Titel:
Rechtswidriges presserechtliches Informationsschreiben
Normenkette:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1
Leitsatz:
Ein so genanntes presserechtliches Informationsschreiben greift dann rechtswidrig in den Gewerbebetrieb eines Presseunternehmens ein, wenn es keine Informationen enthält, die dem Presseunternehmen die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt werden. (Rn. 19 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berichterstattung, Widerspruch, Gewerbebetrieb, Pressefreiheit, form, Verfahren, Beurteilung, Dringlichkeit, Rechtsschutz, Eingriff, Streitwert, Privatleben, Rechtskraft, Verhandlung, rechtswidriger Eingriff, Presserechtliches Informationsschreiben
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 02.07.2021 – 18 U 988/21 Pre
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 23642
Tenor
1. Die am 10.11.2020 angeordnete einstweilige Verfügung wird bestätigt.
2. Die Verfügungsbeklagte hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Zulässigkeit eines sogenannten presserechtlichen Informationsschreibens der Verfügungsbeklagten.
2
Die Antragsteller sind Medienunternehmen, die u.a. die … und die … herausgeben und vertreiben. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um einen Zusammenschluss von Rechtsanwälten, die sich darauf spezialisiert haben, die Persönlichkeitsrechte von Prominenten gegenüber der Presse zu vertreten. Die Antragsgegnerin versendet, geht sie aufgrund einer aktuellen Veröffentlichung von einer Übernahme durch andere Presseredaktionen aus, sogenannte presserechtliche Informationsschreiben an Redaktionen. Dabei kündigte sie an, für den Fall einer Berichterstattung presserechtliche Rechtsbehelfe zu ergreifen.
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Am 21.10.2020 sandte die Antragsgegnerin im Namen der Nachrichtensprecherin … zwei im wesentlichen inhaltsgleiche Schreiben an die Antragsstellerinnen, in denen es hinsichtlich des Schreibens an die Antragstellerin zu 1) heißt:
„Aus Anlass einer … die auf einer Berichterstattung der … aufbaut, zeigen wir an, dass wir … in ihren presserechtlichen Angelegenheiten vertreten. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Berichterstattung verletzt die Berichterstattung über das private Beziehungsleben unserer Klientin ihre Persönlichkeitsrechte. Es ist rechtskräftig anerkannt, dass sie eine Berichterstattung über ihr Privatleben nicht hinnehmen muss. Vor diesem Hintergrund sind wir auch bereits erfolgreich gegen die … vorgegangen, die freiwillig eine Unterlassungsverpflichtungserklärung zu ihrer Berichterstattung vom letzten Wochenende abgegeben hat. Ebenso sind wir beauftragt, gegen die aktuelle … die eine massive Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt, vorzugehen. Vor diesem Hintergrund weisen wir darauf hin, dass jegliche Übernahme einer Berichterstattung zu der Privatsphäre unserer Klientin rechtswidrig wäre, um vor dem Hintergrund des nunmehr bekannten entgegenstehenden Willens unserer Klientin auch dazu führen würde, dass es sich um eine hartnäckige Rechtsverletzung handeln würde. Wir bitten daher um dringende Beachtung (Anlage AST2)“
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Das Schreiben an die Antragstellerin zu 2) entspricht dabei dem Schreiben an die Antragstellerin zu 1).
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Auf diese Schreiben hin mahnte die Antragstellerin zu 1) mit Schreiben vom 21.10.2020 und die Antragstellerin zu 2) mit Schreiben vom 23.10.2020 (Anlagen AST 5 und 6) ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Die Antragsgegnerin reagierte darauf mit dem Schreiben vom 26.10.2020 (Anlagen AST 7 und 8) und lehnte die Abgabe einer Unterlassungserklärung jeweils ab.
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Die Antragstellerinnen tragen vor, dass Zweck der presserechtlichen Informationsschreiben es sei, Redakteure bereits im Vorfeld einer Recherche einzuschüchtern und zu bedrohen. Dabei würden Sanktionen für den Fall angekündigt, dass eine Redaktion von ihrem Recht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG Gebrauch mache. Ein solches Schreiben sei gemäß dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 15.01.2019 (Az: VI ZR 506/17) rechtswidrig und stelle einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Presseunternehmens dar. Im vorliegenden Falle sei es, da es keine relevanten Informationen enthalte, nicht geeignet, präventiven Rechtsschutz für die jeweiligen betroffenen Mandanten zu bewirken.
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Die unsachliche - auf die Rechtsunkundigkeit eines Redakteurs abzielende - Drohung sei darüber hinaus auf die unrichtige Behauptung gestützt, es sei „rechtskräftig anerkannt“, dass … „eine Berichterstattung über ihr Privatleben nicht hinnehmen müsse“. Tatsächlich sei X. zu einem Bericht, der sich mit der Trennung von ihrem damaligen Lebensgefährten befasste, gegen die Antragstellerin zu 1) unterlegen und ihre Klage sei vom … abgewiesen worden. Damit handele es sich bei Ausführungen in dem angegriffenen Schreiben auch noch um eine vorsätzliche Falschbehauptung. Der Hinweis auf eine „Hartnäckigkeit“ solle eine ansonsten anfallende Geldentschädigung suggerieren und diene nicht der Information, sondern allein der Drohung und Einschüchterung.
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Mit Beschluss vom 10.11.2020 hat die Kammer ohne mündliche Verhandlung wegen Dringlichkeit gemäß § 937 Abs. 2 ZPO antragsgemäß wie folgt entschieden:
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Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann - wegen jeder Zuwiderhandlung
den Antragstellerinnen Presserechtliche Informationsschreiben zuzusenden, wenn dies geschieht wie in den beiden Schreiben vom 21.10.2020 (Anlage 1 und Anlage 2).
