Titel:
Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Berufungsverfahren
Normenketten:
ZPO § 719 Abs. 1, § 707
GebrMG § 3 Abs. 1 S. 2, § 5 Abs. 1
PatG § 83
Leitsatz:
Einem qualifizierten Hinweis des BPatG gemäß § 83 PatG kommt im Rahmen der Prüfung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Regel eine erhebliche Bedeutung zu, da dieser in der Regel maßgebliche Anhaltspunkte in Bezug auf den zu erwartenden Ausgang des Verfahrens vor dem BPatG liefert. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Halter, Nachweis, Zwangsvollstreckung, Fachmann, Gebrauchsmuster, Verletzung, Einstellung, Neuheit, Patentanmeldung, Auslegung, Offenbarung, Unterlassung, Vorrichtung, Einstellung der Zwangsvollstreckung, einstweilige Einstellung, Stand der Technik
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 20.11.2019 – 21 O 2631/18
Fundstelle:
GRUR-RS 2020, 20345
Tenor
Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 20.11.2019 - 21 O 2631/18 - wird im Umfang der Verurteilung gemäß Tenor I., II. und III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 2,8 Millionen einstweilen eingestellt.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des am 4.12.2017 eingetragenen und am 11.1.2018 veröffentlichen Gebrauchsmusters DE 20 2011 110 979 U1 (Anlage KG 1, 1a) wegen des Angebots und Vertriebs von Produkten für die Vorbereitung von Proben für die Gensequenzierung (Chromium Controller, microfluidische Chips, Halter und Dichtungsringe) in Anspruch. Sie macht eine unmittelbare sowie mittelbare Verletzung der Kombination der eingetragenen Ansprüche 1, 2, 13 und 15, der eingetragenen Ansprüche 16, 17, 21 und 22 sowie der eingetragenen Ansprüche 24 und 15 geltend. Wegen der maßgeblichen Ansprüche 1, 2, 13, 15, 16, 17, 21, 22, 24 und 25 wird auf das Urteil des Landgerichts (Seiten 18 ff.) Bezug genommen. Das Klagegebrauchsmuster wurde aus der Europäischen Patentanmeldung EP 16 19 0414.9 (Anlage B 1; Patentschrift vorgelegt als Anlage BK 10; nachfolgend „Teilanmeldung“) abgezweigt, bei der es sich um eine Teilanmeldung aus der Europäischen Anmeldung EP 11838713.3 (nachfolgend „Stammanmeldung“; veröffentlicht unter EP 2 635 840 A bzw. WO 2012/06414.9, Anlage B 2) handelt. Das Klagegebrauchsmuster nimmt die Priorität dreier US-Anmeldungen vom 1.11.2010, 2.11.2010 und vom 5.11.2010 (Anlage B 17) in Anspruch. In dem anhängigen Löschungsverfahren ist Termin zur mündlichen Verhandlung über den Löschungsantrag auf den 19.5.2020 anberaumt. Am 5.3.2020 ist ein Zwischenbescheid des DPMA ergangen (Anlage BK 11).
2
Die Klägerin hat die zunächst auf eine Verletzung des EP 2 635 840 gestützte Klage mit Schriftsatz vom 13.2.2018 auf das Klagegebrauchsmuster erweitert. Die auf das Gebrauchsmuster gestützte Klage wurde abgetrennt. In dem Verfahren wurde am 28.11.2018 sowie am 15.5.2019 verhandelt. Mit dem am 20.11.2019 verkündeten Urteil wurde die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung (Tenor I), Auskunft und Rechnungslegung (Tenor II) und Rückruf (Tenor III) verurteilt. Weiter wurde die Verpflichtung zu Leistung von Schadensersatz (Tenor IV) festgestellt.
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Die Beklagte hat gegen das ihr am 25.11.2019 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 12.12.2019 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 17.12.2019 beantragte sie die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in Bezug auf die Verurteilung zur Unterlassung sowie zum Rückruf. Schon bei summarischer Prüfung ergebe sich, dass das Urteil aufgrund einer ganzen Reihe von evidenten Rechts- und Verfahrensfehlern mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Bestand haben werde. Deswegen und aufgrund der Beklagten drohenden, teilweise irreparablen Vollstreckungsschäden würden die Interessen der Beklagten an einer Einstellung der Zwangsvollstreckung das Interesse der Klägerin an einer vorläufigen Vollstreckung deutlich überwiegen.
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Darüber hinaus sei die Zwangsvollstreckung mit sofortiger Wirkung einzustellen. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur eigentlichen Einstellungsentscheidung sei nach der Praxis des OLG Düsseldorf unter besonderen Umständen geboten. Dies handhabe auch das OLG Karlsruhe so. Ein solcher Fall liege hier vor. Er sei, was sich schon aus der Höhe des Streitwerts erschließe, wirtschaftlich bedeutsam und es liege eine Vielzahl von Fragen vor, die zur Begründung des Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung angesprochen und zu beantworten seien.
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(1) Das Verfahren des Landgerichts leide an einem evidenten Verfahrensfehler, da zwischen der Verkündung des Urteils am 20.11.2019 und der Verhandlung vom 5.5.2019 mehr als fünf Monate lägen. Obwohl hierauf mit Schriftsatz vom 14.11.2019 hingewiesen und die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung angeregt worden sei, sei eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung mit einer pauschalen, nicht tragfähigen Begründung zurückgewiesen worden (LGU, Seite 84). Der Rechtsprechung des BGH sei ein übergreifender verfahrensrechtlicher Grundsatz zu entnehmen, wonach das richterliche Erinnerungsvermögen abnehme und nach Ablauf von mehr als fünf Monaten nicht mehr gewährleistet sei, dass der Eindruck von der mündlichen Verhandlung noch zuverlässigen Niederschlag in den so viel später abgefassten Gründen der Entscheidung finde. Dieser Grundsatz gelte auch bei Fallgestaltungen, bei denen das Urteil nicht im Termin zur mündlichen Verhandlung (§ 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO), sondern in einem danach anberaumten gesonderten Termin (§ 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO) verkündet werde. Denn auch wenn für letzteren Fall kein maximaler Zeitraum zwischen mündlicher Verhandlung und Verkündungstermin normiert sei, verlange § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO jedenfalls einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen mündlichen Verhandlung und Verkündungstermin, der nur im Einzelfall mehr als drei Wochen betragen solle. Dabei mache es auch normativ keinen Unterschied, ob ein in der mündlichen Verhandlung verkündetes Urteil erst nach fünf Monaten abgefasst, oder wie hier, über fünf Monate nach der mündlicher Verhandlung ein Urteil abgefasst und verkündet werde. In beiden Fällen sei nicht gewährleistet, dass der Eindruck der mündlichen Verhandlung hinreichenden Niederschlag in den Urteilsgründen finden. Bei der Höchstgrenze von fünf Monaten, die auch in § 317 Abs. 1 Satz 2 ZPO niedergelegt sei, handele es sich um eine vom Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit bewusst festgelegte Obergrenze dafür, wie lange äußerstenfalls das Erinnerungsvermögen der am Urteil beteiligten Richter reichen dürfe. Soweit das Landgericht darauf verweise, dass die Parteien mit den nachgelassenen Schriftsätzen Gelegenheit gehabt hätten, auf die mündliche Verhandlung zu reagieren, gehe dies an der Sache vorbei. Denn der enge zeitliche Zusammenhang, in welchem ein Urteil noch als auf der mündlichen Verhandlung beruhend angesehen werden könne, sei vorliegend nicht gegeben.
