Titel:
Einstweilige Verfügung gegen Internet-Werbung für E-Zigaretten durch Youtube-Video
Normenketten:
UWG § 3, § 3a, § 5a Abs. 6, § 8 Abs. 1 u. Abs. 3 Nr. 2, § 12 Abs. 2
TMG § 6
TabakerzG § 19 Abs. 3
ZPO §§ 935, 940
Leitsätze:
1. Die für die Aufbereitung eines beanstandeten Youtube-Videos in eine gerichtsfeste Dokumentation erforderliche Zeit ist nicht dringlichkeitsschädlich. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Youtube-Video, mit dem ohne Kenntlichmachung des kommerziellen Zwecks der Konsum von E-Zigaretten beworben wird, verstößt gegen § 5a Abs. 6 UWG. (Rn. 34 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Einstweilige Verfügung
Fundstellen:
MD 2021, 712
GRUR-RS 2021, 20119
LSK 2021, 20119
Tenor
I. Die Beschlussverfügung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26.01.2021, Aktenzeichen 4 HK O 8810/20, wird aufrechterhalten.
II. Der Verfügungsbeklagte trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um einen Unterlassungsanspruch wegen unlauteren Wettbewerbs.
2
Der Verfügungskläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden.
3
Der Verfügungsbeklagte ist auf Youtube unter dem Benutzernamen … aktiv und veröffentlicht dort regelmäßig neue Videos.
4
Der Verfügungsbeklagte hat in seinem Youtube-Kanal das Video … eingestellt, zu dessen Inhalt auf die Anlage A6 Bezug genommen wird.
5
Beim … handelt es sich um einen sog. Verdampfer.
6
Der Verfügungskläger trägt vor, ihm sei am 05.11.2020 eine Beschwerde über die Aktivitäten zweier Youtuber zugegangen, die daran Anstoß genommen habe, dass diese in auf dem Portal veröffentlichten Videoclips verschiedene Wettbewerbsverstöße begingen. Einer der beiden sei der Verfügungsbeklagte. Der Verfügungsklägervertreter habe die Beschwerden nach kursorischer Prüfung der benannten Youtube-Inhalte prima facie für begründet gehalten und die Erstellung entsprechender Abmahnungen empfohlen. Hierfür sei es unerlässlich gewesen, die Verstöße zunächst gerichtsfest zu dokumentieren. Für diese Dokumentation sei beim Verfügungskläger eine Mitarbeiterin zuständig, die darauf spezialisiert sei, wortlautgetreue Niederschriften und Standbildstrecken von Fernsehsendungen zu erarbeiten. Die Bearbeitung durch diese Mitarbeiterin sei schnellstmöglich erfolgt, habe aber erst am 21.11.2020 abgeschlossen werden können. Dabei hätten die Inhalte zur Vorbereitung der Auswertung erst noch aus der Youtube-Website extrahiert und in einem zur Bearbeitung mit einem Diktiergerät brauchbaren Format abgespeichert werden müssen. Folglich sei der 21.11.2020 der Zeitpunkt der erstmaligen Kenntnisnahme des Verfügungsklägers von den streitgegenständlichen Wettbewerbsverstößen.
7
Der Verfügungskläger hat vorgetragen, das streitgegenständliche Youtube-Video verstoße gegen das Verbot der sogenannten Schleichwerbung, verletzte § 6 TMG sowie § 58 RSTV und enthalte eine verbotene Werbung gemäß § 19 TabakerzG.
8
Auf der Grundlage dieses Sachvortrags hat der Verfügungskläger die nachfolgend wiedergegebene Beschlussverfügung erwirkt:
I. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung
unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu insgesamt 2 Jahren, - Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann - wegen jeder Zuwiderhandlung
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für elektronische Zigaretten in Diensten der Informationsgesellschaft gegenüber der breiten Öffentlichkeit (d.h. außerhalb von Fachkreisen) zu werben, sofern dies geschieht wie in Anlage A6 wiedergegeben.
I. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.
IV. Die Wirksamkeit der Zustellung dieses Beschlusses setzt voraus, dass mit ihm in Abdruck zugestellt werden:
IV) Die Antragsschrift der Rechtsanwälte …
IV) die eidesstattliche Versicherung …
… der Schriftsatz der Rechtsanwälte …
Zur Begründung wird in sachlicher Hinsicht auf die unter Ziffer IV. bezeichneten Unterlagen Bezug genommen.
In rechtlicher Hinsicht folgt die Entscheidung aus
§§ 3a., 5a VI, 8, 12 II UWG, 19 III TabakerzG,
§§ 935, 940, 938, 936, 920-922, 937, 890, 91, 3 ZPO.
