Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 15.05.2025 – 102 AR 46/25 e
Titel:

Schiedsvereinbarung, Verweisungsbeschluß, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Örtliche Zuständigkeit, Schiedsklausel, Örtliche Unzuständigkeit, Nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung, Gerichtsstandsvereinbarung nach Rechtshängigkeit, Landgerichte, Nachunternehmervertrag, Anderweitige Rechtshängigkeit, Nach Rechtshängigkeit, Perpetuatio fori, Prozeßhindernis, Schiedsgerichtsklausel, Angerufenes Gericht, Unzuständiges Gericht, Beschlüsse, Prozeßhindernde Einreden, Mediationsklausel

Schlagworte:
Schiedsvereinbarung, Prozesshindernis, Zuständigkeitskonflikt, Verweisungsbeschluss, Willkürprüfung, Perpetuatio fori, Gerichtszuständigkeit
Vorinstanzen:
LG Ulm, Beschluss vom 21.03.2025 – 6 O 85/25
LG Memmingen vom 10.03.2025 – 33 O 1891/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9819

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht Memmingen.

Gründe

I.
1
Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2024 erhob die Klägerin Klage beim Landgericht Memmingen gegen den in … wohnhaften Beklagten. Sie begehrt Zahlung von 31.539,95 € nebst Zinsen sowie verschiedene Feststellungen.
2
Die Klägerin habe den Beklagten im Zusammenhang mit der Errichtung eines Bauvorhabens in … beauftragt, Heizungs-, Sanitär- und Lüftungsarbeiten auszuführen. Die diesbezügliche Vereinbarung („Nachunternehmervertrag“; Anlage K1) vom 20. April 2020 verpflichte den Beklagten, „für seine Arbeit nur einwandfreies Material der oberen Qualitätsstufe zu verwenden und die Arbeiten durch geschultes zuverlässiges Fachpersonal ausführen zu lassen“. Gegen diese Verpflichtung habe der Beklagte verstoßen, weshalb Wasserschäden aufgetreten seien, die Gegenstand der Zahlungssowie der Feststellungsklage seien. § 14 der Vereinbarung enthält eine „Mediationsklausel“. § 15 lautet:
§ 15 Schiedsklausel
Sollte die Mediation gescheitert sein, so werden alle Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder über seine Gültigkeit ergeben, nach der Schiedsgerichtsordnung der Industrie- und Handelskammer Wiesbaden unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges endgültig entschieden. Das gerichtliche Mahnverfahren bleibt aber zulässig.
3
Am 2. Januar 2025 verfügte das Landgericht Memmingen u. a. die Zustellung der Klage, welche am 17. Januar 2025 erfolgte, und erteilte den Hinweis: „Das Gericht hat Zulässigkeitsbedenken dahingehend, dass die Parteien ausweislich der Anlage K1 eine Mediations- und Schiedsklausel vereinbart haben.“
4
Am 7. Februar 2025 teilte die Klägerin mit: „1. Nachdem vorliegend der zwischen den Parteien abgeschlossenen Nachunternehmervertrag eine Schiedsklausel (§ 15) aufweist, wäre die Klage vor dem Landgericht Memmingen unzulässig. Insoweit wurde vereinbart, die Zuständigkeit des Landgerichts Ulm. Daher wird gebeten, das Verfahren an das nunmehr zuständige Landgericht Ulm zu verweisen. 2. Darüber hinaus wurden die Mediationsklausel und die Schiedsklausel (§§ 14 und 15 des Vertrages) aufgehoben.“
5
Das Landgericht Memmingen verwies am 8. Februar 2025 „auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes vom 31.08.2023 (Az.: 102 AR 167/23) […]. Demnach kann bei Rechtshängigkeit einer Streitsache dem (auch) zuständigen Streitgericht die Zuständigkeit nachträglich nicht mehr entzogen werden. Eine Verweisung an das LG Ulm kann daher nach vorläufiger Prüfung der Rechtslage leider nicht erfolgen. Ein dennoch erfolgender Verweisungsbeschluss wäre wegen objektiver Willkür nicht bindend. Lediglich im Falle einer Klagerücknahme und Neuerhebung wäre der Weg zum LG Ulm wohl eröffnet.“
6
