Inhalt

LG München I, Endurteil v. 02.03.2021 – 33 O 17533/20
Titel:

Erfolgloser Verfügungsantrag gegen Werbeaussagen für Heilmittel

Normenketten:
UWG § 3 Abs. 1, § 3a
HWG § 3 Abs. 1, § 3a S. 2
Leitsatz:
Richtet sich eine angegriffene Werbung ausschließlich an Fachkreise, hat der Antragsgegner im einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Glaubhaftmachung des behaupteten Verkehrsverständnisses aussagekräftige Unterlagen vorzulegen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens kommt nicht in Betracht. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Rechtsbruch
Fundstellen:
MD 2021, 700
LSK 2021, 10822
GRUR-RS 2021, 10822

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung vom 23.12.2020 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung der Antragsgegnerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die heilmittelwerberechtliche Zulässigkeit verschiedener Aussagen sowie um die Zulässigkeit der Verwendung einer medizinischen Studie in einer Heilmittelwerbung.
2
Die Parteien sind beide auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Arzneimitteln, unter anderem Arzneimitteln zur Therapie von Krebserkrankungen, tätig. Bei beiden handelt es sich um forschende Arzneimittelunternehmen mit Schwerpunkten unter anderem in der Immunonkologie. Beide Parteien bringen zudem Medikamente der monoklonalen Antikörpertherapie zur Erstlinienbehandlung des metastasierenden, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) heraus. Das in diesem Zusammenhang relevante Medikament der Antragstellerin trägt den Namen K… wird von dieser seit Sommer 2015 auf den Markt gebracht und ist als Monotherapie zur Erstlinienbehandlung des NSCLC mit bestimmten Tumorarten zugelassen (vgl. Fachinformationen, Anlage AS 2).
3
Die Antragsgegnerin bringt ebenfalls Arzneimittel der monoklonalen Antikörpertherapie auf den Markt. Dabei handelt es sich um die Präparate Y…, das mit dem Wirkstoff Ipilimumab seit 2011, und O…, das mit dem Wirkstoff Nivolumab seit 2015 vertrieben wird. Die beiden genannten Arzneimittel verfügen für die Erstlinienbehandlung des NSCLC über eine arzneimittelrechtliche Zulassung nur in Kombination miteinander plus zwei Zyklen platinbasierter Chemotherapie (Fachinformation Y…, Anlage AS 4, Fachinformation O… Anlage AS 5). Grundlage dieser Zulassung war eine randomisierte offene Phase-III-Studie, die als CheckMate 9LA bezeichnet wurde und bei der primäres Wirksamkeitskriterium die Gesamtüberlebensdauer (OS) war. Relevante Vergleichsgruppen waren dabei Patienten, die eine Kombination der Wirkstoffe von O… und Y… gemeinsam mit zwei Zyklen Chemotherapie erhielten, und Patienten, die allein mit Chemotherapie behandelt wurden. Die Ergebnisse der Studie zeigten für Patienten, welche die Kombinationstherapie mit den Wirkstoffen von O… und Y… gemeinsam mit zwei Zyklen Chemotherapie erhalten hatten, eine statistisch signifikant bessere Gesamtüberlebensdauer im Vergleich zu nur mit Chemotherapie behandelten Patienten (vgl. Antragsschrift, S. 9/11, Bl. 9/11 d.A. sowie Fachinformation Y…, Anlage AS 4).
4
In einer anderen, als CheckMate227 bezeichneten Studie war die Kombinationstherapie mit den Wirkstoffen von O… und Y… (ohne Chemotherapie) in der Erstlinienbehandlung des NSCLC mit Patienten verglichen worden, die allein Chemotherapie erhalten hatten.
5
Die Antragsgegnerin hält im Internet eine unter www.bms-onkologie.de abrufbare Unterlage mit dem Titel „SLIDEDECK 1L NSCLC O… + Y… + 2 ZYKLEN CHEMOTHERAPIE“ (Slidedeck, [Verbindungs-]Anlage AS 1) vor.
6
Das Slidedeck ([Verbindungs-]Anlage AS 1) enthält u.a. folgende, für den Rechtsstreit relevante Schaubilder und Aussagen:
(vgl. ursprünglicher Antrag Ziff. I. 1. lit. a) und b))
(vgl. Antrag Ziff. I. 2.)
(vgl. Antrag Ziff. I. 3.)
7
Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Antragstellerin verbreitet die Antragsgegnerin anlässlich medizinischer Fortbildungsveranstaltungen wie etwa dem „4. Forum Onkologie“ am 18.11.2020 in Aachen eine ein-seitige Unterlage mit dem Titel „O… + Y… + 2 Zyklen Chemotherapie: Eine neue Therapieoption in der 1L NSCLC“ (vgl. Unterlage, [Verbindungs]anlage AS 2), in der unter der Titelüberschrift u.a. folgende Aussagen jeweils unter Verwendung orangener Bulletpoints abgedruckt sind:
„Chance auf langanhaltende Wirksamkeit durch die duale Immuntherapie“ (Antrag Ziff. I. 4.)
„Erste duale 1L-Therapie im NSCLC, die Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1 Status gezeigt hat“ (Antrag Ziff. I. 5.).
8
Sämtliche Aussagen richten sich an Fachkreise, mithin Ärzte, die mit der Verordnung und Verabreichung von Krebstherapien befasst sind.
