Titel:
Betriebspflicht, Mietverträge, Rechtsmißbrauch, Fortsetzung des Mietverhältnisses, Kündigung des Mietverhältnisses, Dauer des Mietverhältnisses, Befristetes Mietverhältnis, Klagepartei, Außerordentliche Kündigung, Ersatzversorgung, Teilurteil, Kantinenbetrieb, Kündigungsrecht, Zwischenfeststellungswiderklage, Fristlose Kündigung, Unzumutbarkeit, Kantinenpächter, Kantinenbesuch, Kündigungsvorschriften, Kündigungsandrohung
Normenkette:
BGB § 536, § 535, § 543 Abs. 1
Leitsatz:
Die Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB setzt nicht zwingend die Verletzung einer Hauptpflicht voraus. Auch die Verletzung von Nebenpflichten (hier: der Betrieb einer Kantine) kann unter bestimmten Umständen einen wichtigen Grund für die Kündigung darstellen, wenn die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Kündigenden im konkreten Fall unzumutbar ist. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Gewerberaummiete
Vorinstanz:
LG München I, Teilurteil vom 02.08.2024 – 34 O 8557/23
Fundstellen:
LSK 2025, 9549
BeckRS 2025, 9549
ZMR 2025, 390
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Teilurteil des Landgerichts München I vom 02.08.2024, Az. 34 O 8557/23, durch einstimmigen Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Teilurteils des Landgerichts München I vom 02.08.2024 Bezug genommen. Ergänzend bzw. zusammenfassend geht der Senat aufgrund der bisher im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze von folgendem Sachverhalt aus:
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Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach wechselseitig erklärten fristlosen Kündigungen aus einem Mietverhältnis über Büroräume.
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Am 16./28.12.2021 schlossen die Klägerin als Vermieterin und die Beklagte als Mieterin einen Mietvertrag über insgesamt 9.242,61 qm Büro- und Nebenfläche zuzüglich Nebenräume, Freiflächen und Tiefgaragenstellplätzen im „T… S…“ am … in München zu einer Bruttomiete von monatlich 228.945,37 €. Bei der von der Beklagten angemieteten Fläche handelt es sich nach Mitteilung der Klagepartei um ca. 1/3 der im Eigentum der Klägerin stehenden Gewerbeflächen des „T… S…“.
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Bei der Beklagten handelt es sich um die Generalmietgesellschaft ihrer Alleingesellschafterin, der D… T… (im Folgenden: „T…“). Als gewerblicher Zwischenmieter mietet sie für den Bedarf der T… und ihrer konzernverbundenen Unternehmen bundesweit Flächen für Betriebsstätten an. Die vorliegend gemäß Mietvertrag vom Dezember 2021 angemieteten Büroflächen waren für ca. 1000 Mitarbeiter der T… vorgesehen, wobei die T… beabsichtigte, in den Räumlichkeiten ca. 500 Büroarbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Unter 4.1. vereinbarten die Parteien des Mietvertrages folgende Regelung: „Dieser Mietvertrag beginnt am 01.09.2022 (im Folgenden: „Mietbeginn“) und wird für die Dauer von 6 Jahren fest geschlossen.“ Der Vertrag sah ferner ein einmaliges Optionsrecht der Beklagten zur Verlängerung des Mietvertrages vor.
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Außerhalb der von der Beklagten angemieteten Büroflächen befand und befindet sich im „T… S…“ eine im Eigentum der Klägerin stehende Kantinenfläche, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwar verpachtet, aufgrund der im Dezember 2021 bestehenden Einschränkungen in Folge der Corona-Pandemie jedoch tatsächlich nicht betrieben wurde. Nach wochenlang vorangegangenen Verhandlungen über die Vereinbarungen einer Betriebspflicht hinsichtlich der bestehenden Kantine trafen die Partei in Ziffer 9.4. des streitgegenständlichen Mietvertrages folgende Regelung:
„Kantinenbetrieb und pauschale Infrastruktur
Die Vermieterin hält für die Dauer des Mietverhältnisses den Kantinenbetrieb im Gebäude aufrecht und sichert der Mieterin eine Nutzungsmöglichkeit der Kantine zur täglichen und abwechslungsreichen gastronomischen Versorgung durch die Mitarbeiter der Mieterin nach Maßgabe dieses Vertrages zu. Die Mieterin beteiligt sich im Gegenzug an den Kosten des Kantinenbetriebs mit einer „pauschalen Infrastruktur“ gemäß vorstehender Ziffer 5.1 dieses Vertrags. Die Betreiberpflicht der Vermieterin für die Kantine ist eingeschränkt oder vorübergehend für maximal 8 Wochen ausgesetzt, soweit ein Wechsel des Kantinenbetreibers erforderlich wird und in diesem Zusammenhang vorübergehend nur ein eingeschränkter oder kein Kantinenbetrieb möglich ist. Darüber hinaus ist die Betreiberpflicht der Vermieterin eingeschränkt oder vorübergehend ausgesetzt, wenn der Kantinenbetrieb aus nicht von der Vermieterin zu vertretenden Gründen nicht möglich, nicht zumutbar bzw. nicht zulässig ist (z.B. Pandemie). Die Vermieterin wird sich in diesem Fall ernsthaft um eine gastronomische Ersatzversorgung des Objekts bemühen. Für den Zeitraum, in dem im Objekt keine Verpflegung und keine vorübergehende Ersatzversorgung des Objekts angeboten wird, entfällt die Verpflichtung der Mieterin zur Zahlung der pauschalen Infrastruktur. Weitere Rechte stehen der Mieterin wegen einer Einschränkung oder einer Einstellung des Kantinenbetriebs nur zu, wenn die Vermieterin die Einschränkung oder Einstellung mindestens fahrlässig verursacht hat“.
