Titel:
Stromentnahme bei Mitbesitz an stromverbrauchenden Anlage
Normenketten:
StromStG § 9b
StromStV § 17b Abs. 4
BGB § 866
UStG § 15 Abs. 4
FGO § 136 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Anders als in Fällen, in denen Besitz an verschiedenen Anlagen besteht und dementsprechend der jeweilige Stromverbrauch zugeordnet werden muss, bzw. in denen Besitzern abgrenzbare Nutzungszeiten zugeordnet werden können, kann im gleichwertigen Mitbesitzes der entnommene Strom nicht danach aufgeteilt werden, wer welchen Stromverbrauch ausgelöst hat, (Rn. 61). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stromentnahme im Sinne des § 9b StromStG bei Mitbesitzern, Ermessen, Arbeitsvertrag, Gegenstand des Unternehmens, Bewertung, Biogasanlage, Stromverbrauch, Anlagenbetrieb, Steuerentlastung, Mitbesitz
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9471
Tenor
1. Die Steuerentlastung für 2018 nach § 9b des Stromsteuergesetzes (StromStG) wird unter Änderung des Bescheides vom 15. Juni 2020 und der Einspruchsentscheidung vom 23. September 2022 um … € höher mit … € festgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf die Steuerentlastung für den in der Bioerdgasanlage in D verbrauchten Strom hat.
2
Die Klägerin, eine GmbH, ist ein im Bereich der Energiewirtschaft tätiges Unternehmen. Laut Handelsregisterauszug ist Gegenstand des Unternehmens … Sie ist Eigentümerin und Betreiberin von Biogasanlagen am Standort A und B. Außerdem ist sie „Betriebsführerin“ der Bioerdgasanlage in C. Schließlich erbringt sie Dienstleistungen für die X, deren Gesellschafter die Klägerin und die H sind.
3
Mit dem Gas- und Stromverkauf an Geschäftskunden sowie den erbrachten Dienstleistungen ist sie als ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 StromStG nach Abschnitt E Klasse 40.21 bzw. Klasse 40.11 der Klassifikation der Wirtschaftszweige 2003 tätig.
4
Die X ist Eigentümerin einer Bioerdgasanlage in D. Die Anlage besteht aus folgenden Betriebseinheiten: Biogaserzeugungsanlage (BGA) und Biogasaufbereitungsanlage (BGAA). Dazu gehören: Hopfensilage, Hopfenaufbereitung, Maissilage, Gärrestelager, Methanreaktor, Gasreinigung und Separator. Zudem befindet sich auf dem Grundstück die Bioerdgaseinspeisestation, die vom zuständigen Netzbetreiber betrieben wird.
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Im Streitzeitraum bezog die X von der … GmbH versteuerten Strom.
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Die X verfügt über kein eigenes Personal zum Betrieb der Anlage.
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Bis 2015 wurde die Anlage allein durch Personal der Y betrieben. Danach war auch der Zeuge K als Betriebsleiter in D tätig.
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Im Streitjahr 2018 galten bezüglich des Betriebs der Anlage folgende vertragliche Regelungen:
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Am 6. März 2015 hatte die X mit der Y einen Betriebsführungsvertrag geschlossen, der einen vorangegangenen vom 21. Juli 2011 ersetzte. Nach der Präambel sollte der Vertrag die Durchführung des Betriebes der Biogaserzeugungsanlage und der Biogasaufbereitungsanlage im Regelbetrieb (Dauerbetrieb) regeln. Gemäß § 3 des Vertrages waren von Y ausschließlich die folgenden Leistungen zu erbringen: Wartung und Instandhaltung (gemäß Anlage 3A) und wiederkehrende Aufgaben (gemäß Anlage 3), darunter Befüllarbeiten der Beschicker, Kontrollarbeiten entsprechend der Betriebsanleitungen, Verladung und Umlagerung fester Gärprodukte, Probenentnahme und Versendung, Reinigung und Anlagenpflege, Reparatur von Verschleißteilen, Dokumentations- und Informationsaufgaben. Laut § 3.5 des Vertrages sollte Y, soweit nichts anderes geregelt ist, nach billigem Ermessen über Art, Intervall und Umfang der zu erbringenden Leistungen entscheiden. In § 4.2 des Betriebsführungsvertrags war vorgesehen, dass X einen Betriebsleiter stellt, der gemäß § 5.4 des Vertrages die fachliche und organisatorische Gesamtverantwortung für die Bioerdgasanlage tragen sollte und gegenüber Y den konkreten Umfang der von dieser zu erbringenden Dienstleistung bestimmen sollte. Der Betriebsleiter sollte berechtigt sein, Anweisungen für die Ausführung der Leistungen bei Gefahr in Verzug auch direkt an das von Y eingesetzte Betriebspersonal zu geben, soweit sie den reibungslosen Ablauf und die qualitative Durchführung der Leistung betreffen. Nach § 5.2 des Vertrages erhielt Y uneingeschränkt Zugang zur Anlage sowie die Schlüsselgewalt.
