Titel:
Sperre eines Nutzerkontos ohne Benennung des Verstoßes
Normenketten:
NetzDG § 4, § 5
EuZustVO Art. 8
ZPO § 256
BGB § 241
DSGVO Art. 82
Leitsätze:
1. An den vom Anbieter eines sozialen Netzwerkes im Inland zu benennenden Zustellungsbevollmächtigten können Zustellungen in Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten wegen der Verbreitung rechtswidriger Inhalte bewirkt werden; das gilt auch für Zustellungen von Schriftstücken, die solche Verfahren einleiten. Art. 8 EuZustVO (Übersetzungserfordernis) ist folglich dahin teleologisch zu reduzieren, dass diese Norm bei Verfahren gegen den Anbieter eines sozialen Netzwerkes, der § 5 NetzDG unterfällt, keine Anwendung findet. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar trifft die Beweislast dafür, dass gegen den Nutzer eines sozialen Netzwerks verhängte Sanktionen unberechtigt waren, grundsätzlich den Nutzer; allerdings muss der Betreiber des sozialen Netzwerks zumindest im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast vortragen, welcher Beitrag oder welches Verhalten des Nutzers überhaupt zu der Sanktion geführt hat, da der Nutzer sonst nicht weiß, was ihm konkret zur Last gelegt wird. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland, Schadensersatz, Feststellung, Rechtsanwaltskosten, Unterlassung, Sperrung, Unterlassungsanspruch, Auskunft, Zustellung, Auskunftsanspruch, Feststellungsklage, Nutzung, Verfahren, Ordnungshaft, Feststellung der Rechtswidrigkeit, berechtigtes Interesse, rechtliches Interesse
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 20.09.2022 – 18 U 6314/20 Pre
Fundstelle:
GRUR-RS 2020, 60883
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger auf www.f..com zu sperren (insbesondere, ihm die Nutzung der Funktionen von www.f..com wie Posten von Beiträgen, Kommentieren fremder Beiträge und Nutzung des Nachrichtensystems vorzuenthalten), ohne ihm zugleich in speicherbarer Form den Anlass der Sperrung und die Begründung, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll, mitzuteilen.
Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 691,33 € durch Zahlung an die Kanzlei REPGOW freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 71 % und die Beklagte 29 % zu tragen.
5. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 11.000,00 €, für die Beklagte im Kostenpunkt in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
6. Der Streitwert wird auf 34.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Unterlassung einer Sperre seines F.-Accounts durch die Beklagte, daneben macht er auf der Grundlage der erfolgten Sperre Feststellungs-, Datenberichtigungs-, Auskunfts- und Geldentschädigungsansprüche geltend.
2
Der Kläger unterhielt seit mehreren Jahren ein Nutzerkonto bei der Beklagten. Das soziale Netzwerk www.f..com wird von der Muttergesellschaft der Beklagten mit Sitz in … betrieben, die den Dienst weltweit anbietet. Für Nutzer in … ist die Beklagte Anbieterin und Vertragspartnerin.
3
Der Kläger wurde am 05.09.2019 von der Beklagten gesperrt (vgl. Screenshot, Blatt 18 der Akten). In der weiteren Folge erhielt er zumindest eine Aufforderung der Beklagten, ein Ausweisdokument einzureichen (vg. Screenshot, Blatt 19 der Akten).
4
Während der 30-tägigen Sperre wurde der Kläger in den sog. „read-only-modus“ versetzt (vgl. Ausführungen in der Klage, Blatt 44 der Akten).
5
Mit anwaltlichem Schreiben vom 16.09.2019 (Anlage K 13) wurde die Beklagte unter anderem aufgefordert, die Sperre aufzuheben und für die Zukunft eine strafbewehrte Unterlassungserklärung anzugeben. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
6
Der Kläger ist der Ansicht, die Sperrung seines Accounts sei rechtswidrig, da eine Sperre ohne Grund bzw. jedenfalls ohne Angabe des Grundes grundsätzlich rechtswidrig sei.