9
Wegen vorgenannter Aussagen betreffend die Medikamente O…, und Y… nahm die Justiziarin der Antragstellerin zunächst telefonischen Kontakt mit dem Leiter der Rechtsabteilung der Antragsgegnerin auf und schlug ein kurzfristiges Telefonat aufgrund des durch die Materialien bei der Antragstellerin hervorgerufenen Klärungsbedarfs vor. Dieses Telefonat fand am 02.12.2012 statt, wobei die Antragstellerin im Vorfeld des Telefonates die konkret betroffenen Materialien gegenüber der Antragsgegnerin weiter spezifizierte. Im Nachgang zu dem Telefonat nahm die Antragsgegnerin zu den von der Antragstellerin angesprochenen Punkten in einer E-Mail vom 08.12.2020 schriftlich Stellung (E-Mail-Korrespondenz, Anlagenkonvolut AS 9). In jener E-Mail führte die Antragsgegnerin aus, die von der Antragstellerin beanstandete Aussage „Erste duale 1L-Therapie im NSCLC, die Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1 Status gezeigt hat“ solle nunmehr wie folgt lauten: „Erste duale Therapie in der 1L NSCLC, die Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1 Status gezeigt hat“. In der E-Mail findet sich zudem folgende Aussage: „Vor diesem Hintergrund wird BMS weiter die Ergebnisse der CM 227 verwenden, um die langanhaltende Wirkung und die Plateaubildung zu untermauern“ (vgl. Antrag Ziff. I. 6.).
10
Mit Anwaltsschreiben vom 14.12.2020 ließ die Antragstellerin die Antragsgegnerin förmlich abmahnen und forderte sie wegen mehrfacher Verletzung heilmittelwerberechticher Vorschriften, von denen hier nur sechs verfahrensgegenständlich sind, zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (vgl. Abmahnung vom 14.12.2020, Anlage AS 10). Mit Anwaltsschreiben vom 21.12.2020 ließ die Antragsgegnerin u.a. im Hinblick auf die in diesem Verfahren mit Ziffern I. 1. und I. 3. verfolgten Ansprüche eine Unterlassungserklärung abgegeben, in der sie sich „bei Meidung einer für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung fälligen, von M… nach billigem Ermessen festzusetzenden und im Streitfall vom zuständigen Landgericht zu überprüfenden Vertragsstrafe“ verpflichtete, die beanstandeten Aussagen wie konkret erfolgt zu unterlassen (vgl. Antwortschreiben mit Unterlassungserklärung S. 10/11, 13, Anlage AS 11).
11
Die Antragstellerin bringt vor, entscheidend für Diagnostik und Therapie des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms auch im Hinblick auf die Anwendung von Immunonkologika sei unter anderem die Expression des prädiktiven Biomarkers PD-L1. Differenziert werde danach, ob es sich um Patienten mit PD-L1 exprimierenden Tumoren (PD-L1 ≥ 1 %) oder um PD-L1 negative (PD-L1 < 1 %) handele. Die Differenzierung sei insofern entscheidend, als es sich prognostisch um unterschiedliche Situationen handele, die folglich unterschiedliche Anwendungen teils ein und desselben Medikamentes nach sich ziehen würden (vgl. Antragsschrift S. 9, Bl. 9 d.A.).
12
In Bezug auf die zum wissenschaftlichen Nachweis ihrer Behauptungen von der Antragsgegnerin herangezogene Studie „CheckMate 227“ sei auszuführen, dass primärer Endpunkt dieser Studie unstreitig allein die Gesamtüberlebensrate bei Patienten mit exprimierenden Tumoren gewesen sei. Unbestritten seien in der Hierarchie nachfolgende sekundäre Endpunkte progressionsfreies Überleben und Gesamtüberleben mit Nivolumab plus Chemotherapie verglichen mit Chemotherapie allein bei Patienten mit einem PD-L1 Expressionslevel von < 1 % gewesen. Es handele sich insoweit um eine rein explorative Analyse. Die Ergebnisse einer solchen Analyse dienten primär der Hypothesenbildung. Die sich aus der Studie ergebende Hypothese könne unter Umständen das Ziel einer weiteren Studie definieren. Als wissenschaftlicher Beleg seien die Ergebnisse einer solchen Studie indes nicht geeignet. Es fehle insbesondere konkret in Bezug auf die CheckMate 227 an hinreichender statistischer Signifikanz der Ergebnisse. Auch fehle es im Hinblick auf die von der Studie in Bezug genommene Subpopulation an einem hinreichenden wissenschaftlichen Beleg für die Feststellung einer Gesamtüberlebensrate (vgl. Studie, Anlage AS 6, Appendix zur Studie, Anlage AS 7). Bei der infrage stehenden Studie handele es sich somit nicht um den von der Rechtsprechung zum Beleg heilmittelwerberechtlicher Aussagen geforderten „Gold-Standard“. Auch die Ärzteschaft leite aus der CheckMate 227-Studie keine Erkenntnisse ab (ESMO-Guidelines, Anlage AS 14, Publikation, Anlage AS 15).
13
Die Antragstellerin behauptet weiter, die Justiziarin der Antragstellerin, Frau L. R., sei die zuständige Mitarbeiterin im Unternehmen der Antragstellerin für die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen. Diese habe von den verfahrensgegenständlichen Verstößen am 23.11.2020 Kenntnis erlangt (eidesstattliche Versicherungen, Anlagen AS 12 und AS 13).
14
Die Antragstellerin meint, die angegriffenen Aussagen bzw. die angekündigte Verwendung der Studie „CheckMate 227“ seien aus heilmittelwerberechtlicher Sicht unzulässig. Ihr stünden deswegen Verletzungs- bzw - soweit Erstbegehungsgefahr anzunehmen sei - vorbeugende Unterlassungsansprüche zu.