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Die pauschale Infrastruktur, welche in Ziffer 9.4. des Vertrages genannt wurde, betrug nach § 5.1. des Vertrages einen Nettobetrag von 4.621,31 €.
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Zum Mietbeginn am 01.09.2022 wurde die Kantine im „T… S…“ aus im Einzelnen zwischen den Parteien streitigen Gründen nicht betrieben. Am 19.12.2022 wandte sich ein Vertreter der Beklagten per E-Mail an die Klagepartei und wies darauf hin, dass sich die Beklagte wegen des nicht stattfindenden Kantinenbetriebs alle Rechte vorbehalte. Mit Schreiben vom 26.01.2023 setzte die Firma I… als Vertreterin der Beklagten der Klägerin eine Frist bis zum 28.02.2023 verbunden mit der Aufforderung, den Kantinenbetrieb zu gewährleisten und drohte gleichzeitig eine außerordentliche Kündigung an. Daraufhin stellte die Klägerin beginnend ab dem 06.02.2023 täglich wechselnde Food-Trucks im Gelände zur Verfügung, die es den Mitarbeitern der T… jedenfalls in den Mittagsstunden ermöglichten, eine warme Mahlzeit vor Ort einzunehmen oder dort abzuholen. Dieses Angebot wurde nach Mitteilung der Klägerin in den folgenden Wochen arbeitstäglich von ca. 40 Personen genutzt. Mit Schreiben vom 09.02.2023 (Anlage B 14) teilte die I… als Vertreterin der Beklagten der Klägerin mit, dass sie ohne Anerkennung eines Rechtsgrundes für die Dauer von 8 Wochen diese Form der Ersatzversorgung dulden werde, eine Interimslösung jedoch nicht den vertraglichen Vereinbarungen entspreche und daher spätestens am Montag, den 03.04.2023 durch den vertrags- und ordnungsgemäßen Kantinenbetrieb abzulösen sei.
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Auch in der Folgezeit gelang es der Klägerin nicht, einen Kantinenbetreiber zu finden, so dass die Beklagte schließlich mit Schreiben vom 06.04.2023 eine außerordentliche Kündigung mit Frist zum 31.05.2023 erklärte (Anlage K 2). Die Kündigung der Beklagten wurde damit begründet, dass die Klägerin entgegen ihren vertraglichen Verpflichtungen in dem Mietobjekt keine Kantine betreibe. Am 31.05.2023 gab die Beklagte das Mietobjekt an die Klägerin zurück. Nachdem die Beklagte konsequenterweise ihre Mietzahlungen beginnend mit Juni 2023 eingestellt hatte, kündigte die Klägerin ihrerseits das Mietverhältnis mit Schreiben vom 12.07.2023 fristlos wegen Zahlungsverzugs. Am 05.06.2023 eröffnete der von der Klagepartei schließlich doch verpflichtete Kantinenbetreiber die Kantine, ließ diese aber im Oktober 2023 bereits wieder schließen.
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Mit ihrer unter dem 10.07.2023 erhobenen Klage verlangte die Klägerin von der Beklagten zunächst rückständige Miete, erweiterte diese später monatlich während des laufenden Verfahrens auf Schadensersatzansprüche als Folge der von ihr selbst ausgesprochenen Zahlungsverzugskündigung. In ihrer Klageerwiderung vom 11.10.2023 erhob die Beklagte ihrerseits Zwischenfeststellungs-Widerklage auf Feststellung, dass die von ihr mit Schreiben vom 26.04.2023 das Mietverhältnis zum 31.05.2023 beendet habe.
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Das Landgericht München I vernahm in der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2024 zu den Hintergründen des Vertragsschlusses die Zeugen …, … und …. Mit Teilurteil vom 02.08.2024 stellte das Landgericht im Wege der Zwischenfeststellungsklage fest, dass die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2023 das Mietverhältnis zum 31.05.2023 beendet habe. Hiergegen richtet sich die von der Klagepartei mit Schriftsatz vom 30.08.2024 eingelegte und mit Schriftsatz vom 04.11.2024 auch begründete Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf Abweisung der Zwischenfeststellungswiderklage weiterverfolgt.
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Die Klagepartei trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor, dass die Beklagte die Kündigung lediglich als Vorwand missbrauche und diese daher rechtsmissbräuchlich sei. Aufgrund der Vorgaben der Konzernspitze der D… T… sei mittelfristig beabsichtigt, die angemieteten Büroflächen um 50% zu reduzieren. Die Kündigung sei daher lediglich vorgeschoben. Eine Betriebspflicht durch das Betreiben der Kantine sei in Ziffer 9.4. des zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrages nicht vereinbart worden. Jedenfalls sei eine entsprechende Betriebspflicht wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit des Betreibens entfallen. Die Klägerin habe sich über Wochen ergebnislos bemüht, einen Kantinenpächter zu finden, der bereit gewesen wäre, die Kantine zu betreiben; sie habe sogar versucht bzw. angeboten, die Kantine miet- bzw. pachtfrei zur Verfügung zu stellen. Dies sei jedoch nicht gelungen, weil sämtliche potentiellen Kantinenbetreiber angesichts der zu erwartenden geringen Frequenz der Kantinenbesuche abgelehnt hätten. Noch zweieinhalb Monate nach Mietbeginn am 01.09.2022 seien Mitarbeiter der D… T… lediglich sporadisch vor Ort gewesen. Wegen des nach wie vor bestehenden Homeoffice bei der T… hätten im maßgeblichen Zeitraum Anfang 2023 täglich lediglich 20 bis 40 Mitarbeiter der Beklagten um Mittagessen nachgefragt, so dass ein Betreiber nicht zu finden gewesen wäre.