Die Mitgliedschaft des Bündnisses … ist nicht erheblich. Die Mitgliedschaft der auf Seite 5 der Antragsschrift genannten Unternehmen/Vereine wurde glaubhaft gemacht (Mitgliederliste - Anlage A1, Eidesstattliche Versicherung - Anlage A2). Die Zugehörigkeit zu angrenzenden Branchen genügt, somit sind also jedenfalls Verlage und Werbeagenturen sowie Anbieter von Tabakprodukten zu berücksichtigen.
Der Antragsgegner hat den … entworfen und fördert durch das angegriffene Video deren Unternehmenszweck sowie seine eigenen kommerziellen Interessen.
Der Antrag ist auch hinreichend bestimmt, er bezeichnet die konkrete Verletzungsform. Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines … Gewerbes oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren … zu fördern, Art. 2 RL 2006/114/EG. Die einzelnen werbenden Äußerungen müssen im Tenor nicht gesondert aufgeführt werden.“
9
Der Verfügungsbeklagte hat Widerspruch eingelegt und vorgetragen, es fehle an der Dringlichkeit. Die vermutete Dringlichkeit entfalle bei einem Abwarten länger als einen Monat nach Kenntnis. Die Abmahnung datiere vom 01.12.2020 und enthalte eine Frist bis 10.12.2020. Die Antragstellung sei erst 11 Tage später erfolgt. Insgesamt habe der Verfügungskläger ab seiner behaupteten Kenntnis von der Beschwerde (05.11.2020) 6 1/2 Wochen zugewartet.
10
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf Erlass zurückzuweisen.
11
Der Verfügungskläger entgegnet, maßgeblich für die Monatsfrist sei der Zeitpunkt, an dem erstmals volle Kenntnis vom Sachverhalt und von den anspruchsbegründenden Tatsachen bestanden habe. Dies sei gewesen, als die fertige Niederschrift des Gesprächsverlaufs des Youtube-Videos vorgelegen habe, mithin erst am 21.11.2020.
12
Die Einreichung des Antrags 10 Tage nach Ablauf der in der Abmahnung gesetzten Frist beruhe auf den vielfältigen Störungen durch die Coronavirus-Pandemie im Betriebsablauf des Verfügungsklägers und seiner Anwälte. Das alljährliche Problem hohen Arbeitsanfalls im Dezember sei dadurch noch erheblich verschärft worden. Der nicht ganz unkomplizierte Antrag habe eine eingehende Prüfung erfordert und sei somit für den Verfügungsklägervertreter nicht früher einzureichen gewesen.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14
Die Beschlussverfügung vom 26.01.2021 ist aufrecht zu erhalten.
15
1. Ein Verfügungsgrund ist gegeben.
16
Insbesondere hat der Verfügungskläger nicht in Kenntnis aller erforderlichen Umstände länger als einen Monat zugewartet.
17
a.) Nach ständiger Rechtsprechung des OLG Nürnberg (Hinweisbeschluss vom 07.11.2017, Aktenzeichen 3 U 1206/17) ist bereits ein Zuwarten von mehr als einem Monat dringlichkeitsschädlich. Kennt der Verfügungskläger bereits konkrete Umstände, die einen Wettbewerbsverstoß naheliegend erscheinen lassen, ist von ihm zu erwarten, dass er alle ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen mit der gebotenen Zielstrebigkeit ergreift und die Sachlage weiter aufklärt (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.03.2014, Aktenzeichen 15 U 61/14, Tz. 22).
18
Allerdings ist der Verfügungskläger berechtigt, sich vor Anrufung des Gerichts über die Rechtsverletzung aus seiner Sicht heraus Gewissheit zu verschaffen und hat erst dann mit der gebotenen Eile vorzugehen, wenn er nach seiner Einschätzung einen Antrag bei Gericht mit einer vernünftigerweise zu erwartenden Erfolgsaussicht stellen kann (Für den Fall der Beschaffung des Produkts OLG München, Beschluss vom 30.05.1994, Az. 6 W 1300/94).
19
b.) Dieser Zeitpunkt ist noch nicht erreicht, wenn nach nur kursorischer Prüfung eines Youtube-Videos eine Rechtsverletzung prima facie für vorliegend erachtet wird, denn ohne eine im Zusammenhang dargestellte Dokumentation kann aus dem bloßen Gedächtnis heraus - nach Anschauen und Anhören des gesamten Videos - keine hinreichend verlässliche Entscheidung über das Vorliegen einer Rechtsverletzung getroffen werden.