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Am 27. Oktober 2017 schloss die X mit der Klägerin einen Vertrag (Betriebsmanagementvertrag). Laut Präambel sollte die Klägerin die X bei der kaufmännischen Betriebsführung der Bioerdgasanlage unterstützen. Nach § 1 des Betriebsmanagementvertrags wurde die Klägerin mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 mit dem technischen Betriebsmanagement inklusive der übergeordneten Betriebsleitung beauftragt. Zum Leistungsumfang gehörten lt. Vertrag die Steuerung, Überwachung, Bewertung und Optimierung von Prozessen (§ 2 des Betriebsmanagementvertrags), darunter Organisation der Gärrestabgabe und Gärrestlogistik, Organisation von Qualitätskontrollen, Probeentnahmen und Wartungsarbeiten, Kontrolle von Lieferscheinen und Rechnungen und Überwachung der Einhaltung von Vorschriften. Zusätzlich oblag der Klägerin „die Kontrolle der Anlagenleistung, einschließlich Prozesskontrolle sowie Kontrolle des biologischen und technischen Status“. Über die im Leistungsverzeichnis (Anlage 1) verzeichneten Leistungen hinaus waren keine Leistungen von der Klägerin zu erbringen. Die Leistungen waren darin kategorisiert nach Überwachung und Kontrolle, Organisation, darunter Betreuung des Sicherheitsmanagementsystems und des Energiemanagementsystems, HSSE (d.h. Gesundheit, Arbeitsschutz, Sicherheit, Umweltschutz), Rohstoffversorgung und Gärrestabgabe sowie Kommunikation an die Geschäftsführung X. Auch die Klägerin konnte nach billigem Ermessen, soweit nichts anderes geregelt ist, über Art, Intervall und Umfang der zu erbringenden Leistungen entscheiden (§ 2 Nr. 2 des Vertrages). Die Dienstleistung der übergeordneten Betriebsleitung war durch Präsenz eines Mitarbeiters auf der Anlage zu erbringen. In § 2 Nr. 7 des Vertrages war klargestellt: „Für die Rohstofflieferung, das Rohstoff- und Gärrestmanagement, die Biomethanabnahme und die technische Betriebsführung hat der Auftraggeber separate Verträge mit Dritten geschlossen. Diese Leistungen sind nicht Gegenstand dieses Vertrages. Entsprechend § 2 Ziffer 1 dieses Vertrages erbringt … [die Klägerin] vielmehr die Leistung zur Steuerung und Überwachung dieser Dienstleister.“
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Der Betriebsführungsvertrag mit Y wurde nach Abschluss des Betriebsmanagementvertrags mit der Klägerin nicht vertraglich angepasst.
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Die Bioerdgasanlage arbeitete mit hohem Automatisierungsgrad grundsätzlich 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Die auf der Anlage tätigen Personen waren in der Regel werktags zwischen 6 und 17/18 Uhr anwesend. In dieser Zeit wurden die für den Anlagenbetrieb notwendigen wiederkehrenden Tätigkeiten ausgeführt. Diese umfassen im Wesentlichen:
- Radladerbewegungen zum Einfüllen von Substrat zur Fütterung der Anlage, Verladung von festen Gärresten, Wartung und Instandhaltung und Probeentnahme. Die Durchführung dieser Arbeiten erfolgte allein durch Personal der Y.
- Dokumentation der Tätigkeiten und
- das Einstellen und die Kontrolle der Anlagenparameter.
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Die vorgenommenen Einstellungen hinsichtlich der Fahrweise der Anlage führen ohne weitere Schalthandlung zum eigentlichen Energieverbrauch, denn weitere Tätigkeiten an der Anlage beeinflussen den Stromverbrauch der Anlage nur unwesentlich. Hierbei handelt es sich v.a. um Wartungsarbeiten mit Kleingeräten, die durch das Personal von Y durchgeführt werden.
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Der Stromverbrauch der BGA wird kurzfristig durch die eingestellte Verarbeitungsmenge an Hopfenrebenhäcksel (Fütterungsmenge) beeinflusst. Eine Veränderung wirkt sich zum Teil erst mit deutlicher Verzögerung auf die entstehenden Rohbiogasmengen aus und erst im Anschluss mittelbar auch auf den Stromverbrauch. Der Stromverbrauch der BGAA wird dagegen sofort und wesentlich durch eine Veränderung der Fahrweise der Aufbereitung des schon vorhandenen Rohbiogases beeinflusst, da ein wesentlicher Anteil (ca. 65-70%) des Stroms bei der Aufbereitung verbraucht wird. Die BGAA verfügt dafür über eine separate Steuerung. Da die Aufbereitungsmenge immer gänzlich weiterverarbeitet wird, wird dadurch aber lediglich der zeitliche Ablauf der Weiterverarbeitung gesteuert.
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Das Steuerungsmodul der Anlage protokolliert, wer die jeweiligen Aktionen durchgeführt hat. Der Zugriff auf das Steuerungsmodul kann laut Klägerin direkt vor Ort oder auch aus der Ferne erfolgen. Laut Protokollen des Steuerungsmoduls vom 20. Oktober 2021 als auch für Februar 2023 loggten sich jeweils im protokollierten Zeitraum sowohl Personal von Y als auch der Betriebsleiter zur Bedienung des Steuerungsmoduls ein. Ein Protokoll für das Streitjahr konnte nicht mehr vorgelegt werden.
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Nach Aussage der Zeugen wurden Einstellungen, die für die Fahrweise der Anlage wesentlich sind, entweder durch den Betriebsleiter oder auf dessen Anweisung bzw. in Abstimmung mit ihm durch das Personal von Y vorgenommen.