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Die T… habe zudem durch die Zeugin … zugesichert, dass hinsichtlich der Inbetriebnahme der Kantine im Mietobjekt zunächst die weitere Entwicklung an diesem Standort im ersten Halbjahr 2023 abgewartet werde.
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In rechtlicher Hinsicht führt die Klagepartei aus, dass die Klägerin in Ziffer 9.4. des streitgegenständlichen Mietvertrages einen Kantinenbetrieb keineswegs zugesichert habe und der Kantinenbetrieb auch nicht Teil der Mietsache sei. Die Kündigungsvorschrift des §§ 543 BGB gelte daher nicht für das Nichtbetreiben der Kantine, zudem ergebe eine Auslegung der diesbezüglichen Vertragsklausel, dass eine Betriebspflicht ohnehin nicht übernommen worden sei. Sofern – wie nicht – doch eine Betriebspflicht der Klagepartei übernommen worden sei, entfalle diese jedenfalls wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit des Betreibens. Jedenfalls sei es ihr unverschuldet nicht gelungen, einen Betreiber für die Kantine zu finden.
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Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung.
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Sie verteidigt im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil und weist insbesondere darauf hin, dass aufgrund der langwierigen Verhandlungen im Vorfeld des Vertragsschlusses für die Klägerin deutlich geworden sei, dass der Kantinenbetrieb für die T…, aber auch für die Beklagte, wesentlich für die Standortbestimmung gewesen sei. Während der Verhandlungen sei seitens der Klägerin mehrfach versucht worden, die letztlich im Vertrag vereinbarte Betreiber-Verpflichtung für den Kantinenbetrieb zu verhandeln. Sie, die Beklagte, hätte den Vertragsschluss aber aufgrund der überragenden Bedeutung für die Mitarbeiter der T… von der Betriebspflicht abhängig gemacht. Die T… hätte ihren Mitarbeitern vor dem Umzug den Betrieb der Kantine zugesagt, insbesondere auch, weil neben der sozialen Komponente einer Kantine diese auch das Betriebsklima erheblich fördern würde.
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Eine Unzumutbarkeit des Betreibens der Kantine sei seitens der Klagepartei nicht gegeben. Diese habe nach Vertragsschluss im Dezember 2021 bis zum Mietbeginn am 01.09.2022 ausreichend Zeit gehabt, den vereinbarten Kantinenbetrieb zu gewährleisten und einen Kantinenpächter zu finden. Überdies sei aufgrund der auslaufenden Corona-Regeln und der zunehmenden zu erwartenden Rückkehr der T…-Mitarbeiter aus dem Homeoffice ins Büro davon auszugehen gewesen, dass die Zahl der Kantinennutzer erheblich ansteigen werde. Gerade durch das Angebot einer Kantine mit einem abwechslungsreichen Speisenangebot und einen Raum für soziale Begegnungen würde es die Bereitschaft der T…-Mitarbeiter fördern, aus ihrem Homeoffice ins Büro zurückzukehren. Dass anlässlich der Zurverfügungstellung einer Ersatzversorgung durch sogenannte „Food-Trucks“ im Durchschnitt lediglich 40 Mittagessen abgerufen worden seien, sei irrelevant, weil es sich insoweit um eine lediglich unzulängliche und nicht vereinbarte Ersatzversorgung gehandelt habe.
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Die frühere Vorsitzende des Senats hat unter dem 14.11.2024 Hinweise erteilt, die Klagepartei hat hierzu mit Schriftsatz vom 20.12.2024 Stellung genommen.
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Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der klägerischen Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO sind gegeben, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern und auch im Übrigen eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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Das Teilurteil des Landgerichts München I vom 02.08.2024 begegnet aus Sicht des Senats keinen rechtlichen Bedenken. Der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts bemisst sich nach § 529 ZPO. Demnach sind die vom Gericht der ersten Instanz festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen. Berücksichtigungsfähige neue Tatsachen im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO wurden nicht dargelegt. Auch eine Rechtsverletzung ist im angefochtenen Urteil nicht erkennbar. Hierbei kann zunächst auf die zutreffenden Gründe des Teilurteils des Landgerichts München I verwiesen werden. Hinsichtlich der Angriffe der Berufung ist Folgendes auszuführen:
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Das Landgericht hat in zulässiger Weise über die erhobene Zwischenfeststellungs-Widerklage durch Teilurteil entschieden, §§ 256 Abs. 2, 301 ZPO (vgl. Zöller/Greger, § 256 ZPO Rn. 25.9 und 44). Gegen die Zulässigkeit einer Entscheidung durch Teilurteil trägt die Berufung bereits nichts vor, so dass sich weitere Ausführungen erübrigen.
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Im Übrigen hat auch zur Überzeugung des Senats die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.04.2023 das Mietverhältnis zum 31.05.2023 beendet, § 543 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich (fristlos) kündigen. Ein wichtiger Grund nach der Generalklausel des §§ 543 Abs. 1 ZPO liegt nach Satz 2 vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier auch zur Überzeugung des Senats unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles vor:
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1. Entgegen der Rechtsauffassung der Berufung konnte die Kündigung der Beklagten hier auf § 543 Abs. 1 BGB als einschlägige Norm gestützt werden.