7
Er habe nach mehreren Jahren plötzlich die Aufforderung erhalten, seine persönlichen Unterlagen hochzuladen, das habe er mit verschiedenen Ausweisdokumenten versucht, habe aber nie eine von der Beklagten angekündigte Antwort-Mail bekommen. Irgendwann sei sein Konto dann gesperrt gewesen.
8
Die vorübergehende Sperrung stelle einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, der zu einem Geldentschädigungs- und Schadenersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1. Art. 1 Abs. 1 GG sowie Auskunftsansprüchen führe.
9
Der Kläger beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, die bei ihr gespeicherten Daten des Klägers dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen aus dem Datensatz gelöscht und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagten kein Recht zustand, gegen den Kläger, ohne die Angabe von Gründen, am 05.09.2019 eine Sperre in Form einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Plattform zu verhängen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über die Beiträge zu erteilen, welche Anlass der Sperre vom 05.09.2019 waren.
4. Die Beklagte hat es zu unterlassen, den Kläger auf www.f..com zu sperren (insbesondere, ihm die Nutzung der Funktionen von www.f..com wie Posten von Beiträgen, Kommentieren fremder Beiträge und Nutzung des Nachrichtensystems vorzuenthalten) oder etwaige Beiträge zu löschen, ohne ihm zugleich in speicherbarer Form den Anlass der Sperrung und die Begründung, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll, mitzuteilen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 € €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, die Ordnungshaft ist zu vollziehen an den Vorständen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, ob die Sperre gem. Ziff. 2 durch ein beauftragtes Unternehmen erfolgte und in letzterem Fall, durch welches.
6. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, ob sie konkrete oder abstrakte Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonst irgendwelche Vorschläge von der Bundesregierung oder nachgeordneten Dienststellen hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und/oder der Sperrung von Nutzern erhalten hat, und ggf. welche.
7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 1.500,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.09.2019 zu zahlen.
8. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 691,33 € durch Zahlung an die Kanzlei R. freizustellen.
10
Die Beklagte beantragt
11
Die Beklagte weist zunächst darauf hin, dass die Zusendung der Klageschrift und der gerichtlichen Verfügung an die Beklagte ohne englische Übersetzung erfolgt sei und damit ein Verstoß gegen Art. 8 EuZustVO vorliege.
12
Die Beklagte trägt zudem vor, das Konto des Klägers sei nicht nur gesperrt worden, sondern deaktiviert und später dauerhaft gelöscht. Es fehle somit jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich einer etwaigen Berichtigung seiner Daten. Zudem sei es der Beklagten wegen der Löschung auch unmöglich, die Daten zu berichtigen. Im Übrigen bestünde auch grundsätzlich kein Anspruch auf Berichtigung. Weiterhin fehle es am Feststellungsinteresse bezüglich des Feststellungsantrages und am rechtlichen Interesse hinsichtlich des Auskunftsanspruchs. Zudem sei die Deaktivierung auch nicht rechtswidrig gewesen. Es sei offensichtlich, dass die Sperrung und Löschung darauf zurückzuführen seien, dass die Identität des Klägers bzw. die Authentizität des streitgegenständlichen Kontos in Frage gestellt wurde.
13
Die Beklagte habe in Übereinstimmung mit dem Vertrag gehandelt, indem sie das Konto deaktiviert habe.
14
Sämtliche geltend gemachten Unterlassungs-, Schadensersatz- und Auskunftsansprüche seien unbegründet. Der Unterlassungsanspruch sei zudem nicht vollstreckungsfähig.
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Im übrigen wird auf die Schriftsätze sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 16.07.2020 verwiesen, in welcher der Kläger informatorisch angehört wurde.
Entscheidungsgründe
16
Das Landgericht Traunstein ist für die Entscheidung international, sachlich und örtlich zuständig. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in den Beschlüssen des OLG München vom 24.08.2018, Az. 18 W 1249/18, BeckRS 2018, 20659 sowie vom 17.09.2018, Az. 18 W 1383/18, NJW 2018, 319, und vom 14.10.2019, MDR 2020, 242 Bezug genommen.
