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LG München I, Endurteil v. 14.12.2020 – 4 HK O 2029/20
Titel:

Unzulässige gesundheitsbezogene Werbung für Nahrungsergänzungsmittel

Normenketten:
UWG § 3, § 3a
VO (EG) Nr. 1169/2011 Art. 7 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 lit. a, lit. b
Leitsätze:
1. Art. 7 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1169/2011 stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Werbeaussage „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ auf einer Umverpackung eines Nahrungsergänzungsmittels, auf der zudem aufgedruckt ist, dass das Produkt hochaktive Darmsymbioten erhält und mit 10 natürlich im menschlichen Darm vorkommenden, vermehrungsfähigen Bakterienkulturen ausgestattet ist, enthält einen Krankheitsbezug und verstößt gegen Art. 7 Abs. 3 und Abs. 4 lit. a und b der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011. (Rn. 21 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die zusätzliche Werbeaussage „Wissenschaftlich geprüft“ auf einer entsprechenden Umverpackung verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, weil die angesprochenen Verkehrskreise dies dahin gehend verstehen werden, dass das Produkt zu jedem denkbaren Antibiotikum einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen wurde und diese Prüfung erfolgreich war, während vorgelegte Studien sich nur mit einem Antibiotikum befassen. (Rn. 27 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
LMIV
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Urteil vom 15.12.2022 – 29 U 386/21
Fundstellen:
LMuR 2021, 119
GRUR-RS 2020, 44710
LSK 2020, 44710

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer,
zu unterlassen,
im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu Wettbewerbszwecken das als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebrachte Erzeugnis
wie folgt zu bewerben bzw. bewerben zu lassen:
1. mit der Angabe
„ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM"
und/oder
2. mit der Angabe
„Wissenschaftlich geprüft“
wenn dies geschieht wie in den Anlagen K 6 und/oder K 15 wiedergegeben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 10.000,-, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein Verein i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG mit dem Vereinszweck, u.a. „den unlauteren Wettbewerb in allen Erscheinungsformen im Zusammenwirken mit Behörden und Gerichten zu bekämpfen“, wendet sich dagegen, dass die Beklagte ein Nahrungsergänzungsmittel, welches 10 Bakterienkulturen enthält, mit den Werbeaussagen „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ und „Wissenschaftlich geprüft“ bewirbt.
2
Wie sich aus der als Anlage K 6 in Kopie vorgelegten Produktverpackuna ergibt, vertreibt die Beklagte ein Nahrungsergänzungsmittel unter der Bezeichnung … und bewirbt dieses auf der Umverpackung mit den streitgegenständlichen Werbeaussagen.
3
Ein namensgleiches Erzeugnis war (mit der sich aus der Analge K 9 ergebenden Umverpackung) im Jahr 2016 als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke vertrieben worden; dies hatte zu einem einstweiligen Verfügungsverfahren zwischen den Parteien mit entsprechendem Vergleichsabschluss geführt (vgl. die Anlagen K 10 und K 11).
4
Die streitgegenständlichen Werbeaussagen „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ und „Wissenschaftlich geprüft“ werden ausweislich des als Anlage K 15 vorgelegten Screenshots auch auf der Website der Beklagten verwendet.
5
Die Werbeaussagen waren auch Gegenstand eines einstweiligen Verfügungsverfahrens vor dem Landgericht Cottbus, welches dem (mit dem hier gestellten Klageantrag im Wesentlichen identischen) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem als Anlage K 28 vorgelegten Urteil stattgab. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hob dieses Urteil auf, weil es weder einen Verstoß gegen das Verbot krankheitsbezogener Werbung noch gegen das Verbot gesundheitsbezogener Werbung sah, da bereits nicht erkennbar sei, auf welche Krankheit sich die Bezeichnung beziehen solle (OLG Brandbendburg, ZLR 2019, 568 bis 574).
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Der Kläger trägt vor, der Hinweis „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ habe Krankheitsbezug. Die Angabe vermittle gezielt die Information, dass das Mittel in jedem Fall, in dem ein Antibiotikum eingenommen werde, mit einzunehmen sei. Der Krankheitsbezug werde „über die Bande“ hergestellt. Statt unmittelbar auf die Krankheit zu verweisen werde auf das Arzneimittel verwiesen, das im Fall einer Krankheit einzunehmen sei. Das Mittel, das zuvor mit dem Zusatz „AAD“ (für Antibiotika-assoziierte Diarrhoe) bezeichnet worden, sei ziele auf die Behandlung/Linderung von Krankheiten, da die Beeinträchtigung der Darmflora durch Antibiotika und der hierdurch ausgelöste Durchfall als Krankheit anzusehen sei.