15
Mit den in Ziff. I. 1. lit. a) und b) angegriffenen Gestaltungen, die inzwischen aufgrund erfolgter Klarstellung der Antragsgegnerin erledigt seien, habe die Antragsgegnerin Werbung für die hier verfahrensgegenständlichen Arzneimittel außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebiets gemacht, da die Präparate nur in Kombination mit Chemotherapie zugelassen seien. Die Darstellung sei zudem irreführend, weil es für die in den Tabellen enthaltene Gesamtüberlebensdauer keinen wissenschaftlichen Beleg gebe. Die von der Antragsgegnerin insoweit herangezogene Studie „CheckMate 227“ sei zur wissenschaftlichen Absicherung der angegriffenen Aussagen ungeeignet. Die auf S. 13 des Slidedecks Anlage AS 1 vorgehaltene, mit Antrag Ziff. I. 2. angegriffene Aussage sei ebenfalls irreführend. Die Antragsgegnerin treffe Aussagen zur OS-Plateaubildung bei verschiedenen Tumorentitäten unter einer Therapie nur mit der Kombination der Arzneimittel O… und Y… und zwar in Zusammenhang mit der Behandlung eines Melanoms sowie Nierenzellkarzinoms. Eine Behandlung sei zwar zur Behandlung dieser Krankheiten zugelassen, es ließen sich daraus aber keine Rückschlüsse für ein OS-Plateau unter einer Therapie des NSCLC ziehen. Die Möglichkeit eines eben solchen Rückschlusses werde durch die angegriffene Gestaltung aber suggeriert. Es gebe keinen nachgewiesenen Effekt, der über Tumorgrenzen hinweg Gültigkeit beanspruchen könne. Die Antragstellerin ist weiter der Auffassung, wenn auf S. 16 des von der Antragsgegnerin herausgegebenen Slidedecks für die Arzneimittel O… und Y… angegeben werde „in der Erstlinienbehandlung des NSCLC“ (Antrag Ziff. I. 3.), stelle dies eine Werbung außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs und damit einen Verstoß gegen § 3a HWG dar. Die in der einseitigen Werbeunterlage ([Verbindungs]Anlage AS 2) enthaltene Aussage „Chance auf langanhaltende Wirksamkeit durch duale Immuntherapie“ (Antrag Ziffer I. 4.) sei in mehrfacher Hinsicht irreführend und damit aus heilmittelwerberechtlicher Sicht unzulässig. Es sei der Unterlage schon nicht zu entnehmen, was mit „langanhaltend“ gemeint“ sein solle. Aus dem Gesamtkontext der Unterlage folge, dass der angesprochene Verkehr erwarten werde, dass die Wirksamkeit länger als 27 Monate anhalte. Es existiere aber keine wissenschaftliche Grundlage dahingehend, die es ermöglichen würde, Aussagen darüber zu treffen, dass die vorliegend beworbene Therapie Wirksamkeit über derart lange Zeiträume zeige. Zudem seien O… und Y… als duale Immuntherapie gar nicht zugelassen worden. Wenn die Antragsgegnerin in Abweichung von der bisher in der einseitigen Werbeunterlage enthaltenen Aussage mit der Aussage „Erste duale Therapie in der 1L NSCLC, die Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1-Status gezeigt habe“ (Antrag Ziff. I. 5.) werben wolle, sei diese Aussage falsch. Bei der zugelassenen Kombinationstherapie handele es sich schon nicht um eine „duale“ Erstlinientherapie, es habe außerdem schon zuvor andere Therapien gegeben, die Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1-Status gezeigt hätten. Die von der Antragsgegnerin in Anspruch genommene Wirksamkeit sei durch die aus Sicht der Antragstellerin ohnehin unverwertbare Studie CheckMate 227 nur mit Blick auf Patienten mit Status PD-L1 ≥ 1 % nachgewiesen. Die aus der E-Mail vom 08.12.2020 folgende Begehungsgefahr habe die Antragsgegnerin nicht ausgeräumt. Die Antragsgegnerin habe zudem in der Antragserwiderung (dort S. 26 unten) zu erkennen gegeben, die in der CheckMate227 gewonnenen Erkenntnisse ergänzend verwenden zu wollen, „um die typische Plateaubildung unter der dualen Immuntherapie zu verdeutlichen“ (Antrag Ziff. I. 6.). Mit diesen Ausführungen habe die Antragsgegnerin Erstbegehungsgefahr für einen künftigen weiteren Verstoß gegen §§ 3, 3a S. 2 HWG, § 5 UWG begründet. Eine Verwendung der in der Studie „CheckMate 227“ angeblich gewonnenen Erkenntnisse in der Werbung für die Arzneimittel O… und Y… zum Nachweis der in Aussicht gestellten Aussage sei unzulässig, weil ein solches Vorgehen einerseits eine Werbung außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes der Medikamente darstellen würde und zweites die in Betracht gezogenen Aussagen durch die Studie nicht belegt werden könnten, da diese keine geeignete wissenschaftliche Grundlage darstelle.
