Inhalt

LG München I, Endurteil v. 23.10.2020 – 21 O 11384/19
Titel:

Verzögerte Lizenzverhandlung des Endproduktherstellers in der Automobilbranche

Normenketten:
PatG § 3, § 9 S. 2 Nr. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 4
EPÜ Art. 54, Art. 64 Abs. 1, Art. 138 Abs. 1 lit. c
ZPO § 72 Abs. 1, § 108, § 110 Abs. 1, § 142 Abs. 1, § 148, § 421, § 422, § 428, § 429, § 709
AEUV Art. 102, Art. 267 Abs. 2
BGB § 242, § 254
Leitsätze:
1. Eine Netzwerkstruktur, in der eine RRC-Verbindungsnachricht vom Benutzerendgerät mitsamt einem angehängten Kernnetzwerkelementbezeichner an das Funknetzwerk gesendet wird, ist neu. (Rn. 233 – 247) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat ein Patentverletzter Lizenzverhandlungen bewusst verzögert und damit gezeigt, dass er nicht bereit war, einen FRAND-Konditionen entsprechenden Lizenzvertrag mit der Patentinhaberin abzuschließen, kann er sich nicht auf Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung berufen (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 - Huawei/ZTE).   (Rn. 127 und 147) (redaktioneller Leitsatz)
3. Lizenzbereitschaft kann nicht mit dem Verweis auf die Lizenzwilligkeit eigener Zulieferer begründet werden. Eine Patentinhaberin handelt auch in der Automobilbranche nicht rechtsmissbräuchlich oder diskriminierend, wenn sie zunächst nur mit dem Hersteller des Endprodukts einen Lizenzvertrag anstrebt.  (Rn. 195 – 209) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Höhe der Vollstreckungssicherheit hat neben den adäquatkausalen Schäden auch die Schadensminderungspflicht durch Abschluss des angebotenen Lizenzvertrages zu berücksichtigen. (Rn. 277 und 278) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Patent, Erfindung, Klagepatent, Patentanspruch, Vorabentscheidung, Schadensersatzanspruch, Unterlassung, Hauptverhandlung, Vorrichtung, Fahrzeug, Patentinhaber, Gerichtsvollzieher, Auslegung, Bundesrepublik Deutschland, Stand der Technik, Aussetzung des Verfahrens
Fundstelle:
GRUR-RS 2020, 50637

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
a. Benutzerendgerätevorrichtungen, nämlich Kraftfahrzeuge mit Kommunikationsmodulen, die den LTE-Standard seit Release 11 verwirklichen, sowie kerngleiche Abwandlungen n der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, die konfiguriert sind
zum Speichern eines Kernnetzwerkelementbezeichners; Hinzufügen des Kernnetzwerkelementbezeichners zu einer RRC-Nachricht zum Herstellen einer RRC-Verbindung; und Senden der RRC-Nachricht mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner über eine Funkverbindung zu einem Netzwerkelement eines Funkzugangsnetzwerks, um eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen herzustellen, mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird;
(EP 2 934 050 B1 – Anspruch 1)
b. Benutzerendgeräte, nämlich Kraftfahrzeuge mit Kommunikationsmodulen, die den LTE-Standard seit Release 11 verwirklichen, sowie kerngleiche Abwandlungen
Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
die dazu geeignet sind, ein Verfahren durchzuführen, welches die folgenden Schritte aufweist:
Speichern eines Kernnetzwerkelementbezeichners; Hinzufügen des Kernnetzwerkelementbezeichners zu einer RRC-Nachricht zum Herstellen einer RRC-Verbindung; und Senden der RRC-Nachricht mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner über eine Funkverbindung zu einem Netzwerkelement eines Funkzugangsnetzwerks, um eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen herzustellen, mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird;
(EP 2 934 050 B1 – Anspruch 5)
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die in Ziff. 1.a. und 1.b. bezeichneten Handlungen seit dem 03.10.2018 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind und geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Wege eines chronologisch geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die in Ziff. 1.a. und 1.b. bezeichneten Handlungen seit dem 03.11.2018 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die Handlungen zu Ziff. 1.a. und 1.b. seit dem 03.11.2018 entstanden ist und noch entstehen wird.
5. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziff. 1.a. bezeichneten Erzeugnisse, zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben.
6. Die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziff. 1.a. bezeichneten, seit dem 03.10.2018 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber gewerblichen Abnehmern unter Hinweis darauf, dass mit dem hiesigen Urteil der patentverletzende Zustand der genannten Erzeugnisse festgestellt wurde, und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
7. Die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziff. 1.a. bezeichneten, seit dem 03.10.2018 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, indem sie sie an sich nimmt und/oder dafür Sorge trägt, dass der jeweilige Besitzer die Erzeugnisse vernichtet.
8. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die jeweiligen Nebenintervenientinnen haben ihre Kosten selbst zu tragen.
9. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar jeweils gegen Zahlung einer Sicherheitsleistung von - einheitlich 5.000.000,00 EUR für Ziff. 1, 5, 6, und 7, - einheitlich 500.000,00 EUR für Ziff. 2 und 3, und - hinsichtlich der Kosten in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
10. Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Einspruchsverfahren gegen das EP 2 934 050 B1 wird zurückgewiesen.
11. Die Anträge auf Aussetzung, um dem EuGH die im Schreiben des Bundeskartellamts vom 24.06.2020 vorformulierten Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, werden zurückgewiesen. 12. Der Antrag auf Leistung einer Prozesskostensicherheit wird zurückgewiesen. 
13. Der Antrag, die Zulassung der Nebenintervenientin ... International B.V. abzulehnen, wird zurückgewiesen.
14. Die Anträge auf Urkundenvorlage werden zurückgewiesen.
15. Die Anträge auf Verlegung des Verkündungstermins werden zurückgewiesen.

Tatbestand

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter wortsinngemäßer Verletzung des Patents EP 2 934 050 B1 betreffend eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Bereitstellung einer Verbindung mit Hilfe eines sogenannten Kernnetzwerkelementbezeichners auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, Schadensersatz zu leisten, in Anspruch.
2
Die Klägerin ist ein Unternehmen mit Sitz in Luxemburg und Inhaberin verschiedener Patentportfolios, die sie zur Lizenznahme anbietet. Sie ist im Register des DPMA eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 2 934 050 (im Folgenden: „Klagepatent“; Anlagen EIP A1 und - in deutscher Übersetzung - EIP A1a sowie EIP A2). Das Klagepatent wurde am 19.01.2001 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 22.05.2000 angemeldet. Der Hinweis auf die Patenterteilung erfolgte am 03.10.2018.
3
Das Klagepatent steht in Kraft. Über einen von der Nebenintervenientin 5) am 02.07.2019 beim Europäischen Patentamt eingereichten Einspruch (Anlage B 1), dem die Beklagte am 11.12.2019 beigetreten ist (Anlage B 2), ist noch nicht entschieden.
4
Das Klagepatent betrifft im Wesentlichen eine Benutzerendgerätevorrichtung, die zum Herstellen einer RRC-Verbindung unter Verwendung eines Kernnetzwerkelementbezeichners konfiguriert ist sowie ein entsprechendes Verfahren hierzu. Die in einer Benutzerendgerätevorrichtung patentgemäß vorausgesetzte Konfiguration (Anspruch 1) bzw. die patentgemäß von einem Benutzerendgerät zu leistenden Verfahrensschritte (Anspruch 5) lauten in der englischen Verfahrenssprache:
„A user equipment apparatus, configured to (Anspruch 1): /A method for a user equipment, the method comprising (Anspruch 5):
storing a core network element identifier;
add said core network element identifier to a RRC message for establishing a RRC connection; and
sending said RRC message comprising the core network element identifier over a radio connection to a network element of a radio access network to establish a connection to one of a set of core network elements to which said apparatus will connect.“
5
In deutscher Übersetzung lauten die geltend gemachten Ansprüche 1 und 5 wie folgt:
„Benutzerendgerätevorrichtung, konfiguriert zum (Anspruch 1): / Verfahren für ein Benutzerendgerät, wobei das Verfahren aufweist (Anspruch 5):
Speichern eines Kernnetzwerkelementbezeichners;
Hinzufügen des Kernnetzwerkelementbezeichners zu einer RRC-Nachricht zum Herstellen einer RRC-Verbindung; und Senden der RRC-Nachricht mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner über eine Funkverbindung zu einem Netzwerkelement eines Funkzugangsnetzwerks, um eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen herzustellen, mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird.“
6
Die Klägerin hat das Klagepatent gegenüber dem European Telecommunications Standards Institute (ETSI) als standardessentiell für den LTE-Standard deklariert. Am 22.07.2014 hat die Klägerin eine generelle Erklärung gemäß Klausel 6.1 der ETSI-IPR-Policy abgegeben, derzufolge sie bereit ist, Lizenzen an den von ihr gehaltenen und für standardessentiell deklarierten Patenten bzw. Patentanmeldungen zu nicht-diskriminierenden und vernünftigen Bedingungen (sogenannte „FRAND-Bedingungen“ = „fair reasonable and non discriminatory“) zu erteilen.
7
Im Oktober 2018 trat die Klägerin dem von der A. LLC verwalteten A.-Patentpool bei, in dem Lizenzierungsprogramme für verschiedene standardisierte Technologien verwaltet werden. Weitere Lizenzgeber des A.-Patentpools sind Unternehmen wie ... Der A.-Patentpool bietet ein spezielles Lizenzierungsprogramm im Bereich „Connected Cars“ an. An diesem Programm ist die Klägerin insbesondere auch mit dem Klagepatent beteiligt. Aktuelle Lizenznehmer dieses Lizenzierungsprogramms sind die Automobilhersteller Eine Teilnahme an dem Lizenzierungsprogramm des A.-Patentpool ist nicht verpflichtend. Lizenzsucher können stattdessen bilaterale Lizenzverträge mit den jeweiligen Patentinhabern vereinbaren.
8
Die Beklagte ist ein in Deutschland ansässiger, weltweit tätiger Automobilhersteller. Über einen Online-Store unter https://www.onlinestore.m...de bot die Beklagte selbst und unmittelbar verschiedene Fahrzeugmodelle etwa der …-Klasse in Deutschland an, die durch fest und bereits ab Werk serienmäßig verbaute Kommunikationsmodule in der Lage sind, Mobilfunkverbindungen über den Mobilfunkstandard LTE bzw. 4G aufzubauen und entsprechend Daten zu empfangen und zu übertragen. Die entsprechenden Mobilfunkfunktionalitäten bewarb die Beklagte insbesondere mit dem Slogan „... me connect“. Für verschiedene Fahrzeuge der … wies die Beklagte insoweit auf das serienmäßig vorhandene „Kommunikationsmodul (LTE) für die Nutzung von ... me connect Diensten“ hin. Das Kommunikationsmodul (LTE) verknüpft das Fahrzeug mit dem Internet, wobei neben zwei Mobilfunkantennen eine LTEfähige SIM-Karte die Verbindung ermöglichen. Die von der Beklagten angebotenen Fahrzeuge, die mit einem entsprechenden LTEfähigen Kommunikationsmodul ausgestattet sind, sind die im vorliegenden Rechtsstreit angegriffenen Ausführungsformen.
9
Die Nebenintervenientinnen zu 1) bis 7) sind Zulieferer der Beklagten. Die Nebenintervenientin zu 8) ist ihrerseits Zulieferer der Nebenintervenientinnen zu 2) und 3), die Nebenintervenientin zu 9) ist Zulieferer der Nebenintervenientin zu 4).
10
Am 18.12.2018 unterbreitete die Klägerin der Beklagten ein bilaterales Angebot zum Abschluss eines Lizenzvertrages, auf dessen Grundlage die Beklagte berechtigt wäre, das weltweite Patentportfolio der Klägerin für die Herstellung und den Vertrieb von jeweils 2G-, 3G- und 4G-fähigen Fahrzeugen zu nutzen. Die nach dem Lizenzvertragsentwurf vorgesehenen Nutzungsrechte umfassten dabei u. a. auch sogenannte „Have Made“-Rechte, auf deren Grundlage die Beklagte entsprechend standardkonforme Zulieferteile durch Dritte herstellen und liefern lassen kann. Als Entgelt sah Ziffer 4.1(b) des Vertragsangebotes einen Betrag in Höhe von 0,75 USD pro verkauftem Fahrzeug vor. Zur Erklärung der einzelnen lizenzvertraglichen Bedingungen verwies die Klägerin auf das Urteil des High Court of Justice vom 05.04.2017 in Sachen Unwired Planet.
11
Am 26.02.2019 erinnerte die Klägerin per E-Mail an das von ihr übersandte Lizenzangebot vom 18.12.2018, woraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 27.02.2019 antwortete, ihrerseits bereit zu sein, eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen über das Patentportfolio der Klägerin abzuschließen. Zugleich verwies die Beklagte auf die in der Automobilbranche übliche Praxis der Lizenzierung auf der Ebene der Zulieferer. Für den Fall, dass die weiteren Lizenzvertragsverhandlungen mit ihr geführt werden sollten, bat die Beklagte um eine Übersicht, mit welchen Unternehmen bereits Lizenzverträge abgeschlossen worden seien. Überdies bat die Beklagte um nähere Erklärung, warum die seitens der Klägerin vorgeschlagenen Vertragsbedingungen FRAND-Konditionen entsprächen und welche Fahrzeugkomponenten von welchen Patenten erfasst seien. Im Anschluss verhandelte die Beklagte mit A. über die Teilnahme an deren Connected Cars-Lizenzprogramm.
12
In einem weiteren Schreiben vom 05.07.2019 wies die Klägerin darauf hin, von A. erfahren zu haben, dass die zwischenzeitlich geführten Verhandlungen nicht erfolgreich gewesen seien. Zudem wies die Klägerin darauf hin, von einzelnen Zulieferern kontaktiert worden zu sein, aber nach wie vor nicht zu wissen, ob es sich hierbei um sämtliche Zulieferer der Beklagten handele. Zugleich wies die Klägerin darauf hin, dass ihr Patentportfolio im Bereich der Automobilindustrie bislang an die an dem entsprechenden A.-Lizenzprogramm teilnehmenden Automobilhersteller lizenziert sei. Hinsichtlich der FRAND-Konformität der A.-Lizenzkonditionen verwies die Klägerin auf die zwischen der Beklagten und A. geführte Korrespondenz, in deren Rahmen die A.-Konditionen erklärt worden seien. Die Berechnung der in dem bilateralen Lizenzvertragsangebot verlangten Gebühren erklärte die Klägerin mit einem Verweis auf die in Sachen Unwired Planet und in weiteren Gerichtsentscheidungen erfolgten Berechnungen sowie den Anteil ihrer Patente an dem A.-Patentpool und einer dementsprechend ins Verhältnis zu der von A. verlangten Pauschalgebühr von 15,00 USD gesetzten Lizenzgebühr zuzüglich auf Seiten der Klägerin entstehender Transaktionskosten. Weiter wies die Klägerin auf eine in der Anlage beigefügte Liste ihrer über A. oder bilateral lizenzierten Portfoliopatente hin. Auf Grund eines Versehens wurde diese Liste jedoch nicht mit der entsprechenden E-Mail übersandt. Zudem schlug die Klägerin für die Woche vom 15.07.2019 ein persönliches Treffen vor.
13
Am 29.07.2019 antwortete die Beklagte mit dem Hinweis auf ihre nach wie vor mit A. laufenden Verhandlungen. Weiter verwies die Beklagte erneut auf die ihres Erachtens effizientere Lizenzierung auf der Ebene der Zulieferer. Ein persönliches Treffen schlug die Beklagte für einen späteren Zeitpunkt vor, da seitens der Klägerin noch nicht alle notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt worden seien.
14
Am 13.08.2019 erhob die Klägerin Klage in der vorliegenden Sache. Dabei wurde zunächst kein Unterlassungsantrag aufgenommen. Mit E-Mail vom 24.08.2019 wies die Klägerin auf die zwischenzeitlich erfolgte Klageerhebung hin. Zugleich teilte sie mit, dass sie angesichts der wiederholten Informationsanfragen und der Tatsache, dass umgekehrt verlangte Informationen betreffend die relevanten Zulieferer nicht beantwortet wurden, davon ausgehe, dass die Beklagte tatsächlich nicht bereit sei, eine Lizenz zu FRAND-Konditionen abzuschließen. Zur Höhe der verlangten Lizenzgebühr verwies die Klägerin darauf, dass die Wertschöpfung auf der Ebene der Endgerätehersteller berücksichtigt werden müsse. Sowohl nach der in Sachen Unwired Planet angewandten Berechnungsmethode als auch bei anteiliger Betrachtung der von A. verlangten Pauschalgebühr sei die von der Klägerin verlangte Lizenzgebühr in Höhe von 0,75 USD gerechtfertigt.
15
In der daraufhin am 18.09.2019 an die Klägerin gesandten E-Mail bestätigte die Beklagte ihre Lizenzbereitschaft. Zugleich wies die Beklagte hier erstmalig darauf hin, die der E-Mail vom 05.07.2019 angehängte Liste an Portfoliopatenten nicht erhalten zu haben und äußerte ihr Bedauern, dass die Klägerin nicht an einem persönlichen Treffen interessiert sei.
16
Mit E-Mail vom 20.09.2019 übersandte die Klägerin die Liste ihrer Portfoliopatente und wies die Klägerin darauf hin, dass im Gegenteil die Klägerin bislang die Vorschläge für ein persönliches Treffen abgelehnt habe. Zugleich wurde ein neuer Vorschlag für ein Treffen Anfang Oktober 2019 unterbreitet und darauf hingewiesen, dass die Verhandlungen auch während des laufenden Rechtsstreits fortgesetzt werden können.
17
Am 08.10.2019 verwies die Beklagte auf die ihr weiterhin fehlenden Informationen und schlug ein Treffen für Ende Oktober 2019 vor. Am 11.10.2018 erweiterte die Klägerin ihre Klage um weitere drei Patente. Im Folgenden einigten sich die Parteien auf ein Treffen am 04.12.2019 am Sitz der Beklagten in Auf die E-Mails der Beklagten vom 16.12.2019 und 07.01.2020 hin übersandte die Klägerin der Beklagten ihre anlässlich des Treffens vom 04.12.2019 gehaltene Präsentation am 15.01.2020. Dabei wies die Klägerin auf ihre Bereitschaft hin, ein Lizenzprogramm für Tier 1-Zulieferer auszuarbeiten und erklärte sich hierzu zu einem Treffen mit der Beklagten und deren Zulieferern bereit. In ihrer Präsentation bot die Klägerin zudem an, den Wert der Lizenz durch eine unabhängige, dritte Person, etwa im Wege eines Schiedsverfahrens zu bestimmen.
18
Die Beklagte antwortete hierauf am 24.01.2020 und übersandte die ihrerseits am 04.12.2019 gehaltene Präsentation. Zugleich stellt die Beklagte ein Treffen gemeinsam mit ihren Tier 1-Zulieferern in Aussicht und wies darauf hin, mit diesen bereits gesprochen zu haben. Am 29.01.2020 erweiterte die Klägerin ihre Klage um Anträge auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf aus den Vertriebswegen. In dem darauffolgenden E-Mail vom 17.02.2020 schlug die Beklagte sodann ein Treffen für den 11.03.2020 vor und wies darauf hin, dass auch ihr Zulieferer ... daran teilnehmen würde. Die Klägerin lehnte sodann ein entsprechendes Treffen unter Verweis auf die zuvor abgesprochene Diskussion einer Lizenzierung aller Tier 1-Zulieferer ab und verwies vor diesem Hintergrund auf die nach wie bestehende Möglichkeit einer Lizenzierung auf Basis des A.-Lizenzprogramms oder der von der Klägerin selbst angebotenen bilateralen Lizenz. Am 02.03.2020 antwortete die Beklagte sodann mit dem Hinweis, dass sie derzeit dabei sei, das Treffen am 11.03.2020 mit „einigen Zulieferern“ vorzubereiten. Die Klägerin wies mit E-Mail vom 04.03.2020 indes darauf hin, zu dem vorgeschlagenen Termin nicht nach Europa reisen zu können und verwies auf eine für den April 2020 geplante Europareise. Auf eine weitere E-Mail der Beklagten vom 06.03.2020 hin stellte die Klägerin klar, weiterhin zu der avisierten Diskussion mit den Zulieferern der Beklagten bereit zu sein. Zugleich wies die Klägerin darauf hin, dass derzeit konkrete Reispläne wegen der Covid-19 Pandemie nicht möglich seien.
19
Am 08.04.2020 übersandte die Beklagte ein konkretes Gegenangebot an die Klägerin. Dabei bot die Beklagte wie folgt gestaffelte Lizenzgebühren an:
- 0,01 USD für 4G-fähige Fahrzeug;
- 0,005 USD für 3G- aber nicht 4G-fähige Fahrzeuge;
- 0,003 USD für 2G- aber nicht 3G- oder 4G-fähige Fahrzeuge;
- 0,002 USD für Fahrzeuge mit bloßer E-Call Funktionalität.
20
Ausgangspunkt der Berechnung der geschuldeten Lizenzgebühr ist der Beklagten zu Folge dabei der Wert des Kommunikationsmoduls. Darüber hinaus nahm die Beklagte verschiedene Änderungen und Ergänzungen des Angebots der Klägerin vom 18.12.2018 vor. Insbesondere ergänzte die Beklagte eine maximale Gesamtlizenzbelastung für 4G-Patentlizenzen in Höhe von 5,00 USD pro Fahrzeug. Für den Fall des Überschreitens einer entsprechenden Gesamtlizenzbelastung sah das Gegenangebot der Beklagten eine anteilige Reduktion der vertraglichen Lizenzgebühren vor. Eine weitere Anpassungsklausel wurde für die Fälle vorgeschlagen, dass einzelne Portfoliopatente für unwirksam erklärt oder als nicht standardessentiell befunden werden sollten.
21
Mit Datum vom 30.06.2020 übersandte die Klägerin der Beklagten ein überarbeitetes Lizenzangebot (Anlage … A 32), in dem die Klägerin einen wie folgt geänderten, gestaffelten Satz an Lizenzgebühren anbot:
- 0,75 USD für 4G-fähige Fahrzeug;
- 0,87 USD für 3G- aber nicht 4G-fähige Fahrzeuge;
- 0,67 USD für 2G-fähige Fahrzeuge und Fahrzeuge mit bloßer E-Call Funktionalität, aber nicht 3G- oder 4G-fähige Fahrzeuge.
22
Zugleich schlug die Klägerin unter anderem Änderungen an der von der Beklagten gewünschten Anpassungsklausel vor. Der Klägerin zu Folge sollte keine automatische Reduktion von Lizenzgebühren, sondern zweieinhalb Jahre nach Vertragsschluss eine Verhandlung über eine Anpassung der Lizenzgebühren erfolgen. Die von der Klägerin vorgeschlagene Klausel sah dabei vor, dass eine verbindliche Bestimmung der Lizenzgebühren im Rahmen eines Schiedsverfahrens erfolgen solle, falls binnen eines Monats keine Einigung zustande kommen sollte.
23
Am 10.08.2020 hat die Beklagte der Klägerin sodann Auskunft über die im Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2019 verkauften, lizenzpflichtigen Fahrzeuge erteilt und Sicherheit über eine selbstschuldnerische Bürgschaft der … über einen Betrag in Höhe von 115.000,00 EUR geleistet (Anlage B-KAR 31). Zugleich wies die Beklagte darauf hin, dass sie ihr Vertragsangebot vom 08.04.2020 aufrecht erhalte.
24
Die Klägerin ist der Auffassung,
die angegriffenen Ausführungsformen könnten Datenverbindungen über den Mobilfunkstandard LTE aufbauen und verwirklichten damit wortsinngemäß sämtliche Merkmale der Ansprüche 1 und 5 des für den LTE-Standard essentiellen Klagepatents.
25
Merkmal 3.4 der Klagepatentansprüche sei so zu verstehen, dass ein mobiles Endgerät lediglich einen Kernnetzwerkelementbezeichner speichern und an ein Funknetzwerk senden können muss, um eine Verbindung mit einem von mehreren in einem bestimmten Gebiet vorhandenen, gleichen Kernnetzwerkelement herzustellen. Dabei müsse der Verbindungsaufbau nicht zwingend mit dem von dem Benutzerendgerät signalisierten Kernnetzwerkelement erfolgen. Abs. [0004] - [0007] verstehe der Fach…n dahin, dass es eine Frage des Kernnetzwerkes ist, ob in einem bestimmten Gebiet nur ein Kernnetzwerkelement oder ein Satz von Kernnetzwerkelementen vorgesehen wird. Dem Fach…n sei weiter bekannt, dass es ein Benutzerendgerät gerade nicht in der Hand hat, ob letztlich eine Verbindung mit dem von ihm signalisierten Kernnetzwerkelement zustande kommt. Aus Abs. [0026] und [0040] ergebe sich zudem, dass die von dem Funknetzwerk letztlich zu treffende Auswahl in Abhängigkeit von Informationen durchgeführt werden kann, welche das Benutzerendgerät übermittelt.
26
Der von der Beklagtenseite erhobene Kartellrechtseinwand greife nicht durch. Die Klägerin habe sich stets so verhalten, wie es die Gerichte, allen voran der EuGH in seiner Entscheidung „Huawei/ZTE“, von den Inhabern standardessentieller Patente bei Lizenzverhandlungen mit potentiellen Lizenznehmern verlangten. Insbesondere sei der von ihr pro Endgerät verlangte Lizenzsatz angemessen und benachteilige die Beklagte gerade im Hinblick auf die von anderen Automobilunternehmen mit dem A.-Patentpool abgeschlossenen Lizenzverträge nicht. Die Beklagte habe sich demgegenüber von Anfang an nicht lizenzbereit gezeigt, sondern eine Verzögerungsstrategie verfolgt.
27
Die Voraussetzungen für eine Aussetzung im Hinblick auf den gegen das Klagepatent erhobenen Einspruch seien nicht gegeben, da weder unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Erweiterung noch unter dem Gesichtspunkt neuheitsschädlichen Standes der Technik ernsthafte Zweifel an dessen Rechtsbestand vorlägen.
28
Die von der Klägerin vertretene Auslegung führe nicht zu einer unzulässigen Erweiterung des Klagepatents. Die Änderung der ursprünglichen Anmeldung (Anlage … A 15) sei auf Beanstandung des beim Europäischen Patentamt zuständigen Prüfers hin erfolgt. Damit sollten die der technischen Lehre des Klagepatents entsprechenden, seitens der Benutzerendgerätevorrichtung zu erfüllenden Merkmale unter Schutz gestellt und so die Unklarheit beseitigt werden, ob letztlich eine Vorrichtung unter Schutz gestellt werden soll oder ein Netzwerksystem. Vor diesem Hintergrund seien dann die netzwerkseitigen und als solche bereits in der Ursprungsanmeldung offenbarten Schritte als Funktionsmerkmale dargestellt worden. In der Ursprungsanmeldung sei zudem die Verwendung eines Kernnetzwerkelementbezeichners zur Identifikation von Kernnetzwerkelementen in Abgrenzung zu der bereits als solches bekannten Routing Area Identity (RAI) offenbart.
29
Die Entgegenhaltungen TSGR2#8(99) f60 mit dem Titel „Routing of NAS Messages in UTRAN“ (Anlage B 3) sowie WO 01/15468 A1 (Anlage B 4) seien nicht neuheitsschädlich. Überdies werde die klagepatentgemäße Lehre nicht durch die aus verschiedenen UMTS-Standardspezifikationen (Anlagenkonvolut B 6) bekannte „Routing Area Identity“ (RAI) neuheitsschädlich vorweggenommen.
30
Die Klägerin wendet sich überdies gegen die Zulassung der Nebenintervenientin zu 9), da es sich bei ihr um einen Zulieferer und zugleich eine Konzerngesellschaft der Nebenintervenientin zu 4) handele. Regressansprüche seien ihr gegenüber nicht erkennbar.
31
Zudem wendet sich die Klägerin gegen die seitens der Beklagten und der Nebenintervenientin zu 9) beantragten Urkundenvorlagen.
32
Sie ist überdies der Meinung, zur Leistung einer Prozesskostensicherheit nicht verpflichtet zu sein. Ihr tatsächlicher Verwaltungssitz befinde sich in L. Dort habe sie Büroräumlichkeiten angemietet. Unter der entsprechenden Adresse könnten Zustellungen erfolgen. Die Klägerin verfüge über drei Geschäftsführer, den in den USA wohnhaften Herrn Boris T. mit „Rang A“ und die in Luxemburg ansässigen Herren Nicholas P2. und Nicolas van B6. jeweils mit „Rang B“. Die Tätigkeit der Geschäftsführer P2. und van B6. sei nicht nur formaler Natur. Alle drei Geschäftsführer träfen sich vielmehr monatlich zu einem sogenannten „board meeting“.
33
Die Klägerin beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt es bei Meidung eines vom Gericht für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
1. Benutzerendgerätevorrichtungen
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, die konfiguriert sind
zum Speichern eines Kernnetzwerkelementbezeichners; Hinzufügen des Kernnetzwerkelementbezeichners zu einer RRC-Nachricht zum Herstellen einer RRC-Verbindung; und Senden der RRC-Nachricht mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner über eine Funkverbindung zu einem Netzwerkelement eines Funkzugangsnetzwerks, um eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen herzustellen, mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird.
(Anspruch 1 des Klagepatents)
2. Benutzerendgeräte
Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
die dazu geeignet sind, ein Verfahren durchzuführen, welches die folgenden Schritte aufweist:
Speichern eines Kernnetzwerkelementbezeichners; Hinzufügen des Kernnetzwerkelementbezeichners zu einer RRC-Nachricht zum Herstellen einer RRC-Verbindung; und Senden der RRC-Nachricht mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner über eine Funkverbindung zu einem Netzwerkelement eines Funkzugangsnetzwerks, um eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen herzustellen, mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird.
(Anspruch 5 des Klagepatents)
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die in Ziffern I.1. und I.2. bezeichneten Handlungen seit dem 03.10.2018 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind und geheimhaltungspflichtige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Wege eines chronologisch geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die in Ziffern I.1. und I.2. bezeichneten Handlungen seit dem 03.11.2018 begangen hat, und zwar unter Angabe
1. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
2. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnung sowie den Namen und Anschriften gewerblichen Angebotsempfänger,
3. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
4. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die Handlungen zu I.1. und I.2. seit dem 03.11.2018 entstanden ist und noch entstehen wird.
V. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter I.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben.
VI. Die Beklagte wird verurteilt, die unter I.1. bezeichneten, seit dem 03.10.2018 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber gewerblichen Abnehmern unter Hinweis darauf, dass mit dem hiesigen Urteil der patentverletzende Zustand der genannten Erzeugnisse festgestellt wurde, und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
VII. Die Beklagte wird verurteilt, die unter I.1. bezeichneten, seit dem 03.10.2018 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, indem sie sie an sich nimmt und/oder dafür Sorge trägt, dass der jeweilige Besitzer die Erzeugnisse vernichtet.
34
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen;
der Klägerin aufzugeben, das zwischen ihr und A. geschlossene Master License …agement Agreement und/oder andere Vereinbarungen und Dokumente, aus denen sich die Verteilung der von A. eingenommenen Lizenzgebühren an die Klägerin ergibt, vorzulegen; und
der Klägerin aufzugeben, die zwischen ihr und Via Licensing geschlossenen Vereinbarungen und Dokumente, aus denen sich die Verteilung der von ViaLicensing eingenommenen Lizenzgebühren an die Klägerin ergibt, vorzulegen;
sowie, hilfsweise,
das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Einspruchsverfahren gegen das EP 2 934 050 B1 auszusetzen.
Weiter beantragt die Beklagte,
den Verkündungstermin um 2 Wochen zu vertagen und
der Klägerin aufzugeben, Vereinbarungen, aus denen sich die Lizenzierung der Mobilfunkkomponenten der Streithelferin zu 8) für die Fahrzeuge der Beklagten ergeben, vorzulegen.
35
Die Nebenintervenientin zu 1) schließt sich dem Klageabweisungsantrag der Beklagten an.
36
Die Nebenintervenientinnen zu 2) und 3) schließen sich den Sachanträgen der Beklagten an und beantragen überdies hilfsweise,
die Klage insofern abzuweisen, als sie Fahrzeuge betrifft, die von den Nebenintervenientinnen zu 2) und 3) gelieferte Komponenten enthalten.
37
Die Nebenintervenientinnen zu 2) und zu 3) beantragen weiter,
den Rechtsstreit analog § 148 ZPO auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof die in der Stellungnahme des Bundeskartellamtes vom 18.06.2020 vorgeschlagenen Rechtsfragen gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen.
die Klägerin zu verpflichten, den Lizenzvertrag des A.-Patentpools mit dem H3. Konzern sowie alle jeweils verbundenen oder sachlich zusammenhängenden Verträge, die diesen Lizenzvertrag in irgendeiner Weise abändern, ausgestalten oder dessen wirtschaftliche Verpflichtungen beeinflussen, vorzulegen;
die Klägerin zu verpflichten, den Lizenzvertrag des A.-Patentpools mit dem H3. Konzern sowie sämtliche zugehörigen Lizenzverträge oder Ergänzungen dieses Lizenzvertrages mit dem H3. Konzern zwischen dem A.-Patentpool und Tochtergesellschaften des …-Konzerns sowie alle verbundenen oder sachlich zusammenhängenden Verträge, die diese Lizenzverträge in irgendeiner Weise abändern, ausgestalten oder deren wirtschaftliche Verpflichtungen beeinflussen, vorzulegen;
die Klägerin zu verpflichten, den Lizenzvertrag des A.-Patentpools mit dem H3. Konzern sowie alle jeweils verbundenen oder sachlich zusammenhängenden Verträge, die diesen Lizenzvertrag in irgendeiner Weise abändern, ausgestalten oder dessen wirtschaftliche Verpflichtungen beeinflussen, vorzulegen.
38
Für den Fall, dass die Beklagte vortragen sollte, nicht im Besitz dieser Lizenzverträge zu sein, beantragen die Nebenintervenientinnen zu 2) und 3),
die A. LLC und die A. Platform International Limited Unit 40 zu verpflichten, den Lizenzvertrag des A.-Patentpools mit dem H3. Konzern sowie alle jeweils verbundenen oder sachlich zusammenhängenden Verträge, die diesen Lizenzvertrag in irgendeiner Weise abändern, ausgestalten oder dessen wirtschaftliche Verpflichtungen beeinflussen, vorzulegen;
die A. LLC und die A. Platform International Limited Unit 40 zu verpflichten, den Lizenzvertrag des A.-Patentpools mit dem H3. Konzern sowie sämtliche zugehörigen Lizenzverträge oder Ergänzungen dieses Lizenzvertrages mit dem H3. Konzern zwischen dem A.-Patentpool und Tochtergesellschaften des …-Konzerns sowie alle verbundenen oder sachlich zusammenhängenden Verträge, die diese Lizenzverträge in irgendeiner Weise abändern, ausgestalten oder deren wirtschaftliche Verpflichtungen beeinflussen, vorzulegen;
die A. LLC und die A. Platform International Limited Unit 40 zu verpflichten, den Lizenzvertrag des A.-Patentpools mit dem H3. Konzern sowie alle jeweils verbundenen oder sachlich zusammenhängenden Verträge, die diesen Lizenzvertrag in irgendeiner Weise abändern, ausgestalten oder dessen wirtschaftliche Verpflichtungen beeinflussen, vorzulegen.
Weiter beantragen die Nebenintervenientinnen zu 2) und 3), die Klägerin zu verpflichten, sämtliche Lizenzverträge, die die Klägerin über ihr Portfolio standardessentieller Patente für Standards drahtloser Kommunikation mit unterschiedlichen Lizenznehmern geschlossen hat sowie alle verbundenen oder sachlich zusammenhängenden Verträge, die diese Lizenzverträge in irgendeiner Weise abändern, ausgestalten oder dessen wirtschaftliche Verpflichtungen beeinflussen, vorzulegen.
39
Die Nebenintervenientin zu 4) schließt sich den Sachanträgen der Beklagten an und beantragt überdies hilfsweise,
die Klage insoweit als derzeit unbegründet abzuweisen, wie sie Vorrichtungen betrifft, die von der Nebenintervenientin zu 4) gelieferte LTE-fähige Komponenten enthalten.
40
Die Nebenintervenientin zu 5) schließt sich den Sachanträgen der Beklagten an.
41
Die Nebenintervenientinnen zu 6) und 7) schließen sich den Sachanträgen der Beklagten an und beantragen überdies hilfsweise,
die Klage insofern abzuweisen, als sie Fahrzeuge betrifft, die von den Nebenintervenientinnen zu 6) und 7) zugelieferte Komponenten enthalten;
die Klage insofern als derzeit unbegründet abzuweisen, als sie Fahrzeuge betrifft, die von den Nebenintervenientinnen zu 6) und 7) gelieferte Komponenten enthalten.
42
Die Nebenintervenientin zu 8) schließt sich den Sachanträgen der Beklagten an und beantragt überdies,
den Verkündungstermin um 2 Wochen zu vertagen.
43
Die Nebenintervenientin zu 9) schließt sich den Sachanträgen der Beklagten an und beantragt überdies,
die Klägerin und die Klägerin der Parallelverfahren ... O3. zu verpflichten, die zwischen dem H3. Konzern und der S3. AG geschlossenen Lizenzvereinbarungen vorzulegen, in der die Patente des …-Konzerns lizenziert wurden, die für den UMTS- und den LTE-Standard essentiell sind bzw. für diese Standards als essentiell deklariert wurden.
44
Die Nebenintervenientin zu 9) beantragt überdies hilfsweise,
die Klage als derzeit unbegründet abzuweisen, soweit sie von der Nebenintervenientin T1. Sales B. V. an die Beklagte gelieferte UMTS- und LTEfähige Kommunikationsmodule betrifft;
den Rechtsstreit analog § 148 ZPO auszusetzen, um dem EuGH die im Schreiben des Bundeskartellamts vom 24.06.2020 vorformulierten Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
45
Die Beklagten und die Nebenintervenientinnen sind der Auffassung,
dass die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche nicht bestehen.
46
Merkmal 3.4 sei dahingehend auszulegen, dass eine Verbindung entsprechend den patentgemäß vorgegebenen Schritten tatsächlich mit dem von dem Benutzerendgerät ausgewählten Kernnetzwerkelement zustande kommen muss. Die geltend gemachten Patentansprüche seien gerade nicht auf eine Netzwerkstruktur beschränkt, in der es in einer Routing Area mehrere Kernnetzwerkelemente desselben Typs gibt. Dies ergebe sich insbesondere aus dem gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung maßgeblichen Primat des Anspruchswortlautes. Bei diesem Verständnis geht die Beklagte davon aus, dass eine Verletzung durch die im LTE-Standard vorgesehenen Attach-Request- und Service-Request-Verfahren nicht vorliegt. Dem Benutzerendgerät sei eine Liste an Kernnetzwerkelementen nicht bekannt, so dass auch eine entsprechende Auswahl nicht erfolgen könne.
47
Das Attach-Request-Verfahren verletze die Klagepatentansprüche zudem nicht, da das Übermitteln der GUMMEI nicht dem anspruchsgemäßen Zweck diene, die Verbindung gerade mit der ausgewählten MME aufzubauen. Überdies sei im LTE-Standard kein anspruchsgemäßer Satz an zu einem bestimmten Gebiet gehörenden Kernnetzwerkelementen vorgesehen. Schließlich komme eine Verbindung nicht zwangsläufig mit der durch die GUMMEI signalisierten MME zustande. Stattdessen erfolge die Auswahl der für eine Verbindung verwendeten MME durch die eNodeB. Das Teilmerkmal „verbinden wird“ des Merkmals 3.4 sei daher nicht verwirklicht.
48
Das Service-Request-Verfahren verwirkliche Merkmal 3.4 ebenfalls nicht, weil das Übermitteln der S-TMSI nicht dem anspruchsgemäßen Zweck diene, eine Verbindung zu einem ausgewählten Kernnetzwerkelement aufzubauen. Die S-TMSI diene vielmehr nur dazu, bei einer netzinternen Kontextanfrage die Identifikation des Benutzerendgeräts zu vereinfachen und die Verbindung auf Grundlage schon bekannter Verbindungsparameter aufzubauen. Überdies fehle auch hier die zwangsläufige Herstellung einer Verbindung zu der MME, die mittels der S-TMSI identifiziert werden soll. Das Teilmerkmal „verbinden wird“ sei auch insoweit nicht erfüllt.
49
Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass das Klagepatent nicht rechtsbeständig sei. Indem die Verwendung eines „area identifiers“ aus dem Anspruchssatz gestrichen wurde, sei das Klagepatent im Vergleich zur Ursprungsanmeldung unzulässig erweitert worden. Überdies stünden die im Erteilungsverfahren noch nicht berücksichtigten, als Anlagen B 3 und B 4 vorgelegten Entgegenhaltungen dem Klagepatent neuheitsschädlich entgegen. Sollte das Klagepatent wie von der Klägerin vorgeschlagen auszulegen sein, seien die Klagepatentansprüche zudem mit Blick auf die aus den als Anlagenkonvolut B 6 vorgelegten UMTS-Standardspezifikationen bereits vorbekannte Routing Area Identity (RAI) nicht neu.
50
Jedenfalls verweigere die Klägerin der Beklagten in kartellrechtswidriger Weise den Abschluss eines FRAND-Konditionen entsprechenden Lizenzvertrages, obwohl die Beklagte ihre Lizenzbereitschaft bekundet habe. Die Klägerin habe ihrerseits nicht FRAND-konform verhandelt, indem sie die von der Beklagten zur Nachprüfung des ihr vorgelegten Vertragsangebots benötigten Informationen, insbesondere betreffend die Berechnung der von der Klägerin verlangten Lizenz, den Anteil am A.-Lizenzprogramm und bislang abgeschlossene, vergleichbare Lizenzverträge nicht zur Verfügung gestellt habe. Trotzdem habe die Beklagte der Klägerin am 08.04.2020 ein FRAND-Konditionen gerecht werdendes Gegenangebot unterbreitet (Anlage B-KAR 21).
51
Die Beklagte macht zudem geltend, dass sich der tatsächliche Verwaltungssitz der Klägerin in den USA befände. In Luxemburg unterhalte die Klägerin einen „besseren Briefkasten“ und damit allenfalls einen „Scheinsitz“. Der maßgebliche tatsächliche Verwaltungssitz befände sich nicht in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum. Die Klägerin verfüge außer den ihr übertragenen Patenten über keine Vermögenswerte. Die in Luxemburg angegebenen Geschäftsräume befänden sich in einem Hotel, das als Zustellungsadresse für verschiedene Unternehmen diene. Das operative Geschäft werde aus den USA heraus von dem dort wohnhaften Geschäftsführer Boris T. betrieben. Die europäischen Gesellschafter Nicholas P2. und Nicolas van B6. seien rein formal tätig. Herr P2. sei für eine Gesellschaft tätig, die sich darauf spezialisiert habe, für ausländische Unternehmen luxemburgische Strukturen aufzubauen. Herr van B6. sei zwar in Luxemburg ansäßig. Er leite derzeit aber ein Kosmetikunternehmen. Die Tätigkeit in einer Beratungsgesellschaft für IP habe er Ende des Jahres 2018 beendet.
52
Die Nebenintervenientinnen unterstützen den Vortrag der Beklagten. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2019 und 16.09.2020 sowie den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