Am 11. Februar 2025 erwiderte die Klägerin, der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 31. August 2023 sei „im vorliegenden Fall nicht einschlägig“. Die Klage sei eingereicht worden beim Landgericht Memmingen. Eine „Zuständigkeit für das Landgericht Memmingen“ sei vorliegend aufgrund der Schiedsgerichtsklausel nicht gegeben. Insoweit sei das Landgericht Memmingen nicht zuständig. Werde in diesem Zustand die Schiedsklausel aufgehoben und gleichzeitig eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, so sei eine Begründung der Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen zu keinem Zeitpunkt gegeben gewesen. Eine derartige Konstellation liege der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht zugrunde. Nach Zustellung der Klage und nach Verteidigungsanzeige der Beklagtenseite sei die Mitteilung erfolgt, dass die Prozessbevollmächtigten in dieser Angelegenheit „eine Gerichtsstandsvereinbarung für ein anderes Amtsgericht geschlossen“ hätten. Dass in diesem Fall eine nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung nicht eingreifen könne, liege auf der Hand. Das angerufene Gericht sei von vornherein zuständig gewesen. Das könne man vorliegend vom Landgericht Memmingen nicht sagen, denn der Anrufung des Gerichts habe die Schiedsgerichtsklausel entgegengestanden. Daher sei das Landgericht nicht zuständig und ein unzuständiges Gericht könne den Rechtsstreit an ein zuständiges Gericht verweisen, nachdem die Parteien bezüglich des Landgerichts Ulm eine Gerichtsstandsvereinbarung vorlegten.
7
Am 20. Februar 2025 teilte das Landgericht Memmingen mit, nach erneuter Beratung könne sich die Kammer in Ansehung der mit Schriftsatz der Klägerseite vom 11. Februar 2025 vorgetragenen Erwägungen nunmehr der dortigen Auffassung anschließen. Eine ansonsten gegebene Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen nach §§ 12, 13 ZPO sei wegen § 15 des Nachunternehmervertrags (Anlage K1) ausgeschlossen, da zunächst insgesamt der Weg zu den ordentlichen Gerichten ausgeschlossen gewesen sei. Anders als im Fall, der durch das Bayerische Oberste Landesgericht entschieden worden sei, sei damit bei Eingang der Klage unter keinem Gesichtspunkt eine Zuständigkeit gegeben gewesen. Da die Parteien zeitgleich mit der Aufhebung der Klauseln in §§ 14, 15 des Nachunternehmervertrags die Zuständigkeit des Landgerichts Ulm vereinbart hätten, sei auch im Folgenden nie eine Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen begründet gewesen. Es sei daher beabsichtigt, das Verfahren nunmehr antragsgemäß an das Landgericht Ulm zu verweisen.
8
Nach Ablauf der Stellungnahmefrist erklärte sich das Landgericht Memmingen mit Ulm „für örtlich unzuständig“ und verwies den Rechtsstreit „auf Antrag der Klägerin an das Landgericht Ulm“. Eine Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegeben. Der Weg zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit sei den Parteien aufgrund der wirksamen Vereinbarung in § 15 des Nachunternehmervertrags zunächst verwehrt gewesen. Mit Vereinbarung vom Februar 2025 hätten die Parteien nach Rechtshängigkeit der Klage die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Ulm für diesen Rechtsstreit vereinbart und sodann die Schieds- und Mediationsklausel aufgehoben. Im Übrigen sei das Landgericht Ulm auch nach § 29a ZPO zuständig. Die nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung sei zulässig, § 38 Abs. 3 ZPO. Dem angerufenen und zuständigen Gericht könne grundsätzlich die Zuständigkeit nicht nachträglich entzogen werden. Ein solcher Fall liege indes gerade nicht vor. Denn das Landgericht Memmingen sei bis zur Prorogation der Parteien aufgrund der Vereinbarung unter § 15 des Nachunternehmervertrags zu keinem Zeitpunkt zuständig gewesen. Beim objektiv unzuständigen Gericht sei ab Rechtshängigkeit eine Vereinbarung auf dieses oder ein anderes Gericht allerdings zulässig. Der Rechtsstreit sei daher antragsgemäß an das Landgericht Ulm zu verweisen. Der Beschluss wurde den Parteien formlos mitgeteilt.
