Inhalt

SG München, Endurteil v. 30.04.2025 – S 46 SO 72/24
Titel:

Zum Verhältnis von Zielvereinbarung und Persönlichem Budget nach § 29 SGB IX

Normenketten:
SGB IX § 4 Abs. 1, § 29, § 105 Abs. 4, § 113
SGB X § 53
SGB XII § 27a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Die Zielvereinbarung nach § 29 Abs. 4 SGB IX ist eine materielle Voraussetzung für die Bewilligung eines Persönlichen Budgets für Leistungen zur Teilhabe. (Rn. 29)
2. Die Zielvereinbarung ist auch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag. Die zuständige Behörde ist auch beim Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages an das Gesetz gebunden. (Rn. 30)
3. Bei einer Klage gegen den Bescheid zum Persönlichen Budget kann das Gericht eine abgeschlossene Zielvereinbarung inzident überprüfen, insbesondere darauf, ob die Vorgaben des SGB IX und von §§ 53 ff SGB X eingehalten wurden. Wenn ein Persönliches Budget wegen fehlender Zielvereinbarung abgelehnt wurde, kommt eine Fortsetzungsfeststellungklage in Betracht, in der auch das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung geprüft wird. (Rn. 31 – 32)
4. Die Kosten des Besuchs eines Fitnessstudios sind grundsätzlich nicht als Leistungen der Eingliederungshilfe zur Sozialen Teilhabe zu übernehmen. (Rn. 35)
Schlagworte:
Eingliederungshilfe, Fitnessstudio, Persönliches Budget, Zielvereinbarung, persönliches Budget, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Nebenbestimmung, materielle Voraussetzung, Beiträge für Fitnessstudio, Freizeitgestaltung, Hilfe zum Lebensunterhalt, durch den Regelbedarf abgedeckter Bedarf
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9864

Tenor

I. Die Klage gegen die Bescheide vom 10. Februar 2022 und 22. Juli 2022 jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11. Januar 2024 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Übernahme der Beiträge für ein Fitnessstudio als Leistung der Eingliederungshilfe im Rahmen eines Persönlichen Budgets (Budget) oder als Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt.
2
Der am 1964 geborene Kläger ist Eigentümer einer Wohnung mit Kfz-Stellplatz in M-Stadt. Er ist aufgrund früherer selbständiger Tätigkeit als Schauspieler privat kranken- und pflegeversichert. Neben den Grundtarifen beinhaltete die private Krankenversicherung (PKV) in der Zeit bis Oktober 2022 auch einen Zuschlag für Behandlungen durch Naturheilpraktiker, Auslandsbehandlungen, gesondert berechnete ärztliche Leistungen und Einzelbett im Krankenhaus. Der Kläger wechselte zum 01.11.2022 in den Basistarif der PKV unter Beibehaltung des Zusatztarifs für Naturheilpraktiker. Der behandelnde Psychiater des Klägers beschrieb im Mai 2012 schwere chronische psychische Erkrankungen des Klägers, darunter eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung nach kindlichen Traumatisierungen, eine rezidivierende depressive Störung und eine gemischte dissoziative Störung. Der Kläger steht seit Jahren unter gesetzlicher Betreuung.
3
Der Kläger bezog von Ende 2009 bis Mitte 2016 Arbeitslosengeld II vom Jobcenter. Ab April 2013 bezog der Kläger Eingliederungshilfe als Leistung der Sozialhilfe im Rahmen eines Budgets in Form der persönlichen Betreuung in Alltagsangelegenheiten durch eine Fachkraft für sechs bis acht Stunden pro Woche. Ab Juni 2016 bezog der Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß SGB XII.
