Titel:
Ablehnung der Zurückstellung der Strafvollstreckung bei fehlender Therapiewilligkeit
Normenkette:
BtMG § 35
Leitsatz:
Die Ablehnung einer Zurückstellung nach § 35 BtMG wegen fehlender Therapiewilligkeit hat Ausnahmecharakter. Für eine fehlende Therapiewilligkeit kann sprechen, dass ein Verurteilter in einer besonders verantwortungslosen und leichtfertigen Weise Therapiechancen vergab, etwa indem er bereits therapieerfahren im Maßregelvollzug verschiedene Regelverstöße beging, sich der Fortsetzung der Therapie verschloss und aus dem Vollzug floh. (Rn. 8)
Schlagworte:
Zurückstellung, Strafvollstreckung, Drogentherapie, Therapiebereitschaft, Therapiewilligkeit, Versagungsgründe, Zustimmung, Gericht, Regelverstoß, Maßregelvollzug, ungenutzte Chancen, gerichtliche Überprüfung, Therapieabbruch
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9477
Tenor
1. Der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung vom 6. Januar 2025 gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft Nürnberg vom 7. November 2024 in der Gestalt des Bescheids des Generalstaatsanwalts in Nürnberg vom 4. Dezember 2024 wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet verworfen.
2. Der Geschäftswert wird auf 5.000 € festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG. Er verbüßt derzeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. März 2021 (Az. 1 Kls 352 Js 5228/20) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und anderer Vergehen. Eine daneben angeordnete und ab 3. Mai 2021 in einer Maßregeleinrichtung vollzogene Unterbringung in der Entziehungsanstalt ist mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24. Mai 2023 für erledigt erklärt worden, nachdem die behandelnden Ärzte eine Erfolgsaussicht der Therapie wegen Substanz- und Lockerungsmissbräuchen versagten und der Verurteilte die Fortführung der Therapie ablehnte. Desweiteren sind eine Restfreiheitsstrafe von 264 Tagen aus der Verurteilung des Amtsgerichts Nürnberg vom 29. Juni 2015 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Az. 44 Ls 353 Js 6827/14) und eine Freiheitsstrafe von 41 Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 27. Mai 2024 (Az. 402 Ds 352 Js 30753/23) wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu vollstrecken. Das Haftende ist für den 17. Juli 2027 vorgemerkt.
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Die Staatsanwaltschaft Nürnberg hat die vom Verurteilten am 28. September 2024 beantragte Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG mit Verfügung vom 7. November 2024 unter Hinweis auf die eine Zurückstellung nicht befürwortende Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt K. vom 4. November 2024 aufgrund fehlender Therapiebereitschaft des Antragstellers und mangelnder Zustimmung des Gerichts abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers vom 25. November 2024 hat der Generalstaatsanwalt in Nürnberg unter Darlegung der Therapieverläufe in der Vergangenheit und mit der Begründung einer mangelnden Therapiebereitschaft mit Bescheid vom 4. Dezember 2024, dem Verteidiger zugestellt am 16. Dezember 2024, zurückgewiesen.
3
Mit seinem am 6. Januar 2025 beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangenen Schreiben vom selben Tage stellt der Verurteilte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel der Zurückstellung nach § 35 Abs. 1 BtMG. Er sei ungeachtet der früheren Therapien und der Rückfälle in die Sucht weiterhin therapiewillig. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Schreiben vom 31. Januar 2025 unter Verweis auf die angefochtene Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen. Bezüglich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die genannten Entscheidungen, Verfügungen und Schreiben vollumfänglich Bezug.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Nürnberg vom 4. Dezember 2024 ist nach § 23 EGGVG statthaft, ist gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG form- und fristgerecht eingelegt worden und ist auch nach § 24 Abs. 1 und 2 EGGVG zulässig; das erforderliche Vorschaltverfahren (§ 21 StVollstrO) ist durchgeführt worden.
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In der Sache bleibt der Antrag jedoch ohne Erfolg. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde weist keinen Rechtsfehler auf.
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1. Gemäß § 35 Abs. 1 BtMG kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszugs die Vollstreckung einer Strafe für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde und der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Die Zurückstellung ist nicht ausgeschlossen, wenn aus nicht gesamtstrafenfähigen Strafen noch insgesamt mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe nicht vollstreckt sind (BGH, Beschluss vom 11.Dezember 1984 – 5 AR (VS) 20/84-, BGHSt 33, 94).
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2. Im vorliegenden Fall hat die Vollstreckungsbehörde auf einer tragfähigen Grundlage die ernsthafte Bereitschaft des Verurteilten zum Durchstehen der Therapie verneint.
