Titel:
Volksverhetzung durch Verwendung des Begriffs "Zionisten"
Normenketten:
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1
StGB § 11 Abs. 3, § 86 Abs. 5, § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, Abs. 3, § 130 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
Leitsätze:
1. I. Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können. (Rn. 25)
2. II. Äußerungen wie „Zionisten sind Invasoren, Terroristen, Völkermörder, Verbrecher u.a.“ können auf eine nationale, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte abgrenzbare Personenmehrheit bezogen sein, nach den konkreten Umständen aber auch eine zulässige Kritik an der Politik des Staates Israel bzw. dessen Staatsführung darstellen. (Rn. 44 – 52)
Schlagworte:
Volksverhetzung, Meinungsfreiheit, Deutungsmöglichkeiten, abgrenzbare Personenmehrheit, Zionisten, Hitlergruß, geringe Schuld
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 14.10.2024 – 10 NBs 463 Js 52906/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9474
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten A. V. wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. Oktober 2024 aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Volksverhetzung verurteilt worden ist und soweit für das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen verhängt worden ist. Mit aufgehoben wird der Gesamtstrafenausspruch.
II. Der Angeklagte wird vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen.
III. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs für das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
IV. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als offensichtlich unbegründet verworfen.
Gründe
1
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (= Tat 1) und Volksverhetzung (= Tat 2) zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt. Diese wurde gebildet aus Einzelgeldstrafen von 70 Tagessätzen für die Tat 1 und von 90 Tagessätzen für die Tat 2.
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Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die hiergegen eingelegte unbeschränkte Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 14.10.2024 als unbegründet verworfen.
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Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf dem Kurznachrichtendienst „X“ (früher „T.“) unter Nutzung seines für jedermann einsehbaren Accounts zwei Beiträge veröffentlichte, wobei ihm bewusst gewesen sei, dass diese von einer größeren, von ihm nicht mehr überschaubaren Anzahl an Personen habe wahrgenommen werden können, und er zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass durch seine Beiträge der öffentliche Friede gestört werde.
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Am 27.12.2023 um 18.04 Uhr habe er ein Bild gepostet, auf dem A. H. mit Hakenkreuz-Binde und mit ausgestrecktem rechten Arm und ausgestreckter Hand zum „H...gruß“ vor einer Menschenmenge zu sehen sei, und dazu den Text „WE ARE THE MASTERRACE“. Darunter sei der israelische Premierminister B. N. bei einer Rede mit erhobenem linken Arm zu sehen und dazu der Text „WE ARE GOD´S CHOSEN PEOPLE“. Hierzu habe der Angeklagte zudem kommentiert: „Der israelische Zionismus ist genauso faschistisch und mörderisch wie H. Nationalsozialismus“.
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Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass es sich bei der ikonenhaften Darstellung A. H., dem Hakenkreuz und dem sog. H...gruß um Kennzeichen handele, die der Herrschaft des Nationalsozialismus zuzuordnen und daher verboten seien.
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Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt am 01.01.2024 habe der Angeklagte folgenden Text geschrieben:
„Zionisten sind Invasoren,
Zionisten sind Aggressoren,
Zionisten sind Faschisten,
Zionisten sind Rassisten,
Zionisten sind Terroristen,
Zionisten sind Nationalisten,
Zionisten sind Völkermörder,
Zionisten sind Verbrecher,
Verbrecher müssen bestraft werden.“
7
Mit seinem Beitrag habe der Angeklagte beabsichtigt, zum Hass gegenüber Zionisten, also allen Personen, die das Recht des jüdischen Volkes auf einen jüdischen Nationalstaat unterstützen, aufzustacheln, indem diese allesamt zu bestrafen seien. Desweiteren habe er beabsichtigt, die Menschenwürde aller Zionisten anzugreifen, indem er diese allesamt als Mörder, Terroristen und Rassisten verunglimpft habe.
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Der Angeklagte habe die Beiträge am 05.02.2024 gelöscht.
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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit am 18.10.2024 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers Revision eingelegt und diese nach Zustellung des Urteils am 15.11.2024 mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.12.2024, der am selben Tag, einem Montag, bei Gericht eingegangen ist, unter Erhebung der Sachrüge begründet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. hat mit Schreiben vom 03.02.2025 beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
11
Der Angeklagte hat hierauf mit Schreiben seines Verteidigers vom 03.03.2025 erwidert.
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Die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten hat insoweit endgültig Erfolg, als er vom Vorwurf der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 und 2 StGB freizusprechen ist (s. unten unter 1). Soweit er seine Verurteilung wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB angreift, ist der Schuldspruch frei von Rechtsfehlern. Die Revision des Angeklagten hat jedoch diesbezüglich jedenfalls vorläufig teilweise Erfolg, als das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nicht geprüft hat, ob ein Anwendungsfall des § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 5 StGB vorliegt, obwohl hierfür nach seinen Feststellungen hinreichender Anlass bestanden hätte. Insoweit ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen (s. unten unter 2).