16
Soweit die Unterlassungserklärung der Antragsgegnerin in diesem Verfahren gegenständliche (Ziffern I. 1. und I. 3. der Antragsschrift) Äußerungen betrifft, sah sich die Antragstellerin zunächst nicht in der Lage, die abgegebenen Unterlassungserklärungen anzunehmen, da diese ihrer Ansicht nach nicht geeignet waren, die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr auszuräumen, weil von diesen kerngleiche Verletzungshandlungen nicht umfasst seien (vgl. Antragsschrift S. 25 f., Bl. 25 f., S. 28 f., Bl. 28 f.). Nachdem die Antragstellerin in den Ausführungen der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung insoweit eine Klarstellung erblickte, wonach die abgegebene Unterlassungserklärung dem Willen der Antragsgegnerin nach zumindest in Bezug auf Antrag I. 1. so zu verstehen sei, dass auch kerngleiche Verletzungshandlungen von dieser umfasst seien, erklärte die Antragstellerin im Schriftsatz vom 15.02.2021 den Rechtsstreit in Ziff. I. 1. lit. a) und b) der Antragsschrift, mit dem sie ursprünglich ein Verbot der Abbildungen auf Bl. 13 des Slidedecks Anlage 1 begehrte und zwar in Bezug auf die dortigen Abbildungen sowohl alternativ als auch kumulativ (vgl. Ziff. I. 1. des Verfügungsantrags vom 23.12.2020, Bl. 1/2 d.A.), für erledigt (Bl. 101 d.A.). Die Antragsgegnerin hat sich der Erledigterklärung nicht angeschlossen. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 25.02.2021 (Bl. 157/165 d.A.) eine Verfahrensrüge erhoben.
17
Die Antragstellerin beantragt zuletzt:
I. Der Antragsgegnerin wird - der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung - bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre; Ordnungshaft zu vollziehen am Geschäftsführer der Antragsgegnerin)
verboten,
im geschäftlichen Verkehr,
1. für die Arzneimittel O… und Y… - jeweils wie geschehen in der ANLAGE 1 -
jeweils unter der Angabe „Nivolumab + Ipilimumab: OS-Plateaubildung bei verschiedenen Tumorentitäten“,
anzugeben,
a)
und/oder
b)
wobei von den Verboten gemäß vorstehender lit. a) und lit. b) jeweils ausgenommen ist das Verbot, für die Arzneimittel O… und Y… wie folgt zu werben und/oder werben zu lassen, wenn dies geschieht wie in der ANLAGE 1,
und/oder
2. im Zusammenhang mit Angaben zur O… + Y… + 2 Zyklen Chemotherapie Kombination zur Therapie des NSCLC wie folgt darzustellen, wenn dies geschieht wie in der ANLAGE 1
und/oder
3. für die Arzneimittel O… und Y… anzugeben,
„in der Erstlinientherapie der NSCLC“,
wie geschehen in der ANLAGE 1, wobei ausgenommen von diesem Verbot das Verbot ist, wie folgt für die Arzneimittel O… und Y… zu werben und/oder werben zu lassen,
und/oder
4. für die Arzneimittel O… und Y… anzugeben,
„Chance auf langanhaltende Wirksamkeit durch die duale Immuntherapie“;
wie geschehen in der ANLAGE 2;
und/oder
5. für die Arzneimittel O… und Y… anzugeben,
„Erste duale Immuntherapie in der 1L NSCLC, die Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1-Status gezeigt hat.“,
wenn dies wie in einer solchen Unterlage geschieht, wie die Unterlage gemäß ANLAGE 2;
und/oder
6, für die Arzneimittel O… und Y… im Anwendungsgebiet NSCLC eine Plateaubitdung unter der (dualen) Immuntherapie unter Verwendung der Erkenntnisse der Studie CheckMate 227 darzustellen.
mit der Maßgabe, dass in Ziffer 1.1 a) und b) beantragt wird, festzustellen, dass der Antrag erledigt ist.
18
Die Antragsgegnerin beantragt,
Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung inklusive des nunmehr gestellten Feststellungsantrags.
19
Die Antragsgegnerin bringt vor, bei der Therapie mit den hier verfahrensgegenständlichen Medikamenten O… und Y… komme es - im Gegensatz zum Arzneimittel der Antragstellerin K… - auf den PD-L1-Status der Patienten nicht an. Die Medikamente seien folglich unabhängig vom PD-L1 Status zugelassen. Bis heute sei die Antragsgegnerin das einzige Unternehmen mit einer Zulassung für die Kombination zweier Immuntherapien zur effektiven Bekämpfung von Tumorerkrankungen.
20
In Bezug auf die Qualität der Studie CheckMate 227 sei auszuführen, dass diese dem sog. „Gold-Standard“ entspreche. Es seien unterschiedliche Therapieregime untersucht und miteinander verglichen worden. Die Anpassung des Studiendesigns im Verlauf der Studie sei deshalb erfolgt, um aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Therapieoptionen zu berücksichtigen. Auswirkungen auf die Qualität der Studie seien damit nicht verbunden. Die Studie habe aber dennoch statistisch valide Daten geliefert, was sich auch aus einer Begutachtung dieser Studie ergebe (vgl. EPAR, Anlagen Agg. 2 und Agg. 3). Die Daten seien auch von der EMA im Rahmen des Zulassungsverfahrens akzeptiert worden. Innerhalb der Ärzteschaft genieße die fragliche Studie ein hohes Ansehen (vgl. ESMO-Guidelines, Agg. 4).