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Das Landgericht Ulm erklärte sich mit Beschluss vom 21. März 2025 ebenfalls „für örtlich unzuständig“ und legte die Sache „dem Oberlandesgericht München zur Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor[…]“. Der Verweisungsbeschluss sei willkürlich und damit nicht bindend. Das Landgericht Memmingen habe sich vorliegend über seine unzweifelhaft und offensichtlich gemäß §§ 12, 17 [gemeint wohl: 13] ZPO bestehende örtliche Zuständigkeit, den in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO geregelten Grundsatz der perpetuatio fori und die Regelung des § 1032 Abs. 1 ZPO hinweggesetzt, sodass der Verweisungsbeschluss nicht mehr verständlich erscheine. Die Wahl des Landgerichts Memmingen als Prozessgericht sei grundsätzlich bindend und unwiderruflich. Gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO werde die einmal bestehende Zuständigkeit durch nachträgliche Änderung der sie begründenden Umstände nicht berührt. Dies gelte auch für nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarungen durch die Parteien. Zwar sei den Streitparteien jedenfalls nach § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO möglich, für die bereits entstandene Streitigkeit eine Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen. Gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO berühre eine solche Vereinbarung jedoch ab dem Eintritt der Rechtshängigkeit bei einem zuständigen Gericht dessen Zuständigkeit nicht mehr. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und werde vom Landgericht Memmingen auch erkannt. Soweit das Landgericht Memmingen der Ansicht sei, der Grundsatz der perpetuatio fori sei nicht anwendbar, da es aufgrund der Schiedsklausel nie zuständig gewesen sei, verkenne es sowohl Rechtsnatur als auch Wirkung einer Schiedsklausel grob und grundlegend. Bedenklich sei vorliegend bereits, dass das Landgericht Memmingen von sich aus auf die Schiedsklausel hingewiesen habe. Gemäß § 1032 Abs. 1 ZPO handle es sich bei einer Schiedsvereinbarung um eine Einrede, die vom Beklagten geltend gemacht werden müsse. Hieraus folge auch, dass das staatliche Gericht eben nicht bereits aufgrund einer bestehenden Schiedsvereinbarung unzuständig sei. Schon gar nicht handle es sich bei der Schiedsklausel um eine Vereinbarung der örtlichen Zuständigkeit. Vielmehr handle es sich um eine prozesshindernde Einrede. Greife die Einrede durch, habe das Gericht die Klage als unzulässig abzuweisen, § 1032 Abs. 1 ZPO. Eine Verweisung an ein Schiedsgericht sei hingegen nicht möglich. Werde also trotz Vorliegens einer Schiedsklausel Klage zum staatlichen Gericht erhoben, gälten die prozessualen Regelungen der Zivilprozessordnung einschließlich § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO unverändert. Insbesondere da die Einrede des § 1032 Abs. 1 ZPO vorliegend nie erhoben worden sei, habe zu keinem Zeitpunkt eine Unzuständigkeit des Landgerichts Memmingen bestanden. Die Verweisung stelle sich als willkürlich dar, da das Landgericht Memmingen die eindeutige Regelung des § 1032 Abs. 1 ZPO offensichtlich völlig unbeachtet gelassen und die Wirkungen einer Schiedsklausel grob verkannt habe. Der Beschluss wurde den Parteien formlos mitgeteilt.
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Das Oberlandesgericht München hat die Sache mit Beschluss vom 26. März 2025 „unter Aufhebung von Ziffer 2. [betrifft die Vorlage an das Oberlandesgericht München] des Vorlagebeschlusses vom 21.3.2025 an das Landgericht Ulm zurückgegeben“, weil für die Bestimmungsentscheidung nicht das Oberlandesgericht München, sondern das Bayerische Oberste Landesgericht zuständig sei. Daraufhin hat das Landgericht Ulm am 3. April 2025 beschlossen, der Rechtsstreit werde „dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt“.
11
Den Parteien ist im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der Beklagte ist der Auffassung, ein Verweisungsbeschluss sei auch dann bindend, wenn das Gericht – hier das Landgericht Memmingen – zu Unrecht annehme, dass die Zuständigkeit noch durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Rechtshängigkeit beseitigt werden könne.