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Hiergegen hat die Antragsgegnerin form- und fristgerecht Widerspruch eingelegt. Das Verfahren wurde mit Beschluss der Kammer vom 11.12.2020 auf den Einzelrichter übertragen.
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Das Gericht hat über den Widerspruch am 23.12.2020 mündlich verhandelt.
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Die Antragstellerinnen beantragen zuletzt:
Die einstweilige Verfügung vom 10.11.2020 bleibt aufrechterhalten.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Landgerichts München I vom 10.11.2020 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
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Die Antragsgegnerin trägt vor, dass nach dem auch vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung Az: VI ZR 506/17 anerkannten Regel-Ausnahmeverhältnis vorliegend kein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliege. Aufgrund der Entscheidung des OLG Köln stehe rechtskräftig fest, dass über das private Beziehungsleben von Frau X. nicht berichtet werden dürfe. Dies zeige auch die nunmehr ergangene Entscheidung des Landgerichts Berlin, Az. 27 O 419/20 vom 10.11.2020, wo der Antragstellerin zu 1) genau diese Berichterstattung auch verboten worden sei. Von einer Einschüchterung könne auch deswegen keine Rede sein, weil bekannt sei, dass die Redaktionen solche Schreiben regelmäßig sofort ihren anwaltlichen Bevollmächtigten vorlegten. Die Antragstellerin zu 1) habe trotz des Hinweises eine rechtswidrige Veröffentlichung vorgenommen. Sie sei also nicht eingeschüchtert oder auch nur irgendwie gehindert worden, eine rechtswidrige Berichterstattung vorzunehmen. Dass die Berichterstattung rechtswidrig war und ist, sähen offenbar auch die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin zu 1) so, in dem sie unmittelbar nach der Berichterstattung eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben haben.
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Die Antragstellerseite hat innerhalb nachgelassener Frist am 30.12.2021 einen Schriftsatz eingereicht. Dessen Inhalt wurde, da die Antragstellerseite im Rahmen des Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bereits - auch Sicht des Gerichts - in ausreichender Form Stellung genommen hatte, bei der Entscheidung nicht mehr berücksichtigt.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Widerspruch ist zulässig, aber unbegründet.
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Die einstweilige Verfügung vom 10.11.2020 war aufrechtzuerhalten, da die Antragstellerinnen einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Schreiben Anlagen AST 1 und AST 2 haben.
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Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes (Az: VI ZR 506/17) greift ein presserechtliches Informationsschreiben in der Regel nicht rechtswidrig in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Presseunternehmens ein. Eine andere Beurteilung ist allerdings dann geboten, wenn das übersandte Informationsschreiben von vorneherein ungeeignet ist, präventiven Rechtsschutz zu bewirken. Hiervon ist auszugehen, wenn es keine Informationen enthält, die dem Presseunternehmen die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt werden.
20
So verhält es sich im vorliegenden Fall.
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Die angegriffenen Schreiben enthalten gerade keine fallbezogenen Informationen, die dem Presseunternehmen eine Abwägung der Persönlichkeitsrechte der … einerseits und ihres Rechtes auf Presseberichterstattung gemäß Art. 5 GG andererseits ermöglichen würden.
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Insofern verhält sich das presserechtliche Informationsschreiben in keiner Weise dazu, inwiefern die Berichterstattung über das „private Beziehungsleben“ die Persönlichkeitsrechte der Klientin verletze.
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Nun kann ein rechtswidriger Eingriff in ein Persönlichkeitsrecht nur durch eine Abwägung des Persönlichkeitsrechts der Klientin einerseits und des Rechtes auf freie Berichterstattung andererseits festgestellt werden. Hierzu enthält das Informationsschreiben jedoch keine näheren Darlegungen. Es wird lediglich im nächsten Satz ausgeführt: „Es ist rechtskräftig anerkannt, dass sie eine Berichterstattung über ihr Privatleben nicht hinnehmen muss“. Diese Aussage ist unzutreffend, da zwar in der Vergangenheit das Oberlandesgericht Köln am 29.03.2019 eine Berichterstattung über eine neue Beziehung von … rechtswirksam untersagt hat (vorgelegt als Anlage AG 4), zuvor jedoch auch gemäß der von der Antragstellerseite vorgelegten Entscheidung des OLG Hamburg eine Berichterstattung über ihre frühere Beziehung für zulässig erklärt wurde. Die Rechtskraft des Beschlusses des OLG Köln kann sich auch nicht auf neue Sachverhalte wie die mit dem streitgegenständlichen Informationsschreiben in Bezug genommene Berichterstattung erstrecken.
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Auch aus der Unzulässigerklärung durch das Landgericht Berlin, welche die Antragstellerseite auch akzeptiert hat, lässt sich nicht ableiten, dass eine Berichterstattung generell unzulässig wäre.
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Die Verwendung des Begriffes „Hartnäckigkeit“ verweist, für presserechtliche Unternehmen sofort erkennbar, auch auf die Geltendmachung eines Geldentschädigungsanspruches, was gleichfalls hier für die Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses des wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche spricht.
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Durch den in dem presserechtlichen Informationsschreiben behaupteten Anspruch, dass eine Berichterstattung generell unzulässig wäre, wird damit in rechtswidriger Art und Weise in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragstellerinnen eingegriffen, so dass ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB besteht.
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Der Streitwert war mit dem von der Antragstellerseite angegebenen 50.000,- € zu bemessen. Aufgrund der Schwere des Eingriffes und auch der wiederholten Rechtsverletzung durch die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerseite war dieser auch in dieser Höhe angemessen.