Titel:
Unzulässige Bewerbung eines Original Rotbiers aufgrund Irreführung über die Herstellung
Normenketten:
UWG § 5 Abs. 1
VO (EU) 1169/2011 Art. 7 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Verwendung der Bezeichnung „Original“ in Verbindung mit einem Lebensmittel wird im Sinne von echt und ursprünglich sowie dahin verstanden, dass die Herstellung im Rahmen der für dieses Lebensmittel allgemein gebräuchlichen Rezepte erfolgt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bezugnahme auf traditionelles Brauhandwerk in Verbindung mit überlieferter Rezeptur wird dahin verstanden, dass diese auch heute, wenngleich gewandelten brautechnischen Erkenntnissen folgend, die aktuelle Braukunst bestimmt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Vernichtung verletzenden Werbematerials ist nicht vom Beseitigungsanspruch umfasst. Geschäftspapiere können und müssen nicht zurückgerufen werden. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Anspruch auf Veröffentlichung eines Urteils besteht dann nicht, wenn die Presse bereits hinreichend über das Verfahren und dessen Ausgang berichtet hat. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Frist, Ordnungshaft, Unterlassungsanspruch, werben, Auskunft, Durchschnittsverbraucher, Verkehrskreise, Beweislast, Verkehr, Lebensmittel, Schaden, Zuwiderhandlung, Form, von Amts wegen, Darlegungs und Beweislast, keinen Erfolg
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 24683
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu insgesamt 2 Jahren, Ordnungshaft auch für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit des Ordnungsgeldes,
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken
1. das Produkt … unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder in den Verkehr bringen zu lassen.
2. mit den Angaben „Original … Rotbier“ und „das Original … Rotbier“ zu werben oder werben zu lassen.
3. wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, das Produkt … werde traditionell hergestellt.
II. Die Beklagte wird verurteilt, binnen 4 Wochen alle unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ in den Handel gebrachten Produkte aus den Vertriebswegen zurückzurufen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die vorstehend unter Ziffer I. bezeichneten Wettbewerbshandlungen begangen hat, und zwar
1. unter Angabe der Art, des Zeitpunkts und der Anzahl der Werbemaßnahmen, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern,
2. unter Angabe der Menge des unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ vertriebenen Produktes, aufgeschlüsselt nach Stückzahlen sowie Einkaufs- und Verpackungspreisen jeder einzelnen Lieferung sowie Name und Anschrift der gewerblichen Abnehmer. Die Beklagte kann Name und Anschrift der gewerblichen Abnehmer einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitteilen, sofern sie die Kosten seiner Einschaltung trägt und ihn gleichzeitig ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Antrag mitzuteilen, ob in der Auskunft ein oder mehrere bestimmte Abnehmer enthalten sind.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer I. bezeichneten Wettbewerbshandlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
V. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.531,90 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 06.08.2019 zu bezahlen.
VI. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VII. Die Widerklage wird abgewiesen.
VIII. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 26 % und die Beklagte 74 %.
IX. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch hinsichtlich Ziffer I. nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 225.000,00 € (I. 1. und I. 2. zusammen 150.000,00 €,
I. 3. 75.000,00 €), hinsichtlich Ziffer II. nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,00 €, hinsichtlich Ziffer III. nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 22.500,00 € und für die Klägerin im Übrigen nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages und für die Beklagte nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Der Streitwert wird für die Klage auf 450.000,00 € (Unterlassung 300.000,00 €, Rückruf/Vernichtung 30.000,00 €, Auskunft 30.000,00 €, Schadensersatzfeststellung 70.000,00 €, Veröffentlichung 20.000,00 €) sowie für die Widerklage auf 150.000,00 €, mithin insgesamt auf 600.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche wegen irreführender Wettbewerbshandlungen.
2
Die Klägerin betreibt seit über 20 Jahren … eine Brauerei und ist auf die Herstellung von Rotbier spezialisiert.
3
Die Beklagte ist ebenfalls eine … Brauerei.
4
Am 22.02.2019 schaltete die Beklagte in der … Zeitung über eine volle Zeitungsseite eine Werbeanzeige, in der sie ein von ihr hergestelltes Produkt als „Original … Rotbier“ bezeichnet und wie folgt beworben hat:
- … Neuheiten starten im Handel: Original … Rotbier …
- In der … Gastronomie hat es seine Fangemeinde gefunden: Das Original … Rotbier ….
- Aus dem … kommt seither auch das Original … Rotbier.
- Auf Bestellung wird das Original … Rotbier per Hand über eine kleine Fassanlage als Vollbier abgefüllt, veredelt mit einem kräftigen Schuss Starkbier aus dem Holzfass.