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Schlüssel und Zugang zu allen Bereichen der Anlage hatte sowohl das Personal von Y, das – z.T. aufgrund von Bereitschaftsdiensten – rund um die Uhr auf der Anlage anwesend war, als auch der Betriebsleiter Zeuge K, der regelmäßig werktags von 8 bis 16 Uhr, bei größeren Störungen der Anlage auch in den Abendstunden und an Wochenenden an der Anlage tätig war.
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Für den in ihren Anlagen (A und B) in 2018 verbrauchten Strom beantragte und erhielt die Klägerin eine Stromsteuerentlastung nach § 9b StromStG in Höhe von … €.
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Mit korrigiertem Antrag vom 17. September 2019 beantragte die Klägerin für 2018 eine Steuerentlastung nach § 9b StromStG für insgesamt … MWh Strom, wobei sie zusätzliche Entlastungen für Strom, der in der Bioerdgasanlage C und in der Bioerdgasanlage der X in D in 2018 verbraucht wurde, geltend machte.
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Dies geschah ausdrücklich hilfsweise für den Fall, dass der Beklagte (das Hauptzollamt – HZA –) der Rechtsauffassung der Klägerin nicht folgen sollte, nach der die jeweiligen Eigentümer der Anlage, bzgl. D also die X, die Entlastungsberechtigten sind.
21
Der Entlastungsantrag der X wurde abgelehnt.
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Das HZA setzte die Steuerentlastung für 2018 auf Grund des Korrekturantrages mit Bescheid vom 15. Juni 2020 auf … € neu fest. Die Steuerentlastung in Höhe von … € für die von der Bioerdgasanlage in D verbrauchte Strommenge lehnte das HZA ab, da die Klägerin als Betriebsmanager nicht entlastungsberechtigt sei. Bioerdgasanlagen seien nicht als vollautomatische Anlagen zu bewerten, da die Bioerdgasanlage ihren betrieblichen Zweck ohne fachgerechte Bedienung und Steuerung des Ablaufs nicht erfüllen könne. Nach der Beschreibung der Tätigkeiten im Betriebsmanagementvertrag betreibe die Klägerin die Bioerdgasanlage nicht, da sie nicht derart über die Bioerdgasanlage verfüge, um den vorgesehenen Zweck der Bioerdgasgewinnung zu erfüllen.
23
Mit Einspruchsentscheidung vom 23. September 2022 wies das HZA den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
24
Die Klägerin macht mit ihrer Klage im Wesentlichen geltend, sie sei entlastungsberechtigt, da der Strom zum Betrieb der Bioerdgasanlage durch ihren Mitarbeiter, Zeuge K, entnommen worden sei.
25
Die Tätigkeiten der Steuerung der Anlage durch den Betriebsleiter ließen sich aus dem geschlossenen Betriebsmanagementvertrag entnehmen. Dass die technische Betriebsführung als von der ihr (der Klägerin) zu erbringende Leistung in dem vorliegenden Vertrag nicht genannt sei, sei unerheblich. Aus den übrigen Vertragsklauseln und aus der tatsächlichen Tätigkeit ergebe sich, dass sie für die Erbringung ihrer Leistungen den Strom zur Steuerung der Anlage entnehme. Der Begriff technische Betriebsführung im Sinn des § 2 Nr. 7 Satz 1 und 2 des Betriebsmanagementvertrages sei dahingehend zu verstehen, dass die im Betriebsführungsvertrag mit Y verabredeten Tätigkeiten von Y weiterhin ausgeübt werden. Damit sollte aber sie (die Klägerin) nicht von Tätigkeiten ausgeschlossen werden, die eine Stromentnahme zum Betreiben der Biogasanlage auslösen. Der Begriff der technischen Betriebsführung sei nicht als Synonym von Tätigkeiten zu verstehen, die eine Stromentnahme bewirken. Die Steuerung des technischen Anlagenbetriebs sei nicht Gegenstand des Vertrages mit Y. Diese umfasse die Festlegung der erforderlichen Vorgaben zur Anlagensteuerung (Festlegung der Steuerungs- und Einstellparameter für sämtliche Anlagenbestandteile), die Umsetzung der festgelegten Steuerungs- und Einstellparameter, die Vornahme der diesbezüglichen notwendigen Eingriffe in die Anlagensteuerung sowie die Überwachung der Einhaltung der festgelegten Vorgaben und die Bewertung und Optimierung von Prozessabläufen. Diese Funktion übernehme gemäß § 4.2. des Vertrages ein von der X zu stellender Betriebsleiter. Dies sei im Streitjahr ihr Mitarbeiter Zeuge K gewesen.
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Unabhängig davon sei für die Zuordnung der Entnahme von Strom der Realakt maßgeblich, d.h. die Durchführung des tatsächlichen Vorgangs der Entnahme von Strom durch die Steuerung der Anlage. Diese erfolge bei der Biogasanlage durch denjenigen, der die Eingaben in den Steuerungsmodulen vornimmt. Die Regelungen im Betriebsführungsvertrag vom 6. März 2015 mit Y entsprächen nicht deren tatsächlicher Tätigkeit. Zu bewerten seien die tatsächlichen Umstände.