53
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin stehen die gegen die Beklagten geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Schadensersatz zu (A.). Der von der Beklagten geltend gemachte FRAND-Einwand greift im vorliegenden Fall nicht durch (B.). Eine Aussetzung ist nicht angezeigt. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Klagepatent nicht rechtsbeständig ist und daher im Rahmen des derzeit vor dem Europäischen Patentamt laufenden Einspruchsverfahrens vernichtet wird, sind nicht ersichtlich (C.). Streitrelevante Fragen, die sich auf Basis der bestehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht hinreichend zweifelsfrei lösen lassen, sind überdies nicht ersichtlich, so dass auch eine Aussetzung und Vorlage des Rechtsstreits an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung nicht veranlasst ist (D.). Der Antrag auf Prozesskostensicherheit war abzulehnen. Die Klägerin hat ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in der Europäischen Union (E.). Die Beitritt der Nebenintervenientin zu 9. zum vorliegenden Verfahren war zuzulassen (F.).
A.
54
Die angegriffenen Ausführungsformen der Beklagten machen von der Lehre nach Ansprüchen 1 und 5 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch; § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG, Art. 64 Abs. 1 EPÜ (I.). Die Beklagte ist daher wie tenoriert auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach gemäß Art. 64 Abs. 1, Abs. 3 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 3, 140 b PatG, §§ 242, 259 BGB zu verurteilen (II.).
I.
55
1. Das Klagepatent betrifft Geräte, Systeme und Verfahren zur Bereitstellung einer Verbindung in einem Kommunikationsnetzwerk, bei dem es sich insbesondere um leitungsvermittelte Netzwerke oder paketvermittelte Netzwerke wie ein GPRS- oder UMTS-Netzwerk oder eine Kombination von Netzwerken unterschiedlicher Netzwerkarten handeln kann. An der Bereitstellung einer Verbindung in einem Kommunikationsnetzwerk sind üblicherweise mehrere Netzwerkelemente beteiligt. Ein aus dem Stand der Technik bekanntes UMTS-Netzwerk besteht dabei aus drei Hauptkomponenten, dem Benutzerendgerät („user equipment“, UE), dem Funknetzwerk („UMTS terrestrial radio access network“, UTRAN) und dem Kernnetzwerk („core network“, CN). Grafisch lässt sich die grundlegende UMTS-Systemarchitektur wie folgt veranschaulichen (Anlage … A3, S. 57):
56
Das Endgerät (UE) setzt sich aus dem eigentlichen Gerät als Hardware („mobile equipment“, ME) und der SIM-Karte zusammen, die als solche den Teilnehmer identifiziert. Das Funknetzwerk (UTRAN) besteht aus der Basisstation („Node B“) und der Funknetzsteuerung („radio network controller“, RNC). Eine Einheit bestehend aus einer Funknetzsteuerung und mindestens einer Basisstation wird als Funknetzsystem („radio network system“, RNS) bezeichnet. Das Kernnetzwerk besteht aus Elementen wie dem sogenannten Serviceknoten („Serving GPRS Support Node“, SGSN) und einer Vermittlungsstelle („mobility switching center“, MSC) mitsamt dem die Informationen über alle sich gerade im Einzugsbereich des MSC befindlichen Teilnehmer enthaltenden, sogenannten Besucherstandortregister („visitor location register“, VLR; vgl. Anlage … A3, S. 55).
57
Zum Aufbau einer Verbindung wie etwa im Falle eines Telefonanrufs muss das anrufende Endgerät (UE) unter Verwendung der Funknetzwerksteuerung (RNC), die ihrerseits mit dem Serviceknoten (SGSN) des Kernnetzwerkes (CN) kommuniziert, Kontakt zu dem Zielgerät aufnehmen können, unabhängig davon, ob sich das Zielgerät in demselben oder einem anderen Netzwerk befindet. Bei mobilen Endgeräten ist der tatsächliche Aufenthaltsort im Ruhezustand über den RoutingBereich oder - wie etwa bei der Abwicklung eines Telefonanrufs - eine genauer definierte Funkzelle bestimmt.
58
Das Gesamtgebiet eines Netzwerks ist in verschiedene Bereiche unterteilt (sogenannte „routing areas“ oder „location areas“), wobei nach früherem Stand der Technik ein Bereich einem Serviceknoten zugeordnet war. Umgekehrt konnte ein Serviceknoten (SGSN) aber zugleich mehrere Bereiche abdecken. Sobald dem Serviceknoten (SGSN) daher Informationen zu dem Bereich vorlagen, in dem sich ein Endgerät aktuell befand, war der für die Abwicklung einer entsprechenden Verbindung zuständige Serviceknoten unzweideutig identifiziert (vgl. Klagepatentschrift, nachfolgend: KPS, Abs. [0004]). Diese eins zu eins Beziehung zwischen einem bestimmten Bereich und einem für diesen zuständigen Serviceknoten hat jedoch im Rahmen etwa eines UMTS-Netzwerkes den Nachteil, dass der fragliche Bereich vollständig heruntergefahren werden muss und damit nicht mehr zur Verfügung steht, wenn der entsprechende Serviceknoten ausfällt oder gewartet werden muss (KPS Abs. [0005]).
59
Vor diesem Hintergrund betrachtet das Klagepatent eine Netzwerkstruktur als vorteilhaft, in der für jeden räumlichen Bereich zumindest zwei Serviceknoten vorgesehen sind. Wird eine Funknetzsteuerung (RNC) dementsprechend etwa durch Hinterlegung einer Liste an verfügbaren SGSNs dazu in die Lage versetzt, im Falle einer Überlastung oder Funktionsunfähigkeit eines SGSN ein anderes als das zunächst verwendete SGSN zu nutzen, verbessert die Bereitstellung von zwei oder mehr Serviceknoten in einem Bereich die Ausfallsicherheit. Zugleich kann der bei einem Handover von einem Dienstknoten zum anderen anfallende Signalisierungsverkehr reduziert werden (KPS Abs. [0007]). Als Beispiel verweist das Klagepatent in Abs. [0008] auf die Möglichkeit, in einem Ballungsgebiet wie London mehrere SGSNs bereitzustellen, so dass ein sich in der Stadt bewegendes mobiles Endgerät immer ihre ursprüngliche SGSN verwenden kann, um eine Verbindung aufzubauen. In den wie vom Klagepatent als vorteilhaft geschilderten Fällen, bei denen eine Funknetzwerksteuerung in der Lage ist, eine Verbindung zu verschiedenen Serviceknoten aufzubauen, besteht sodann jedoch das Problem, einen geeigneten Serviceknoten aufzufinden und auszuwählen (KPS Abs. [0010]).
60
2. Vor diesem Hintergrund macht es sich das Klagepatent zur Aufgabe, eine Verbindung zwischen einem mobilen Endgerät und dem Serviceknoten eines Kernnetzwerks unter Verwendung eines Kernnetzwerkelementbezeichners („CN identifier“) herzustellen, um so einen von mehreren in einem Kernnetzwerk möglicherweise vorhandenen, geeigneten Serviceknoten aufzufinden und auszuwählen. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Anspruch 1 einen Vorrichtungsanspruch und in Anspruch 5 einen Verfahrensanspruch vor, der das Auffinden und Auswählen eines von einem Satz an Kernnetzwerkelementen zum Ziel hat. Gemäß dem Vorschlag der Klägerin lassen sich die geltend gemachten Ansprüche wie folgt gliedern:
Benutzerendgerätevorrichtung, konfiguriert zum (Anspruch 1) bzw. Verfahren für ein Benutzerendgerät, wobei das Verfahren aufweist (Anspruch 5):
1. Speichern eines Kernnetzwerkelementbezeichners;
2. Hinzufügen des Kernnetzwerkelementbezeichners zu einer RRC- Nachricht
2.1 zum Herstellen einer RRC-Verbindung; und
3. Senden der RRC-Nachricht
3.1 mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner
3.2 über eine Funkverbindung
3.3 zu einem Netzwerkelement eines Funkzugangsnetzwerks,
3.4 um eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kern netzwerkelementen herzustellen, mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird.
61
Welches Kernnetzwerkelement genau bezeichnet werden soll, lassen die geltend gemachten Schutzansprüche offen. Dem Klagepatent zu Folge kommen insoweit sowohl der Serviceknoten (SGSN) als auch die das Besucherverzeichnis umfassende mobilen Vermittlungsstellen (MSC/VLR) in Betracht (KPS Abs. [0003], [0023], [0106]).
62
Zur Ausgestaltung des Kernnetzwerkelementbezeichners verweist das Klagepatent darauf, dass dieser implizit als Teil eines anderen, insoweit neu zu kodierenden Informationselements, aber insbesondere auch als neues Informationselement gesendet werden kann (KPS Abs. [0031]).
63
Figur 1 zeigt die Grundstruktur eines Netzwerks 1, in dem das erfindungsgemäße Verfahren und erfindungsgemäße Benutzerendgerätevorrichtungen 2 zum Einsatz kommen:
64
Die einzelnen Elemente sind in Abs. [0046] bis [0050] des Klagepatents näher beschrieben. Im Falle eines Verbindungsaufbaus mit einem anderen Gerät, das Bestandteil von Netzwerk 1 oder einem anderen Netzwerk ist, wird demnach eine Funkverbindung mit dem Benutzerendgerät 2 über ein Funkzugangsnetzwerk („radio access network“, RAN) bereitgestellt und abgewickelt. Als Bestandteil des RAN ist in Figur 1 eine Funknetzwerksteuerung (RNC) 3 abgebildet. Üblicherweise befinden sich in einem Netzwerk mehrere Funkzugangsnetzwerke und entsprechende Steuerungen 3. Die Steuerung 3 kann dabei selektiv mit verschiedenen Serviceknoten verbunden werden, die in der Figur 1 mit SGSN 4 und SGSN 6 bezeichnet sind. Zudem kann das Netzwerk - wie etwa bei UMTS-Netzwerken der Fall - auch weitere Serviceknoten wie das bereits erläuterte MSC/VLR enthalten. Um Verbindung zu anderen Netzwerken aufzunehmen, können die Serviceknoten SGSN 4 und SGSN 6 mit einem in Figur 1 als GGSN 5 bezeichneten Gateway-Knoten verbunden sein. Der in einem Netzwerk weiter vorhandene Domain Name Server (DNS) 7 speichert oder hat zumindest Zugriff auf Listen an Serviceknoten, die zur alternativen Abdeckung bestimmter Gebiete innerhalb des Netzwerks zur Verfügung stehen. Figur 5 zeigt ein Beispiel einer dementsprechend gespeicherten Tabelle:
65
Die linke Spalte gibt hierbei eine Übersicht über die zur Verfügung stehenden Serviceknoten, die - wie sich aus der letzten Spalte ergibt - jeweils einem oder mehreren Gebieten zugeordnet sein können. In dem in Figur 5 gezeigten Beispiel sind die Serviceknoten SGSN 1, SGSN 2, SGSN 3 und SGSN 4 derselben Routing Area (RA) 1 zugeordnet (KPS Abs. [0050]). Gemäß Abs. [0053] sind in einer erfindungsgemäßen Netzwerkarchitektur zwei oder mehr Kernnetzwerkelemente desselben Typs (z. B. MSC oder SGSN) vorhanden, die ihrerseits zu demselben Funknetzwerk in demselben räumlichen Bereich verbunden sind. Dabei enthalten eines oder mehrere der vorhandenen Funkzugangsnetzwerke eine vorkonfigurierte Liste an CN-Knoten oder können eine solche Liste zumindest von einem Netzwerkelement wie dem DNS-Server herunterladen. Die CN-Knoten können hierbei mit einem Kernnetzwerkbezeichner verbunden sein, der zumindest einem räumlichen Gebiet eindeutig zugewiesen ist.
66
Einer erfindungsgemäßen Ausgestaltung eines Netzwerksystems entspricht es dabei, dass jedes Mal, wenn sich ein Benutzerendgerät - etwa indem ein „Attach“-Prozess durchgeführt wird - in einem Standort- oder Routing-Bereich anmeldet, der mit der entsprechenden Anmeldung befasste CN-Knoten seinen CN-Bezeichner an das Benutzerendgerät zurückmeldet, welches seinerseits dazu eingerichtet ist, einen empfangenen CN-Bezeichner zu speichern. Das Benutzerendgerät kann der Lehre des Klagepatents zu Folge zudem so ausgelegt sein, dass es bei Bedarf den CN-Bezeichner angibt, wenn eine Verbindung zu einem Funknetzwerk hergestellt wird. Dabei kann der CN-Bezeichner in der Funksignalisierung, etwa beim Aufbau einer RRC-Verbindung, angezeigt werden (KPS Abs. [0054]).
67
3. Erklärungsbedürftig ist vorliegend das zwischen den Parteien allein in Streit stehende Merkmal 3.4. Während die Klägerin das Merkmal so versteht, dass ein mobiles Endgerät lediglich einen Kernnetzwerkelementbezeichner speichern und an ein Funknetzwerk senden können muss, um eine Verbindung mit einem von mehreren in einem bestimmten Gebiet vorhandenen, gleichartigen Kernnetzwerkelementen herzustellen, vertritt die Beklagte die Auffassung, dass eine Verbindung entsprechend den patentgemäß vorgegebenen Schritten tatsächlich mit dem von dem Benutzerendgerät ausgewählten Kernnetzwerkelement zustande kommen muss. Die geltend gemachten Patentansprüche seien der Beklagten zu Folge gerade nicht auf eine Netzwerkstruktur beschränkt, in der es in einer Routing Area mehrere Kernnetzwerkelemente desselben Typs gibt.
68
a. In rechtlicher Hinsicht gilt für die Auslegung folgender Maßstab: Ziel der Auslegung des Patentanspruchs ist es, dessen Sinngehalt zu ermitteln. Maßgebend ist dabei der Offenbarungsgehalt der Patentansprüche und ergänzend - im Sinne einer Auslegungshilfe - der Offenbarungsgehalt der Patentschrift, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat (BGH, NJW-RR 2000, 259, 261 - Spannschraube). Die zur Ermittlung des Offenbarungsgehalts eines Patentanspruchs notwendige Auslegung dient dabei dazu, die technische Lehre des Klagepatents zu erfassen, wie sie aus fachmännischer Sicht - d.h. unter Berücksichtigung des Vorverständnisses, das sich aus dem Fachwissen und Fachkönnen des von der Erfindung angesprochenen Fach…ns ergibt - mit dem Wortlaut des Anspruchs zum Ausdruck gebracht wird. Entscheidend ist damit eine funktionale Auslegung der Schutzansprüche und der darin verwendeten Begriffe, um deren technischen Sinn unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Klagepatent ergeben, zu bestimmen (BGH, BeckRS 2015, 19864 Rn. 16 - Luftkappensystem). Maßgeblich sind insoweit der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der geschützten Erfindung beitragen. Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen (BGH, a.a.O.; GRUR 2012, 1124, 1126, Rn. 27 - Polymerschaum). Die Patentschrift ist dazu in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und ihren Gesamtinhalt im Zweifel so zu verstehen, dass sich Widersprüche nicht ergeben (BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 - Kreuzgestänge; GRUR 2015, 159, 161, Rn. 31 - Zugriffsrechte; GRUR 2011, 701, 703, Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung). Ergeben sich indes unauflösbare Widersprüche zwischen der technischen Lehre der Beschreibung und der technischen Lehre der Schutzansprüche, ist der Patentanspruch maßgeblich (BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 - Kreuzgestänge; GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. - Okklusionsvorrichtung). Im Rahmen der Auslegung dürfen Beschreibung und Zeichnungen zudem weder zu einer inhaltlichen Erweiterung, noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Schutzgegenstandes führen (BGH, GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. - Okklusionsvorrichtung; GRUR 2010, 602, 605, Rn. 27 - Gelenkanordnung). Soweit sich indes die Beschreibung als Erläuterung des Gegenstands des Patentanspruchs lesen lässt, ist sie zu berücksichtigen (BGH, GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. - Okklusionsvorrichtung).
69
b. Vor diesem Hintergrund gilt hier Folgendes: Der angesprochene Fach…n, ein Ingenieur mit Hochschulabschluss in den Fachgebieten Elektrotechnik, Informatik oder Physik mit Schwerpunkt Mobilfunkkommunikation und mehrjähriger Praxis auf dem Gebiet der Entwicklung von Mobilstationen und der Verwendung von Mobilfunkkommunikationsstandards, versteht das Merkmal 3.4 als Zweckangabe. In Patentansprüchen enthaltene Zweckangaben beschränken der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Folge als solche den Schutzgegenstand eines Patentanspruchs im Allgemeinen nicht (BGH, GRUR 2009, 837, 838, Rn. 15 - Bauschalungsstütze; GRUR 2006, 570, 573, Rn. 21 - extracoronales Geschiebe; GRUR 1991, 436, 441 - Befestigungsvorrichtung II). Allerdings muss der durch das Klagepatent geschützte Gegenstand so ausgebildet sein, dass er für den im Anspruch angegebenen Zweck verwendbar ist bzw. die im Anspruch angegebene Funktion erfüllen kann (BGH, GRUR 2009, 837, 838, Rn. 15 - Bauschalungsstütze; BeckRS 2010, 00634, Rn. 12 - Hundefutterbeutel). Fordert der Patentanspruch die Eignung der geschützten Vorrichtung, einen bestimmten Vorgang ausführen zu können, und benennt er weiter ein Mittel, über das diese Eignung erreicht werden soll, ist der Patentanspruch im Zweifel dahin auszulegen, dass das Mittel dazu vorgesehen ist und dementsprechend geeignet sein muss, an dem Vorgang, wenn er ausgeführt wird, in erheblicher Weise mitzuwirken (BGH, GRUR 2020, 159, 161, Rn. 18 - Lenkergetriebe).
70
Vor diesem Hintergrund kann der Argumentation der Beklagten, wonach es angesichts der in Merkmal 3.4 enthaltenen Zweckangabe erforderlich ist, dass „zwangsläufig eine Verbindung zu einem identifizierten Kernnetzwerkelement hergestellt wird“ (Bl. 366) nicht gefolgt werden. Vielmehr ist es vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Vorgaben zur Auslegung von Zweckangaben als ausreichend, aber auch notwendig anzusehen, dass die fragliche Vorrichtung, hier ein mobiles Endgerät, so konfiguriert ist, dass eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen hergestellt werden kann, wobei der Kernnetzwerkelementbezeichner geeignet sein muss, in erheblicher Weise an der Herstellung einer entsprechenden Verbindung mitzuwirken.
71
Dabei setzt Merkmal 3.4 auch nicht voraus, dass das Benutzerendgerät das Kernnetzwerkelement auswählt, mit dem eine Verbindung dann tatsächlich aufgebaut wird. Der Fach…n erkennt aus Abs. [0055] der Klagepatentschrift, dass das Kernnetzwerkelement seinen Kernnetzwerkelementbezeichner an das Benutzerendgerät sendet, das seinerseits so eingerichtet sein muss, dass es den entsprechenden Kernnetzwerkelementbezeichner speichern und im Falle eines weiteren, künftigen Verbindungsaufbaus senden kann. Sendet ein Benutzerendgerät bei einem künftigen Verbindungsaufbau einen dem Kernnetzwerkelement bekannten Kernnetzwerkelementbezeichner, erfolgt der Verbindungsaufbau mit dem entsprechenden Kernnetzwerkelement (KPS Abs. [0066]). Im Rahmen eines gegebenenfalls erforderlichen Wechsels des Kernnetzwerkelements ermöglicht es das Erkennen des von dem Benutzerendgerät gesandten (alten) Kernnetzwerkelementbezeichners dem Kernnetzwerkelement, Kontextinformation zur Verwaltung einer Verbindung zu kopieren und einem anderen Kernnetzwerkelement zur Verfügung zu stellen (KPS Abs. [0067], [0068], [0030]). Ausdrücklich lehrt zudem Abs. [0070] der Klagepatentschrift in Übereinstimmung mit dem Anspruchswortlaut, dass der Versand der den Kernnetzwerkelementbezeichner enthaltenden RRC-Nachricht durch das Benutzerendgerät erfolgt, dass aber das Funknetzwerk die Auswahl des Kernnetzwerkelements trifft. Dies erfolgt, indem die Auswahl des für die Verbindung schlussendlich in Betracht kommenden Kernnetzwerkelements auf Basis einer wie etwa in Fig. 5 des Klagepatents gezeigten Tabelle mitsamt den darin enthaltenen Informationen über die in dem von dem Funknetzwerk abgedeckten Gebiet vorhandenen Kernnetzwerkelemente getroffen wird. Notwendig ist somit, dass das Benutzerendgerät in der Lage ist, ein Kernnetzwerkelement zu speichern und in anspruchsgemäßer Weise zu senden. Die Auswahl und Verbindung erfolgt aber nach der Lehre des Klagepatents netzwerkseitig unter Auswertung des von dem Benutzerendgerät entsprechend übersandten Kernnetzwerkelementbezeichners.
72
c. Weiter erläuterungsbedürftig ist zudem noch die Formulierung „Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen“. Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfach…n nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (BGH, NJW-RR 2000, 259, 261 - Spannschraube, GRUR 2020, 159, 160, Rn. 13 - Lenkergetriebe). Das Merkmal „zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen“ ist daher mit Blick auf die dem Klagepatent zu Grunde liegenden Aufgabe auszulegen, eine Identifikation eines Kernnetzwerkelements wie insbesondere eines Serviceknotens auch in solchen Fällen zu ermöglichen, bei denen in einem Gebiet mehrere Kernnetzwerkelemente desselben Kernnetzwerkelementtyps vorhanden sind. Vor dem Hintergrund dieser Aufgabe, die an Hand des in Abs. [0008] der Klagepatentschrift genannten Beispiels eines Ballungsgebiets mit mehreren, in demselben parallel vorhandenen SGSNs veranschaulicht wird, versteht der Fach…n, dass das Senden der RRC-Nachricht mitsamt dem Kernnetzwerkelementbezeichner dazu dient, eines von mehreren SGSNs auszuwählen, um eine Verbindung aufbauen zu können. Dieses Verständnis ergibt sich zudem aus Abs. [0054], wonach die erfindungsgemäße Netzwerkarchitektur zwei oder mehr Netzwerkknoten desselben Typs enthält. Überdies wird das entsprechende Verständnis auch für das weitere Ausführungsbeispiel eines mobilen virtuellen Netzwerkanbieters („mobile virtual network operator“, MVNO) bestätigt. Auch insoweit stellt sich dem Fach…n das Problem, einen passenden von mehreren vorhandenen Netzwerkknoten desselben Typs auszuwählen (KPS Abs. [0107], [0112]). Entsprechend der Aufgabenstellung des Klagepatents ist das Merkmal daher dahingehend auszulegen, dass ein Satz von Kernnetzwerkelementen als Mehrheit an in einem Gebiet vorhandenen gleichartigen Kernnetzwerkelementen wie insbesondere mehrere in einem Gebiet vorhandene Serviceknoten (SGSNs) zu verstehen ist. Mit einem dieser gleichartigen Kernnetzwerkelemente muss gegebenenfalls die Verbindung letztlich zustande kommen. Gerade nicht erforderlich ist aber, dass die Verbindung mit eben diesem, von dem Benutzerendgerät übersandten Kernnetzwerkelement zustande kommt. Dementsprechend lautet der Wortlaut des Merkmals 3.4 auch
„um eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen herzustellen, mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird “
und nicht
„um eine Verbindung zu diesem Kernnetzwerkelement herzustellen, mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird.“
73
d. Der vorliegenden Auslegung steht der Grundsatz des Primats des Patentspruchs nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass - worauf die Beklagte insbesondere in der mündlichen Verhandlung nochmals eingehend hingewiesen hat - die Auslegung nicht dazu führen darf, dass über eine Heranziehung der Beschreibung der durch den Wortsinn festgelegte Gegenstand des Patentanspruchs eingeengt wird (BGH, GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. - Okklusionsvorrichtung). Allerdings geht die von der Beklagten vertretene Auslegung im Ergebnis dahin, dass nicht der Wortsinn, sondern allein der Wortlaut des Patentanspruchs, hier noch dazu beschränkt auf den Passus „mit dem sich die Vorrichtung verbinden wird“, als maßgeblich erachtet wird. Dabei wird bereits der Grundsatz nicht hinreichend beachtet, dass die Klagepatentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen ist (BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 - Kreuzgestänge). Überdies widerspricht die von der Beklagten vertretene Auslegung dem vom BGH insbesondere in der Entscheidung Spannschraube formulierten Grundsatz, dass Inhalt eines Patentanspruchs nicht Wortlaut, sondern Sinngehalt bedeutet (BGH, NJW-RR 2000, 259, 261). Dem Sinngehalt nach handelt es sich bei Merkmal 3.4 aber eben um eine im Lichte der Aufgabenstellung des Klagepatents zu betrachtende Zweckangabe, die nach Ansicht der Kammer wie hier dargelegt auszulegen ist.
74
4. Vor dem Hintergrund dieser Auslegung macht der von den angegriffenen Ausführungsformen genutzte LTE-Standard mit dem standardgemäß vorgesehenen Attach-Request-Verfahren gemäß den technischen Spezifikationen
- 3GPP TS 23.401 Version 11.4.0 Release 11 (Anlage … A 8),
- 3GPP TS 23.003 Version 11.4.0 Release 11 (Anlage … A 9),
- 3GPP TS 36.300 Version 11.4.0 Release 11 (Anlage … A 10),
- 3GPP TS 24.301 Version 11.5.0 Release 11 (Anlage … A 11),
- 3GPP TS 36.331 Version 11.2.0 Release 11 (Anlage … A 12)
von der Lehre des Patentanspruchs 1 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
75
a. Bei den von der Beklagten vertriebenen LTEfähigen Kraftfahrzeugen handelt es sich um Benutzerendgerätevorrichtungen, die im Standard als sogenanntes „User Equipment“ (UE) bezeichnet werden.
76
b. Merkmal 1. ist verwirklicht, da im LTE-Standard die Speicherung des „Global Unique MME Identifier“ (GUMMEI, zu Deutsch: „globaler eindeutiger MMEBezeichner“) und damit eines Kernnetzwerkelementbezeichners vorgesehen ist. Bei der MME („mobility …agement entity“) handelt es sich um den im LTE-Standard an die Stelle des SGSN tretenden Serviceknoten. Gemäß Kapitel 5.7.5 der Standardspezifikation TS 23.401 werden den Vorgaben des LTE-Standards entsprechend im Benutzerendgerät unter anderem die folgenden Informationen vorgehalten und damit gespeichert:
77
Die „Globally Unique Temporary Identity“ (GUTI, zu Deutsch: „globale eindeutige temporäre Identität“) ist wie nachfolgend abgebildet aufgebaut und beinhaltet insbesondere auch den GUMMEI (Anlage … A14, S. 21):
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Die Speicherung des in der GUTI enthaltenen GUMMEI wird im LTE-Standard durch die Spezifikation TS 23.003 (S. 17 der Anlage … A9) wie folgt vorgegeben Unterstreichungen hinzugefügt):
„2.8 Globally Unique Temporary UE Identity (GUTI)
2.8.1 Introduction
The purpose of the GUTI is to provide an unambiguous identification of the UE that does not reveal the UE or the user's per…ent identity in the Evolved Packet System (EPS). It also allows the identification of the MME and network. It can be used by the network and the UE to establish the UE's identity during signalling between them in the EPS. See 3GPP TS 23.401 [72].
The GUTI has two main components:
- one that uniquely identifies the MME which allocated the GUTI; and
- one that uniquely identifies the UE within the MME that allocated the GUTI.
Within the MME, the mobile shall be identified by the M-TMSI.
The Globally Unique MME Identifier (GUMMEI) shall be constructed from the MCC, MNC and MME Identifier (MMEI). The MMEI shall be constructed from an MME Group ID (MMEGI) and an MME Code (MMEC).
The GUTI shall be constructed from the GUMMEI and the M-TMSI.
For paging purposes, the mobile is paged with the S-TMSI. The S-TMSI shall be constructed from the MMEC and the M-TMSI.
The operator shall need to ensure that the MMEC is unique within the MME pool area and, if overlapping pool areas are in use, unique within the area of overlapping MME pools.
The GUTI shall be used to support subscriber identity confidentiality, and, in the shortened S-TMSI form, to enable more efficient radio signalling procedures (e.g. paging and Service Request).
The format and size of the GUTI is therefore the following:
<GUTI> = <GUMMEI><M-TMSI>,
where <GUMMEI> = <MCC><MNC><MME Identifier>
and <MME Identifier> = <MME Group ID><MME Code>“
Zu Deutsch:
„2.8 Globaler eindeutiger temporärer UE-Bezeichner (GUTI)
2.8.1 Einführung
Der Zweck der GUTI ist es, eine eindeutige Identifizierung des UE zu ermöglichen, die weder das UE noch die dauerhafte Identität des Benutzers im Evolved Packet System (EPS) offenbart. Es ermöglicht auch die Identifizierung von MME und Netzwerk. Es kann vom Netzwerk und dem UE verwendet werden, um die Identität des UE während der Signalisierung zwischen ihnen im EPS zu ermitteln. Siehe 3GPP TS 23.401 [72].
Die GUTI besteht aus zwei Hauptkomponenten:
- eine, die die MME eindeutig identifiziert, die die GUTI zugeordnet hat; und
- eine, die das UE innerhalb der MME, die die GUTI zugeordnet hat, eindeutig identifiziert.
Innerhalb der MME muss das Mobilgerät durch die M-TMSI identifiziert werden.
Der globale eindeutige MME Bezeichner (GUMMEI) ist aus dem MCC, MNC und MME Bezeichner (MMEI) aufzubauen. Der MMEI ist aus einer MME Group ID (MMEGI) und einem MME Code (MMEC) aufgebaut.
Die GUTI ist aus der GUMMEI und der M-TMSI aufzubauen.
Für Paging-Zwecke wird das Mobilgerät mit der S-TMSI geortet. Die S-TMSI ist aus dem MMEC und der M-TMSI aufzubauen.
Der Betreiber muss sicherstellen, dass das MMEC innerhalb des MMEPoolbereichs eindeutig ist und, wenn überlappende Poolbereiche verwendet werden, innerhalb des Bereichs der überlappenden MME-Pools eindeutig ist.
Die GUTI ist zu verwenden, um die Vertraulichkeit der Teilnehmeridentität zu unterstützen und in der verkürzten S-TMSI-Form effizientere Funksignalisierungsverfahren (z. B. Paging und Service Request) zu ermöglichen.
Das Format und die Größe der GUTI ist daher wie folgt:
„<GUTI> = <GUMMEI><M-TMSI>,
wobei <GUMMEI> = <MCC><MNC><MME Identifier> 
und <MME Identifier> = <MME Group ID><MME Code>“
79
Der GUMMEI wird als Kernnetzwerkelementbezeichner verwendet, da er gemäß der LTE-Standardspezifikation TS 36.300, S. 61 (Anlage … A10) Verwendung findet, um ein Kernnetzwerkelement eindeutig zu identifizieren (Unterstreichung hinzugefügt):
„8.2 Network entity related Identities
The following identities are used in E-UTRAN for identifying a specific network entity TS 36.413 [25]:
- Globally Unique MME Identity (GUMMEI): used to identify MME globally. The GUMMEI is constructed from the PLMN identity the MME belongs to, the group identity of the MME group the MME belongs to and the MME code (MMEC) of the MME within the MME group.“
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Zu Deutsch:
„8.2 Netzwerkeinheitbezogene Identitäten
Die folgenden Identitäten werden im E-UTRAN zur Identifizierung einer bestimmten Netzwerkeinheit TS 36.413 [25] verwendet:
- Globale eindeutige MME Identität (GUMMEI): wird verwendet, um MME global zu identifizieren. Die GUMMEI wird aus dem PLMN Identität, zu der die MME gehört, der Gruppenidentität der MME-Gruppe, zu der die MME gehört und dem MME-Code (MMEC) der MME innerhalb der MME-Gruppe gebildet.“
81
c. Im LTE-Standard wird der als Kernnetzwerkelementbezeichner eingesetzte GUMMEI einer RRC-Nachricht hinzugefügt und damit Merkmal 2. wortsinngemäß verwirklicht. Gemäß der LTE-Standardspezifikation TS 36.331 (Anlage … A12, S. 44) werden die Bestandteile vorgegeben, die in der zweiten vom Benutzerendgerät beim Aufbau einer Verbindung ausgehenden RRC-Nachricht enthalten sind. Dazu zählen neben den Informationsbestandteilen, aus denen sich der GUMMEI zusammensetzt auch der GUMMEI selbst, wie sich aus der Liste der dem LTE-Standard zu Folge in der „RRCConnectionSetupComplete“-Nachricht enthaltenen Informationsbestandteile ergibt (Unterstreichung hinzugefügt):
Zu Deutsch:
 