II.
12
Auf die zulässige Vorlage ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen auszusprechen.
13
1. Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
14
Das Landgericht Memmingen hat sich durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 10. März 2025 für unzuständig erklärt, das Landgericht Ulm durch den zuständigkeitsverneinenden Beschluss vom 21. März 2025 (dort Ziffer 1). Die jeweils beiden Parteien mitgeteilte und ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 82/22, juris Rn. 25; Beschluss vom 26. Juli 2022, 102 AR 65/22, juris Rn. 13). Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht Ulm den Parteien vor seiner Entscheidung kein rechtliches Gehör gewährt hat, denn es hat ihnen seine Entscheidung zumindest nachträglich bekannt gemacht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 82/22, juris Rn. 25; Beschluss vom 15. September 2020, 1 AR 88/20, juris Rn. 11; KG, Beschluss vom 6. März 2008, 2 AR 12/08, NJW-RR 2008, 1465 [juris Rn. 5]).
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2. Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zu den Zuständigkeitsbereichen unterschiedlicher Oberlandesgerichte (München und Stuttgart) gehören und das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht (hier: Landgericht Memmingen) in Bayern liegt.
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3. Örtlich zuständig ist das Landgericht Memmingen. Dessen Verweisungsbeschluss vom 10. März 2025 entfaltet keine Bindungswirkung.
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Im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Kompetenzstreit in der Weise zu entscheiden, dass das für den Rechtsstreit tatsächlich zuständige Gericht bestimmt wird; eine Auswahlmöglichkeit oder ein Ermessen bestehen nicht (BGH, Beschluss vom 14. Februar 1995, X ARZ 35/95, juris Rn. 3; BayObLG, Beschluss vom 19. März 2025, 101 AR 10/25, juris Rn. 19; Beschluss vom 15. September 2020, 101 AR 101/20, juris Rn. 21 m. w. N.).
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a) Zwar hat der Gesetzgeber in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (st. Rspr; vgl. z. B. BayObLG, Beschluss vom 10. März 2025, 101 AR 5/25 e, juris Rn. 23). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keine Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr; vgl. z. B. BayObLG, Beschluss vom 10. März 2025, 101 AR 5/25 e, juris Rn. 24 m. w. N.). Objektiv willkürlich ist ein Verweisungsbeschluss, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und offensichtlich unhaltbar ist (BayObLG, Beschluss vom 10. März 2025, 101 AR 5/25 e, juris Rn. 24). Als willkürlich zu werten ist es insbesondere, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht über seine Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, etwa weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder nicht zur Kenntnis nimmt (BayObLG, Beschluss vom 2. April 2025, 102 AR 17/25 e, juris Rn. 20). Als willkürlich ist es auch zu werten, wenn die eigene Unzuständigkeit aus einem Umstand abgeleitet wird, der hierfür unzweifelhaft nicht geeignet ist.
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b) Auf dieser Grundlage ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Memmingen als objektiv willkürlich zu bewerten. Er entfaltet keine Bindungswirkung. Das Landgericht Memmingen ist örtlich zuständig.
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aa) Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus §§ 12, 13 ZPO.
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Auch das Landgericht Memmingen hat in der Verfügung vom 20. Februar 2025 zutreffend die Auffassung von einer „gegebene[n] Zuständigkeit des LG Memmingen nach §§ 12, 13 ZPO“ vertreten, die lediglich „wegen § 15 des Nachunternehmervertrages (Anlage K1) ausgeschlossen“ sei. Hätte es die Schiedsvereinbarung nicht gegeben, wäre demnach auch das Landgericht Memmingen zutreffend von seiner eigenen örtlichen Zuständigkeit ausgegangen.
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Soweit das Landgericht Memmingen im Beschluss vom 10. März 2025 erwähnt, im „Übrigen wäre das LG Ulm auch nach § 29a ZPO zuständig“, handelt es sich offensichtlich um ein Versehen. § 29a ZPO (ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen) ist hier offensichtlich nicht einschlägig, da unzweifelhaft kein Miet- oder Pachtverhältnis inmitten steht. Gemeint sein dürfte eine mögliche Zuständigkeit nach § 29 ZPO (besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts) am Ort der vereinbarten Arbeiten (… im Bezirk des Landgerichts Ulm). § 29 ZPO begründet jedoch keine ausschließliche Zuständigkeit und steht der Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen daher nicht entgegen, wovon offenkundig auch das Landgericht Memmingen selbst nicht ausging.