4
In der Zielvereinbarung für das Budget vom Oktober 2018 wurde für die Monate Oktober 2018 bis einschließlich November 2019 vereinbart, dass der Kläger für acht Stunden Betreuung durch eine Fachkraft pro Woche ein Budget in Höhe von monatlich 1914,- Euro bekommt. In der Zielvereinbarung sind für unterschiedliche Lebensbereiche Ziele beschrieben, zum Beispiel Umbauarbeiten in der Wohnung, gebrauchte Gegenstände wegzuräumen, ausreichende Körperhygiene zu betreiben, in der Freizeit auch spontane Verabredungen zuzulassen, weiterhin regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen, ins Kino zu gehen oder auch mal ein Café zu besuchen. Unter Ziffer 10. Sonstiges wurde vereinbart, dass der Kläger vom Budgetbetrag weiterhin den Monatsbetrag für das Fitnessstudio in Höhe von 69,99 Euro begleicht. Mit Bescheid vom 28.03.2019 wurde das Budget in Höhe von 1914,- Euro für die Zeit von Februar bis einschließlich November 2019 bewilligt. Der Kläger bezahlte anschließend monatlich 69,99 Euro aus dem Budget für die „Platinum-Mitgliedschaft“ im Fitnessstudio.
5
Am 14.01.2020 wurde eine neue Zielvereinbarung für ein Budget vereinbart für die Zeit von Dezember 2019 bis einschließlich November 2020. Erneut wurden 1914,- Euro monatlich für acht Stunden pro Woche Betreuung durch eine Fachkraft festgelegt. Es wurden ebenfalls zahlreiche Ziele für verschiedene Teilbereiche benannt, unter anderem auch der regelmäßige Besuch eines Fitnessstudios. Unter Ziffer 10. Sonstiges wurde nichts vereinbart. Der Bewilligungsbescheid zum Budget erging erst nachträglich am 10.02.2022 für die Zeit von Dezember 2019 bis einschließlich November 2021.
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Wegen der Corona-Pandemie schlossen alle Fitnessstudios im Frühjahr 2020. Im Qualitätssicherungsgespräch vom November 2020 teilte der Kläger mit, dass ihn die Streichung des Fitnessstudios psychisch destabilisiert habe.
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Am 03.05.2021 / 28.07.2021 unterzeichneten die Beteiligten eine neue Zielvereinbarung für die Zeit von Mai 2021 bis einschließlich April 2022. Der Kläger unterzeichnete wegen der Beiträge zum Fitnessstudio mit dem Zusatz „unter Vorbehalt einer rechtlichen Überprüfung“. Erneut wurde das Budget für acht Stunden pro Woche Betreuung durch eine Fachkraft festgelegt. Bei einem Stundenlohn von 55,- Euro ergab sich ein Monatsbetrag von 1905,20 Euro. Es wurden ebenfalls wieder zahlreiche Ziele für verschiedene Lebensbereiche benannt, allerdings wurde darunter nicht erwähnt der Besuch eines Fitnessstudios. Eine Ziffer 10. Sonstiges enthielt die Vereinbarung nicht.
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Mit Bescheid vom 10.02.2022 bewilligte der Beklagte dem Kläger ein Budget für die Monate von Dezember 2019 bis einschließlich November 2021 in unterschiedlichen Höhen zwischen 1760,- Euro und 2640,- Euro pro Monat je nach nachgewiesenen Betreuungsstunden durch die Fachkraft.
9
Mit Bescheid ebenfalls vom 10.02.2022 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Monate von Dezember 2019 bis einschließlich November 2021 Hilfe zum Lebensunterhalt. Dabei wurden die Regelbedarfe zuzüglich kommunale Aufstockung von 21,- bzw. 22,- Euro, die Kosten der Eigentumswohnung (Hausgeld von 319,- Euro und 23,06 Euro Grundsteuer für Wohnung und Garage) abzüglich 44,- Euro Mieteinnahmen für die Garage sowie Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung von 590,60 Euro als Bedarf berücksichtigt.
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Die gesetzliche Betreuerin des Klägers legte mit Schreiben vom 28.02.2022 Widerspruch gegen beide Bescheide vom 10.02.2022 ein. Den Widerspruch gegen den Bescheid zu Hilfe zum Lebensunterhalt begründete der Kläger damit, dass er nach seiner Berechnung für den gesamten Zeitraum 365,78 Euro zu wenig erhalten habe. Den Widerspruch gegen den Bescheid zum Budget begründete der Kläger damit, dass die Beiträge zum Fitnessstudio zu berücksichtigen seien. In einem Qualitätssicherungsgespräch zum Budget im Mai 2022 teilte der Kläger mit, dass er seit zwei Jahren nicht mehr im Fitnessstudio gewesen sei.