 
82
Indes des vom US aus der in SlB1 enthaltenen PLMN-IdentityList ausgewählten PLMN. 1, wenn das erste PLMN aus der in SlB1 enthaltenen PLMN-IdentityList ausgewählt wird, 2, wenn das zweite PLMN aus der in SlB1 enthaltenen PLMN-IdentityList ausgewählt wird.
83
d. Das Hinzufügen des GUMMEI zu einer RRC-Nachricht dient im LTE-Standard entsprechend Merkmal 2.1 dazu, eine RRC-Verbindung herzustellen. Die den Kernnetzwerkelementbezeichner GUMMEI beinhaltende Nachricht „RRCConnectionSetupComplete“ ist die zweite, von dem Benutzerendgerät ausgehende RRC-Nachricht, um im LTE-Standard erfolgreich eine RRC-Verbindung aufzubauen. Die LTE-Standardspezifikation TS 36.331 (Anlage … A12, dort S. 40) stellt den Aufbau einer RRC-Verbindung wie folgt dar:
84
e. Die den Kernnetzwerkelementbezeichner GUMMEI beinhaltende RRC-Nachricht „RRCConnectionSetupComplete“ wird im LTE-Standard zudem über eine Funkverbindung versendet, so dass auch Merkmale 3, 3.1 und 3.2 wortsinngemäß verwirklicht sind.
85
Gemäß LTE-Standardspezifikation TS 24.301 ist für den Aufbau einer tatsächlichen Verbindung in Form einer NAS-Signalisierungsverbindung („NAS signalling connection“) aus dem Ruhezustand eines Endbenutzergeräts heraus zunächst ein Attach Request Verfahren durchzuführen (Anlage … A11, S. 53 f.). In diesem Rahmen wird die oben bezeichnete RRC-Nachricht „RRCConnectionSetupComplete“ an das E-UTRAN als das im LTE-Standard vorgesehene Funknetzwerk gesandt, um eine Verbindung zu einem MME aufzubauen. Der LTEStandardspezifikation TS 24.301, Ziff. 5.5.1, zu Folge erfolgt das Attach-Verfahren, um einen Anschluss eines Benutzerendgeräts an das EPC als das im LTEStandard vorgesehene Kernnetzwerk herzustellen. Ziff. 5.5.1.2.2 der LTEStandardspezifikation TS 24.301 sieht vor, dass die Einleitung des Attach-Verfahrens durch das Benutzerendgerät erfolgt, indem dieses die Attach-RequestNachricht an die MME, also ein Element des in einem LTE-Netzwerk vorgesehenen Kernnetzwerks, sendet (Anlage … A11, S. 77).
86
Die LTE-Standardspezifikation TS 24.301, S. 54, sieht weiter vor, dass die Non Access Stratum-Schicht (NAS-Schicht) eines Benutzerendgeräts, das sich im „EMM-IDLE mode“ im nichtregistrierten Zustand befindet, dessen untere Schichten mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner GUMMEI versieht. Über die entsprechend Merkmalen 2 und 2.1 des Klagepatents hergestellte RRC-Verbindung wird die den GUMMEI beinhaltende RRC Nachricht „RRCConnectionSetupComplete“ dem Informationselement „DedicatedInfoNAS“ hinzugefügt, das im LTEStandard dazu verwendet wird, Informationen betreffend die NAS-Schicht des Benutzerendgeräts zwischen dem Netzwerk und dem Benutzerendgerät auszutauschen (Anlage … A12, S. 44 sowie S. 262).
87
Das von der Beklagten insoweit auf Bl. 369 d. Akte vorgebrachte Argument vermeintlich fehlender Schlüssigkeit des Klägervortrags verfängt im Ergebnis nicht. Nach Ansicht der Beklagten ist der Vortrag der Klägerin nicht schlüssig, da sie einerseits behaupte, dass sich das Benutzerendgerät vor Durchführung des als patentverletzend behaupteten Attach-Request-Verfahrens im sogenannten „EMM-DEREGISTERED“-Zustand befände (Bl. 35 d. Akte), während das Benutzerendgerät sich andererseits vor Durchführung des Attach-Request-Verfahrens der LTE-Standardspezifikation TS 24.301, S. 53 f., im EMM-IDLE-Modus befinden müsse (Bl. 48 d. Akte). Den technischen Vorgaben des LTE-Standards zu Folge handelt es sich aber bei dem Zustand „EMM-DEREGISTERED“ lediglich um einen Substatus des „EMM-IDLE mode“. Dieses technische Verständnis folgt zwingend aus der LTE-Standardspezifikation TS 24.301, S. 53 f., wonach ein Benutzerendgerät im Ruhezustand („EMM-IDLE mode“) entweder registriert oder nicht registriert sein kann.
88
f. Weiter ist auch Merkmal 3.3 des Klagepatents wortsinngemäß erfüllt. Die den Kernnetzwerkelementbezeichner GUMMEI enthaltende RRC-Nachricht „RRCConnectionSetupComplete“ wird an die im LTE-Standard als Basisstation vorgesehene eNodeB als Netzwerkelement des im LTE-Standard vorgesehenen Funknetzwerks E-UTRAN gesendet. Die LTE-Standardspezifikation 36.331 sieht gemäß S. 152 (Anlage … A12) ausdrücklich vor, dass die „RRCConnectionSetupComplete“-Nachricht von dem Benutzergerät an das Funknetzwerk ETURAN („Direction: UE to E-UTRAN“) gesendet wird.
89
g. Das zum Aufbau einer Verbindung im LTE-Standard vorgesehene Attach-Request-Verfahren verwirklicht schließlich auch Merkmal 3.4 des Anspruchs 1 des Klagepatents. Nachdem die eNodeB im Funknetzwerk E-UTRAN die „RRCConnectionSetupComplete“-Nachricht von einem Benutzerendgerät erhalten hat, wählt die eNodeB anhand der entsprechenden, den Kernnetzwerkelementbezeichner GUMMEI beinhaltenden RRC-Parameter eines von einem Satz an MMEs aus.
90
Merkmal 3.4 zu Folge ist es - wie die Auslegung ergeben hat - letztlich ausreichend, aber auch notwendig, dass ein Benutzerendgerät so konfiguriert ist, dass eine Verbindung zu einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen hergestellt werden kann, wobei der Kernnetzwerkelementbezeichner geeignet sein muss, in erheblicher Weise an der Herstellung einer entsprechenden Verbindung mitzuwirken. Der anspruchsgemäß vorgesehene „Satz von Kernnetzwerkelementen“ wird von dem angesprochenen Fach…n unter Berücksichtigung der dem Klagepatent zu Grunde liegenden Aufgabenstellung hierbei dahingehend verstanden, dass es sich um eine in einem Gebiet vorhandene Mehrzahl an Kernnetzwerkelementen des gleichen Typs handeln muss (siehe oben Ziff. A.I.3.c). Mit einem Kernnetzwerkelement eben dieses Typs muss die Verbindung zustande kommen. Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Verbindung mit dem von dem Benutzerendgerät benannten Kernnetzwerkelement aufgebaut wird, da die Auswahl patentgemäß durch das Funknetzwerk erfolgt (siehe oben Ziff. A.I.3.b). Ein anspruchsgemäßes Benutzerendgerät muss also patentgemäß so eingerichtet sein, dass es möglich ist, mittels der mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner GUMMEI versehenen RRC-Nachricht „RRCConnectionSetupComplete“ eine Auswahl unter mehreren vorhandenen MMEs zu treffen, so dass letztlich eine Verbindung mit entweder dem in dem Benutzerendgerät bereits gespeicherten MME oder einem anderen zur Verfügung stehenden MME zustande kommt.
91
Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die LTE-Standardspezifikation TS 23.401 sieht gemäß S. 85 vor, dass die eNodeB eine MME anhand der RRC Parameter auswählt, die den in der Nachricht „RRCConnectionSetupComplete“ enthaltenen GUMMEI umfasst (Unterstreichung hinzugefügt):
„The eNodeB derives the MME from the RRC parameters carrying the old GUMMEI and the indicated Selected Network. If that MME is not associated with the eNodeB or the old GUMMEI is not available, the eNodeB selects an MME as described in clause 4.3.8.3 on „MME selection function“. The eNodeB forwards the Attach Request message to the new MME contained in a S1-MME control message (Initial UE message) (…).“
Zu Deutsch:
„Die eNodeB leitet die MME von den RRC-Parametern ab, die die alte GUMMEI und das angegebene ausgewählte Netzwerk enthalten. Wenn diese MME nicht mit der eNodeB verbunden oder die alte GUMMEI nicht verfügbar ist, wählt die eNodeB eine MME aus, wie in Abschnitt 4.3.8.3 unter ‚MME selection function‘ beschrieben. Die eNodeB leitet die Attach-RequestNachricht an die neue MME weiter, die in einer S1-MME-Steuernachricht (anfängliche UE-Nachricht) enthalten ist (…).“
92
In Ziff. 4.3.10 der LTE-Spezifikation 23.401 ist zudem die Funktionalität für die Verbindung von eNodeBs bei mehreren in einem Gebiet zugleich zur Verfügung stehenden MMEs ausgeführt (Unterstreichung hinzugefügt):
„An eNodeB may connect to several MMEs. This implies that an eNodeB must be able to determine which of the MMEs, covering the area where an UE is located, should receive the signalling sent from a UE. To avoid unnecessary signalling in the core network, a UE that has attached to one MME should generally continue to be served by this MME as long as the UE is in the radio coverage of the pool area to which the MME is associated. The concept of pool area is a RAN based definition that comprises one or more TA(s) that, from a RAN perspective, are served by a certain group of MMEs. This does not exclude that one or more of the MMEs in this group serve TAs outside the pool area. This group of MMEs is also referred to as an MME pool.“
Zu Deutsch:
„Ein eNodeB kann sich mit mehreren MMEs verbinden. Dies bedeutet, dass ein eNodeB in der Lage sein muss, zu bestimmen, welche der MMEs, die den Bereich abdecken, in dem sich ein UE befindet, die von einer UE gesendete Signalisierung empfangen sollen. Um unnötige Signalisierungen im Kernnetz zu vermeiden, sollte eine UE, die an eine MME angeschlossen ist, im Allgemeinen weiterhin von dieser MME bedient werden, solange sich die UE in der Funkabdeckung des Poolbereichs befindet, dem die MME zugeordnet ist. Das Konzept des Poolbereich ist eine RANbasierte Definition, die eine oder mehrere TA(s) umfasst, die aus RAN-Sicht von einer bestimmten Gruppe von MMEs bedient werden. Dies schließt nicht aus, dass eine oder mehrere der MMEs in dieser Gruppe Tas außerhalb des Poolbereichs bedienen. Diese Gruppe von MMEs wird auch als MME-Pool bezeichnet.“
93
Die Argumentation der Beklagten, wonach im LTE-Standard kein anspruchsgemäßer Satz an zu einem bestimmten Gebiet gehörenden Kernnetzwerkelementen vorgesehen sei, verfängt vor diesem Hintergrund nicht. Auch in einem MMEPool sind mehrere MMEs in einem bestimmten Gebiet, hier dem durch den gesamten Pool gebildeten Bereich, vorhanden, unter denen eine Auswahl einer MME zu erfolgen hat und - eben auf Basis der Verwendung des von dem Benutzerendgerät in der RRC-Nachricht „RRCConnectionSetupComplete“ mitgesandten Kernnetzwerkelementbezeichners GUMMEI - auch kann. Dazu kommt, dass die LTE-Standardspezifikation TS 36.300 (Anlage … A10, S. 134) ausdrücklich vorsieht, dass im LTE-Standard eine Netzwerkarchitektur unterstützt wird, in der mehrere MMEs vorgesehen sind (Unterstreichung hinzugefügt):
„The interconnection of eNBs or HeNB GW, if deployed, to multiple MME/Serving S-GWs is supported in the EUTRAN/EPC architecture. Therefore a NAS node selection function is located in the eNB or the HeNB GW, if deployed, to determine the MME association of the UE, based on the UE’s temporary identifier, which was assigned to the UE by the CN node (e.g. MME or SGSN).
NOTE: In case the UE’s temporary identifier is assigned by the SGSN, respective mapping rules are defined in TS 23.003 [26].
Depending on the actual scenario the NNSF determines the UE’s MME association either based its S-TMSI (e.g. at service request) or based on its GUMMEI and selected PLMN (e.g. at attach or tracking area update in nonregistered TA).“
Zu Deutsch:
„Die Zusammenschaltung von eNBs oder HeNB GW, falls vorhanden, mit mehreren MME/Serving S-GWs wird in der E-UTRAN/EPC-Architektur unterstützt. Daher befindet sich eine NAS Knotenauswahlfunktion in der eNB oder der HeNB GW, falls vorhanden, um die MME Zuordnung des UE basierend auf dem temporären Bezeichner des UE, der dem UE von dem CN Knoten zugewiesen wurde (z.B. MME oder SGSN).
HINWEIS: Im Falle dass der temporäre Bezeichner des UE durch das SGSN zugewiesen wurde, sind in TS 23.003 [26] entsprechende Mapping-Regeln definiert.
Abhängig von dem tatsächlichen Szenario bestimmt die NNSF die MMEZuordnung des UE entweder auf der Grundlage entweder auf der Grundlage ihrer S-TMSI (z.B. auf Service Request) oder auf der Grundlage ihrer GUMMEI und ausgewählter PLMN (z.B. bei Attach oder Tracking Area Aktualisierung in nichtregistrierten TA).“
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5. Darüber hinaus macht der von den angegriffenen Ausführungsformen genutzte LTE-Standard auch mit dem standardgemäß vorgesehenen Service-RequestVerfahren gemäß den als Anlagen … A 8 bis … A 12 vorgelegten technischen Spezifikationen von der Lehre des Patentanspruchs 1 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Das Service-Request-Verfahren wird im LTE-Standard zum Wiederaufbau einer Verbindung eines im Ruhezustand befindlichen, aber bereits registrierten Benutzerendgeräts durchlaufen. Im Unterschied zu dem Attach-Request-Verfahren sendet die NAS-Schicht des Benutzerendgeräts nach dem LTE-Standard eine sogenannte Service-Request-Nachricht, wenn zuvor bereits eine Verbindung mit einer MME bestand und das Benutzerendgerät auf Grund Inaktivität wieder in den Ruhezustand („EMM-IDLE mode“) versetzt wurde. In diesem Fall ist die GUTI bereits im Speicher eines Benutzerendgeräts abgelegt. Die GUTI enthält neben der im Rahmen des Attach-Request-Verfahrens als Kernnetzwerkelementbezeichner verwendeten GUMMEI auch das Informationselement S-TMSI („serving temporary mobile subscriber identity“), welches neben der ein Benutzerendgerät identifizierenden M-TMSI („mobile temporary mobile subscriber identity“) den MME-Code enthält, mit dem die MME bezeichnet ist, mit welcher das Benutzerendgerät zuvor verbunden war (zur Struktur der GUTI siehe bereits Ziff. A.I.4.b.). Mit dem entsprechenden Wieder-Aufbau einer Verbindung im LTE-Standard über das sogenannte Service-Request-Verfahren verwirklichen die von der Beklagten angebotenen, LTEfähigen Kraftfahrzeuge als Benutzerendgerätevorrichtungen sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß:
95
a. Merkmal 1. ist verwirklicht, da im LTE-Standard die Speicherung eines Kernnetzwerkelementbezeichners, betreffend das Service-Request-Verfahren in Gestalt der S-TMSI, vorgesehen ist (siehe hierzu die Auszüge aus Kapitel 5.7.5 der Standardspezifikation TS 23.401 sowie Kapitel 2.8 der Standardspezifikation TS 23.003 bei Ziff. A.I.4.b.). Bei der S-TMSI handelt es sich um eine Kurzform des Bezeichners GUTI, wie sich über den Auszug bei Kapitel 2.8 hinaus aus Kapitel 2.9 der Standardspezifikation TS 23.003 ergibt (Unterstreichung hinzugefügt):
„2.9 Structure of the S-Temporary Mobile Subscriber Identity (S-TMSI)
The S-TMSI is the shortened form of the GUTI to enable more efficient radio signalling procedures (e.g. paging and Service Request). For paging purposes, the mobile is paged with the S-TMSI. The S-TMSI shall be constructed from the MMEC und the M-TMSI#
Zu Deutsch:
„Struktur des S-Temporären Mobilteilnehmerbezeichners (S-TMSI)
Die S-TMSI ist die Kurzform der GUTI zur Ermöglichung eines effizienteren Funksignalisierungsverfahrens (z.B. Paging oder Service Request). Für Pagingzwecke wird das Mobilgerät mit der S-TMSI ausgelagert. Die S-TMSI ist aus dem MMEC und der M-TMSI aufzubauen“
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b. Merkmale 2 und 2.1 sind ebenfalls wortsinngemäß verwirklicht. Der auch im Rahmen eines Service-Request-Verfahrens zum Verbindungsaufbau vorgesehenen RRC-Nachricht wird die S-TMSI als Kernnetzwerkelementbezeichner hinzugefügt. Gemäß Standardspezifikation TS 36.331, S. 150/151 ist die S-TMSI in der im Rahmen des Verbindungsaufbau ersten Nachricht „RRCConnectionRequest“ (zum Aufbau der RRC-Verbindung siehe bereits die Grafik aus Kapitel 5.3.3.1 bei Ziff. A.I.4.d.) enthalten:
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c. Die die S-TMSI beinhaltende RRC-Nachricht „RRCConnectionRequest“ wird im LTE-Standard zudem über eine Funkverbindung versendet, so dass auch Merkmale 3, 3.1 und 3.2 wortsinngemäß verwirklicht sind. Gemäß Standardspezifikation TS 24.301 (Anlage … A 11), S. 130, soll das bereits registrierte Benutzerendgerät durch das Service-Request-Verfahren aus dem Ruhezustand („EMM-IDLE mode“) in den Zustand „EMM-CONNECTED“ versetzt werden. Der dazu erforderliche Aufbau einer NAS-Signalisierungsverbindung erfolgt wie bereits zum Attach-Request-Verfahren ausgeführt (Ziff. A.I.4.d.), um die RRC-Nachricht „RRCConnectionRequest“ von dem Benutzerendgerät sodann gemäß LTEStandardspezifikation TS 36.331, S. 43 (Anlage … A 12), über eine Funkverbindung zu senden.
98
d. Indem die den Kernnetzwerkelementbezeichner S-TMSI enthaltende RRCNachricht „RRCConnectionRequest“ in einem nächsten Schritt an die eNodeB als Serviceknoten im Funkzugangsnetzwerk E-UTRAN gesendet wird, ist auch Merkmal 3.3 wortsinngemäß verwirklicht. In der LTE-Standardspezifikation TS 36.331, S. 150 wird dies wie folgt vorgegeben:
Zu Deutsch:
„RRCConnectionRequest
Die RRCConnectionRequest Nachricht wird verwendet, um den Aufbau einer RRC-Verbindung anzufordern.
Signalisierungsfunkträger: SRB0
RLC-SAP: TM Logischer Kanal: CCCH
Richtung: EU an E-UTRAN"
99
e. Das Service-Request-Verfahren verwirklicht überdies auch Merkmal 3.4. Aufbau und Versand der RRC-Nachricht „RRCConnectionRequest“ erfolgen, um letztlich über das Funknetzwerk eine Verbindung eines LTEfähigen Kraftfahrzeugs mit einem von mehreren in dem jeweiligen Gebiet vorhandenen MMEs und folglich mit einem von einem Satz an Kernnetzwerkelementen herzustellen. Gemäß Ziff. 4.3.10 der LTE-Spezifikation 23.401 (Anlage … A 8, in Auszügen bereits wiedergegeben bei Ziff. A.I.4.g.) ist zudem die Funktionalität für die Verbindung von eNodeBs bei mehreren zugleich zur Verfügung stehenden MMEs vorgesehen. Der LTE-Standard gibt dementsprechend vor, dass eine eNodeB in der Lage sein muss, zu bestimmen, welche der MMEs, die den Bereich abdecken, in dem sich ein Benutzerendgerät befindet, die von einem Benutzerendgerät gesendete Signalisierung empfangen sollen. Der LTE-Standardspezifikation TS 36.300 (Anlage … A10, S. 134, in Auszügen bereits wiedergegeben bei Ziff. A.I.4.g.) unterstützt der LTE-Standard eine Netzwerkarchitektur, in der mehrere MMEs vorgesehen sind, deren Auswahl auf der Grundlage der S-TMSI als Kernnetzwerkelementbezeichner erfolgt.
100
6. Die angegriffenen Ausführungsformen verletzen überdies den Verfahrensanspruch 5 des Klagepatents sowohl mit der Durchführung des Attach-RequestVerfahrens als auch mit der Durchführung des Service-Request-Verfahrens mittelbar. Die Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung gemäß § 10 Abs. 1 PatG sind in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt:
101
a. Mittel ist die angegriffene Ausführungsform (Kraftfahrzeuge der Beklagten mit LTEfähigen Kommunikationsmodulen), weil sie Gegenstände betreffen, die geeignet sind, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung (in wortsinngemäßer Form) verwendet zu werden.
102
b. Die angegriffenen Gegenstände sind objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung des Verfahrensanspruchs 5 geeignet.
103
Das angegriffene Mittel ist geeignet, für die Benutzung der Erfindung gemäß Anspruch 5 verwendet zu werden. Werden die angegriffenen Gegenstände bestimmungsgemäß im LTE-Netz genutzt, sind die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens nach Anspruch 5 erfüllt. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Gegenstände und ihrer Einbindung in das LTE-Netz ist dies der Fall, weil hierdurch eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer der angegriffenen Gegenstände möglich ist.
104
Die Merkmale der Klagepatentansprüche 1 und 5 stimmen inhaltlich im Wesentlichen überein, so dass insoweit auf die Ausführungen unter Ziff. A.I.4 und A.I.5. erwiesen werden kann. Dementsprechend führen die Nutzer der von der Beklagten angebotenen Kraftfahrzeuge das geschützte Verfahren aus, wenn sie die Fahrzeuge im LTE-Netz benutzen. Dies können die Nutzer weder verhindern noch beeinflussen. Das Verfahren nach Anspruch 5 wird im Fall eines Verbindungsaufbaus automatisch ausgeführt. Insbesondere werden bei dem Aufbau von Verbindungen den Kernnetzwerkelementbezeichner GUMMEI enthaltende „RRCConnectionSetupComplete“-Nachrichten bzw. im Falle des Service-Request-Verfahren die S-TMSI enthaltende „RRCConnectionRequest“-Nachrichten an die eNodeB im Funknetzwerk E-UTRAN gesandt, um so in dem jeweiligen Gebiet eine Verbindung mit einem von mehreren verfügbaren MMEs in einem LTE-Kernnetzwerk aufzubauen.
105
c. Die von der Beklagten angebotenen Kraftfahrzeuge als Mittel zur Ausführung des gemäß Anspruch 5 des Klagepatents geschützten Verfahrens beziehen sich auf das anspruchsgemäß vorausgesetzte Benutzerendgerät und damit auf ein wesentliches Element der Erfindung. Mittels der LTEfähigen Kraftfahrzeuge lässt sich das beanspruchte Verfahren ausführen. Damit trägt die angegriffene Ausführungsform auch maßgeblich zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis bei.
106
d. Angebot und Lieferung im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland sind erfolgt. Die Beklagte bietet Nutzern in Deutschland die angegriffenen Kraftfahrzeuge unter dem Hinweis auf deren LTE-Fähigkeit an.
107
e. Auch der subjektive Tatbestand ist gegeben. Die subjektive Bestimmung der Nutzer zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich, weil die angegriffenen Ausführungsformen die patentverletzende Funktionalität vorsehen und die Beklagte die angegriffenen Kraftfahrzeuge als LTEfähig bewirbt.
II.
108
Auf Grund der festgestellten Patentverletzung stehen der Klägerin die tenorierten Ansprüche zu.
109
1. Gemäß Art. 64 EPÜ i.V. mit § 139 Abs. 1 Satz 1 PatG ist die Beklagte zur Unterlassung der patentverletzenden und rechtswidrigen Benutzungshandlungen verpflichtet.
110
a. Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen besteht Wiederholungsgefahr mit Blick auf die unstreitig gegebenen Tathandlungen. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert. Einen strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Beklagte nicht abgegeben.
111
b. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist nicht gerechtfertigt. Im deutschen Recht hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang und ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz über § 242 BGB und § 275 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen. Auch höchstrichterlich ist mittlerweile anerkannt, dass im Ausnahmefall eine Einschränkung der Unterlassungspflicht geboten sein kann, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs unter Berücksichtigung der Interessen von Patentinhaber und Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre (vgl. BGH GRUR 2016, 1031, 1035 Rn. 40 ff. - Wärmetauscher; auf instanzgerichtlicher Ebene siehe auch bereits LG Düsseldorf, BeckRS 2012, 9376, Ziff. VII.1.a.). Die Unverhältnismäßigkeit der Unterlassungspflicht ist indes als Einwand und somit als Gegenrecht des Schuldners ausgebildet. Daher bedarf es keiner allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung, sondern der Schuldner muss den Einwand erheben und zu dessen materiellen Voraussetzungen substantiiert vortragen. Entsprechender Vortrag ist vorliegend nicht erfolgt, so dass eine weitere Erörterung vorliegend dahinstehen muss.
112
c. Auf Antrag der Klägerin sind der Beklagten als verurteilter Unterlassungsschuldnerin gemäß § 890 ZPO zudem die gesetzlichen Folgen einer Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung anzudrohen. Insofern die Kammer den beantragten Bestandteil „an ihrem Geschäftsführer“ hier durch „an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter“ ersetzt hat, ist lediglich eine klarstellende Umformulierung erfolgt. Die Beklagte verfügt als Aktiengesellschaft über keinen Geschäftsführer. Insofern hat die Kammer die gesellschaftsrechtlich neutrale Formulierung gewählt. Dies ändert aber weder das sich durch Auslegung ergebende Klagebegehren der Klägerin, noch hat dies kostenrechtliche Auswirkungen.
113
2. Der ausgesprochene Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
114
a. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform gemäß Ziffer 2. des Tenors ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
115
b. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr dem Grunde nach zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
116
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren. Wegen der Akzessorietät zum Schadensersatzanspruch, der ein Verschulden voraussetzt, ist eine Karenzzeit von einem Monat ab Patenterteilung zu berücksichtigen.
117
3. Da die Beklagte die Verletzungshandlungen gemäß Ziffer A.I. zumindest fahrlässig begangen hat, ist sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verletzt wird. Der Verweis der Beklagten auf die Verantwortlichkeit ihrer Zulieferer führt aus dem Verschulden nicht heraus. Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
118
4. Die Ansprüche gegen die Beklagte auf Rückruf der Verletzungsformen und end gültige Entfernung aus den Vertriebswegen sowie deren Vernichtung ergeben sich aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140a Abs. 1 und 3 PatG.
119
Das Zusprechen der Ansprüche ist auch verhältnismäßig. Um dem Rückrufanspruch und dem Vernichtungsanspruch nachzukommen, genügt es grundsätzlich, die die Konnektivität bereitstellenden Kommunikationsmodule zu entfernen, oder, etwa durch eine hinreichende Deaktivierung, unbrauchbar zu machen. Ein Rückruf oder eine Vernichtung des gesamten Kraftfahrzeuges ist nicht notwendig. Die Beklagte hat zur Verhältnismäßigkeit überdies nichts Entgegenstehendes vorgetragen.
III.
120
Den Ansprüchen der Klägerin steht auch der Einwand der Erschöpfung nicht, auch nicht teilweise entgegen.
121
1. Der Vortrag der Nebenintervenientin zu 9), LTEfähige Chips der Typen ELS61 und EHS6 von ihrem Zulieferer T3. D6. Deutschland GmbH erworbenen zu haben, die auf der Grundlage eines das Klagepatent umfassenden, nicht näher bekannten Kreuzlizenzvertrages zwischen der S3. AG als Rechtsvorgängerin der G1. M2M Deutschland GmbH (jetzt: T3. D6. Deutschland GmbH) und der … Technologioes O3. lizenziert seien, ist nicht hinreichend substantiiert. Der Vortrag erschöpft sich in der bloßen Behauptung eines mutmaßlich existierenden Lizenzvertrages zu dem weder Reichweite, Gegenstand noch sonstige inhaltliche Details bekannt sind.
122
2. Soweit die Nebenintervenientin zu 9) beantragt, angesichts der bestehenden Beweisschwierigkeiten gegenüber der Klägerin sowie der … Technologioes O3. anzuordnen, die zwischen dem H3. Konzern und der S3. AG geschlossenen Lizenzvereinbarungen vorzulegen, in welchen die Patente des …-Konzerns lizenziert wurden, die für den UMTS- und den LTE-Standard essentiell sind bzw. für diese Standards als essentiell deklariert wurden, war dem Antrag nicht stattzugeben. Eine rechtliche Grundlage für eine entsprechende Anordnung des Gerichts ergibt sich im vorliegenden Fall weder aus § 142 Abs. 1 ZPO noch aus §§ 421, 422, 428, 429 ZPO.
123
a. Eine Vorlage nach §§ 421, 422 ZPO kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Nebenintervenientin die insoweit vorausgesetzten, gegen die Klägerin bestehenden materiellrechtlichen Vorlageansprüche nicht substantiiert dargelegt hat. Die Nebenintervenientin begründet ihren Vorlageantrag ausschließlich mit der ihrerseits bestehenden Beweisnot, eine möglicherweise eingetretene Erschöpfung hinsichtlich der von dem Chiphersteller G1. bezogenen Chips nicht belegen zu können (Bl. 1050/1051 d. Akte).
124