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1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB hält – unter Zugrundelegung des rechtsfehlerfrei festgestellten objektiven Tatsachverhalts – rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) In seiner rechtlichen Würdigung führte das Berufungsgericht unter anderem aus, der vom Angeklagten verwendete Begriff „Zionisten“ sei taugliches Angriffsobjekt im Sinne des § 130 StGB. Zionismus bezeichne nach allgemeiner Auffassung sowohl eine Nationalbewegung als auch eine nationalistische Ideologie, die auf einen jüdischen Nationalstaat im geografischen Palästina ziele, diesen bewahren und rechtfertigen wolle (unter Hinweis auf Wikipedia-Eintrag „Zionismus“ und Duden-Eintrag Bedeutungen „Zionismus“). Nach dieser Definition seien Zionisten eine von der Gesamtheit abgrenzbare Personengruppe. Die Gruppe müsse nicht zwingend Teil der inländischen Bevölkerung sein. Eine andere Bedeutung des Begriffs „Zionisten“ ergebe sich auch nicht aus der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus. Die Bezeichnung „Zionist“ stelle aber auch im Sprachgebrauch des Antisemitismus ein Codewort für Juden dar (unter Hinweis auf AG Essen, BeckRS 2015, 3321). Auch in diesem Sinne seien Zionisten eine von der Gesamtheit abgrenzbare Personengruppe.
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Der Angeklagte habe durch den geposteten Text zum Hass aufgestachelt, da er durch seine o.g. Betitelung der Zionisten zu einer feindseligen Haltung Anreiz gegeben habe und dies über die Äußerung von Ablehnung und Verachtung hinausgehe. Mit der Bezeichnung als Mörder, Völkermörder und Verbrecher werde aufgrund der erheblichen Schmähung zweifelsfrei die Menschenwürde in Form des Kerns der Persönlichkeit verletzt.
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Die Äußerung des Angeklagten sei auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Durch die Äußerung des Angeklagten sei das Vertrauen von in Deutschland lebenden Zionisten in die Rechtssicherheit, insbesondere aufgrund der drastischen Wortwahl und der Tatsache, dass die Äußerungen im Internet für eine unbestimmte Anzahl von Personen sichtbar seien, erschüttert. Seit dem Angriff der Hamas im Oktober 2023 und dem darauf folgenden Kriegsgeschehen sei durch diese vom Angeklagten veröffentlichten Äußerungen die Friedlichkeit der Auseinandersetzung gefährdet, da hierdurch nicht nur das Klima vergiftet werde, sondern die Hemmschwelle zur Begehung von Handlungen mit rechtsgutsgefährdenden Folgen herabgesetzt werde. Auch aus Art. 5 Abs. 1 GG ergebe sich keine andere Bewertung.
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Die Wirkung seines Beitrags sei dem Angeklagten auch bewusst gewesen, da es ihm mit diesem Beitrag gerade darauf angekommen sei, die Zionisten zu verunglimpfen. Dass hierdurch auch der öffentliche Friede gestört werde, habe er zumindest billigend in Kauf genommen.
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b) Diese Wertung hält bereits in Bezug auf die Erfüllung des objektiven Tatbestands rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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aa) § 130 Abs. 1 StGB in der seit 09.12.2022 geltenden Fassung setzt in Nr. 1 und 2 voraus, dass von der Tathandlung eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe oder Teile der Bevölkerung direkt oder indirekt betroffen sind. Geschütztes Rechtsgut ist das Allgemeininteresse an einem friedlichen Zusammenleben im Staat, soweit es sich auf Teile der Bevölkerung oder Gruppen im Sinne abgrenzbarer Personenmehrheiten bezieht (Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 130 Rn. 2).
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(1) Unter einer Gruppe ist dabei eine durch gemeinsame Merkmale und deren subjektive Entsprechung verbundene Mehrzahl von Menschen, die sich hierdurch von den anderen abhebt, zu verstehen (BayVGH, Beschluss vom 23.05.2019 – 10 CE 19.997 –, juris Rn. 17; MüKoStGB/ Schäfer/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 130 Rn. 28 m.w.N.; LK-StGB/Krauß, 13. Aufl. 2021, § 130 Rn. 33; HK-GS/Krupna, 5. Aufl. 2022, StGB § 130 Rn. 4).
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(2) Von dem Tatbestandsmerkmal „Teile der Bevölkerung“ werden alle inländischen Minderheiten erfasst, die sich durch ein bestimmtes inneres oder äußeres Merkmal – sei es politischer, religiöser, weltanschaulicher, wirtschaftlicher, sozialer oder auch beruflicher Art – von der Gesamtbevölkerung unterscheiden, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind (BGH, Urteil vom 03.04.2008 – 3 StR 394/07 –, HRRS 2008, Nr. 458, juris Rn. 7, 10, 11; BGH, Beschluss vom 14.04.2015 – 3 StR 602/14 –, NStZ 2015, 512, juris Rn. 10) bzw. nicht mehr überschaubar sind (OLG Stuttgart, Urteil vom 19.05.2009 – 2 Ss 1014/09 –, NStZ 2010, 453, juris Rn. 15; LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 36; Fischer, a.a.O., § 130 Rn. 4) und damit als äußerlich erkennbare Einheit, als „umrandetes Feindbild“, abgrenzbar sind (KG, Urteil vom 26.11.1997 – (5) 1 Ss 145/94 (30/94) –, JR 1998, 213, juris Rn. 19; OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.09.2018 – 1 RVs 59/18 –, NStZ 2019, 347, juris Rn. 9 m. Anm. Fischer; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.05.2011 – 1 Ss 175/11 –, Justiz 2011, 338, juris Rn. 11; Kindhäuser/Hilgendorf, LPK-StGB, 10. Aufl. 2025, StGB § 130 Rn. 7; HK-GS/Karsten Krupna, 5. Aufl. 2022, StGB § 130 Rn. 4; Heger, in Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 130 Rn. 3).
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bb) Die vom Angeklagten verwendete Formulierung „Zionisten“ kann weder eindeutig und ausschließlich dem Begriff der Gruppe noch dem Begriff eines Teils der Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB zugeordnet werden.