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(2) Die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagegebrauchsmusters keinen Gebrauch, da weder ein anspruchsgemäßer „Halternachweis“ noch ein anspruchsgemäßer „Dichtungsringnachweis“ verwirklicht sei. Die gegenteilige Beurteilung des Landgerichts beruhe auf einer evident unrichtigen Anspruchsauslegung. Dem breiten Verständnis des Merkmals „Halternachweis“, wonach es auf die Verlässlichkeit des Nachweises nicht ankomme, stehe bereits der Begriff „Nachweis“, dem bereits die Verlässlichkeit des Nachweises immanent sei, entgegen. Denn mit dem Nachweis solle eine Aussage über den Zustand des Halters getroffen werden. Sei die Aussage nur unter zufälligen Umständen richtig, könne der Adressat des Nachweises (Benutzer) nicht erkennen, ob der Halter tatsächlich nachgewiesen worden sei, oder ob es sich um eine Falschmeldung handele. Die Auffassung des Landgerichts, der anspruchsgemäße Nachweis sei erst dann zu führen, wenn alle Komponenten eingesetzt seien, führe das Nachweismerkmal ad absurdum und sei evident unrichtig. Denn solle der Nachweis erst dann erfolgen, wenn sichergestellt sei, dass auch alle nachzuweisenden Komponenten eingesetzt seien, bedürfe es keines Nachweises mehr. Sei aber nicht von vorneherein sichergestellt, dass alle nachzuweisenden Komponenten eingesetzt seien, müsse der durch das Instrument zu führende Nachweis an eine Verlässlichkeit gekoppelt sein. Anderenfalls sei es letztlich nicht das Instrument, das anspruchsgemäß den Nachweis vornehme und feststelle, ob ein Halter richtig eingesetzt sei oder nicht, sondern der Benutzer. In diesem Fall müsse der Benutzer nach Erhalt einer Fehlermeldung den Nachweis selbst führen, was nicht im Sinne des Klagegebrauchsmusters sei, wie sich bereits aus dem Anspruchswortlaut ergebe, wonach das Instrument dazu konfiguriert sei, den Halter nachzuweisen. Dies ergebe sich auch aus der dem Klagegebrauchsmuster zugrundeliegenden Aufgabe der einfachen Bedienbarkeit des Systems. Diese wäre nicht gegeben, wenn der Benutzer letztlich selbst feststellen müsste, ob alle Komponenten (Halter, Dichtungsring) aufgenommen seien. Dass die für den Nachweis erforderlichen Feststellungen verlässlich und vom Instrument vorzunehmen seien, ergebe sich auch daraus, dass diese klagegebrauchsmustergemäß über einen Sensor zu erfolgen hätten und verlässlich sein müssten. Folglich müsse ein anspruchsgemäßer Nachweis eine verlässliche Ja/Nein-Feststellung liefern, ob der Halter aufgenommen worden sei bzw. ob er richtig aufgenommen worden sei.
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Hiervon ausgehend machten die angegriffenen Ausführungsformen bereits deshalb von der Lehre des Klagegebrauchsmusters keinen Gebrauch, weil kein entsprechender Sensor für einen Nachweis des Halters vorgesehen sei. Stattdessen werde ein maschinenlesbares Element, welches auf dem Chip angeordnet sei, ausgelesen. Das Auslesen des maschinenlesbaren Elements des Chips sei auch kein mittelbarer Nachweis für den Halter. Auch wenn es grundsätzlich möglich sei, Komponenten mittelbar, d.h. über andere Komponenten nachzuweisen. Dies setze aber zum Nachweis des Vorhandenseins/Nichtvorhandenseins voraus, dass die nachzuweisende Komponente zwingend vorhanden sei, wenn auch die nachgewiesene Komponente vorhanden sei bzw. umgekehrt. Dieser sichere Schluss auf das Vorhandensein der eigentlich nachzuweisenden Komponente sei jedoch bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht möglich, denn alle Komponenten der Anordnung (Halter, Chip und Dichtungsring) könnten jeweils einzeln oder in beliebiger Kombination in das Instrument eingesetzt werden, sodass ein anspruchsgemäßer Nachweis von vorneherein ausscheide. Vom Vorhandensein des Chips könne nämlich nicht auf das Vorhandensein des Halters geschlossen werden. Dies gelte entsprechend für das Nicht-Vorhandensein, wie mit dem Video gemäß Anlage B 14 belegt worden sei. Soweit sich das Landgericht auf das von der Klägerin vorgelegte Video (Anlage KG 13) stütze, sei dies offensichtlich unzutreffend. Das Video zeige, wie in das Instrument ein Chip mit Dichtungseinrichtung, jedoch ohne Halter eingelegt werde. Dies führe zur Ausgabe der Fehlermeldung „Chip Holder not present“. Beim Nachstellen der Testanordnung habe die Beklagte, da ein entsprechender Sensor zum Halternachweis fehle, festgestellt (Anlage B 14, Video Test_I.mp4), dass nicht die Fehlermeldung „Chip Holder not present“, sondern die Fehlermeldung „Check Gasket“ ausgegeben werde. Führe dieselbe Versuchsanordnung zu unterschiedlichen Fehlermeldungen, sei belegt, dass der Fehlermeldung kein anspruchsgemäßer Nachweis zugrunde liegen könne, denn anderenfalls müsste das Instrument eindeutig erkennen und rückmelden, dass der Halter nicht aufgenommen worden und die Dichtung vorhanden sei. Dass der Halter durch das Instrument nicht nachgewiesen werde, werde weiterhin durch die Videos Test_III.mp4 und Test_IV.mp4 gemäß Anlage B 14 belegt. Werde nur der Halter (Test_III.mp.4) oder der Halter und die Dichtung (Test_IV.mp4) in das Instrument eingelegt, erscheine jeweils die Fehlermeldung „Chip Holder not present“, obwohl der Halter aufgenommen worden sei. Dies zeige eindeutig, dass die angegriffenen Ausführungsformen den anspruchsgemäßen Halternachweis nicht verwirklichten.
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In gleicher Weise werde auch der Dichtungsringnachweis gemäß den Ansprüchen 15 und 22 bzw. gemäß Merkmal 25.2 nicht verwirklicht, da auch hier ein mittelbarer Nachweis nicht in Betracht komme. Wenn sich das Landgericht bei seiner gegenteiligen Beurteilung auf das Video der Klägerin (Anlage K 13 IMG_1041.MOV) stütze, wonach das Instrument die Fehlermeldung „Check Gasket“ ausgebe, wenn nur Halter und Chip in das Instrument eingesetzt würden, werde außer Acht gelassen, dass ein Nachweis eine verlässliche Ja/Nein-Feststellung liefern müsse. Wie das Video Test_II.mp4 gemäß Anlage B 14 belege, erscheine die Fehlermeldung „Check Gasket“ auch, wenn nur Chip und Dichtung im Instrument aufgenommen seien und der Halter fehle. Weiterhin könne die Fehlermeldung „Check Gasket“ auch dann auftreten, wenn Halter, Chip und Dichtung in dem Instrument aufgenommen seien (Video Test_V.mp4, Anlage B 14), sodass die Fehlermeldung „Check Gasket“ kein Indikativ für das Vorhandensein/Nichtvorhandensein der Dichtung sei.
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(3) Die Entscheidung des Landgerichts, das Verfahren nicht im Hinblick auf das anhängige Löschungsverfahren auszusetzen, sei evident fehlerhaft.