b. Eine Vorlage kommt aber auch gemäß §§ 142 Abs. 1, 428, 429 ZPO nicht in Betracht. Voraussetzung einer entsprechenden Vorlageanordnung ist, dass die Beweisbedürftigkeit und die Beweiseignung der vorzulegenden Unterlagen auf der Basis eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags dargelegt ist. Eine Urkundenvorlegung zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung ist dagegen nicht zulässig (BGH, NJW 2014, 3312, 3314; Seiler in Thomas/Putzo, 41. Aufl. 2020, § 142 ZPO, Rn. 1). Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen einer Vorlage im Ergebnis nicht gegeben, da nach dem Vortrag der Klägerin nicht einmal sicher ist, ob die behaupteten Unterlagen tatsächlich existieren. Die von der Nebenintervenientin zu 9) begehrte Anordnung wäre hier daher eine unzulässige Ausforschung.
125
Die Nebenintervenientin zu 9) trägt vor, die ihrem Konzern zugehörige Nebenintervenientin zu 4) mit den Komponenten T1. Bridge Hub und T1. Bridge Terminal zur Weiterlieferung an die Beklagte zu beliefern, in denen wiederum von der Firma G1. M2M GmbH (jetzt: T3. D6. Deutschland GmbH) erworbene LTE- und UMTS-fähige Chips der Typen ELS61 und EHS6 verbaut sind. Bei der Firma G1. handele es sich um eine Abspaltung der Mobilfunksparte der S3. AG. In einem nicht näher bezeichneten und von der Nebenintervenientin zu 9) auch nicht vorgelegten Schreiben vom 01.10.2018 soll die Firma G1. ihren Kunden mitgeteilt haben, dass zwischen dem H3. Konzern und der S3. AG Kreuzlizenzverträge bestünden, die die Produkte der ehemaligen S3.-Sparte erfassen. Diesen Sachvortrag habe die O3. als Klägerin in dem vor dem Landgericht München I, Az. 21 O 3891/19, anhängigen Parallelverfahren gegen die hiesige Beklagte nicht substantiiert bestritten.
126
Dieser Vortrag genügt nicht, um auf dessen Grundlage im vorliegenden Verfahren eine Vorlageanordnung treffen zu können. Letztlich behauptet die Nebenintervenientin lediglich den Inhalt eines nicht näher konkretisierten und jedenfalls im vorliegenden Verfahren auch nicht vorgelegten Schreibens, das als Indiz für das mögliche Bestehen eines Lizenzvertrages zwischen zwei, am Rechtsstreit unbeteiligter Unternehmen benannt ist. Die Klägervertreter konnten sich in der Hauptverhandlung zum Bestehen des Lizenzvertrages nicht einlassen. Die Nebenintervenientin 9) als insoweit darlegungsbelastete Partei konnte im Rahmen der Hauptverhandlung nicht erklären, warum der Vertrag nicht von ihrer Lieferantin beschafft werden kann. Dies aber unterstreicht, dass mit dem Vorlageantrag hier nicht bezweckt wird, eine existierende, der Nebenintervenientin zu 9) lediglich nicht vorliegende Urkunde vorlegen zu lassen, sondern, dass es der Nebenintervenientin darum geht, die Existenz und den Inhalt eines möglicherweise bestehenden Lizenzvertrages zu verifizieren. Dies aber überschreitet nach Ansicht der Kammer letztlich die Grenzen zur unzulässigen Ausforschung.
B.
127
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf den Einwand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, Art. 102 AEUV, berufen. Die Klägerin ist zwar dem Grunde nach Inhaberin einer marktbeherrschenden Stellung und damit Normadressatin des Art. 102 AEUV (I.). Die Klägerin hat aber den Abschluss eines FRANDLizenzvertrages nicht missbräuchlich verweigert. Dabei kann sich die Beklagte weder auf einen eigenen (II.) noch auf einen abgeleiteten FRAND-Einwand ihrer Zulieferunternehmen berufen (III.). Überdies steht auch ein vertraglicher FRAND-Einwand den vorliegend der Klägerin zustehenden Ansprüchen nicht entgegen (IV.). Die Kammer ist auf Grund der seitens der Parteien vorgetragenen Verhandlungshistorie einschließlich der beiderseitig vorgelegten Lizenzvertragsangebote vielmehr überzeugt, dass die Beklagte ihrerseits den Verhandlungsprozess bewusst verzögert hat und dementsprechend nicht bereit war, einen FRAND-Konditionen entsprechenden Lizenzvertrag mit der Klägerin abzuschließen:
I.
128
Die Klägerin hat in Bezug auf den LTE-Standard eine marktbeherrschende Stellung inne und ist daher Normadressatin des Art. 102 AEUV.
129
1. Eine markbeherrschende Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV liegt vor, wenn ein Unternehmen über eine wirtschaftliche Machtstellung verfügt, die es in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern und Kunden gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (grundlegend EuGH 13.02.1979, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461, Tz. 38; BGH, a.a.O., Rn. 55 m.w.N.; Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage, 2019, Art. 102 AEUV, Rn. 76 m.w.N.).
130
Zwar folgt eine solche marktbeherrschende Stellung nicht bereits aus der Eigenschaft der Patentinhaberschaft, mittels derer jeder Dritten von der Benutzung der technischen Lehre des (Klage-)Patents ausschlossen werden kann. Patente schließen dem Grunde nach nur einen Nachahmungs-, nicht aber den Produktwettbewerb an sich aus. Die dem Inhaber eines Immaterialgüterrechts zustehenden Ausschließlichkeitsrechte können daher allein die marktbeherrschende Stellung nicht begründen (st. Rspr. EuGH, GRUR Int. 1995, 490, 492, Rdnr. 46 - Magill; BGH, GRUR-RS 2020, 14872, Rn. 56 m.w.N. - FRANDEinwand).
131
Eine beherrschende Stellung ergibt sich im Allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen. Dabei kommt der Bestimmung des betroffenen Marktes wesentliche Bedeutung zu. Die Bestimmung eines relevanten Angebotsmarkts folgt grundsätzlich dem Bedarfsmarktkonzept. Danach umfasst der relevante Erzeugnis- oder Dienstleistungsmarkt alle Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die sich aufgrund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und mit anderen Erzeugnissen oder Dienstleistungen nur in geringem Maße austauschbar sind. Ist durch eine Industrienorm oder durch ein anderes, von den Nachfragern wie eine Norm beachtetes Regelwerk (Defacto-Standard) eine standardisierte, durch Schutzrechte geschützte Gestaltung eines - aus der Sicht der Marktgegenseite nicht durch ein anderes Produkt substituierbaren - Produkts vorgegeben, bildet die Vergabe von Rechten, die potenzielle Anbieter dieses Produkts erst in die Lage versetzen, es auf den Markt zu bringen, regelmäßig einen eigenen, dem Produktmarkt vorgelagerten Markt (BGH, a.a.O., Rn. 57 m.w.N.).
132
Die Annahme eines solchen eigenständigen Lizenzmarkts bedarf damit zunächst der Feststellung, dass es sich um ein standardessentielles Patent handelt, also die Benutzung der patentgeschützten Lehre für die Umsetzung eines (von einer Standardisierungsorganisation normierten oder auf dem Markt durchgesetzten) Standards unerlässlich ist, so dass es in der Regel technisch nicht möglich ist, diese zu umgehen, ohne für den Produktmarkt wichtige Funktionen einzubüßen. Darüber hinaus ist Voraussetzung für einen eigenständigen Lizenzmarkt, dass die dem Patent und dem Standard entsprechende technische Lehre nicht durch eine andere technische Gestaltung des Produkts substituierbar ist (BGH, a.a.O., Rn. 58 m.w.N.; vgl. auch Europäische Kommission, Entscheidung vom 29.04.2014, C(2014) 2892 final, AT.39985 - MOTOROLA, Rn. 227/236).
133
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt:
134
a. Bei dem Klagepatent handelt es sich um ein standardessentielles Patent (SEP). Wie unter Ziff. A. dargestellt, machen die mit der vorliegenden Klage angegriffenen LTEfähigen Kraftfahrzeuge der Beklagten als angegriffene Ausführungsformen notwendigerweise von der Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
135
b. Im Zusammenhang mit dem hier betreffend das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland - und damit einen wesentlichen Teil des Binnenmarkts - geltend gemachten Verbietungsrecht aus dem Klagepatent ist die Abgrenzung in Bezug auf den Lizenzvergabemarkt vorzunehmen: Anbieter ist der Patentinhaber, dem allein eine Lizenzvergabe am jeweiligen Patent möglich ist; Nachfrager ist der an der patentgeschützten Technik interessierte Anwender. Ein dem Lizenzvergabemarkt nachgeordneter Produktmarkt besteht für aufgrund des Patents lizenzpflichtige Waren und Dienstleistungen. Die Klägerin hat insofern nicht vorgetragen, dass es durch eine andere technische Gestaltung der von der Beklagten angebotenen Kraftfahrzeuge substituierbare realistische Alternativen zur Verwendung des LTE-Standards gäbe. Im Gegenteil betrifft das Klagepatent mit dem Aufbau von Verbindungen den Kernbereich der in einem Telekommunikationsstandard enthaltenden Technologien.
136
c. Außergewöhnliche Gründe, die die Marktbeherrschung der Klägerin als Inhabe rin eines standardessentiellen Patents im vorliegenden Fall ausschließen könnten, sind nicht erkennbar.
137
aa. Die Argumentation der Klägerin, dass bereits die von ihr abgegebene FRANDSelbstverpflichtungserklärung einer marktbeherrschenden Stellung entgegenstehe, da die Klägerin in Folge der Erklärung zur Lizenzierung unter FRANDBedingungen verpflichtet sei, ist bereits nicht hinreichend schlüssig vorgetragen. Die FRAND-Selbstverpflichtungserklärung ist von Inhabern standardessentieller Patente abzugeben, um die kartellrechtliche Wirksamkeit der Standardisierungsabrede vor dem Hintergrund des Art. 101 AEUV sicherzustellen. Gemäß Rn. 285 der Leitlinien der Europäischen Kommission zur Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (nachfolgend: Horizontalleitlinien) muss zur Gewährleistung eines tatsächlichen Zugangs zu einer Norm das Konzept für Rechte des geistigen Eigentums vorsehen, dass die Beteiligten (wenn ihre Rechte des geistigen Eigentums Bestandteil der Norm werden sollen) eine unwiderrufliche schriftliche Verpflichtung abgeben müssen, Dritten zu fairen, zumutbaren und diskri…erungsfreien Bedingungen Lizenzen für diese Rechte zu erteilen („FRAND-Selbstverpflichtung“; ABl. C-11/1, 14.01.2011). Die Abgabe der Erklärung entspricht damit einer kartellrechtlich gebotenen Pflicht. Die Abgabe der Selbstverpflichtungserklärung sagt aber noch nichts darüber aus, ob der jeweilige Patentinhaber der kartellrechtlich gebotenen Verhaltenspflicht tatsächlich auch genügt. Insoweit ist eine kartellrechtliche Verhaltenskontrolle nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles gemäß den Maßstäben des Art. 102 AEUV geboten.
138
bb. Ebenso wenig ist die Marktmacht der Klägerin deswegen begrenzt, weil parallel eine Möglichkeit zur Lizenzierung des Klagepatents über den A.-Lizenzpool besteht. Die Klägerin ist selbst an dem A.-Lizenzpool beteiligt, so dass eine Begrenzung ihrer eigenen Marktmacht bereits im Ansatz ausscheidet. Vielmehr steht der Klägerin mit ihrer Teilnahme und Teilhabe an dem A.-Lizenzpool eine weitere Lizenzierungsmöglichkeit offen, die ihren eigenen wettbewerblichen Handlungsspielraum im eigenen Interesse erweitert. Eine damit einhergehende Begrenzung des wettbewerblichen Handlungsspielraums vermag die Kammer nicht zu erkennen. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin selbst ausführt, von A. darüber informiert worden zu sein, dass die Verhandlungen mit der Beklagten nicht erfolgreich verliefen, woraufhin sie den Weg der direkten Lizenzierung weiterverfolgte.
II.
139
Die Klage eines marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents, welcher sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, kann einen Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung darstellen, wenn und soweit sie geeignet ist, zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben. Missbräuchlich können danach Klageanträge sein, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten aus den Vertriebswegen oder auf Vernichtung gerichtet sind (EuGH, GRUR 2015, 764, 766, Rn. 54 - Huawei/ZTE; BGH, a. a.O., Rn. 68).
140
1. Für die Prüfung der Missbräuchlichkeit an sich gilt in rechtlicher Hinsicht folgen der Maßstab:
141
a. In einer - wie hier gegebenen - Situation, in der ein Patentverletzer die ge schützte technische Lösung bereits benutzt, die Streitparteien sich indes nicht über den Inhalt einer abzuschließenden Lizenz einigen können, muss für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit des Verhaltens des Patentinhabers eine umfassende Abwägung erfolgen, in der das Spannungsverhältnis zwischen dem aus verfassungs- und grundrechtlichen Erwägungen im Hinblick auf Rechte des geistigen Eigentums gebotenen, hohen Schutzniveau einerseits und dem Interesse der Standardnutzer am Zugang zu der geschützten Standardtechnologie andererseits in Ausgleich zu bringen ist.
142
Dabei besteht nicht nur ein Widerstreit zwischen entsprechenden privaten Interessen. Vielmehr ist hierbei auch das öffentliche Interesse maßgeblich zu beachten. Indes darf das öffentliche Interesse dabei nicht im Sinne einer bloßen Summe privater Interessen der an der Nutzung standardisierter Technologie interessierten Unternehmen dahingehend einschränkend Berücksichtigung finden, dass dieses per se und nur für einen möglichst ungehinderten Zugang zu …tandards streitet. Vielmehr besteht, wie neben dem grundrechtlich verbürgten Eigentumsschutz gem. Art. 17 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta und dem rechtsstaatlich grundlegenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und Zugang zu den Gerichten insbesondere auch die der RL 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zu Grunde liegenden Erwägungen zeigen (ABl. L 195/16, 02.06.2004), ein gleichermaßen erhebliches öffentliches Interesse daran, Rechte des geistigen Eigentums in ihrem Bestand zu schützen und eine effektive Durchsetzung zu gewährleisten. Daher darf die den Kern eines geistigen Eigentumsrechts maßgeblich bestimmende Ausschließlichkeitsbefugnis nicht ausgehöhlt werden (vgl. EuGH, GRUR 2015, 764, 766, Rn. 59 - Huawei/ZTE). Dementsprechend betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung als spezifischen Gegenstand des Patentrechts das Recht des Patentinhabers, sich gegen jegliche Zuwiderhandlung zur Wehr setzen zu können (grundlegend: EuGH 15/74, Slg. 1974, 1147 Rn. 9 - Centrafarm/Sterling Drug).
143
Einschränkend ist indes insoweit dagegen die besondere Natur standardessentieller Patente insbesondere im Bereich der Telekommunikationsstandards zu berücksichtigen. Zwei wesentliche Besonderheiten sind hier zum Ersten die Kleinteiligkeit der entsprechenden Technologie und die damit einhergehende hohe Anzahl relevanter SEPs sowie zum Zweiten die Tatsache, dass Telekommunikationsstandards das Ergebnis branchenweiter und grenzüberschreitender Abstimmung sind, in deren Folge alternative Technologien ab dem Zeitpunkt der Festlegung eines Standards de facto vom Wettbewerb ausgeschlossen und alternative Lösungen mithin kaum mehr denkbar sind. Diese Besonderheiten rechtfertigen eine einschränkende Auslegung immaterialgüterrechtlicher Befugnisse unter folgendem Gesichtspunkt: Die grundlegende Rechtfertigung dafür, dem Erfinder für eine in Form eines Patents veröffentlichte technische Lehre ein Ausschließlichkeitsrecht zuzubilligen, liegt darin, dass dieser für seine erfinderische Leistung kompensiert und entlohnt werden soll, indem ihm für begrenzte Zeit das Recht zugesprochen wird, seine technische Lehre am Markt exklusiv umsetzen zu können. Nur so ist dem Erfinder ein hinreichender Anreiz gewährt, seine Lehre der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, da er in Folge der ihm zustehenden Exklusivität durch die praktische Umsetzung seiner Technologie am Markt einen Vorsprung vor seinen Wettbewerbern erarbeiten kann, der ihm eine leistungsgerechte Chance eröffnet, durch entsprechende Vermarktungsbemühungen die in die Entwicklung investierten Mühen zu kompensieren. Diese Ratio der Verschaffung eines wettbewerblichen Vorsprungs durch Gewährung eines Ausschließlichkeitsrechts kann jedoch bei standardessentiellen Patenten nur eingeschränkt Gültigkeit beanspruchen, mit der Folge, dass es dem SEPInhaber gegenüber letztlich gerechtfertigt erscheint, ihm - wie seitens des EuGH erfolgt - besondere Verhaltenspflichten aufzuerlegen. Grund ist, dass mit der Festlegung eines Telekommunikationsstandards gleichsam ein Vermarktungsautomatismus eintritt und die im Standard enthaltenen (Teil-)Technologien - anders als im Falle herkömmlicher Patente - ohne weiteres Zutun eines Patentinhabers im Kollektiv mit den weiteren standardisierten (Teil-)Technologien am Markt etabliert sind.
144
b. Vor dem Hintergrund der vorliegend entsprechend betroffenen, vielschichtigen Interessen hat der EuGH ein austariertes System wechselseitiger Verhaltensobliegenheiten aufgestellt. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass ein zwischen den Parteien auf faire, ausgewogene und zügige Weise erfolgter Verhandlungsprozess am besten geeignet ist, die kommerziellen Rahmenbedingungen zu definieren, die einen interessengerechten Ausgleich herzustellen geeignet sind (vgl. auch Patents Court [2017] EWHC 711 (Pat) Rn. 162 - Huawei/Unwired Planet: „FRAND as a process“). Eine Bestimmung der kommerziellen Details durch dritte Parteien kann und sollte daher nur ultima ratio sein.
145
In Konkretisierung dieser seitens des marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents bestehenden Pflichtenstellung hat der EuGH Kriterien definiert, bei deren Einhaltung - soweit diese nach den jeweiligen besonderen rechtlichen und tatsächlichen Umständen des konkreten Falls maßgeblich sind (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 Rn. 56, 70 - Huawei/ZTE) - ein Missbrauch ausscheidet. Die gerichtliche Geltendmachung patenrechtlicher Unterlassungs- und Rückrufansprüche stellt sich demzufolge nicht als missbräuchlich dar, wenn
- der SEP-Inhaber den Verletzer in einem ersten Schritt auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, unter Bezeichnung des fraglichen SEP und Angabe, auf welche Weise dieses verletzt sein soll, hinweist (Verletzungshinweis, vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 61 - Huawei/ZTE),
- der SEP-Inhaber dem Verletzer, nachdem dieser seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen (Lizenzierungsbitte), ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen unterbreitet (FRAND-Lizenzangebot) und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angibt (Informationspflichten; vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 63 - Huawei/ZTE),
- der Verletzer auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt reagiert und bei Nichtannahme des Angebots nicht innerhalb einer kurzen Frist schriftlich ein konkretes Gegenangebot macht, das FRAND-Bedingungen entspricht (FRANDGegenangebot; vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 65/66 - Huawei/ZTE), und
- der Verletzer, der das Patent vor Abschluss eines Lizenzvertrags (weiter-) benutzt, ab dem Zeitpunkt, zu dem der Patentinhaber sein Gegenangebot abgelehnt hat, keine angemessene Sicherheit leistet oder keine Abrechnung vorlegt, die auch vergangene Benutzungshandlungen umfasst (vgl. EuGH, a. a.O., Rn. 67 - Huawei/ZTE).
146
c. Damit statuiert der EuGH für den SEP-Inhaber verfahrensmäßige und inhaltli che Obliegenheiten (insbesondere in Form des geforderten Verletzungshinweises, der Vorlage eines FRAND-Lizenzangebots und damit verbundenen Informationspflichten), deren Bestand und Umfang von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Diese Obliegenheiten bestehen jedoch allein gegenüber dem Patentbenutzer, der „ernsthaft und nicht nur in Worten“ eine Lizenz erwerben will (OLG Karlsruhe, GRUR 2020, 166, 169, Rn. 94 - Datenpaketvereinbarung). Deshalb muss der Verletzer zur Bestätigung seiner Lizenzwilligkeit ohne Verzögerungstaktik seinerseits gewisse Obliegenheiten (Lizenzbereitschaftserklärung, FRAND-Gegenangebot sowie Sicherheitsleistung und Abrechnung) einhalten (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).
147
Der Einwand missbräuchlichen Verhaltens kann daher insbesondere nur unter der Voraussetzung Erfolg haben, dass auch derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte bereits auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, seinerseits bereit ist, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nichtdiskri…erenden Bedingungen zu nehmen und im Rahmen der Verhandlungen keine Verzögerungstaktik verfolgt (EuGH, a.a.O., Rn. 65 - Huawei/ZTE). Dafür spricht zunächst, dass die dem Urteil des EuGH zu Grunde liegende Erwägung, einen gerechten Interessensausgleich durch ein ausgewogenes Verhandlungsprozedere zu gewährleisten, bereits im Ansatz zum Scheitern verurteilt ist, wenn nicht beide Parteien auf der Grundlage einer aufrichtigen Motivation, eine Einigung tatsächlich auch erzielen zu wollen, konstruktiv agieren. Zudem muss, worauf der BGH ausdrücklich hinweist, auch der marktmächtige Patentinhaber die Lizenznahme nie…dem aufdrängen und hat hierfür auch keine rechtliche Handhabe, da zwar der potentielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrages verlangen kann, dem Patentinhaber umgekehrt aber ein solcher Anspruch nicht zusteht, er vielmehr darauf verwiesen ist, Ansprüche wegen einer Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der zwar die erfindungsgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (BGH, a.a.O., Rn. 70 mit Verweis auf EuGH GRUR, a.a.O., Rn. 54 - Huawei/ZTE; BGH, GRUR 2009, 694, 696, Rn. 27 - Orange-Book-Standard).
148
Gemessen an den an einen lizenzbereiten Patentverletzer zu stellenden Anforderungen (2.) war die Beklagte im vorliegenden Fall nicht lizenzbereit (3.). Nach Ansicht der Kammer liegt dabei vorliegend ein in besonderem Maße deutlicher Fall fehlender Lizenzbereitschaft vor, so dass auch angesichts der oben ausgeführten, auf Seiten der Standardnutzer zu berücksichtigenden Interessen kein Zweifel an der fehlenden Missbräuchlichkeit des Verhaltens seitens der Klägerin verbleibt. Die Erfüllung von FRAND-Verhaltenspflichten wären der Beklagten auch tatsächlich möglich und zumutbar gewesen (4.). Auf Seiten der Klägerin sind dagegen zumindest keine evidenten Verstöße gegen die vorliegend maßgeblichen FRAND-Verhandlungspflichten festzustellen (5.).
149
2. Das Erfordernis der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers setzt voraus, dass er zuvor vom Patentinhaber angemessen über den Umstand der Verletzung eines standardessentiellen Patents und die Möglichkeit der Lizenznahme in Kenntnis gesetzt wurde. Diese Verpflichtung des marktbeherrschenden Patentinhabers dient dem Verletzer dazu, für seine Benutzungshandlungen angemessene Bedingungen mit diesem aushandeln zu können. Daher genügt es nach dem ersten Hinweis zur Begründung weiterer Verpflichtungen des marktbeherrschenden Patentinhabers nicht, wenn der Verletzer sich daraufhin lediglich bereit zeigt, den Abschluss eines Lizenzvertrages zu erwägen oder in Verhandlungen darüber einzutreten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsschluss für ihn in Betracht komme. Vielmehr muss der Verletzer sich seinerseits klar und eindeutig bereit erklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nichtdiskri…erenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet und konstruktiv an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, ohne dabei eine Verzögerungstaktik zu verfolgen (EuGH, GRUR 2015, 764, 767, Rn. 65 - Huawei/ZTE; BGH, GRUR-RS 2020, 14872, Rn. 72, 83 m.w.N. - FRAND-Einwand). Dazu muss der ein Patent verletzende Standardnutzer belegen, dass er - mit den Worten des OLG Karlsruhe - „ernsthaft und nicht nur in Worten“ bereit ist, eine Lizenz zu nehmen, und zwar zu - wie der BGH weiter formuliert „whatever terms are in fact FRAND“ (OLG Karlsruhe, a.a.O.; BGH, a.a.O., Rn. 83).
150
a. Bei der tatrichterlichen Feststellung des Bestehens einer Lizenzwilligkeit kann die Frage, ob und gegebenenfalls wann ein Gegenangebot erfolgt ist, ein wichtiges Indiz darstellen. Denn der Zeitpunkt der Lizenzbereitschaftserklärung bzw. der Abgabe eines FRANDgemäßen Gegenangebots ist bei der Frage, ob die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs missbräuchlich ist, von mitentscheidender Bedeutung (vgl. Axster/Osterrieth, in: Pfaff/Osterrieth, Lizenzverträge, 4. Auflage, 2018, A. III. Rn. 357, 359; BGH, a.a.O., Rn. 87: „Im Übrigen darf der Patentinhaber, der das verletzte Patent und den maßgeblichen Standard genannt hat, erwarten, dass der Verletzer innerhalb kurzer Frist mitteilt, wenn ihm diese Angaben zur Identifizierung des Verletzungsvorwurfs nicht genügen. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - eine Vielzahl von Patenten und Standards genannt werden.“). Hierfür spricht auch die vorgenannte Rechtsprechung des EuGH, die verlangt, dass der Patentverletzer bei Ausschlagung des Angebots „innerhalb einer kurzen Frist“ ein FRANDgemäßes Gegenangebot macht (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 66). Der zeitliche Ablauf der Verhandlungen ist daher ein bei der Prüfung der Lizenzwilligkeit beachtenswerter Faktor. Ob und inwiefern eine nach Klageerhebung bzw. nach erstinstanzlicher Verurteilung erklärte Lizenzbereitschaft Auswirkungen auf die kartellrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Patentinhabers haben kann, hat der BGH bislang offen gelassen (BGH, a.a.O., Rn. 97).
151
b. Wäre der Zeitpunkt der Abgabe der Lizenzbereitschaftserklärung sowie des Gegenangebots für die erfolgreiche Durchsetzung des FRAND-Einwandes jedoch unerheblich, bestünde keinerlei Motivation des Patentverletzers mehr, zeitnah zu einer Verletzungsanzeige in ernsthafte Vertragsverhandlungen einzutreten. Der Patentverletzer könnte die FRAND-Verhandlungen nur pro forma ohne echte Lizenzbereitschaft führen und abwarten, ob der Inhaber des standardessentiellen Patents den Willen und vor allem die finanziellen Mittel hat, dieses gerichtlich durchzusetzen. Im Prozess könnte er dann einer drohenden Verurteilung durch Ziehen der „Notbremse Gegenangebot“ zunächst entgehen. Obwohl sein bis dato erhobener FRAND-Einwand …gels Lizenzwilligkeit und/ oder Gegenangebot erkennbar aussichtlos war, könnte er ihn durch das Nachholen des Gegenangebots retten und der Gerichtsprozess würde in die Länge gezogen. Das vom EuGH aufgestellte Leitbild zügiger, ausgewogener und konstruktiver Lizenzverhandlungen zwischen den Parteien wäre damit aber nicht nur ausgehebelt, sondern zudem für den Beklagten sanktionslos. Im Interesse konstruktiver Herangehensweisen beider Parteien an Lizenzverhandlungen kann ein solches Verhalten nicht akzeptiert werden (vgl. LG München I, Urteil vom 30.09.2020, 21 O 13026/19; grundsätzlich für die Nachholbarkeit der wechselseitigen Pflichten im Prozess: OLG Karlsruhe GRUR 2020, 166, 172, Rn. 103 bis 116 - Datenpaketverarbeitung).
152
c. Dem wird … nicht entgegenhalten können, ein entsprechendes Verhalten des Patentinhabers würde dagegen ungerechtfertigterweise sanktionslos bleiben. So könne der Patentinhaber seinerseits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung an einem FRANDwidrigen Angebot festhalten und dann ein FRANDgemäßes Angebot zur Abwendung eines (teil) klageabweisenden Urteils unterbreiten. Daher sei auch für ihn jede Motivation, zuvor einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen vorzulegen bzw. abzuschließen, nicht gegeben. Dieser Einwand greift vorliegend nicht durch. Der Patentinhaber ist seinerseits gehalten, im eigenen Interesse an zielführenden Lizenzverhandlungen mitzuwirken. Jede Verzögerung führt dazu, dass die unberechtigte Benutzung seines standardessentiellen Patents länger andauert und die verfügbare Zeit für eine Lizenzierung bis zum Ablauf des Patents verkürzt wird. Schließlich läuft er Gefahr, unter Umständen durch ein zuvor abgegebenes FRANDgemäßes Gegenangebot des von Anfang an lizenzwilligen Patentverletzers seinen Unterlassungsanspruch zu verlieren und die entsprechenden Kosten tragen zu müssen. Vor diesem Hintergrund ist dem Zeitpunkt der Abgabe der unbedingten Lizenzbereitschaftserklärung zur Beurteilung der Frage, ob der Patentinhaber seine marktbeherrschende Stellung missbraucht und der Patentverletzer sich hierauf berufen kann, eine gewichtige Rolle beizumessen.