21
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, der Antragstellerin stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Es fehle bereits am Verfügungsgrund, weil es auf die Kenntnis der Justiziarin der Antragstellerin vorliegend nicht ankomme. Vielmehr sei in Konstellationen, wie der hier zur Entscheidung stehenden, die Kenntnis der Fachabteilung entscheidend. Hierzu verhielten sich die Ausführungen der Antragstellerin aber nicht. Die Antragstellerin habe zudem ein dringlichkeitsschädliches Verhalten an den Tag gelegt, indem aufgrund ihres Verhaltens eine ursprünglich für den 18.02.2021 anberaumte Verhandlung gem. § 128a ZPO wegen ihres kurzfristigen Erscheinens im Sitzungssaal habe verlegt werden müssen.
22
Die Antragsgegnerin meint ferner, der Antragstellerin stünden die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht zu. In Bezug auf die mit Anträgen I. 1 und I. 3. begehrten Verbote stünde der Antragstellerin schon deshalb kein Unterlassungsanspruch zu, weil die erforderliche Wiederholungsgefahr aufgrund der Abgabe einer Unterlassungserklärung durch die Antragsgegnerin ausgeräumt worden sei. Diese Unterlassungserklärung sei insoweit zu verstehen, dass auch kerngleiche Verletzungen von ihr umfasst seien, weshalb kein Zweifel am Entfall der Wiederholungsgefahr bestehen könne. Ansprüche auf die Abgabe weitergehender Unterlassungserklärungen stünden der Antragstellerin hingegen nicht zu. Der Antragstellerin stünde zudem kein entsprechender Unterlassungsanspruch im Hinblick auf das mit Ziff. I. 2. begehrte Verbot (Aussagen zur OS-Plateaubildung bei verschiedenen Tumorentitäten) zu. Die betreffenden Präsentationsslides müssten im Gesamtzusammenhang der Präsentation gesehen werden, um das Verständnis der insoweit angesprochenen Fachkreise beurteilen zu können. Die angegriffenen Aussagen erfolgten unter der Überschrift „Das potentiell synergetische Wirkprinzip der dualen Immuntherapie“. Den Fachkreisen sei klar, dass die Darstellungen nur allgemein das Wirkprinzip von O… und Y… beträfen. Es handele sich um wissenschaftliche Background-Informationen, was den angesprochenen Fachkreisen auch geläufig sei. Die Annahme, die angesprochenen Fachkreise würden insoweit davon ausgehen, es würden Daten für das NSCLC präsentiert, sei fernliegend. Davon scheine auch die Antragstellerin auszugehen, die für ihr Arzneimittel K… in ähnlicher Weise werbe. Eine Irreführung der Fachkreise scheide auch mit Blick auf die Aussage „Chance auf langanhaltende Wirksamkeit durch die duale Immuntherapie“ aus, welche die Antragstellerin mit Antrag Ziff. I. 4. angreife. Eine Irreführung sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil in der betreffenden Werbeunterlage in großer Schriftart deutlich gemacht werde, dass zusätzlich zwei Zyklen Chemotherapie zu geben seien. Auch in Bezug auf „langanhaltende Wirksamkeit“ erwarte der Fachkreisangehörige nicht den von der Antragstellerin in den Raum gestellten 5-Jahres-Zeitraum. Für die angesprochenen Verkehrskreise sei zudem klar, dass von einer „dualen Immuntherapie“ dann gesprochen werde, wenn zwei Immuntherapien zusammen gegeben würden.
23
Die Antragsgegnerin ist weiter der Ansicht, auch in Bezug auf das mit Antrag Ziff. I. 5. beantragte Verbot stünde der Antragstellerin kein Unterlassungsanspruch zu, denn die dort gemachten Aussagen entsprächen - ungeachtet dessen, dass schon keine Begehungsgefahr bestehe - den Tatsachen. Bei der Kombinationstherapie der Medikamente O… und Y… in der zugelassenen Form handele es sich um die erste duale Immuntherapie. Der Verweis der Antragstellerin auf ihr eigenes Medikament verfange insoweit nicht. Den angesprochenen Verkehrskreisen sei zudem bewusst, dass zusätzlich zu den Arzneimitteln der Antragsgegnerin die Gabe von zwei Zyklen Chemotherapie erforderlich sei.
24
Die Antragsgegnerin ist schließlich der Auffassung, der Antragstellerin stünde aus keinem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch zu, jede Nutzung der Studie CheckMate227 zu unterbinden (Antrag Ziff. I. 6.). Eine ergänzende Verwendung der Studie begegne im Gegenteil keinen relevanten Bedenken.
25
Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 18.02.2021 (Bl. 141/145 d.A.) und vom 02.03.2021 (Bl. 190/193 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet, weil ein Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. Auf die Frage des Bestehens eines Verfügungsgrundes kommt es somit nicht an.
27
A. Die Antragstellerin hat in Bezug auf die begehrten Verbote keinen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht, weshalb der Antrag insgesamt zurückzuweisen war.
28
Im Einzelnen:
29
I. Der Antragstellerin steht mit Blick auf die mit Ziffern. I. 1. und 3. begehrten Verbote kein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch nach Maßgabe der §§ 8, 3a, 3 Abs. 1 UWG, § 3a S. 2 HWG zu, weil die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr aufgrund der mit Schreiben vom 21.12.2020 (Anlage AS 11) abgegebenen Unterlassungserklärung ausgeräumt wurde.