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a) Die in Ziffer 9.4. des streitgegenständlichen Mietvertrags zwischen den Parteien übernommene Betriebspflicht (dazu unten) zum Betreiben der Kantine betrifft nicht die Gebrauchsgewährleistungspflicht hinsichtlich der vermieteten Räumlichkeiten nach § 535 Abs. 1 BGB, sondern hat – insbesondere mit Blick auf die Zusicherung einer Nutzungsmöglichkeit der Kantine – überwiegend dienstvertraglichen Charakter nach §§ 611 ff. BGB. Dies gilt vorliegend umso mehr, als sich die Räumlichkeiten der Kantine außerhalb der von der Beklagten angemieteten Flächen befinden bzw. befanden und damit bereits nicht dem Vertragsgegenstand unmittelbar zugerechnet werden konnten. Es liegt somit aufgrund der zusätzlich übernommenen Betriebspflicht zum Betreiben einer Kantine ein gemischt-typischer Vertrag vor. Bei einem gemischt-typischen Vertrag, der Elemente verschiedener Vertragstypen vereint, richtet sich das Kündigungsrecht nach dem Recht des Vertragstyps, der den Schwerpunkt des Vertrags bildet. Dies bedeutet, dass der Vertrag als einheitliches Ganzes betrachtet wird und nicht in seine Bestandteile zerlegt wird, um unterschiedliche Rechtsnormen anzuwenden (vgl. BeckOGK BGB/Gehrlein, § 311 Rn. 21 ff.). Da der Schwerpunkt des vorliegenden Vertrages eindeutig in der Gebrauchsgewährleistung der angemieteten Büroräumlichkeiten liegt, ist mithin insgesamt auch hinsichtlich der in § 9.4. seitens der Klagepartei übernommenen Verpflichtungen Mietrecht anzuwenden, so dass § 543 Abs. 1 BGB vorliegend einschlägig ist.
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b) Die vorliegende Vertragsbestimmung unter Ziffer 9.4. betrifft auch nicht das Sachmängelgewährleistungsrecht der Klägerin nach § 536 BGB oder enthält eine Zusicherung. Ein Mangel der Mietsache liegt schon deshalb nicht vor, da die Verletzung der Betriebspflicht nicht den angemieteten Räumlichkeiten unmittelbar anhaftet und damit keine Beeinträchtigung der Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch vorlegt. Auch eine irgendwie geartete Zusicherung betreffend den Vertragsgegenstand liegt nicht vor, da dies regelmäßig voraussetzt, dass der Vertragspartner eine bestimmte Eigenschaft der Sache oder des Werkes garantiert. Die dienstrechtliche Verpflichtung zum Betreiben einer Kantine gemäß Ziffer 9.4. des streitgegenständlichen Mietvertrags betrifft indes nicht eine bestimmte Eigenschaft der angemieteten Büroräumlichkeiten, so dass für die Prüfung der Kündigungsvorschriften vorliegend insbesondere nicht auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB abgestellt werden kann. Da die Vorschrift nicht einschlägig ist, kann auch das Verhältnis zwischen den spezial gesetzlichen Kündigungstatbeständen von § 543 Abs. 2 BGB zur Generalklausel des § 543 Abs. 1 vorliegend offenbleiben.
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2. Ein wichtiger Grund für die Kündigung nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn einer Partei aufgrund von – im Einzelfall nachzuweisenden – Pflichtverletzungen der anderen Partei die Fortsetzung des Vertrags nicht oder nicht mehr zugemutet werden kann (BGH NJW 2024, 355; Guhling/Günter/Alberts § 543 Rn. 8; Bub/Treier/Fleindl, Kapitel 4 Rn. 389). Eine solche Pflichtverletzung der Klagepartei liegt zur Überzeugung des Senats darin, dass die Klagepartei entgegen ihrer Pflichten gemäß Ziffer 9.4. des streitgegenständlichen Mietvertrags zum 01.09.2022 gerade keine Nutzungsmöglichkeit der Kantine zur täglichen und abwechslungsreichen gastronomischen Versorgung durch die Mitarbeiter der T… zur Verfügung gestellt hat:
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a) Auch zur Überzeugung des Senats hat die Klagepartei in Übereinstimmung mit den Gründen des Landgerichts unter Ziffer 9.4. Satz 1 des Mietvertrages eine Betriebspflicht dahingehend übernommen, selbst oder durch einen Pächter die Kantine mit Beginn des Mietverhältnisses zum 01.09.2022 zu betreiben. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vereinbarung, wo es ausdrücklich heißt: „Die Vermieterin hält für die Dauer des Mietverhältnisses den Kantinenbetrieb im Gebäude aufrecht und sichert der Mieterin eine Nutzungsmöglichkeit der Kantine zur täglichen und abwechslungsreichen gastronomischen Versorgung durch die Mieterin nach Maßgabe dieses Vertrages zu“. Auch mit Blick auf die nachfolgend getroffenen Regelungen im Einzelnen ergibt sich daraus zunächst die individualvertraglich übernommene Pflicht, den Betrieb der Kantine – selbst oder durch einen Dritten – zu garantieren. Wie die Beklagte zudem völlig zutreffend vorträgt, ergibt sich die Betriebspflicht im Übrigen auch aus den Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien und damit der Historie des Zustandekommens des Vertrages. Die Klägerin hat erstinstanzlich selbst vorgetragen, dass sie im Laufe der Verhandlungen mit der Beklagten noch versucht hat, eine uneingeschränkte Verpflichtung zum Betrieb der Kantine weg zu verhandeln (vgl. Schriftsatz der Klagepartei vom 27.11.2023, Seiten 60 ff. der LG-Akte). Den entsprechenden Vorschlag der Klagepartei, wonach es ausreichend sei, wenn sich die Vermieterin „bemühe“, für die Dauer des Mietverhältnisses den Kantinenbetrieb im Gebäude aufrecht zu erhalten, hat die Beklagte in Person des Zeugen … dann wieder dahingehend abgeändert, dass die Klägerin die Nutzungsmöglichkeit zuzusichern hat (vgl. dazu Anlage K 8, Seite 2). Eine Vertragsformulierung kommt schließlich in die Endfassung des streitgegenständlichen Mietvertrages in dieser Form eingeflossen ist und von der Klagepartei akzeptiert wurde.
