Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 07.04.2025 – 203 StRR 93/25
Titel:

Aufhebung einer Verurteilung wegen falscher Verdächtigung

Normenketten:
StGB § 164
StPO § 131a, § 244 Abs. 2, § 261, § 344 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Die Verdächtigung einer verstorbenen wie auch einer erfundenen Person fällt nicht unter § 164 StGB. Der Aspekt des unnützen Verwaltungsaufwands spielt in diesem Fall keine Rolle. (Rn. 6)
2. Für eine Verurteilung reicht die persönliche Überzeugung des Tatrichters nicht aus. Vorgelagert ist stets die Aufklärungspflicht. (Rn. 7)
Einen Erfahrungssatz, wonach Angaben, die ein Betroffener nach erstmaliger Konfrontation mit dem Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit getätigt hat, einer späteren Einlassung nach zwischenzeitlicher anwaltlicher Beratung vorzuziehen sind, gibt es nicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
falsche Verdächtigung, nicht existierende Person, verstorbene Person, Schutzgut, Beweiswürdigung, Aufklärungspflicht, Einlassung, anwaltliche Beratung, Schutzbehauptung
Vorinstanz:
AG Schwabach, Urteil vom 10.10.2024 – 3 Ds 1831 Js 25165/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9478

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Schwabach vom 10. Oktober 2024 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts Schwabach zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Schwabach hat den Angeklagten mit Urteil vom 10. Oktober 2024 wegen falscher Verdächtigung nach § 164 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20.- Euro verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision, die er auf die ausgeführte Sachrüge stützt. Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt die Verwerfung der Revision als unbegründet.
II.
2
Die auf die Sachrüge gestützte zulässige Sprungrevision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nebst der Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache. Die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung nach § 164 (richtig Abs. 2) StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts gab der Angeklagte als Betroffener in einem gegen ihn gerichteten Verfahren zur Verfolgung einer Verkehrsordnungswidrigkeit am 14. November 2023 gegenüber Polizeibeamten unzutreffend an, sein Fahrzeug wäre zur Tatzeit von einem Bekannten namens T. geführt worden. Gegenüber der Polizei und dem Polizeiverwaltungsamt hätte er auch behauptet, diese Person hielte sich regelmäßig einmal im Monat an der Wohnanschrift des Angeklagten in Kammerstein auf, woraufhin die Behörde die Anhörung des T. anordnete. In seiner Beweiswürdigung hat das Amtsgericht der Einlassung des anwaltlich beratenen Angeklagten in der Hauptverhandlung, dass die von ihm benannte Person nicht existieren würde, keinen Glauben geschenkt und ist ohne weitere Aufklärung von einer auf anwaltliche Beratung zurückzuführenden Schutzbehauptung ausgegangen. Zur Rechtslage hat das Amtsgericht unter Verweis auf das von § 164 StGB geschützte Rechtsgut ausgeführt, es reiche für die Erfüllung des Tatbestands bereits aus, dass eine Behörde aufgrund der Angaben des Angeklagten weitere Maßnahmen – hier die Anordnung der Anhörung der vom Angeklagten benannten Person – getroffen hätte, auch wenn es die zu Unrecht belastete Person nicht geben würde.
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2. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts erweist sich als lückenhaft, so dass das Urteil keinen Bestand haben kann. Auch der rechtlichen Beurteilung des Strafrichters kann nicht gefolgt werden.
5
a. Der Begriff der „rechtswidrigen Tat“ in § 164 Abs. 1 StGB beschränkt den Gegenstand der Verdächtigung im Sinne des Absatzes 1 auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten eines anderen (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Der Vorwurf, eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben, wird vom Anwendungsbereich des Absatzes 1 nicht erfasst (Zopfs in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 164 Rn. 29). Im vorliegenden Fall kommt eine Strafbarkeit nach § 164 Abs. 2 StGB in Betracht.
6
b. Wie die Verdächtigung im Sinne von § 164 Abs. 1 StGB muss sich auch die Behauptung nach Abs. 2 mit Blick auf den doppelten Schutzzweck der Norm (vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 164 Rn. 2; Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 164 Rn. 1a) gegen eine bestimmte oder wenigstens bestimmbare existierende andere Person richten. Die Verdächtigung einer verstorbenen wie auch einer erfundenen Person fällt nach einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung nicht unter § 164 StGB (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20. Februar 2018 – 4 Rv 25 Ss 982/17 –, juris; BGH, Urteil vom 1. Juli 1959 – 2 StR 220/59, BGHSt 13, 219 ff.; Zopfs a.a.O. § 164 Rn. 16; Wolters/Ruß in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 164 StGB Rn. 20; Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm a.a.O. § 164 Rn. 22; Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 164 Rn. 4; BeckOK StGB/Valerius, 64. Ed. 1.2.2025, StGB § 164 Rn. 13; NK-StGB/Vormbaum, 6. Aufl. 2023, StGB § 164 Rn. 39; ausführlich Greiner, NZV 2017, 314, 315). Der vom Amtsgericht herangezogene Aspekt des unnützen Verwaltungsaufwands spielt in diesem Fall keine Rolle (Zopfs a.a.O. § 164 Rn. 16).
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c. Nach diesen Vorgaben hätte das Amtsgericht der Frage der Existenz der Person weiter nachgehen müssen. Bei der vom Amtsgericht angestellten Überlegung zur Schutzbehauptung handelt es sich allenfalls um eine – unbelegte – Vermutung wohl gestützt auf die Annahme, dass die „erste unmittelbare Einlassung des Angeklagten“ glaubwürdiger sei als das Bestreiten der Existenz nach anwaltlicher Beratung. Für eine Verurteilung reicht allerdings die persönliche Überzeugung des Tatrichters nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2017 – 4 StR 434/16 –, juris; Tiemann in KK-StPO, 9. Aufl. § 261 Rn. 5). Vorgelagert ist stets die Aufklärungspflicht. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage unter vollständiger Ausschöpfung des verfügbaren Beweismaterials beruhen (BGH a.a.O.). Einen Erfahrungssatz, dass die – hier nicht spontan geäußerten – Angaben des Betroffenen in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren der späteren Einlassung eines anwaltlich vertretenen Angeklagten vorzuziehen seien, gibt es nicht, zumal das Amtsgericht die nicht fernliegende Möglichkeit einer taktischen Einlassung zur Herbeiführung der Verfolgungsverjährung der Verkehrsordnungswidrigkeit in seine Überlegungen nicht mit eingestellt hat. Das Amtsgericht hätte von Amts wegen gemäß § 244 Abs. 2 StPO der Frage nachgehen müssen, ob die vom Angeklagten als Fahrer identifizierbar benannte Person existiert oder ob der Angeklagte eine fiktive Person belastete. Zur Generierung von belastbaren Indizien oder Beweismitteln stehen dem Tatrichter etwa die Ausschreibung als Zeuge nach § 131a StPO, eine Nachforschung im Inland oder auch ein Rechtshilfeersuchen ins Ausland zur Verfügung. Das Amtsgericht durfte nicht zum möglichen Inhalt einer anwaltlichen Beratung spekulieren und darauf gründend einer der Varianten der Angaben des Angeklagten Glauben schenken und die andere nicht weniger wahrscheinliche Variante verwerfen. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.