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a. Eine grundsätzliche Bereitschaft des Verurteilten zum Antritt und zum Durchstehen einer Therapie zu den vereinbarten Bedingungen ist Voraussetzung der Zurückstellung der Strafvollstreckung. Mit der Zusage, sich wegen seiner Abhängigkeit einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung zu unterziehen, erklärt sich der Verurteilte zu der konkreten Behandlung in der konkret bezeichneten Form nach dem konkreten Behandlungskonzept bei einer bestimmten Person oder Einrichtung bereit. Die Erklärung muss die Bereitschaft umfassen, sich einer Hausordnung und einem Therapieprogramm zu unterwerfen und den Anweisungen der Therapeuten und Auflagen der Vollstreckungsbehörde Folge zu leisten. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Ablehnung einer Zurückstellung nach § 35 BtMG wegen fehlender Therapiewilligkeit Ausnahmecharakter hat, denn eine Motivation des Verurteilten zur Therapie ist nicht Voraussetzung, sondern erst das Ziel weiterer Therapiebemühungen. Grundsätzlich ist dem Antragsteller Vertrauen entgegenzubringen und das Risiko eines Therapieabbruches einzugehen. Bloße Zweifel der Vollstreckungsbehörde an einer hinreichenden Therapiebereitschaft rechtfertigen daher eine Versagung der Zurückstellung nicht. Eine Zurückstellung darf auch nicht an Verhaltensweisen oder Charaktermängeln scheitern, die als Krankheitssymptome der Sucht anzusehen sind und durch die Therapie gerade behoben werden sollen. Labilität, Passivität, Flucht vor Verantwortung und Entscheidungen gelten als symptomatisch für eine Drogenabhängigkeit; sie stehen der Drogentherapie nicht entgegen. Selbst ein Therapieabbruch ist nicht regelhaft Ausdruck von Therapieresistenz, sondern häufig nur ein Symptom der Sucht. Wenn allerdings konkrete Anhaltspunkte oder Beweismittel dafür vorliegen, dass der Antragsteller die Therapiebereitschaft nur vorgibt, kann dies einen Versagungsgrund darstellen. Ein Anzeichen kann sein, dass der Verurteilte unlängst in besonders verantwortungsloser und leichtfertiger Weise Therapiechancen vergeben hat, ohne dass nunmehr ein grundlegender Einstellungswandel erkennbar geworden ist (zu allem Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2024 – 203 VAs 529/24 –, juris Rn. 7 m.w.N.).
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b. Der Vollstreckungsbehörde steht bei ihrer Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie gemäß § 35 BtMG ein Ermessen und hinsichtlich der dabei zu prüfenden Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich die Feststellung einer Betäubungsmittelabhängigkeit, deren Kausalität für die Tat, der Therapiebereitschaft und der Therapiebedürftigkeit des Antragstellers ein Beurteilungsspielraum zu (Senat a.a.O. Rn. 8 m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 26. August 2020 – 204 VAs 298/20 –, juris Rn. 22 m.w.N.).
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c. Die Annahme eines Beurteilungsspielraums der Vollstreckungsbehörde hat zur Folge, dass die gerichtliche Nachprüfung nach § 28 Abs. 3 EGGVG eingeschränkt ist. Kommt ein Beurteilungsspielraum zum Tragen, prüft der Senat insoweit nur, ob die Vollstreckungsbehörde von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten hat (st. Rspr., vgl. Senat a.a.O. Rn. 9; Senat, Beschluss vom 21. Oktober 2024 – 203 VAs 397/24 –, juris Rn. 11).
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d. Gegenstand der Überprüfung ist dabei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in der Gestalt, die sie durch den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft erhalten hat (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 11).
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e. Hieran gemessen ist die ablehnende Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht zu beanstanden. Sie geht von einem vollständig ermittelten Sachverhalt aus, hat den richtigen Prüfungsmaßstand zugrunde gelegt und hält sich innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums. Sie hat in ihre Entscheidung eingestellt, dass auch wiederholte Therapieabbrüche nicht ohne Weiteres den Schluss auf einen fehlenden Therapiewillen zulassen, sondern es darauf ankommt, ob das Verhalten des Verurteilten über die Tatsache des Scheiterns früherer Therapieversuche hinaus konkrete Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Therapiebereitschaft begründet. Solche Gründe können in einer besonders verantwortungslosen und leichtfertigen Weise gefunden werden, mit der ein Verurteilter Therapiechancen vergibt, etwa indem er mehrfach Therapien nicht antritt oder nach sehr kurzer Zeit aufgibt (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 13. April 2022 – 1 Ws 88/22 –, juris Rn. 26 m.w.N. BayObLG, Beschluss vom 27. Mai 2021 – 204 VAs 131/21 –, juris Rn. 21, 24 ff.). Die Vollstreckungsbehörde durfte hier mit Blick auf den bisherigen Therapieverlauf zu dem Ergebnis kommen, dass der Antragsteller im Jahr 2023 in besonders leichtfertiger und nachhaltiger Weise seine Therapiechance vergeben hat, indem er im Maßregelvollzug verschiedene Regelverstöße beging, die Fortsetzung der Therapie ablehnte, am 29. Mai 2023 aus dem Bezirkskrankenhaus floh und sich in der Folgezeit bis zu seiner Festnahme am 6. August 2023 auch nicht gestellt hat. Tragfähige Anhaltspunkte für einen grundlegenden Einstellungswandel sind auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Antragsschrift zu den familiären Verhältnissen nicht erkennbar geworden.
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Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG. Es besteht kein Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers der Staatskasse aufzuerlegen (§ 30 Satz 1 EGGVG). Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 79 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 1 und 3 GNotKG.
14
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.