17
Der Hinweis der Beklagten, die Zusendung der Klageschrift und der gerichtlichen Verfügung an die Beklagte sei ohne englische Übersetzung erfolgt und es läge deshalb ein Verstoß gegen Art. 8 EuZustVO vor, überzeugt die Kammer nicht. Die Beklagte hat sich innerhalb Europas mit einer Vielzahl von Klagen auseinanderzusetzen, wobei bereits mit Eingang der Klageschrift - ohne Übersetzung - für die Beklagte erkennbar ist, aus welchem Herkunftsland der jeweilige Rechtsstreit stammt und von welchem Gericht die Zustellung verfügt wurde. Bereits hierdurch ist die Beklagte ohne Weiteres in der Lage, den jeweiligen Prozessvertreter im jeweiligen Herkunftsland mit der weiteren Bearbeitung zu beauftragen. Auch im vorliegenden Rechtsstreit war es der Beklagten möglich, innerhalb der laufenden Notfrist die Anwaltskanzlei Wh. & C., F. am M., mit der weiteren Sachbearbeitung zu beauftragen, wobei diese Kanzlei im Übrigen bislang in sämtlichen Verfahren vor hiesiger Kammer gegen die Beklagte aufgetreten ist.
18
Die Berufung der Beklagten darauf, die Klage samt richterlicher Verfügung hätte vorher übersetzt werden müssen, geht am Normzweck des Art. 8 EuZustVO vorbei. Eine Übersetzung würde nur zu unnötigen Kosten beim Kläger (vgl. Art. 5 Abs. 2 EuZustVO) sowie zu einer unnötigen Verzögerung des Rechtsstreits führen, welche in der Sache nicht weiterführt.
19
Weiterhin ist zu sehen, dass die Beklagte dem § 5 NetzDG unterfällt. Demzufolge hat die Beklagte als Anbieter eines sozialen Netzwerkes im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. An diese Person können Zustellungen in Verfahren nach § 4 NetzDG oder in Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten wegen der Verbreitung rechtswidriger Inhalte bewirkt werden. Das gilt auch für Zustellungen von Schriftstücken, die solche Verfahren einleiten. Die Beklagte hat demzufolge ohnehin einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten an der Hand, der ohne Wei[xxx] sein kann. Art. 8 EuZustVO ist folglich in der Weise teleologisch zu reduzieren, dass diese Norm bei Verfahren gegen den Anbieter eines sozialen Netzwerkes, der § 5 NetzDG unterfällt, keine Anwendung findet.
20
Letztlich würde das Fehlen einer Übersetzung ohnehin nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung führen (vgl. Zöller, ZPO, 33.A., Art. 8 EuZustVO Rn. 7).
21
Der Antrag auf Feststellung unter Ziffer 2. ist bereits unzulässig, da es an dem notwendigen Feststellungsinteresse des Klägers fehlt.
22
1. Eine entsprechende Anwendung der prozessualen Vorschriften im öffentlichen Recht, konkret zur Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, kommt mangels planwidriger Regelungslücke von vornherein nicht in Betracht.
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2. Nach § 256 ZPO kann eine Feststellungsklage u.a. zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung hat. Demgegenüber können Tatsachen oder abstrakte Rechtsfragen nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein, ebenso wenig wie bloße Vorfragen oder Elemente einer Rechtsbeziehung (vgl. Zöller, a.a.O., § 256 Rn. 3). Ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sich aus der Feststellung noch Rechtsfolgen für die Gegenwart und Zukunft ergeben können. Vor diesem Hintergrund erscheint jedoch die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Sperrung ebenso unzulässig wie die Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verhaltens (vgl. dazu BGH, NJW 2001, 3789, juris Rz. 16). Da sich der vorliegende Feststellungsantrag auf eine Sperre vom 05.09.2019 und eine - nach eigenem klägerischen Vortrag - darauf folgende befristete Sperre von 30 Tagen bezieht, hängt die Zulässigkeit des Antrags davon ab, ob der Kläger noch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, dass die Beklagte die Sperrung nicht vornehmen durfte. Davon kann auf Grundlage des Vorbringens des Klägers nicht ausgegangen werden.