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(1) Die Auslegung einer textlichen Äußerung im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB bzw. – was vorliegend ebenfalls in Betracht kommt – eines verbreiteten Inhalts (§ 11 Abs. 3 StGB) im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB hat sich wegen des Charakters der Vorschrift als Verbreitungsdelikt an seinem objektiven Sinngehalt, Zweck und Erklärungswert zu orientieren, wie sie von einem verständigen, unvoreingenommenen Durchschnittsleser aufgefasst werden. Demgemäß muss die Frage, ob eine verkörperte Äußerung – wie etwa eine Schrift – die inhaltlichen Anforderungen des objektiven Tatbestands erfüllt, sich grundsätzlich aus ihr selbst ergeben. Umstände, die in der Schrift selbst keinen Niederschlag gefunden haben, haben grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Insbesondere subjektive Zielsetzungen, Motive, Absichten, Vorstellungen oder Neigungen des Täters müssen zumindest „zwischen den Zeilen“ erkennbar sein (BGH, Urteil vom 03.04.2008 – 3 StR 394/07 –, juris Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 22.03.1990 – RReg 5 St 136/89 –, BayObLGSt 1990, 31, juris Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.03.2020 – 1 Ws 285/19 –, juris Rn. 4).
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Die Auslegung von Äußerungen, Darstellungen und ähnlichem steht dem Tatrichter zu. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein solcher liegt z.B. vor, wenn die Auslegung lückenhaft ist und sich die Urteilsgründe nicht mit allen naheliegenden Möglichkeiten auseinandersetzen oder eine umfassende Würdigung des Inhalts, des Zweckes und der Tendenz der Schrift oder Darstellung vermissen lassen. Dem Urteil muss hinreichend entnommen werden können, dass das Tatgericht bei seiner Prüfung keinen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, die Überzeugungsbildung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen (BayObLG, Beschluss vom 22.03.1990 – RReg 5 St 136/89 –, BayObLGSt 1990, 31, juris Rn. 9 m.w.N.). Als ein Verstoß gegen die Denkgesetze gilt es, wenn der Tatrichter verkannt hat, dass mehrere naheliegende Auslegungsmöglichkeiten bestehen und er es unterlassen hat, sie gegeneinander abzuwägen (OLG Hamburg, Entscheidung vom 28.04.1970 – 2 Ss 41/70 –, NJW 1970, 1649, 1650 m.w.N.).
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Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB haben die Fachgerichte insbesondere die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.05.2019 – 1 BvQ 45/19 –, juris Rn. 11 m.w.N.). Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 –, NJW 1994, 2943, juris Rn. 21; vom 24.05.2019 – 1 BvQ 45/19 –, juris Rn. 12 m.w.N.; BGH, Urteil vom 03.04.2008 – 3 StR 394/07 –, juris Rn. 8; OLG Frankfurt, Urteil vom 30.11.2022 – 3 Ss 123/22 –, juris Rn. 19; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.02.2020 – 1 Ws 285/19 –, NStZ-RR 2020, 310, juris Rn. 14). Dies bedeutet, dass das Strafgericht, will es sich unter mehreren möglichen Deutungen für die zur Bestrafung führende entscheiden, dafür besondere Gründe angeben muss, die nicht allein dem Wortlaut entnommen werden können (BVerfG, Beschluss vom 19.04.1990 – 1 BvR 40/86 –, BVerfGE 82, 43, juris Rn. 32).
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(2) Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil nicht gerecht, da es naheliegende Auslegungsmöglichkeiten außer Acht gelassen und den Sinngehalt der Äußerung des Angeklagten nicht hinreichend erforscht hat. Vielmehr ist die Verwendung des Wortes „Zionisten“ nicht eindeutig als Angriffsobjekt gemäß § 130 Abs. 1 und 2 StGB auslegbar.
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(2.1) Die über „X“ verbreiteten schriftlichen Äußerungen des Angeklagten über „Zionisten“ richten sich nach den getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht eindeutig gegen eine klar abgrenzbare religiöse Gruppe (vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 30.11.2022 – 3 Ss 123/22 –, juris Rn. 17).
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Soweit das Berufungsgericht der Auffassung ist, nach der von ihm zugrundegelegten Definition des Zionismus (Nationalbewegung bzw. nationalistische Ideologie, die auf einen jüdischen Nationalstaat im geografischen Palästina ziele, diesen bewahren und rechtfertigen wolle) seien Zionisten eine von der Gesamtheit abgrenzbare Personengruppe, bleibt offen, ob es sich um eine nationale, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe handelt.
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(2.2.) Das Berufungsgericht weist allerdings im Grunde zutreffend darauf hin, dass die Bezeichnung „Zionist“ auch im Sprachgebrauch des Antisemitismus ein Codewort für Juden darstelle (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.03.2020 – 1 Ws 285/19 –, juris Rn. 9, 11; AG Essen, Urteil vom 30.01.2015 – 57 Cs 631/14 –, juris Rn. 18).