30
1. Anspruchsvoraussetzung des lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs ist grundsätzlich das Bestehen einer Begehungsgefahr in Form von Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr (BGH GRUR 1980, 241, 242 - Rechtsschutzbedürfnis; BGH GRUR 1983, 127, 128 - Vertragsstrafeversprechen; BGH GRUR 1992, 318, 319 - Jubiläumsverkauf; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2021, § 8 Rn. 1.11). Ist es bereits zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen, streitet eine tatsächliche Vermutung für das Bestehen von Wiederholungsgefahr (stRspr BGH GRUR 2002, 717, 719 - Vertretung der Anwalts-GmbH). Diese Vermutung wird in der Regel nur dann widerlegt und die Wiederholungsgefahr damit ausgeräumt, wenn der Verletzer eine bedingungslose und unwiderrufliche Unterlassungsverpflichtungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung abgibt (BGH GRUR 2008, 996 Rn. 33 - Clone-CD; BGH GRUR 2008, 1108 Rn. 23 - Haus & Grund III; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, a.a.O., § 8 Rn. 1.48). Dabei lässt bereits die Abgabe einer ernsthaften und angemessenen Unterwerfungserklärung unabhängig von einer Annahme durch den Unterlassungsgläubiger die Wiederholungsgefahr entfallen (BGH GRUR 2006, 878 Rn. 20 - Vertragsstrafenvereinbarung).
31
Im Rahmen der konkreten Unterwerfung steht es dem Unterlassungsschuldner grundsätzlich frei, ob er eine abstrakte Formulierung wählt oder ob er sich bei dem, was er zu unterlassen verspricht, an der konkreten Verletzungsform orientiert. Einen Anspruch auf Abgabe einer ganz bestimmten Unterlassungserklärung hat der Unterlassungsgläubiger grundsätzlich nicht (BGH GRUR 2003, 899, 900 - Olympiasiegerin). Entscheidet sich der Unterlassungsschuldner, sich bei der Formulierung der Unterlassungserklärung eng an der Verletzungsform zu orientieren, so lässt auch eine solche Erklärung die Wiederholungsgefahr regelmäßig entfallen, weil die Kerntheorie gilt und daher eine auf die konkrete Verletzungsform bezogene Unterwerfungserklärung die Wiederholungsgefahr auch für Varianten des Verhaltens entfallen lässt, die mit der konkreten Verletzungsform kerngleich sind (BGH GRUR 1996, 290, 291 - Wegfall der Wiederholungsgefahr I; BGH GRUR 1997, 379, 380 - Wegfall der Wiederholungsgefahr II). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Auslegung der Erklärung ergibt, dass der Schuldner mit der Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform gerade das Ziel verfolgt, sich hinsichtlich kerngleicher Verletzungsformen der Verfolgung zu entziehen (BGH GRUR 2003, 450, 452 - Begrenzte Preissenkung). In einem solchen Fall entfällt die Wiederholungsgefahr für kerngleiche Verletzungen gerade nicht.
32
2. Gemessen hieran haben die von der Antragsgegnerin im Schreiben vom 21.12.2020 abgegebenen Erklärungen die Wiederholungsgefahr für die mit Ziffern I. 1. und I. 3. verfolgten Ansprüche entfallen lassen. Die Antragsgegnerin hat sich in diesem Zusammenhang verpflichtet, „für die Arzneimittel O… und Y… wie folgt zu werben und/oder werben zu lassen (…)“. Sie hat sich insoweit auf das Verbot einer Bewerbung der konkret beanstandeten Aussagen beschränkt. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin hiermit gerade das Ziel verfolgte, sich hinsichtlich kerngleicher Verletzungsformen der Verfolgung zu entziehen, ergibt die nach dem objektiven Empfängerhorizont vorzunehmende Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der Unterwerfungserklärung nicht. Denn das Charakteristische der von der Antragstellerin in ihrer Abmahnung beanstandete Verhalten, nämlich die Darstellung verschiedener OS-Plateaubildungen auf Basis der CheckMate227-Studie bei der Gabe von Nivolumab und Ipilimumab ohne Chemotherapie sowie die Aussage „O… + Y… in der Erstlinientherapie des NSCLC“ ist gerade zentraler Gegenstand der Unterwerfungserklärung. Dass sich die Antragsgegnerin nur in Bezug auf eine bestimmte graphische Darstellung der verschiedenen Kurven oder eine bestimmte farbliche Einbettung der angegriffenen Aussage unterwerfen wollte, lässt sich der Erklärung nicht entnehmen.
33
3. Der Antrag Ziff. I. 1. war demnach bereits im Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht unbegründet, weshalb es am Eintritt eines erledigenden Ereignisses fehlt und auch der Feststellungsantrag keinen Erfolg haben konnte.
34
II. In Bezug auf die in Ziffern I. 2, I. 4. und I. 5. begehrten Verbote hat die Antragstellerin eine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise i.S.d. § 3 HWG nicht glaubhaft gemacht. In Bezug auf die mit Anträgen I. 4 und I. 5. angegriffenen Aussagen besteht zudem keine Begehungsgefahr für eine Werbung außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes gem. § 3a S. 2 HWG. Folglich stehen der Antragstellerin die geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsansprüche aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG nicht zu.