24
Soweit sich aus der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Sperrung Rechtsfolgen in der Gegenwart ergeben, wie beispielsweise der gleichfalls geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung, kann insoweit die vorrangige Leistungsklage erhoben werden, ohne dass es einer isolierten Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Maßnahme bedarf. Der Kläger hat im Übrigen auch einen Unterlassungsantrag formuliert (Ziffer 4. der Klageanträge). Insbesondere im Rahmen dieses Klageantrags wird die Rechtswidrigkeit einer Sperrung ohnehin geprüft. Durch eine Bekanntgabe dieser Entscheidung könnten mögliche Beeinträchtigungen des Ansehens des Klägers ebenso leicht behoben werden, wie durch die Bekanntgabe eines Feststellungsurteils.
25
3. Der Antrag war daher als unzulässig abzuweisen.
26
Ein Anspruch des Klägers auf Berichtigung der gespeicherten Daten dahingehend, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen aus dem Datensatz des Klägers gelöscht und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird, besteht nicht.
27
Das Konto des Klägers wurde nicht lediglich zeitweise gesperrt, sondern wurde deaktiviert und sodann sogar vollständig gelöscht. Der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Screenshot (Anlage B57, Anlage zum Protokoll) belegt, dass der Account des Klägers dauerhaft gelöscht wurde. Auch der Kläger selbst gab in der mündlichen Verhandlung an, sein Konto sei zunächst gesperrt worden. Durch seinen Rechtsanwalt habe er später erfahren, dass das Konto gelöscht sei. Er habe keinen Zugriff mehr auf das Konto.
28
Unter diesen Umständen besteht jedoch kein Berichtigungsanspruch, da das betroffene Konto nicht mehr existiert und damit kein eventueller Verstoß des Klägers mehr aus seinem Datensatz gelöscht werden kann und auch kein Zähler zurückgesetzt werden kann.
29
Es kann dahinstehen, ob dem Kläger ursprünglich ein Auskunftsanspruch gemäß Ziffer 3) der Klageanträge zustand oder nicht. Jedenfalls hat die Beklagte in der Klageerwiderung nämlich die geforderte Auskunft (soweit es ihr noch möglich war) erteilt, indem sie zum einen ausführte, das Konto sei dauerhaft gelöscht und es sei daher technisch unmöglich, die genauen Gründe für die Sperrung zu verifizieren. Zum anderen hat die Beklagte dann noch ausgeführt, die Sperrung sei - wenn man die klägerischen Angaben zugrunde lege - offensichtlich erfolgt, weil die Identität des Klägers bzw. die Authentizität des streitgegenständlichen Kontos in Frage gestellt worden sei.
30
Der Auskunftsanspruch ist damit jedenfalls erfüllt. Die Klagepartei hat den Rechtsstreit nach Auskunftserteilung nicht teilweise für erledigt erklärt. Daher war die Klage auch in diesem Punkt abzuweisen.
31
Als begründet erweist sich die Klage teilweise hinsichtlich des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs.
32
1. Abzuweisen war die Klage, soweit der Kläger die Unterlassung des Löschens von Beiträgen begehrt. Dass jemals irgendwelche Beiträge des Klägers (zu Unrecht) gelöscht worden sind, trägt der Kläger selbst nicht vor. Ein Unterlassungsanspruch kann aber nur gegeben sein, wenn die Beklagte bereits einmal einen entsprechenden Verstoß begangen hat, nicht aber rein präventiv.
33
2. Der unter Ziffer 3 der Klageschrift geltend gemachte Unterlassungsanspruch im Hinblick auf eine erneute Sperrung des Klägers auf www.f..com (nur Ansprüche wegen einer Sperrung werden geltend gemacht) erweist sich im Ergebnis als begründet.
34
a. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung der Sperrung des Klägers ist der zwischen den Parteien bestehende Vertrag, durch den sich die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger die Nutzung der von ihr angebotenen Dienste zu ermöglichen i.V.m. § 241 II BGB.