- Die Holzstruktur zeigt: Hier wurde handwerklich gebraut.
- Erleben Sie traditionelles Brauhandwerk hautnah.
5
Auf ihrer Homepage warb die Beklagte wie folgt:
„- … Original … Rotbier Der Ursprung der … Brautradition
Unser Original … Rotbier spiegelt den Ursprung des … Brauhandwerks wieder und wird nach überlieferter Rezeptur gebraut.“
- … Dann wird das Original … Rotbier in besonderen Kisten ausgeliefert. Mit einer echten Holzstruktur zeigen sie schon auf den ersten Blick, dass hier handwerklich Gebrautes drin steckt (Anlagen K4 und K5).
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Zuletzt wurde im Mittelalter und in der frühen Neuzeit … Rotbier hergestellt.
7
Die Klägerin beanstandet die Verwendung der Bezeichnung „Original … Rotbier“ als zur Täuschung geeignete Angabe über ein wesentliches Merkmal des Produkts. Es werde der Eindruck vermittelt, das Rotbier der Beklagten sei das einzig echte und wahre und auch das erste Rotbier, das in … hergestellt werde, während alle anderen … Rotbiere nur nachgeahmt und jedenfalls nicht echt seien. Tatsächlich aber habe die Beklagte erst 2019 mit dem Verkauf an private Verbraucher begonnen, die Klägerin stelle ihr Rotbier seit 1998/99 für den Verkauf her.
8
Die Beklagte vermittle den nicht zutreffenden Eindruck, sie habe als zeitlich erste Brauerei nach dem Mittelalter wieder Rotbier hergestellt.
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Die Bezeichnung „Original … Rotbier“ sei auch eine irreführende Angabe zur Herstellungsweise. Die Verkehrskreise nähmen an, dass die Herstellung im Sinne einer ursprünglichen Brauweise erfolge. Tatsächlich habe aber die von der Beklagten beworbene Herstellung mit einer traditionellen Herstellung, wie in … in der Vergangenheit üblich, absolut nichts zu tun. Es gebe keine Überlieferung, dass Rotbier in … jemals in einer Form gebraut worden sei, dass einem normalen Vollbier ein Schuss rotes Starkbier beigemischt worden sei, wie von der Beklagten beworben. Auch sei traditionell Rotbier nie in getoasteten Eichenholzfässern zur Reifung des Geschmacks gelagert worden, sondern es seien stets gepichte Holzfässer verwendet worden, damit das Bier keinen geschmacklichen Einfluss aus dem Holz aufnehmen könne.
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Auch die Behauptung einer handwerklichen Herstellung des Rotbiers sei eine irreführende Angabe zur Herstellungsweise. Bei der Beklagten erfolge jedenfalls ein wesentlicher Anteil der Fertigung industriell. Die industrielle Abfüllung erfolge im Gelände der Beklagten in …; die Braustätte … habe nur eine sehr begrenzte Kapazität.
11
Die Klägerin beantragt
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten im Wiederholungsfalle bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- 1.
-
das Produkt … Rotbier unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder in den Verkehr bringen zu lassen,
- 2.
-
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken mit den Angaben „Original … Rotbier“ und „das Original … Rotbier“ zu werben oder werben zu lassen,
- 3.3.
-
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, das Produkt … Rotbier werde traditionell hergestellt,
und
- 4.
-
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, das Produkt … Rotbier werde handwerklich hergestellt.
II. Die Beklagte wird verurteilt, binnen einer angemessenen, vom Gericht festzusetzenden Frist,
- 1.1.
-
alle genutzten Werbeträger und Geschäftspapiere, in denen die unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen vorgenommen wurden, zurückzurufen und zu vernichten,
sowie
- 2.
-
alle unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ in den Handel gebrachten Produkte aus den Vertriebswegen zurückzurufen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die vorstehend unter Ziffer I. bezeichneten Wettbewerbshandlungen begangen hat, und zwar
- 1.
-
unter Angabe der Art, des Zeitpunkts und der Anzahl der Werbemaßnahmen, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern,
- 2.
-
unter Angabe der Menge des unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ hergestellten und vertriebenen Produktes, aufgeschlüsselt nach Stückzahlen sowie Einkaufs- und Verpackungspreisen jeder einzelnen Lieferung sowie Name und Anschrift der gewerblichen Abnehmer.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer I. bezeichneten Wettbewerbshandlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
V. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.531,90 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.08.2019 zu bezahlen.