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a. Das Landgericht lege einen unzutreffenden Maßstab zugrunde. Denn nach herrschender Rechtsprechung sei in Gebrauchsmusterverletzungsverfahren ein geringerer Aussetzungsmaßstab anzuwenden mit der Folge, dass eine Aussetzung regelmäßig schon dann angebracht sei, wenn bloße, jedenfalls aber vernünftige Zweifel an der Rechtsbeständigkeit bestünden. Zudem mache die Klägerin das Gebrauchsmuster nicht in der eingetragenen, sondern in einer vielfach weiter eingeschränkten Fassung geltend.
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b. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei das Klagegebrauchsmuster nicht wirksam abgezweigt worden mit der Folge, dass es nicht den Anmeldetag der EP-Anmeldung, sondern nur den Tag der Hinterlegung (10.11.2017) in Anspruch nehmen könne. Somit seien die früheren Patentanmeldungen gemäß Anlagen B 1 und B 2 neuheitsschädlich. Bei der Abzweigung des Klagegebrauchsmusters sei die sachliche Identität entgegen § 5 Abs. 1 Satz 1 GebrMG nicht gewahrt worden, da nicht um Schutz für dieselbe Erfindung nachgesucht worden sei. Jedenfalls sei umstritten, was darunter zu verstehen sei. Eine wörtliche Übereinstimmung (Unterlagenidentität) scheide bereits deshalb aus, da die frühere Patentanmeldung in englischer Sprache und das Gebrauchsmuster in deutscher Sprache abgefasst seien. Auch nach der vermittelnden Auffassung des BPatG sei nicht um Schutz für dieselbe Erfindung nachgesucht worden, denn bei Einreichung der früheren Patentanmeldung sei der Wille des Patentanmelders nicht erkennbar gewesen, für den im Klagegebrauchsmuster beanspruchten Gegenstand Patentschutz zu beantragen. Der Kernaspekt der Teilanmeldung sei das Reduzieren der Öl-Phase in der Emulsion, um eine Emulsion zu erzeugen, die einen hohen Probenflüssigkeitsgehalt habe. Dies werde dadurch erreicht, indem die Öl-Phase nachträglich zumindest teilweise aus der gebildeten Emulsion entfernt werde. Der Gegenstand der früheren Patentanmeldung sei somit nicht das eigentliche Erzeugen von Emulsionen oder Tröpfchen (Ansprüche 1, 16 und 24 des Klagegebrauchsmusters), sondern das Herstellen einer konzentrierten Emulsion.
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c. Der Gegenstand des Klagegebrauchsmusters gehe über den der Teilanmeldung hinaus. Es lägen in mehrfacher Hinsicht unzulässige Erweiterungen vor.
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aa. Nach den Ansprüchen 2 und 17 des Klagegebrauchsmusters werde nur vorausgesetzt, dass das Ausüben des Drucks abgebrochen bzw. beendet werde. Die vom Landgericht vorgenommene Einschränkung „planvoll“ sei dem Klagegebrauchsmuster nicht zu entnehmen. Ein Abbrechen der Druckausübung, wie etwa durch das Ausschalten des Instruments, sei in der Teilanmeldung nicht ursprünglich offenbart, wenn jeweils auf eine vordefinierte Bedingung abgestellt werde.
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bb. Wenn das Landgericht in Bezug auf die Teilanmeldung davon ausgehe, dass diese offenbare, dass das System jedenfalls den Halter nachweisen bzw. erkennen könne, lasse es außer Acht, dass das Erkennen über einen Sensor zu erfolgen habe. Die Teilanmeldung offenbare ausschließlich Nachweise mittels entsprechender Sensoren, das Klagegebrauchsmuster beschränke das Merkmal des Halternachweises jedoch nicht auf strukturelle Bauteile. Somit liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor, da in den Ansprüchen 13 und 21 sowie in Merkmal 24.3b des Anspruchs 24 eine funktionale Definition erfolgt sei.
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cc. Gleiches gelte in Bezug auf den Dichtungsringnachweis gemäß den Ansprüchen 15 und 22 bzw. Merkmal 25.2 dd. Ein Kanalnetzwerk nach der Auslegung des Landgerichts (LGU Seite 53 unten) sei in der Teilanmeldung nicht offenbart. Ein Kanalnetzwerk 210-216 verbinde nur die Wells einer Emulsionsbildungseinheit 200 miteinander und nicht die Wells aller Emulsionseinheiten.
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d. Das Klagegebrauchsmuster sei nicht neu.
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aa. Das Klagegebrauchsmuster sei durch die Stammanmeldung und die Teilanmeldung neuheitsschädlich vorweggenommen, da ihm nur eine Priorität vom 10.11.2017 zukomme.
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bb. Das Landgericht habe zu Unrecht die Entgegenhaltung WO 2010/036 352 A1 (Anlage B 4) nicht als neuheitsschädlich angesehen.
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Diese offenbare in Gestalt der Schublade (tray 666) einen Halter und ebenso einen Halternachweis, da das Ein- bzw. Ausfahren der Schublade automatisiert mittels eines „drive mechanism“ erfolge und dabei festgestellt werde, ob die Schublade vollständig eingefahren sei oder nicht.
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Wenn das Landgericht die Offenbarung eines Dichtungsrings verneine, weil es darunter eine „flächige Dichtung“ verstehe, könne dieser Auslegung nicht gefolgt werden. Vielmehr verstehe das Klagegebrauchsmuster (vgl. Abs. 0071) unter einem Dichtungsring eine allgemeine Dichtung, deren konkrete Form durch den Anspruchswortlaut nicht weiter beschränkt sei. In der Figur 25 der Entgegenhaltung sei eine anspruchsgemäße Dichtung (gasket 1252) offenbart, die als eine Vielzahl von voneinander beabstandeten Ringen aus einem elastomeren Material ausgebildet sei. Zudem sei offenbart, dass auch flächige Dichtungen (gasket 1260) zum Abdichten der Wells eingesetzt werden könnten (Figur 26). Ebenso werde das Vorhandensein des Dichtungsrings von dem Instrument erkannt und nachgewiesen, jedenfalls wenn das breite Verständnis des Dichtungsringnachweises der Beurteilung zugrunde gelegt werde. Denn demzufolge solle ein passiver Nachweis ausreichend sein, der durch das Funktionieren des Gerätes erfolgen könne. Ein solcher passiver Nachweis sei in der erfolgreichen Emulsionsbildung zu sehen, denn ohne die Dichtung könne der für die Emulsionsbildung notwendige Druck nicht aufgebaut werden.
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cc. Da das Abbrechen der Druckausübung nicht auf ein planvolles Beenden des Drucks beschränkt werden könne, falle hierunter auch das Abschalten des Instruments, wie aus der Anlage B 4 bekannt. Ebenso sei das manuelle Abbrechen der Druckausübung anspruchsgemäß.
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e. Dem Klagegebrauchsmuster fehle es gegenüber der Entgegenhaltung gemäß Anlage B 4 auch am erfinderischen Schritt. Der Fachmann erkenne, dass es sich bei den vermeintlichen Unterscheidungsmerkmalen (Halternachweis, Dichtungsringnachweis und Art des Dichtungsrings) um technische Trivialitäten handele, die keinen Beitrag zum Stand der Technik leisteten.