11
Erst mit Bescheid vom 10.01.2023 wurde für die Monate von Dezember 2021 bis einschließlich April 2022 Eingliederungshilfe in Form der Kostenerstattung durch Übernahme der Kosten der nachgewiesenen Betreuungsstunden bewilligt. In dieser Zeit fielen keine Beiträge für das Fitnessstudio an.
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Mit Bescheid vom 14.04.2022 bewilligte der Beklagte Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate Dezember 2021 bis einschließlich Juni 2022. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.
13
Am 09.06.2022 unterzeichneten die Beteiligten eine neue Zielvereinbarung für die Zeit ab 01.05.2022 bis auf weiteres. Erneut wurde das Budget für acht Stunden pro Woche Betreuung durch eine Fachkraft festgelegt in Höhe von nun 2043,76 Euro pro Monat. Wegen Schwankungen im Betreuungsbedarf wurden unterschiedliche Auszahlungsbeträge vereinbart. Es wurden ebenfalls wieder zahlreiche Ziele für verschiedene Lebensbereiche benannt, darunter auch der Besuch eines Fitnessstudios oder vergleichbarer Angebote. Eine Ziffer 10. Sonstiges enthielt die Vereinbarung nicht. Mit Bescheid vom 22.07.2022 bewilligte der Beklagte ein Budget für die Monate ab Mai 2022 in unterschiedlicher Höhe entsprechend der Zielvereinbarung. Auch dagegen legte der Kläger Widerspruch ein wegen der Beiträge zum Fitnessstudio.
14
Mit Schreiben vom 05.07.2022 beantragte der Kläger die Berücksichtigung der Gebühren für das Fitnessstudio für den kommenden Bescheid. Mit Bescheid vom 22.07.2022 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Der Besuch eines Fitnessstudios sei eine individuelle Freizeitgestaltung, die aus dem Regelsatz zu bezahlen sei. Der Kläger legte auch dagegen Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 19.10.2022 wurde Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit von Juli 2022 bis einschließlich Juni 2023 bewilligt.
15
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.02.2022 zum Budget wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2024 (End-Nr. 33) als unbegründet zurückgewiesen. Die Beiträge zum Fitnessstudio würden unabhängig von einer Behinderung anfallen und erfüllten damit keine Aufgabe der Eingliederungshilfe.
16
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.02.2022 zur Hilfe zum Lebensunterhalt wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2024 (End-Nr. 136) als unbegründet zurückgewiesen. Beiträge zum Fitnessstudio seien aus dem Regelsatz zu bestreiten.
17
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.07.2022 zum Budget wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2024 (End-Nr. 34) als unbegründet zurückgewiesen. Die Beiträge zum Fitnessstudio würden unabhängig von einer Behinderung anfallen und erfüllten damit keine Aufgabe der Eingliederungshilfe.
18
Der Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 22.07.2022 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2024 (End-Nr. 137) als unbegründet zurückgewiesen. Beiträge zum Fitnessstudio seien aus dem Regelsatz zu bestreiten. Die Kosten für eine gehobene Mitgliedschaft in einem Premiumstudio seien auch nicht unausweichlich im Sinne von § 27a Abs. 4 Nr. 2 SGB XII. Es gebe deutlich preisgünstigere Alternativen.
19
Der Kläger hat am 15.02.2024 Klage zum Sozialgericht München erhoben gegen die Bescheide vom 10.02.2022 und 22.07.2022 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.01.2024. Der Kläger wies nach Aufforderung durch das Gericht folgende Kosten für das Fitnessstudio nach: Für Dezember 2019 bis einschließlich November 2020 monatlich 69,99 Euro, davon im Mai und Juni 2020 für Home-Workouts, 79,98 Euro für Juni 2021, 2,26 Euro für Juli 2022, 69,99 Euro für August 2022, 69,99 Euro für Oktober 2023 und 57,74 Euro für November 2023.
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Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung bzw. Abänderung der Bescheide vom 10.02.2022 und 22.07.2022 in Gestalt der vier Widerspruchsbescheide vom 11.01.2024 zu verurteilen, die Leistungen in gesetzlicher Höhe und Umfang aus allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen, insbesondere die Beiträge zum Fitnessstudio, zu gewähren.