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Letztlich folgt die vereinbarte Betriebspflicht auch aus den Aussagen der vom Landgericht vernommenen und nach der Beweiswürdigung des Landgerichts uneingeschränkt glaubhaft und glaubwürdigen Aussagen der Zeugen … und …: So hat der Zeuge …, ein früherer Mitarbeiter der Klagepartei, ausdrücklich ausgesagt, dass diese Klausel (gemeint ist 9.4.) aus seiner Sicht sehr hart zu Gunsten der Mieterseite formuliert gewesen sei und der Klagepartei „letzten Endes von der D… T… AG aufgedrückt“ worden sei. Weiter hat der Zeuge … angegeben, die Klagepartei sei bereits zu diesem Zeitpunkt anwaltlich vertreten gewesen und habe versucht, die entsprechende Klausel so gut es ging auf akzeptable Weise anzupassen. Auch der Zeuge …, der zum damaligen Zeitpunkt die Verhandlungen für die Beklagte geführt hat, hat in seiner Aussage vor dem Landgericht am 14.06.2024 in – laut LG glaubwürdig und glaubhafter Weise – angegeben, dass für die Beklagte die rechtzeitige Inbetriebnahme der Kantine elementar gewesen sei und die Kantine ein wichtiges Entscheidungskriterium dargestellt habe.
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Nach alldem kann auch zur Überzeugung des Senats kein Zweifel daran bestehen, dass die Klagepartei unter Ziffer 9.4 des streitgegenständlichen Gewerbemietvertrages eine Betriebspflicht hinsichtlich der außerhalb der angemieteten Räumlichkeiten gelegenen Kantine als vertragliche Nebenpflicht übernommen hat.
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b) Diese Betriebspflicht war für die Klägerin entgegen der Rechtsauffassung der Berufung weder unmöglich noch unzumutbar:
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aa) Eine Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB ist bereits nicht schlüssig behauptet. Da es der Klägerin bereits Anfang Juni 2023 – wenn auch nach Ausspruch der hier streitgegenständlichen Kündigung – gelungen ist, einen Kantinenpächter zu finden und die Kantine zu betreiben, scheidet eine objektive Unmöglichkeit dahingehend, dass es jedermann unmöglich gewesen wäre, einen Pächter für die Kantine zu finden oder diese selbst zu betreiben, ganz offensichtlich aus. Aber auch ein subjektives Unvermögen dergestalt, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, ihrer Betriebspflicht nachzukommen, weil sie die erforderlichen Mittel oder Möglichkeiten zur Erfüllung der Leistung nicht beschaffen oder nutzen kann, obwohl die Leistung an sich möglich wäre, ist nicht gegeben. Die Klägerin trägt diesbezüglich selbst vor, sie habe sich umfassend um einen Pächter bemüht, es sei ihr aber nicht gelungen, einen Vertragsabschluss herbeizuführen. Damit sind auch die Voraussetzungen einer subjektiven Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 Alt. 1 BGB bereits nicht ansatzweise dargelegt.
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bb) Aber auch eine Unzumutbarkeit hinsichtlich der Betriebspflicht zum Betreiben der Kantine ist zur Überzeugung des Senates entgegen der Berufung vorliegend nicht gegeben:
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(1) Soweit in Ziffer 9.4 Satz 4 des streitgegenständlichen Mietvertrages darauf abgestellt wird, dass die Betreiberpflicht der Klägerin eingeschränkt oder vorübergehend ausgesetzt werden kann, wenn der Kantinenbetrieb aus nicht von ihr zu vertretenden Gründen nicht möglich, nicht zumutbar bzw. nicht zulässig ist, sind die dort gefundenen Regelungen ersichtlich darauf zugeschnitten, Einschränkungen des Kantinenbetriebs aufgrund von höherer Gewalt, insbesondere behördlicher Schließungen oder sonstiger behördlich angeordneter Einschränkungen des Gastronomiebetriebes abzufedern. Dies ergibt sich auch aus der Aussage des vernommenen Zeugen …, der in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 14.06.2024 (Seite 264 der LG-Akte) ausgesagt hat, dass es bei diesen Verhandlungen insbesondere bei dem vorgenannten Passus darum ging, höhere Gewalt auszuschließen. Hierbei kann zugunsten der Klagepartei ausdrücklich offen bleiben, ob der Passus die Einschränkung des laufenden Betriebes oder auch die erstmalige Inbetriebnahme der Kantine mit umfasste.
33
Da zu Beginn des Mietverhältnisses am 01.09.2022 unstreitig keine öffentlich-rechtlichen Beschränkungen im Gastronomiegewerbe und der im T… S… vorhandenen Kantine mehr bestanden, war die Klagepartei verpflichtet, entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen für eine Nutzungsmöglichkeit der Kantine Sorge zu tragen.