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Demgemäß käme als Angriffsobjekt eine religiöse Gruppe in Betracht. Dass die – nach dieser Auslegung – mit dem Begriff „Zionisten“ gemeinten Juden eine religiöse Gruppe im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB darstellen, bedarf keiner weiteren Erörterung (vgl. hierzu LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 34). Ebenso ist anerkannt, dass namentlich die Juden Teile der (inländischen) Bevölkerung sind (vgl. nur BGH, Urteile vom 21.04.1961 – 3 StR 55/60 –, BGHSt 16, 49, juris Rn. 24; vom 25.07.1963 – 3 StR 4/63 –, BGHSt 19, 63, juris Rn. 14; vom 15.11.1967 – 3 StR 4/67 –, BGHSt 21, 371, juris Rn. 8; vom 14.01.1981 – 3 StR 440/80 (S) –, NStZ 1981, 258, juris Rn. 8 f.; 26.01.1983 – 3 StR 414/82 (S) –, BGHSt 31, 226, juris Rn. 7; vom 15.12.2005 – 4 StR 283/05 –, NStZ-RR 2006, 305, juris Rn. 14 ff.; OLG Hamburg, Urteil vom 28.04.1970 – 2 Ss 41/70 –, NJW 1970, 1649, 1650; OLG Koblenz, Urteil vom 11.11. 1976 – 1 Ss 524/76 –, MDR 1977, 334, juris Rn. 15; OLG Köln, Urteil vom 28.10.1980 – 1 Ss 650 – 651/80 –, NJW 1981, 1280; OLG Rostock, Urteil vom 24.01.2024 – 20 RR 22/22 –, juris Rn. 41; LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 39; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, a.aO., § 130 Rn. 34; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/ Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 130 Rn. 4; Matt/Renzikowski/Altenhain, 2. Aufl. 2020, StGB § 130 Rn. 9; Beisel NJW 1995, 997, 998; so auch zu „deutsche Juden“ Fischer, NStZ 2019, 348, 349 „aus normativen Gründen“).
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Im Vergleich hierzu wird in Rechtsprechung und Literatur nur vereinzelt die Frage erörtert, ob Zionisten als Teil der Bevölkerung anzusehen sind (bejahend LG Essen, Urteil vom 22.05.2015 – 31 Ns 42/15 –, juris Rn. 9, s.u. unter 2.4.2; so auch – jedoch ohne weitere Begründung – MüKoStGB/Schäfer/ Anstötz, a.a.O., § 130 Rn. 34).
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(2.3.) Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung lässt aber unberücksichtigt, dass es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, ob der Begriff „Zionist“ konkret als Codewort für Juden verwendet wird oder einen anderen – möglicherweise nicht tatbestandsmäßigen – Sinngehalt hat (vgl. BeckOK StGB/Rackow, 64. Ed. 01.08.2024, § 130 Rn. 15.1 unter Bezugnahme auf AG Essen, Urteil vom 30.01.2015 – 57 Cs 631/14 –, zu der Parole „Tod und Hass den Zionisten“).
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(2.4) Auch die zur Auslegung des Begriffs „Zionisten“ veröffentlichte Rechtsprechung hat überwiegend die jeweiligen konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.
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(2.4.1) Der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des Amtsgerichts Essen vom 30.01.2025 lag zugrunde, dass der Angeklagte an einer Demonstration anlässlich des im Juli 2014 aktuellen Nahostkonflikts in Essen teilnahm. Im Verlauf der Demonstration versammelte sich eine Gruppe von aufgebrachten Menschen um den Angeklagten, der als Prediger zu ihnen sprach und von ihnen bejubelt wurde. Unter anderem verkündete er, nichts gegen Juden zu haben und alle Menschen seien Brüder und Schwestern. Schließlich stimmte er die Menge in den Sprechchor ein: „Tod und Hass den Zionisten“.
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Nach dem Wortlaut der Äußerung des Angeklagten habe er – so das Amtsgericht Essen – zu Tod und Hass gegen Zionisten aufgerufen. Die Ermittlung des objektiven Sinns dieser Äußerung ergebe jedoch, dass der Angeklagte tatsächlich zu Tod und Hass gegen Juden aufgerufen habe und nicht Zionisten im eigentlichen Sinne gemeint habe. Zionisten seien als Gruppierung zu begreifen, die sich zur Lösung der sogenannten Judenfrage für die Entstehung bzw. Wiedererrichtung eines eigenen jüdischen Staates in Palästina einsetzte. Im heutigen Israel stellten Zionisten eine politische Strömung dar, die eine Stärkung des Staates Israel befürworten und zu erreichen suchen. Insoweit seien Zionisten grundsätzlich jüdischen Glaubens, wobei nicht alle Juden der Gruppe der Zionisten zugehörig seien (Urteil vom 30.01.2015 – 57 Cs 631/14 –, juris Rn. 18). Die Bezeichnung „Zionist“ stelle aber auch im Sprachgebrauch des Antisemitismus ein Codewort für Juden dar. Dass der Angeklagte Juden gemeint habe und nicht Zionisten im eigentlichen Sinne, ergebe sich aus den Begleitumständen der umstrittenen Äußerung. Denn der Angeklagte habe an einer zunächst friedlichen Demonstration anlässlich des aktuellen Nahostkonfliktes teilgenommen, bei der es im weiteren Verlauf zu antisemitistischen Ausschreitungen gekommen sei. Hintergrund dieses Konfliktes seien zunächst die Ermordung von israelischen und palästinensischen Jugendlichen und die darauffolgenden Raketenangriffe des Staates Israel aus dem Gazastreifen gewesen, auf die Israel mit einer massiven Offensive reagiert und die zahlreiche Tote und Verletzte insbesondere auf palästinensischer Seite gefordert habe. Aufgrund dieser Ereignisse, insbesondere der Vorgehensweise der Israelischen Armee sowie unter dem Eindruck der Bilder des Leids der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen, habe sich der Angeklagte zur erwähnten Äußerung veranlasst gesehen. Diese Begleitumstände stünden in keinem erkennbaren Zusammenhang mit einer zionistischen Bewegung oder zionistischen Zielen. Vielmehr habe sich der Angeklagte eines antisemitistischen Codes für die jüdische Bevölkerung bedient, um seiner Missbilligung der Vorgehensweise der israelischen Armee Nachdruck zu verleihen. Soweit er vor dem Aufruf kundgetan habe, nichts gegen Juden zu haben und dass alle Menschen Brüder und Schwestern seien, sei dieser Umstand auch nicht dazu geeignet, dem Aufruf einen anderen Sinngehalt zu geben. Insoweit seien dem damals neuerlichen Gazakonflikt keinerlei Anhaltspunkte im Hinblick auf eine maßgebliche Involvierung von Zionisten zu entnehmen gewesen. Hintergrund des aktuellen Konflikts seien eben nicht weitere Bestrebungen der Israelis, Land zu gewinnen, gewesen. Vielmehr sei der Tod mehrerer Jugendlicher als Auslöser der Eskalation zu qualifizieren. Insbesondere durch seine Vorrede habe der Angeklagte aber deutlich gemacht, dass er sich sehr wohl bewusst war, dass sein Aufruf als antisemitische Hetze zu begreifen war (AG Essen, Urteil vom 30.01.2015 – 57 Cs 631/14 –, juris Rn. 18).