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bb) Ebenfalls zutreffend gehen die am Zuständigkeitsstreit beteiligten Landgerichte übereinstimmend davon aus, dass dem angerufenen Gericht eine bei Rechtshängigkeit gegebene Zuständigkeit nicht mehr durch eine Parteivereinbarung entzogen werden kann, weil der sich aus § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ergebende Grundsatz der perpetuatio fori gegebenenfalls einer nachträglichen Gerichtsstandsvereinbarung entgegensteht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. August 2023, 102 AR 167/23, juris Rn. 24; Bacher in BeckOK ZPO, 56. Ed. 1. März 2025, § 261 Rn. 20.1; Roth in Stein, 24. Aufl. 2024, § 261 Rn. 37).
24
cc) Das Landgericht Memmingen meint jedoch, dass die „ansonsten gegebene Zuständigkeit des LG Memmingen nach §§ 12, 13 ZPO […] wegen § 15 des Nachunternehmervertrages (Anlage K1) ausgeschlossen [sei], da zunächst insgesamt der Weg zu den ordentlichen Gerichten ausgeschlossen war“ (Verfügung vom 20. Februar 2025). Das Landgericht Memmingen sei daher „bis zur Prorogation der Parteien aufgrund der Vereinbarung unter § 15 des Nachunternehmervertrages zu keinem Zeitpunkt zuständig“ gewesen (Beschluss vom 10. März 2025).
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Diese Auffassung ist offensichtlich unzutreffend.
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Zwar gilt bei Unzuständigkeit des zunächst angerufenen Gerichts § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht (vgl. Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl. 2025, § 261 Rn. 15); die Norm begründet also für sich genommen keine eigene Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (Anders in Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl. 2025, § 261 Rn. 23). Entgegen der Meinung des Landgerichts Memmingen wird seine örtliche Zuständigkeit nach §§ 12, 13 ZPO aber durch die Schiedsvereinbarung nicht berührt. Insbesondere hat das Landgericht Memmingen die vorliegend insoweit offensichtlich bedeutsame Regelung des § 1032 Abs. 1 ZPO nicht beachtet, obwohl diese maßgeblich regelt, welche Auswirkungen eine Schiedsvereinbarung auf ein Verfahren vor dem staatlichen Gericht hat.
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(1) Wegen des Grundsatzes der perpetuatio fori ist vorliegend entscheidender Zeitpunkt für die Frage, ob das Landgericht Memmingen örtlich zuständig ist, der Eintritt der Rechtshängigkeit. Deshalb kann die spätere Aufhebung der Schiedsvereinbarung an dieser Stelle außer Betracht bleiben.
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(2) Die Verweisung durch das Landgericht Memmingen ist als objektiv willkürlich anzusehen.
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Die vom Landgericht Memmingen vertretene Auffassung läuft letztlich auf den Rechtssatz hinaus: Für eine Klage in einer Angelegenheit, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, ist das angerufene staatliche Gericht (allumfassend) unzuständig und deshalb auch stets – unabhängig von §§ 12 ff. ZPO – örtlich unzuständig. Dieser Rechtssatz ist offensichtlich unzutreffend.
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Die Auswirkungen einer Schiedsvereinbarung auf ein Verfahren vor den staatlichen Zivilgerichten regelt insbesondere § 1032 Abs. 1 ZPO: „Wird vor einem Gericht Klage in einer Angelegenheit erhoben, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, so hat das Gericht die Klage als unzulässig abzuweisen, sofern der Beklagte dies vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache rügt, es sei denn, das Gericht stellt fest, dass die Schiedsvereinbarung nichtig, unwirksam oder undurchführbar ist.“ Das Vorliegen einer Schiedsvereinbarung hat demnach keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit des Gerichts im engeren Sinn (insbesondere auf die örtliche Zuständigkeit), sondern führt gegebenenfalls aus anderen Gründen zur Abweisung der Klage als unzulässig.