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Mit Schriftsatz vom 21.1.2019 hat die Beklagte ihren Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts München I - 21 O 2631/18 - vom 20.11.2019 im Hinblick auf den Urteilstenor nach Ziff. I. und III. mit sofortiger Wirkung ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen angemessene Sicherheitsleistung, bis zur Entscheidung des Senats über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollsteckung einzustellen gemäß Antrag zu Ziff. III. des Schriftsatzes vom 17.12.2019 wiederholt. Über den Antrag auf sofortige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde mit Beschluss des Senats vom 28.1.2020 entschieden.
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Die Beklagte beantragt nach Erweiterung auf die Verurteilung zur Auskunft und Rechnungslegung (Schriftsatz vom 10.3.2020) nunmehr:
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Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts München I - 21 O 2631/18 - vom 20.11.2019 wird im Hinblick auf den Urteilstenor Ziff. I., II. und III. gegen angemessene Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt.
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Die Klägerin beantragt, den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückzuweisen.
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Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung komme bei einem Urteil, das nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar sei, nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht. Eine solche Fallgestaltung liege nicht vor:
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Ein Verfahrensfehler des Landgerichts liege nicht vor.
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Das Landgericht habe das Klagegebrauchsmuster nicht fehlerhaft ausgelegt. Die Argumentation der Beklagten, der anspruchsgemäße „Halternachweis“ (Ansprüche 13, 21 und 24) bzw. der „Dichtungsringnachweis“ (Ansprüche 15, 22 und 25) müsse verlässlich im Sinne einer Ja/Nein-Feststellung erfolgen, was bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht der Fall sei, greife nicht durch. Das Landgericht habe sich eingehend mit der von der Beklagten vertretenen Auslegung befasst, die Merkmale „Halternachweis“ und „Dichtungsringnachweis“ allerdings zutreffend funktionsorientiert dahingehend verstanden, dass anspruchsgemäß lediglich die Eignung gegeben sein müsse, dass das Instrument erkenne, wenn/dass der Halter so eingesetzt werde/sei, dass er mit ihm operabel sei. Dieses Verständnis zugrunde gelegt, bestehe an der Verletzung kein Zweifel, zumal es zwischen den Parteien eigentlich auch unstreitig gewesen sei, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen keine Fehlermeldung erscheine, wenn alles ordnungsgemäß sitze und das System mit den eingesetzten Komponenten operabel sei. Mithin werde durch Nichterscheinen einer Fehlermeldung dem Benutzer angezeigt, dass der Nachweis jeweils erfolgt sei. Dabei habe das Landgericht nicht nur die von der Klagepartei vorgelegten Videos gewürdigt, sondern sich auch mit den Einwänden der Beklagten auseinandergesetzt und die Verletzung tragfähig begründet, da es auf eine bestimmte Verlässlichkeit des Nachweises nach dem Klagegebrauchsmuster nicht ankomme.
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Die Entscheidung des Landgerichts, das Verfahren nicht auszusetzen, sei nicht evident rechtsfehlerhaft. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe das Landgericht keinen fehlerhaften Maßstab zugrunde gelegt, denn es habe die Einwände der Beklagten gegen die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters nicht für durchgreifend erachtet.
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Das Landgericht sei zutreffend zu der Beurteilung gelangt, dass die Abzweigung des Klagegebrauchsmusters nicht unwirksam sei. Allein der Umstand, dass die Streitfrage bisher höchstrichterlich noch nicht geklärt sei, rechtfertige die Aussetzung nicht.
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Wie das Landgericht zutreffend entschieden habe, liege auch keine unzulässige Erweiterung in Bezug auf „Abbrechen der Druckausübung“, „Halternachweis“ bzw. „Dichtungsnachweis“ sowie des Vorhandenseins eines „Kanalnetzwerkes“ vor.
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Ebenso zutreffend sei das Landgericht zu der Beurteilung gelangt, dass die Entgegenhaltung gemäß Anlage B 4 nicht neuheitsschädlich sei.
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Wenn die Beklagte ausgehend von der Entgegenhaltung Anlage B 4 einen erfinderischen Schritt verneine, sei zu berücksichtigen, dass im Regelfall Zweifel an dem Vorliegen eines erfinderischen Schritts nicht zur Aussetzung führten. Zudem löse die Entgegenhaltung die Aufgabe des Klagegebrauchsmusters bereits deshalb nicht, weil dort jedenfalls kein anspruchsgemäßer Halter offenbart sei. Das Argument der Beklagten, der Fachmann werde der Vorrichtung nach Anlage B 4 einen automatisierten Nachweis hinzufügen, vernachlässige, dass sich das zu lösende Problem mangels Beweglichkeit bei der Entgegenhaltung gar nicht stelle.
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Der Zwischenbescheid des DPMA sei ungeeignet, den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu stützen. Der Zwischenbescheid beziehe sich nicht auf die tenorierten drei Anspruchsgruppen, sondern nur auf Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen.
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Wenn die Gebrauchsmusterabteilung die Prioritätsberechtigung in materieller Hinsicht verneine, weil in dem Prioritätsdokument das Merkmal des Halternachweises nicht enthalten sei, gleichwohl aber annehme, die Prioritätsdokumente seien dennoch für einen Anspruchsgegenstand mit diesen Merkmalen neuheitsschädlich, mute dies auf den ersten Blick seltsam an.
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Zudem sei der insoweit einzig vorläufige bejahte Löschungsgrund - fehlende Neuheit aufgrund der provisional applications vom 1., 2. und 5. 11.2010 - evident unrichtig begründet. Diese seien nicht Stand der Technik. Selbst wenn man davon ausgehe, dass das Klagegebrauchsmuster die drei Prioritäten aus materiellen Gesichtspunkten nicht wirksam in Anspruch nehmen könne, mache dieser Umstand die drei Prioritätsdokumente noch nicht zum Stand der Technik gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 GebrMG. US Provisional Applications würden niemals von selbst veröffentlicht (35 U.S.C. Code § 122). Die Prioritätsschriften seien erst nach ihrer Vorlage in dem mit der Stammanmeldung eingeleiteten Erteilungsverfahren (also nach dem 1.11.2011) veröffentlicht worden. Den Anmeldetag der Stammanmeldung könne das Klagegebrauchsmuster jedoch auch nach der vorläufigen Auffassung im Zwischenbescheid wirksam beanspruchen, wovon auch das Landgericht ausgegangen sei. Folglich habe die Gebrauchsmusterabteilung die erst später erfolgte Veröffentlichung der Prioritätsschriften schlicht übersehen. Dementsprechend habe auch die Beklage aufgrund der Annahme der fehlenden Priortätsberechtigung lediglich auf die Entgegenhaltung B 8 abgestellt, die am 20.10.2011 veröffentlicht worden sei.
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Wenn das DPMA das Merkmal des Halternachweises in der Teilanmeldung nicht als offenbart ansehe, habe es seine vorläufige Beurteilung im Zwischenbescheid hierauf nicht gestützt. Bereits deshalb könne der Zwischenbescheid keine tragfähige Grundlage für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung sein unabhängig davon, dass sich der Zwischenbescheid nicht zu allen geltend gemachten Anspruchskombinationen verhalte (Schriftsätze vom 20. und 25.3.2020).
Gründe
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Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO ist statthaft und zulässig. In der Sache hat der Antrag Erfolg. Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung kann eine Verletzung der Merkmale 13, 15, 21, 22, 24.3 (b), 25 gemäß der Merkmalsanalyse des Landgerichts (LGU, Seite 39 ff.) nach vorläufiger Beurteilung des Senats nicht bejaht werden.