153
d. Diesem Ergebnis stehen auch die Hinweise der Münchener Patentstreitkam mern zu FRAND-Sachverhalten nicht entgegen. Zwar können nach Auffassung der Münchener Patentstreitkammern einzelne, nach der Rechtsprechung des EuGH bestehende Defizite der Parteien bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beseitigt werden. Die Nachholung hat jedoch zunächst allein die prozessuale Folge, dass sie bei der Beurteilung des Sachverhalts von den Münchener Patentstreitkammern berücksichtigt und insoweit nicht als präkludiert angesehen werden.
154
Davon unabhängig ist gleichwohl die Beurteilung der materiellrechtlichen Situation. Denn die Möglichkeit zur Beseitigung einzelner Defizite soll nur der redlichen Partei zugutekommen, die entsprechend dem kartellrechtlich bedingten Leitbild zügig und redlich geführter Verhandlungen an der Aushandlung einer FRANDgemäßen Lizenz wahrhaftig interessiert ist und lediglich einzelne Defizite - gegebenenfalls nach einem entsprechenden Hinweis der Kammer - noch nicht beseitigt hat. Demnach erhält sich gegebenenfalls ein von Anfang an lizenzbereiter Patentverletzer, der stets konstruktiv an Lizenzverhandlungen mitgewirkt hat, durch ein FRANDgemäßes Gegenangebot noch während des Prozesses den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand. Denn das Gegenangebot wird vom Gericht im Lichte des gesamten Verhandlungsverlaufs betrachtet. Die Gesamtbetrachtung ist entscheidend für die Beurteilung, ob ein Patentverletzer tatsächlich lizenzbereit ist und sich um den erfolgreichen Abschluss eines Lizenzvertrages ernstlich bemüht.
155
Derjenige Patentverletzer aber, der unter Berücksichtigung der Verhandlungshistorie von Anfang an eine Verzögerungstaktik verfolgt hat, wird durch die Abgabe eines FRANDgemäßen Lizenzvertragsangebotes während des Prozesses nicht automatisch vom Saulus zum Paulus. Vielmehr muss der verzögernd agierende Patentverletzer damit rechnen, dass das Gericht bei Bewertung des Verhandlungsverlaufs feststellt, dass er von Anfang an nicht lizenzwillig war (vgl. Landgericht München I, Endurteil vom 10.09.2020, Az. 7 O 8818/19 sowie Endurteil vom 30.09.2020, Az. 21 O 13026/19). Diese Lizenzunwilligkeit kann er durch die Abgabe eines späten möglicherweise FRANDgemäßen Gegenangebots nicht mehr ungeschehen machen. Den Hinweisen zur Handhabung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes der Münchener Patentstreitkammern zu Folge können einzelne Defizite beseitigt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Beklagtenpartei alle Verhandlungsschritte auf einmal nachholen kann, da sonst das vom EuGH vorgegebene Verhandlungsregime, mit dem der Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen erreicht werden soll, konterkariert würde. Es entspricht nach Ansicht der Kammer daher gerade auch nicht dem im Lichte der EuGH-Rechtsprechung vorausgesetzten zügigen und redlichen Verhandlungsverhalten, das austarierte Pflichtenregime des EuGH als strikt konsekutiv abzuarbeitenden Fahrplan zu begreifen, bei dem sich eine Partei letztlich darauf ausruhen kann, dass die Gegenseite einen einzelnen vorgegebenen Pflichtenpunkt nach eigener Meinung noch nicht vollständig abgearbeitet hat, so dass ein eigenes weiteres Tätigwerden bereits im Ansatz nicht geboten ist. Das Vorliegen der Lizenzbereitschaft kann gerade nicht im Sinne einer solchen, formalistischen Momentaufnahme beantwortet werden. Vielmehr sind die Voraussetzungen der Lizenzbereitschaft und das Nicht-Verfolgen einer Verzögerungstaktik zwei Seiten derselben Medaille, die es im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Umstände, wie sie nach tatrichterlicher Würdigung zum Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung feststehen, zu würdigen sind.
156
e. Dies führt aber letztlich zu dem Ergebnis, dass eine einmal erfolgte Verzöge rungstaktik nicht ohne weiteres ungeschehen gemacht werden kann. Dieses Ergebnis steht nicht nur in Einklang mit dem vom Gerichtshof der Europäischen Union postulierten Ziel sachorientierter Lizenzverhandlungen, sondern kann zudem zwanglos in das juristische Gesamtgefüge eingeordnet werden:
157
aa. Dass während des fortgeschrittenen Stadiums eines gerichtlichen Verfahrens und insbesondere gleichsam in letzter Minute nachgeholte Verhandlungsschritte eine zuvor belegte Verzögerungstaktik nicht widerlegen und die für einen erfolgreichen FRAND-Einwand notwendige Verhandlungsbereitschaft damit nicht begründen können, wird durch den Rechtsgedanken des § 162 Abs. 2 BGB bestätigt. Wird demzufolge der Eintritt einer Bedingung von der Partei, zu deren Vorteil er gereicht, wider Treu und Glauben herbeigeführt, so gilt der Eintritt der Bedingung als nicht erfolgt. Dem kann der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, dass nicht derjenige einen Nutzen aus einer für ihn günstigen Rechtsfolge ziehen können soll, der diese Rechtsfolge in treuwidriger Weise herbeigeführt hat (Bork, in: St…nger, BGB, 2020, § 162 Rn. 2, 14; Wester…n, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, 2018, § 162 BGB, Rn. 18; Hau/Poseck/Rövekamp, in: BeckOK BGB, 55. Edition, Stand: 01.08.2020, § 162 BGB, Rn. 10). In Fallkonstellationen wie der vorliegenden bedeutet dies, dass der infolge treuwidrig verzögerter Lizenzvertragsverhandlungen herbeigeführte FRAND-Einwand als solcher letztlich nicht dem Patentverletzer zu Gute kommen und somit auch nicht zum Ausschluss des Unterlassungsanspruches führen kann. Nichts anderes ergibt sich aus § 242 BGB (vgl. Grüneberg, in: Palandt, 79. Auflage, 2020, § 242 Rn. 48 m.w.N.).
158
bb. Demgegenüber kann nicht auf eine Vergleichbarkeit mit Einreden, wie etwa der Verjährungsrede abgestellt werden, um eine unbedingte Nachholbarkeit einer Lizenzbereitschaft und /oder eines Gegenangebots zu begründen. Denn im Gegensatz zur Einrede der Verjährung, deren Voraussetzungen objektiv und unveränderlich vor Klagerhebung feststehen, hängt die Nachholbarkeit gebotener Verhandlungsschritte von dem in ihrem eigenen Ermessen stehenden Verhalten der Parteien ab. Während der Kläger beim Verjährungseinwand zwar auch nicht notwendigerweise weiß, ob der Beklagte diese erheben wird, kann er sich aber selbst Klarheit darüber verschaffen, ob dessen Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Bei einer Zulassung der unbedingten Nachholbarkeit von Lizenzbereitschaft und/oder Gegenangebot, könnte sich der Beklagte diese Voraussetzungen noch während des Prozesses selbst schaffen. Dies wäre zwar für den redlichen Patentinhaber, der ein FRANDgemäßes Angebot vorgelegt hat, unschädlich, da die Folge des FRANDgemäßen Gegenangebots lediglich ist, dass sein FRANDgemäßes Angebot vom Gericht ebenso bewertet und der FRAND-Einwand daher verworfen wird. Es führte aber aufgrund der dann notwendigen Prüfung von Gegenangebot und Angebot zu einer aus Sicht des Klägers ungerechtfertigten Verzögerung des Rechtsstreits. Die Verzögerungstaktik des Beklagten würde perpetuiert und er stünde unverdientermaßen besser als ein redlicher Standardnutzer, der nach Eingang der Verletzungsanzeige umgehend konstruktiv am Abschluss eines Lizenzvertrages mitgearbeitet hat (insoweit auch Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage, 2020, Seite 706, Rn. 420, der aber im Ergebnis eine Vergleichbarkeit mit der Verjährungseinrede sieht).
159
f. Selbstredend können starre Fristen für den Zeitpunkt einer Lizenzbereitschafts erklärung sowie eines Gegenangebots nicht bestimmt werden. Stets ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die Erklärung der Lizenzbereitschaft bzw. die Abgabe des Gegenangebots so zeitnah erfolgen, dass aus objektiver Sicht von einer unbedingten Lizenzbereitschaft jenseits taktischer Erwägungen ausgegangen werden kann. Dass der Patentverletzer allerdings gehalten ist, so schnell wie möglich ein Gegenangebot abzugeben, folgt auch aus der bereits zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. GRUR 2015, 764, 767, Rn. 66 - Huawei/ZTE: „innerhalb einer kurzen Frist“). Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Standardbenutzer das Patent ohne Berechtigung nutzt. Er macht etwas, was ihm von der Rechtsordnung nicht erlaubt ist. Kommt der Patentinhaber auf ihn zu und teilt ihm mit, dass er das Patent seiner Ansicht nach verletzt, ist er dazu angehalten, so schnell als möglich den rechtswidrigen Zustand durch Abschluss eines FRANDgemäßen Lizenzvertrages abzustellen und dementsprechend zielgerichtet an Lizenzvertragsverhandlungen zum zeitnahen Abschluss eines Lizenzvertrages zu „whatever terms are in fact FRAND“ (BGH, GRUR-RS 2020, 14872, Rn. 83 - FRAND-Einwand) mitzuwirken.
160
Dabei ist die Kammer ausdrücklich nicht der Auffassung, dass die nicht rechtzeitige Erklärung der Lizenzbereitschaft automatisch zu einem Entfallen des FRAND-Einwandes führt. Grundsätzlich muss es auch hier möglich sein, einzelne Defizite bei der Verhandlungsführung zu beseitigen. Auch hier bedarf es der Betrachtung des Einzelfalls und dabei insbesondere der Gesamtumstände der Verhandlungshistorie.
161
3. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen erweist sich das Verhal ten der Beklagten nach den nachfolgend gewürdigten Gesamtumständen des vorliegenden Falles als Verzögerungstaktik. Entscheidend sind hierbei die folgenden Umstände:
162
a. Die Klägerin hat ihrerseits zunächst den von dem EuGH vor Klageerhebung geforderten Verletzerhinweis an die Beklagte gesandt. Mit Schreiben vom 18.12.2018 hat die Klägerin die Beklagte umfassend über ihr Patentportfolio einschließlich des Klagepatents informiert, Claim Charts zur Verfügung gestellt und zugleich ein konkretes und beziffertes Lizenzangebot vorgelegt, das sie zugleich auch anderen Fahrzeugherstellern unterbreitet hat (Anlage B-KAR 2 und B-KAR 3). Zugleich wies die Klägerin darauf hin, dass sie die in dem Lizenzangebot ausgewiesenen Gebühren entsprechend der dem Urteil des High Court of Justice vom 05.04.2017 in Sachen Unwired Planet zu Grunde liegenden Berechnungsmethode bestimmt hat.
163
Damit griff die Klägerin ihrem dem EuGH zu Folge obliegenden Pflichtenprogramm insoweit voraus, als sie über den Verletzerhinweis hinaus sogleich ein konkretes Lizenzangebot vorgelegt hat. Insofern kann eine FRAND-Widrigkeit ihres Verhaltens auch nicht allein deswegen angenommen werden, weil sie die in dem Lizenzangebot enthaltenen Gebühren nicht hinreichend erklärt hat. Insoweit hat die Kammer zwar Zweifel, ob allein der Hinweis auf eine Entscheidung eines Gerichts und die dem zu Grunde liegende Berechnungsmethode die Berechnung der von einem Patentinhaber bezifferten Lizenzgebühren hinreichend klarmachen kann. Ob die Klägerin aber hiermit zugleich ihrer Informationspflicht genügt, kann für den vorliegenden Fall offenbleiben, da sich die Klägerin zunächst bereits insoweit überobligatorisch verhalten hat, als sie, ohne dem EuGH zu Folge zu diesem Zeitpunkt bereits dazu verpflichtet zu sein, ein Lizenzangebot unterbreitet hat.
164
b. Dagegen reagierte die Beklagte auf den Verletzerhinweis erst mit Schreiben vom 27.02.2019 (Anlage B-KAR 4) nach einer seitens der Klägerin am 26.02.2019 per E-Mail erfolgten Erinnerung (Anlage … A 30).
165
Eine hinreichende Lizenzbereitschaftserklärung kann in dem Schreiben vom 27.02.2019 nicht gesehen werden.
166
Während die Beklagte hier in einem kurzen Absatz erklärt hat, willens zu sein, eine Lizenz zu FRAND-Konditionen für das 2G, 3G und 4G-Portfolio der Klägerin zu vereinbaren, soweit eine entsprechende Verwendung in den Produkten der Beklagten nicht bereits von bestehenden Lizenzen abgedeckt sei, konzentrierte sie sich im Weiteren darauf, zu betonen, dass es in der Automobilindustrie der übliche und effizientere Weg wäre, die Lizenzierung auf der Zulieferebene vorzunehmen. Dabei betonte sie, dass die Zulieferer über die technische Expertise verfügten und daher Zeit benötigt werde, um eine Claim-ChartsAnalyse mit Hilfe der Zulieferer vornehmen zu können. Darüber hinaus forderte die Beklagte die Klägerin auf, eine Übersicht zu übersenden, aus der sich ergibt, wem gegenüber ein Lizenzierung bereits erfolgt ist und über welchen weiteren Lizenzpool sie ihre Patente lizenziere.
167
Mit dem Verweis auf die Zulieferer erklärt die Beklagte keine in ihrer Person unbedingte FRAND-Lizenzbereitschaft. Insbesondere erfüllt sie damit nicht die Vorgabe des BGH, bereit zu sein, eine Lizenz zu akzeptieren „on whatever terms are in fact FRAND“. Im Gegenteil belegt die Beklagte damit gerade die ihrerseits fehlende Bereitschaft, eine Lizenz in ihrer Person zu nehmen. Dabei berücksichtigt die Beklagte insbesondere nicht hinreichend, dass sie im Rahmen einer mehrstufigen Verletzerkette selbständig Gebrauch von der patentgeschützten technischen Lehre der Klägerin macht und sich insoweit selbst für die von ihr begangene Patentverletzung verantworten muss. Mit ihren Zulieferern möglicherweise geschlossene Garantie- und Freistellungsklauseln, wonach Produkte frei von Rechten Dritter eingekauft werden, mögen schuldrechtliche Gewährleistungsansprüche zur Folge haben. Der Patentinhaberin kann die Beklagte diese schuldrechtlichen Vereinbarungen dagegen nicht entgegenhalten.
168
c. Eine Lizenzbereitschaftserklärung kann auch nicht in dem Schreiben vom 29.07.2020 gesehen werden (Anlage B-KAR 6).
169
aa. Mit diesem Schreiben antwortete die Beklagte auf ein Schreiben der Klägerin vom 05.07.2020 (Anlage B-KAR 5). Die Klägerin hatte hier zuvor darauf hingewiesen, von A. erfahren zu haben, dass die Verhandlungen mit der Beklagten zu keinem Ergebnis geführt hätten und überdies auch die mit den Zulieferern geführten Gespräche nicht erfolgreich gewesen seien. Zum einen habe die Beklagte bis dahin keine umfassende Auskunft über ihre Zulieferer erstattet. Zum anderen hätten einige Zulieferer ihrerseits auf weitere vorgelagerte Zulieferstufen verwiesen. Vor dem Hintergrund der daher nach Auffassung der Klägerin nicht erfolgversprechenden Verhandlungen zwischen der Beklagten und A. einerseits und den nicht erfolgversprechenden Verhandlungen auf der Zulieferebene andererseits, hatte die Klägerin die Beklagte erneut nach deren Bereitschaft gefragt, selbst eine Lizenz zu nehmen. Die Klägerin informierte die Beklagte zudem darüber, dass die Automobilhersteller …, …, …, …, …, …, …, …, … und … einen Lizenzvertrag mit A. geschlossen haben. Weitere Information erfolgten seitens der Klägerin betreffend die Tatsache der weiteren Lizenzierung über den Via Licensing Patent Pool. Zur Berechnung der Gebühren des bilateralen Lizenzangebots vom 18.12.2018 verwies die Klägerin erneut auf die Entscheidung des High Court of Justice vom 05.04.2017 in Sachen Unwired Planet. Zudem betonte die Klägerin, dass die Übersendung von Claim-Charts zur Analyse des Verletzungsvorwurfs aus ihrer Sicht genüge und verwies auf eine darüber hinaus der E-Mail angehängten Liste sämtlicher Portfolio-Patente der Klägerin.
170
bb. Auf Grund eines Versehens hatte die Klägerin indes übersehen, die entsprechende Liste an Portfolio-Patenten dem E-Mail dann aber auch tatsächlich anzuhängen. Es ist in diesem Zusammenhang aus Sicht der Kammer ein weiteres Indiz für die seitens der Beklagten fehlende Lizenzbereitschaft, dass diese auf das offensichtlich versehentliche Fehlen der Liste nicht unverzüglich hingewiesen hat, sondern erst in einer weiteren, deutlich späteren E-Mail vom 18.09.2019 (Anlage B-KAR 8) beanstandete, bis dato eine Liste an Portfoliopatenten nicht erhalten zu haben.
171
cc. Ein weiteres Indiz fehlender Lizenzbereitschaft mit Blick auf das Schreiben der Klägerin vom 05.07.2019 ist, dass die Beklagte auf das darin enthaltene Angebot der Klägerin, einzelne Fragen, die im Zusammenhang mit der Analyse der zur Verfügung gestellten Claim-Charts aufkommen könnten, weder im unmittelbaren Anschluss in dem Schreiben vom 29.07.2019 noch im Lauf der anschließenden Wochen und Monate eingegangen ist. Tatsächlich erfolgte eine Diskussion zur Portfolioqualität erstmals im Rahmen gerichtlicher Schriftsätze (Schriftsatz vom 09.04.2020, Bl. 634 ff. d. Akte).
172
dd. Auch auf den Vorschlag eines persönlichen Treffens ging die Beklagte in ihrem Schreiben vom 29.07.2020 nur insoweit ein, als ein solches erst dann in Betracht gezogen werde, wenn die seitens der Klägerin ausstehenden Informationen vorlägen. Zugleich konzentrierte sich die Beklagte weiter darauf, auf die Lizenzierung auf Zulieferebene hinzuwirken. Die wörtlich noch einmal wiederholte Bestätigung ihrer persönlichen Lizenzwilligkeit erscheint vor diesem Hintergrund als reines Formalbekenntnis, dies umso mehr, als erneut nur ein Verweis darauf erfolgte, zur Prüfung des Lizenzangebots der Klägerin …gels der erforderlichen Informationen (wie bereits erfolgte Lizenzierungen auf Zulieferebene, Vorlage bereits abgeschlossener Lizenzverträge, Erklärung der Berechnung der Lizenzgebühr und Anteil der Klägerin an dem A.-Patentpool) nicht in der Lage zu sein.
173
ee. Dazu kommt, dass die Beklagte die formaliter erklärte Lizenzbereitschaft ausdrücklich nur für die Produkte erklärte, die nicht bereits lizenziert seien und von lizenzunwilligen Zulieferern zugekauft würden. Die Kammer wertet diese Einlassung als weiteres, gewichtiges Indiz für die seitens der Beklagten nicht bestehende Lizenzbereitschaft. Grund ist, dass bereits in Ziff. 4.2 des Lizenzvertragsangebots vom 18.12.2018, der der Klägerin zu diesem Zeitpunkt also bereits seit über 8 Monaten bekannt war, ausdrücklich eine sogenannte „Pass through License“-Klausel enthalten war, die dem Grunde nach die entsprechenden (und insoweit berechtigten) Bedenken der Beklagten aufgreift, im Falle gegebenenfalls bereits lizenzierter Zulieferprodukte nicht weitere Lizenzgebühren zahlen zu müssen. Anstatt indes die konkreten Vertragsklauseln aufzugreifen und im Interesse eines Hinwirkens auf den erfolgreichen Abschluss eines Vertrages Gegenvorschläge zu unterbreiten, um möglichst zügig den bestehenden Zustand illegaler Nutzung von Rechten Dritter zu beenden, beschränkte sich die Beklagte darauf, weiter die von ihr bevorzugte Lizenzierung auf der Zulieferebene zu propagieren.
174
Indem die Lizenbereitschaft hier ausdrücklich unter den Vorbehalt der Lizenzunwilligkeit ihrer Zulieferer gestellt wird, macht die Beklagte ihre Lizenzwilligkeit letztlich vom Verhalten Dritter abhängig. Da die Beklagte - schon aus kartellrechtlichen Gründen - ihrerseits keinen imperativen Einfluss auf das Verhandlungsverhalten ihrer Zulieferer nehmen kann, nimmt sie hiermit einhergehende Verzögerungen billigend in Kauf und macht diese letztlich entgegen den maßgeblichen höchstrichterlichen Vorgaben explizit von einer Bedingung abhängig.
175
d. Die darauffolgende E-Mail vom 18.09.2019 lässt eine Lizenzbereitschaft der Beklagten ebenfalls nicht erkennen. Im Gegenteil fügt sich diese E-Mail in das Gesamtbild fehlender Lizenzwilligkeit seitens der Beklagten. In Widerspruch zu dem Gesamteindruck der bis dahin erfolgten Verhandlungshistorie behauptet die Beklagte, dass die Klägerin offensichtlich nicht an einem persönlichen Treffen interessiert sei, da sie zwischenzeitlich Klage erhoben habe. Zugleich wiederholt die Beklagte ihre angebliche Lizenzbereitschaft, beschränkt diese aber erneut auf unlizenzierte Produkte von nicht lizenzwilligen Zulieferern. Überdies weist die Beklagte hier nun erstmals auf die der E-Mail der Klägerin vom 05.07.2020 nicht angehängte Liste an Portfoliopatenten hin, welche ihr die Klägerin ihrerseits nur zwei Tage später mit E-Mail vom 20.09.2019 übersandte (Anlage B-KAR 9).
176
e. Die Parteien verständigten sich im Folgenden auf ein Treffen am 04.12.2019 in …, während dem die Klägerin ihre Gebührenberechnung näher erklärte und die Beklagte fragte, ob ihrerseits Bereitschaft bestünde, eine Bestimmung der FRAND-Gebühren über alternative Streitlösungsmechanismen vorzunehmen (Anlage B-KAR 13). Die Beklagte ging hierauf allerdings nicht näher ein und übersandte schließlich erst am 08.04.2020 ein qualifiziertes Gegenangebot. Auch auf die Frage nach einem möglichen Schiedsverfahren ging die Beklagte nicht ein. Auch dies bewertet die Kammer als weiteres Indiz fehlender Lizenzbereitschaft auf Seiten der Beklagten.
177
f. Ein weiteres deutliches Indiz für die seitens der Beklagten fehlende Lizenzbereitschaft und Verzögerungstaktik folgt überdies aus der im Nachgang zu dem Treffen vom 04.12.2019 geführten Diskussion einer möglichen Lizenzierung auf Zulieferebene. Nachdem sich die Klägerin bereit erklärt hatte, die Ausarbeitung eines Lizenzregimes auf Zulieferebene zu diskutieren, kündigte die Klägerin ein Treffen mit allen Tier 1-Zulieferern an und verwies zugleich darauf, mit den Zulieferern bereits gesprochen zu haben (Anlage B-KAR 14: „As discussed on 4th December, 2019, we are pleased to organize the proposed meeting with you and our Tier 1 suppliers in order to discuss direct licensing from you. We have already discussed this with our suppliers and are trying to find suitable dates.“). Am 17.02.2020 schlug die Beklagte dann ein Treffen für den 11.03.2020 vor, an dem aber nur Vertreter des Zulieferers … teilnehmen würden (Anlage BKAR 15: „Representatives of Har… also plan to attend the meeting.“). Daraufhin betonte die Klägerin, dass ein Treffen mit allen Tier 1-Zulieferern angekündigt worden sei und erklärten vor diesem Hintergrund, dass ein Treffen mit nur einem Zulieferer nicht zielführend sei (Anlage B-KAR 16: „In this regard, D2. has suggested a meeting with its suppliers, but now you are proposing a meeting with only one of …y suppliers (...).“). Die Klägerin antwortete daraufhin mit E-Mail vom 02.03.2020 und versuchte lediglich insoweit nachzubessern, als sie darauf verwies, dabei zu sein, die Vorbereitungen des Treffens mit „einigen“ Zulieferern zu finalisieren (Anlage B-KAR 17: „We are in the process of finalizing the agenda with several suppliers.“).
178
g. Ein Gegenangebot seitens der Beklagten erfolgte schließlich erst am 08.04.2020, also über 1 Jahr und 4 Monate nachdem die Beklagte ein Lizenzangebot nebst Claim Charts erhalten hatte. Auf dieses reagierte die Klägerin ihrerseits mit einem Gegenangebot am 30.06.2020 (Anlagen … A 32 und … A 32a). Nachdem die Klägerin hiermit zugleich das Gegenangebot der Beklagten ablehnte, teilte die Beklagte am 10.08.2020 die Zahl der im Zeitraum 01.01.2016 bis 31.12.2019 veräußerten Lizenzprodukte mit und leistete Sicherheit in Form einer Bankbürgschaft im Wert von 115.000,00 EUR (Anlage BKAR 31). Das vorliegend erfolgte Gegenangebot mit anschließender Rechnungslegung und Sicherheitsleistung entkräftet die seitens der Beklagten bestehende Lizenzunwilligkeit nicht und kann den FRAND Einwand daher letztlich auch nicht begründen:
179
aa. Unabhängig von der Frage, ob die seitens der Beklagten angebotenen Beträge FRAND-Bedingungen entsprechen, kann diese im Stadium kurz vor der Hauptverhandlung im vorliegenden gerichtlichen Verfahren die Lizenzwilligkeit der Beklagten nicht begründen. Insoweit bleibt es im Lichte des vom EuGH vorgegebenen Leitbilds ausgewogener und zügiger Verhandlungen und entsprechend dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 2 BGB dabei, dass angesichts des zuvor klar belegten lizenzunwilligen Verhaltens ein im fortgeschrittenen Verhandlungs- und Verfahrensstadium nachgeschobenes Gegenangebot den vorliegend verfestigten Eindruck fehlender Lizenzbereitschaft nicht entkräften kann.
180
bb. Überdies ist das von der Beklagten vorgelegte Gegenangebot inhaltlich evident nicht FRAND. Die angebotenen Beträge sind, wie die Kammer bereits im Haupttermin am 23.09.2020 zu verstehen gegeben hat, offensichtlich zu niedrig bemessen. Für eine entsprechende Inhaltskontrolle genügt aus Sicht der Kammer ein Evidenzmaßstab, da die Prüfung auf der Verhaltensebene wie ausgeführt ergeben hat, dass die Beklagte vorliegend in besonderem Maße offensichtlich nicht lizenzbereit war. Dazu kommt, dass sich ein Patentnutzer, der wie im vorliegenden Verfahren erst sehr spät, im weit fortgeschrittenen Verhandlungs- und Verfahrensstadium ein Gegenangebot vorlegt, sich umso zielstrebiger und ernsthafter mit seinem Angebot auf den Patentinhaber zubewegen müsste, um Lizenzbereitschaft zu belegen und damit der ihm obliegenden Darlegungslast gerecht zu werden. Für die Beschränkung auf eine Evidenzkontrolle spricht aber auch ganz grundsätzlich, dass dem durch den EuGH entwickelten, austarierten System wechselseitiger Verhaltensobliegenheiten zu Folge eine Bestimmung der kommerziellen Details eines FRAND-Lizenzvertrages primär im Verhandlungswege zwischen den Parteien und eine gerichtliche Lizenzbemessung daher nur als ultima ratio erfolgen soll.
181
(1) Ziel der Prüfung der seitens der Beklagten angebotenen Lizenzgebühren ist, festzustellen, ob die Lizenzgebühren in einem angemessenen Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert der Rechte des geistigen Eigentums der Klägerin stehen. Dabei ist im Ausgangspunkt davon auszugehen, dass es keinen als solchen feststehenden, für sich genommen einzig richtigen FRAND-Lizenzvertrag und keine als solche einzig richtige FRAND-Lizenzgebühr gibt. Dies folgt nicht zuletzt schon daraus, dass verschiedene Berechnungsmethoden dem Grunde nach zur Bestimmung von FRAND-Gebühren in Betracht kommen (vgl. EU Kommission, Horizontalleitlinien, Rn. 289, ABl. C-11/1, 14.01.2011). Im vorliegenden Fall stützen sich die Streitparteien im theoretischen Ausgangspunkt jeweils auf die auch in der internationalen Praxis bewährte, von J. Birss in Sachen Unwired Planet angewandte Top-Down-Berechnung (Patents Court [2017] EWHC 711 (Pat) Rn. 162 - Huawei/Unwired Planet, Anlage … A 33, bestätigt durch Urteil des UK Supreme Court vom 20.08.2020, [2020] UKSC 37, https://www.supremecourt.uk/cases/docs/uksc-2018-0214-judgment.pdf). Auf diese Berechnungsmethode stützt sich auch die Kammer als Grundlage der durchzuführenden gerichtlichen Evidenzkontrolle. Mit dieser Berechnung wird ausgehend von einem für einen …tandard anzunehmenden maximalen Gesamtlizenzbelastung der auf diesen Gesamtlizenzanteil entfallende relative Lizenzanteil des Portfolios eines SEP-Inhabers bestimmt. Die über diesen Gedanken der relativen Proportionalität ermittelte Lizenzgebühr wird dann auf die maßgebliche Bezugsgröße angewandt. Folgende Eckdaten gilt es daher für die Berechnung zu bestimmen:
- Maximale Gesamtlizenzbelastung,
- Gesamtanzahl der SEPs pro …tandard,
- Anteil des SEP-Patentportfolios der Klägerin und
- Preis bzw. Wert des standardimplementierenden Produkts.
182
(2) Die Streitparteien berechnen im vorliegenden Fall die von ihnen jeweils als FRAND erachteten Gebühren wie folgt:
„Die Klägerin und die Beklagte folgen dem Grunde nach dem vorgenannten Berechnungsmodell. Die nachfolgende Übersicht stellt die den jeweiligen Berechnungen seitens der Streitparteien zu Grunde gelegten Eckdaten einander gegenüber (zum Vortrag der Klägerin siehe insbesondere Bl. 803/821 d. Akte sowie Anlage B-KAR 13 mit der dort beigefügten Präsentation vom 04.12.2019; zum Vortrag der Beklagten siehe insbesondere Bl. 626/632, 1142/1148 d. Akte sowie Anlage B-KAR 21 mit der dort beigefügten Präsentation vom 08.04.2020):

