Titel:
Zulässigkeit der negativen Bewertung von Versandkosten auf einer Internethandelsplattform
Normenkette:
BGB § 249, § 823, § 824, § 1004
Leitsatz:
Die Bewertung der Versandkosten für eine Internetbestellung mit den Worten "Versandkosten Wucher!!" stellt eine zulässige Meinungsäußerung dar, die durch die Meinungsäußerungsfreiheit geschützt ist. (Rn. 24 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsanwaltskosten, Meinungsfreiheit, Ware, Bewertung, Verletzung, Tatsachenbehauptung, e., Entfernung, Gewerbebetrieb, Mehrwertsteuer, Versandkosten, Handelsplattform, Klage, Rechtswidrigkeit, negativen Bewertung, keine Pflichtverletzung
Rechtsmittelinstanzen:
LG Weiden, Urteil vom 28.10.2020 – 22 S 17/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 28.09.2022 – VIII ZR 319/20
Fundstelle:
GRUR-RS 2020, 60902
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt die Entfernung einer von dem Beklagten im Bewertungsprofil der Klägerin auf dem online-Marktplatz e. abgegebenen negativen Bewertung.
2
Die Klägerin vertreibt unter dem Accountnamen …_de auf der Internethandelsplattform e. als gewerblicher Händler unter anderem Zubehörteile für Kraftfahrzeuge.
3
Der Beklagte erwarb unter dem ihm zugeordneten Account mit dem Namen Ic4rot bei der Klägerin 4 Gelenksbolzenschellen aus Edelstahl für 14,36 € netto zzgl. 4,90 € Versandkosten zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt damit 19,26 €.
4
Die Ware wurde durch die Klägerin an den Beklagten versandt und durch den Beklagten vollständig bezahlt.
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Nach der Abwicklung des Geschäfts gab der Beklagte im Bewertungsprofil der Klägerin auf der Handelsplattform eine negative Bewertung mit dem Inhalt: „Ware gut, Versandkosten Wucher!!“ ab.
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Mit E-Mail vom einen 20.01.2020 forderte die Klägerin den Beklagten auf, die Bewertung bis zum 28.01.2020 zu ändern oder zu entfernen, da diese in keinster Weise gerechtfertigt sei.
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Hierauf reagierte der Beklagte nicht.
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Mit anwaltlichen Schreiben vom 28.01.2020 ließ die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung bis 07.02.2020 erneut auffordern, die Bewertung zu entfernen bzw. entfernen zu lassen.
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Eine Entfernung und Änderung der Bewertung erfolgte nicht.
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Die Klägerin behauptet, dass die Ware als D.-Paket zu einem Preis von 4,90 € versandt worden sei.
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Die Bewertung des Beklagten stelle unwahren Tatsachenvortrag dar, der geeignet sei, das geschäftliche Ansehen der Klägerin in erheblichem Maße zu schädigen.
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Die Klägerin beantragt:
1. Der Beklagte wird dazu verurteilt, die von ihm im Bewertungsprofil der Klägerin (… auf dem online-Marktplatz e. zu der Artikelnummer ... (Gelenkbolzenschelle 38-41 mm Edelstahl V2a ... Edelstahlschelle Auspuff rostfrei) abgegebene negative Bewertung des Wortlautes „Ware gut, Versandkostenwucher!!“ zu entfernen.
2. Der Beklagte wird weiterhin verurteilt, an die Klägerin vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,90 € zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte behauptet, die Ware sei in einem einfachen Briefumschlag zu dem üblichen Porto versandt worden.
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Der Beklagte meint, dass es sich bei seiner Aussage nicht um einen Tatsachenvortrag, sondern um eine zulässige Meinungsäußerung handele.
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Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf das Sitzungsprotokoll vom 25.05.2020 Bezug genommen.
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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
18
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
19
1. Die Klage ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts ergibt sich aus den §§ 23 Nr. 1, 71 GVG. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32 ZPO.
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2. Die Klage ist unbegründet.
21
a. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Entfernung der Bewertung gemäß den §§ 1004 Abs. 1 BGB analog, 823 Abs. 1, 249 BGB.
22
Bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wie des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt es sich um sogenannte offene Tatbestände, d.h. die Rechtswidrigkeit ist nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern im Rahmen einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (Sprau in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 25 und 95).
23
Stehen sich als widerstreitende Interessen die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG) bzw. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt. Eine Tatsachenbehauptung bezieht sich auf etwas Geschehnis oder einen gegenwärtigen Zustand und steht deshalb grundsätzlich dem Beweis offen, d.h. ihre Wahrheit oder Unwahrheit ist grundsätzlich mit den in der Prozessordnung vorgesehenen Beweismitteln überprüfbar. Werturteile sind demgegenüber durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens und Meinens geprägt und deshalb dem Beweis nicht zugänglich.
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Vorliegend ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit für die von dem Beklagten abgegebene Bewertung eröffnet. Es handelt sich nicht um eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung, welche nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt würde, sondern lediglich um eine Meinungsäußerung in Form eines Werturteils. Die Bezeichnung „Wucher“ stellt eine Rechtsauffassung des Beklagten dar. Rechtsauffassungen sind grundsätzlich als Meinungsäußerung anzusehen. Dies ist nur dann anders, wenn die Rechtsauffassung mit konkreten Schilderungen über dem Beweis zugängliche Vorgänge verbunden wird. Der streitgegenständlichen Bewertung lässt sich entgegen der Auffassung der Klagepartei keine konkret greifbare Tatsachenbehauptung entnehmen. Der verwendete Begriff ist auslegungsfähig und auslegungsbedürftig, eine eindeutige, beweisbare Tatsachengrundlage kann eben nicht entnommen werden, auch wenn der Begriff in Zusammenhang mit den Versandkosten gestellt wird. Unter diesen Umständen handelt es sich insgesamt um eine Äußerung, die durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird und die deshalb in vollem Umfang am Schutz des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG teilnimmt.
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Meinungsäußerungen in Form eines Werturteils sind nur dann unzulässig, wenn es sich um reine Schmähkritik handelt. Eine solche liegt hier jedoch nicht vor. An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil andernfalls eine umstrittene Äußerung ohne Abwägung dem Schutz der Meinungsfreiheit entzogen und diese damit in unzulässiger Weise verkürzt würde. Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, nimmt die Äußerung den Charakter einer unzulässigen Schmähung an. Diese Anforderungen erfüllt die Bewertung nicht. Sie weist insofern Sachbezug auf, als sie in Zusammenhang mit den Versandkosten gestellt ist.
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Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt vorliegend die Meinungsfreiheit des Beklagten das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin.
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b. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus den §§ 1004 Abs. 1 BGB analog, 824, 249 Abs. 1 BGB. In Bezug auf § 824 BGB fehlt es an der vorausgesetzten Tatsachenbehauptung (siehe oben).
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c. Ein Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 BGB auf Entfernung der Bewertung besteht ebenfalls nicht. Da es sich um ein von der Meinungsfreiheit geschütztes Werturteil handelt (siehe oben), liegt keine Pflichtverletzung vor.
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d. Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.