35
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sich der Kläger im sozialen Netzwerk www.f..com als Nutzer angemeldet hat. Mit der Anmeldung ist zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis zustande gekommen, welches wohl als Vertrag sui generis anzusehen ist. Das ausführliche Regelwerk der Beklagten lässt erkennen, dass diese ihre Dienste mit Rechtsbindungswillen anbietet.
36
Zwischen den Parteien ist auch unstreitig, dass die Nutzungsmöglichkeit des Klägers durch eine Sperrung seines Accounts jedenfalls vorübergehend aufgehoben wurde.
37
b. Die vertraglichen Voraussetzungen für eine Sperrung des Nutzerkontos sind jedoch nicht nachgewiesen.
38
Zwar trifft grundsätzlich die Beweislast dafür, dass gegen einen Nutzer verhängte Sanktionen unberechtigt waren, nicht die Beklagte, sondern den Nutzer (vgl. etwa OLG München, Endurteil vom 07.01.2020, Az. 18 U 1491/19). Allerdings muss die Beklagte zumindest im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast vortragen, welcher Beitrag oder welches Verhalten des Klägers überhaupt zu der Sanktion geführt hat. Ein Nutzer muss zumindest wissen, was ihm konkret zur Last gelegt wird, um sich entweder dagegen zur Wehr setzen oder das beanstandete Verhalten abstellen zu können. Die Beklagte hat jedoch nicht vorgetragen, was dem Kläger konkret vorgeworfen wird bzw. wurde. Vielmehr führt sie aus, es sei aufgrund der Löschung des Kontos technisch unmöglich, die genauen Gründe für die Sperrung zu verifizieren und mutmaßt lediglich, die Identität des Klägers bzw. die Authentizität des streitgegenständlichen Kontos könnte in Frage gestellt worden sein. Durch die (nach eigenen Angaben der Beklagten) dauerhafte Löschung der Daten, ohne eine Möglichkeit zur Wiederherstellung und ohne eine irgendwie geartete Speicherung jedenfalls der Gründe für vorgenommene Sanktionen hat die Beklagte vereitelt, dass die Angaben des Klägers zur mehrmaligen vergeblichen Eingabe seiner Daten verifiziert werden können. Ein Nutzer hat keine Möglichkeit, dies von sich aus nachzuweisen, wenn die Beklagte die entsprechenden Daten unwiederbringlich gelöscht hat.
39
In Anbetracht des bestehenden Vertragsverhältnisses ist es nach Treu und Glauben erforderlich und für die Beklagte auch zumutbar, selbst nach Löschung eines Accounts verbleibende Daten zum Zwecke der Dokumentation und Rechtfertigung des eigenen Sanktionsvorgehens nicht zu löschen und für eine gewisse Dauer vorzuhalten. Andernfalls stünde es im Belieben der Beklagten, Accounts unwiederbringlich zu löschen, um sich im Streitfalle dann auf völlige Unkenntnis zu berufen.
40
Es ist vorliegend durch die Beklagte substantiiert kein Sachverhalt vorgetragen, der nach den Vertragsbedingungen eine Sperrung des klägerischen Kontos gerechtfertigt hätte.
41
Daran ändert auch die Regel der Beklagten nichts, wonach Nutzer „soweit möglich“ davon in Kenntnis zu setzen sind, wenn ein Inhalt wegen eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards entfernt wird (vgl. Klage, Blatt 33 der Akten). Es kann dahinstehen, ob diese Klausel wirksam ist oder nicht. Zum einen geht es hier schon nicht um einen von der Beklagten aufgeführten Fall der Unmöglichkeit der Mitteilung, etwa weil diese rechtlich untersagt wäre oder das der „Gemeinschaft“ oder der Integrität des Produktes schaden könnte. Zum anderen ist die Klausel im hiesigen Fall nicht einschlägig, da es nicht um das Entfernen eines Inhalts und die Gründe hierfür geht, sondern um eine Sperre.