35
1. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 HWG ist eine irreführende Werbung unzulässig. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 HWG liegt eine irreführende Heilmittelwerbung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Insoweit sind - wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung - besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH, GRUR 2002, 182, 185 - Das Beste jeden Morgen; BGH GRUR 2013, 649 Rn. 15 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
36
Für die Bestimmung des Inhalts einer solchen Werbeaussage ist auf das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten abzustellen (BGH GRUR 2021, 513 Rn. 11 - Sinupret). Richtet sich die Werbung - wie hier - an Fachkreise, denen die Mitglieder der erkennenden Kammer nicht angehören, so ist das relevante Verkehrsverständnis regelmäßig durch Erholung eines Sachverständigengutachtens zu bestimmen (BGH GRUR 2021, 513 Rn. 14 - Sinupret), falls die Kammermitglieder aufgrund ihrer ständigen Befassung mit vergleichbaren Streitsachen nicht ausnahmsweise über eigene Sachkunde verfügen (BGH GRUR 2019, 196 Rn. 19 - Industrienähmaschinen) oder aber keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich das Verständnis der angesprochenen speziellen Verkehrskreise von dem des Verkehrskreises unterscheiden könnte, dem die Mitglieder der Kammer angehören (vgl. BGH GRUR 2021, 513 Rn. 14 f. - Sinupret).
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Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist die Erholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht ausgeschlossen (vgl. Harte/Henning/Retzer, UWG, 4. Auflage, § 12 Rdnr. 432), weil aufgrund der damit einhergehenden zeitlichen Verzögerung zu besorgen ist, dass die Durchsetzung der Rechte wesentlich erschwert und somit ein effektiver Rechtsschutz vereitelt würde. Somit genügt es im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Glaubhaftmachung des behaupteten Verständnisses der angesprochenen Fachkreise, wenn der Antragsteller aussagekräftige Unterlagen vorlegt, aus denen sich ein solches Verständnis ergibt.
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2. Ausgehend hiervon sieht sich die Kammer in Bezug auf die mit Anträgen I. 2., I. 4 und I. 5. angegriffenen Aussagen nicht in der Lage, das relevante Verkehrsverständnis zu beurteilen. Die Aussagen richten sich an spezielle Fachkreise, d.h. an Ärzte, die mit der Verordnung und Verabreichung von Krebstherapien befasst sind. Diese Fachkreise, die überwiegend aus Fachärzten der Onkologie bestehen, verfügen über ein spezifisches Fachwissen einer medizinisch äußerst komplexen Materie. Die Kammer kann insoweit nicht beurteilen, wie die angesprochenen Fachkreise die konkret von der Antragstellerin angegriffenen Aussagen beurteilen. Unterlagen, aus denen sich das von der Antragstellerin in Anspruch genommene Verkehrsverständnis ergibt, etwa in Form von (fach-) ärztlichen Stellungnahmen hat die Antragstellerin nicht vorgelegt.
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a. Die Kammer vermag nicht einzuschätzen, ob die Fachkreise aus der Darstellung auf S. 12 der Präsentation (Anlage AS 1) zur OS-Plateaubildung bei den Tumorentitäten „Melanom“ und „RCC“ tatsächlich Rückschlüsse auf die Wirkungen der Arzneimittel im Zusammenhang mit der Behandlung des NSCLC ziehen (Antrag I.2). Die Kammer kann jedenfalls nicht ausschließen, dass den angesprochenen Fachkreisen bewusst ist, dass verschiedene Tumorerkrankungen unterschiedliche Therapien nach sich ziehen, und dass sich die Darstellung - wie auch aus der Gestaltung des Slidedecks ersichtlich ist - darauf beschränkt, die generellen Wirkungen von Immuntherapien wiederzugeben. Die Kammer hat jedenfalls Zweifel, ob die angesprochenen Verkehrskreise tatsächlich die angegriffene Darstellung dahingehend verstehen, dass ähnliche oder gleiche Wirkungen auch bei der Behandlung des NSCLC zu erwarten sind. Diese Zweifel gehen zu Lasten der insoweit darlegungs- und glaubhaftmachungsbelasteten Antragstellerin.
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b. Die Kammer kann weiter nicht sicher beurteilen, wie die angesprochenen Fachkreise die Aussage „Chance auf langanhaltende Wirksamkeit durch die duale Immuntherapie“ verstehen (Antrag 1.4). Die Antragstellerin hat insoweit vorgetragen, aus dem Gesamtkontext der Unterlage folge, dass der angesprochene Verkehr erwarten werde, dass die Wirksamkeit länger als 27 Monate anhalten würde, wofür kein wissenschaftlicher Beleg existiere. Dieses - insoweit von der Antragsgegnerin in Abrede gestellte - Verkehrsverständnis (vgl. Antragserwiderung S. 22 f., Bl. 83 f. d.A.) hat die Antragstellerin nicht durch Vorlage aussagekräftiger Unterlagen glaubhaft gemacht.