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Gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt ist, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung einstweilen bis zur Entscheidung über die Berufung eingestellt werden. Ist, wie auch vorliegend, das angefochtene Urteil nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (LGU Tenor Nr. VI i.V.mit dem Teilurteil des Senats vom 16.1.2020), kommt eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach allgemeiner Auffassung nur dann in Betracht, wenn aufgrund der in vorliegendem Verfahrensstadium lediglich gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird - eine einstweilige Einstellung aus anderen Gründen steht aufgrund des Vorbringens der Beklagten nicht in Rede. Die Entscheidung über den Einstellungsantrag kann nicht die abschließende, aufgrund mündlicher Verhandlung zu treffende Entscheidung in der Berufungsinstanz vorwegnehmen. Nur wenn bereits im Rahmen der summarischen Prüfung davon auszugehen ist, dass das Urteil mit seinen tragenden Feststellungen und die hierauf beruhende rechtliche Beurteilung keinen Bestand haben wird, ist es der Klagepartei zuzumuten, mit der Vollstreckung bis zur Entscheidung über die Berufung zuzuwarten. Ob das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig ist, d.h. ob es nach ergänzenden Feststellungen bzw. mit einer anderen Begründung aufrechterhalten werden kann, ist in vorliegendem Verfahrensstadium dagegen nicht zu prüfen.
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Nach diesen Grundsätzen gilt Folgendes:
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1. Das Landgericht war nicht verpflichtet, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), weil der zunächst auf den 25.9.2019 anberaumte Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 20.11.2019 verlegt wurde und somit das Urteil nicht innerhalb der Frist von fünf Monaten nach der mündlichen Verhandlung vom 15.5.2019 verkündet wurde. Hierzu nimmt der Senat auf den Beschluss vom 28.1.2020 unter II.2 b. aa) Bezug.
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2. Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung kann eine Verletzung der Merkmale 13, 21, 24.3 (b) (Halter-Nachweis) und 15, 22, 25 (Dichtungsring-Nachweis) nicht begründet werden. Zu Unrecht stellt das Landgericht nur auf eine im Einzelfall gegebene Eignung (“überhaupt je“) zur Führung dieser Nachweise ab. Ob bei den angegriffenen Ausführungsformen der Nachweis der richtigen Positionierung des Halters sowie des Vorhandenseins des Dichtungsrings erbracht wird, kann aufgrund der Feststellungen des Landgerichts nicht beurteilt werden. Ob eine Benutzung der Lehre des Klagepatents mit anderer Begründung bejaht werden könnte, ist nicht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu prüfen.
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a. Die geltend gemachte Kombination der eingetragenen Ansprüche wird von den angegriffenen Ausführungsformen nur dann verletzt, wenn sie so konfiguriert sind, dass sie den Nachweis erbringen, ob der Halter richtig positioniert/in dem Instrument aufgenommen sowie der Dichtungsring in der Vorrichtung vorhanden ist.
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(1) Der Anspruch 13 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen nach Anspruch 1 oder 2, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Halter richtig in dem Instrument positioniert ist.
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(2) Der Anspruch 16 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen nach Anspruch 1 oder 2, das zudem einen Dichtungsring umfasst, der so konfiguriert ist, dass er auf die Vorrichtung aufgesetzt werden kann, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Dichtungsring in der Vorrichtung vorhanden ist, wenn die Anordnung von dem Instrument funktionell aufgenommen wird.
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(3) Der Anspruch 21 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen nach Anspruch 16 oder 17, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Halter in dem Instrument aufgenommen ist.
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(4) Anspruch 22 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen gemäß Anspruch 16 oder 17, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Dichtungsring vorhanden ist, nachdem die Anordnung von dem Instrument aufgenommen wurde.
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(5) Das System zur Bildung einer Emulsion gemäß Anspruch 24 umfasst u.a. ein Instrument, das so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Halter aufgenommen wurde (LGU, Seite 42 Merkmal 24.3 (b)).
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(6) Anspruch 25 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen gemäß Anspruch 24, das zudem einen Dichtungsring umfasst, der so konfiguriert ist, dass er auf die Vorrichtung gesetzt werden kann, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Dichtungsring vorhanden ist, nachdem die Anordnung aufgenommen wurde.
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b. Mit dem Nachweis der richtigen Positionierung des Halters (1), des Vorhandenseins des Dichtungsrings (2), (4), (6) sowie der Aufnahme des Halters (3), (5) hat sich das Landgericht eingehend auseinandergesetzt (LGU, Seite 47 ff.). Es hat maßgeblich auf die Beschreibung des Klagegebrauchsmusters abgestellt, die sich mit der Funktion des Nachweises von Halter und Dichtungsring befasst (LGU, Seite 48 ff. unter cc)). Das Merkmal des Nachweises der richtigen Positionierung des Halters gemäß Anspruch 13 (1) sei dahingehend auszulegen, dass das Instrument erkennt, wenn/dass der Halter so eingesetzt wird/ist, dass der mit dem Instrument operabel ist, wobei das Erkennen des Vorhandenseins des Halters gleichzeitig das Erkennen des Vorhandenseins an der richtigen Stelle bedeute (LGU, Seite 49).
52
Da sich aus den Ansprüchen nicht ergebe, wie der Nachweis zu erfolgen habe, könne dieser in jeder beliebigen Weise erbracht werden, d.h. es müsse keine positive Meldung erfolgen. Es reiche auch aus, wenn das System erkenne, ob der Halter richtig eingesetzt sei oder nicht. Sei der Halter richtig eingesetzt, reiche als Nachweis das Funktionieren des Systems ohne Fehlermeldung. Fehle dagegen der Halter oder der Dichtungsring, müsse ein aktiver Nachweis erfolgen, der den Benutzer auf das Hindernis hinweise (LGU, Seite 50 unter (2.)). Dass der Chip-Halter der unmittelbare Gegenstand des Nachweises sein müsse, sei nicht zu fordern. Ein Nachweis könne auch dergestalt erfolgen, dass über das Erkennen eines anderen Gegenstands ein Rückschluss auf das Vorhandensein des Chip-Halters gezogen werden könne (LGU, Seite 51 unter (4.)).
53
Weder dem Anspruch noch der Beschreibung sei zu entnehmen, dass eine Verlässlichkeit des Nachweises zu verlangen sei. Das Klagegebrauchsmuster sei allerdings verständigerweise dahingehend zu verstehen, dass das System geeignet sein müsse, einen entsprechenden Nachweis zu führen. Ohne die Fähigkeit, überhaupt je einen richtigen Nachweis zu erbringen, wäre das Merkmal sinnlos. Darüberhinausgehende Anforderungen an eine Verlässlichkeit des Nachweises seien jedoch nicht zu fordern.
54
Der gemäß Anspruch 15 zu erbringende Nachweis sei dahingehend auszulegen, dass das System erkennen könne, ob ein Dichtungsring vorhanden sei oder nicht. Dieser Nachweis könne passiv durch das Funktionieren des Geräts oder aktiv durch eine entsprechende Anzeige über eine Benutzerschnittstelle erfolgen. Dem unterschiedlichen Wortlaut zum Nachweis gemäß Anspruch 13 komme aufgrund der funktionalen Auslegung keine Bedeutung zu. Aussagen zur Verlässlichkeit des Nachweises sowie zum Objekt, anhand dessen der Nachweis zu führen sei, seien dem Anspruch nicht zu entnehmen (LGU, Seite 51 f unter d)).