42
c. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ist durch die Erstbegehung grundsätzlich indiziert. Daran ändert nichts, dass das streitgegenständliche Konto gelöscht wurde. Der Kläger beabsichtigt, wieder ein Konto zu eröffnen, wodurch die Wiederholungsgefahr gegeben ist.
43
d. Der Antrag ist auch vollstreckungsfähig. Es ist eindeutig, was von der Beklagten verlangt wird, nämlich zum einen die schlichte Angabe des Anlasses für die Sperrung und die Begründung, warum es sich um einen Verstoß handeln soll, etwas durch Verweisung auf konkrete Nutzungsvereinbarungen, die Gemeinschaftsstandards, gesetzliche Vorschriften etc.
44
Die auf Auskunft gerichteten Anträge unter Ziffern 5 und 6 der Klageschrift waren ebenfalls abzuweisen, da hierfür schon das Rechtsschutzbedürfnis fraglich erscheint, jedenfalls aber die Berechtigung des materiellen Klagebegehrens fehlt.
45
Soweit der Kläger der Ansicht ist, dass sich ein Auskunftsanspruch aus der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung des Schutzes der selbstbestimmten und unverfälschten Selbstdarstellung und des Schutzes vor kommerzieller Verwertung ergebe, erscheint schon dies zweifelhaft. Unabhängig vom Vorliegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, die hier dahinstehen kann, ist jedoch allen Auskunftsansprüchen gemein, dass der Auskunftsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen sein muss und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann (vgl. Palandt, BGB, 79.A., vor § 823 Rn. 25; § 260 Rn. 4). Inhaltlich richtet sich also der Auskunftsanspruch auf die zur Durchsetzung des Gläubigeranspruchs notwendigen Informationen, die Auskunft ist mithin auf den sachlichen und zeitlichen Umfang des Hauptanspruches begrenzt (vgl. Palandt, a.a.O., § 260 Rn. 14).
46
Inwieweit die hier begehrten Informationen allerdings für die Durchsetzung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche erforderlich sind, ist weder ersichtlich noch dargetan. Insbesondere ist es für die erhobenen Ansprüche völlig unerheblich, ob die Sperre durch die Beklagte selbst oder in ihrem Auftrag durch einen Dienstleister vorgenommen wurde und ob die Bundesregierung irgendwelche Erklärungen gegenüber der Beklagten hinsichtlich der Löschung von Beiträgen oder der Sperrung von Nutzern abgegeben hat. Ansprüche des Klägers können ihre Rechtsgrundlage ausschließlich in dem zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnis haben und sich nur gegen die Beklagte als Vertragspartner richten. Selbst wenn also die Beklagte irgendwelchen (rechtswidrigen) Weisungen Dritter nachgekommen wäre oder die Sperre durch Dritte vorgenommen wurde, würde dies nichts daran ändern, dass für diese Maßnahmen und deren Folgen dem Kläger gegenüber allein die Beklagte verantwortlich wäre (vgl. auch OLG München, Endurteil vom 07.01.2020, Az. 18 U 1491/19).
47
Auch der unter Ziffer 7 der Klage geltend gemachte Schadensersatzanspruch des Klägers erweist sich als erfolglos.
48
Der Kläger macht hier ausschließlich einen Anspruch wegen der 30-tägigen Sperre geltend (vgl. insoweit die Ausführungen in der Klage, Blatt 44 und Blatt 48 der Akten).