21
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

22
Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Die strittigen Bescheide entsprechen dem Gesetz. Der Kläger hat weder im Persönlichen Budget für Eingliederungshilfe noch im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt einen Anspruch auf Übernahme der Beiträge zum Fitnessstudio. Der Kläger kann in beiden Bereichen nur die Kosten für das Fitnessstudio geltend machen, die ihm tatsächlich entstanden sind. Es handelt sich ansonsten um einen nicht nachholbaren Bedarf, der sich durch Zeitablauf erledigt hat. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft, § 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG.
1. Eingliederungshilfe und Persönliches Budget
23
a) Streitgegenstand sind der Bescheid vom 10.02.2022 zum Budget für die Zeit von Dezember 2019 bis einschließlich November 2021 und der Bescheid vom 22.07.2022 zum Budget für die Monate ab Mai 2022, jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.01.2024. Die jeweiligen Zielvereinbarungen sind als materielle Voraussetzungen des Persönlichen Budgets inzident zu prüfen.
24
b) Die strittigen Bescheide sind formell und materiell rechtmäßig. Der Beklagte ist verfahrensrechtlich gemäß § 29 Abs. 3, § 14 SGB IX zuständige Behörde und im Übrigen auch sachlich gemäß § 94 SGB IX i.V.m. Art. 66d Bayerisches Ausführungsgesetz der Sozialgesetze (AGSG) sowie örtlich gemäß § 98 Abs. 1 SGB IX die zuständige Behörde für das Persönliche Budget. Fehler im Verwaltungsverfahren mit negativem Einfluss auf die Höhe des Budgets sind nicht ersichtlich, § 42 SGB X.
25
c) Gemäß § 29 SGB IX besteht auf Antrag ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe in Form eines Persönlichen Budgets, regelmäßig als pauschale Geldleistung, wenn es sich um budgetfähige Leistungen handelt, insbesondere Leistungen zur Teilhabe nach SGB IX, und gemäß § 29 Abs. 4 SGB IX eine entsprechende Zielvereinbarung abgeschlossen wurde. Dies gilt gemäß § 105 Abs. 4 SGB IX ausdrücklich auch für Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX.
26
Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für den Erhalt von Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 99 Abs. 1 SGB IX. Er ist aufgrund seiner dauerhaften erheblichen psychischen Erkrankung seelisch wesentlich behindert. Er begehrt eine Erhöhung des Persönlichen Budgets aufgrund der Beiträge zum Fitnessstudio. Die Bewilligung der Betreuungsleistungen durch die Fachkraft für im Durchschnitt acht Stunden pro Woche deckt den tatsächlichen Bedarf des Klägers an Leistungen der Eingliederungshilfe ab. Bedarfsschwankungen in diesem Bereich wurden berücksichtigt.
27
Die der strittigen Zeit ab Dezember 2019 vorangegangene Zielvereinbarung enthielt noch die Regelung, dass der Kläger aus dem Budgetbetrag den Monatsbeitrag für das Fitnessstudio begleichen durfte. Das BSG geht davon aus, dass ein Persönliches Budget nur dann befristet vereinbart und bewilligt werden darf, wenn die zugrundeliegenden Einzelleistungen befristet werden dürften (BSG, Urteil vom 28.01.2021, B 8 SO 9/19 R, dort Rn. 33 ff). Aus der vorangegangenen Vereinbarung kann der Kläger aber keine Rechte herleiten. Diese Zielvereinbarung verlor ihre Wirksamkeit mit dem dort vereinbarten Zeitablauf. Die nachfolgenden Zielvereinbarungen enthielten keine Sonderregelungen mehr zur Finanzierung der Beiträge zum Fitnessstudio.
28
Das Verhältnis zwischen Zielvereinbarung und nachfolgendem Verwaltungsakt zum Persönlichen Budget ist nicht abschließend geklärt. Soweit das BSG im Urteil vom 28.01.2021, B 8 SO 9/19 R, dort Rn. 27, den vorherigen Abschluss einer Zielvereinbarung zu einer allenfalls formalen Voraussetzung herabstufte, bezog sich das auf die dort strittige Zeit, in der die Zielvereinbarung lediglich in § 4 Budgetverordnung festgelegt war. Das gilt auch für das Urteil des BSG vom 11.08.2022, B 8 SO 3/21 R. Seit 01.01.2018 ist das Erfordernis einer Zielvereinbarung in § 29 Abs. 4 SGB IX gesetzlich verankert.