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Die Schiedsvereinbarung begründet, bei rechtzeitiger Geltendmachung, ein sogenanntes Prozesshindernis (Bacher in BeckOK ZPO, § 253 Rn. 18.1; Becker-Eberhard in Münchener Kommentar zur ZPO, 7. Aufl. 2025, Vor § 253 Rn. 13; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2023, Vor § 253 Rn. 144); sie führt zu einer prozesshindernden Einrede (Münch in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1032 Rn. 2; Anders in Anders/Gehle, ZPO, § 1029 Rn. 35; Wolf/Eslami in BeckOK ZPO, § 1029 Rn. 18; Thümmel in Schütze/Thümmel, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 7. Aufl. 2021, § 5 Rn. 106).
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Wie bei anderen selbständigen Prozesshindernissen auch, betrifft auch dieses Prozesshindernis nicht die Zuständigkeit im engeren Sinn, also insbesondere die örtliche Zuständigkeit. So hat der Bundesgerichtshof z. B. zu § 261 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ausgeführt: „Die etwaige anderweitige Rechtshängigkeit der Streitsache stellt ein selbständiges Prozeßhindernis dar, wenn dieselbe Streitsache erneut rechtshängig gemacht wird (§ 261 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), führt aber als solche nicht zur örtlichen Unzuständigkeit des im zweiten Verfahren angegangenen Gerichts“ (BGH, Beschluss vom 19. September 1979, IV ARZ 33/79, NJW 1980, 290 [juris Rn. 2]), weshalb auch eine Verweisung nach § 281 ZPO nicht aus diesem Grund erfolgen könne (BGH, a. a. O., juris Rn. 4). Später hat der Bundesgerichtshof noch einmal klargestellt, dass bei anderweitiger Rechtshängigkeit der Klage „ein Prozeßhindernis entgegen[steht], das zu deren Abweisung als unzulässig führen, nicht aber Grundlage für eine Verweisung sein kann, die nur wegen fehlender Zuständigkeit erfolgen kann; an der Zuständigkeit des [Gerichts] fehlt es aber gerade nicht“, weshalb ein gleichwohl ergangener Verweisungsbeschluss „jeder Rechtsgrundlage [entbehre] und […] keine Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO zu entfalten [vermöge]“ (BGH, Beschluss vom 4. Februar 1998, XII ARZ 1/98, juris Rn. 1).
33
So liegt der Fall auch bei § 1032 Abs. 1 ZPO. Das an sich örtlich zuständige (hier gemäß §§ 12, 13 ZPO) angerufene Gericht kann nicht unter Berufung auf die Schiedsvereinbarung die eigene örtliche Zuständigkeit verneinen mit der Begründung, dass überhaupt kein staatliches Gericht für das Verfahren zuständig sei. Prozessuale Einreden stehen lediglich einer Entscheidung in der Sache entgegen; sie haben hingegen keinen Einfluss auf die Zuständigkeit des Gerichts (Bacher in BeckOK ZPO, § 253 Rn. 18a).
34
Das Verhältnis zwischen staatlichem und Schiedsgericht betrifft nicht die Zuständigkeit im engeren Sinn, wie z. B. die örtliche Zuständigkeit. Hätte der Gesetzgeber das anders gesehen, hätte es nahe gelegen, eine Verweisung an das Schiedsgericht nach § 281 ZPO zuzulassen. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber bewusst gegen eine „Verweisung (in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO)“ an das Schiedsgericht entschieden, weil gegebenenfalls die „Abweisung der Klage als unzulässig […] klare Verhältnisse“ schaffe; sie „setzt voraus, daß das Gericht die Gültigkeit und die Durchführbarkeit der Schiedsvereinbarung prüft und bejaht. Diese Problematik sollte möglichst frühzeitig, d. h. bei dem zuerst angegangenen Gericht, geklärt werden“ (BT-Drs. 13/5274 S. 38). Das staatliche Gericht ist demnach nicht unzuständig im engeren Sinn, sondern es ist ihm auch dann eine Aufgabe in eigener Zuständigkeit übertragen, wenn sich der Beklagte auf eine der Klage entgegenstehende Schiedsvereinbarung beruft. Das angerufene und an sich – also jenseits der Schiedsvereinbarung – örtlich zuständige Gericht hat die Klage als unzulässig abzuweisen oder festzustellen, dass die Schiedsvereinbarung nichtig, unwirksam oder undurchführbar ist (§ 1032 Abs. 1 ZPO). Insoweit ist es das zuständige Gericht, was der vom Landgericht Memmingen angenommenen allumfassenden Unzuständigkeit klar widerspricht. Wäre die Auffassung des Landgerichts Memmingen zutreffend, könnte im Übrigen überhaupt kein „zuständiges“ staatliches Gericht die nach § 1032 Abs. 1 ZPO gegebenenfalls zu treffende Entscheidung (z. B. Abweisung wegen Unzulässigkeit) erlassen, weil jedes staatliche Gericht von der Entscheidung „ausgeschlossen“ wäre.