49
1. Auch wenn die Sperrung jedoch nicht rechtmäßig war und man sodann einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers annehmen würde, sind die besonderen Voraussetzungen für die Gewährung einer Geldentschädigung nicht erfüllt. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Geldentschädigung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur unter zwei einschränkenden Voraussetzungen zu gewähren, nämlich dass es sich einerseits um eine schwerwiegende Verletzung handelt und andererseits die Beeinträchtigung nach der Art der Verletzung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (vgl. BGH, NJW 2000, 2195/97; 2005, 215; 2014, 2029). Maßgeblich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung sind insbesondere Art, Bedeutung und Tragweise des Eingriffs und der Charakter der geschützten Bereiche, in die eingegriffen wurde, Anlass und Beweggrund des Handelnden, der Grad seines Verschuldens sowie welche grundrechtlich geschützten Positionen ihm zur Seite stehen (vgl. Palandt, a.a.O., § 823 Rn. 130). Hier bezieht sich der behauptete Eingriff auf die Sozialsphäre, nicht etwa auf die Privat- oder Intimsphäre des Klägers und hat ersichtlich nur eine geringe Tragweite, da die Benutzung des F.-Accounts nicht vollständig aufgehoben, sondern nur eingeschränkt wurde („Read-Only-Modus“), so dass der Kläger weiter in der Lage war, wesentliche Funktionen des F.-Dienstes zu nutzen. Zudem erfolgte die Einschränkung nur für einen kurzen Zeitraum von 30 Tagen, hat also auch in zeitlicher Hinsicht kein erhebliches Gewicht. Angesichts dieser Umstände ist daher nicht davon auszugehen, dass eine etwaige Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht ausreichend durch den geltend gemachten Unterlassungsanspruch ausgeglichen wäre.
50
2. Soweit der Kläger darüber hinaus seinen Zahlungsanspruch mit dem Eintritt eines materiellen Schadens infolge der Nutzung seiner persönlichen Inhalte durch die Beklagte während des Sperrzeitraums begründet und insoweit die Bezahlung einer fiktiven Lizenzgebühr in Höhe von 50 € täglich verlangt, hat er ebenso wenig Erfolg. Nach der sog. Differenzhypothese setzt die Bejahung eines materiellen Schadens grundsätzlich voraus, dass der tatsächliche Wert des Vermögens des Geschädigten geringer ist als der Wert, den das Vermögen ohne das die Ersatzpflicht begründende Ereignis haben würde. Danach liegt hier ersichtlich kein Schaden des Klägers vor, da er auch ohne die Löschung bzw. Sperrung keine Lizenzgebühr für die Nutzung seiner Daten erhalten hätte.
51
Abgesehen davon orientiert sich der Schadensbegriff im gesamten Schadensrecht stets am Leistungsinteresse des Gläubigers, hier also am Interesse des Klägers auf Einräumung der uneingeschränkten Nutzungsmöglichkeit von F.. Für den vom Kläger angenommenen Schaden bzw. die behauptete ungerechtfertigte Bereicherung auf Seiten der Beklagten ist es daher nicht ausreichend, dass der Beklagten während der Dauer der Einschränkung der Benutzungsrechte des Klägers die uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit von deren Daten offenstand. Vielmehr bedarf es der substantiierten Darlegung eines adäquat-kausalen Schadens auf Seiten des Klägers, die sich an dessen Leistungsinteresse orientiert, bzw. eines Vermögenseingriffes und einer tatsächlichen Bereicherung auf Seiten der Beklagten, woran es vorliegend fehlt.
52
Insbesondere kommt entgegen der Ansicht des Klägers auch ein Schadensersatz- bzw. Bereicherungsanspruch auf Basis einer fiktiven Schadensberechnung nicht in Betracht. Eine fiktive Schadensberechnung wird nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen für zulässig gehalten; zuletzt wurde durch den BGH im Werkvertragsrecht in konsequenter Durchführung der Differenzhypothese eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten wegen der Gefahr der Überkompensation ausdrücklich aufgegeben (vgl. BGH, NJW 2018, 1463). Eine Übertragung dieser Rechtsprechungsänderung auf das Kaufrecht erscheint naheliegend (vgl. dazu NJW 2018, 2441). Auch im streitgegenständlichen Fall würde die Zuerkennung einer fiktiven Lizenzgebühr in Höhe von 50 € das Leistungsdefizit auf Seiten der Beklagten infolge der Gewährung einer nur eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit von F. nicht zutreffend abbilden. Wie die Beklagtenseite zutreffend ausführt, wäre der Kläger seinerseits (bei Annahme einer grundsätzlichen Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung) sicher nicht bereit, für die (uneingeschränkte) Nutzungsmöglichkeit von F. eine tägliche Gebühr von 50 € zu bezahlen; mithin träte auch hier offensichtlich eine Überkompensation ein.
