Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 11.03.2025 – 203 StRR 1/25
Titel:

Nötigung wegen Beteiligung an Straßenblockade

Normenketten:
StGB § 240
StPO § 267 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
Ob sich die von einer Blockadeaktion objektiv betroffenen Fahrzeugführer von der Aktion subjektiv belästigt fühlten oder nach dem erzwungenen Anhalten die Wartezeit für sich akzeptierten, ist für den Gewaltbegriff in § 240 StGB ohne Relevanz. (Rn. 12)
Der Tatrichter ist verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist. Eine Dokumentation des Ermittlungsverfahrens und der Beweisaufnahme ist damit jedoch ebenso wenig angezeigt wie die Angabe eines Belegs für jede Feststellung, mag diese in Bezug auf den Tatvorwurf auch noch so unwesentlich sein. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsteilnehmer, Blockade, Nötigung, Klimawandel, Gewalt, Empfindungen des Opfers, Beweiswürdigung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 02.07.2024 – 14 NBs 405 Js 64910/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9476

Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. Juli 2024 wird
a) die Verfolgung auf die geschädigten Führer der Fahrzeuge mit den Kennzeichen … beschränkt;
b) nach erfolgter Beschränkung der Schuldspruch des vorgenannten Urteils dahin geändert, dass die Angeklagte der Nötigung in 10 tateinheitlichen Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