7
Die angegriffene Werbeaussage „Wissenschaftlich geprüft“ sei irreführend und deshalb unzulässig. Die Aussage könne nicht isoliert betrachtet werden, sondern sei im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Werbung zu werten. Sie könne sich nur auf die Werbebotschaft beziehen, welche von der Produktaufmachung insgesamt vermittelt werde, und zwar insbesondere auf die Aussage „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“. Die Behauptung der Beklagten im vorausgegangenen Verfügungsverfahren, Antibiotika würden alle in gleicher Weise wirken, weshalb die dort vorgelegte Untersuchung, die nur ein einziges Antibiotikum betreffe, nämlich Amoxicillin, für alle weiteren Antibiotika Geltung beanspruchen könne, sei hanebüchen. Die Beklagte könne keine Untersuchung vorlegen, mit der eine wissenschaftliche Überprüfung zu jedem Antibiotikum stattgefunden habe. Die Beklagte behaupte vielmehr eine umfassende wissenschaftliche Absicherung, wo in Wirklichkeit gerade mal eine einzige Untersuchung mit einem einzigen Antibiotikum durchgeführt worden sei.
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Der Kläger stellt folgende Anträge:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer,
zu unterlassen,
im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu Wettbewerbszwecken das als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebrachte Erzeugnis
wie folgt zu bewerben bzw. bewerben zu lassen:
1. mit der Angabe
„ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM"
und/oder
2. mit der Angabe
„Wissenschaftlich geprüft“
wenn dies geschieht wie in den Anlagen K 6 und/oder K 15 wiedergegeben.
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Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
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Was die von der Klägerseite behauptete ähnliche optische Ausgestaltung des Nahrungsergänzungsmittels und es vormaligen diätetischen Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke angehe, so sei festzustellen, dass sich die Produkte grundlegend unterschieden, da sie sich an unterschiedliche Personenkreise wenden würden.
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Entgegen der Annahme des Klägers begründe die Aussage „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ auch keine unzulässige krankheitsbezogene Werbung. Sie verdeutliche dem Verbraucher lediglich, dass die Produkte zur begleitenden Versorgung mit Nährstoffen bzw. sonstigen Stoffen während der Verwendung von Antibiotika als Nahrungsergänzungsmittel einzusetzen seien. Wie sich aus den als Anlagen B 2 bis B 9 vorgelegten Unterlagen ergebe, sei in der Wissenschaft geklärt, dass Antibiotika zu Veränderungen der menschlichen Darmflora führen könnten und die Zufuhr von natürlichen Bakterienkulturen ernährungsphysiologisch in diesem Fall sinnvoll sei.
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Im Übrigen müssten Nahrungsergänzungsmittel gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 NemV mit dem Namen der Kategorien von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen, die für das Erzeugnis kennzeichnend sind, oder einer Angabe zur Charakterisierung dieser Nährstoffe oder sonstiger Stoffe gekennzeichnet werden. Hier bestehe der Zweck des Produktes darin, den menschlichen Körper mit natürlichen, im menschlichen Darm vorkommenden Bakterien zu versorgen. Damit stelle die Aussage „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ bereits eine Pflichtangabe dar. Solche Pflichtangaben seien aber nach der Rechtsprechung des BGH von vornherein nicht wettbewerbsrechtlich unlauter.
13
Dass kein Krankheitsbezug hergestellt werde, ergebe sich aus dem Urteil des OLG Brandenburg. Es sei schon nicht erkennbar, welche Krankheit mit der Bezeichnung in Bezug genommen werden solle.
14
Auch die Aussage „Wissenschaftlich geprüft“ sei vom OLG Brandenburg nicht als irreführend bewertet worden. Wenn schon durch die Angabe „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ eine krankheitsbezogene Werbung nicht glaubhaft gemach sei, könne auch nicht festgestellt werden, dass der Verpackungsaufdruck „Wissenschaftlich geprüft“ sich auf eine solche Werbung beziehe. Hinzu komme, dass sich die Angabe „Wissenschaftlich geprüft“ auch auf andere auf der Produktverpackung enthaltene Angaben beziehen könne, etwa auf die Vermehrungsfähigkeit der verwendeten Bakterienstämme oder darauf, dass die Inhaltsstoffe geprüft wurden und tatsächlich im Produkt enthalten seien.
15
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der zulässigen Klage war in vollem Umfang stattzugeben:
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1. Hinsichtlich der Werbeaussage der Beklagten „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ folgt der Anspruch auf Unterlassung aus §§ 8, 3 Abs. 1, 3 a UWG i.V.m. Artikel 7 Abs. 3 und 4 a und b der EU-Verordnung 1169/2011 (LMIV).
18
a. Nach § 3 a UWG handelt insbesondere unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Art. 7 Abs. 3 der Verordnung EU 1169/2011 stellt eine derartige Marktverhaltensregelung dar (vgl. BGH GRUR 2008, 1118 zum Verbot krankheitsbezogener Werbung in § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB a.F. sowie OLG Düsseldorf, Grur-RR 2016, 40).
19
b. Die streitgegenständliche Werbeaussage „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ der Beklagten, wie sie in den Anlagen K 6 und K 15 verwendet wird, verstößt gegen Artikel 7 Abs. 3 und 4 a. und b. der LMIV. Hiernach dürfen Informationen über ein Lebensmittel diesem keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen.