55
c. Hiervon ausgehend ist das Landgericht zu der Beurteilung gelangt, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen ein „Nachweis“ des Chip-Halters gemäß den Ansprüchen 13, 21 und 24 erbracht wird. Der hierzu vom Landgericht herangezogene Sachvortrag - Ausgestaltung der Schublade auf der Oberseite entsprechend den korrespondierenden Aussparungen auf dem Chiphalter - steht zwischen den Parteien nicht in Streit. Ebenso wurde der Inhalt des von der Klägerin als Anlage KG 13 vorgelegten Videos ING_1043MOV (Anzeige „Chip holder not Present“ bei Einführung eines Chips ohne Halter und Dichtungsring in die Schublade) nicht in Abrede gestellt.
56
Den Einwand der Beklagten, die angegriffene Ausführungsform gebe auch dann die Meldung „Chip holder not Present“, wenn ein Chip-Halter, aber kein Chip eingelegt sei (Video gemäß Anlage B 14), hat das Landgericht nicht für durchgreifend erachtet, da die Eignung, den Nachweis zu führen, gegeben sei, wie sich aus dem vorgenannten Video der Klägerin ergebe. Dass der Nachweis stets richtig sein müsse, sei nicht zu verlangen. Auch müsse der Nachweis nicht unmittelbar anhand des Halters erfolgen. Ein mittelbares Erkennen über den vom Halter getragenen Chip stehe der Verwirklichung der Lehre des Gebrauchsmusters nicht entgegen (LGU, Seite 56).
57
d. Hinsichtlich des Nachweises des Dichtungsrings (Ansprüche 15, 22 und 25) hat sich das Landgericht auf seine Ausführungen zu den Ansprüchen 13, 21 und 24 bezogen. Das Landgericht hat den Vortrag der Klägerin zugrunde gelegt, dass beim Einsetzen eines mit einem mikrofluidischen Chiphalters „10X Chip Holder“ ohne den Dichtungsring „10X Gasket“ in die Schublade nach deren Einfahren auf dem Bildschirm die Anzeige „Error Detected: Check Gasket“ erscheine. Die Einwände der Beklagten hat das Landgericht nicht für durchgreifend erachtet (LGU, Seite 57). Der Nachweis sei erst dann zu führen, wenn das System insgesamt theoretisch funktionsfähig sei. Dies sei erst dann der Fall, wenn die mit Chip-Halter, Chip und Dichtungsring bestückte Schublade in das System eingefahren sei, sodass bei Befüllung des Chips die Druckausübung und damit die Tröpfchenbildung bewerkstelligt werden könne. Der Nachweis des Vorhandenseins des Dichtungsrings werde vom System der Beklagten erbracht. Dass es zu dessen sinnvoller Weiterverarbeitung jedenfalls im Falle des Nichtvorhandenseins des Dichtungsrings der Kenntnisnahme durch den Benutzer bedürfe, sei für die Frage der Verwirklichung des Merkmals unbeachtlich.
58
e. Auch im Rahmen der in vorliegendem Verfahren lediglich vorzunehmenden summarischen Prüfung hält der Senat die Auslegung des Landgerichts, wonach an die Verlässlichkeit des Nachweises keine Anforderungen zu stellen seien, es reiche aus, dass das System grundsätzlich dazu in der Lage sei, den Nachweis der richtigen Platzierung des Halters und des Vorhandenseins des Dichtungsrings zu führen, nicht mehr für vertretbar. Denn der angesprochene Fachmann wird das Merkmal dahingehend verstehen, dass das System nicht nur „grundsätzlich“ in der Lage ist, einen Nachweis zu erbringen, dass der Halter richtig in dem Instrument positioniert ist, sondern dass ein dahingehender zuverlässiger Nachweis zu erfolgen hat. Die Verwirklichung der Merkmale 13, 15, 21, 22, 24.3(b) und 25 kann somit nicht allein darauf gestützt werden, dass von der Klägerin mit dem Video in einem Fall eine richtige Fehlermeldung belegt wurde. Dies gilt auch dann, wenn man ansonsten der weiten Auslegung des Landgerichts folgt. Damit ist der Beurteilung des Landgerichts zur Verletzungsfrage die Grundlage entzogen. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass das angegriffene System geeignet ist, den Nachweis zu erbringen, dass der Halter richtig in dem Instrument positioniert ist. Vielmehr hat der Senat nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten davon auszugehen, dass die Meldung „Chip holder not Present“ auch in Fallgestaltungen angezeigt wird, in denen der Halter richtig positioniert ist. Auch erfolgt die Anzeige „Check Gasket“ nach dem Vortrag der Beklagten nicht nur dann, wenn der Dichtungsring nicht eingesetzt ist, sondern auch dann, wenn der Dichtungsring eingesetzt ist.
59
aa. Soweit die Beklagte geltend macht, von der Lehre des Klagepatents werde nur ein positiver Nachweis im Sinne einer Anzeige „Ja/Nein“ erfasst, sieht der Senat das weitergehende Verständnis des Landgerichts nicht als offensichtlich unzutreffend an, auch wenn aufgrund der Tatsache, dass mit einer Vorrichtung bestimmungsgemäß gearbeitet werden kann, nicht ohne weiteres daraus auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Gerätes geschlossen werden kann, was durch den gebrauchsmustergemäßen Nachweis der richtigen Positionierung des Halters sichergestellt werden soll.
60
Das Landgericht sieht den Nachweis der richtigen Positionierung des Halters gemäß Anspruch 13 dann als erbracht an, wenn das Instrument erkennt, wenn/dass der Halter so eingesetzt wird/ist, dass er mit dem Instrument operabel ist. Es sei ausreichend, wenn das System erkenne, ob ein Halter richtig eingesetzt ist oder nicht. Sei der Halter richtig eingesetzt, reiche als Nachweis das Funktionieren des Systems ohne Fehlermeldung aus. Dies setzt allerdings voraus, dass das System nur dann ohne Fehlermeldung funktionieren kann, wenn der Halter richtig eingesetzt ist, wovon das Landgericht offensichtlich ausgeht, wenn es darauf abstellt, dass die angegriffene Vorrichtung so ausgestaltet ist, dass der Chip-Halter (nur) richtig in die Schublade eingesetzt wird (LGU, Seite 55 unter 3.a 1. Abs.).
61
bb. Der Auslegung des Landgerichts, der aktive Nachweis im Falle eines Fehlens des Halters müsse nicht verlässlich sein, es reiche aus, wenn im Einzelfall die Meldung „Chip Holder not present“ inhaltlich richtig sei (LGU, Seite 50 unter (3.), kann jedoch nicht gefolgt werden.
62
Das Landgericht legt seiner Beurteilung zugrunde, dass im Falle des Fehlens des Chip-Halters ein aktiver Nachweis zu erfolgen habe, der den Benutzer auf das Hindernis hinweise.