VI. Der Klägerin wird die Befugnis zugesprochen, das Urteil auf Kosten der Beklagten in der Freitagsausgabe der Zeitung … im Format 26 × 18 cm (eine Viertel Seite) zu veröffentlichen.
12
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat für den Fall des Obsiegens der Klägerin mit den Anträgen zu I. 1. sowie I. 2. Hilfswiderklage wie folgt erhoben:
14
Die Klägerin wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, zu unterlassen,
das Produkt „Hausbrauerei … Rotbier“ unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu bewerben und/oder anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder bewerben zu lassen.
15
Die Klägerin beantragt, die Hilfswiderklage abzuweisen.
16
Die Beklagte trägt vor, sie produziere Starkbier mit 18 % Stammwürze ausschließlich in Handarbeit in der kleinen Brauerei …. Dieses Starkbier reife in Holzfässern und werde dann mit einem Vollbier mit 12 % Stammwürze geblendet, das nach derselben Rezeptur nur mit anteilig geringerem Malzanteil gegenüber dem Starkbier als Rotbier eingebraut werde, um das Endprodukt (Stammwürze 13 %) zu erzeugen.
17
Die Beklagte trägt vor, die Verwendung der Bezeichnung „Original“ in Verbindung mit einer weiteren Bezeichnung bei einem Lebensmittel verweise darauf, dass das Produkt in Übereinstimmung mit der Originalrezeptur hergestellt werde. Das Rotbier der Beklagten werde untergärig gebraut und entspreche vollständig der Rezeptur für ein … Rotbier, wie sie überliefert sei. Diese Rezeptur der Beklagten entspreche exakt der der Klägerin. Wenn die Klägerin ihr Rotbier als echt und Original bezeichne, dürfe auch die Beklagte dies tun.
18
Ein Verständnis dahin, das Rotbier sei das einzig echte und wahre in … und das erste in … hergestellte Rotbier, während alle anderen … Rotbiere nur nachgeahmt und nicht echt seien, ergebe sich nicht. Der Durchschnittsverbraucher verbinde mit „Original … Rotbier“ nicht die Vorstellung, das Bier sei in ursprünglicher Form hergestellt und es würden keine innovativen Brauweisen verwendet.
19
Die Behauptung einer traditionellen Herstellung schließe an die Einhaltung des … Gerstengebots an und der Durchschnittsverbraucher lese nicht hinein, das Rotbier sei im Sinne einer ursprünglichen Brauweise hergestellt worden.
20
Da es aus Sicht des Verbrauchers entscheidend sei, wie die Vorgänge durchgeführt werden, die den besonderen Geschmack unmittelbar beeinflussten, und dieser Teil des Brauprozesses im wahrsten Sinne des Wortes „handwerklich“ erfolge, sei es gerechtfertigt, beim … Rotbier insgesamt davon zu sprechen, dass es handwerklich gebraut sei.
21
Der Beklagten gehe es bei der Herstellung dieses Rotbieres nicht um den Toastungseffekt (getoastete Holzfässer). Indem die Beklagte die Fässer nicht tausche, zeige sich, dass ihr Schwerpunkt auf einer anderen Tatsache beruhe, nämlich auf der oxidativen Reifung des Bieres im Holzfass (Microoxidation).
22
Es gebe auch Hinweise, dass sich früher nur wenige Brauer gepichte Fässer hätten leisten können und dass in den Wintermonaten gefertigte Fässer mit heißem Wasser ausgebrüht worden seien, da es im Winter kein Pech gegeben habe, um die Fässer zu pichen.
23
Die Biere beider Parteien würden mit den überlieferten Zutaten und entsprechend dem Gerstengebot von 1303 hergestellt, deshalb dürften entweder beide Biere sich als Original … Rotbier bezeichnen oder keines von beiden.
24
Die Klägerin trägt ergänzend vor, die Rezeptur der beiden Parteien sei nicht identisch. Die Klägerin mische nicht getrennt gebraute Rotbiere mit unterschiedlichem Stammwürzegehalt und bei ihr gebe es keine Charakterbildung durch Einlagerung in Holzfässern.
25
Die Lagerung des Winterbieres früher sei nur über kurze Zeiträume erfolgt.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
27
Die Klage ist überwiegend begründet.
28
1. Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält: Die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung…, § 5 Abs. 1 UWG.
29
Es ist verboten, als nach Artikel 8 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verantwortlicher Lebensmittelunternehmer oder Importeur Lebensmittel mit Informationen über Lebensmittel, die den Anforderungen des Artikel 7 Abs. 1, auch in Verbindung mit Abs. 4, der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011… nicht entsprechen, in den Verkehr zu bringen oder allgemein oder im Einzelfall dafür zu werben.