Klägerin

Beklagte

Maximale Gesamtlizenzbelastung

4G

8,8%

5%

3G

5,6%

3%

2G

4,9%

2%

4G

800

16.280

3G

479

Nicht benannt.“

Gesamtanzahl der SEPs pro …standard

2G

154

Nicht benannt.

Anteil des SEP- Patentportfolios der Klägerin

4G

9

26

3G

13

Nicht benannt.

2G

6

Nicht benannt.

Preis bzw. Wert des standardimplementierenden Produkts

500,00 USD

100,00 USD

183
Die von der Klägerin verwendeten Eckdaten zur maximalen Gesamtlizenzbelastung ergeben sich aus Tz. 378, zur Gesamtanzahl der SEPs pro …tandard aus Tz. 478 der Entscheidung des High Court of Justice in Sachen Unwired Planet vom 05.04.2017 (Patents Court [2017] EWHC 711 (Pat) Rn. 162 - Huawei/Unwired Planet, Anlage … A 33, bestätigt durch Urteil des UK Supreme Court vom 20.08.2020, [2020] UKSC 37, https://www.supremecourt.uk/cases/docs/uksc-2018-0214-judgment.pdf). Ihren Anteil an dem Gesamtportfolio an standardessentiellen Patenten beziffert die Klägerin mit 9 Patentfamilien (4G), 13 Patentfamilien (3G) und 2 Patentfamilien (2G). Dabei stützt sich die Klägerin auf aus ihrer Sicht tatsächlich standardessentielle Patente und nicht auf die Anzahl als standardessentiell deklarierter Patente. Zudem berücksichtigt die Klägerin im Rahmen ihrer Berechnung die Abwärtskompatibilität standardimplementierender Produkte. Entsprechend der Entscheidung des High Court of Justice geht die Klägerin davon aus, dass in einem 4G Multimode Gerät, das mit den Vorgänderstandards abwärtskompatibel ist, der Anteil am 4G-Standard 70%, am 3G-Standard 20% und 2G-Standard 10% ist. Daraus berechnet die Klägerin einen gemittelten Anteil ihres Portfolios für LTEfähige Produkte von 1,7% [(1,13%*0,7) + (2,71%*0,2) + (3,9%*0,1) ]. Bei 3G Multimode Geräten geht die Klägerin dem High Court of Justice auch insoweit folgend von einer Gewichtung von 67:33 (3ECLI:G:2G) aus und kommt so zu einem Lizenzanteil von 3,1% ([(2,71%*0,67) + (3,9%*0,33) ].
184
Die Beklagte stützt sich für die von ihr zu Grunde gelegte maximale Gesamtlizenzbelastung auf einen gemittelten Wert von 5%. Dieser ergibt sich dem Vortrag der Beklagten zufolge zum einen aus verschiedenen internationalen Gerichtsentscheidungen (High of Court of Justice vom 05.04.2017 in Sachen Unwired Planet, District Court for the Central District of California vom 21.12.2017 in Sachen TCL vs. Ericsson, Shenzhen Intermediate Court vom 11.01.2018 in Sachen Huawei vs. Samsung), die Gesamtlizenzbelastungsgrenzen zwischen 4% und 10% ausgeurteilt haben und zum anderen daraus, dass in der Automobilindustrie für Zulieferteile generelle Obergrenzen zwischen 2% und 3% üblich seien. Die Gesamtanzahl der standardessentiellen Patente für den LTE-Standard hat die Beklagte über die Datenbank PatentSight ermittelt. Dabei stützt sie sich zur Vereinfachung und aus Gründen der Klarheit auf die Gesamtanzahl aller für den LTE-Standard als standardessentiell deklarierten Patente (S. 7 der Präsentation vom 08.04.2020, Anlage B-KAR 21) und stellt dem die von der Klägerin selbst bei der ETSI als essentiell deklarierte Anzahl an Patenten von 26 Patentfamilien gegenüber. Für die Standards 3G und 2G nimmt die Beklagte jeweils bezogen auf den von ihr für den LTE-Standard ermittelten Lizenzsatz einen Abschlag von 50% vom jeweiligen Nachfolgestandard vor (S. 10 der Präsentation vom 08.04.2020, Anlage B-KAR 21).
185
(3) Inhaltlich entspricht das von der Beklagten vorgelegte Gegenangebot nach Ansicht der Kammer schon auf Grundlage der hier gebotenen Evidenzprüfung nicht FRAND-Grundsätzen. Insbesondere widerspricht die Beklagte insoweit FRAND-Grundsätzen, als ihr Angebot der Berechnung die Anzahl aller bei der ETSI als standardessentiell deklarierten Patente zu Grunde legt. Zwar ist der Berechnungsansatz auf logischer Ebene insoweit schlüssig, als die Beklagte nicht nur bei der Gesamtanzahl der LTEstandardessentiellen Patente, sondern auch bei der Anzahl der standardessentiellen Patente der Klägerin jeweils auf die Anzahl der von der Klägerin als standardessentiell deklarierten Patente abstellt. Allerdings berücksichtigt die Beklagte dabei in keiner Weise, dass die Anzahl der als standardessentiell deklarierten Patente erheblich über der Anzahl tatsächlich standardessentieller Patente liegt (Contreras, Essentiality and Standards-Essential Patents, 15.06.2017, https://ssrn.com/abstract=2958853, S. 17 f.; Europäische Kommission, Setting out the EU approach to Standard Essential Patents, 29.11.2017, S. 5, COM(2017) 712 final; Podszun, IIC 2019, 720, 721; Treacy/Hunt, GRUR Int. 2018, 91, 93). Berücksichtigt … aber die Zahl überdeklarierter Patente und bringt diese in Abzug von der seitens der Beklagten zu Grunde gelegten Gesamtzahl an LTErelevanten Patenten, ergibt sich mathematisch bedingt per se ein für die Klägerin günstigeres Ergebnis. Die Kammer verkennt nicht, dass die tatsächliche Bestimmung der Anzahl überdeklarierter Patente außerordentlich komplex ist und allenfalls näherungsweise erfolgen kann. Angesichts der Tatsache, dass öffentlich verfügbaren Studien zufolge von einer Überdeklarierung zwischen 28% und 50% (siehe insb. Contreras, a.a.O.; High Court of Justice vom 05.04.2017 in Sachen Unwired Planet, a.a.O., Rn. 324) ausgegangen und teilweise sogar angenommen wird, dass nur 20% - 28% aller als essentiell deklarierten Patente tatsächlich essentiell sind (Pohl…n/Blind, EU Report: Landscaping study on Standard Essential Patents, S 48/49), drängt sich der Schluss auf, dass das von der unbereinigten Gesamtzahl standardessentieller Patente ausgehende Angebot der Beklagten a priori unverhältnismäßig zu hoch bemessen ist.
186
Nach FRAND-Grundsätzen unzutreffend ist weiter die Annahme der Beklagten, den von ihr ermittelten Lizenzsatz auf den durchschnittlichen Preis eines TCU beziehen zu können. Maßgeblich für den Wert eines standardessentiellen Patents ist eine Gebühr, die in angemessenem Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung steht (grundlegend: EuGH, Urt. v. 14.02.1978 Rs. 27/76, Rn. 248/257 - United Brands; Tz. 289 der Horizontalleitlinien der EUKommission, ABl. C-11/1, 14.01.2011). Der wirtschaftliche Wert ergibt sich vorliegend dadurch, dass die Beklagte LTE-Funktionalitäten in ihren Fahrzeugen anbieten und Kunden diese nutzen können. Dabei kann es aus Sicht der Kammer nicht auf den Einkaufspreis ankommen, den die Beklagte für die Kommunikationsmodule bezahlt, welche die LTE-Funktionalität bereitstellen. Vielmehr muss der Wert ermittelt werden, den die Kunden der LTE-Fähigkeit in einem Kraftfahrzeug beimessen. Die Klägerin hat ihrerseits versucht, diesen Wert durch vergleichbare Bezugsgrößen zu bestimmen. So hat sie unter Bezugnahme auf Sonderausstattungspreise wie für die günstigste Variante eines MBUX Multimediasystems eines Fahrzeugs der B-Klasse einen entsprechenden Aufpreis von 1.541,05 EUR ermittelt. Im Rahmen der „... me“ Angebote sind einzeln zubuchbare Kartenupdates zu einem Preis von 159,00 EUR erhältlich, die aber nur in Verbindung mit einem in dem Fahrzeug verbauten MBUX Multimediasystem erhältlich sind. Überdies hat die Klägerin dargelegt, dass die Beklagte TCUs zum Preis von 500,00 USD als Ersatzteile verkauft.
187
Dagegen beschränkt die Beklagte ihre Argumentation im Wesentlichen darauf, warum weder der Ersatzteilpreis für TCUs noch der Preis für Sonderausstattungen relevant sein kann und auch die von der Beklagten angebotenen LTEDienste keine taugliche Bemessungsgröße darstellen (Bl. 1114 ff. d. Akte). Daraus kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der TCUEinkaufspreis maßgeblich ist. Dieser spiegelt den Wert der LTE-Funktionalität aus Kundensicht gerade nicht wieder. Ob der von der Klägerin hier angenommene Wert von 500,00 USD FRAND-Grundsätzen tatsächlich gerecht wird, lässt die Kammer ausdrücklich offen. Nach den Maßstäben einer Evidenzkontrolle kann aber zumindest festgehalten werden, dass die Klägerin ihrerseits den ernsthaften Versuch unternommen hat, eine den Umständen des Einzelfalles gerecht werdende Berechnung vorzunehmen, während die Beklagte sich auf allgemeine Daten beschränkt und bei jedem Parameter der Berechnung gezielt den für die Klägerin ungünstigen Wert zu Grunde gelegt hat.
188
Nach Evidenzmaßstäben ist die Kammer daher auch in inhaltlicher Hinsicht überzeugt, dass das Angebot der Beklagten FRAND-Grundsätzen nicht entspricht. Auf die Frage, ob und in welchem Umfang Patente aus dem Portfolio der Klägerin binnen der kommenden Jahre vernichtet oder ablaufen werden, war in diesem Rahmen nicht weiter einzugehen. Die Klägerin hat in ihrem zweiten Lizenzvertragsangebot vom 30.06.2020 in Ziff. 4.3 eine Anpassungsklausel aufgenommen, die eine verbindliche Anpassung, gegebenenfalls im Wege eines Schiedsverfahrens, vorsieht (Anlage … A-32a). Insofern ist dem Interesse der Beklagten an einer möglichen Entwertung des Patentportfolios Rechnung getragen.
189
(4) Darüber hinaus bestätigt die inhaltliche Prüfung des Lizenzangebots der Beklagten und der von ihr zu Grunde gelegten Berechnung auch auf der Verhaltensebene weiter, dass die Beklagte vorliegend eine Verzögerungstaktik verfolgt hat. Bei ihrer Berechnung hat die Beklagte letztlich die ihr von der Klägerin bereits mit dem Begleitschreiben zu dem Angebot vom 18.12.2018 als diesem zu Grunde liegende Berechnungsmethode aus dem Urteil des High Court of Justice in Sachen Unwired Planet angewandt, noch dazu in stark vereinfachter Form. Die der Berechnung sodann zu Grunde gelegte Zahlenbasis stützt sich auf allgemein bekanntes und verfügbares Datenmaterial und allgemeine Überlegungen, die von keinerlei tiefgreifenderer Analyse abhängig sind. Ein dem Gegenangebot vom 08.04.2020 entsprechendes Angebot, zumindest als Ausgangspunkt für die weiteren Verhandlungen, hätte die Beklagte angesichts dessen also bereits binnen kurzer Zeit nach dem 18.12.2018 vorlegen können.
190
Zugleich belegt die von der Beklagten angewandte Berechnungsmethode, dass ihre bisherige Einlassung, ein Gegenangebot nicht vorgelegt haben zu können, weil sie die erforderlichen Informationen der Klägerin nicht habe und ihr insbesondere die Berechnungsmethode nicht hinreichend erklärt worden sei, widersprüchlich und damit im vorliegenden Fall letztlich unbeachtlich ist.
191
4. Da der Beklagten mit der fehlenden Lizenzbereitschaft der Rechtsnatur dieses Vorwurfs entsprechend ein Unterlassen zur Last gelegt wird, ist nach Ansicht der Kammer weiter noch die Zumutbarkeit und die tatsächliche Möglichkeit FRANDkonformen Verhaltens zu prüfen. Hieran besteht indes im Ergebnis unter Würdigung des Vortrags der Parteien im vorliegenden Fall kein Zweifel. Während des gesamten Verhandlungszeitraumes wäre es der Beklagten ohne weiteres zumutbar und möglich gewesen, aktiv an den Verhandlungen mitzuwirken und den Abschluss eines Lizenzvertrages zu forcieren. Die Beklagte hätte das Gegenangebot vom 08.04.2020 ohne weiteres und jedenfalls zeitnah nach dem Treffen vom 04.12.2019 der Klägerin zukommen lassen können. Ohne weiteres wäre es auch unabhängig von den Berechnungsfragen möglich gewesen, die Claim Chart Analyse binnen kurzer Frist nach dem Erhalt des Lizenzvertrages zu analysieren und auf einer entsprechend validierten Basis die Diskussionen über eine Lizenznahme zielstrebig voranzutreiben. Auch hätten allgemeine Klauseln wie Anpassungsklauseln, Gerichtsstandsklauseln und weitere Rahmenbedingungen jederzeit auf der Grundlage konkreter Vertragsvorschläge diskutiert und abgestimmt werden können, um den Verhandlungsverlauf zügig zu betreiben. Soweit überdies Berechnungen aus Sicht der Klägerin nicht nachvollziehbar erschienen, hätte sie mit konkreten Fragen und Annahmen auf Basis öffentlich verfügbarer Informationen die Diskussionen vorantreiben können. So stehen nach Kenntnis der Kammer zahlreiche Daten öffentlich zur Verfügung, die zumindest als erste Anhaltspunkte für konkrete Berechnungen zu Rate gezogen werden können. Jedenfalls nach dem Treffen vom 04.12.2019 hätte die Beklagte zudem zeitnah, und nicht erst weitere vier Monate später, ein dem Verhandlungsfortgang dienendes und insofern konstruktives Gegenangebot ausarbeiten und vorlegen können. Ein von ernsthaftem Lizenzwillen getragenes Gegenangebot kann nach Auffassung der Kammer zunächst auch mit einzelnen Pauschalierungen und Annahmen arbeiten, die vorbehaltlich von der Gegenseite erhaltener, näherer Informationen explizit zur Diskussion gestellt werden. Letztlich muss sich der Verhandlungsprozess vom Standpunkt eines objektiven Betrachters aus als ernsthafter, zielstrebiger Prozess darstellen, der nicht von taktierenden Erwägungen, sondern von dem erkennbaren Willen getragen ist, faire und angemessene Vertragsbedingungen verbindlich zu erzielen. Stattdessen hat sich die Beklagte vorliegend über den gesamten Verhandlungsverlauf hinweg auf den Standpunkt zurückgezogen, nicht die richtige Vertragspartei zu sein bzw. nicht alle notwendigen Informationen zu haben, obwohl sie die patentverletzenden Produkte in Kenntnis des patentverletzenden Zustandes in eigener Verantwortung vorsätzlich vertreibt. Nichts anderes folgt aus dem Gegenangebot vom 08.04.2020. Dieses ist - wie ausgeführt - erkennbar nicht FRAND und hat nach Ansicht der Kammer allenfalls Alibicharakter.
192
Nach alledem verbleibt nach Überzeugung der Kammer vorliegend kein Zweifel daran, dass die Beklagte hier von Anfang an eine Verzögerungstaktik verfolgt hat.
193
5. Dagegen lässt sich auf Seiten der Klägerin kein evident FRAND-Grundsätzen widersprechendes Verhandlungsverhalten feststellen, das angesichts der evident fehlenden Lizenzwilligkeit auf Seiten der Beklagten die Missbräuchlichkeit der auf Unterlassung und Rückruf gerichteten Patentverletzungsklage begründen könnte. Wie bereits ausgeführt, übersandte die Klägerin mit Schreiben vom 18.12.2018 neben den dem Verletzungshinweis beigefügten Claim-Charts sogleich ein konkretes Lizenzangebot. Wie ebenfalls bereits ausgeführt, hat die Kammer größte Zweifel daran, ob der dabei erfolgte Hinweis auf die Unwired Planet-Entscheidung des High Court of Justice als Erklärung der Lizenzberechnung genügen kann. Darauf kommt es aber den maßgeblichen Vorgaben des EuGH zu Folge zu diesem Zeitpunkt nicht an. Tatsächlich standen der Beklagten jedenfalls ab dem 04.12.2019, nach dem persönlichen Treffen der Streitparteien in …, sämtliche Informationen zur Gegenprüfung des Lizenzangebotes vom 18.12.2018 zur Verfügung. Für die Klägerin spricht überdies, dass sie die Beklagte nicht sofort auf Unterlassung in Anspruch genommen hat, sondern Klage am 13.08.2019 zunächst nur mit Anträgen auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht, Auskunft und Rechnungslegung erhob. Eine Erweiterung der Klage auf Unterlassung erfolgte erst am 29.01.2020, nachdem auch bis dato kein nennenswerter Fortschritt im Rahmen des Verhandlungsverlaufs erzielt werden konnte und die Beklagte sich vielmehr beharrlich auf den von ihr favorisierten Ansatz einer Lizenzierung auf Zulieferebene zurückgezogen hatte.
III.
194
Die Beklagte kann sich auch nicht auf einen abgeleiteten FRAND-Einwand der dem vorliegenden Rechtsstreit beigetretenen Zulieferunternehmen berufen.
195
1. Insbesondere kann die Beklagte ihre Lizenzbereitschaft nicht mit dem Verweis auf die Lizenzwilligkeit ihrer Zulieferer begründen.
196
a. Dabei schließt die Kammer nicht aus, dass eine Lizenzwilligkeit der Beklagten dem Grunde nach auch dann bejaht werden kann, wenn sie der Klägerin mit ihrer Lizenzbereitschaftserklärung zugleich den Wunsch nach einer auf Zulieferebene vorzunehmenden Lizenzierung mitteilt. Allerdings kann eine Lizenzbereitschaft in diesem Fall nur dann als unbedingt und nicht als Ausdruck einer Verzögerungstaktik angesehen werden, wenn die Beklagte der Klägerin zugleich umfassend und schriftlich offenlegt, welche Komponenten in ihren Fahrzeugen verbaut sind, die für die LTE-Fähigkeit der von ihr angebotenen Fahrzeuge relevant sind und von welchen Zulieferunternehmen sie diese Komponenten jeweils bezieht. Eine entsprechende Informations- und Offenlegungsobliegenheit ist vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass die Klägerin ihrerseits keinen Einblick in die technologisch und einkaufspolitisch bedingte bautechnische Konstruktion der Fahrzeuge der Beklagten hat. Legt die Klägerin daher entsprechende Informationen nicht offen, ist der Verweis auf eine Lizenzierung auf Zulieferebene als Ausdruck widersprüchlichen Verhaltens zu bewerten, so dass die zugleich behauptete Lizenzbereitschaft unter dem Gesichtspunkt des Gebots von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB außer Betracht zu bleiben hat.
197
Soweit sich die Beklagte über ihre Informations- und Offenlegungsobliegenheit hinaus aktiv um die Ausarbeitung eines Lizenzregimes auf Zulieferebene bemüht, befreit sie dies nicht davon, selbst weiter zügig und zielstrebig über den Abschluss eines eigenen Lizenzvertrages zu verhandeln. Die Beklagte ist Patentverletzerin und nutzt ein ihr nicht zustehendes, fremdes Recht ohne Erlaubnis des Rechteinhabers. Jedoch kann die Beklagte nach Ansicht der Kammer darauf bestehen, dass in dem von ihr abgeschlossenen Lizenzvertrag eine Klausel aufgenommen wird, auf deren Grundlage sichergestellt ist, dass keine Doppelzahlungen für bereits auf Zulieferebene lizenzierte Komponenten zu zahlen sind. Würde sich ein Patentinhaber der Aufnahme einer entsprechenden Klausel widersetzen, wäre dies Ausdruck eines seinerseits nicht FRANDkonformen Verhaltens mit der Folge, dass der Einwand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Erfolg haben könnte, soweit sich der Patentverletzer als lizenzbereit im Sinne der oben dargestellten Grundsätze erweist.
198
b. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen indes offensichtlich nicht er füllt. Während die Klägerin ihrerseits in Ziff. 4.2 des Lizenzvertragsentwurfs vom 18.12.2018 eine entsprechende „Pass through License“-Klausel selbst vorgeschlagen hat, hat die Beklagte während des gesamten Verhandlungszeitraumes nicht umfassend offengelegt, welche für die LTE-Fähigkeit ihrer Fahrzeuge relevanten Bauteile sie von welchen Zulieferern bezogen hat. Zur Überzeugung der Kammer steht bei Würdigung des Verhandlungsverhaltens der Beklagten vielmehr fest, dass diese mit dem vermeintlichen Bemühen um eine Lizenzierung auf Zulieferebene ausschließlich eine Verzögerung des Abschlusses eines eigenen Lizenzvertrages beabsichtigt hat. Die Beklagte hat zunächst mit der EMail vom 24.01.2020 den Eindruck erweckt, dass sie ein Treffen mit allen Zulieferern organisiert. Mit E-Mail vom 17.02.2020 schlug die Beklagte dann ein Treffen für den 11.03.2020 vor, an dem ein Zulieferer teilnehmen wird. Auf die aus Sicht der Kammer nachvollziehbare Absage dieses Treffens durch die Klägerin versuchte die Beklagte dann lediglich vage nachzubessern, indem sie laut E-Mail vom 02.03.2020 dabei sei, die Vorbereitung des Treffens mit „einigen“ Zuliefern zu finalisieren. Von dem ursprünglich versprochenen Treffen mit allen Zulieferern war indes keine Rede mehr. Nach dem Dafürhalten der Kammer unterstreicht dies die seitens der Beklagten von Anfang an fehlende Lizenzbereitschaft. Ein ernsthaftes, dem Leitbild des EuGH entsprechendes zügiges, ausgewogenes und konstruktives Hinwirken auf eine Lizenzierung und damit einhergehende Legalisierung ihres rechtsverletzenden Verhaltens kann dem schlechterdings nicht entnommen werden.
199
2. Unabhängig davon handelt die Klägerin nicht rechtsmissbräuchlich oder diskri…erend, wenn sie zunächst nur mit der Beklagten als Herstellerin des Endprodukts einen Lizenzvertrag anstrebt.
200
a. Dabei muss die grundsätzliche Frage, ob eine Lizenzierung auf allen Ebenen einer mehrstufigen Wertschöpfungskette zu erfolgen hat (sog. „License to All“- Ansatz), oder ob es genügt, sicherzustellen, dass jedes Unternehmen in der Wertschöpfungskette die für die Herstellung der fraglichen Produkte nötigen Rechte bekommt (sog. „Access to All“-Ansatz) hier nicht entschieden werden (für den „Access to All“-Ansatz ausführlich bereits Landgericht München I, Endurteil vom 10.09.2020, Az. 7 O 8818/19). Denn jedenfalls in der wie vorliegenden Konstellation eines Prozessrechtsverhältnisses zwischen der Klägerin als SEP-Inhaber und der Beklagten als Endproduktehersteller genügt es, wenn nach der Zielrichtung der Klägerin Zulieferer nicht vom Markt ausgeschlossen, sondern ihnen die zur Nutzung des fraglichen …tandards notwendigen Rechte zugänglich gemacht werden. In rechtlicher Hinsicht ist insoweit der in den Horizontalleitlinien der Europäischen Kommission näher erläuterte, kartellrechtliche Hintergrund der FRAND-Verpflichtung zu bedenken. Demzufolge ist entscheidend, dass über die FRAND-Selbstverpflichtungserklärung Zugang zu der patentgeschützten Norm gewährleistet wird. Zugang zu einer patentgeschützten Norm wird aber immer bereits dann sichergestellt, wenn ein Endgerätehersteller eine Lizenz erhält, die ihm zugleich sogenannte „Have made“-Rechte einräumt, auf deren Grundlage er im Wege der Auftragsfertigung patentgemäße Produkte von seinen Zulieferern herstellen lassen kann. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Der seitens der Klägerin am 18.12.2018 der Beklagten angebotene Lizenzvertrag räumte dieser in Ziff. 1.6 ausdrücklich das Recht ein, patentgemäße Produkte von Dritten herstellen zu lassen. Der Klägerin kann daher im vorliegenden Fall nicht vorgeworfen werden, dritte Unternehmen von der Nutzung ihrer Patente ausgeschlossen zu haben, da über die Einräumung der „Have made“-Rechte Zugang gewährt worden wäre.
201
Davon unabhängig zu beurteilen ist die Frage, ob ein Zulieferer gegebenenfalls eigenständige Ansprüche auf die Erteilung einer Lizenz gegen die Klägerin hat, die dieser ggf. in einem gesonderten gerichtlichen Verfahren geltend machen kann. Diese Frage braucht im vorliegenden Fall schon deswegen nicht entschieden zu werden, da entsprechende (Drittwider-)Klagen seitens der Zulieferer nicht erhoben wurden.
202
Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, dass die Beklagte so möglicherweise zur Unterlassung der Herstellung der angegriffenen Ausführungsformen verpflichtet wird, die sie sofort wieder herstellen dürfte, wenn die Klägerin einer mutmaßlichen Lizenzerteilungspflicht gegenüber den Zulieferern der Beklagten entsprechen und diesen die Herstellung patentgemäßer Bauteile erlauben würde. Dieser auf § 242 BGB gestützte „dolo agit“-Einwand erscheint der Kammer in der vorliegenden Konstellation schon deswegen nicht durchgreifend, weil anderenfalls hinsichtlich jedes einzelnen Zulieferers die mögliche Erschöpfungswirkung einer hypothetisch geschlossenen Lizenz geprüft werden müsste. Insbesondere aber steht der Berücksichtigung einer solchen hypothetischen Erschöpfung das Recht des Patentinhabers entgegen, sich frei zu entscheiden, gegen welchen Verletzer in einer mehrstufigen Wertschöpfungskette er prozessual vorgeht. Dieses Wahlrecht folgt aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigentumsrecht des Patentinhabers und spiegelt die Natur eines Patents als Ausschließlichkeitsrecht wider. Dieser Natur als Ausschließlichkeitsrecht entspricht es, jeden Dritten, der das Patent ohne Zustimmung des Patentinhabers verletzt, von der Nutzung ausschließen zu können. Dementsprechend hat der BGH bereits ausdrücklich entschieden, dass in mehrstufigen Verletzerketten jeder Verletzer das fragliche Recht selbständig verletzt und dementsprechend eine Gewinnabschöpfung auf jeder Ebene zulässig ist (BGH, NJW 2009, 3722, 3729, Rn. 68 - Tripp-Trapp-Stuhl).
203
b. Die Klägerin hat ihrerseits zudem belegt, dass sie grundsätzlich bereit ist, auch auf Zulieferebene Lizenzen zur Nutzung ihrer Patente zu erteilen. Dies ergibt sich vorliegend aus der bereits dargelegten E-Mail-Korrespondenz mit der Beklagten im Zeitraum Dezember 2019 bis März 2020, in deren Rahmen die Klägerin einem von der Beklagten versprochenen Treffen mit allen Zulieferern zugestimmt hatte, welches die Klägerin dann aber dadurch zum Scheitern brachte, dass sie statt der versprochenen Teilnahme aller Zulieferer nur einen einzigen Zulieferer als tatsächlichen weiteren Teilnehmer ankündigte.
204
c. Der weitere Einwand der Beklagten, dass es in der Automobilindustrie üblich sei, Lizenzen auf der Zulieferebene zu erteilen, so dass die Automobilhersteller Zulieferprodukte üblicherweise frei von Rechten Dritter erwerben, kann die Missbräuchlichkeit der von der Klägerin zunächst angestrebten Lizenzierung auf der Ebene des Endprodukteherstellers ebenfalls nicht begründen.
205
aa. Dass die Beklagte Zulieferprodukte vermeintlich frei von Rechten Dritter erwirbt, ist eine Folge eines bilateral im Verhältnis zu ihren Zulieferern geschlossenen Vertrages. Ein entsprechend schuldrechtlich vereinbarter Vertrag mit einem Zulieferer kann aber nicht zu Lasten der Klägerin als an dem Zuliefervertrag nicht beteiligter Dritter deren Rechtsposition schmälern. Vielmehr ist es eine Frage der zwischen der Klägerin und ihren Zulieferern bestehenden Gewährleistungsansprüche, wenn die Zulieferer eine Rechtssicherheit versprechen, die sie …gels eigener Lizenzierung letztlich nicht einzuhalten in der Lage sind.
206
bb. Die in der Automobilindustrie herrschende Üblichkeit beschränkt dieses Wahlrecht nicht. Die von der Beklagten bevorzugte Lizenzierungspraxis auf Ebene der Zulieferunternehmen mag durchaus den bisherigen Gewohnheiten und Gepflogenheiten zumindest in der deutschen Automobilbranche und dem klassischen Geschäftsmodell der Beklagten entsprochen haben. Dass ein Unternehmen wie die Beklagte infolge der wie hier von der Klägerin beantragten Verurteilung ihre Gewohnheit der Lizenzierung auf Zulieferebene (teilweise) aufgeben müsste, gibt aber für sich genommen keinen Anlass, in dem von der Klägerin verfolgten Klageziel einen missbrauchsbegründenden Umstand zu sehen. Vielmehr resultiert die Notwendigkeit einer persönlichen Lizenzierung auf Herstellerebene aus dem eigenen marktwirtschaftlichen Interessen der Beklagten dienenden Erschließen neuer Märkte und Kundengruppen, indem zusätzliche, dem Absatzerfolg dienende Technologien in dem Produkt Kraftfahrzeug verbaut werden. Eine mit einer entsprechenden Produktfortentwicklung einhergehende Notwendigkeit, Geschäftsüblichkeiten aufzugeben, ist letztlich keine kartellrechtlich relevante, sondern eine dem dynamischen Wettbewerbsgeschehen geschuldete und damit letztlich hinzunehmende Konsequenz.
207
cc. Das Argument der Nebenintervenientinnen, wonach die Klägerin ihnen gegenüber missbräuchlich den Abschluss eines Lizenzvertrages verweigere, verfängt weiter auch aus dem Grund nicht, weil die an den marktbeherrschenden Inhaber standardessentieller Patente gestellten Sonderanforderungen ausdrücklich nur für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung oder Rückruf gegen angebliche Patentverletzer gelten (EuGH, C-170/13, Tz. 59 - Huawei/ZTE). Vorliegend geht die Klägerin gerichtlich aber nur gegen die Beklagte als Endgeräteherstellerin vor. Dieser gegenüber ist das von dem EuGH aufgestellte Pflichtenprogramm daher einzuhalten, während es gegenüber den Nebenintervenientinnen bei den allgemeinen kartellrechtlichen Grundsätzen der Ausübung geistiger Eigentumsrechte bleibt. Die Nebenintervenientinnen können daher den von ihnen vorgebrachten Missbrauchseinwand schon im Ansatz nicht damit begründen, dass ihnen gegenüber kein Verletzerhinweis erfolgt sei. Gerade bei mehrstufigen Wertschöpfungsketten ist es für eine dritte Partei weder möglich noch zumutbar, selbst die maßgeblichen Produkte und entsprechenden Zulieferunternehmen in Erfahrung zu bringen.
208
d. Die dagegen geäußerte Sorge der Nebenintervenientinnen, völlig rechtlos ge stellt zu werden, ist nach Ansicht der Kammer unbegründet. Würde ein Patentinhaber - anders als die Klägerin - in einem von ihr avisierten Lizenzvertrag keine „Have made“-Rechte anbieten, würde kein rechtssicherer Zugang zu der standardisierten Technik gewährt. Das Verhalten eines Patentinhabers wäre in einem solchen Fall missbräuchlich. Indes wäre es der Beklagten auf der Basis des von der Klägerin angebotenen Lizenzmodells einschließlich der sogenannten „Have made“-Rechte ohne weiteres möglich, LTEstandardkonforme Zulieferteile im Weg sogenannter verlängerter Werkbank-Konstellationen von ihren Zulieferern herstellen zu lassen und diesen so rechtssicheren Zugang zu der (seitens der Beklagten von der Klägerin lizenzierten) Technologie zu gewähren. Dabei ist nach der Überzeugung der Kammer auch kein Grund für die Besorgnis unzumutbarer Rechtsunsicherheit erkennbar. Insoweit verfängt auch das Argument der Nebenintervenientinnen 2) und 3) nicht, wonach „Have made“-Rechte keinen hinreichenden Ersatz für eine eigene Lizenz darstellen. Das Argument ist aus Sicht eines Zulieferunternehmens insoweit nachvollziehbar, als eine eigene Lizenz zweifellos ein Mehr an wettbewerblichem Verhaltensspielraum ermöglicht. Dieses unternehmerisch verständliche Interesse bildet vorliegend aber nicht den rechtlich relevanten Maßstab. Im vorliegenden Zusammenhang ist allein entscheidend, dass hinreichender Zugang zu einem …tandard im Verhältnis zwischen der Klägerin als Patentinhaberin und der Beklagten als Herstellerin patentverletzender Endgeräte gewährt wird.
209
Dazu kommt, dass Kooperationen auf Basis von „Have made“-Rechten verbreitet und üblich sind. Gegen das Argument der Nebenintervenientinnen, …gels eigener Lizenz geradezu rechtlos gestellt zu werden spricht insoweit auch, dass mit der nach wie vor Gültigkeit beanspruchenden Bekanntmachung der Europäischen Kommission vom 18. Dezember 1978 über die Beurteilung von Zulieferverträgen nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Amts.-Bl. Nr. C 1/2 vom 3. Januar 1979), eine kartellrechtliche Regelung bereitsteht, auf deren Grundlage die Beklagte mit der nötigen Rechtssicherheit die Belieferung mit standardkonformen Produkten durch ihre Zulieferer auf der Grundlage eines (künftig) von ihr abgeschlossenen Lizenzvertrags sicherstellen könnte. Insbesondere aus Ziffer 2 dieser Bekanntmachung ergibt sich, dass die Lizenzierung des Endgeräteherstellers verbunden mit Vertragsgestaltungen zur Bereitstellung einer verlängerten Werkbank durch die Zulieferer im Licht des Art. 101 AEUV (ehemals Art. 85 EGV) selbst dann nicht zu beanstanden ist, wenn es um singulärproprietäre Befugnisse eines Endgeräteherstellers geht. Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Produktion patentbenutzender Zulieferteile ohne direkte Lizenzierung auf der Zulieferebene wird insoweit als eine dem Grunde nach selbstverständlich mögliche vertragliche Gestaltung vorausgesetzt.
210