53
Auch wird eine abstrakt-normative Schadensberechnung im Wege der sog. Lizenzanalogie von der Rechtsprechung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen vorgenommen, so bei der Verletzung ausschließlicher Immaterialgüterrechte (wie etwa Patent- oder Gebrauchsmuster-, Warenzeichen- und Namensrechte), deren Überlassung zur Benutzung durch Dritte gegen Entgelt rechtlich möglich und verkehrsüblich ist (vgl. BGH, GRUR 1990, 1008; Palandt, a.a.O., vor § 249 Rn. 23). Dieser Ansatz, der auf eine Fiktion eines Lizenzvertrages der im Verkehr üblichen Art hinausläuft, ist hingegen auf den streitgegenständlichen Fall mangels Verletzung eines Ausschließlichkeitsrechts ersichtlich nicht übertragbar.
54
3. Schließlich steht dem Kläger auch nach Art. 82 Abs. 2 S. 1 DSGVO kein Ersatzanspruch für materielle oder immaterielle Schäden zu. Soweit dieser Anspruch mit einer Einschränkung der Datenverarbeitung durch den Kläger infolge der Sperrung seines Nutzerkontos bei F. begründet wird, ist schon der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung nicht eröffnet, die nach Art. 2 Abs. 2 c) keine Anwendung findet auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten; über persönliche Tätigkeiten hinausgehende Nutzungszwecke wurden vom Kläger nicht vorgetragen. Auch wird lediglich der Eintritt eines materiellen Schadens durch die Sperrung des Nutzerkontos behauptet, weil der Kläger gehindert gewesen sei, seine geäußerte Meinung weiter zu verbreiten, ohne diesen behaupteten Schaden konkret darzulegen oder sonst nachvollziehbar zu begründen. Soweit zur Begründung auf die Grundsätze zur Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zurückgegriffen wird, gilt aber das oben Ausgeführte, wonach eine solche Geldentschädigung nur unter einschränkenden Voraussetzungen, die hier gerade nicht vorliegen, zu gewähren wäre.
55
Sollten demgegenüber die Ausführungen zu Art. 82 DSGVO so zu verstehen sein, dass die Beklagte ohne wirksame Einwilligung während der Dauer der unberechtigten Sperrung des klägerischen Nutzerkontos die Daten des Klägers weiter genutzt hat, läge der kausale Schaden demgegenüber nicht - wie vorgetragen - in der Unterbindung weiterer Meinungsäußerungen durch den Kläger auf F..
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Ein Anspruch auf der Grundlage des Art. 82 DSGVO kommt daher nicht in Betracht.
57
Der Kläger hat Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Umfang der berechtigten Klageforderung, soweit er also die Unterlassung der Sperrung geltend gemacht hat. Für diesen Anspruch unter Ziffer 4 der Klage ist für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren ein Streitwert von 10.000 € zugrundezulegen, so dass sich ein Anspruch in Höhe von 887,03 € ergäbe. Da allerdings nur ein Betrag in Höhe von 691,33 € gefordert wurde, war [xxx].
58
Der Kostenausspruch beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
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Die Entschedung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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Der Gesamtstreitwert von 34.000,00 € errechnet sich wie folgt:
Klageantrag 1 (Berichtigung)
|
5.000,00 €
|
Klageantrag 2 (Feststellung)
|
5.000,00 €
|
Klageantrag 3 (Auskunft)
|
2.500,00 €
|
Klageantrag 4.:
|
|
Unterlassungsklage bezüglich Sperre
|
10.000,00 €
|
Unterlassungsklage bezüglich Löschung
|
5.000,00 €
|
Auskunftsklage 5.
|
2.500,00 €
|
Auskunftsklage 6.
|
2.500,00 €
|
Klageantrag 7 (Schadenersatz)
|
1.500,00 €
|
Summe:
|
34.000,00 €
|