63
Hinsichtlich dieses geforderten aktiven Nachweises im Falle des fehlenden Chip-Halters - gleichbedeutend mit der nicht richtigen Positionierung - verweist das Landgericht auf das von der Klägerin vorgelegte Video, das zeige, wie ein Chip ohne Halter und Dichtungsring eingeführt werde, worauf das Gerät über die Benutzerschnittstelle „Chip holder not Present“ anzeige. Diese Feststellungen werden von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Die Beklagte verweist jedoch auf das von ihr vorgelegte Video, wonach die vorgenannte Meldung auch dann angezeigt wird, wenn zwar ein Chip-Halter aber kein Chip eingelegt ist und folgert daraus, dass der Nachweis, ob ein Chip-Halter aufgenommen sei, gerade nicht verlässlich sei. Mit dieser Einwendung der Beklagten hat sich das Landgericht nicht weiter befasst, sondern hält diese für nicht maßgeblich, weil es auf die Verlässlichkeit des Nachweises nicht ankomme. Da der Senat diese Auslegung nicht teilt und diese im Rahmen der im derzeitigen Verfahrensstadium nur möglichen vorläufigen Beurteilung, auch nicht für vertretbar hält, ist der aktive Nachweis der unrichtigen Positionierung des Halters - Fehlen des Halters - im Sinne des Verständnisses des Landgerichts - allein durch das Video der Klägerin nicht erbracht. Damit ist der Einwand der Beklagten nicht widerlegt, wonach von dem System nicht das Fehlen des Halters erkannt und nachgewiesen werde, wofür die inhaltsgleichen Fehlermeldungen bei Vorhandensein des Chip-Halters sprechen. Mit dem Video der Klägerin kann nur belegt werden, dass in einem Fall eine inhaltlich richtige Anzeige - fehlender Halter - erfolgt ist.
64
Nach Anspruch 13 muss das System nach Anspruch 1 oder 2 so konfiguriert sein, dass es nachweist, ob der Halter richtig in dem Instrument positioniert ist. Hierdurch soll die ordnungsgemäße Handhabung des Systems erleichtert werden. Der Benutzer soll sich - nach der Auslegung des Landgerichts - darauf verlassen können, dass der erforderliche Nachweis der richtigen Positionierung des Halters durch das Funktionieren des Systems ohne Fehlermeldung erbracht wird. Im Falle der nicht richtigen Positionierung des Halters - Fehlen - muss dagegen das System eine aktive Meldung generieren, die den Benutzer auf das Fehlen des Halters hinweist. Ist diese Meldung inhaltlich unrichtig, weil der Halter vorhanden, das System aber aus einem anderen Grund nicht vollständig oder funktionsfähig ist, ist die Anzeige zwar geeignet, den Benutzer hierauf hinzuweisen, sie erbringt jedoch keinen Nachweis des Fehlens des Halters. Im Wortsinn liegt ein „Nachweis“ nur dann vor, wenn die Anzeige, die die richtige/unrichtige Positionierung des Halters „nachweisen“ soll, auch inhaltlich richtig ist. Die inhaltlich unrichtige Meldung „Chip Holder not Present“ im Falle der richtigen Positionierung des Halters ist hierfür ungeeignet. Für das vom Landgericht vom Wortsinn abweichende Verständnis bedürfte es somit dahingehender Anhaltspunkte, wonach die Richtigkeit der Anzeige nur im Einzelfall zu fordern ist. Solche Umstände vermag das angefochtene Urteil nicht aufzuzeigen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
65
f) Die vorstehenden Ausführungen unter g. gelten auch für den Nachweis des Vorhandenseins des Dichtungsrings, zumal das Landgericht dem unterschiedlichen Wortlaut der Merkmale (richtige Positionierung - Vorhandensein) keine Bedeutung beigemessen hat. Auch hier hat das Landgericht allein auf das von der Klägerin vorgelegte Video abgestellt (LGU, Seite 57 Abs. 1 und 2) und hat den Vortrag der Beklagten zur fehlenden Verlässlichkeit der Anzeigen, u.a. gestützt auf das Video gemäß Anlage B 14, mit der nicht tragfähigen Begründung, auf die Verlässlichkeit des Nachweises komme es nicht an, nicht als maßgeblich angesehen (LGU, Seite 57 Abs. 3).
66
3. Ob der Zwischenbescheid die Prognose rechtfertigt, dass das Klagegebrauchsmuster unzulässig erweitert wurde bzw. mangels wirksamer Abzweigung die Priorität vom 1.11.2011 nicht in Anspruch nehmen kann (so die Beklagte, vgl. Schriftsätze vom 18. und 24.3.2020) mit der Folge, dass mit seiner Löschung zu rechnen ist, lässt der Senat, da für den Einstellungsantrag nach den vorstehenden Ausführungen nicht mehr entscheidungserheblich, dahingestellt.
67
Ist ein Löschungsverfahren anhängig, kann das Gericht das Verletzungsverfahren aussetzen, wenn der Ausgang des Löschungsverfahrens für das Verletzungsverfahren vorgreiflich ist (§ 19 Satz 1 GebrMG). Es hat die Aussetzung anzuordnen, wenn das Gericht das Gebrauchsmuster für unwirksam hält (§ 19 Satz 2 GebrMG).
68
Soweit das Landgericht für diese Entscheidung die gleichen (strengen) Maßstäbe für anwendbar hält, wie sie für Patente gelten (LGU, Seite 67 f. unter E.I), teilt der Senat diese Auffassung allerdings nicht. Bei einem Gebrauchsmuster handelt es sich um ein ungeprüftes Schutzrecht. Seine Eintragung begründet keine Vermutung der Rechtsbeständigkeit (vgl. Senat, GRUR 2020, 385 Tz. 60 = Mitt. 2020, 123) mit der Folge, dass mit der Eintragung des Klagegebrauchsmusters (§ 11 GebrMG) lediglich einhergeht, dass der Löschungsantrag zurückzuweisen ist, wenn sich ein Löschungsgrund nicht feststellen lässt. Maßgeblich ist daher, ob das Landgericht „nach dem strengen Maßstab gemessen“ (LGU, Seite 68 4. Abs.) die Einwände der Beklagten zu Recht für nicht durchgreifend erachtet hat, wobei auch der ergangene Zwischenbescheid des DPMA zu berücksichtigen ist. Nach der ständigen Handhabung des Senats kommt einem qualifizierten Hinweis des BPatG gemäß § 83 PatG im Rahmen der Prüfung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Regel eine erhebliche Bedeutung zu, da dieser in der Regel maßgebliche Anhaltspunkte in Bezug auf den zu erwartenden Ausgang des Verfahrens vor dem BPatG liefert. Ebenso ist die vorläufige Auffassung des DPMA in Gestalt des Zwischenbescheids vom 5.3.2020 im anhängigen Löschungsverfahren zu berücksichtigen.
69
a. Soweit in dem Zwischenbescheid die vorläufige Einschätzung abgegeben wird, es sei mit einer vollständigen Löschung des Klagegebrauchsmusters zu rechnen, weil es dem Klagegebrauchsmuster sowohl in der mit dem Hauptantrag (Anlage BK 11, Seite 3 f.) als auch mit den Hilfsanträgen 1 - 3 (aaO Seite 4/6) verteidigten Fassung an der erforderlichen Neuheit fehle, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Dieser Beurteilung liegt die Annahme zugrunde, dass das Klagegebrauchsmuster die Prioritäten der US-Anmeldungen vom 1., 2. und 5.11.2010 nicht in Anspruch nehmen kann (Anlage BK 11, Seite 7 unter (b) (ii)) und die drei US-Anmeldungen dem Klagegebrauchsmuster neuheitsschädlich entgegen stehen (aaO Seite 7 ff. unter b (iii)). Dass es sich bei den drei Prioritätsanmeldungen um Stand der Technik handelt, weil diese vor dem 1.11.2011 (Anmeldetag der Stammanmeldung) veröffentlicht wurden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GebrMG), kann jedoch nicht zugrunde gelegt werden. Die Klagepartei hat im Schriftsatz vom 16.3.2020 ausgeführt, dass die drei Prioritätsanmeldungen erst im Zuge der Veröffentlichung der Stammanmeldung veröffentlicht wurden. Gegenteiliges wird auch von der Beklagten nicht geltend gemacht, wenn diese es als unstreitig darstellt, dass die Veröffentlichung erst im Zuge der Veröffentlichung der Stammanmeldung am 10.12.2012 stattgefunden hat (Schriftsatz vom 18.3.2020, Seite 9).