35
Das Landgericht Memmingen war demnach bei Eintritt der Rechtshängigkeit nach §§ 12, 13 ZPO für das Verfahren örtlich zuständig. Die Schiedsvereinbarung änderte daran nichts, sondern hätte allenfalls Auswirkungen darauf gehabt, welche Entscheidung das Landgericht Memmingen möglicherweise zu treffen (gehabt) hätte (z. B. Abweisung der Klage als unzulässig aufgrund der Schiedsvereinbarung).
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Die Entscheidung des Landgerichts Memmingen ist nicht nur fehlerhaft, sondern (objektiv) willkürlich. Denn es hat seine örtliche Unzuständigkeit aus einem Umstand (Schiedsvereinbarung) abgeleitet, der hierfür unzweifelhaft und offensichtlich nicht geeignet ist. Wie in der dem o. g. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 4. Februar 1998 (XII ARZ 1/98, juris) zugrunde liegenden Entscheidung hat das Landgericht Memmingen aus dem (etwaigen) Vorliegen eines Prozesshindernisses seine örtliche Unzuständigkeit abgeleitet, weshalb der hierauf gestützte Verweisungsbeschluss jeder Rechtsgrundlage entbehrt.
37
Zwar ist der Beklagte unter Verweis auf eine Kommentarstelle und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs der Auffassung, dass ein Verweisungsbeschluss auch dann bindend sei, wenn „das Gericht, hier das Landgericht Memmingen, in der unzutreffenden Annahme, die Zuständigkeit könne noch durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Rechtshängigkeit beseitigt werden“, verweise. Das bildet den vorliegenden Fall aber nicht zutreffend ab. In der angeführten Kommentarstelle (Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 38 Rn. 15) heißt es: „Erlässt das Gericht in der unzutr Annahme, die Zuständigkeit könne noch durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Rechtshängigkeit beseitigt werden, […] einen Verweisungsbeschluss, ist dieser gem § 281 II 4 dennoch bindend“. In der vom Beklagten (und von Schultzky a. a. O.) zitierten Entscheidung vom 18. Februar 2021 hat der Bundesgerichtshof (Xa ARZ 14/10, NJW-RR 2010, 891) die Annahme von Willkür in einem Fall verneint, in dem das verweisende Gericht irrig davon ausgegangen war, dass es durch eine nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung unzuständig geworden sei, obwohl tatsächlich die Vereinbarung wegen § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die einmal bestehende Zuständigkeit nicht mehr berührte. Diese Konstellation liegt aber hier nicht vor. In dem genannten Fall hatte das verweisende Gericht die Anwendbarkeit von § 261 ZPO offenbar übersehen. Im vorliegenden Fall hat das Landgericht Memmingen aber ausweislich des Hinweises vom 28. Februar 2025 gerade nicht verkannt, dass „bei Rechtshängigkeit einer Streitsache dem (auch) zuständigen Streitgericht die Zuständigkeit nachträglich nicht mehr entzogen werden“ kann, und sogar selbst angemerkt, dass ein „dennoch erfolgender Verweisungsbeschluss […] wegen objektiver Willkür nicht bindend“ wäre. Die Verweisung beruht – anders als in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs – vielmehr auf der nicht nachvollziehbaren Annahme, dass eine Schiedsvereinbarung das angerufene Gericht örtlich unzuständig mache. Dies begründet hier die objektive Willkür.