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(2.4.2) Im Gegensatz hierzu ging das Landgericht Essen in der Berufungsinstanz davon aus, dass Angriffsobjekt nicht die jüdische Bevölkerung, sondern die Zionisten als solche seien. Diese seien notwendigerweise Juden und als solche ein Teil der deutschen Bevölkerung. Bei ihnen handele es sich um eine abgrenzbare Gruppe von Juden, die an ein Existenzrecht Israels glauben bzw. dieses Existenzrecht bejahen. Diese jüdische Glaubensströmung existiere seit vielen Jahrhunderten und gehe davon aus, dass in den testamentarisch erwähnten Siedlungsgebieten des jüdischen Glaubens die Heimat der Juden liege und daher auch das Recht der Juden bestehe, dort einen jüdischen Staat zu gründen. Die Glaubensströmung der Zionisten unterscheide sich von den Juden, die den jüdischen Staat nicht als weltliches Menschenwerk betrachten, so dass ein jüdischer Staat auch nicht vor Ankunft des Erlösers und auch nicht von Menschen gegründet werden könne. Vor dem Hintergrund dieser (religiösen) Unterscheidbarkeit handele es sich bei den Zionisten um einen hinreichend bestimmbaren Teil der deutschen Bevölkerung, zu der die in Deutschland lebenden Juden ohne weiteres gehören würden. Darüber hinaus gehe die vorgenannte Differenzierung auch mit dem objektiven Verständnis der Äußerungen des Angeklagten konform. Denn dieser habe sich in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen, dass er nicht gegen Juden, sondern nur etwas gegen Zionisten habe. Damit wende er sich genau gegen den Teil der Juden, die das Existenzrecht eines jüdischen Staates bejahen, während er den anderen Teil der Juden, der keinen weltlichen Staat der Juden gründen will, nicht als Bedrohung des palästinensischen Siedlungsanspruchs ansehen müsse (Urteil vom 22.05.2015 – 31 Ns 42/15 –, juris Rn. 9).
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(2.4.3) Einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe lag ein Wahlplakat mit der Aufschrift „Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“ zugrunde. Nach seiner Auffassung liege es ausgesprochen nahe, dass dieses von den Verantwortlichen nicht zu dem Zweck bei einer Synagoge angebracht worden sei, um Kritik am Staate Israel zu üben, sondern dass es sich um eine speziell gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland gerichtete Aussage handele, durch welche der Eindruck einer Bedrohung durch diese erweckt werde und erweckt werden solle, weshalb – und so bekomme das neben dem ersten angebrachte zweite Plakat „Wir hängen nicht nur Plakate!“ seinen Sinn – die Verfasser als Reaktion auf die behauptete Bedrohung Gewaltbereitschaft signalisierten bzw. Gewalt als „Lösung“ anböten und – unter Einbindung des beworbenen Lesers – Selbstjustiz ankündigten (Beschluss vom 26.02.2020 – 1 Ws 285/19 –, NStZ-RR 2020, 310, juris Rn. 15; so auch Heger, in Lackner/Kühl/Heger, a.a.O., StGB § 130 Rn. 3).
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Auf Gegenvorstellung führte das Oberlandesgericht Karlsruhe unter Hinweis auf die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft C. vom 28.11.2019 (2 Zs 1421/19) zur Verwendung eines identischen Wahlplakats aus, schon für sich genommen könne dieses Plakat nicht anders gedeutet werden, als dass es gerade nicht eine wie auch immer geartete Kritik an der Politik des Staates Israel äußere, sondern der Begriff „Israel“ als Synonym für den Begriff „Juden“ stehe. Dem objektiven Betrachter falle zuvörderst die durch ihren Fettdruck in den Vordergrund gestellte Hauptaussage des Plakats „Israel ist unser Unglück!“ ins Auge, die sich in perfider Weise an die während der NS-Herrschaft regelmäßig in der Hetzschrift „Der Stürmer“ verbreitete Parole „Die Juden sind unser Unglück“ anlehne. Zwar hätten die Verfasser des Plakats durch den Zusatz „Zionismus stoppen“ nach außen hin von dem eigentlichen Sinngehalt des Plakats ablenken wollen. Tatsächlich hätten sie hierdurch aber bewusst noch die tatsächliche Aussage des Plakats, wonach „Juden“ und nicht der Staat Israel gemeint seien, unterstrichen.
