Inhalt

LG Passau, Beschluss v. 16.04.2025 – 2 Qs 24/25 jug
Titel:

Sofortige Beschwerde, Beiordnung eines Pflichtverteidigers, Pflichtverteidigerbestellung, Anschuldigung, Notwendige Verteidigung, Rechtsfolgen, Einziehung, Teilzeitbeschäftigung, Kostenentscheidung, Beschwerdefrist, Staatsanwaltschaft, Jugendstrafe, Statthafter Rechtsbehelf, Entscheidung des Amtsgerichts, Teilzeitarbeit, Beschlüsse des Amtsgerichts, Sach- und Rechtslage, Beschwerdegericht, Vermögensverfügungen, Tatmehrheit

Leitsatz:
Im Rahmen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen sind auch alle sonstigen Rechtsfolgen, die in dem betreffenden Strafverfahren angeordnet werden können, zu berücksichtigen. Dazu gehört auch eine Einziehung (für drohende Einziehung von 15.550 EUR). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pflichtverteidigerbestellung, notwendige Verteidigung, Schwere der Rechtsfolgen, Einziehung von Wertersatz, sofortige Beschwerde, existenzvernichtender Nachteil, Beschwerdekammer
Vorinstanz:
AG Passau, Beschluss vom 27.03.2025 – 3 Ds 27 Js 3995/24 jug
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9781

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten … gegen den Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 27.03.2025 wird dieser aufgehoben.
2. Dem Angeschuldigten wird Herr Rechtsanwalt …, als Pflichtverteidiger bestellt.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
1
Mit Verfügung vom19.12.2024 erhob die Staatsanwaltschaft P. Anklage gegen den Angeschuldigten zum Amtsgericht Passau – Jugendrichter – wegen Geldwäsche in drei tatmehrheitlichen Fällen gem. §§ 261 Abs. 1 Nr. 3, 53 StGB, 1,105 JGG und beantragte Einziehung von Wertersatz in Höhe von 15.550,00 EUR gegen den Angeschuldigten.
2
Mit Schriftsatz vom 16.01.2025 beantragte Rechtsanwalt …, als Pflichtverteidiger für den Angeschuldigten bestellt zu werden. Die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung lägen vor, da wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheine. Die Staatsanwaltschaft habe die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 15.550 EUR beantragt, was für den Angeschuldigten als in Teilzeit arbeitenden Studenten mehr als ein Jahreseinkommen darstelle.
3
Mit Verfügung vom 17.02.2025 trat die Staatsanwaltschaft P. einer Pflichtverteidigerbestellung grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings fügte sie hinzu, dass aufgrund der Tatsache, dass der Angeschuldigte offenbar über nicht unerhebliches Vermögen verfügen muss (so sei es ihm am 30.04.2024 möglich gewesen einen nicht aus inkriminierten Geldern stammenden Betrag i.H.v. 11.401,90 EUR auf sein Konto bei der Sutor – Bank zu überweisen, auch wenn es sich bei dem dortigen Konto um ein sog. Sperrkonto zur Visumsverlängerung handelte) und einer Teilzeitarbeit nachgehe, eine Pflichtverteidigerbestellung nicht zwingend geboten erscheine. Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen gerade für den Angeschuldigten erscheine im Gegensatz zu den zitierten Entscheidungen abgeschwächt.
4
Mit Beschluss vom 27.03.2025, dem Verteidigung an 28.03.2025 zugestellt, lehnte das Amtsgericht Passau den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers ab. Die Mitwirkung eines Verteidigers sei nicht wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Die Verhängung einer Jugendstrafe stehe vorliegend nicht im Raum. Ebenfalls sei nicht ersichtlich, dass sich der Angeschuldigte nicht selbst verteidigen könne.
5
Mit Schriftsatz vom 31.03.2025, eingegangen bei Gericht am selben Tag, legte der Beschwerdeführer durch seinen Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 27.03.2025 ein. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass auch eine Einziehungsentscheidung als Rechtsfolge im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen sei und zitierte Entscheidungen des Amtsgerichts Eggenfelden (Beschluss vom 31.05.2021, 1 Cs 502 Js 5973/21; LG Regensburg, Beschluss vom 17.08.2021, 5 Qs 172/21 und LG Magdeburg, Beschluss vom 28.04.2022, 25 Qs 32/22).
6
Am 08.04.2025 verfügte das Amtsgericht die Vorlage an das Beschwerdegericht. Mit Verfügung vom 14.04.2025 beantragte die Staatsanwaltschaft P., die sofortige Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.
II.
7
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
8
1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO der statthafte Rechtsbehelf gegen den Beschluss vom 27.03.2025. Die Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 StPO wurde eingehalten, die Beschwerde ist auch sonst zulässig.
9
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Es liegt ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO vor.
10
Aus Sicht der Kammer ergibt sich die notwendige Bestellung eines Pflichtverteidigers aus der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen, § 140 Abs. 2 StPO. Im Rahmen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen sind dabei auch alle sonstigen Rechtsfolgen, die in dem betreffenden Strafverfahren angeordnet werden können, zu berücksichtigen. Dazu gehört auch die Einziehung (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 140, Rn. 23 c).
11
Im Rahmen dessen ergibt sich hinsichtlich des Angeklagten folgendes:
12
Zwar droht dem heranwachsendem Angeschuldigten keine Jugendstrafe, allerdings neben einer nicht unerheblichen Ahndung/Geldstrafe droht auch die Einziehung in Höhe von 15.550,00 EUR und damit eines nicht unerheblichen Betrages. Ungeachtet dessen, ob dies – wie vom Verteidiger vorgetragen – für den Angeschuldigten, welcher einer Teilzeitbeschäftigung mit einem Verdienst zwischen 600-900 EUR nachgeht und gleichzeitig studiert eine existenzvernichtende Wirkung für die Fortführung des Studiums darstellt, handelt es sich insoweit jedenfalls um einen drohenden Nachteil solch schwerwiegender Art, dass aus Sicht der Beschwerdekammer aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint, zumal es sich um einen Einziehungsbetrag handelt, der mehr als ein Jahresgehalt des Angeschuldigten ausmacht.
III.
13
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.