29
§ 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX legt fest, dass der Verwaltungsakt zum Persönlichen Budget aufzuheben ist, wenn die Zielvereinbarung von einem der Beteiligten gekündigt wurde. Dies macht deutlich, dass die Zielvereinbarung eine materielle Voraussetzung für ein Persönliches Budget ist (ebenso Dau u.a. LPK SGB IX, 2022, § 29 Rn. 15; Ehrmann u.a., Gesamtkommentar Sozialrechtsberatung 2023, SGB IX, § 29 Rn. 6; SG Mannheim, Urteil vom 22.05.2024, S 9 SO 306/23 dort Rn. 31 ff). Das entspricht auch der Grundkonstruktion des Persönlichen Budgets: Es soll eine gemeinsame Basis und Einigkeit zwischen Leistungsempfänger und Behörde bestehen, wenn die Behörde dem Leistungsempfänger dauerhaft Gelder zur eigenverantwortlichen Bewirtschaftung und Deckung gemeinsam festgestellter und definierter Bedarfe zur Verfügung stellt und zugleich sonst wirksame Maßnahmen der Qualitätssicherung, z.B. durch Rahmenvereinbarungen mit Leistungserbringern nach §§ 123 ff SGB IX, entfallen. Diese gemeinsame Basis ist die vertragliche Einigung in der Zielvereinbarung. Das Verhältnis zwischen Zielvereinbarung und Verwaltungsakt zum Budget ist vergleichbar einem Rahmenvertrag mit einem Leistungserbringer nach §§ 123 ff SGB IX und einem nachfolgenden Bewilligungsbescheid im Einzelfall. Sowohl Zielvereinbarungen als auch Rahmenvereinbarungen haben den Zweck, Leistungsinhalte, Qualitätssicherung und Bezahlung zu gewährleisten.
30
Das BSG hat im Urteil vom 28.01.2021, B 8 SO 9/19 R, dort Rn. 29, angedeutet, dass der Inhalt einer Zielvereinbarung eventuell als Nebenbestimmung im Sinn von § 32 Abs. 1 SGB X in den Verwaltungsakt zum Persönlichen Budget einbezogen werden könne. Für die Rechtslage ab 2018 ist davon nicht auszugehen. Die Zielvereinbarung ist nach allgemeiner Auffassung ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, auf den neben § 29 Abs. 4 SGB IX ergänzend §§ 53 ff SGB X anwendbar sind. Es kann sein, dass die Gegenleistungen des Leistungsempfängers über § 55 Abs. 2 SGB X an § 32 SGB X zu messen sind, sofern § 29 SGB IX keine vorrangige Regelung dazu trifft. Dadurch erhält der öffentlich-rechtliche Vertrag aber nicht den Charakter einer Nebenbestimmung. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist etwas grundlegend anderes als eine Nebenbestimmung, die die Behörde einseitig einem Verwaltungsakt beifügen kann.
31
Es ist aber auch nicht so, dass die Behörde den Anspruch auf ein Persönliches Budget dadurch aushebeln darf, indem sie eine Zielvereinbarung ohne gesetzliche Grundlage verweigert. Es besteht keine uneingeschränkte Vertragsfreiheit (BSG, Urteil vom 28.01.2021, B 8 SO 9/19 R, dort Rn. 28). Das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch auf ein Persönliches Budget und der vertraglichen Einigung in der Zielvereinbarung ist wie folgt zu lösen: Die Behörde ist auch beim Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages an das Gesetz, insbesondere an SGB IX und §§ 53 ff SGB X, gebunden. Sie hat den Bedarf nach den formellen und materiellen Vorgaben des SGB IX zu ermitteln und die Mindestinhalte der Zielvereinbarung nach § 29 Abs. 4 Satz 2 SGB IX anzubieten. Die Behörde darf ohne rechtliche Grundlage keine Forderungen aufstellen. Umgekehrt kann ein Leistungsempfänger nicht Leistungen fordern oder Nachweise verweigern, die den Vorgaben des Gesetzes und der Lage des Einzelfalls (vgl. § 104 Abs. 1 SGB IX) nicht entsprechen. Eine bestehende Zielvereinbarung hat das Sozialgericht anhand dieser gesetzlichen Vorgaben zu prüfen und ggf. höhere oder andere Leistungen zuzusprechen.