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Zionisten seien zwar als Gruppierung zu begreifen, die sich zur Lösung der sogenannten Judenfrage für die Entstehung bzw. Wiedererrichtung eines eigenen jüdischen Staates in Palästina einsetze. Im heutigen Israel stellten Zionisten eine politische Strömung dar, die eine Stärkung des Staates Israel befürworten und zu erreichen suchen. Insoweit seien Zionisten grundsätzlich jüdischen Glaubens, wobei nicht alle Juden der Gruppe der Zionisten zugehörig seien. Die Bezeichnung „Zionist“ stelle aber im Sprachgebrauch des Antisemitismus auch ein Codewort für Juden dar. Hiernach werde der Eindruck, dass Zielobjekt des Plakats die jüdische Bevölkerung im In- und Ausland ist, durch den zusätzlichen Bezug zum Zionismus noch verstärkt, zumal es sich in erster Linie an Gesinnungsgenossen dieser Partei richte, denen die Konnotation des Begriffs „Zionismus“ in diesem Zusammenhang wohl bekannt sei. Zudem gelte es zu berücksichtigen, dass sich der Staat Israel per Gesetz im Jahre 2018 den Status eines jüdischen Nationalstaats gegeben habe und somit unschwer als Synonym für das Judentum herangezogen werden könne und in diesem Fall auch müsse (Beschluss vom 17.03.2020 – 1 Ws 285/19 –, juris Rn. 4 ff.).
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(2.4.4) Demgegenüber hielt es der 7. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts für unzureichend, dass die Vorinstanz aus dem Gebrauch des Begriffes „Zionist“ geschlossen hatte, dass der Angeklagte für seine gesamten Äußerungen auch antisemitische Gründe hatte (vgl. Beschluss vom 17.02.2023 – 207 StRR 32/23 –, NStZ-RR 2023, 174, juris Rn. 8). Zu prüfen war, ob die Verharmlosung von Völkermordhandlungen durch einen Vergleich der sog. Mischlinge zweiten Grades unter der Herrschaft des Nationalsozialismus mit den staatlichen Beschränkungen der Corona-Pandemie zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet ist (§ 130 Abs. 3 StGB). Insoweit hat der 7. Strafsenat beanstandet, es sei nicht ausreichend, wenn das Landgericht zur Begründung allein ausführe, durch die Äußerungen des Angeklagten würde in empfänglichen Kreisen die Neigung zu Rechtsbrüchen geweckt oder verstärkt, weil er seine Äußerungen über „Mischlinge zweiten Grades“ mit antisemitischen Äußerungen verbunden habe. Dies gelte schon deshalb, weil die Kammer ihre Beurteilung als antisemitisch im Wesentlichen auf den Gebrauch des Begriffes „Zionist“ stütze und dabei offen bleibe, ob sie diesen weiteren Äußerungen des Angeklagten strafrechtliche Relevanz beimesse (“was zweifelhaft erscheine“). Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des Landgerichts ergebe sich aber, dass in der Rede des Angeklagten ein allgemeiner Zusammenhang mit der Judenverfolgung im Dritten Reich hergestellt worden sei und dieser sich gezielter antisemitischer Ressentiments bedient habe (a.a.O., juris Rn. 17 f.).
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(3) Richten sich die Äußerungen ihrem Wortlaut nach nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Kultur schlechthin, sondern gegen eine Gruppe von als „Zionisten“ bezeichneter Menschen, ist demnach zu prüfen, ob die Äußerungen ihrem objektiven Sinngehalt nach gegen Juden im Allgemeinen gerichtet sind (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 30.11.2022 – 3 Ss 123/22 –, juris Rn. 18), oder gegen solche Personen, die der Nationalbewegung im Sinne der vom Berufungsgericht verwendeten Definition anhängen, oder gegen den Staat Israel als solchen bzw. dessen Staatsführung.
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(4) Da somit der objektive Sinngehalt entscheidend ist, durfte sich das Berufungsgericht nicht mit dem bloßen Wortlaut des „X“-Posts zufriedengeben. Wenn die Auslegung einer Erklärung aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Dritten unter Berücksichtigung des Adressatenkreises der Aussage ergibt, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeidet, weil er Strafbarkeit befürchtet, den Erklärungsempfängern aber unmissverständlich vermittelt, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare Teilmenge, sondern „die“ Juden meint, ist er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Denn auch im Rahmen des § 130 StGB können nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen strafbar sein (OLG Frankfurt, Urteil vom 30.11.2022 – 3 Ss 123/22 –, juris Rn. 18).
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(4.1) So verhält es sich hier aber nicht.
44
(4.1.1) Der Angeklagte hat – wie dargestellt – auf „X“ die „Zionisten“ als Mörder, Verbrecher usw. bezeichnet, ohne eine nähere Eingrenzung dieser Personengruppe zu machen. Es ist schon keine Bezugnahme auf die deutsche jüdische Bevölkerung als solche erkennbar noch werden von ihm Parolen verwendet, die in anderweitigem Zusammenhang eindeutig antisemitisch wären, was etwa bei der Bezeichnung „Die Zionisten sind Euer Unglück“ der Fall wäre.