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(2) Aber selbst wenn man zu Gunsten der Klagepartei unterstellt, dass Ziffer 9.4. Satz 4 des zwischen den Parteien vereinbarten Mietvertrages auch Fallkonstellationen außerhalb höherer Gewalt bzw. staatlich angeordneter Beschränkungen oder Betriebsschließungen mit umfasst, liegt eine Unzumutbarkeit dahingehend, dass die Klagepartei unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles nicht verpflichtet gewesen wäre, die Kantine in Betrieb zu nehmen oder durch einen Pächter in Betrieb nehmen zu lassen, ersichtlich nicht vor:
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Wie die Berufungserwiderung zu Recht ausführt, hatte die Klagepartei zwischen Abschluss des Mietvertrages im Dezember 2021 und den Mietbeginn am 01.09.2022 ausreichend Zeit, sich um einen Kantinenpächter zu kümmern und entsprechende verbindliche Verträge abzuschließen. Das Argument der Klagepartei, wonach lediglich circa 40 Mitarbeiter Anfang 2023 den zur Verfügung gestellten „Food-Truck“ genutzt hätten, greift ganz offensichtlich zu kurz. Die Nutzung eines Food-Trucks, der lediglich ein begrenztes Speisenangebot und insbesondere während der kühlen Jahreszeit auch keine Möglichkeit zur Einnahme der Speisen vor Ort zur Verfügung stellt, bzw. bietet, ist mit dem Betreiben einer Kantine als Aufenthalts- und Sozialraum nicht zu vergleichen. Nach den Planungen und Vertragsverhandlungen sollten für die T… insgesamt 500 Mitarbeiter-Arbeitsplätze eingerichtet werden, welche insgesamt für 1000 Mitarbeiter zur Verfügung standen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, insbesondere aber zum Zeitpunkt des Mietbeginns, war zu erwarten, dass aufgrund der auslaufenden Pandemie-Beschränkungen zunehmend Mitarbeiter der Beklagten aus dem Home-Office zurückkehren und die am S… zur Verfügung gestellten Büroarbeitsplätze nutzen würden. Zudem hatte die Klagepartei in Ziffer 9.4. des Mietvertrages ausdrücklich auch das Risiko für etwaige wirtschaftliche Nachteile im Zusammenhang mit ihrer Betriebspflicht übernommen, so dass sie dieses nicht auf die Mieterin bzw. die T… abwälzen kann. Nicht überzeugend ist auch das Argument der Berufung in ihrer Stellungnahme vom 20.12.2024 (dort Seite 3, Bl. 82 der OLG-Akte), wonach die T… lediglich 500 Schreibtischplätze vorgesehen hatte und gerade einmal 50 Mitarbeiter, das heißt 5%, die Kantine besucht hätten. Zum einen wurde die Kantine vor Ausspruch der Kündigung nicht betrieben, so dass verlässliche Zahlen ohnehin nicht vorliegen. Zum anderen greift das Argument auch deshalb zu kurz, weil die Beklagte lediglich ein Drittel der Gesamtbüroflächen des „T… S…“ angemietet hatten. Es ist mithin bei der Frage der Prüfung der Zumutbarkeit auch miteinzubeziehen, dass auch sonstige Arbeitnehmer (von Gewerbemietern der übrigen Büroflächen) die Kantine in dem Gebäude grundsätzlich nutzen würden. In die Zumutbarkeitsprüfung haben auch Überlegungen dahingehend mit einzufließen, dass der streitgegenständliche Mietvertrag im Dezember 2021 mitten in der Pandemie abgeschlossen wurde und der Klagepartei mithin die Risiken einer derartigen Betriebspflicht bewusst gewesen sein müssen und ausweislich der Aussage des Zeugen … vor dem Landgericht auch bewusst waren. Angesichts eines monatlichen Bruttomietvolumens von € 228.945,37 waren daher auch in wirtschaftlicher Sicht überobligatorische Anstrengungen dahingehend erforderlich, einen Betreiber für die Kantine zu finden und vertraglich zu binden. Dies hat die Klagepartei ohnehin erkannt, weil sie nach ihrem eigenen Vortrag bereit gewesen wäre, die Kantine miet- bzw. pachtfrei zur Verfügung zu stellen (klägerischer Schriftsatz vom 20.12.2024, dort Seite 7, Bl. 86 d.A.). Angesichts des erheblichen Umsatzes, den die Klagepartei mit dem hier streitgegenständlichen Mietvertrag monatlich generierte, waren ihr zur Erfüllung ihrer Verpflichtung gemäß Ziffer 9.4 des Vertrages weitere Anstrengungen – etwa finanzielle Anreize an den zukünftigen Pächter wie anfängliche Anlaufsubventionen – zur Überzeugung des Senates ohne Weiteres zumutbar. Hinzukommt, dass die Beklagte für das Betreiben der Kantine eine zusätzliche Pauschale von knapp 5.500,00 brutto monatlich übernommen hatte.
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Nach alledem kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Klägerin unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles ab dem 01.09.2022 das Betreiben der Kantine mit einer entsprechend für einen Pächter tragbaren Vertragsgrundlage zumutbar war.
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(3) Die Verpflichtung der Klägerin zur Verfügungstellung einer Nutzungsmöglichkeit der Kantine gemäß Ziffer 9.4. war auch nicht deshalb aufgehoben oder eingeschränkt, weil die Klägerin beginnend ab dem 09.02.2023 täglich wechselnde „Food-Trucks“ zur Ersatzversorgung zur Verfügung stellte. Zum einen betraf die Regelung unter Punkt 9.4 hinsichtlich der Ersatzversorgung lediglich den Zeitraum, in dem der Kantinenbetrieb aus nicht von der Vermieterin zu vertretenden Gründen nicht möglich, nicht zumutbar bzw. nicht zulässig ist, was nach dem oben Gesagten gerade nicht der Fall war. Zum anderen stellt ein Food-Truck keine angemessene und gleichwertige Ersatzversorgung gegenüber dem Betrieb einer Kantine dar. Ein Food-Truck kann regelmäßig nur ein begrenztes Speiseangebot und – insbesondere in den Wintermonaten 2023 – auch keine Aufenthaltsmöglichkeit bieten, die einen sozialen Austausch zwischen den Mitarbeitern der T… ermöglicht. Ein „Food-Truck“ bietet ferner im Regelfall keine Möglichkeit, auch außerhalb der Mittagessenszeit Getränke an Tischen in gewärmten Räumlichkeiten in den Pausen zu sich zu nehmen und als sozialer Treffpunkt anerkannt zu werden. Dass die zur Verfügung gestellten Food-Trucks die Kantine nicht ersetzen, wird auch von der Berufung nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.