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Jedenfalls Letzteres entsteht durch den angegriffenen Ausdruck auf der als Anlage K 6 in Kopie vorgelegten Umverpackung des Produkts der Beklagten.
21
Direkt unterhalb des Aufdrucks „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ auf der einen Seite der Umverpackung steht, dass das Produkt hochaktive Darmsymbioten erhält und mit 10 natürlich im menschlichen Darm vorkommenden, vermehrungsfähigen Bakterienkulturen ausgestattet ist.
22
Jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise weiß, dass Antibiotika gerade diese, im menschlichen Darm vorkommenden vermehrungsfähigen Bakterienkulturen angreifen bzw. teilweise zerstören. Die Beklagte wirbt durch den Aufdruck „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ daher für den angesprochenen Verbraucher hinreichend erkennbar damit, dass die im menschlichen Darm vorkommenden, vermehrungsfähigen Baktierienkulturen, die durch die Antibiotikum-Einnahme angegriffen wurden, durch das angebotene Nahrungsergänzungsmittel positiv beeinflusst werden können. Hiermit wird jedenfalls der Eindruck erweckt, das angepriesene Nahrungsergänzungsmittel habe Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit, nämlich der aufgrund der Antibiotikum-Einnahme zerstörten oder angegriffenen Darmflora.
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Entgegen der im Urteil des OLG Brandenburg vertretenen Auffassung ist es nach Ansicht der Kammer jedenfalls in der konkret angegriffenen Form der Umverpackung für die angesprochenen Verbraucher durchaus erkennbar, welche Krankheit mit der Bezeichnung „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ in Bezug genommen werden soll.
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c. Noch deutlicher ergibt sich der Krankheitsbezug aus der Werbung gemäß Anlage K 15, die ebenfalls Gegenstand des Tenors ist.
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Hier wird deutlich ausgeführt, dass Antibiotika nicht nur Krankheitserreger zerstören, sondern auch ganze Stämme der „guten“ Darmbakterien. Deshalb sei es gerade bei einer Antibiotika-Therapie wichtig, dem Körper „Nachschub“ in Form von natürlich im menschlichen Darm vorkommenden Bakterien zuzuführen. Dieser Text, der eindeutig Krankheitsbezug hat, wird mit der Überschrift „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ eingeleitet mit der Folge, dass ganz klar erkennbar ist, welche Krankheit mit der Bezeichnung „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ in Bezug genommen werden soll.
26
d. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird ihr durch Ziffer I. des Urteilstenors hinsichtlich der Angabe „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ auch keine Pflichtangabe gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 NEMV untersagt. Zutreffend ist zwar, dass Pflichtangaben von vornherein nicht wettbewerbsrechtlich unlauter sein können. Mit dem Verbot der Bewerbung „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“, die die in dem Präparat enthaltenen Nährstoffe gerade nicht enthält, werden der Beklagten diese Pflichtangaben jedoch in keiner Weise verboten.
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2. Der Unterlassungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der Werbeaussage „Wissenschaftlich geprüft“ folgt aus §§ 8, 3 Abs. 1, 3 a UWG i.V.m. Artikel 7 Abs. 1 der EU-Verordnung 1169/2011.
28
Hiernach dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein. Bei einer Prüfung der Irreführung ist eine Gesamtwürdigung der Werbeaussage durchzuführen. Durch die räumliche Positionierung des Zusatzes „Wissenschaftlich geprüft“ auf der Vorderseite und Rückseite der Umverpackung des Nahrungsergänzungsmittels, auf der auch die Werbeaussage „ZU JEDEM ANTIBIOTIKUM“ steht, werden die angesprochenen Verkehrskreise die Aussage „Wisschenschaftlich geprüft“ so verstehen, dass das Produkt der Beklagten zu jedem denkbaren Antibiotikum einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen wurde und diese Prüfung erfolgreich war. Dies ist jedoch unstreitig nicht der Fall. Insbesondere reicht es nicht aus, Studien vorzulegen, die sich nur mit einem Antibiotikum befassen.
29
Dass Teile der angesprochenen Verbraucher die Angabe „Wissenschaftlich geprüft“ auch auf andere auf der Produktverpackung enthaltene Angaben beziehen können, etwa auf die Vermehrungsfähigkeit der verwendeten Bakterienstämme oder darauf, dass die Inhaltsstoffe geprüft wurden und tatsächlich im Produkt enthalten sind (so das OLG Brandenburg) ändert hieran nichts. Auch in diesem Fall läge eine nach Artikel 7 Abs. 1 der NemV verbotene Irreführung vor, weil auf der angegriffenen Werbeaussage gerade nicht eindeutig ersichtlich ist, was wissenschaftlich geprüft wurde.
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Der Klage war daher in vollem Umfang mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO stattzugeben.
31
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.