30
Informationen über Lebensmittel dürfen nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung, Artikel 7 Abs. 1 VO (EU) 1169/2011.
31
a. Die Verwendung der Bezeichnung „Original“ in Verbindung mit einem Lebensmittel wird von maßgeblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise im Sinne von echt und ursprünglich sowie dahin verstanden, dass die Herstellung im Rahmen der für dieses Lebensmittel allgemein gebräuchlichen Rezepte erfolgt (BGH Urteil vom 18.09.1981, Az. I ZR 11/80 - Original - Maraschino).
32
Die Bezugnahme auf traditionelles Brauhandwerk in Verbindung mit überlieferter Rezeptur wird von einem erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs dahin verstanden, dass diese auch heute, wenngleich gewandelten brautechnischen Erkenntnissen folgend, die aktuelle Braukunst bestimmt (OLG Stuttgart, Urteil vom 03.11.2011, Az. 2 U 29/11).
33
Dies können die Mitglieder der erkennenden Kammer als Teil der angesprochenen Verkehrskreise auch selbst beurteilen.
34
b. Das Rotbier (Starkbier) der Beklagten wird nach eigenem Vortrag der Beklagten mit einem Vollbier (Rotbier) geblendet, d.h. vermischt, um ein Endprodukt mit einer bestimmten Stammwürze zu erzeugen. Diese, beide zu vermischenden Biere werden in unterschiedlichen Braustätten (… sowie Braustätte der …) hergestellt und dann zusammengeführt.
35
Das Starkbier (Rotbier) der Beklagten wird in Holzfässern gelagert und reift dort für etwa 4 bis 5 Wochen. Hierbei handelt es sich um getoastete Fässer und nicht um gepichte Holzfässer, wie sie früher verwendet worden sind. Soweit die Beklagte anspricht, dass früher auch ungepichte Holzfässer im Winter verwendet worden seien, diente dies nicht zur Reifung und Geschmacksbildung des Bieres, kann also nicht maßgeblich sein.
36
Außerdem setzt die Beklagte auf eine oxidative Reifung des Bieres im Holzfass (Microoxidation). Auch wenn, wie der Geschäftsführer der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, keine Kohlensäure zugegeben wird, sondern Luftsauerstoff zu der genannten Veredelung führt, entspricht dies nicht der früher in … gepflegten Herstellungsweise. Ob in … andere Fässer verwendet wurden, kann dahinstehen, da streitgegenständlich ein „Original … Rotbier“ ist.
37
In diesen genannten Punkten weicht die Herstellungsweise des Rotbiers der Beklagten von ursprünglich in … gebräuchlichen Herstellungsverfahren ab und stellt daher kein allgemein gebräuchliches bzw. Original … Rezept dar. Dabei umfasst der Begriff Rezept auch das Herstellungsverfahren, da mit den Zutaten alleine ohne Angabe des Herstellungsverfahrens kein Endprodukt hergestellt werden kann.
38
Vielmehr verwendet die Beklagte ein gegenüber dem früher in … verwendeten Herstellungsverfahren abgewandeltes Verfahren, sodass das daraus entstehende Produkt nicht als Original … Rotbier bezeichnet werden kann, ohne die angesprochenen Verkehrskreise über das Verfahren der Herstellung in die Irre zu führen. Es trifft daher auch nicht zu, dass das „Original … Rotbier“ der Beklagten den Ursprung des … Brauhandwerks widerspiegelt und nach überlieferter Rezeptur gebraut wird (Anlage K4).
39
Damit steht zugleich fest, dass das Produkt … Rotbier nicht traditionell hergestellt wird; auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
40
Insoweit besteht ein Unterlassungsanspruch aus §§ 5 I, 3a, 8 UWG, Artikel 7 Abs. 1 VO (EU) 1169/2011. Die Klägerin hat durchgehend wettbewerbsrechtliche Ansprüche erhoben, wie sich aus den Klageanträgen III. und IV. ergibt („Wettbewerbshandlungen“).
41
c. Die Klägerin hat jedoch keinen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Behauptung der Beklagten, das Produkt … Rotbier werde handwerklich hergestellt.
42
Weder die Abfüllung in Euroflaschen noch der überregionale kistenweise Verkauf stehen der Bezeichnung als handwerklich hergestellt entgegen. Erwartet doch ein Verbraucher bei einer als handwerklich angepriesenen Herstellung durch eine große Brauerei heutzutage keinen kleinen handwerklich geführten Betrieb mehr.