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c) Die Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB scheitert vorliegend auch nicht daran, dass die Klagepartei – wie die Berufung meint – lediglich eine vertragliche Nebenpflicht verletzt hat. Die Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB setzt nicht zwingend die Verletzung einer Hauptpflicht voraus. Die Verletzung einer vertraglichen Hauptpflicht kann zwar einen wichtigen Grund darstellen, jedoch ist dies nicht die einzige Möglichkeit. Auch die Verletzung von Nebenpflichten kann unter bestimmten Umständen einen wichtigen Grund für die Kündigung darstellen, wenn die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Kündigenden im konkreten Fall unzumutbar ist (BGH NJW-RR 1992, 1032; OLG Hamburg, NJW-RR 2024, 355). Entgegen der Rechtsauffassung der Berufung ist das Kündigungsrecht nach Ziffer 9.4. des streitgegenständlichen Mietvertrages auch nicht ausgeschlossen. Vielmehr bestimmt Satz 7 der Regelung ausdrücklich, dass der Beklagten weitere Rechte wegen einer Einschränkung oder Einstellung des Kantinenbetriebs nur zustehen, wenn die Vermieterin die Einschränkung oder Einstellung mindestens fahrlässig verursacht hat. Damit knüpft die vertragliche Regelung an eine schuldhafte Pflichtverletzung an, schließt weitere Rechte, insbesondere eine fristlose Kündigung des befristeten Mietverhältnisses, aber explizit nicht aus.
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3. Die festgestellte Pflichtverletzung der Klagepartei war vorliegend auch schuldhaft. Zwar setzt eine Kündigung nach der Generalklausel des §§ 543 Abs. 1 BGB ein Verschulden des Kündigungsgegners nicht zwingend voraus (vgl. Bub/Treier/Fleindl, Kap. 4 Rn. 391), vorliegend kann aber zu Gunsten der Klagepartei unterstellt werden, dass gemäß Ziffer 9.4. Satz 7 des streitgegenständlichen Mietvertrages auch für das Kündigungsrecht der Beklagten nach § 543 Abs. 1 der Nachweis eines Verschuldens notwendig ist (“mindestens fahrlässig“).
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Ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin liegt indes unzweifelhaft vor. Nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn ein strengerer oder milderer Haftungsmaßstab nicht vereinbart ist. Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Liegt – wie hier – eine Pflichtwidrigkeit durch Unterlassen vor, muss der Schuldner die Möglichkeit gehabt haben, den Schaden durch ein Handeln abzuwenden und dies bei gehöriger Sorgfalt auch erkennen können (vgl. BeckOK BGB/Lorenz, § 276 BGB Rn. 17 ff.). Dass die Klagepartei ihre Verpflichtung erkannt hat, ergibt sich schon aus ihrem eigenen Vortrag zu den vielfältigen Versuchen, einen Pächter für die Kantine zu finden. Dass objektiv die Möglichkeit bestand, ergibt sich zum einen daraus, dass es der Klagepartei beginnend ab Juni 2023 gelungen ist, einen Pächter für die Kantine vertraglich an sich zu binden (wenn auch nach der streitgegenständlichen Kündigung) und sie überdies nach dem vorstehend zur Unzumutbarkeit Gesagten verpflichtet gewesen wäre, einem potentiellen Pächter wirtschaftlich entsprechend entgegenzukommen. Darüber hinaus würde die Klägerin nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vorliegend die Beweislast für ihr fehlendes Verschulden tragen. Entsprechender Sachvortrag, der das Verschulden ausschließen würde, liegt unter den gegebenen Umständen und auch aufgrund der vorstehenden Ausführungen indes nicht vor.
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4. Die Vertragsfortsetzung ist vorliegend unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles für die beklagte Mieter gemäß § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB auch unzumutbar.
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Zwar ist der Klagepartei in ihren Bemühungen zur vertraglichen Bindung eines Pächters durchaus zuzugestehen, dass dies in der auslaufenden Pandemie infolge der nahezu dreijährigen Einschränkungen durch die Corona-Pandemie nicht ohne größere Anstrengungen gelingen würde. Auch für den Senat ist der Einwand nachvollziehbar, wonach es angesichts der wenig belastbaren Zahlen zur Frequentierung der Kantine schwierig war, einen Pächter zu finden. Zu berücksichtigen war im Rahmen der Abwägung zu Gunsten der Klägerin auch, dass sie sich beginnend ab dem Februar 2023 zumindest bemüht hat, angesichts ihrer bis dahin erfolglosen Anstrengungen zur Verpachtung der Kantine jedenfalls eine Ersatzversorgung in Form eines „Food-Trucks“ zur Verfügung zu stellen und damit Bemühungen unternommen hat, den vertragswidrigen Zustand zu Lasten der Beklagten zumindest abzumildern. Gleichwohl überwiegen unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles die Interessen der Beklagten an der Kündigung des Mietverhältnisses. Für die Beklagte war – wie oben bereits ausführlich dargestellt – im Rahmen der Vertragsverhandlungen wesentlich, dass die Klägerin die im „T… S…“ vorhandene Kantine auch tatsächlich betreibt und den Mitarbeitern der T… die regelmäßige Nutzungsmöglichkeit insbesondere für das Mittagessen zur Verfügung stellt. Anhand der in diesem Zusammenhang geführten harten Vertragsverhandlungen unmittelbar während der Corona-Pandemie war dies für die Klagepartei auch offensichtlich, zumal die Beklagte sich explizit nicht auf eine eingeschränkte Betriebspflicht eingelassen hat. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Klagepartei beginnend ab dem Vertragsschluss im Dezember 2021 ausreichend Zeit hatte, sich um einen Nachfolger hinsichtlich des bestehenden Kantinenpachtvertrages zu bemühen oder den noch existenten Pächter zu einer Wiederaufnahme des Kantinenbetriebs vertraglich zu verpflichten bzw. durch entsprechendes wirtschaftliches Entgegenkommen zu animieren. Unberücksichtigt bleiben darf auch nicht, dass die Beklagte trotz der Verpflichtung zum Betrieb der Kantine ab Mietbeginn 01.09.2022 zunächst geduldig zugewartet hat, ohne ihr entsprechend zustehende vertragliche oder gesetzliche Rechte in Anspruch zu nehmen. Erstmals unter dem 19.12.2023, mithin fast 4 Monate nach Vertragsbeginn, hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass sie sich ihre Rechte aus der Betriebspflicht der Kantine ausdrücklich vorbehält. Erst am 26.01.2023 und mithin nahezu 5 Monate nach Mietbeginn hat die beklagte Partei die Klägerin abgemahnt, eine Frist dahingehend gesetzt, die Kantine durch die Klagepartei in Betrieb zu nehmen und eine entsprechende Kündigung für den Fall weitergehender Vertragspflichtverletzung angekündigt. Überdies hat die Beklagte weiteres Entgegenkommen dadurch gezeigt, dass sie nach Bereitstellung einer Ersatzversorgung (Food-Truck) eine weitere Karenzzeit bzw. Frist von 8 Wochen zum 03.04.2023 einseitig bewilligt hat.