27
Y leiste Hilfstätigkeiten, die den Stromverbrauch der Anlage in der Regel nicht beeinflussten. Die Entnahme von Strom beim Einsatz von Kleingeräten für Wartungsarbeiten durch Y sei nach § 17b StromStV ihr (der Klägerin) zuzurechnen, da der Einsatz nur zeitweise und ausschließlich im Betrieb der X erfolge, dieser Strom nicht abgerechnet werde und sie die Empfängerin der unter Entnahme des Stroms erbrachten Leistung sei.
28
Ihr Betriebsleiter bestimme durch seine Vorgaben in den Steuerungsmodulen entscheidend den Stromverbrauch der Bioerdgasanlage. In der praktischen Umsetzung der vertraglichen Regelungen handelten die Mitarbeiter von Y in Zeiten, in denen ihr Betriebsleiter keinen direkten Zugriff auf das Steuerungsmodul hatte, nach den Anweisungen des Betriebsleiters bzw. seinen Vorgaben. Die vorgelegten Protokolle spiegelten die Verhältnisse im Streitzeitraum wieder.
29
Für die Stromentnahme komme es weder darauf an, wer Zugangskontrolle und Schlüsselgewalt gehabt habe, noch seien Mitbesitzverhältnisse nach § 866 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entscheidend. Es sei allein auf den Realakt der tatsächlichen Entnahme abzustellen, der eine unmittelbare Sachherrschaft voraussetze – unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 855 BGB (Besitzdiener) vorliegen.
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Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Bescheides vom 15. Juni 2020 und der Einspruchsentscheidung vom 23. September 2022 die Steuerentlastung für 2018 nach § 9b StromStG unter Berücksichtigung von weiteren … MWh Strom um … € höher festzusetzen.
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Es trägt im Wesentlichen vor, die Klägerin habe keinen Entlastungsanspruch, da sie den Strom nicht zu ihren betrieblichen Zwecken entnommen habe.
33
Die Klägerin habe mit der X keinen Vertrag über die Betriebsführung der Bioerdgasanlage D geschlossen. Es sei lediglich ein Vertrag über das technische Betriebsmanagement inkl. der übergeordneten Betriebsleitung geschlossen worden. Die von der Klägerin vorgetragene Betriebsführung sei nur insoweit Vertragsbestandteil, als die Klägerin laut Präambel des Betriebsmanagementvertrages die X lediglich bei der kaufmännischen Betriebsführung unterstütze. Die technische Betriebsführung hingegen werde in § 2 Nr. 7 Satz 1 und Satz 2 des Betriebsmanagementvertrages explizit ausgeschlossen. Hierzu bediene X sich der Dienste eines Dritten, der Y. Die Klägerin übernehme laut Vertrag rein kaufmännisch/organisatorische Aufgaben, die weder Auswirkung auf den Stromverbrauch noch auf die Ausgangsleistung hätten. Die Überwachungs- und Kontrollaufgaben seien für die Beurteilung, wer die Anlage betreibt, unerheblich und setzten nicht zwingend den Zugriff auf die Anlage voraus. Der Abschluss des Betriebsmanagementvertrages der X mit der Klägerin sei nicht zum Zwecke der Neuvergabe von Leistungen aus dem bisherigen Betriebsführungsvertrag, sondern nur zur Kontrolle der Einhaltung von Vorgaben aus diesem Vertrag erfolgt (vgl. Präambel des Betriebsmanagementvertrags). Der Leistungsumfang aus § 2 des Betriebsmanagementvertrags ziele daher nicht auf die Steuerung, Überwachung, Bewertung und Optimierung der Anlage selbst ab, sondern auf die Organisation und Kontrolle von Leistungen die der Betriebsführer zu erbringen hat. Dies erkläre auch, warum keine Anpassung des Vertrags mit Y erfolgt sei.
34
Auch tatsächlich sei die Anlage von Y betrieben worden. Denn in den Zeiten in denen Zeuge K nicht anwesend gewesen sei, bedienten die Mitarbeiter von Y auch die Steuerung der Anlage. Auf Weisungsverhältnisse käme es insoweit nicht an. Dagegen sei ein Betrieb alleine durch den Betriebsleiter nicht denkbar gewesen. Die Handlungen des Betriebsleiters seien, wenn auch den tatsächlichen Stromverbrauch der Anlage beeinflussend, im Vergleich zu den vielzähligen Tätigkeiten des umfangreich vor Ort befindlichen Personals von Y untergeordnet. Zwar habe die Klägerin bei Anwesenheit des Betriebsleiters unmittelbaren Mitbesitz (§ 866 BGB) an der Anlage, die Verfügungsmacht verbleibe jedoch bei Y und ihrem weisungsgebundenen Personal. Sämtliche Anlagenteile der Bioerdgasanlage seien Y zur Verwaltung übertragen worden, denn ein ständiger (täglicher) tatsächlicher Zugriff auf die Bioerdgasanlage vor Ort (wie z.B. Befüllen der Anlage, Entnahme der Reststoffe, u.a.) sei unerlässlich, damit die Anlage ununterbrochen laufen könne, diese Tätigkeiten führe ausschließlich das Personal von Y aus, so dass Y und nicht die Klägerin die tatsächliche Sachherrschaft über die Bioerdgasanlage ausübe.