A.
1
Das Amtsgericht Nürnberg hat die Angeklagte mit Urteil vom 14. Dezember 2023 wegen gemeinschaftlicher Nötigung in 13 tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte mit dem Ziel des Freispruchs form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 2. Juli 2024 hat die Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth die Berufung der Angeklagten als unbegründet verworfen. Mit ihrer Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Im Rahmen der Sachrüge beanstandet sie, die Feststellungen seien lückenhaft und trügen nicht die Verurteilung wegen Nötigung in 13 Fällen. Die Generalstaatsanwaltschaft M. hat mit ihrer Zuschrift vom 10. Dezember 2024 beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Auf die Anregung des Senats hin hat die Generalstaatsanwaltschaft M. mit Schreiben vom 25. Februar 2025 die Zustimmung zu einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO auf zehn Geschädigte erteilt.
B.
2
Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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I. Das Verfahren wird aus prozessökonomischen Gründen mit Zustimmung des Generalstaatsanwalts gemäß § 154a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO auf die geschädigten Fahrzeugführer der Fahrzeuge mit den Kennzeichen … beschränkt.
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II. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der nach §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revision hat nach der Verfahrensbeschränkung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die formellen Rügen versagen aus den von der Generalstaatsanwaltschaft dargelegten Gründen. Auch die ausgeführte Sachrüge bleibt ohne Erfolg.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Die Angeklagte beteiligte sich am 16. August 2022 um die Mittagszeit am B.platz in N. an einer politisch motivierten, von den Teilnehmern geplanten, gleichwohl unangekündigten Straßenblockade, indem sie sich gegen 11.58 Uhr gemeinsam mit den weiteren Teilnehmern dem gemeinsamen Tatplan folgend auf die zu diesem Zeitpunkt vom öffentlichen Verkehr genutzte Fahrbahn setzte, um für die Kraftfahrzeugführer ein unüberwindbares Hindernis zu bilden, wobei sich einzelne Mitaktivisten, wie von vorne herein in der Gruppe abgesprochen und von der Angeklagten mitgetragen, zu diesem Zweck zudem auf die Fahrbahn klebten. Eine Ausweichmöglichkeit für die betroffenen Fahrzeugführer bestand nicht. Das Ziel der Aktion war es, die Bevölkerung für den Klimawandel zu sensibilisieren. Den Aufforderungen der Polizei, die Fahrbahn für den Verkehr freizugeben, leisteten die Angeklagte und die weiteren Teilnehmer der Protestaktion keine Folge. Wie von der Angeklagten und den weiteren Teilnehmern beabsichtigt, hielten die in beide Richtungen fahrenden Fahrzeugführer vor den Protestierenden an mit der Folge, dass auch die ihnen nachfolgenden 10 Fahrzeugführer für eine Zeitdauer zwischen 25 und 40 Minuten an ihrer Weiterfahrt gehindert wurden. Die Angeklagte wurde um 13.05 Uhr von Einsatzkräften von der Fahrbahn getragen. Um 15.04 Uhr wurde die Fahrbahn in beide Richtungen wieder für den Verkehr freigegeben.
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2. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts weist keinen sachlich-rechtlichen Fehler auf.
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a. Der Tatrichter ist – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist (BGH, Beschluss vom 18. November 2020 – 2 StR 152/20 –, juris Rn. 6). Eine Dokumentation des Ermittlungsverfahrens und der Beweisaufnahme ist damit jedoch ebenso wenig angezeigt wie die Angabe eines Belegs für jede Feststellung, mag diese in Bezug auf den Tatvorwurf auch noch so unwesentlich sein (BGH, Beschluss vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19 –, juris Rn. 4 m.w.N.).
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b. Der Senat entnimmt den Ausführungen des Berufungsgerichts, dass die bei der Tatbegehung polizeilich festgestellte Angeklagte in der Hauptverhandlung den äußeren Sachverhalt eingeräumt hat. Die Anzahl der in zweiter Reihe Geschädigten ist mit der Aussage der vor Ort anwesenden Polizeibeamtin (Urteil S. 6, 7) und der prozessordnungsgemäß (§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO) in Bezug genommenen Abbildung (Bl. 14 d.A.) hinreichend belegt. Weitere Ausführungen zum Gang der Ermittlungen waren nicht geboten.
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3. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen Nötigung in 10 tateinheitlichen Fällen.
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a. Indem sich die Angeklagte gemeinsam mit den weiteren Aktivisten absprachegemäß auf die Fahrbahn setzte und durch dieses Verhalten dem gemeinsam gefassten Tatplan gemäß die Fahrer der Fahrzeuge der ersten Reihe, die die Blockierer nicht überfahren wollten, willentlich zum Halten brachte, schuf sie mittels der stehenden Fahrzeuge der ersten Reihe jedenfalls für die diesen nachfolgenden 10 Fahrzeugführer eine physische Barriere (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, juris Rn. 33). Sie bewirkte, dass die Fortbewegung von mindestens 10 Personen ohne deren vor der von den Tätern begründeten Zwangslage gefassten Einverständnis (vgl. Sinn in MüKoStGB, 4. Aufl., § 240 Rn. 104) durch die Fahrzeuge, die in erster Reihe hielten, unüberwindbar blockiert und ihre Weiterfahrt für eine tatbestandserhebliche Zeitspanne von mindestens 25 Minuten (Urteil S. 7) verhindert wurde.
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b. Ob sich die von der Blockadeaktion objektiv betroffenen Fahrzeugführer von der Aktion subjektiv belästigt fühlten oder nach dem erzwungenen Anhalten die Wartezeit für sich akzeptierten, ist für den Gewaltbegriff ohne Relevanz. Die Empfindungen des Opfers, wenn es sein Verhalten nicht an seinem Willen, sondern an dem des Täters ausrichtet, sind ohne Bedeutung. Eine Nötigung liegt auch dann vor, wenn die vor einer Blockade zum Halt gebrachten Personen das Geschehen belustigt oder – etwa wegen des Dienstausfalls – erfreut zur Kenntnis nehmen. Allein entscheidend ist, dass sie an ihrem ursprünglichen Vorhaben gewaltsam gehindert wurden (Altvater/Coen in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 240 StGB Rn. 105 m.w.N.). Die von der Revision unter Berufung auf diesen Aspekt vermisste Vernehmung der Geschädigten war daher nicht erforderlich.
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c. Soweit die Revision bezüglich der von ihr angezweifelten Zeitangaben auf die verakteten Vernehmungsprotokolle der Geschädigten verweist, ist dieser Vortrag urteilsfremd. Eine diesbezügliche Verfahrensrüge hat die Angeklagte nicht zulässig erhoben.
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d. Ob darüber hinaus das der Angeklagten über die Rechtsfigur der Mittäterschaft nach § 25 StGB zurechenbare Ankleben auf der Fahrbahn von Seiten anderer Blockierer eine über die bloße Anwesenheit hinausgehende Kraftentfaltung darstellt, die bereits von den Fahrzeugführern der ersten Reihe als körperlich wirkender Zwang empfunden wurde (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Februar 2025 – 2 ORs 350 SRs 613/24 –, juris Rn. 10; im Ergebnis auch KG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2024 – 3 ORs 69/23 –, juris Rn. 9; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2015 – 2 Ss 9/15 –, juris Rn. 20 zum Anketten; BGH, Beschluss vom 23. April 2002 – 1 StR 100/02 –, juris zu einem Klettern auf die Motorhaube; BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, juris Rn. 33 zum Umlegen und verschließen einer Kette; Altvater/Coen a.a.O. § 240 StGB Rn. 39 zum Festketten), so dass es auf die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht ankommen würde, kann der Senat hier nach der Verfahrensbeschränkung dahinstehen lassen.
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e. Dass das Landgericht eine physische und psychische Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB nicht erörtert hat (für eine Strafbarkeit KG Berlin, Beschluss vom 14. November 2024 – 3 ORs 65/24 –, juris zum Ankleben an einen Reisebus; KG Berlin, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juli 2024 – 3 ORs 30/24 –, juris), beschwert die Angeklagte nicht.
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f. Die Prüfung des Eingreifens allgemeiner Rechtfertigungsgründe und der Verwerflichkeit genügt ebenfalls den Anforderungen der Rechtsprechung für den Fall politischer Protestaktionen (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2024 – 203 StRR 250/24-, juris; BayObLG, Beschluss vom 21. April 2023 – 205 StRR 63/23 –, juris Rn. 38 ff.; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, juris). Die Revision zeigt auch insoweit keinen Rechtsfehler auf.
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4. Die teilweise Verfahrensbeschränkung und die hieraus resultierende Änderung des Schuldspruchs lassen den Rechtsfolgenausspruch unberührt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. November 2024 – 4 StR 337/24 –, juris; BGH, Beschluss vom 31. Juli 2024 – 4 StR 205/24 –, juris Rn. 4). Die vom Landgericht verhängte Geldstrafe kann bestehen bleiben. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht nach der Beschränkung des Verfahrens auf die ab der zweiten Reihe stehenden zehn Geschädigten eine mildere Strafe verhängt hätte. Für die Berufungskammer war ein maßgeblicher Gesichtspunkt bei der Strafzumessung, dass die Aktion aus der Sicht der Angeklagten so angelegt war, dass möglichst viele Verkehrsteilnehmer betroffen sein sollten (Urteil S. 13). Da es der Angeklagten, wie die Wahl des Blockadeorts und der Zeit belegt, auf eine möglichst weitreichende Wirkung, also auf möglichst viele Geschädigte, ankam, spielt die Zahl der von der Polizei förmlich aufgenommenen Geschädigten für die Schuldfrage nur eine untergeordnete Rolle mit der Folge, dass eine Reduzierung der maßvollen Strafe nicht veranlasst ist.
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5. Angesichts des geringen Teilerfolgs ist es nicht unbillig, die Angeklagte mit den gesamten Kosten des Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).