45
(4.1.2) Meinte er mit der Bezeichnung „Zionisten“ die Anhänger der nationalen Bewegung, die eine Erweiterung des Staates Israel auf das geografische Palästina anstreben, handelt es sich möglicherweise um eine nationale Gruppe im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Für eine Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB müsste die Gruppendiffamierung jedoch – auch vom Gruppenbezug her – eine innerstaatliche Relevanz aufweisen. Eine lediglich nach außen gerichtete Stimmungsmache würde nicht genügen, selbst wenn sie an das Verhalten einzelner sich in der Bundesrepublik aufhaltender Mitglieder dieser Gruppe anknüpft (LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 37; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, a.a.O. § 130 Rn. 31). Angriffe gegen Personenmehrheiten im Ausland werden nach § 130 Abs. 1 StGB unter dem Merkmal „Teile der Bevölkerung“ nur dann erfasst, wenn damit zugleich feindselige Gefühle gegen deren in der Bundesrepublik lebende und einen inländischen Bevölkerungsteil bildende Angehörige geweckt werden sollen (vgl. LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 37; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, a.a.O. § 130 Rn. 31). Ob in einer Äußerung gegen eine Personengruppe im Ausland zugleich ein Angriff auf ihre in der Bundesrepublik lebenden Teile zu sehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (OLG Hamburg, Entscheidung vom 28.04.1970 – 2 Ss 41/70 –, NJW 1970, 1649, 1650; LK-StGB/ Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 37).
46
Dies könnte aber dahinstehen, da durch die Handlung des Angeklagten, seinen Text auf der Internet-Plattform „X“ zu posten, das Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 2 StGB, „wer einen Inhalt (§ 11 Abs. 3 StGB) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht“ erfüllt ist (vgl. BT-Drucks. 19/19859, S. 26 zu Twitter; LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 100; BeckOK StGB/Rackow, a.a.O., § 130 Rn. 29; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, a.a.O., § 130 Rn. 67; zuvor bereits BGH, Urteil vom 08.08.2006 – 5 StR 405/05 –, NStZ 2007, 216, juris Rn. 5).
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Während gemäß § 130 Abs. 1 StGB die Tat geeignet sein muss, den öffentlichen Frieden zu stören, woraus sich ergibt, dass die Tat einen Inlandsbezug aufweisen muss (BT-Drucks. 17/3124, S. 10 f.; so auch Fischer, a.a.O., § 130 Rn. 4; LK-StGB/Krauß, a.a.O. § 130 Rn. 35), ist § 130 Abs. 2 StGB nach herrschender Meinung auch bei ausländischen Gruppen anwendbar, was sich aus dem Fehlen einer dem Abs. 1 entsprechenden Friedensschutzklausel ergeben soll (vgl. BT-Drucks. 12/6853, S. 24; LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 86; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, a.a.O., § 130 Rn. 63; so auch Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, a.a.O., StGB § 130 Rn. 12/13; and. Ans. Fischer, a.a.O., § 130 Rn. 16 f.). Damit käme das Angriffsobjekt „Zionisten“ als geschützte ausländische Gruppe gemäß § 130 Abs. 2 StGB in Betracht.
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(4.1.3) Unabhängig hiervon kann der gepostete Text des Angeklagten aber auch allgemein als Kritik am Staat Israel bzw. dessen Staatsführung verstanden werden. Hierfür sprechen die aus dem Text jedenfalls „zwischen den Zeilen“ erkennbaren Gesamtumstände des betreffenden Posts, in denen unter anderem von Invasoren und Völkermördern die Rede ist. Bezogen auf das vom Berufungsgericht festgestellte Kriegsgeschehen im Gaza-Streifen, das dem im Oktober 2023 stattgefundenen Angriff der Hamas folgte, ist die Interpretation des Begriffes Zionisten als Synonym für den Staat Israel oder dessen Staatsführung durchaus naheliegend. Demgegenüber greift die etwa vom Amtsgericht Essen in der oben zitierten Entscheidung vertretene Annahme zu kurz, dass die im damaligen Nahostkonflikt aufgetretenen Begleitumstände der durch eine massive Offensive gekennzeichneten Reaktion Israels auf die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen, die zahlreiche Tote und Verletzte insbesondere auf palästinensischer Seite gefordert habe, in keinem erkennbaren Zusammenhang mit einer zionistischen Bewegung oder zionistischen Zielen gestanden hätten. Denn insoweit würde man bei der Auslegung – übertragen auf die vorliegende Fallkonstellation – am Wortlaut „Zionist“ und der Definition einer nationalistischen Bewegung „kleben“ bleiben.
49
Vorliegend können aber neben der zeitlichen Nähe des Posts vom 01.01.2024 mit dem Beginn des Gazakrieges sowie die Gesamtumstände beider Posts des Angeklagten nicht außer Betracht gelassen werden. Bezieht man die im Post vom 27.12.2023 geübte Kritik am israelischen Ministerpräsidenten mit ein, kommt auch in Betracht, dass der Angeklagte unabhängig von der Bedeutung der Zionisten als Nationalbewegung und unabhängig von der jüdischen Religion (er gab an, kein Antisemit zu sein), die derzeitige Politik Israels kritisieren wollte, und – nach seiner im Urteil wiedergegebenen Einlassung, man dürfe bei Kriegsverbrechen nicht wegschauen – sich gegen solche im Post als Völkermord bezeichnete Kriegsverbrechen wenden wollte, die seines Erachtens vom Staat Israel ausgingen. Objektiv von Bedeutung ist insoweit der Umstand, dass nachfolgend der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle unter anderem gegen den israelischen Ministerpräsidenten N. und den früheren Verteidigungsminister Galant wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen hatte (vgl. Legal Tribune Online vom 21.11.2024).