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Im Übrigen könne nicht allein durch vertragliche Gestaltungen – hier der Abschluss eines Arbeitsvertrags – die Entlastungsberechtigung übertragen werden.
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Ein Vergleich der für Februar 2023 vorgelegten Protokolle mit dem Protokoll für den 20. Oktober 2021 lasse gravierende Prozessunterschiede erkennen. Rückschlüsse auf die Verhältnisse in 2018 seien daraus nicht möglich. Im Übrigen lasse sich allein aus dem Zugriff auf das Steuerungsmodul nicht auf den Umfang des Eingriffs schließen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des Zeugen K und durch Vernehmung der Zeugen J und L.
38
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2025, die eingereichten Schriftsätze, die Email des Zeugen K vom 10. März 2025 und auf die vorgelegten Unterlagen und Akten verwiesen.
39
Die Klage ist insoweit begründet, als die Klägerin im Streitjahr aufgrund der unmittelbaren Sachherrschaft ihres Betriebsleiters an der Anlage entlastungsberechtigt hinsichtlich des in der Anlage in D verbrauchten Stroms ist. Soweit die Stromentnahme durch Y erfolgte, ist die Klage unbegründet.
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1. Die Klägerin kann die Entlastung nach § 9b StromStG soweit in Anspruch nehmen, als sie den in der Anlage verbrauchten Strom entnommen hat.
41
a) Eine Steuerentlastung wird auf Antrag gewährt für nachweislich nach § 3 StromStG versteuerten Strom, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft für betriebliche Zwecke entnommen hat und der nicht von der Steuer befreit ist (§ 9b Abs. 1 Satz 1 StromStG). Entlastungsberechtigt ist derjenige, der den Strom entnommen hat (§ 9b Abs. 3 StromStG).
42
b) Eine Entnahme liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Strom einer eliminierenden Nutzung zugeführt wird. Erforderlich für den Realakt der Entnahme ist eine von einem entsprechenden Willen getragene menschliche Handlung (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 24. Februar 2016 – VII R 7/15, BFH/NV 2016, 860, Rn. 10, und vom 20. Juni 2023 – VII R 2/21, BFH/NV 2024, 14, Rn. 26).
43
aa) Da das Stromsteuerrecht nicht definiert, wer den Strom entnimmt, ist aufgrund des Realsteuercharakters der Stromsteuer und der Besonderheit, dass die Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr und der Verbrauch zeitlich zusammenfallen, davon auszugehen, dass derjenige den Strom entnimmt, der die unmittelbare bzw. tatsächliche Sachherrschaft über die Anlagen hat, in denen der Strom verbraucht wird. Denn in diesen Anlagen wird der Strom einer eliminierenden Nutzung zugeführt, also verbraucht, und eine nicht steuerbare Ware erzeugt. Der Begriff der unmittelbaren Sachherrschaft ist gleichbedeutend mit dem Begriff der tatsächlichen Gewalt in § 854 Abs. 1 BGB. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, auf welcher vertraglichen Grundlage die unmittelbare bzw. tatsächliche Sachherrschaft über die Anlagen eingeräumt worden ist oder in wessen Eigentum die stromverbrauchenden Anlagen stehen. Eine lediglich mittelbare Sachherrschaft über die stromverbrauchenden Anlagen reicht nach ständiger Rechtsprechung für eine Zuordnung der Stromentnahme jedoch nicht aus (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Juni 2021 – VII R 26/19, BFH/NV 2021, 1371, Rn. 25 f, m.w.N.), da der Entnahmebegriff im StromStG gänzlich anderen Zielsetzungen dient als denen der zivilrechtlichen Konstruktion des mittelbaren Besitzes. Insofern kann die selbständige Tätigkeit des Werkunternehmers dem Auftraggeber stromsteuerrechtlich nicht zugerechnet werden. Dabei kommt es weder auf die Art und das Ausmaß der Einbindung des Auftragnehmers in den Produktionsablauf noch auf die nähere Ausgestaltung des jeweiligen Vertrags an oder darauf, wer das wirtschaftliche Risiko trägt. Auch ob der Tätigkeit ein Werk- oder Dienstvertrag, z.B. in Form eines Betriebsführungsvertrags, zu Grunde liegt, ist unerheblich (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Juni 2021 – VII R 26/19, BFH/NV 2021, 1371, Rn. 26, 31f, m.w.N.).
44
bb) Diesen Grundsatz verdeutlicht auch § 17b Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (Stromsteuer-Durchführungsverordnung – StromStV). Danach liegt eine Entnahme für betriebliche Zwecke auch dann vor, wenn Strom durch ein anderes Unternehmen im Betrieb des Antragstellers entnommen wird, sofern dieses Unternehmen dort nur zeitweise eine Leistung erbringt. Die Regelung zeigt, dass die Entnahme von Strom durch ein Unternehmen, das im Haus eines anderen Unternehmens tätig ist, nicht ohne Weiteres dem „übergeordneten“ Unternehmen zugerechnet werden kann. Anderenfalls hätte es dieser Ausnahmevorschrift nicht bedurft (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 2018 – VII R 21/17, BFH/NV 2019, 417, Rn. 16). Ebenso hat der Gesetzgeber mit § 3 Abs. 5 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) einen anlagen- und einsatzbezogenen Verwenderbegriff aufgenommen, z.B. für Sammelschienenkraftwerke, aber an der grundlegenden Systematik festgehalten (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 2. Juni 2022 – 4 K 65/19, ZfZ 2023, 27, Rn. 48).