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Angesichts des erheblichen wirtschaftlichen Volumens des Vertrages von einer monatlichen Bruttomiete von 228.945,37 € wäre die Klagepartei unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles verpflichtet gewesen, wirtschaftlich potentiellen Pachtinteressenten für die Übernahme der Kantine weiter entgegenzukommen bzw. attraktivere Konditionen zu unterbreiten. Letztlich darf war noch ein weiteres Argument bei der Abwägung nicht außer Betracht bleiben. Wie hätte die Beklagtenpartei angesichts eines dauerhaften Nichtbetreibens der vertraglich vereinbarten Nutzungsmöglichkeit der Kantine anders als durch eine fristlose Kündigung reagieren sollen? Eine ordentliche Kündigung war gemäß § 542 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Würde man der Beklagtenpartei in vorliegender Situation kein fristloses Kündigungsrecht mit sozialer Auslauffrist zubilligen, wäre die Konsequenz eine dauerhafte Akzeptanz eines vertragswidrigen Zustandes bis zum Ende der vertraglichen Laufzeit von 6 Jahren gewesen. Dass dies in der Summe ex ante aus Sicht des Kündigenden zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung nicht zumutbar ist, erscheint aus Sicht und zur Überzeugung des Gerichtes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles als unzumutbar.
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5. Die notwendige Fristsetzung nach § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB ist erfolgt. Einer – hier vorliegenden – Kündigungsandrohung hätte es ohnehin nicht bedurft (vgl. Bub/Treier/Fleindl, Kap. 4 Rn. 394). Dass die mit der Fristsetzung zum 28.02.2023 ausgesprochene Frist zu kurz bemessen gewesen wäre, wird seitens der Berufung nicht gerügt. Ohnehin hat die Beklagtenpartei nach Zurverfügungstellung einer Ersatzversorgung die Frist freiwillig bis zum 03.04.2023 ausgedehnt und erst im Anschluss gekündigt, nachdem es der Klagepartei auch bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen war, die Kantine in Betrieb zu nehmen.
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6. Das gesetzliche Kündigungsrecht der Beklagten ist auch nicht durch die behauptete Vereinbarung zwischen ihr und der Beklagten, vorgeblich vertreten durch Frau …, dahingehend ausgeschlossen, dass die Zeugin zugesichert hätte, bis zum Ende des ersten Halbjahres 2023 mit einer Entscheidung zuzuwarten. Die Berufung wiederholt insoweit ihren Sachvortrag aus erster Instanz zum behaupteten Inhalt dieser Vereinbarung ohne darauf einzugehen, dass sich das Landgericht nach Einvernahme dreier Zeugen und umfassender Beweiswürdigung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Teilurteils gerade nicht davon überzeugen konnte, dass es diese von der Klagepartei behauptete Vereinbarung gibt. Da die Berufung die diesbezügliche umfassende Beweiswürdigung des Landgerichts nicht angreift, erübrigen sich weitere Ausführungen des Senats hierzu.
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7. Die Kündigung der Beklagten ist vorliegend auch nicht rechtsmissbräuchlich. Kündigungsgrund ist eine schuldhafte Pflichtverletzung aus dem Bereich der Klägerin, die als vertragliche Nebenpflicht das zur Verfügung stellen der Kantine im „T… S…“ übernommen hat. Die Behauptung, die Beklagte hätte die Kündigung lediglich als Vorwand dafür missbraucht, die von ihr laut einer Pressemitteilung aus dem August 2022 beabsichtigte Flächen um 50% zu reduzieren, erscheint überdies als eine durch nichts belegte Behauptung bzw. Vermutung der Klagepartei. Dies gilt umso mehr, als die T… gerade durch die Anmietung der hier streitgegenständlichen Flächen ihr Platzangebot bereits von 1.000 Büroarbeitsplätzen auf 500 reduziert hat. Im Übrigen würde selbst für den Fall, dass die Beklagte ein ihr genehmes Kündigungsrecht nach einer Pflichtverletzung des Vertragsgegners ausnutzen und es ihr genehm sein würde, noch keine Treuwidrigkeit im Sinne des §§ 242 BGB liegen.
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Im Ergebnis hat daher die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2023 das Mietverhältnis zum 31.05.2023 beendet. Die Berufung der Klagepartei gegen das Teilurteil des Landgerichts München I ist unbegründet.
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Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben. Es wird angeregt, die Berufung zurückzunehmen. Für diesen Fall reduzieren sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0.