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Dass der Staat Israel kein Teil der inländischen Bevölkerung ist, liegt auf der Hand. Er ist aber auch keine Gruppe im Sinne des § 130 Abs. 1 und 2 StGB. Allein gemeinsame politische oder wirtschaftliche Interessen lassen keine Gruppe zustande kommen (SK-StGB/Stein, 9. Aufl. 2019, § 130 Rn. 11). Nicht erfasst sind somit bestimmte Staaten (MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, a.a.O., § 130 StGB Rn. 28; LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 34) wie der Staat Israel (OLG Hamburg, Entscheidung vom 28.04.1970 – 2 Ss 41/70 –, NJW 1970, 1649, 1650; BeckOK StGB/ Rackow, a.a.O., § 130 Rn. 15.1; Esser in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, 1. Aufl. 2019, § 130 StGB, Rn. 37). Durch die Beschimpfung fremder Staaten sind weder deren in Deutschland lebende Staatsangehörige (schon) als Gruppe oder Teil der (hiesigen) Bevölkerung angegriffen noch Teile der deutschen Bevölkerung, die sich dem anderen Staat besonders verbunden fühlen (Fischer, a.a.O., § 130 Rn. 4a).
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Dies steht auch im Einklang damit, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof – anders als die Untersagung der den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB erfüllende Aussage „Juden Kindermörder“ – unter Beachtung der Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 bzw. 8 GG) eine versammlungsrechtliche Auflage für rechtswidrig hielt, durch die Äußerungen wie die Bezeichnung der israelischen Militäroperationen als „Genozid“, „Kindermörder Israel“, „Israel bringt Kinder um“ verboten werden sollten (Beschluss vom 02.12.2023 – 2 B 1715/23 –, NVwZ 2024, 352, juris Rn. 20, 22 ff.).
52
(4.1.4) Ob allerdings Angriffe auf den Staat Israel in ihrem Aussagekern tatsächlich die in Deutschland lebenden Menschen jüdischen Glaubens oder „die Juden“ schlechthin meinen, ist Tatfrage und hängt von Art und Umständen der Äußerung ab (vgl. LK-StGB/Krauß, a.a.O., § 130 Rn. 34; BeckOK StGB/Rackow, a.a.O., § 130 Rn. 15.1). Dies ist mangels jeglicher hierfür sprechender Anhaltspunkte jedoch zu verneinen.
53
c) Da insoweit eine weitere Aufklärung durch das Tatgericht nicht zu erwarten ist, konnte der Senat auf der Grundlage der dem Berufungsurteil zugrundeliegenden Feststellungen zum objektiven Sachverhalt selbst entscheiden und den Angeklagten freisprechen (§ 354 Abs. 1 StPO).
54
2. Die Revision des Angeklagten bleibt hinsichtlich des Schuldspruchs des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB ohne Erfolg. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs hat die Revision auf die Sachrüge hin jedoch – jedenfalls vorläufig – Erfolg.
55
a) In Bezug auf den Schuldspruch hat die Revision keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird auf die auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung der Verteidigung vom 03.03.2025 zutreffende, nicht ergänzungsbedürftige Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft M. in ihrer Antragsschrift vom 03.02.2025 und die hinsichtlich des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen darin ausführlich zitierte Entscheidung des Senats vom 13.06.2022 (204 StRR 116/22) Bezug genommen. Dass die vom Angeklagten auf „X“ verwendete Abbildung des ehemaligen deutschen Reichskanzlers A. H. per se ein verfassungswidriges Kennzeichen darstellt, bedarf keiner weiteren Erörterung. Ebenso verhält es sich mit dem ausgestrecktem rechten Arm und ausgestreckter rechter Hand (sog. „H...gruß“) und der auf dem Arm befindlichen Hakenkreuzbinde. Die vom Angeklagten in „X“ veröffentlichte Collage, in der dem dort abgebildeten israelischen Ministerpräsidenten N. der Slogan „WE ARE GOD´S CHOSEN PEOPLE“ in den Mund gelegt wird und dem Ausspruch „WE ARE THE MASTERRACE“ des ebenfalls abgebildeten Reichskanzlers A. H. gegenübergestellt wird, ergänzt durch den Kommentar des Angeklagten, der israelische Zionismus sei genauso faschistisch und mörderisch wie H. Nationalsozialismus, stellt gerade den klassischen Fall dar, in dem das Handeln eines heutigen Politikers und Staatsmannes dadurch kritisiert wird, dass dieses der nationalsozialistischen Politik gleichgesetzt wird. Dies beschwört die Gefahr herauf, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (vgl. die Senatsentscheidung vom 13.06.2022, juris Rn. 20 und 27 m.w.N.), worauf bereits die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 03.02.2025 zutreffend hingewiesen hat.
56
b) Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs hat das Berufungsgericht nicht geprüft, ob die Anwendung des § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 5 StGB in Betracht gekommen wäre. Hierzu bestand Anlass aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts, dass „gemessen nicht zuletzt an dem straflosen Vorleben des Angeklagten … die verfahrensgegenständlichen Taten als einmalige Entgleisung des Angeklagten“ erschienen seien. Ergänzend ist hinsichtlich des straflosen Vorlebens anzuführen, dass der Angeklagte bei Tatbegehung 54 Jahre alt war, und hinsichtlich der geringen Schuld, dass er hinsichtlich des Tatbestandes der Volksverhetzung freizusprechen ist, das Berufungsgericht seine Äußerung, er sei kein Antisemit, nicht in Abrede gestellt hat, und er nicht Urheber des Bildes war, sondern dieses „nur“ weiterverwendet hat.
57
Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil in dem im Tenor genannten Umfang aufzuheben (§ 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1 StPO) und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
58
Einer Aufhebung der Feststellungen zum Schuldspruch des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten bedurfte es nicht. Das Berufungsgericht kann ergänzende Feststellungen zur Frage der geringen Schuld des Angeklagten treffen, soweit diese den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen.
59
Die weitergehende Revision des Angeklagten war gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als offensichtlich unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 stopp)