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cc) Da Unternehmen des Produzierenden Gewerbes im Sinne von § 2 Nr. 3 StromStG nach § 2 Nr. 4 StromStG die kleinste rechtlich selbständige Einheit ist, ist die unmittelbare Sachherrschaft von Arbeitnehmern – unabhängig von deren Eigenschaft als Besitzdiener (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Oktober 2015 – VII B 39/15, BFH/NV 2016, 230, Rn. 12) – ihrem jeweiligen Arbeitgeber als kleinste rechtlich selbständiger Einheit zuzurechnen (vgl. auch Finanzgericht – FG – Hamburg, Urteil vom 2. Juni 2022 – 4 K 65/19, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern – ZfZ – 2023, 27, Rn. 47 ff; FG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juli 2021 – 4 K 3247/19 VSt, ZfZ 2021, 309, Rn. 24).
46
dd) Zur Bestimmung, wer Sachherrschaft an einer stromverbrauchenden Anlage hat, ist zu beurteilen, ob eine auf den Tatsachen des Lebens beruhende Machtbeziehung einer Person zu einer Sache besteht, die der Person physische Einwirkungen auf die Sache ermöglicht (vgl. MüKoBGB/F. Schäfer, BGB § 854 Rn. 28).
47
In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung, d. h. von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falls entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens, ab (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 2. Dezember 2011 – V ZR 119/11, NZM 2013, 204, Rn. 10; und vom 30. Januar 2015 – V ZR 63/13, NJW 2015, 1678, Rn. 24). Die Gesamtumstände des Einzelfalls sind aus dieser Perspektive daraufhin zu untersuchen, welche von mehreren als Besitzer in Betracht kommenden Personen die fester gegründete Sachherrschaft erworben hat, welche Person also mit größerer Wahrscheinlichkeit ihren Besitzwillen realisieren und auf die Sache zugreifen kann oder – anders herum gewendet – bei welcher Person redliche Dritte am wahrscheinlichsten die Realisierung des Besitzwillens akzeptieren und eigene Wünsche im Hinblick auf die Sache zurückstellen werden (vgl. BeckOGK/Götz, BGB § 854 Rn. 56).
48
Zu betrachten sind die tatsächliche Herrschaftsbeziehung, die räumliche Beziehung zu der Sache, die Erkennbarkeit der Herrschaftsbeziehung und ihre Dauer, wobei das äußere Erscheinungsbild wertend zu beurteilen ist (BeckOGK/Götz, BGB § 854 Rn. 59). Hinsichtlich der Herrschaftsbeziehung ist auf der einen Seite die Zugriffsmacht des (angehenden) Besitzers zu betrachten (positive Komponente), d.h. die Frage, wie zuverlässig er auf die Sache zugreifen kann. Zum anderen ist zu prüfen, ob er mehr als andere auf die Sache einwirken kann, wie wahrscheinlich er also andere von dem Zugriff ausschließen kann (negative Komponente; BeckOGK/Götz, BGB § 854 Rn. 61).
49
Besitz ist auch in Form des Mitbesitzes (§ 866 BGB) denkbar. Schlichter Mitbesitz liegt vor, wenn jeder Mitbesitzer ohne die Mitwirkung der anderen in der Lage ist, die Sachherrschaft auszuüben. In Fällen, in denen nicht alle Mitbesitzer auf derselben Stufe und zu demselben Gebrauchszweck besitzen, handelt es sich dennoch um schlichten Mitbesitz, bei dem nur aufgrund des zwischen den Mitbesitzern geltenden Rechtsverhältnisses besondere Maßgaben etwa für das Ausmaß des Gebrauchs (und eventuell der Kostentragung) gelten (BeckOGK/Götz, BGB § 866 Rn. 33; Staudinger/Gutzeit (2018) BGB § 866 Rn. 7).
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ee) Generell ist es nach diesen Grundsätzen möglich, dass es beim Betrieb einer Anlage bzw. auf einem Betriebsgelände mehrere Verwender gibt, mit der Folge, dass die innerhalb eines Betriebsgeländes entnommene Strommenge auf verschiedene entlastungsberechtigte Unternehmen aufgeteilt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. September 2013 – VII R 64/11, BFHE 242, 460, Rn. 14; Jatzke, ZfZ 2019, 336, 340).
51
c) Im vorliegenden Fall erfolgte die Stromentnahme beim Betrieb der Biogasanlage zur Überzeugung des Senats nur zum Teil durch die Klägerin, da sowohl sie als auch Y durch ihre jeweiligen Arbeitnehmer unmittelbare Sachherrschaft an der Anlage hatten.
52
aa) Das Gericht ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens überzeugt, dass Zeuge K – entgegen seiner eigenen schriftlichen Einlassung – im Streitjahr bei der Klägerin angestellt war. Dies ergibt sich aus dem vorgelegten, ab dem 1. Januar 2018 geltenden Arbeitsvertrag und den Lohnabrechnungen, die für die Klägerin erstellt wurden. Auch der Zeuge J hat dies glaubhaft bestätigt.