70
b. Das Landgericht hat eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der Ansprüche 1, 16 und 24 durch die Entgegenhaltung WO 2010/036 352 A1 (Anlage B 4) verneint mit der Erwägung, die Schublade (tray 666 in Figur 4/65 bzw. Seite 34 Zeilen 18 bis 24) gemäß dieser Entgegenhaltung offenbare jedenfalls keinen anspruchsgemäßen Halter. Nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters handele es sich bei Chip und Halter um getrennte Bestandteile. Dies ergebe sich bereits aus dem Anspruchswortlaut. Der Halter werde nicht als Bestandteil des Chips beschrieben, sondern zusammen mit dem Chip als Bestandteil der Anordnung, die anderenfalls, da nur aus einem Bestandteil bestehend, überflüssig sei.
71
Dass diese Beurteilung ersichtlich unzutreffend ist, vermag der Senat nicht zu konstatieren.
72
c. Das Landgericht ist zu der Beurteilung gelangt, dass das Klagegebrauchsmuster die Priorität vom 1.11.2011 in Anspruch nehmen kann und ihm folglich die Stammanmeldung und die Teilanmeldung nicht neuheitschädlich entgegenstehen (LGU, Seite 60 ff. unter D.I). Dies hängt von der Frage ab, ob die Abzweigung wirksam erfolgt ist, was vom Landgericht mit der Begründung bejaht wird, dass sich das Vorliegen derselben Erfindung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 GebrMG danach richte, ob die Lehre des Gebrauchsmusters in der Teilanmeldung als zur Erfindung gehörig offenbart worden sei, wobei es nicht erforderlich sei, dass der durch den Offenbarungsgehalt bestimmte Gegenstand der Patentanmeldung zum Inhalt eines Schutzanspruches gemacht worden sei. Danach sei festzustellen, dass die mit der Teilanmeldung offenbarte Erfindung nicht auf Verfahren zur Herstellung konzentrierter Emulsionen beschränkt sei, sondern auch ein mit dem Klagegebrauchsmuster beanspruchtes System zur Erzeugung von Emulsionen umfasse. Der Teilanmeldung könne auch nicht die Absicht entnommen werden, nur noch ein Verfahren zur Herstellung konzentrierter Emulsionen zu beanspruchen. Für den Anmelder bestehe sowohl im Prüfungswie auch im Einspruchsverfahren die Möglichkeit, seine Ansprüche zu ändern.
73
aa. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, das Landgericht hätte den Rechtsstreit bereits deshalb aussetzen müssen, weil die Frage der Erfindungsidentität im Sinne von § 5 Abs. 1 GebrMG noch nicht höchstrichterlich geklärt sei (Schriftsatz vom 11.2.2020), kann dem nicht gefolgt werden. Dass das Landgericht einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat, wenn es darauf abstellt, welcher Offenbarungsgehalt in der Teilanmeldung hätte ausgeschöpft werden können, kann nicht festgestellt werden. Seit dem Beschluss des BPatG vom 19.10.1994 (BPatGE 35, 1 = GRUR 1995, 486) ist die Frage nach der Wirksamkeit der Abzweigung in Bezug auf das Vorliegen „derselben Erfindung“ nach herrschender Meinung danach zu beurteilen, ob der Gegenstand der abgezweigten Gebrauchsmusteranmeldung in der zugrundeliegenden Patentanmeldung zwar nicht in wörtlicher Übereinstimmung, aber doch für den Fachmann ohne weiteres erkennbar offenbart ist. Ebenso vertritt das OLG Düsseldorf (Urt. v. 26.4.2007 - 2 U 59/03, BeckRS 2007, 12956; Urt. v. 2.9.2010 - 2 U 24/10, juris Tz. 38) die Auffassung, dass auf die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen abzustellen ist und es nicht erforderlich ist, dass die in der Patentanmeldung zur Erfindung gehörig offenbarten Beschreibungsstellen nicht in Schutzansprüchen beschrieben sind (vgl. auch Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 5 GebrMG Rn. 8; Benkard/Goebel/Engel, PatG, 8. Aufl., § 5 GebrMG Rn. 5; Loth/Pantze, GebrMG, 2. Aufl., § 5 Rn. 8; Bühring, GebrMG, 8. Aufl., § 5 Rn. 27 ff.). Davon ist auch das DPMA im Zwischenbescheid vom 5.3.2020 (Anlage BK 11, Seite 7 unter (b) (i) 1. Abs.) ausgegangen.
74
Ist nach dieser h.M. auch auf die in der Beschreibung enthaltene Offenbarung der früheren Patentanmeldung (hier: Teilanmeldung) abzustellen, ist es ohne Bedeutung, ob und mit welchem Inhalt diese zur Erteilung gelangt (vgl. BeckOK PatR/Gleicher/Fischer, § 5 GebrMG Rn. 26 f.).
75
bb. Der Zwischenbescheid des DPMA (a.a.O. Seite 7, 2. Abs.) lässt die Wirksamkeit der Abzweigung aufgrund der fehlenden Offenbarung für das letzte Merkmal des Hauptanspruchs (bzw. des Anspruchs 13 der eingetragenen Fassung) in der Teilanmeldung (= Stammanmeldung im Sinne des Zwischenbescheids, vgl. Anlage BK 11, Seite 2 1. Abs.) offen.
76
Wie die Beklagte zutreffend ausführt, geht der Zwischenbescheid offensichtlich davon aus, dass das Merkmal des Halter-Nachweises in der beanspruchten Allgemeinheit in der Teilanmeldung (Anlage B 1) nicht offenbart ist. Hiervon ausgehend läge der Löschungsgrund des § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG vor und das Klagegebrauchsmuster könnte nicht die Priorität vom 1.11.2011 in Anspruch nehmen mit der Folge, dass sowohl die Prioriätsdokumente als auch die Stamm- und Teilanmeldung als Stand der Technik zu berücksichtigen wären. Dies bedarf aber aus den vorstehend genannten Gründen keiner weiteren Erörterung im Rahmen der vorliegenden Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob diese Beurteilung auch Auswirkung auf alle geltend gemachten Merkmalskombinationen haben kann.
77
d. Das Landgericht hat eine unzulässige Erweiterung im Übrigen verneint (LGU, Seite 64 ff. unter D.III). Dies steht in Einklang mit der vorläufigen Beurteilung im Zwischenbescheid (Anlage BK 11, Seite 6 unter 2.(a), Seite 9 unter 3. (a), Seite 10 unter 4. (a) und 5. (a)).
78
e. Das Landgericht ist der Argumentation der Beklagten, bei den geltend gemachten Anspruchskombinationen handele es sich jeweils um eine Kombination bekannter Merkmale ohne einen daraus resultierenden überraschenden (technischen) Effekt, nicht gefolgt (LGU, Seite 71 ff.). Auch diese Beurteilung kann nicht als offensichtlich unzutreffend qualifiziert werden.
79
4. Bei der Höhe der Sicherheitsleistung hat sich der Senat an der im Zwischenurteil vom 16.1.2020, berichtigt mit Beschluss vom 31.1.2020 festgesetzten Sicherheit orientiert.