43
Der weitere Vortrag der Klägerin, in der Brauanlage der Beklagten … habe der Braumeister auf die Fertigung keinen derart maßgeblichen Einfluss mehr und wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten eines Braumeisters würden durch Maschineneinsatz entbehrlich und dass Sonden verschiedenste Sensorikprüfungen übernähmen, ist zum Teil nicht substantiiert - die Darlegungs- und Beweislast liegt bei der Klägerin - und im Übrigen geht auch der verständige Verbraucher heutzutage davon aus, dass auch bei handwerklichem Brauen Maschinen und Sonden zum Einsatz kommen können.
44
Die Klägerin hat den Vortrag der Beklagten, die den Geschmack beeinflussenden Vorgänge erfolgten handwerklich, nicht widerlegt. Im Übrigen hat die Beklagte hierzu vorgetragen, dass Sonden die Sensorik nicht ersetzten und dass der Braumeister entsprechenden Einfluss nehme. Auf den Vortrag im Schriftsatz vom 10.12.2019 wird Bezug genommen.
45
2. Ein Anspruch auf Rückruf und Vernichtung von Werbeträgern und Geschäftspapieren besteht nicht. Entgegen der älteren Ansicht des BGH (Urteil vom 03.05.1963, Az I b ZR 93/61) ist die Vernichtung verletzenden Werbematerials nicht vom Beseitigungsanspruch umfasst (Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, Teil 11, Rn. 173). Auch fehlt der Beklagten die Verfügungsgewalt über bereits verteilte Werbematerialien, sodass der geltend gemachte Anspruch insoweit nicht besteht (Koehler/Bornkamm/Feddersen, § 8 UWG, Rn. 1.125). Geschäftspapiere können und müssen nicht zurückgerufen werden.
46
Hingegen besteht ein Anspruch auf Rückruf der unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ in den Handel gebrachten Produkte (BGH, Beschluss vom 29.09.2016, Az I ZB 34/15).
47
3. Weiterhin schuldet die Beklagte Auskunft und ist ihre Verpflichtung zum Schadensersatz festzustellen, § 9 UWG. Die Aufnahme eines Wirtschaftsprüfervorbehalts erfolgt von Amts wegen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 9 UWG, Rn. 4.19 f.).
48
4. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in der geltend gemachten Höhe zu erstatten. Sie ist dem auch nicht entgegengetreten.
49
5. Der Antrag, der Klägerin die Befugnis zuzusprechen, das Urteil in der Zeitung … zu veröffentlichen, hat keinen Erfolg.
50
Die Befugnis zur Veröffentlichung ist zu versagen, wenn die Nachteile unverhältnismäßig größer wären als die Vorteile, (Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 12 UWG, Rn. 3.7). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits durch die Anwesenheit der Presse in der mündlichen Verhandlung eine hinreichende Aufklärung der Verkehrskreise erfolgt.
51
6. Die Widerklage hat keinen Erfolg.
52
Dem Vortrag der Klägerin, sie mische nicht getrennt gebraute Rotbiere, bei ihr erfolge keine Charakterbildung des Bieres durch Einlagerung in Holzfässern, sie verwende auch keine ungepichten Holzfässer zur Herbeiführung eines Gasaustausches zur Herstellung des besonderen Geschmacks des Bieres, sondern sie setze einen Sud an und das Rotbier werde nach Gärung und Reifung in sauerstoffundurchlässigen Fässern ohne Zugabe von Kohlensäure in Flaschen abgefüllt, ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten.
53
Somit bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Herstellungsverfahren beim Rotbier der beiden Parteien, sodass nicht aus der Stattgabe der Unterlassungsanträge gegen die Beklagte der Schluss gezogen werden kann, dass auch der Widerklage dann stattgegeben werden müsste. Die Widerklage ist folglich nicht begründet.
54
7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO.
55
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.
56
8. Beim Streitwert waren der Größe und Bedeutung der Parteien in der Wettbewerbssituation sowie der Bedeutung des Streitgegenstands entsprechende angemessene Werte festzusetzen.
57
Dabei bemisst die Kammer die beiden Unterlassungsanträge der Klägerin (I. 1. und I. 2.) zusammen mit 150.000,00 €, entsprechend auch die Widerklage. Die weiteren Unterlassungsanträge der Klägerin (I. 3. und I. 4.) werden mit je 75.000,00 € bemessen, der Antrag VI. mit 20.000,- €. Die Rücknahme hinsichtlich des Wortes „herzustellen“ (Antrag I. 1.) entspricht einem Streitwert von 25.000,00 € (1/3 von I. 1.).