53
Dagegen beruht die schriftliche Einlassung des Zeugen K, wonach er als Betriebsleiter der X tätig war, zur Überzeugung des Gerichts auf einem Missverständnis. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Zeuge K nach der Aussage von Zeuge J bereits ab 2015 bis 2017 als Betriebsleiter im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung für die X in D tätig war. Durch das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin hat sich für ihn insofern weder seine Tätigkeit als Betriebsleiter noch die Person seines unmittelbaren Vorgesetzten geändert, denn Vorgesetzter von Zeuge K war vor dem Streitjahr und im Streitjahr Zeuge J, zunächst als Geschäftsführer der X und ab dem Streitjahr als bei der Klägerin beschäftigter Leiter des Anlagenbetriebes. Außerdem war Zeuge K insofern „für“ die X tätig, als diese als Eigentümerin der Anlage die wirtschaftlich Berechtigte ist.
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bb) Hinsichtlich des Stromverbrauchs in der BGA und der BGAA war im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung (vgl. auch BFH-Beschluss vom 21. August 2014 – VII R 11/13, BFH/NV 2015, 62, Rn. 13) entsprechend den o.g. Grundsätzen bei objektiver Beurteilung von außen zu berücksichtigen, dass sowohl die Klägerin als auch Y in Bezug auf die räumliche Nähe vergleichbare Positionen einnehmen. Gleiches gilt hinsichtlich der Zugriffsmöglichkeit auf die Anlage, denn sowohl das Personal von Y als auch der Betriebsleiter der Klägerin hatten uneingeschränkten Zutritt zu allen Bereichen der Anlage. Dies ergibt sich aus der Zeugenaussage von K, die hinsichtlich der Zutrittsrechte von Y auch von § 5 Nr. 5.2 des Betriebsführungsvertrags und II. Nr. 1 der Anlage 3 zum Betriebsführungsvertrag bestätigt wird. Hinsichtlich der Dauer der Herrschaftsbeziehung ist zu berücksichtigen, dass das Personal von Y aufgrund der Bereitschaftsdienste rund um die Uhr Zugriff auf die Anlage hatte. Dies gilt auch für den Betriebsleiter, der – abgesehen von seiner Anwesenheit zu normalen Arbeitszeiten – ebenfalls zu jeder Zeit Zugang zur Anlage hatte und auf sie zugreifen konnte. Er hatte bei Störungen vor Ort einzugreifen, konnte das Steuerungsmodul aber auch aus der Ferne steuern, wobei offen gelassen werden kann, ob alleine diese Möglichkeit der Fernsteuerung Mitbesitz begründen könnte (vgl. BGH-Urteil vom 26. Oktober 2022 – II ZR 89/21, BGHZ 235, 27-36). Allein dadurch, dass er nicht durchgehend vor Ort war, war weder sein Besitz (vgl. § 856 Abs. 2 BGB) noch seine unmittelbare Sachherrschaft an der Anlage jeweils beendet.
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Da es insgesamt auf eine Beurteilung aus Sicht der Verkehrsauffassung ankommt, ist von einem Mitbesitz des jeweiligen Personals auszugehen. Unerheblich ist insoweit, dass ein Betrieb der gesamten Anlage (über einen relevanten Zeitraum) alleine durch den Betriebsleiter wohl nicht möglich gewesen wäre, denn das Funktionieren der Anlage ist hinsichtlich der für den Besitz allein relevanten Frage des tatsächlichen Zugriffs auf die Anlage nicht relevant.
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cc) Da es allein auf die Sachherrschaft an den Anlagen ankommt, ist nicht entscheidend, durch welche Tätigkeiten oder durch wen der konkrete Stromverbrauch der Anlage ausgelöst wird. Insofern ist weder die Kausalität verschiedener Arbeiten für einen bestimmten Umfang an Stromverbrauch zu bewerten oder zu quantifizieren. Unberücksichtigt bleibt also hier z.B. der Umstand, dass ohne Transport und Einfüllen der Rohstoffe aber auch ohne Entsorgung des Gärsubstrats kein Anlagenbetrieb möglich ist, und dass die Menge und Qualität der Rohstoffe den Betrieb beeinflusst (Tätigkeiten von Y); dies gilt aber genauso für Tätigkeiten, die nach Aussage der Zeugen im Regelfall durch den Betriebsleiter erfolgten wie z.B. die Einstellung der Parameter für die Fahrweise der Anlage, durch die der Stromverbrauch beeinflusst wird.
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Unerheblich ist somit auch, inwieweit eine Automatisierung der Prozesse vorlag, denn auch bei weitgehend automatisierten Prozessen ist die Sachherrschaft des Betriebsführers an den Anlagen entscheidend (BFH-Beschluss vom 24. Juni 2021 – VII R 26/19, BFH/NV 2021, 1371, Rn. 28). Soweit sich aus den Informationsschreiben der Generalzolldirektion etwas Anderes ergeben sollte, stellen diese lediglich die Verwaltung bindende Anweisungen dar (BFH-Beschluss vom 24. Juni 2021 – VII R 26/19, BFH/NV 2021, 1371, Rn. 29).