32
Für die Zeit von Dezember 2020 bis einschließlich April 2021 gab es keine Zielvereinbarung, Das Persönliche Budget ist lediglich eine besondere Leistungsform, der Bedarf ohne Budget ist durch Einzelleistungen oder Sachleistungen bzw. Erstattung der Kosten selbstbeschaffter Leistungen (§ 18 SGB IX) zu decken. Es geht also nicht darum, ob jemand überhaupt die notwendigen Leistungen erhält oder nicht. Es ist wohl nicht Aufgabe des Gerichts, eine fehlende Zielvereinbarung zu ersetzen (Schellhorn u.a. SGB XII, 21. Auflage 2023, § 105 SGB IX Rn. 25). Das Gericht kann aber prüfen, ob das Nichtzustandekommens eines öffentlich-rechtlichen Vertrags rechtswidrig war und dies ggf. im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen den Bescheid zum Budget gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG feststellen. Dies kann hier letztlich offenbleiben, denn es sind in der vorgenannten Zeit keine Kosten für das Fitnessstudio entstanden. Für eine Fortsetzungsfeststellungsklage besteht hier angesichts der anderen Zeiträume mit Zielvereinbarung kein berechtigtes Feststellungsinteresse.
33
d) Aus der Leistungsbeschreibung und der Kalkulation in den Zielvereinbarungen und in den Bewilligungsbescheiden ergibt sich eindeutig, dass das Budget ausschließlich für die Betreuungsleistungen der Fachkraft, im Durchschnitt acht Stunden pro Woche, zu verwenden war. Die Gebühren für das Fitnessstudio wurden zu Recht nicht in die Zielvereinbarung und in die Bewilligungsbescheide vom 10.02.2022 und 22.07.2022 aufgenommen. Es handelt sich dabei nicht um eine Leistung zur Teilhabe.
34
Eine medizinische Rehabilitation nach § 109 SGB IX scheidet aus: Ein medizinisches Ziel mit direktem Bezug zur psychischen Erkrankung ist nicht vorhanden (zu dieser Unterscheidung von sozialer Teilhabe nach dem Leistungszweck BSG, Urteil vom 28.08.2018, B 8 SO 5/17 R, dort Rn. 22).
35
Es handelt sich bei den monatlichen Kosten eines Fitnessstudios auch nicht um eine Leistung zur Sozialen Teilhabe gemäß §§ 113 ff SGB IX. Diese Leistungen haben den Zweck, eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Sie können auch Leistungen erfassen, denen als Teilhabeziel das Bedürfnis nach Freizeitgestaltung zu Grunde liegt, zum denkbaren Eingliederungshilfebedarf gehören allerdings nur die im Einzelfall notwendigen behinderungsbedingten Mehraufwendungen für eine angemessene Freizeitgestaltung (BSG, Urteil vom 19.05.2022, B 8 SO 13/20 R, dort Rn. 13 und 17, zu den Mehrkosten für eine Begleitperson bei einer Urlaubsreise). Leistungen der Sozialen Teilhabe betreffen dagegen nicht allgemeine Kosten der Lebensführung, die dem Regelbedarf zuzuordnen sind und nicht notwendig behinderungsbedingt sind.