3. Schließlich scheitert ein abgeleiteter Lizenzeinwand vorliegend auch daran, weil keine der Nebenintervenientinnen die Voraussetzungen einer ihnen gegenüber erfolgten, kartellrechtswidrigen Lizenzverweigerung schlüssig dargelegt haben. Dabei kann als rechtlich relevanter Maßstab - anders als die Beklagte und die Nebenintervenientinnen vortragen - nicht das Urteil des EuGH in Sachen Huawei/ZTE (GRUR 2015, 764) Anwendung finden. Grund ist, dass der Maßstab des vorbezeichneten EuGH-Urteils ausschließlich im Verhältnis eines marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents zu einem verklagten Patentverletzer gilt. Dies folgt bereits aus Leitsatz 1 des Urteils, wonach die Frage zur Entscheidung stand, unter welchen Voraussetzungen ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV anzunehmen ist, wenn ein Inhaber eines standardessentiellen Patents eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt. Auch die Schlussanträge des Generalanwalts verdeutlichen dies, indem der an den Europäischen Gerichtshof gerichtete Prüfungsauftrag wie folgt formuliert wird (Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 20.11.2014, Rs. C-170/13, Rn. 40):
„Der Gerichtshof soll feststellen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Patentverletzungsklage eines SEP-Inhabers, der sich zur Erteilung von Lizenzen zu FRAND-Bedingungen verpflichtet hat, einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellt.“
211
Ein solchermaßen verstandener Anwendungsbereich fügt sich auch in die Ratio der Urteilsgründe. Mit den durch den Europäischen Gerichtshof definierten wechselseitigen Verhandlungsobliegenheiten soll sichergestellt werden, dass die Definition dessen, was als FRANDkonforme Vertragsbedingungen anzusehen ist, durch ausgewogene, beiderseits zielstrebig verfolgte Verhandlungen diskutiert und festgelegt wird. Dabei sollte insbesondere die durch eine Patentverletzungsklage entstehende Drucksituation adressiert und durch beiderseitige Verhandlungspflichten ein Gegengewicht geschaffen werden. Einer entsprechenden Drucksituation waren und sind keine der dem vorliegenden Rechtsstreit beigetretenen Nebenintervenientinnen ausgesetzt. Eine Patentverletzungsklage ist ihnen gegenüber schlicht nicht erhoben worden. Damit bleibt es aber den Nebenintervenientinnen gegenüber bei den allgemeinen Grundsätzen zur Lizenzverweigerung.
212
Nach allgemeinen kartellrechtlichen Grundsätzen ist die Lizenzverweigerung aber nur dann missbräuchlich, wenn diese für Ziele eingesetzt wird, die dem System unverfälschten Wettbewerbs offensichtlich widersprechen oder wenn sich die Lizenzverweigerung für neue Wettbewerber als absolutes Marktzugangshindernis auswirkt (Jung in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 70. EL 2020, Art. 102 AEUV, Rn. 244 m. w. N.). Nach diesem Maßstab kommt aber ein missbräuchliches Verhalten gegenüber den Nebenintervenientinnen im vorliegenden Fall schon deswegen nicht in Betracht, weil - wie ausgeführt - die Klägerin der Beklagten gerade von Anfang an ein Lizenzangebot vorgelegt hat, in dem sogenannte „Have made“-Rechte eingeräumt wurden, die es der Beklagten erlauben, für sie gefertigte Produkte herzustellen. Der Zugang zur Technologie der Klägerin wird mit diesem Verhalten daher gerade nicht verhindert.
213
Nichts anderes ergibt sich insoweit auch aus dem Vortrag der Nebenintervenientinnen zu 2) und 3), wonach die Klägerin angeblich mit dem A.-Patentpool und dessen anderen Mitgliedern kollusiv zusammenwirke, um das A.-Lizenzmodell am Markt zu etablieren. Ein dahingehend kollusives Zusammenwirken, um einzelne Marktteilnehmer vom Wettbewerb auszuschließen oder gezielt zu diskri…eren, vermag die Kammer vorliegend nicht zu erkennen. Im Gegenteil ist anerkannt, dass Patentpools gerade mit Blick auf …tandards (nachfolgend: TT-Leitlinien) im Grundsatz wettbewerbsfördernde Wirkung haben können. So ergibt sich aus Tz. 245 der Leitlinien der Europäischen Kommission Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 AEUV auf Technologietransfer-Vereinbarungen, dass Patentpools Transaktionskosten senken und der Kumulierung von Lizenzgebühren Grenzen setzen können, so dass eine doppelte Gewinnmaximierung vermieden wird. Patentpools ermöglichen demzufolge zudem eine zentrale Lizenzvergabe für die vom Pool gehaltenen Technologien, was der Europäischen Kommission zu Folge vor allem in Wirtschaftszweigen wichtig ist, in denen Rechte des geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung sind und es für die Marktpräsenz erforderlich ist, von einer erheblichen Anzahl von Lizenzgebern Lizenzen zu erhalten. Der Kammer ist bewusst, dass diese grundsätzlich wettbewerbsförderlichen Wirkungen von Patentpools durch wettbewerbsbeschränkendes Verhalten der beteiligten Parteien konterkariert werden können, insbesondere, wenn ein Patentpool eine marktbeherrschende Stellung innehat (vgl. Tz. 267 lit. a) der TT-Leitlinien). Insoweit kann aber auf die bereits erfolgten Ausführungen verwiesen werden. Gegenüber der Beklagten ist ein Missbrauch hier nach dem durch den Europäischen Gerichtshof in Sachen Huawei/ZTE definierten Maßstab nicht erfolgt, da die Beklagte ihrerseits nicht lizenzbereit war. Gegenüber den Nebenintervenientinnen ist ein Missbrauch nicht erfolgt, da ein Marktausschluss weder durch die Klägerin angedroht wurde noch drohte. Die Klägerin hat der Beklagten im vorliegenden Fall - wie ausgeführt - ein Lizenzangebot einschließlich der den nötigen Technologiezugang gewährenden „Have made“-Rechte vorgelegt.
214
Dem BGH zu Folge setzt eine missbräuchliche Lizenzverweigerung durch den marktbeherrschenden Inhaber eines standardessentiellen Patents zudem voraus, dass zunächst der Lizenzsucher ein annahmefähiges Angebot zu Vertragsbedingungen gemacht haben muss, welches der Patentinhaber nicht ablehnen kann, ohne den Lizenzsucher damit gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln oder ihn unbillig zu behindern (BGH, GRUR 2009, 694, 696, Rn. 30 - Orange Book). Diese Voraussetzung wurde vorliegend von keiner der Nebenintervenientinnen erfüllt. Keine der Nebenintervenientinnen hat vorliegend ein konkretes Lizenzvertragsangebot vorgelegt. Auch daher kommt es auf die im Einzelnen von den Nebenintervenientinnen vorgetragenen Umstände zu den jeweils bilateral mit der Klägerin geführten Verhandlungen nicht weiter an.
215
Soweit die Nebenintervenientinnen darüber hinaus rügen, dass ihr gegenüber im vorliegenden Verfahren ein Verletzerhinweis nicht erfolgt sei, verfängt auch dieser Einwand nicht. Nach dem Dafürhalten der Kammer ist ein Patentinhaber nicht verpflichtet, die ihm als solche nicht im Detail bekannte Wertschöpfungskette auszuermitteln und jedem beteiligten Unternehmen einen Verletzerhinweis zukommen zu lassen. Insofern gilt, dass der Patentinhaber als Ausfluss des ihm zustehenden Eigentumsrechts berechtigt ist, den zu verklagenden Patentverletzer in einer mehrstufigen Wertschöpfungskette selbst auszusuchen. Diesem Patentverletzer gegenüber entstehen dann die aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Huawei/ZTE entwickelten Pflichten.
IV.
216
Darüber hinaus steht der Beklagten auch ein vertraglicher Lizenzanspruch nicht zu. Die Beklagten und insbesondere die Nebenintervenientinnen zu 2) und 3) weisen insofern zwar zu Recht auf die von der Klägerin unstreitig gegenüber dem den LTEStandard verwaltenden European Telecommunications Standards Institute (ETSI) abgegebene Erklärung gemäß Ziff. 6.1 der ETSI IPR Policy hin. Im Ergebnis ergeben sich aber auch aus der entsprechenden vertraglichen Erklärung keine anderen Rechte und Pflichten als auf der Grundlage des Maßstabes des Art. 102 AEUV.
217
In rechtlicher Hinsicht kommt mit Abgabe der ETSI-Erklärung nach dem insoweit maßgeblichen französischen Recht ein Vertrag zu Gunsten Dritter („stipulation pour l’autrui“) zustande. Dieser enthält als solcher das verbindliche Versprechen der Klägerin, eine Lizenz zu FRAND-Konditionen zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen (McGuire, GRUR 2018, 128, 134). Inhalt und Reichweite der entsprechenden Verhandlungspflicht sind aber letztlich im Gleichklang mit den Maßstäben auszulegen, wie sie der Europäische Gerichtshof auf der Grundlage des Art. 102 AEUV definiert hat. Ein dahingehender Gleichklang des rechtlichen Prüfungsmaßstabes ist letztlich auch aus dem Grund geboten, weil die Regelung in Ziff. 6.1 der ETSI IPR Policy den kartellrechtlichen Vorgaben des Art. 101 AEUV entspricht und so ein hinreichender Zugang zu geistigen Eigentumsrechten sichergestellt werden soll, die den Zugang zu …tandards behindern können. Nach den insoweit relevanten Maßstäben hat sich die Klägerin aber gerade FRANDkonform verhalten. Weitergehende Verhaltensmaßstäbe können sich insofern auch aus dem französischen Recht nicht ergeben, umso mehr, als dieses letztlich europarechtskonform ausgelegt werden muss.
V.
218
Die Anträge auf Vorlage der mit A., ViaLicensing und sonstigen Vertragspartnern geschlossenen Lizenzverträge waren zurückzuweisen. Nach der hiesigen Urteilsbegründung kommt es weder auf die Vergleichbarkeit mit Verträgen von A. noch auf mit sonstigen Dritten oder ViaLicensing abgeschlossene Lizenzverträge an. Der FRANDEinwand scheitert vorliegend daran, dass die Beklagte nicht lizenzwillig war.
C.
219
Eine Aussetzung mit Blick auf die gegen das Klagepatent eingelegten und derzeit noch nicht entschiedenen Einsprüche ist nach § 148 ZPO nicht veranlasst.
I.
220
Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens stellt für sich genommen keinen hinreichenden Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde … dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (vgl. Cepl in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage 2018, § 148 ZPO, Rn. 106 m. w. N.). Das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist aber das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, praktisch aufgehoben. Daher kommt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BGH, BeckRS 2014, 18858, Rn. 4; Cepl in: Cepl/Voß, a.a.O., Rn. 107 m. w. N.).
221
Nach diesen Maßstäben ist das Verfahren vorliegend nicht auszusetzen. Der Gegenstand des Klagepatents in der erteilten Fassung ist nach Auffassung der Kammer rechtsbeständig. Eine unzulässige Erweiterung liegt nicht vor (II.). Die von der Beklagten im Rahmen ihres Aussetzungsantrags geltend gemachten Nichtigkeitsargumente greifen nicht durch (III.).
II.
222
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 5 nicht unzulässig im Sinne von Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ, § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG, erweitert. Der Gegenstand der Klagepatentansprüche geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Stam…meldung EP 2 934 050 A1 (Anlage D2 des Anlagenkonvoluts B2) hinaus.
223
1. Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des erteil ten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldung zu vergleichen. Gegenstand des Patents ist die durch die Patentansprüche bestimmte Lehre, wobei Beschreibungen und Zeichnungen mit heranzuziehen sind. Der Inhalt der Patentanmeldung ist hingegen der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen, ohne dass den Patentansprüchen dabei eine gleich hervorgehobene Bedeutung zukommt, wobei auch zum Offenbarungsgehalt gehört, was der Fach…n aus den Zeichnungen als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmen kann (BPatG, BeckRS 2010, 14464, Ziff. II.1. - Spargelfeldabdeckungen; BGH, GRUR 2009, 933 - Druckmaschinen-Temperierungssystem II). Der Patentanspruch darf deshalb nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fach…ns nicht als zur Erfindung gehörend erkennen ließ (BPatG, a.a.O.; BGH, GRUR 2005, 1023, 1024 - Einkaufswagen II). Dabei sind Verallgemeinerungen der Ausführungsbeispiele zulässig, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fach…n als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeinen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung als zur Erfindung gehörend entnehmbar ist. Dies gilt auch dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (BGH, BeckRS 2018, 21243, Rn. 34; GRUR 2014, 542, 544, Rn. 24 - Kommunikationskanal).
224
2. Vor diesem Hintergrund liegt eine unzulässige Erweiterung im vorliegenden Fall nicht vor.
225
Vor diesem Hintergrund liegt eine unzulässige Erweiterung im vorliegenden Fall nicht vor.
226
Eine unzulässige Erweiterung ist nicht dadurch erfolgt, dass die Klagepatentansprüche in ihrer ursprünglich angemeldeten Form einen zusätzlich zu dem Kernnetzwerkelementbezeichner aufgeführten Gebietsbezeichner („area identifier“) enthielten, der sodann im Rahmen des Erteilungsverfahrens gestrichen wurde. Es trifft nach Ansicht der Kammer insbesondere nicht zu, wenn die Beklagte und insbesondere die Nebenintervenientin zu 5) vortragen, dass die Identifikation eines Kernnetzwerkelements nach der Ursprungsanmeldung stets die Verwendung eines Kernnetzwerkelementbezeichners sowie eines Gebietsbezeichners voraussetzten. Die Klägerin weist insoweit zu Recht auf Abs. [0109] und die dazugehörige Fig. 8 der Anmeldung EP 2 934 050 A1 hin:
Zu Deutsch:
„[0109] Fig. 8 zeigt einen Nachrichtenfluss in einem System und ein Verfahren gemäß einem weiteren Ausführungsbeispiel der Erfindung. Dieses Ausführungsbeispiel betrifft einen MVNO (Mobiler Virtueller Netzwerkbetreiber) mit wenigstens einem eigenen Kernnetzwerkelement (CN) 6, 10, 11 wie beispielsweise ein MSC/VLR (Mobiles Vermittlungszentrum/Besucherstandortregister) und/oder SGSN).“
227
Der entsprechende Beschreibungstext fand sich auch bereits in den ursprünglich eingereichten Beschreibungsunterlagen (Anlage … A15, S. 40). Die in der Beschreibung benannte Figur 8 veranschaulicht überdies dem Fach…n, dass der erfinderischen Idee des Klagepatents eben der Kernnetzwerkelementbezeichner als neues Identifizierungsmittel innerhalb eines Netzwerkarchitektur zu Grunde liegt:
228
Insbesondere auch aus einem Vergleich mit Figur 3, die einen Nachrichtenfluss abbildet, bei dem nach Versand des Kernnetzwerkelementbezeichners durch ein Benutzerendgerät über den Satz an Kernnetzwerkelementen auch ein Gebietsbezeichner angefordert werden kann, um unter Auswertung der entsprechenden Parameter eine Verbindung aufzubauen, entnimmt der Fach…n vorliegend bereits aus den Anmeldungsunterlagen die den Klagepatentansprüchen zu Grunde liegende erfinderische Idee der Verwendung eines Kernnetzwerkelementbezeichners zum Zwecke eines Verbindungsaufbaus mit einem passenden Kernnetzwerkelement.
229
Die Änderung der Klagepatentansprüche erfolgte überdies auf eine Beanstandung durch das Europäische Patentamt im Erteilungsverfahren hin. Mit der Änderung sollte klargestellt werden, dass der Patentanspruch auf die Benutzerendgerätevorrichtung bezogen sein soll. Daher erfolgte eine Beschränkung auf die Merkmale, die das Benutzerendgerät und dessen Funktionalität kennzeichnen. Vor diesem Hintergrund ist auch das im Rahmen der Auslegung gewonnene Ergebnis schlüssig, wonach die Eignung zum Aufbau einer Verbindung mit einem von mehreren in einem Gebiet vorhandenen Kernnetzwerkelementen genügt. Die Identifikation des Gebiets war dagegen auch bereits in der Ursprungsanmeldung als netzwerkseitige Funktionalität offenbart. Gemäß S. 20, Zeilen 31 ff. der Ursprungsanmeldung (Anlage … A 15) sendet das Benutzerendgerät eine Anforderung z.B. in Form einer RRC-Nachricht, optional einschließlich der CN-Kennung, die das Kernnetzwerkelement identifiziert, in dem das Benutzergerät registriert werden kann. Die Information zu dem betreffenden Gebiet, in dem sich gegebenenfalls mehrere, gleichartige Kernnetzwerkelemente befinden, ist indes im Funknetzwerk gespeichert, das die Auswahl entsprechend unter Berücksichtigung des von dem Benutzerendgerät gesandten Kernnetzwerkelementbezeichners vornimmt. Auf S. 21, Zeile 30, erfolgt dann weiter noch der Hinweis, dass in bestimmten Sonderfällen, wenn etwa das Funknetzwerk nur für ein Gebiet zuständig ist, eine gebietsbezogene Information für die entsprechende Auswahl einer Kernnetzwerkelements gar nicht erforderlich ist (entspricht KPS Abs. [0074]). Damit war dem Fach…n nach der Überzeugung der Kammer aber letztlich auch bereits nach dem Offenbarungsgehalt der Ursprungsanmeldung bewusst, dass die technische Lehre des Klagepatents darauf gerichtet ist, einen Kernnetzwerkelementbezeichner zusätzlich zu dem aus dem Stand der Technik bekannten Element eines „area identifiers“ oder eigenständig zu verwenden. Eine unzulässige Erweiterung, indem das bekannte und allenfalls zusätzliche Verwenden eines „area identifier“ gestrichen wird, liegt daher nicht vor.
230
b. Darüber hinaus verfängt auch das Argument der Nebenintervenientin zu 5) nicht, wonach die ursprüngliche Anmeldung nicht offenbart habe, dass eine Auswahl des Kernnetzwerkelements durch die Mobilstation erfolgen könne. Die Auslegung des entsprechenden Merkmals 3.4 der Klagepatentansprüche hat gerade ergeben, dass eine entsprechende Auswahl nicht durch die Mobilstation erfolgen muss. Vielmehr muss diese der in Merkmal 3.4 enthaltenen Zweckangabe entsprechend lediglich geeignet sein, ein Kernnetzwerkelement zu speichern, damit letztlich eine Verbindung mit einem entsprechenden Kernnetzwerkelement zustande kommen kann. Damit fehlt es aber bereits im Ansatz an dem seitens der Nebenintervenientin behaupteten Erweiterungstatbestand.
231
c. Weiter ist eine unzulässige Erweiterung auch nicht deswegen anzunehmen, weil die Speicherung einer Liste von Kernnetzwerkelementen durch das Benutzerendgerät ursprünglich nicht in den Anmeldeunterlagen offenbart war. Dem Einwand liegt wiederum die aus Sicht der Kammer rechtsfehlerhafte Auslegung zu Grunde, wonach es den Klagepatentansprüchen zu Folge Aufgabe der Mobilstation sei, die Kernnetzwerkelemente zu bestimmen, mit denen es schlussendlich verbunden wird. Die Auswahl des Kernnetzwerkelements, mit dem einen Verbindung tatsächlich zustande kommt, erfolgt nach der dem Klagepatent zu Grunde liegenden technischen Lehre netzwerkseitig. Das Benutzerendgerät speichert und sendet den Kernnetzwerkelementbezeichner, der dann für die zutreffende Auswahl und den entsprechenden Verbindungsaufbau netzwerkseitig ausgewertet wird.
III.
232
Die seitens der Beklagten entgegengehaltenen Druckschriften stehen dem Klagepatent nicht neuheitsschädlich entgegen.
233
1. Eine Neuheitsschädlichkeit ergibt sich nicht aus der Entgegenhaltung D 13 (Do kument TSGR2#8(99) f60 mit dem Titel „Routing of NAS Messages in UTRAN“, Anlage B 3). Die D 13 wurde am 08.11.1999 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und ist im vorliegenden Fall daher als Stand der Technik zu berücksichtigen. In technischer Hinsicht liegt der D 13 indes eine von dem Klagepatent verschiedene Aufgabenstellung zu Grunde. Die D 13 stellt sich dem Problem, dass es in einem Kernnetzwerk verschiedene Domänen bzw. Knoten gibt. Indem ein sogenannter Domainindikator (CDI) an eine Nachricht angehängt wird, soll die Auswahl der zutreffenden Domäne im Kernnetzwerk erfolgen. Auf dieser Basis kann der D 13 zu Folge dann die Identifikation unterschiedlicher Kernnetzwerk-Typen wie etwa ANSI-41 oder GSM MAP) erfolgen. Die dem Klagepatent zu Grunde liegende Problemstellung, dass es in einem Kernnetzwerk verschiedene Serviceknoten desselben Typs gibt, wird dagegen in der D 13 nicht diskutiert und nicht gelöst.
234
2. Auch die Entgegenhaltung D 12 (WO 1/15468, Anlage B 4) ist im Ergebnis nicht neuheitsschädlich. Die D 12 nimmt die Priorität der Anmeldung US 60/150,303 vom 23.08.1999 in Anspruch und zählt damit vorliegend zum Stand der Technik. Ausgangspunkt der D 12 ist die Feststellung, dass in einem Mobilfunknetz der dritten Generation leitungsvermittelte und paketvermittelte Netzwerke zur Verfügung stehen. Während in einem leitungsvermittelten Netzumfeld Signale physisch über eine spezifisch zugewiesene Leitung an die bestimmungsgemäße Adresse gesandt werden, werden Nachrichten bei der Nutzung paketvermittelter Dienste über in den entsprechenden Datenpaketen hinterlegte Adressen weitergeleitet. Dabei stellte sich dem Fach…n das Problem, Benutzerendgeräte trotz jeweils unterschiedlich verwendeter Technologie so auszugestalten, dass diese für beide Dienste genutzt werden können. Die D 12 greift dabei den auch der D 13 zu Grunde liegenden Vorschlag auf, einen Core Domain Network Indicator (CDI) in der Access Stratum Schicht einer RRC-Nachricht hinzuzufügen, um so bestimmen, welchem Kernnetzwerk eine Nachricht zuzuordnen ist (Spalte 2, Zeilen 21-23). Als insoweit ungelöstes Problem wird jedoch in der D 12 genannt, dass allein die Hinzufügung eines entsprechenden Informationselements zur Kennzeichnung des zutreffenden Diensttyps den Wechsel zwischen leitungs- und paketvermittelten Diensten nicht unterstützt (Spalte 2, Zeile 30/31).
235
Ausgehend von dieser Problemstellung schlägt die D 12 vor, dem Funkzugangsnetzwerk den von einem Benutzerendgerät benötigten Dienst sowie die entsprechend benötigte Anwendung einen sogenannten „application indicator“ zur Verfügung zu stellen. Hierzu kann der D 12 zu Folge auch der bereits aus der D 13 bekannte CDI verwendet werden, der hierzu kopiert und in die RRCPaging Nachricht eingefügt werden kann (Spalte 8, Zeile 11/14).
236
Damit dient das von der D 12 offenbarte Informationselement aber nicht dem klagepatentgemäß vorausgesetzten Zweck des Aufbaus einer Verbindung mit einem von mehreren gleichen Kernnetzwerkelementen. Zudem ist in der D 12 vorgesehen, dass allein das Benutzerendgerät die Auswahl trifft, welcher CDI verwendet wird (Spalte 8, Zeile 19/21). Dies entspricht letztlich auch dem technischen Zweck der D 12, eine Verbindung mit dem von dem spezifischen Benutzerendgerät benötigten Dienst herzustellen.
237
3. Schließlich kann die Beklagte auch nicht mit dem Argument durchdringen, dass bei der wie vorliegend erfolgten Auslegung des Klagepatents zumindest der im UMTS-Standard aus den Standardspezifikationen 3GPP TS 23.060 V3.1.1 (D 8, veröffentlicht am 18.05.2000), 3GPP TS 24.008 V3.3.1 (D 9, veröffentlicht am 25.04.2000), 3GPP TS 25.301 V3.4.0 (D 10, veröffentlicht am 22.03.2000) und 3GPP TS 25.331 (D 11, veröffentlicht am 06.04.2000) bekannte Gebietsbezeichner sämtliche anspruchsgemäßen Merkmale neuheitsschädlich vorwegnehme.
238
Gemäß Ziff. 14.7 der Entgegenhaltung D 8 ist im UMTS-Standard eine Routing Area Identity (RAI) vorgesehen, die dazu dient, eine bestimmte „Routing Area“, also ein bestimmtes Gebiet, eindeutig zu bestimmen. Der Beklagten zu Folge handelt es sich bei dem in den vorgenannten Standardspezifikationen verwendeten RAI indes aus dem Grund um einen klagepatentgemäßen Kernnetzwerkelementbezeichner, da nach der Entgegenhaltung D 8 im UMTS-Standard jede „Routing Area“ von nur einer SGSN versorgt wird („An RA is served by only one SGSN.“). In dieser Konstellation könne daher die im Stand der Technik bekannte RAI auch zu dem Zwecke verwendet werden, ein Kernnetzwerkelement zu identifizieren. Denn auf Grund der Einszu-Eins-Abdeckung einer „Routing Area“ durch eine SGSN war auf Basis der RAI automatisch auch die SGSN und damit ein Kernnetzwerkelement identifiziert. Die Beklagte verweist hierzu insbesondere auch auf Abs. [0029] des Klagepatents, wonach im Falle einer Netzwerkstruktur, in der ein Serviceknoten (SGSN) einem in einem RAI genannten, spezifischen Gebiet zugeordnet ist, die SGSN und damit eine Kernnetzwerkelement unproblematisch mit Hilfe des RAI bestimmt werden kann. Diese Argumentation greift nach Überzeugung der Kammer nicht durch.
239
Zwar ist die Feststellung an sich, dass in der von der Beklagten in Bezug genommen Einszu-Eins-Abdeckung einer Routing Area durch eine SGSN der RAI ein Kernnetzwerkelement identifizieren kann, zutreffend. Diese Feststellung beeinträchtigt aber nicht die Schutzfähigkeit der technischen Lehre, wie sie dem Klagepatent zu Grunde liegt. Das Klagepatent stellt sich gerade der Aufgabe, eine technische Lösung für eine Netzwerkarchitektur zu finden, in der in einer Routing Area mehrere Kernnetzwerkelement desselben Typs (wie im LTE-Standard etwa mehrere MMEs) vorhanden sind, um die Ausfallsicherheit in Wartungs- und Systemausfallsituationen zu verbessern. In diesen Fällen kann ein Kernnetzwerkelement gerade nicht über die RAI identifiziert werden. Vielmehr schlägt das Klagepatent hierfür die Verwendung eines Kernnetzwerkelementbezeichners als zusätzliches Informationselement vor. Dies ergibt sich gerade auch aus dem von der Beklagten zitierten Abs. [0029] der Klagepatentschrift. Dort heißt es weiter ausdrücklich, dass die Identifikation eines SGSN über die RAI dann nicht gewährleistet werden kann, wenn einem Gebiet parallel mehrere Serviceknoten zugeordnet sind. Für diesen Fall offenbart das Klagepatent die gerade vorteilhafte und letztlich unter Schutz gestellte Lösung, einen zusätzlichen Kernnetzwerkelementbezeichner zur Verfügung zu stellen.
240
Darüber hinaus stellt die Argumentation der Beklagten das Merkmal 3.4 insoweit verkürzt dar, als sie dieses mit dem Verweis auf die aus dem Stand der Technik bekannte RAI auf das Zurverfügungstellen eines Kernnetzwerkelementbezeichners reduziert. Denn unberücksichtigt bleibt insoweit, dass das Merkmal 3.4 über die Eignung, einen Kernnetzwerkelementbezeichner als Teil einer RRC-Nachricht an das Funkzugangsnetzwerk zu senden, voraussetzt, dass auf diesem Weg eine Verbindung mit einem von einem Satz von Kernnetzwerkelementen hergestellt werden kann. Diese Möglichkeit der Auswahl eines von mehreren gleichen Kernnetzwerkelementen setzt die Nutzung des klagepatentgemäßen Kernnetzwerkelementbezeichners voraus, der als solcher eben in einem klagepatentgemäß eingerichteten Netzumfeld nicht durch einen RAI ersetzt werden kann.
241
Diese Auslegung entspricht auch dem Grundsatz, dass in Fällen, bei denen in der Beschreibung ein bekannter Stand der Technik mit dem Oberbegriff eines Patentanspruchs gleichgesetzt wird, den Merkmalen des kennzeichnenden Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen ist, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen (BGH, GRUR 2019, 491, 493, Rn. 19 - Scheinwerferbelüftungssystem). Aus Abs. [0029] der Klagepatentschrift versteht der Fach…n, dass die RAI aus dem Stand der Technik bekannt ist und in der Konstellation einer Einszu-Eins-Abdeckung von Routing Area und SGSN daher mit der RAI zugleich die SGSN identifizieren kann. Zugleich lehrt Abs. [0029] aber, dass die RAI ein Kernnetzwerkelement nicht mehr identifizieren kann, wenn mehrere Kernnetzwerkelemente desselben Typs vorhanden sind. Für diese Situation offenbart das Klagepatent die Verwendung eines neuen Informationselements in Form des Kernnetzwerkelementbezeichners (siehe insb. KPS Abs. [0022], [0023]), das entweder zusätzlich zu der RAI (KPS Abs. [0024]) oder - etwa in einem virtuellen mobilen Netzwerk (KPS Abs. [0106]) oder wenn das Funknetzwerk nur einer Routing Area zugewiesen ist (KPS Abs. [0074]) - alleine für sich genommen verwendet werden kann, um eines aus mehreren Kernnetzwerkelementen desselben Typs auszuwählen.
242
4. Die weiteren, von den Nebenintervenientinnen zu 1) und 2) vorgelegten Entge genhaltungen stehen der Neuheit des Klagepatents ebenfalls nicht entgegen. Die nachfolgenden Entgegenhaltungen liegen allesamt weiter von der technischen Lehre des Klagepatents entfernt und wurden von der beklagten Seite in der mündlichen Verhandlung nicht weiter thematisiert:
243
a. Das Dokument 3GPP TSG_CN#6 mit dem Titel „TR on Work Item Turbo Charger“ (Anlagenkonvolut FBD 01, Anlage BDPE7) entspricht der bereits im Rahmen des Eintragungsverfahrens von der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamtes berücksichtigten Entgegenhaltung D1. Das Europäische Patentamt hat die Entgegenhaltung im Ergebnis als nicht neuheitsschädlich angesehen. Der Unterschied zu der technischen Lehre des Klagepatents liegt im Kern darin, dass die D1 das Bestehen einer RRC-Verbindung bereits voraussetzt. Der in der D1 offenbarte „Network Resource Identifier“ (NRI) wird gerade nicht zum Aufbau einer RRC-Nachricht hinzugefügt (vgl. S. 23 der Anlage … A 38).
244
b. Die Standardspezifikationen 3G TS 23.003 V3.4.0, 3G TS 25.331 V3.2.0 und 3G TS 23.002 V3.3.0 (Anlagenkonvolut FBD 01, Anlagen BDPE6A, BDPE6B und BDPE6C) offenbaren die auch von der Beklagten bereits benannte Routing Area Identity (RAI). Dass die Bezeichnung der RAI mittels eines „area identifiers“ die technische Lehre des Klagepatents nicht in neuheitsschädlicher Weise vorwegnimmt, wurde bereits ausgeführt (Ziff. C.III.3.).
245
Soweit sich aus den vorgenannten, aus dem Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt bekannten Standardspezifikationen weitere Identifikationselemente wie die TMSI („Temporary Mobile Subscriber Identity“) und P-TMSI („Packet Temporary Mobile Subscriber Identity“) ergeben, nehmen auch diese die Lehre des Klagepatents nicht neuheitsschädlich vorweg. Der technische Zweck der TMSI und P-TMSI liegt darin, in einem Netzwerk ein Benutzerendgerät eindeutig zu identifizieren, wobei zugleich dessen Vertraulichkeit sichergestellt werden soll, indem eine Übertragung der IMSI („International Mobile Subscriber Identity“) über das Netzwerk vermieden wird. Dies wird erreicht, indem einem Benutzerendgerät die TMSI/P-TMSI als temporäre Bezeichner zugewiesen werden. Entsprechende Informationselemente dienen aber nicht dazu, eines von einem Satz an Kernnetzwerkelementen zu bezeichnen. Das technische Ziel der Entgegenhaltungen ist folglich die Identifikation eines Teilnehmers in einem Netzwerk, nicht aber eines Kernnetzwerkelements. Diese Sichtweise wird letztlich dadurch bestätigt, dass im LTE-Standard die S-TMSI zur entsprechenden Bezeichnung eines Kernnetzwerkelements Verwendung findet. Die S-TMSI beinhalten aber gerade das zusätzliche Informationselement MME-Code und ist somit - wie ausgeführt - in der Lage, ein Kernnetzwerkelement zu bezeichnen.
246
c. Die Entgegenhaltung WO 01/03454 A1 (Anlagenkonvolut FBD 01, Anlage BDPE8, nachfolgend: WO‘454) ist ebenfalls nicht neuheitsschädlich. Der WO‘454 liegt die Aufgabe zu Grunde, die Interoperabilität verschiedener Netzwerktypen zu verbessern. Dabei werden bereits die Merkmale 2 und 2.1 (Hinzufügen des Kernnetzwerkelementbezeichners zu einer RRC-Nachricht zum Herstellen einer RRC-Verbindung) nicht offenbart. Überdies ist auch eine Offenbarung einer RRC-Verbindungsnachricht, die von dem Benutzerendgerät mitsamt einem angehängten Kernnetzwerkelementbezeichner an das Funknetzwerk gesendet wird (Merkmale 3., 3.1 und 3.2), der Entgegenhaltung nicht zu entnehmen.
247
d. Auch die Entgegenhaltung EP 1 094 675 A1 (Anlagenkonvolut FBD 01, Anlage BDPE9, nachfolgend: EP‘675) nimmt die Lehre des Klagepatents im Ergebnis nicht vorweg. Die EP‘675 offenbart die Bezeichnung der CN Domain Identität, um die Art des Netzwerkverkehrs (leitungs- oder paketvermittelt) zu unterscheiden. Auch hier fehlt daher bereits die Offenbarung eines Kernnetzwerkelementbezeichners sowie das Senden einer entsprechend mit dem Kernnetzwerkelementbezeichner gekennzeichneten RRC-Nachricht.