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Nicht zu berücksichtigen war außerdem nach den o.g. Grundsätzen, dass das Personal der Y hinsichtlich einiger Tätigkeiten wie der Bedienung des Steuerungsmoduls den Weisungen der Klägerin bzw. ihres Betriebsleiters unterworfen war, da es insofern auf die tatsächliche Vornahme des Realakts ankommt.
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Dem steht auch nicht die zum Energiesteuergesetz ergangene Entscheidung des BFH entgegen, wonach es beim Chartern eines Flugzeugs für die Beurteilung der Verwendereigenschaft nicht darauf ankommen soll, ob der Charterer das Luftfahrzeug vom Vercharterer mit oder ohne Pilot mietet (BFH-Urteil vom 17. Juli 2012 – VII R 29/09, BFH/NV 2013, 203, Rn. 19). Denn insofern hat der BFH in nachfolgenden Urteilen klargestellt, dass es nicht auf die Eigenschaft als Besitzdiener (BFH-Beschluss vom 21. Oktober 2015 – VII B 39/15, BFH/NV 2016, 230, Rn. 12) oder Weisungsrechte (BFH-Beschluss vom 24. Juni 2021 – VII R 26/19, BFH/NV 2021, 1371, Rn. 27) ankommt.
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dd) Der Senat geht davon aus, dass aufgrund der o.g. Grundsätze bei Mitbesitz an einer stromverbrauchenden Anlage die Stromentnahme den Mitbesitzern anteilig zuzurechnen ist, wobei eine Aufteilung zu jeweils einhalb sachgerecht ist.
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aaa) Anders als in Fällen, in denen Besitz an verschiedenen Anlagen besteht und dementsprechend der jeweilige Stromverbrauch zugeordnet werden muss, bzw. in denen Besitzern abgrenzbare Nutzungszeiten zugeordnet werden können, kann im vorliegenden Fall gleichwertigen Mitbesitzes der entnommene Strom nicht danach aufgeteilt werden, wer welchen Stromverbrauch ausgelöst hat.
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Regelungen für die gleichwohl erforderliche Aufteilung enthält das Gesetz nicht. Nach Auffassung des Senats kann insofern auch nicht der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) herangezogen werden (vgl. in anderem Zusammenhang so auch BFH-Urteil vom 4. September 2024 – I R 15/24 (I R 17/20), BFH/NV 2025, 120, Rn. 27), da es nach der Rechtsprechung des BFH bei der Bestimmung des Entlastungsberechtigten im Rahmen des § 9b StromStG nicht auf vertragliche, wirtschaftliche oder sachenrechtliche Umstände ankommt (BFH-Beschluss vom 24. Juni 2021 – VII R 26/19, BFH/NV 2021, 1371, Rn. 24).
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bbb) Ist somit allein auf die Sachherrschaft abzustellen und auch diesbezüglich nicht zu werten – weder in Bezug auf Weisungsverhältnisse noch hinsichtlich der Anzahl der Personen, die für den einen oder anderen Mitbesitzer vor Ort waren, noch der Zeiten, in denen die unmittelbare Sachherrschaft aufgrund Anwesenheit vor Ort ausgeübt wurde – ist aufgrund des im Streitjahr durchgehend gegebenen Mitbesitzes der Klägerin und der Y beiden die Stromentnahme zu gleichen Teilen zuzuordnen.
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Das Gericht geht dabei aufgrund der Darlegungen der Klägerin sowie der Zeugen davon aus, dass die Stromentnahme für Kleingeräte für Wartungsarbeiten, die unstreitig auf dem Gelände der X durch das Personal von Y erfolgte, der Höhe nach zu vernachlässigen sind. Insofern kommt es nicht darauf an, dass diese nicht nach § 17b Abs. 4 StromStV der Klägerin zuzurechnen ist. Denn Y erbringt seine Wartungsarbeiten nicht nur für einen begrenzten Zeitraum, sondern dauerhaft. Insofern ist bereits fraglich, ob die Leistungen insofern nur „zeitweise“ im Sinne der Vorschrift erbracht werden (vgl. Jansen in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, StromStG § 9b Rn. 17; Möhlenkamp in Milewski/Möhlenkamp, StromStG § 9b Rn. 5; Kalker/Khazzoum in StromStG – eKommentar, § 9b StromStG, Rn. 8). Zudem werden die Wartungsleistungen auch nicht gegenüber der Klägerin, sondern dem Auftraggeber von Y, der X, erbracht.
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ccc) Der teilweisen Zurechnung steht nicht die im Informationsschreiben der GZD „Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Verwenderbegriff“ vom 30. April 2021 (Nr. 8) geäußerte Verwaltungsauffassung entgegen, wonach in dem Fall, in dem Eingriffe in die Steuerung einer Anlage durch verschiedene Personen vorgenommen werden, grundsätzlich nur eine Person maßgebend sein soll, damit es nicht zu einem (ständigen) Wechsel kommt. Zum einen kann es nach den o.g. Grundsätzen nicht entscheidend sein, wer die Verantwortung für die übergeordnete Steuerung trägt und wie und in welcher Form die Zugriffsrechte geregelt sind. Zum anderen handelt es sich hierbei lediglich um die die Gerichte nicht bindende Verwaltungsauffassung.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz beruht auf § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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3. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung in Hinblick auf die vorgenommene Aufteilung der Stromentnahme bei Mitbesitz zugelassen.