36
Der Besuch eines Fitnessstudios ist als Freizeitbeschäftigung Teil der selbstgewählten allgemeinen Lebensführung, vergleichbar mit Spazierengehen, regelmäßigem Dauerlauf, dem Besuch eines Cafés oder Kinos. Ein notwendiger behinderungsbedingter Mehrbedarf, etwa Zusatzkosten für eine besondere behinderungsspezifische Ausstattung des Studios, ist im konkreten Fall nicht gegeben. Der Kläger will das Fitnessstudio wie jeder nichtbehinderte Mensch besuchen. Das hat er aus dem Regelbedarf zu bezahlen. Im Übrigen ist eine hochpreisige Platinum-Mitgliedschaft in einem gehobenen Fitnessstudio auch keine notwendige Sozialleistung im Sinn von § 4 Abs. 1 SGB IX. Die Erwähnung des Besuchs des Fitnessstudios in den Zielen der Zielvereinbarungen führt zu keinem anderen Ergebnis. Eine Kostenübernahme bedeutete das nicht, ebenso wie z. B. bei den Kosten von Kinobesuchen oder Umbauarbeiten in der Wohnung.
2. Hilfe zum Lebensunterhalt
37
a) Streitgegenstand sind der Bescheid vom 10.02.2022 für Dezember 2019 bis November 2021 und der Ablehnungsbescheid vom 22.07.2022, jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.01.2024. Der gesonderte Antrag und der Ablehnungsbescheid beziehen sich auf „den kommenden Bescheid“ zur Hilfe zum Lebensunterhalt. Der vorhergehende nicht angefochtene Bescheid vom 14.04.2022 regelte die Zeit bis einschließlich Juni 2022, der nachfolgende Bescheid vom 19.10.2022 die Zeit von Juli 2022 bis einschließlich Juni 2023.
38
b) Die Bescheide zur Hilfe zum Lebensunterhalt sind formell und materiell rechtmäßig. Der Beklagte ist auch hierfür die sachlich (§ 97 Abs. 2 SGB XII i.V.m. Art. 80, 82 Satz 1 Nr. 4 a Bay AGSG) und örtlich zuständige Behörde (§ 98 Abs. 6 SGB XII i.V.m. § 98 Abs. 1 SGB IX).
39
Soweit der Klageantrag allgemein auf höhere Leistungen gerichtet ist, ist ein vom Beklagten zu gering bemessener Bedarf weder benannt noch erkennbar. Im Gegenteil, der Beklagte hat bei der Hilfe zum Lebensunterhalt für nicht angemessene Beiträge für Sondertarife in der PKV entgegen § 32 Abs. 4 SGB XII durchgängig deutlich zu hohe Leistungen gewährt im Umfang von monatlich etwa 66,- Euro, bzw. ab November 2022 monatlich 6,34 Euro.
40
Als Anspruchsgrundlage für höhere Leistungen wegen der Beiträge zum Fitnessstudio kommt lediglich eine höhere Festsetzung des Regelsatzes nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in Betracht. Danach ist der Regelsatz höher festzusetzen, wenn ein durch den Regelbedarf abgedeckter Bedarf nicht nur einmalig, sondern für eine Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat unausweichlich in mehr als geringem Umfang oberhalb der durchschnittlichen Bedarfe liegt, wie sie sich nach den Ermittlungen der durchschnittlichen Verbrauchsausgaben für den Regelbedarf ergeben und die dadurch bedingten Mehrausgaben begründbar nicht anderweitig ausgeglichen werden können.
41
Die Voraussetzungen für einen höheren Regelsatz sind nicht gegeben. Die Ausgaben in Höhe von monatlich 69,99 Euro für eine Premiummitgliedschaft in einem gehobenen Fitnessstudio sind nicht unabweisbar. Wenn überhaupt ein Fitnessstudio notwendig wäre, dann wäre eine einfache Mitgliedschaft in einem normalen Studio ausreichend. Dann geht es um monatlich 20,- bis 30,- Euro. Diese Beträge liegen nicht oberhalb der durchschnittlichen Bedarfe, die sich aus den statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben ergeben. Beispielsweise wurde für Einpersonenhaushalte laut § 5 Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) vom 09.12.2020 für die Abteilung 9 (Freizeit, Unterhaltung und Kultur) für das Jahr 2021 ein Betrag von 42,44 Euro angesetzt. Es ist die eigenverantwortliche Entscheidung des Leistungsempfängers, wie er den Regelsatz konkret einsetzt, vgl. § 27a Abs. 3 Satz 2 SGB XII. Die Bedarfsansätze in Abteilung 9 genügen in jedem Fall für die Kosten einer einfachen Mitgliedschaft in einem normalen Fitnessstudio.
42
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.