D.
248
Die Kammer setzt den Rechtsstreit gleichfalls nicht entsprechend § 148 ZPO aus, um das unter anderem von den Nebenintervenientinnen zu 2) und 3) beantragte sowie vom Bundeskartellamt in der mit Schreiben vom 24.06.2020 übersandten Stellungnahme vom 18.06.2020 betreffend das vor dem Landgericht …nheim zwischen … So. and Ne. O3. und D2. AG anhängige Verfahren, Az. 2 O 34/19, angeregte Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 2 AEUV durchzuführen. Dieser Ermessensentscheidung der Kammer liegen folgende Erwägungen zugrunde:
249
1. Die Kammer ist als erstinstanzliches Gericht nicht letzte Instanz und bereits aus diesen Gründen grundsätzlich zur Vorlage von Auslegungsfragen an den Gerichtshof der Europäischen Union berechtigt, aber nicht verpflichtet. Den tatrichterlichen Feststellungen zufolge liegt ein evidenter Fall erheblicher Lizenzunwilligkeit vor, so dass in der Sache auf Grund der seitens der Beklagten verfolgten Verzögerungstaktik nach den aus Sicht der Kammer klaren Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs eine kartellrechtswidrige Lizenzverweigerung seitens der Klägerin hier nicht erfolgt ist. Die Zulieferer können sich zudem wie ausgeführt vorliegend nicht auf den Lizenzeinwand berufen, da sie nicht unmittelbar verklagt wurden. Insofern greifen die seitens des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Huawei/ZTE definierten Kriterien ersichtlich nicht. Eigene (Leistungs-)Klagen auf Gewährung einer Lizenz hat keine der Nebenintervenientinnen erhoben.
250
2. Überdies ist bei der gebotenen Interessenabwägung dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents bereits grundsätzlich eine Vorrangstellung einzuräumen. Denn ansonsten würde für die Dauer der Aussetzung der Schutz des Klagepatents vor rechtswidrigen Patentverletzungen praktisch aufgehoben werden. Das gilt mit Blick auf das im vorliegenden Verfahren bereits am 19.01.2021 ablaufende Klagepatent im besonderen Maße.
251
3. Schließlich hat die Kammer im Rahmen des von ihr ausgeübten Ermessens auch berücksichtigt, dass die Klägerin, wie das Anfang des Jahres 2020 zunächst gemeinsam mit der Beklagten und deren Zulieferern avisierte Treffen zeigt, grundsätzlich bereit ist, über ein Lizenzregime auf Zulieferebene zu verhandeln und gegebenenfalls auch Zulieferer der Beklagten zu lizenzieren.
252
4. Nach alledem sieht die Kammer im vorliegenden Fall keine dahingehenden eu roparechtlichen Bedenken, die bereits eine Aussetzung des Verfahrens in erster Instanz mit entsprechender Vorlage an den Europäischen Gerichtshof rechtfertigen könnten.
E.
253
Der Antrag der Beklagten auf Leistung einer Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO ist zurückzuweisen. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, der Beklagten Prozesskostensicherheit zu leisten.
I.
254
Gemäß § 110 Abs. 1 ZPO haben Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit zu leisten. Bei einer juristischen Person ist dabei auf den tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft abzustellen (BGH, GRUR 2016, 1204 - Prozesskostensicherheit; noch offen gelassen von BGH, BGH, NJW-RR 2005, 148, 149).
255
Eine Gesellschaft hat ihren Verwaltungssitz dort, wo sich der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane befindet. Es ist der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGH, NJW-RR 2017, 1320, 1321; BGH, GRUR 2016, 1204, 1205 - Prozesskostensicherheit). Der Verwaltungssitz einer Konzernuntergesellschaft ist der Ort, an dem die Geschäftsführungs- und Vertretungsorgane dieser Gesellschaft tätig sind. Auf den Verwaltungssitz der Obergesellschaft kommt es nicht an. Dieses gilt auch dann, wenn die Obergesellschaft die Untergesellschaft konzernrechtlich beherrscht, weil auch in diesem Fall die Entscheidungen in der Obergesellschaft durch die Organe der Untergesellschaft vollzogen werden (OLG Karlsruhe, BeckRS 2018, 1935, Rn. 35 m. w. N.). Hat die Gesellschaft lediglich einen organschaftlichen Vertreter und unterhält sie an keinem anderen Ort Geschäftsräume, in denen dieser tätig ist, ist für ihren Verwaltungssitz der Aufenthaltsort ihres einzigen organschaftlichen Vertreters maßgebend (BGH, a.a.O.).
II.
256
Nach diesen Maßstäben unterhält die Klägerin ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Luxemburg und damit innerhalb der Europäischen Union.
257
1. Für ihre Behauptung, dass sich der tatsächliche Verwaltungssitz der klagenden Gesellschaft nicht in der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum befindet, ist der Beklagte beweispflichtig, weil dies eine Voraussetzung der für ihn günstigen Bestimmung des § 110 Abs. 1 ZPO ist (BGH, a.a.O.; Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 110 ZPO, Rn. 43). Vermag er plausible Anhaltspunkte aufzuzeigen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger seinen tatsächlichen Verwaltungssitz nicht in der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum hat, trifft den Kläger eine sekundäre Darlegungslast im Hinblick auf seine interne Organisation (OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 113388, Rn. 42; Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O.).
258
2. Im Streitfall hat die Beklagte zwar Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass unter der von der Klägerin angegebenen Adresse nur ein Hilton-Hotel ansässig sei und die Geschäfte maßgeblich von dem in den USA ansässigen Geschäftsführer Boris T. geführt werden. Allerdings ist die Klägerin ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen. Nach ihrem Vortrag liegen alle entscheidenden Anknüpfungspunkte für die Bestimmung des Verwaltungssitzes der Klägerin im Bereich der Europäischen Union. Die Beklagten haben diesen Vortrag nicht hinreichend widerlegt.
259
a. Soweit das OLG München für das Vorliegen eines tatsächlichen Verwaltungs sitzes eine gewisse organisatorische Verfestigung in Form von Räumlichkeiten verlangt, in denen die Geschäftsführungsorgane ihre Tätigkeit für das Unternehmen tatsächlich ausüben und sich an die Gesellschaft gerichtete Postsendungen wirksam zustellen lassen können (OLG München, BeckRS 2018, 21416, Rn. 40), ist diese Voraussetzung erfüllt.
260
Das Argument der Beklagten, wonach ein Gebäudekomplex, in dem neben einem Hotel als Service Wohn- und Geschäftsräume für eine Vielzahl von Personen und Gesellschaften zur Verfügung gestellt werden, derart weit von einem gewöhnlich eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetrieb sei, dass hier letztlich kein tatsächlicher Verwaltungssitz in der EU angenommen werden könne, verfängt nicht. Nach Ansicht der Kammer greift eine rein statische, am traditionellen Typus eines eine bestimmte Mindestanzahl an repräsentativen Räumlichkeiten an einem festen Standort unterhaltenden Unternehmens verhaftete Auslegung im Rahmen des § 110 ZPO zu kurz. Entscheidend ist vielmehr eine auf den Sinn und Zweck des § 110 ZPO konzentrierte Betrachtung, die den Entwicklungen im insbesondere zunehmend internationalen und globalen Geschäftsleben Rechnung trägt. Dabei ist Unternehmen bei der Auslegung des § 110 ZPO auch zuzubilligen, sich in zunehmend mobilen und nicht nur in rein standortfixierten Strukturen zu organisieren. Nichts anderes ist auch mit Blick auf den Zweck des § 110 ZPO gefordert. Der Zweck des § 110 ZPO liegt darin, die Beklagte vor Vollstreckungsschwierigkeiten außerhalb des Gebiets der EU und des EWR zu bewahren und ihr bei der Durchsetzung ihres Kostenerstattungsanspruchs Schutz zu gewähren (BGH, GRUR 2016, 1204, 1205 - Rn. 20 - Prozesskostensicherheit; Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 110 ZPO, Rn. 1 m. w. N.). Dies erfordert aber weniger feste, gewisse Mindestausmaße umfassende Bürostrukturen, denn eine im Gebiet der EU bzw. EWR beheimatete Unternehmensstruktur mit dort agierenden Organen, einer verlässlichen Zustellanschrift und einer hinreichend verlässlichen Haftungsmasse.
261
Dass mit Blick auf diese Voraussetzungen eine hinreichend organisatorische Verfestigung seitens der Klägerin gegeben ist, steht nach Ansicht der Kammer vorliegend außer Zweifel. Insbesondere handelt es sich bei dem Büro in Luxemburg um keine bloße Scheinanschrift. Die Klägerin hat durch Vorlage des von ihr abgeschlossenen Mietvertrages belegt, einen Büroraum angemietet zu haben und an ihrer entsprechenden geschäftlichen Anschrift über eine zustellfähige Adresse zu verfügen. Dass Zustellungen tatsächlich unter der Anschrift vorgenommen werden können, ist mit den Zustellungen im vorliegenden Verfahren hinlänglich belegt.
262
b. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin darüber hinaus zur Überzeugung der Kammer hinreichend substantiiert vorgetragen, dass grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung an ihrem Sitz in Luxemburg effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. Diese Ausführungen konnte die Beklagte nach Überzeugung der Kammer nicht widerlegen. Die Klägerin hat insoweit dargelegt, dass sie als Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung nach luxemburgischen Recht im Jahr 2011 gegründet wurde und ihr Festkapital über 3 Mio. US-Dollar beträgt. Sie hat ferner dargelegt, dass sie ein Unternehmen der C2.-Unternehmensgruppe ist, deren Kerngeschäft im Bereich „Intellectual Property …agement“ liegt. Die Unternehmensgruppe der Klägerin verfügt über Patentportfolien mit insgesamt etwa 2.400 Patenten. Die Klägerin hat insofern weiter dargelegt, dass sie Inhaberin des sogenannten „C2. Wireless Portfolios“ ist, das ca. 900 Patente und Patentanmeldungen umfasst. Sie hat schlüssig dargetan, dass sie an der angegebenen Adresse in Luxemburg Geschäftsräume angemietet hat und dass am Eingang des Büros ein Schild auf ihren Namen hinweist. Die Klägerin hat ferner dargetan, dass ihre Geschäfte derzeit von drei Geschäftsführern geführt werden. Als Geschäftsführer mit „Rang A“ ist Herr T. und als Geschäftsführer jeweils mit „Rang B“ sind die Herren P2. und Van B6. in das Handelsregister eingetragen, die beide in Luxemburg wohnen. Kein Geschäftsführer ist allein vertretungsberechtigt. Demensprechend hat die Klägerin aufgezeigt, dass etwa die Beauftragung externer Rechtsanwälte zur Beanstandung behördlicher Entscheidung in Patentanmeldeverfahren oder zur Verlängerung von Patenten ebenso wie die Abgabe von eidesstattlichen Versicherungen betreffend die Eigenschaft der Klägerin als Rechtsnachfolgerin eines Erfinders von Herrn P2. als verantwortlichem Geschäftsführer unterzeichnet wurden. Schließlich hat die Klägerin dargelegt, dass sie ihre Entscheidungen in monatlich und bei Bedarf auch öfter stattfindenden Vorstandssitzungen („board meetings“) trifft, die in Luxemburg abgehalten werden, bei der alle Geschäftsführer anwesend sind, so dass sich der Tätigkeitsort der Geschäftsführung dort befindet. Zugleich belegen die von der Klägerin vorgelegten Dokumente, dass die tatsächliche Geschäftsführung im Bereich der Patentverwaltung und damit im Kernbereich des unternehmerischen Tätigkeitsfeldes der Klägerin von ihrem Verwaltungssitz in Luxemburg aus geführt werden.
263
Dass sich dabei in dem von der Klägerin exemplarisch vorgelegten Protokoll zu einer Vorstandssitzung vom 28.06.2018 ein fehlerhafter Zeiteintrag findet, kann nicht die grundsätzliche Aussagekraft des Dokuments als Beleg einer Vorstandssitzung in Frage stellen, an der alle drei Geschäftsführer teilgenommen haben. Überdies hat die Klägerin fünf weitere Dokumente wie Anwaltsvollmachten und eidesstattliche Versicherungen vorgelegt, die allesamt von dem Geschäftsführer P2. unterzeichnet sind (Anlagenkonvolut … A 27). Das Argument der Beklagten, dass es sich insoweit um schlicht formale Unterzeichnungen handeln kann, erscheint vor diesem Hintergrund schon angesichts der Anzahl der Dokumente als bloße Behauptung. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Herr P2. hier falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben hat, sind von der Beklagten nicht dargetan.
264
Soweit die Beklagte zudem einwendet, dass nicht belegt sei, ob das seitens der Klägerin behauptete Betriebsvermögen von über 3 Mio. USD tatsächlich existiere, steht dies dem Argument der Klägerin, über eine hinreichende Haftungsmasse zu verfügen, schon deswegen nicht entgegen, weil die Klägerin nach insoweit unwidersprochener Einlassung über ein mehrere hundert Patente und Patentanmeldungen umfassendes Patentportfolio verfügt. Zweifellos handelt es sich bei Patenten um Vermögensgegenstände, die letztlich auch Gegenstand von Vollstreckungsmaßnahmen sein können.
265
c. Ohne Erfolg wenden die Beklagten weiter ein, dass der relevante Verwaltungssitz der Klägerin außerhalb der EU und des EWR liege, weil tatsächlich deren Geschäftsführer Boris T. allein entscheide, was sich auch daran zeige, dass er „President and CEO“ der Muttergesellschaft der Klägerin in Kanada sei.
266
aa. Es ist insoweit bereits im Ansatz unerheblich, ob ein Geschäftsführer zugleich Geschäftsführer der Muttergesellschaft ist. Auch in diesem Fall müssen die Entscheidungen der Muttergesellschaft, an denen er beteiligt gewesen oder diese sogar getroffen haben mag, durch die Organe der Tochtergesellschaft vollzogen werden, so dass es für die Bestimmung des Verwaltungssitzes entscheidend auf die Organisation der Tochtergesellschaft ankommt und nicht darauf, wer wen beherrscht.
267
bb. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass bei den in der Vergangenheit zwischen den Parteien geführten Lizenzverhandlungen nur Herr T. aufgetreten sei und die anderen Geschäftsführer keine Rolle gespielt hätten. Das Argument ist bereits aus rechtlichen Gründen irrelevant, da sich der tatsächliche Verwaltungssitz einer Gesellschaft nicht danach bestimmt, wo bestimmte operative Tätigkeiten tatsächlich umgesetzt werden. Die Tatsache, dass ein Geschäftsführer daher alleine in einem bestimmten Bereich operativ tätig war, erlaubt daher schon im Ansatz keinen Rückschluss auf die Frage, wo die geschäftswesentlichen Entscheidungen getroffen werden. Dieser Entscheidungsprozess erfolgt aber nach dem substantiierten Vortrag der Klägerin an deren Sitz in Luxemburg, wo sie - wie ausgeführt - ihre „board meetings“ abhält.
268
cc. Gleichfalls steht der Wohnsitz des Geschäftsführers T. in den USA dem in Luxemburg befindlichen tatsächlichen Verwaltungssitz der Klägerin nicht entgegen. Die Klägerin trifft die die Tätigkeit des Unternehmens inhaltlich beeinflussenden Entscheidungen in sog. „board meetings“, die in Luxemburg abgehalten werden müssen. Die Sitzungen werden nach dem substantiierten Vortrag der Klägerin von einem in Luxemburg anwesenden Geschäftsführer geleitet, der auch das Protokoll führt und unterzeichnet. An ihnen nehmen jedenfalls die übrigen zwei Geschäftsführer mit dem „Rang B“ persönlich teil. Ob Herr T. an diesen Sitzungen persönlich oder, wie die Beklagten vorbringen, lediglich telefonisch teilnimmt, kann offen bleiben, weil es nicht auf seinen Aufenthaltsort, sondern auf den Ort ankommt, an dem diese Vorstandssitzungen („board meetings“) stattfinden. Denn kein Geschäftsführer der Klägerin ist allein vertretungsberechtigt. Die für die Klägerin wesentlichen Entscheidungen werden in den Vorstandssitzungen getroffen und nach dem Gesellschaftsvertrag der Klägerin ist stets das Zusammenwirken eines Geschäftsführers mit dem „Rang A“ mit mindestens einem Geschäftsführer mit dem „Rang B“ erforderlich, so dass vor diesem Hintergrund (jedenfalls für die Frage der Prozesskostensicherheit) die geschäftswesentlichen Entscheidungen in Luxemburg getroffen werden.
269
d. Weiter kann die Beklagte ihr Argument, dass tatsächlich alleine Herr T. als Geschäftsführer für die Klägerin tätig sei und daher der Verwaltungssitz außerhalb des Gebiets EU/EWR liege nicht damit begründen, dass es sich bei den Geschäftsführern P2. und van B6. um bloße Schein-Geschäftsführer handele. Allein aus der Tatsache, dass Herr P2. ausländische Unternehmen bei der Errichtung und Betreuung von Tochterfirmen in Luxemburg unterstützt, folgt nicht, dass er für die Klägerin nur zum Schein tätig ist. Wie ausgeführt, hat die Klägerin vielmehr an Hand exemplarischer, von Herrn P2. unterzeichneter Dokumente dargelegt, dass er in die Geschäftsführung tatsächlich eingebunden ist. Überdies ist aus der von der Klägerin vorgelegten Anlage … A 23 ersichtlich, dass Herr P2. bereits den ursprünglichen Mietvertrag für die Klägerin gemeinsam mit dem damaligen …ager Matthias Schneider unterzeichnet hat.
270
Hinsichtlich des weiteren Geschäftsführers van B6., der seinerseits ebenfalls in Luxemburg ansässig ist, sind im Ergebnis ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, welche die Annahme rechtfertigen könnten, dass die Geschäftsführerbestellung nur zum Schein erfolgt ist. Im Gegenteil ist Herr van B6. in dem von der Klägerin exemplarisch vorgelegten Protokoll zum „board meeting“ vom 28.06.2018 (Anlage … A 26) als weiterer teilnehmender Geschäftsführer aufgeführt.
271
e. Die vorliegende Auslegung steht auch im Einklang mit dem Urteil des Oberlan desgerichts München vom 22.02.2018 (BeckRS 2018, 21416, Rn. 41), weil dort - anders als hier - der Tätigkeitsort eines der zwei Geschäftsführer außerhalb der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums (konkret in den USA) gewesen ist, während im Streitfall der Tätigkeitsort der Geschäftsführer wegen der gemeinsamen Geschäftsführung und der Vorstandssitzungen in Luxemburg liegt. Überdies hat die Klägerin im Unterschied zu der der Entscheidung des Oberlandesgerichts München zu Grunde liegenden Fallkonstellation dargetan, dass insbesondere für den Kern der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin maßgebliche Entscheidungen betreffend die Pflege und Verwaltung ihres Patentportfolios nachweislich in Luxemburg getroffen werden.
F.
272
Der Antrag der Klägerin, die Zulassung der Nebenintervenientin zu 9) zurückzuweisen, war abzulehnen. Die Nebenintervenientin zu 4) hat der Nebenintervenientin zu 9) den Streit gemäß § 72 Abs. 1 ZPO zulässig verkündet. Das insoweit erforderliche rechtliche Interesse auf Seiten der Streitverkündenden, der Nebenintervenientin zu 4), liegt vor. Die Nebenintervenientin zu 9) ist überdies Dritte im Sinne von § 72 Abs. 1 ZPO.
273
Gemäß § 72 Abs. 1 ZPO muss die streitverkündende Partei ein dahingehendes rechtlicher Interesse geltend machen, für den Fall des Prozessverlustes entweder einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen den Dritten zu haben oder einem Anspruch des Dritten ausgesetzt zu sein. Dem BGH zu Folge ist die Streitverkündung zulässig, wenn die fragliche Partei im Zeitpunkt der Streitverkündung aus in diesem Augenblick nahe liegenden Gründen für den Fall des ihr ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt (BGH, NJW 1976, 39, 40; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 17. Auflage 2020, § 72 ZPO, Rn. 6 m. w. N.). Entsprechend nachvollziehbare Gründe für die Annahme eines möglichen Regressanspruchs gegen die Nebenintervenientin zu 9) waren im Zeitpunkt der Streitverkündung gegeben. Zwischen den Nebenintervenientinnen zu 4) und 9) besteht ein Vertriebsvertrag (Anlage TTI3, Anlage TT5). Auf Grundlage dieses Vertrages erwirbt die Nebenintervenientin zu 4) Vertragsprodukte von der Nebenintervenientin zu 9) zum Weiterverkauf an die Beklagte. Soweit Vertragsprodukte das Klagepatent der Klägerin verletzen, wären diese mit einem Rechts…gel behaftet, der in naheliegender Weise Gewährleistungsansprüche gegen die Nebenintervenientin zu 9) begründen könnte. Ob - wie die Klägerin einwendet - einzelne Risiken hierbei bei der Nebenintervenientin zu 4) verbleiben, kann dahinstehen, da eine Haftung auch nach dem Vortrag der Klägerin jedenfalls nicht vollständig ausgeschlossen ist. Die Frage, ob ein vollständiger Haftungsausschluss geeignet wäre, das rechtliche Interesse an einer Streitverkündung gemäß § 72 Abs. 1 ZPO auszuschließen, kann daher vorliegend offen gelassen werden.
274
Die Nebenintervenientin zu 9) ist Dritter im Sinne von § 72 Abs. 1 ZPO. Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, dass es sich um ein mit der Nebenintervenientin zu 4) konzernverbundenes Unternehmen handelt. Die Nebenintervenientinnen zu 4) und 9) sind als eigenständige juristische Personen organisiert. Die aus dem Kartellrecht bekannte Erwägung, konzernverbundene Unternehmen als ein Unternehmen zu betrachten, können mit Blick auf die unterschiedliche Regelungsintention des § 72 Abs. 1 ZPO hierbei nicht herangezogen werden. Im Kartellrecht können konzernmäßig verbundene Unternehmen als ein Unternehmen zu behandeln sein, wenn diese als wirtschaftliche Einheit anzusehen sind, mit der Folge, dass gegebenenfalls ein Kartellverstoß einer Konzerntochter der Konzernmuttergesellschaft zugerechnet werden kann (grundlegend EuGH, 10.09.2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:ECLI:EU:C:2009:536; Rn. 58 - Akzo Nobel; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2019, Art. 101 AEUV, Rn. 31, 32 m. w. N.). Dem liegen indes spezifisch wettbewerbliche Erwägungen zu Grunde, die in § 72 Abs. 1 ZPO keine Berücksichtigung finden können. § 72 Abs. 1 ZPO will als solches selbständige Unternehmen letztlich vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme schützen. Damit zielt die Regelung auf das Unternehmen als individuell betroffenes Haftungsobjekt, dem im Interesse einer möglichst frühzeitigen Wahrung seiner Interessen die Gelegenheit gegeben werden soll, einen es selbst möglicherweise nachteilig betreffenden Rechtsstreit zu eigenen Gunsten beeinflussen zu können. Letztlich bestätigt dies auch die Regelung des § 72 Abs. 3 ZPO. Demzufolge geht auch der Gesetzgeber der Grundkonzeption der Regelungen zur Teilnahme Dritter an einem zwischen zwei Parteien anhängigen Rechtsstreit davon aus, dass eine entsprechende Teilnahme nicht nur einstufig auf einer vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufe möglich ist, sondern dass mehrstufige Beteiligungen Dritter möglich sind.
275
Das Argument der Klägerin, dass im Falle der Zulassung der Nebenintervenientin zu 9) beliebig viele Gesellschaften eines Konzernverbundes unter dem Formalhinweis auf bestehende interne Vereinbarungen und Andeutung eines Interesses einem Rechtsstreit beitreten könnten, verfängt nicht. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass allein die Tatsache des Bestehens einer konzernmäßigen Verbindung ein rechtliches Interesse, einem Rechtsstreit beizutreten, nicht begründen kann. Vorliegend erschöpft sich das seitens der Nebenintervenientin zu 4) dargetane rechtliche Interesse an der Streitverkündung indes nicht in der bestehenden konzernmäßigen Verbindung. Vielmehr hat die Nebenintervenientin zu 4) einen zwischen ihr und der Nebenintervenientinnen zu 9) abgeschlossenen Vertriebsvertrag vorgelegt, der eine konkrete rechtliche Grundlage für mögliche Regressansprüche im Verhältnis der beiden Nebenintervenientinnen darstellt.
G.
276
Die Nebenentscheidungen zu den Kosten sowie zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 709 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
277
1. Die Sicherheitsleistung ist grundsätzlich so zu bemessen, dass alle Schäden der Beklagten, die dieser durch die Vollstreckung des später aufgehobenen oder abzuändernden Urteils entstehen können, abgedeckt sind (Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 709 ZPO Rn. 3). Der Höhe nach ist der drohende Vollstreckungsschaden gemäß § 108 ZPO durch das Gericht nach freiem Ermessen zu schätzen. Dabei legt die Kammer der Bemessung der Höhe der Vollstreckungssicherheit die Erwägung zu Grunde, dass für die Berechnung des nach § 717 Abs. 2 ZPO erstattungsfähigen Schadens auf die §§ 249 ff. BGB abgestellt werden muss (Ulrici in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 38. Edition, 01.09.2020, § 717 ZPO, Rn. 15 m. w. N.). Zu ersetzen ist damit der sämtliche Schaden, der adäquatkausal durch die Vollstreckung entstanden ist (Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 717 Rn. 10). Zugleich finden aber auch die Grundsätze des Mitverschuldens gemäß § 254 BGB Anwendung (vgl. Ulrici in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 38. Edition, 01.09.2020, § 717 ZPO, Rn. 15 m. w. N.). Daher ist nach Auffassung der Kammer auch eine Schadensminderungspflicht der Beklagten im Rahmen der Bemessung des Vollstreckungsschadens und damit bei der Bestimmung der von der Klägerin zu leistenden Prozesskostensicherheit zu berücksichtigen.
278
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes: Unmittelbare Folge der Vollstreckung des vorliegenden Urteils wäre, dass die Beklagte die Herstellung sämtlicher LTEfähiger Kraftfahrzeuge einzustellen hätte. Damit würde ihr ein unmittelbarer Vollstreckungsschaden in Höhe des der Beklagten entgangenen Gewinns bezogen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entstehen. Vorliegend ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Beklagten über die Erfüllung des Urteilstenors hinaus auch die Möglichkeit zur Verfügung steht, die ausgeurteilten Rechtspflichten dadurch zu erfüllen, dass sie den aktuellen rechtswidrigen Zustand der Nutzung des Klagepatents der Klägerin durch Abschluss des zuletzt am 30.06.2020 angebotenen Lizenzvertrages beseitigt oder einen Lizenzvertrag mit A. abschließt. Ein entsprechender Vertrag könnte unter den Vorbehalt der rechtskräftigen Verurteilung gestellt werden, wogegen sich auch die Klägerin nach Ansicht der Kammer in der Vollstreckung nicht widersetzen könnte.
279
Ein solches Vorgehen entspräche letztlich der aus § 254 BGB resultierenden, allgemeinen Schadensminderungspflicht. Angesichts des signifikant höheren Schadensszenarios im Falle der Unterlassung der Herstellung von Kraftfahrzeugen geht die Kammer auch mit Blick auf die der Beklagten als börsennotiertes Unternehmen obliegenden Pflichten davon aus, dass der Weg über den Abschluss eines Lizenzvertrages nicht nur rechtlich geboten, sondern auch wirtschaftlich realistisch ist (so im Ergebnis auch Landgericht München I, Endurteil vom 10.09.2020, Az. 7 O 8818/19 sowie Urteil vom 30.09.2020, 21 O 13026/19).
280
2. Der Höhe nach ist der drohende Vollstreckungsschaden mit 5.000.000,00 EUR zu bewerten.
281
Zur Berechnung des drohenden Vollstreckungsschadens hat die Kammer den klägerseits für 4G-fähige Ausführungsformen geltend gemachten Lizenzsatz mit der Anzahl der Jahre der Mindestlaufzeit des von der Klägerin am 30.06.2020 vorgelegten, geänderten Lizenzvertragsangebotes sowie der Anzahl von Fahrzeugen multipliziert, welche die Beklagte jährlich in der Bundesrepublik Deutschland herstellt. Dabei berücksichtigt die Kammer die zentrale Bedeutung Deutschlands als Produktionsstandort der Beklagten und die Tatsache, dass eine Vollstreckung auf der Grundlage des vorliegenden Urteils nur in Deutschland erfolgen kann.
282
Die Beklagte hat insoweit folgende Produktionszahlen in Deutschland für das Jahr 2018 vorgetragen: 1.040.000 Pkw; ca. 200.000 Vans sowie ca. 105.000 Nutzfahrzeuge. Zu Gunsten der Beklagten und unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses an einer Absicherung des vollständigen Vollstreckungsschadens hat die Kammer dabei den für 4G-fähige Fahrzeuge maßgeblichen Lizenzsatz aus dem Lizenzangebot vom 30.06.2020 zu Grunde gelegt und keinen Abzug für Fahrzeuge vorgenommen, die nur 3G- oder 2G-Funktionalitäten oder weder 4G-, 3G- noch 2G-Funktionalitäten verbauen. Dies trägt zugleich der Erwägung Rechnung, dass die vorliegende lizenzanaloge Schadensbetrachtung in die Zukunft gerichtet und insofern davon auszugehen ist, dass zunehmend mehr Fahrzeuge mit Telekommunikationsfunktionalitäten ausgestattet werden.
283
Demnach hat die Kammer die Sicherheitsleistung wie folgt berechnet: 1.345.000 Fahrzeuge * 5 Jahre Mindestvertragslaufzeit * 0,87 USD = 5.850.750,00 USD. Mit Umrechnungskurs vom 23.10.2020 ergibt sich hieraus ein Betrag in Höhe von 4.937.126,13 EUR, den die Kammer für die Zwecke der Bemessung der Sicherheitsleistung auf den Betrag von 5.000.000,00 EUR aufgerundet hat.
284
3. Für die Zwangsvollstreckung des Auskunftsanspruchs hält die Kammer eine Sicherheitsleistung von 500.000,00 EUR für ausreichend (1/10 der obigen Sicherheitsleistung).
285
4. Vorsorglich hat die Kammer die Sicherheitsleistung für den Kostenausspruch im Übrigen auf 110% des vollstreckbaren Betrags festgesetzt.
286
5. Der Vollstreckungsschutzantrag der Beklagten nach § 712 ZPO wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat keinen „nicht zu ersetzenden Nachteil“ dargetan.
H.
287
Soweit die Beklagte und die Nebenintervenientin zu 8) jeweils mit Schriftsatz vom 21.10.2020 beantragt haben, den Verkündungstermin um zwei Wochen zu vertagen, sieht die Kammer keinen Anlass, dem zu entsprechen.
288
Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Aus den vorbezeichneten Anträgen ergibt sich kein Anlass, den Verkündungstermin zu vertagen oder in die mündliche Verhandlung wieder einzutreten. Es ist nicht vorgetragen, dass eine wirksame vertragliche Vereinbarung abgeschlossen wurde, die dazu führen könnte, dass für den vorliegenden Rechtsstreit relevante Produkte nicht mehr als rechtsverletzend angesehen werden könnten. Der Nebenintervenientin zu 8) zufolge ist lediglich von einer „außergerichtlichen Verständigung“ die Rede, ohne dass deren Rechtscharakter in nachvollziehbarer Art dargelegt wurde. Zudem soll diese Verständigung der Nebenintervenientin zu 8) zu Folge unter einem Vorbehalt stehen bzw. vom Eintritt von - wie auch immer gearteten - Bedingungen abhängig sein („vorbehaltlich bestimmter Bedingungen“).
289
Dazu kommt, dass die Nebenintervenientin zu 8) noch mit Schriftsatz vom 20.10.2020 ausdrücklich vorgetragen hat, dass die Klägerin das Gericht „mit Unwahrheiten bedient“ und es „damals schlicht falsch war und dies noch heute unverändert falsch ist“, wenn sie behauptet, der Nebenintervenientin ein Lizenzangebot unterbreitet zu haben.
290
Nichts anderes ergibt sich aus dem Antrag der Beklagten. Die Beklagte verweist lediglich darauf, den Vertagungsantrag der Nebenintervenientin zu 8) erhalten zu haben und zieht daraus die Schlussfolgerung, dass es eine außergerichtliche Einigung gegeben habe.
291
Soweit die Beklagte insoweit beantragt, eine ihr in der Sache unbekannte Vereinbarung vorlegen zu lassen, war dem ebenfalls nicht stattzugeben. Für die Begründung des vorliegenden Urteils kommt es - wie ausgeführt - auf die Lizenzierung im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Nebenintervenientin nicht an. Insoweit war entscheidend, dass die Beklagte der Klägerin gegenüber nicht lizenzbereit war. Dazu kommt, dass der Abschluss einer wirksamen Vereinbarung von der Nebenintervenientin zu 8) nicht vorgetragen ist.