20
Der Antragsteller hat weiterhin dargelegt, dass die Dokumentation erst am 21.11.2020 zur Verfügung stand und hat die dafür bestehenden Gründe - Arbeitsrückstau, Abspeicherung in der benötigten Form nach Extrahierung aus der Youtube-Website - dargelegt und auch diesen Vortrag durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht (Schriftsatz vom 22.01.2021, Seite 2).
21
Der Verfügungsantrag ist am 21.12.2020 per Fax bei Gericht eingegangen. Somit ist die Monatsfrist ab Kenntnis der Verletzung und des Verletzers - 21.11.2020 - noch eingehalten. Die Dokumentation des Inhalts des Videos innerhalb von 16 Tagen entspricht einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang (OLG Bamberg, Urteil vom 22.01.2014, Az. 3 U 191/13).
22
Daher ist von einer Kenntnis des Verfügungsklägers erst am 21.11.2020 auszugehen, ein grob fahrlässiges Nichtkennen vor diesem Zeitpunkt liegt nicht vor (OLG Bamberg, a.a.O. Rn. 26).
23
c.) Auf den Ablauf von 10 Tagen zwischen dem Ende der in der Abmahnung gesetzten Frist und dem Einreichen des Verfügungsantrags kommt es nach alledem nicht an.
24
2. Es besteht auch ein Verfügungsanspruch.
25
Die Kammer beschränkt sich hier auf eine kurze Darstellung, nach dem der Verfügungsbeklagte de im Schriftsatz vom 19.01.2021 erhobenen Einwendungen im Widerspruch nicht aufrechterhalten hat.
26
a.) Die Aktivlegitimation ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG.
27
Die Mitgliedschaft der auf Seite 5 der Antragsschrift genannten Unternehmen/Vereine wurde glaubhaft gemacht (Mitgliederliste - Anlage A1, Eidesstattliche Versicherung - Anlage A2). Die Zugehörigkeit zu angrenzenden Branchen genügt, somit sind also jedenfalls Verlage und Werbeagenturen sowie Anbieter von Tabakprodukten zu berücksichtigen.
28
Die Mitgliedschaft des Bündnisses … ist nicht erheblich.
29
b.) Der Antrag ist hinreichend bestimmt, er bezeichnet die konkrete Verletzungsform.
30
c.) Der Verfügungsbeklagte hat den … entworfen und fördert durch das angegriffene Video deren Unternehmenszweck sowie seine eigenen kommerziellen Interessen. Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass er für den Entwurf und für den Vertrieb des … finanzielle Vorteile erhält.
31
d.) Das streitgegenständliche Youtube-Video enthält auch Werbung.
32
Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines … Gewerbes oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren … zu fördern, Artikel 2 RL 2006/114/EG. Die einzelnen Äußerungen müssen im Tenor nicht gesondert aufgeführt werden.
33
e.) Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus §§ 3a, 5a Abs. 6, 8 Abs. 3 Nr. 2, 12 Abs. 2 UWG, 19 Abs. 3 TabakerzG.
34
Unlauter handelt, wer den kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung nicht kenntlich macht, sofern sich dieser nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und das Nichtkenntlichmachen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte, § 5a Abs. 6 UWG.
35
Da die beanstandeten Handlungen des Verfügungsbeklagten objektiv zur Förderung des Wettbewerbs geeignet sind, spricht nach der Rechtsprechung des BGH eine Vermutung für eine entsprechende Absicht des Handelnden, die auch für die im Einstellen des Videos auf Youtube zu sehende unternehmerische Tätigkeit des Verfügungsbeklagten gilt (vergleiche Urteil des OLG Braunschweig, Anlage A10, Seite 11).
36
Eine Erkennbarkeit des kommerziellen Zwecks aus den Umständen ist nicht gegeben.
37
Dieses Verhalten des Verfügungsbeklagten ist geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (OLG Celle, GRUR 2017, 1158).
38
Es ist verboten, für Tabakerzeugnisse, elektronische Zigaretten oder Nachfüllbehälter in der Presse oder in einer anderen gedruckten Veröffentlichung zu werben. Dieses Verbot gilt für die Werbung in Diensten der Informationsgesellschaft entsprechend. § 19 Abs. 2 und Abs. 3 TabakerzG.
39
Auch hiergegen hat der Verfügungsbeklagte verstoßen.
40
3. Der Verfügungsbeklagte trägt auch die Kosten des Widerspruchsverfahrens § 91 ZPO.
41
Eine gesonderte Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist nicht erforderlich.