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Eine Werbung außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes und damit ein Verstoß gegen § 3a S. 2 HWG liegt ebenfalls nicht vor. Aus der maßgeblichen Sicht der angesprochenen Fachkreise wird die in Frage stehende Angabe (Antrag 1.4) nicht dahin verstanden, dass eine Therapie mit diesen beiden Arzneimitteln ohne 2 Zyklen Chemotherapie erfolgen soll. Denn die Angabe wird aus Sicht der angesprochenen Fachkreise in dem gegebenen Kontext, unter der in fetten Lettern und hervorgehobener Schriftgröße gehaltenen Überschrift: „O… + Y… + 2 Zyklen Chemotherapie: Eine neue Therapieoption in der 1L NSCLC“ gelesen und verstanden. Unübersehbar und unmissverständlich ist die beworbene Therapie daher eine auch mit Chemotherapie kombinierte. Dies wird im weiteren Text der Werbeunterlage an verschiedenen Stellen wiederholt. Im zweiten Bulletpoint direkt unter der beanstandeten Angabe werden die 2 Zyklen Chemotherapie angeführt. Auch im Fließtext wird immer wieder die Kombination mit 2 Zyklen Chemotherapie angesprochen. Schließlich wird die beworbene Therapie in der Beschriftung der graphischen Darstellung als „O… + Y… + 2 Zyklen Chemotherapie“ bezeichnet. Den Fachkreisen wird daher nicht entgehen, dass die beworbene Therapie die Kombination mit 2 Zyklen Chemotherapie umfasst. Insoweit kann die Kammer das Verständnis der angesprochenen Fachkreise aus eigener Sachkunde beurteilen, auch wenn ihre Mitglieder nicht zu den angesprochenen Fachkreisen gehören. Denn es bestehen in diesem Zusammenhang nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verständnis der angesprochenen speziellen Verkehrskreise von dem des Verkehrskreises unterscheiden könnte, dem die Mitglieder der Kammer angehören (vgl. BGH GRUR 2021, 513 Rn. 14 f. - Sinupret). Vielmehr ist bei den angesprochenen Fachkreisen von einem erhöhten Aufmerksamkeitsgrad auszugehen, so dass es fernliegend wäre anzunehmen, sie würden - anders als die Mitglieder der Kammer - die Aussage im ersten Bulletpoint bezogen auf eine Therapie ohne Chemotherapie verstehen.
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c. Die Kammer kann ferner nicht beurteilen, wie die angesprochenen Fachkreise die Aussage „Erste duale Immuntherapie in der 1L NSCLC, die Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1 Status gezeigt hat“ auffassen (Antrag 1.5). Der Kammer fehlt schon das entsprechende Fachverständnis, wie die Frage der „Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1-Status“ zu verstehen ist, weshalb sie eine Prüfung nicht vornehmen kann, ob insoweit ein Eindruck erweckt wird, der mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang steht, zumal die als Anlagen Agg 4 und AS 14 vorgelegte ESMO Guideline eine entsprechende Therapieempfehlung trotz nicht optimaler Studienlage ausspricht. Dass die Aussage unwahr ist, weil es auch andere duale Immuntherapien gebe, die Wirksamkeit über derart lange Zeiträume gezeigt habe, hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Schließlich liegt aus den gleichen wie unter C., II., 2., b. dargelegten Gründen auch insoweit kein Verstoß gegen § 3a S. 2 HWG vor.
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Ob die Antragsgegnerin sich vorliegend überhaupt einer solchen Aussage in einer Weise berühmt hat, die Erstbegehungsgefahr begründet, kann daher dahinstehen.
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III. Der Antragstellerin steht schließlich das mit Ziffer I. 6. des Verfügungsantrags begehrte Verbot in der Fassung des Schriftsatzes vom 15.02.2021, womit der Antragsgegnerin untersagt werden soll, „für die Arzneimittel O… und Y… im Anwendungsgebiet NSCLC eine Plateaubildung unter der (dualen) Immuntherapie unter Verwendung der Ergebnisse der Studie CheckMate 227 darzustellen“, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Auf die Frage des Vorliegens einer entsprechenden Erstbegehungsgefahr kommt es daher nicht an. Denn selbst bei unterstellter Berühmung eines solchen Verhaltens durch die Antragsgegnerin vermitteln die von der Antragstellerin in Anspruch genommenen Regelungen der §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. § 3 S. 2 Nr. 1 HWG einen derart weitgehenden Unterlassungsanspruch nicht, zumal aufgrund heilmittelrechtlicher Vorschriften nicht jede Verwendung einer umstrittenen wissenschaftlichen Studie untersagt werden kann.
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1. Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (sog. „Strengeprinzip“, vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rn. 16 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können (BGH GRUR 2013, 649 Rn. 16 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Darüber hinaus kann es irreführend sein, wenn eine Werbeaussage auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen (vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rn. 17 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Welche Anforderungen an den Nachweis einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis zu stellen sind, hängt von den im Wesentlichen tatrichterlich zu würdigenden Umständen des Einzelfalls ab. Studienergebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, sind grundsätzlich nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dies erfordert nach dem sog. „wissenschaftlichen Goldstandard“ im Regelfall, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (BGH GRUR 2013, 649 Rn. 19 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil, m.w.N.).
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2. Aus den vorliegenden Überlegungen folgt für den hier relevanten Fall, dass selbst dann, wenn die in Frage stehende Studie mangels Einhaltung des wissenschaftlichen Gold-Standards zur wissenschaftlichen Absicherung einer OS-Plateaubildung im Anwendungsgebiet des NSCLC nicht geeignet wäre, nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen dennoch ein legitimer Anwendungsbereich für ihre Verwendung bliebe. Denn es handelt sich um eine Studie, die nach dem von der Antragsgegnerin glaubhaft gemachten Vortrag zumindest für bestimmte Bereiche statistisch valide Daten liefert (Begutachtung der Studie EPA-Report, Agg 2, Agg 3). Ihr kann deshalb nicht grundsätzlich jeder wissenschaftliche Anspruch und damit die Eignung zum Beleg bestimmter Aussagen abgesprochen werden. Darüber hinaus wäre eine Verwendung der Studie nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auch unter dem Gesichtspunkt der „wissenschaftlich umstrittenen Meinung“ vorstellbar. Der Antragsgegnerin obläge es dann, im Rahmen etwaiger Werbeaussagen auf abweichende Ansichten hinzuweisen.
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B. Ob der Verfügungsantrag dringlich ist, bedarf nach alledem keiner Entscheidung.
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C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 6, 711 Satz 1 und Satz 2 ZPO.