gerade, dem Urheber in den Fällen, in denen die Bestimmung eines konkreten Schadens nicht oder nur schwer möglich ist, eine Schadensbemessung zu ermöglichen, etwa weil der Verletzte die vom Rechtsverletzer vorgenommene Nutzungsart selbst gar nicht vornimmt (Reber in Ahlberg/Götting, BeckOK Urheberrecht, 30. Edition, Stand: 15.01.2021, § 97 UrhG Rn. 120). Entscheidend ist vielmehr, ob das geschützte Recht derart ausgewertet wird, dass der Verletzer dessen kommerzielles Potential ausbeutet, ohne hierzu berechtigt zu sein (vgl. BGH, GRUR 1973, 375, 377 - Miss Petite; Reber, a.a.O.; v. Wolff in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl. 2019, § 97 UrhG Rn. 69 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat der BGH für den Fall einer Persönlichkeitsrechtsverletzung entschieden, dass bereits die unberechtigte Ausnutzung des fraglichen Rechts für kommerzielle Zwecke zeige, dass der Verletzer dem Recht einen wirtschaftlichen Wert beimesse. Ausdrücklich hat der BGH in diesem Zusammenhang betont, dass sich der Verletzer damit an der von ihm selbst geschaffenen vermögensrechtlichen Zuordnung festhalten lassen und einen der Nutzung entsprechenden Wertersatz leisten muss (BGH, GRUR 2007, 139, 140 Rn. 12 - Rücktritt eines Finanzministers). Dies muss erst Recht für das über persönlichkeitsrechtliche Befugnisse hinaus bereits genuin eine vermögensrechtliche Sphäre aufweisende Urheberrecht gelten.
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Allenfalls könnte ein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie daher dann ausscheiden, wenn der Urheber für die fragliche Nutzungsart kostenlose Lizenzen erteilt hätte (vgl. OLG Köln, GRUR 2015, 167, 173 - Creative-Commons-Lizenz; Reber, a.a.O.). Das ist vorliegend indes ersichtlich nicht der Fall. Obwohl das Gedicht des Klägers ausdrücklich unter dem Vorbehalt seiner Erlaubnis zur bloßen Lektüre auf der Literaturplattform ….de im Internet abgedruckt war und jede weitere Nutzung ersichtlich die Zustimmung des Klägers erfordert hätte, hat der Beklagte das Gedicht auf der Facebook-Seite seines Dachdeckerbetriebs veröffentlicht und dieses somit zumindest auch kommerziell verwertet. An der dem Grunde nach bestehenden Schadensersatzpflicht verbleiben daher keinerlei Zweifel.
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b. Keinerlei Zweifel hat die Kammer auch an der seitens des Amtsgerichts zutreffend erfolgten Bemessung des Schadens in Höhe eines Betrages von 100,00 € (vgl. auch BGH, GRUR 2019, 292, 293 f. - Foto eines Sportwagens). Ebenso zutreffend hat das Amtsgericht dem Kläger einen Verletzerzuschlag in Höhe von 100% zugesprochen. Dass im Falle einer wie hier unstreitig unterbliebenen Urheberbenennung ein entsprechender Verletzerzuschlag zu gewähren ist, ist in der ständigen Rechtsprechung des hiesigen Gerichts anerkannt und wird auch höchstrichterlich nicht in Frage gestellt (vgl. BGH, a.a.O.).
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c. Entgegen der Anschlussberufung kommen indes keine den Betrag von 200,00 € übersteigenden Schadensersatzansprüche in Betracht. Inwieweit der Vortrag des Klägers, unmittelbar nach Schluss der mündlichen Verhandlung begonnen zu haben, seine Gedichte entgeltlich zu lizenzieren, glaubwürdig ist, lässt die Kammer ausdrücklich offen. Auf diese Frage kommt es bereits aus rechtlichen Gründen nicht an. Für die Bemessung des Schadens sind die Umstände im Zeitpunkt der Verletzungshandlung entscheidend. Zu diesem Zeitpunkt bestand eine entgeltliche Lizenzierungspraxis aber unstreitig nicht. Die Anschlussberufung war daher vollumfänglich als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Dem Grunde nach zu Recht hat das Amtsgericht dem Kläger darüber hinaus einen Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten zugesprochen.
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1. Entgegen der Berufung ist der Kläger mit der von ihm geforderten Unterlas sungserklärung nicht über die Reichweite der ihm gesetzlich zustehenden Unterlassungsansprüche hinausgegangen. Seiner Reichweite nach erfasst der Unterlassungsanspruch gemäß § 97 Abs. 1 UrhG auch Verletzungshandlungen, die der Verletzer nicht selbst, sondern durch Dritte vornehmen lässt (vgl. BGH, GRUR 2020, 738, 743 Rn. 48 - Internet-Radiorecorder; OLG Karlsruhe, BeckRS 2011, 28840; OLG München, GRUR-RR 2010, 157 - Völkischer Beobachter).
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2. Die durch das Amtsgericht erfolgte Bemessung des Gegenstandswerts in Höhe von insgesamt 10.000,00 € ist sachgerecht. Insbesondere lassen die Erwägungen des Amtsgerichts keine Rechtsfehler erkennen. Die indizielle Wirkung der Wertangabe der Partei ist in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt (vgl. Wendtland in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 40. Edition, Stand: 01.03.2021, § 3 ZPO Rn. 1 m.w.N.). Auch die Berücksichtigung der Qualität des Gedichts und das Ziel der Vermeidung gleichgelagerter, künftiger Verstöße ist sachgerecht.
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3. Zu Recht rügt die Berufung aber, dass das Amtsgericht ausgehend von einem Gegenstandswert von 10.000,00 € eine 1,3fache Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 785,20 € festgesetzt hat. Bis zu einem Gegenstandswert von 10.000,00 € beträgt eine einfache Gebühr gemäß Anlage 2 RVG nach der im Zeitpunkt der Abmahnung maßgeblichen Fassung richtigerweise 558,00 €. Erst ein 10.000,00 € übersteigender Betrag löst den Gebührensprung zu dem Betrag von 604,00 € aus. Das amtsgerichtliche Urteil war daher insoweit abzuändern und der Beklagte zur Zahlung der in Höhe von 725,40 € geschuldeten Rechtsanwaltskosten nebst Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 € zuzüglich des vom Amtsgericht zutreffend festgestellten Schadensersatzanspruchs in Höhe von 200,00 € zu verurteilen.
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Auswirkungen auf die Kostenentscheidung des Amtsgerichts ergeben sich hieraus nicht. Angesichts der nur geringfügig zu hoch bemessenen Rechtsanwaltsgebühren ist die durch das Amtsgericht erfolgte Quotelung gemäß § 92 Abs. 1 ZPO zutreffend und sachgerecht.
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III. Die Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10 Satz 1 ZPO (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 41. Aufl. 2020, § 97 ZPO Rn. 5).
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefestigter Rechtsgrundsätze.